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Im Herbst feierten endlich Zilge und Seb ihre Hochzeit. Ein seltsamer Gast war dabei, der von seinen Angehörigen wie vom ganzen Dorf mit scheelen Blicken betrachtet wurde. – Es war der einzige Bruder Zilges, der als Landjäger gekommen war. – Er hatte vom Vater eine Scheu vor regelmäßiger Arbeit geerbt, und da er militärpflichtig geworden, ließ er sich nach Umlauf seiner Dienstzeit als Landjäger anwerben.
Dieses Herumschlendern behagte ihm, er aß lieber das Brot, das fremde Leute backen, und trank noch lieber Bier, das fremde Leute brauten, als daß er selber solches bereitete. Er beredete sich dabei, daß er bei seiner Vermögenslosigkeit es doch nie zu einem eigenen Hausstand gebracht hätte, und jetzt war er »staatsmäßig« versorgt. Wie das Dorf ihn mit einer gewissen Scheu fast wie einen Abtrünnigen betrachtete, so war auch Seb nicht eben stolz auf diese Schwägerschaft, und der Bruder Landjäger, der das merkte, sagte am Hochzeitstische seiner Schwester: »Zilge, wenn dein Mann einmal gegen dich ist, wenn er vergessen sollt', wer du eigentlich bist, da wend' dich nur an mich.«
Durch den Bruder Landjäger und seine Großsprechereien war etwas Bedrücktes auf der ganzen Hochzeit. Erst tags darauf, als die beiden jungen Eheleute allein in ihrem neuen Hause waren, ging ihnen die volle Glückseligkeit ihrer Herzen auf.
Der Vater Sebs hatte in jeder Weise, außer in Bezug auf Zilge, richtig prophezeit. Seb war dem Glaser, Schreiner und Hafner Geld schuldig geblieben, aber schon am ersten Tag seiner Ehe ergab sich ein glückliches Ereignis. Der Ziegler machte mit Seb den Accord zum Bau einer neuen Hütte, und andere sprachen von Häuserbauten, die sie ihm übergeben wollten; das lustige Häusle, das er allein hingestellt hatte, brachte ihm Ehre und Vertrauen, und er redete es sich selbst als eine Kleinigkeit aus, daß es einen geheimen Schaden hatte.
Seb hatte den Gedanken nicht in sich aufkommen lassen, aber er war ihm doch manchmal durch den Sinn gefahren, daß Zilge vielleicht durch ihr Bedrängen auf ein eigen Haus seine Handwerksehre zu Grunde gerichtet haben könne; jetzt zeigte sich das Gegenteil, und er sagte ihr das dankbar, ohne ihr den Vorgedanken mitzuteilen. Zilge war doppelt glücklich, daß die Erfüllung ihres eigenen Wunsches noch nachhaltige Folgen gehabt, an die sie kaum gedacht, jetzt aber erschien es ihr, als habe sie solche mit kluger Berechnung beabsichtigt; sie rühmte sich dessen, wenn auch bescheiden, und Seb ließ ihr gern diesen Ruhm.
Zilge war fleißig und heiter vom Morgen bis in die Nacht; die Hand, die mit dem silbernen Trauring geschmückt war, schien noch flinker und unermüdlicher geworden. Sie wußte das Innere des Hauses so schön herzurichten, daß kein zweites im Dorfe so freundlich war.
Der Winter war mild, man konnte bis nach Neujahr im Freien arbeiten, man konnte die neue Ziegelei unter Dach bringen, in der nun Seb für ein anderes Haus die Steine meißelte. Aber auch Ungemach kam in diesem Winter.
Der Vater Sebs ward schwer krank. An dem letzten Tage, als viele sein Bett umstanden und er die arbeitsmüden Hände kaum mehr erheben konnte, hieß er alle Anwesenden hinaus. gehen, nur Seb sollte bei ihm bleiben. Und als dieser allein mit ihm war, richtete der Vater sich auf und sagte:
»Seb, bevor es Nacht wird, komm' ich zum großen Meister. Seb, jetzt horch, ich will dir was sagen: mir schadet's nichts mehr, aber dir, dir kann's schaden; ich will Zeugen hereinrufen und will vor ihnen sagen, daß, wenn deinem Haus was geschieht, ich daran schuld bin, du nicht, du nicht. Ruf die Leut'.«
»Nein, Vater, nein, Ihr dürfet nicht mit einer Lüge aus der Welt gehen, nein, die Sünd' lade ich nicht auf Euch und nicht auf mich,« rief Seb, und der Alte legte seine zitternden harten Hände auf das Gesicht seines Sohnes und sagte: »Hast recht, es wär' mir doch auch schwer geworden, und unser Herrgott wird dir's vergelten.«
Bevor der Abend niedersank, der den Handwerksburschen in die Herberge ruft, hatte der alte Maurer seinen Lebensweg vollendet.
Auf dem Dorfe ist es nicht Sitte, daß um den Tod der Eltern, die satt an Jahren scheiden, sich schwere Klage erhebt; eine gewisse Dumpfheit des Gefühls, mehr aber noch die natürliche Anschauung, daß die Eltern vor den Kindern aus dem Leben scheiden müssen, und dazu der Mangel der Gesellschaftspflicht, die da nötigt, mit einem Schmerze zu prunken, alles das läßt solche Ereignisse viel schneller vorübergehen, und man kann den Sohn in den Kleidern des Vaters, die Tochter in denen der Mutter bald nach deren Tode fröhliche Wege wandern sehen.
Um so auffälliger war die ungewöhnliche Trauer Sebs, in die sich zu dem Gefühl der Verlassenheit noch das Bangen und eine drohende Selbstverantwortlichkeit mischte.
Er wies den Gedanken weit weg, daß er dem Vater die Schuld hätte aufbürden sollen, und doch kam er bald wieder. Zilge suchte ihren Mann mit inniger Tröstung aufzurichten, aber es gelang ihr nicht, sie sagte ihm, es sei so beschieden, er solle nicht mehr haben als sie auch; sie sei ja auch elternlos. Er konnte und wollte ihr für diese guten Worte nicht sagen, daß ihr Vater sich nicht mit dem seinigen vergleichen ließe. Erst als Zilge ihm sagte, daß die Leute seine Trauer als Reue über die Ehe mit ihr deuten müßten, schüttelte er gewaltsam alle Trauer ab, und Frühling und Arbeit halfen ihm darin getreulich als die besten Tröster.
In diesem Frühling konnte Seb nicht nur Gesellen annehmen, es trat auch ein Ereignis ein, das, so klein es erschien, doch ihm und Zilge große Freude machte, ein Schwalbenpaar nistete unter ihrem Dachsims, gerade über dem Fenster, wo Zilge stickte. Die fröhlichen Verheißungen, die seit uralten Zeiten sich an den Anbau des lieblich behenden Vogels knüpfen, erheiterten Zilge: da schlägt kein Blitz ein, und Friede und Ruhe ist im Hause; der Ausspruch der ganzen Lebensfreude, die sie erfüllte, knüpfte sich an die Ankunft des Vogels. Seb hatte aber noch seine besondere Freude, die er nicht aussprach. Die Wahrnehmung, daß der Vogel unter seinem Dach nistete, galt ihm als eine Gewähr, die alle Messungen zu Schanden machte; das Haus war wohlgebaut, denn der kluge fromme Vogel baut nicht unter ein Dach, das schwankend und unsicher ist. So waren die jungen Eheleute vom kleinen aus und im Großen ihres ganzen Hausstandes heiter und werkthätig.
Am Abend desselben Tages, an dem das neue Haus gerichtet wurde, das erste, das Seb als Meister für einen Fremden baute, wurde ihm ein Sohn geboren, und Zilge war noch am Mittag beim Bauspruche gewesen.
Die ganze lustige Baugewerkschaft kam noch am späten Abend und sang vor dem Hause helle Lieder, die lustig das Thal hinab und von den jenseitigen Bergen widerklangen. Zilge war nicht wenig stolz, da sie hörte, daß man ihr als »Frau Baumeisterin« ein Hoch und abermals Hoch ausbrachte.
Sie lächelte ablehnend, aber sie hörte es doch gern, wenn man sie fortan auch nur scherzweise Frau Baumeisterin hieß. Das war ein einträglicher und ehrenvoller Scherz, und einmal sagte sie sogar im stillen zu ihrem Seb: Ein Mann, der Häuser bauen könne, brauche nicht mehr Maurermeister, er könne wohl Baumeister heißen; in dieser bösen Welt aber hätten die großen Herren alle schönen Titel für sich allein genommen.
Seb gab seinem erstgebornen Sohne den Namen des Schutzpatrons der Baugewerke: Johannes.
Die Schwalben vor dem Fenster zwitscherten, wenn Zilge ihr Kind in den Schlaf sang, und sie, die allezeit still und sinnend war, erweckte auf einmal einen ungeahnten Schatz von Liedern, die ihr im Gedächtnisse schlummerten; sie sang sie dem Kind und sich selber zur Lust.
Und wenn Zilge bei der Arbeit still war, sangen ihr die Schwalben geheimnisvolle Weisen. Ja, man thut den Schwalben unrecht, wenn man ihnen nur ein Zwitschern zuerkennt. Wenn sie so ruhig auf der Dachfirste sitzen, schlingen sie Töne ineinander, so innig, so aus tiefster Seele und so fein, daß es ist, als sänge jemand das schönste Lied, aber nur mit halber Stimme, nur für sich, nur in sich hinein. Sängen die Schwalben so laut wie die Nachtigall und Lerche, man hörte nur noch auf sie. Wird es einmal einen nie dagewesenen herrlichen Frühling geben, in dem das leise halbstimmige Singen der Schwalben zum schmetternden Klange wird? Oder können sie nie aus voller Brust laut hinausjubeln, weil sie doppelten Frühling und doppelte Heimat und eigentlich keines recht und einzig haben? . . . Es ist das beste Zeichen einer von Sorgen befreiten und frohgeweckten Seele, wenn sie sich hinein versenken will in das geheimnisvolle Leben von Tier und Pflanze und sich selber drin vergißt.
Zilge konnte allerlei denken und grübeln, ohne doch je in ihrer Thätigkeit lässig zu sein, ja sie war emsiger als je, ihr stetes Denken und Arbeiten war darauf gerichtet, die Schulden, die sie noch vom Hausbau her hatten, abtragen zu helfen, und bevor das Töchterchen angekommen, war dies gelungen. Das Haus war vollständig bezahlt und vieles in dasselbe eingeschafft; wohlgemuter sah kein Ehepaar darein, und fröhlicher grüßte und dankte keins als Seb und Zilge, wenn sie Sonntagmorgens miteinander zur Kirche gingen und aus derselben heimkehrten. Dieser gemeinschaftliche Kirchgang ist oft eine selbständige heilige Feier, der die eigentliche nicht gleichkommt. Zilge sagte einst auf diesem Kirchgange zu Seb:
»Wenn ich so mit dir geh', jetzt vor Gott und der Welt dein und du mein, da ist mir's gar nicht, als ob wir zwei Menschen wären und jedes für sich allein gehen könnt'! Und jetzt können wir bald unsern Johannes mitnehmen, und da sind wir dann beide in einem Stück. Und unser Haus hab' ich mit der Nadel und du mit dem Hammer aufgebaut. Man könnt' ein Rätsel drauf machen.«
»Ich glaub' nicht, daß der Pfarrer mir was Besseres sagen kann als du,« erwiderte Seb lächelnd, und noch in der Kirche auf ihren getrennten Plätzen schauten sie einander oft an.