Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Drittes Kapitel.

Je näher der Abend kam, um so lebendiger und sehnlicher dachte Harry an die schöne Lucy. Er hatte während seines Lebens in Neuorleans viele reizende Mulattinnen und Quadronen gesehen und kennen gelernt, doch einen solchen fesselnden Eindruck wie dieses Mädchen hatte nie eine Farbige auf ihn gemacht. Der Riesenplan des mit Dandon eingeleiteten Geschäfts, die interessante geheime Kunst, welche er so eben von Sulton gelernt hatte, ja selbst die schöne Blancha mit ihrem großen Vermögen waren augenblicklich vor dem Zauber, den die Mulattin auf ihn ausübte, in den Hintergrund getreten und im Geiste sah er ihr schon in die großen, redenden Augen, fühlte ihre glänzenden, weichen Locken zwischen seinen Fingern und küßte ihre schwellenden, üppigen Lippen.

Endlich versank die Sonne, die Dämmerung zitterte durch die Straßen und Harry verabschiedete sich bei seiner Mutter, die er durch sein langes Verweilen bei ihr sehr beglückt hatte. Es war noch zu früh, um nach dem Hause der Negerin zu gehen, doch in dessen Nähe wollte er seine Schritte lenken, um es sich zu merken und in der Dunkelheit nicht danach suchen zu müssen. Es stand in einem Außentheile der Stadt und er erkannte es nach der Beschreibung der Negerin schon von weitem. Da trat die Alte selbst in die Thür und schaute sich um. Harry, der im Begriff stand, die Straße zu verlassen, ging nun auf dem sandigen Wege weiter, und als er an der Negerin langsam vorüberschritt, fragte er sie:

»Kommt Lucy?«

»Ja. Herr, in einer halben Stunde. Sie zählt die Minuten, bis sie Sie wiedersehen wird.«

»In einer halben Stunde«, wiederholte Harry zu der Alten gewandt und wandelte weiter nach dem Ufer des Mississippi, auf welchem er in die Stadt zurückkehrte. So lang, meinte er, wäre ihm niemals eine halbe Stunde vorgekommen. Endlich waren die letzten Minuten derselben abgelaufen, die Dunkelheit war hereingebrochen und die Lichter wurden angezündet. Harry schritt jetzt eilig durch die Straßen der Vorstadt zu und hatte bald das Ziel seiner Wanderung erreicht. Die Negerin empfing ihn mit den Worten:

»Sie ist noch nicht da, treten Sie aber herein.«

»Wer weiß, ob sie kommt«, sagte Harry besorgt.

»Ob sie kommt?« wiederholte die Alte. »Und wenn sie durch ihr Grab gehen müßte, würde sie kommen. Das afrikanische Blut ist heißer als das der weißen Menschen, und ein so schöner junger Herr kann wohl das Herz einer Mulattin in Sturm bringen. Gehen Sie in die Stube, ich will hier bleiben und sie erwarten; sie wird gleich kommen.«

Harry trat in das kleine Zimmer der Negerin, dessen Ausstattung sehr einfach war und nur in einem Tisch, einigen hölzernen Schemeln und einem Schaukelstuhl bestand; doch war es frisch geweißt und sehr sauber gehalten. Auf dem Tische stand eine Lampe mit einem Schirme, in dem Kamin brannten einige Holzspäne und vor demselben stand eine Bank, auf welcher eine bunte Lappendecke zusammengefaltet als Polster lag. Harry setzte sich auf dieselbe nieder und lauschte mit fieberischer Ungeduld nach der Straße hinaus, denn Alles war still und nur die hölzerne Uhr an der Wand und die Heimchen in dem Kamin unterbrachen durch ihr Ticken und Zirpen die Ruhe, welche um ihn herrschte.

Plötzlich hörte er das Rauschen eines Kleides und zugleich ein leises eiliges Flüstern, die Thür ging auf und Lucy trat herein.

»O Du süßes, herziges Mädchen!« sagte Harry mit halblauter Stimme und schlang seinen Arm um die Mulattin. Bist Du auch wirklich mir zu Liebe gekommen?« Lucy aber hatte keine Worte, sie bebte und barg ihr schönes Haupt an Harry's Brust.

»Komm, meine Engelslucy, Du sollst es mir sagen, daß Du mich lieb hast«, fuhr Harry schmeichelnd fort, hob ihr weiches Kinn empor und sah ihr liebeglühend in die großen Augen.

»Ja, Herr!« sagte sie mit zitternder Stimme und schlug die Augen nieder, Harry aber preßte seine Lippen auf ihren frischen Mund und schloß sie fester in seine Arme.

»Ich liebe Dich, Lucy, liebe Dich mehr als die ganze Welt und will Dir Deine Liebe lebenslang danken. Du mußt und sollst mein werden!« sagte Harry mit überströmender Leidenschaft und zog die Mulattin zu sich auf die Bank.

»Das kann ich ja nicht, Herr; meine Herrin läßt mich nicht von sich«, antwortete sie und richtete ihre glänzenden Augen auf die seinigen.

»So nehme ich Dich heimlich mit mir. Bist Du einmal in Texas, so bist Du frei und keine Gewalt der Erde soll uns wieder trennen. Du sollst glücklich sein, wenn meine Liebe Dich wirklich glücklich machen kann!«

»O Herr!« flüsterte das braune Mädchen mit aufflammendem Blick und schlang liebebebend ihren Arm um Harry's Nacken.

»Ja, ja, ich mache Dich glücklich, Du sollst den Himmel auf Erden haben«, rief Harry wonnetrunken. Heißer und glühender hielten sie einander umschlungen und statt der Worte hatten sie nur noch Küsse.

»Du mußt mich Harry nennen, Deinen Harry, süßes Mädchen, denn ich bin und bleibe Dein für immer und ewig«, brach dieser zuerst wieder das Schweigen. »Aber willst Du auch ganz mein werden?«

»Wenn ich es kann, ja, und wenn es mir das Leben kosten sollte«, antwortete Lucy entschlossener.

»Du kannst es. Laß mich nur sorgen, ich nehme Dich mit mir«, fuhr Harry fort. »Kannst Du denn jeden Abend hierher kommen?«

»Nein, nicht jeden Abend, denn wenn Fräulein Dandon zu uns kommt, so wird es manchmal spät mit dem Abendessen.«

»Fräulein Dandon, ist sie befreundet mit Deiner Herrin?« fragte Harry überrascht.

»Ja, sehr, aber noch mehr befreundet mit Herrn Randolph, der bei uns wohnt. Sie hat eine Liebschaft mit ihm, wovon ihr Vater nichts wissen darf, und da treffen sie sich oft bei meiner Herrin, die ihnen beisteht. Fräulein

Blancha ist sehr gut gegen mich, weil ich ihr immer die Briefe von Herrn Randolph bringe.«

Harry wurde bei dieser Mittheilung eiskalt, und während einiger Minuten saß er schweigend da, sodaß dem Mädchen sein plötzlicher Ernst auffiel und es sagte: »Ach, ich hätte es wohl nicht verrathen sollen?«

»Weshalb denn nicht, Lucy?« fiel Harry rasch ein. »Ich sage es ja nicht weiter, denn mir kann es ganz gleichgültig sein, mit wem Fräulein Blancha eine Liebschaft hat. Ich wundere mich nur darüber, weil sie doch eine ganz andere Partie machen könnte.«

»Sie würde aber nicht von Herrn Randolph lassen, und wenn sie ihr Vater darüber enterben wollte; sie haben sich sehr lie«B, fuhr Lucy fort.

»Doch nicht halb so lieb, wie wir uns haben«, sagte Harry und liebkoste die Mulattin von neuem.

»Nein, nein, gewiß nicht!« flüsterte diese und schmiegte sich mit zärtlicher Innigkeit in seine Arme.

Die Entdeckung Harry's, daß der ihm verhaßte Randolph seine Absichten auf Blancha's Hand und Vermögen vereitelt habe und als siegreicher Nebenbuhler über ihn triumphire, erfüllte ihn mit einem Grimm und einem Rachegefühl, wie er es nie vorher gekannt, und er mußte sich Gewalt anthun, um vor der Mulattin die Veränderung, die in ihm vorgegangen war, zu verbergen. Ihre Liebkosungen aber waren doch zu wonnig, ihre Augen zu feurig, ihre Arme zu weich und ihre Küsse zu glühend, als daß sie die bösen Gefühle nicht bald wieder aus Harry's Brust verdrängt und seiner Leidenschaft für sie die Herrschaft wiedergegeben hätten.

Es war kurz vor zehn Uhr, als die alte Negerin an die Thür klopfte und daran mahnte, daß es für Lucy Zeit sei, sich nach Hause zu begeben.

»Ich muß gehen«, sagte diese, strich die zügellos um ihren Kopf hängenden schwarzen Locken zurück und sank dann nochmals mit aller Glut erster Liebe in Harry's Arme.

»Aber bald muß ich Dich wiedersehen«, sagte dieser bittend.

»Sobald ich kann, Herr«, antwortete die Mulattin, sich aus seiner Umarmung windend.

»Nein, nicht Herr, Lucy, ich bin Dein Harry, Dein Dich einzig liebender Harry«, flehte dieser.

»Nun denn, wenn ich es darf, mein Harry, mein Geliebter«, rief das Mädchen außer sich vor Seligkeit und warf sich ihm noch einmal an die Brust.

»Sage der Alten morgen auf dem Markte, ob Du abends kommen kannst.«

»Ja, ja, Geliebter, ich hoffe morgen«, entgegnete

Lucy, empfing den letzten Kuß auf ihren brennenden Lippen und sprang zur Thür hinaus.

»Nun, Herr, hab ich zu viel von ihr gesagt?« fragte die Negerin eintretend.

»Nein, nein, sie ist ein Engel, sie ist das süßeste Mädchen, das ich je gesehen«, antwortete Harry im Sturme seiner Leidenschaft, griff in die Tasche und gab der Alten ein Goldstück. »Da nimm«, sagte er, »ich werde gut für Dich sorgen. Daß aber keine Seele etwas davon erfährt!«

»Meine Lippen mögen absterben, wenn jemals ein Wort davon über sie geht.«

»Will sie morgen wiederkommen?«

»Wenn sie kann. Sie wird es Dir auf dem Markte sagen und ich hole mir dort die Nachricht von Dir. Gute Nacht!« versetzte Harry und eilte aus der Thür.

»Der Segen des Himmels begleite Sie«, rief ihm die Negerin nach.

Kaum aber war Harry in der Straße, so trat der Gedanke an Randolph wie ein Gespenst wieder vor seine Seele.

»Darum die verächtliche Kälte, darum sein leuchtender Blick!« sagte er halblaut im Vorwärtsschreiten. »Ich werfe Euch aber Gift in Eure Seligkeit, ich werde dem Alten Glück wünschen zu solchem Schwiegersohne!«

Diesem ersten in Harry's Zorn auflodernden Gedanken folgte aber bald die berechnende Frage seines kalten Verstandes, was die Folgen davon sein würden. Vielleicht bahnte er selbst ihnen dadurch den Weg zu ihrer Vereinigung. Hatte Lucy nicht gesagt, daß Blancha nicht von Randolph lassen würde und wenn der Alte sie enterben wollte? Sie hatte zwanzigtausend Dollars von diesem zum Geschenk bekommen, die er ihr nicht vorenthalten konnte. Randolph verdiente genug, um sie ernähren zu können, und ein offener Bruch mit Dandon führte sie sicher zusammen. Das durfte nicht geschehen!

In düstere Gedanken versunken, schritt Harry langsam durch die Straßen hin und hundert Rachepläne zogen an seinem scharf berechnenden Geist vorüber, keiner davon aber fand seine Genehmigung. In dieser Stimmung wanderte er fort, und anstatt geraden Wegs nach dem Hotel zu gehen, schlug er den nach Dandon's Hause ein. Es war eine finstere Nacht und das Licht der Laternen drang nur sehr matt bis zu der Mitte des Platzes, wo Harry stehen blieb. Die Fenster Blancha's waren hell, doch war nichts von ihr zu sehen. Auch Randolph's Fenster waren erleuchtet und in diesem Augenblick schaute der Verhaßte aus einem derselben hervor. Er sah nach Dandon's Haus hinüber, und als Harry sich nach demselben umwandte, trat Blancha in die offene

Balkonthür. Sie schaute nach Randolph hin, sie winkte ihm mit der Hand, sie winkte ihm mit dem Batisttuche, und es war Harry, als stieße sie mit jedem Winke ihm einen Dolch in die Brust.

»Ha, dieser Lump, dieser Bauerjunge!« knirschte Harry zwischen den Zähnen hervor und ballte die Fäuste.

Er konnte nur den Umriß von Blancha's hoher Gestalt erkennen, dennoch sah er sie im Geiste jetzt schöner vor sich, als sie ihm in unmittelbarer Nähe erschienen war. Stände dieser Randolph ihm nicht im Wege, so war er überzeugt, daß sie seine Frau geworden wäre, und welch großes Vermögen mußte dieser Dandon haben!

»Dandon soll dafür zahlen!« sagte Harry wieder halblaut vor sich hin, warf noch einen grimmen Blick nach den beiden Liebenden und eilte nun auf der Mitte des Platzes fort, sodaß er von ihnen ungesehen die nächste Straße erreichte. In heftiger Aufregung langte er in seinem Zimmer an, warf den Hut auf den Tisch und ging mit verschränkten Armen auf und nieder. Sein Geist war zu größter Thätigkeit angespornt. Bald war es seine Heirath mit Blancha, die er sich in allen leuchtenden Farben ausmalte, bald seine Rache an Randolph, die er schmiedete, bald wieder bearbeitete er die große Negerspeculation mit Dandon, und immer drängte sich das Bild der reizenden Lucy und die Frage dazwischen, wie er dieselbe unbemerkt mit sich nach Texas nehmen könnte. Es wurde Mitternacht, ehe er seinem rastlosen Denken ein Ziel setzte und sich zur Ruhe begab. Am folgenden Morgen gleich nach eingenommenem Frühstück eilte Harry nach der Post und diesmal wurde ihm dort der ersehnte Brief von seinem Bruder ausgehändigt. Hastig erbrach er ihn in der Hoffnung, einen Wechsel oder eine Anweisung darin zu finden, das Schreiben war aber leer und sein Bruder theilte ihm darin mit, daß er beim besten Willen kein Geld für ihn habe anschaffen können. Die politischen Verhältnisse, sagte er, gestalteten sich täglich ernster und bedenklicher, man sähe mit Hoffnung, aber auch mit Bangen einer entscheidenden Katastrophe entgegen und Niemand wolle bei der ungewissen Zukunft des Landes sich vom Gelde trennen oder auf Speculationen eingehen. Er rieth ihm, sobald als möglich zurückzukommen, da er selbst kein Geld habe, um die Arbeiter auf Harry's Farm zu bezahlen, und weil der Ausbruch der Revolution jeden Augenblick erwartet würde. Harry erschrak, denn er hatte sicher darauf gerechnet, daß der Brief ihm Kasse bringen würde. Woher sollte er Geld nehmen, um seine Schulden hier zu bezahlen und die Unkosten seiner Rückreise nach Texas zu bestreiten? Seine Mutter konnte ihm nicht helfen, denn sie hatte von ihrer verkauften Farm auf der Insel Galveston nur einen kleinen Theil des Kaufgeldes ausgezahlt bekommen, und sich um ein Darlehen an ein hiesiges Haus wenden, durfte er keinesfalls, da Dandon davon hören konnte und er dann gewiß dessen Vertrauen verlor.

Harry, für den Augenblick rathlos, steckte den Brief in die Tasche und wanderte dem Flusse zu, um außerhalb der Stadt mit seinen Gedanken allein zu sein und seinen unternehmenden Geist ungestört arbeiten zu lassen; denn Geld mußte er schaffen.

Nach Verlauf von einigen Stunden kehrte er in die Stadt zurück und zwar augenscheinlich zufrieden mit seiner geistigen Arbeit, denn seine Züge hatten sich erheitert, sein Schritt war leicht und das Spiel mit dem Spazierstock, in seiner Rechten verrieth Unbekümmertheit und Sorglosigkeit. Er ging den nächsten Weg nach dem Markte und eilte durch das Hallengebäude zu der alten Negerin.

»Hast Du schon von Lucy gehört?« fragte er sie hastig.

»Nein, Herr, sie war noch nicht hier, ich erwarte sie aber jede Minute«, antwortete die Alte.

»Es liegt mir unendlich viel daran, sie heute Abend zu sprechen, und wenn es auch nur auf einige Minuten wäre«, fuhr Harry dringend fort. »Wenn sie nicht zu

Dir kommen kann, so frage sie, ob ich mich in der Nähe ihrer Wohnung einfinden soll und wo und wann. Sieh zu, daß Du es bewerkstelligst, ich belohne Dich gut. Nach Tische hole ich mir die Antwort von Dir.«

»Verlassen Sie sich auf mich, Herr, Sie sollen Lucy sprechen, hoffentlich in meinem Hause. Ich glaube, sie käme, wenn man sie einschlösse; sie würde zum Fenster hinausspringen«, antwortete die Negerin lachend, und Harry verließ sie eilig.

Es war jetzt gerade die Zeit, wo Dandon gewöhnlich das Lesezimmer verließ, und Harry verdoppelte seine Schritte, um ihn dort noch zu treffen. Als er in dasselbe eintrat, bemerkte er ihn auch sofort unter den vielen Lesern vor dem Pulte, auf welchem die Times aufgelegt war. Geräuschlos schritt er durch die schweigsame Versammlung zu Dandon hin, klopfte ihm auf die Schulter und flüsterte ihm in das Ohr:

»Gute Nachricht von Texas, unser Weizen wird bald blühen!«

»Wirklich?« stieß Dandon freudig überrascht aus, nahm Harry beim Arm und ging mit ihm in das nächste sogenannte Sprechzimmer.

»Nun lassen Sie hören, Freundchen. Welche Nachrichten haben Sie erhalten?« hob er dort an, indem er sich mit Harry am Fenster niederließ.

»Die besten von der Welt«, antwortete dieser mit begeistertem Tone. »Mein Bruder bittet mich dringend, möglichstschnell zurückzukommen, da man von Tag zu Tag dem Ausbrechen der Revolution entgegensähe.«

Hiermit hatte Harry den Brief aus der Tasche gezogen, ihn geöffnet und zeigte Dandon nun die letzte Seite desselben, auf welcher Ashmore seine Ansichten über die politischen Zustände von Texas aussprach. Er neigte sich mit dem Blatt zu Dandon hin, sodaß dessen Blick die Schrift übersehen konnte, und las ihm dieselbe vor.

»Vortrefflich!« sagte der Alte, als Harry damit zu Ende war. »Es geht Alles nach Wunsch und wir müssen uns rüsten. Reisen Sie bald zurück, damit Sie mir zeitig, wenn der Augenblick zum Handeln gekommen ist, Nachricht geben können. Der Aufstand muß ausgebrochen sein und während des Kampfes mit Mexico müssen die Neger gelandet werden. Daß Texas sich frei machen wird, darüber habe ich keinen Zweifel, denn es ist ja amerikanisches Blut, welches sich dort empört, und Onkel Sam wird seine Kinder nicht im Stiche lassen.«

»Ich habe gedacht, ob wir nicht vielleicht jetzt schon –« hob Harry sinnend an, doch Dandon fiel ihm schnell in das Wort und sagte:

»Nein, nein, sicher müssen wir gehen, denn bliebe die Revolution einmal aus, so hätten wir die zweihundert Freiheitscandidaten in Havanna auf dem Halse und wüßten nicht, wie wir sie wieder loswerden sollten.«

»Sie mißverstehen mich, verehrter Herr Dandon«, nahm Harry wieder das Wort, als er sah, daß der Alte noch nicht an das Geschäft gehen und somit auch noch kein Geld vorschießen wollte. »Ich dachte nur, ob wir uns nicht jetzt schon ein Haus in Havanna ausmachten, durch welches wir über den Stand des Marktes und über die Preise von schwarzem Fleisch uns Auskunft verschafften. Ich glaube, dies wäre ganz gut.«

»So, so; allerdings, da haben Sie wieder Recht, Freund Williams; Sie sind ein tüchtiger Geschäftsmann. Ich werde dies morgen schon besorgen und Ihnen den Bericht gleich nach Empfang nach Texas senden. Wann gedenken Sie abzureisen?«

»Noch einige Tage muß ich hier bleiben, es halten mich noch verschiedene Geschäfte zurück; aber sobald ich loskommen kann, reise ich«, entgegnete Harry und setzte, sich erhebend, noch hinzu:

»Wir gehen ja wohl zusammen, Herr Dandon, es wird beinahe Zeit zum Essen sein.«

Beide nahmen Hut und Stock und verließen den Leseclub, und als sie in der Straße hinschritten, sagte Dandon:

»Da fällt mir ein, vielleicht macht es Ihnen Freude, mich heute Abend zu besuchen; ich habe eine kleine Soiree bei mir, nur reiche Leute ersten Ranges. Kommen Sie ein wenig, meine Tochter wird sich freuen, Sie zu sehen. Unter uns gesagt, Sie haben einen außerordentlich guten Eindruck auf sie gemacht, sie war ganz entzückt über Ihre geistreiche Unterhaltung.«

»Das thut mir doch wahrlich sehr leid, ich bin aber für heute Abend schon fest versagt. Kann ich mich jedoch früh losmachen, so komme ich noch. Rechnen Sie aber nicht auf mich, verehrter Freund«, versetzte Harry mit dem Ausdruck tiefen Leidwesens. Vor Dandon's Wohnung nahm er Abschied von diesem, gab ihm nochmals das Versprechen, wenn möglich heute Abend sich bei ihm einzustellen, und eilte dann nach seinem Hotel.

»Prächtig!« sagte er vor sich hin. So kann Fräulein Blancha heute Abend nicht ihren Süßkönig besuchen und Lucy wird nicht durch sie an das Haus gebunden.«

Seine Hoffnung ging in Erfüllung, denn nachmittags gab ihm die Negerin auf dem Markt die Zusicherung, daß die Mulattin abends in ihre Wohnung kommen wolle. Mit rastloser Thätigkeit verfolgte Harry seine Pläne und spann sie in hundertfacher Entwickelung und unter Berechnung aller möglicherweise eintretenden Zufälligkeiten zu dem vorgesteckten Ziele aus.

Er wurde während seines einsamen Spaziergangs am Nachmittag über die von ihm einzuschlagenden Schritte vollkommen mit sich einig, und mit Ungeduld erwartete er die Dunkelheit, um den ersten derselben für sein Vorhaben zu thun und sich zugleich in den Armen der schönen Mulattin von seinen geistigen Anstrengungen zu erholen.

Diesmal harrte das heißliebende Mädchen seiner schon in der matt erleuchteten Stube der Negerin und flog ihm beim Eintreten mit dem überwogenden Gefühl ihres stürmisch schlagenden Herzens an die Brust. Auch Harry vergaß in den Zauberarmen der Liebe Lucy's den eigentlichen Zweck, der ihn an diesem Abend hierher führte und erst als die Wogen der Leidenschaft sich glätteten und die Mulattin in wonniger Ermattung an seinem Herzen ruhte, befreite sich sein Geist von dem Liebesrausche, der ihn umfangen hielt, und erfaßte wieder das scharf berechnete Ziel, welches zu verfolgen er beschlossen hatte.

»Höre, Lucy, Du könntest mir einen Dienst erweisen«, hob er mit zutraulichem Tone an und legte seine Hand unter das weiche Kinn des glücklichen Mädchens.

»Fordere mein Leben, Geliebter, es ist Dein Eigenthum!« entgegnete die Mulattin mit hellstrahlendem Blick.

»Du süßes Lieb, es ist nur eine Kleinigkeit, die Du mir zu Gefallen thun sollst. Es liegt mir nämlich viel daran, die Handschrift des Herrn Randolph zu erhalten, und ich glaube, es muß Dir ein Leichtes sein, mir dieselbe zu verschaffen. Es ist nämlich einer Dame, die mir sehr befreundet ist, von einem Unbekannten ein Gedicht zugesandt worden und da möchte ich mich gern überzeugen, ob Herr Randolph dasselbe geschrieben hat.«

»Ei ja, das ist leicht möglich, er ist ja Dichter und hat auch Fräulein Blancha schon viele Gedichte zugeschickt. Seine Handschrift kann ich leicht für Dich bekommen; sein Tisch ist immer mit Papieren, die er beschrieben hat, bedeckt, da kann ich eins wegnehmen, ohne daß er es gewahrt«, antwortete Lucy erfreut, dem Geliebten ihres Herzens einen Wunsch zu erfüllen.

»Das dachte ich mir«, fuhr Harry mit demselben bedeutungslosen Tone fort. »Nur suche mir aber ein Schriftstück aus, welches er deutlich geschrieben hat, nicht etwa so eine flüchtige Notiz, in welcher man keinen Buchstaben erkennen kann. Ich behalte das Blatt nur einen Tag und dann kannst Du es wieder auf seinen Platz legen.«

»Ich will es schon gut besorgen, mein Harry. Morgen früh, wenn Herr Randolph ausgegangen ist, hole ich das Papier von seinem Tische. Soll ich es der Negerin auf dem Markte geben?«

»Das kannst Du thun, mußt es aber in ein anderes Blatt einschlagen und der Alten sagen, daß sie es nicht öffnen solle«, versetzte Harry.

»Ach, sie kann ja nicht lesen«, antwortete Lucy lachend. »Ich werde es aber mit einer Oblate versiegeln.«

»Das wird am besten sein«, sagte Harry und wandte unter Liebkosungen das Gespräch nun wieder auf die glückliche Zukunft, die er Lucy bereiten wollte. Diese schwamm in einem Himmel voll Seligkeit, es gab für sie keine andere Welt mehr als die, welche von ihrer Liebe für Harry eingeschlossen wurde, denn mit dieser Liebe fühlte sie, daß sie jeden Zweck, jedes Ziel ihres Lebens vollständig erreicht habe.

Als die Zeit zum Abschied gekommen war, klagte Lucy, daß sie am folgenden Abend zu Hause bleiben müsse, da Fräulein Blancha wahrscheinlich ihre Herrin besuchen werde, und bat Harry dann, ob er nicht einige Augenblicke in die Nähe ihrer Wohnung kommen wolle, damit sie, wenn auch nur für Augenblicke, das Glück seiner Gegenwart fühlen dürfe. Harry sagte es ihr zu, nach neun Uhr in der engen, abgelegenen Straße hinter Newberry's Haus sie zu erwarten, und schied dann von ihr unter vielen Betheuerungen ewiger Liebe und Treue.

Schon frühzeitig am folgenden Morgen empfing Harry auf dem Markte aus den Händen der Negerin das ihm so wichtige Papier, auf welchem sich die Handschrift des verhaßten Randolph befand.

Als ob er dessen Schicksal in seiner Hand hielte, so schaute er das Papier an, verbarg es in seiner Tasche und eilte raschen Schritts nach dem Hotel zurück. Er schloß sich in seinem Zimmer ein und ging lange Zeit sinnend und vor sich niederblickend in demselben auf und ab, dann aber, als wenn er nun nichts mehr zu überdenken habe, legte er sein Schreibmaterial auf dem Tische zurecht, holte Dandon's Brief aus seinem Koffer und setzte sich mit der größten Ruhe und Gelassenheit an dem Tische nieder.

Zuerst nahm er Dandon's Brief vor und copirte dessen Unterschrift auf einem Bogen Papier wieder und wieder, bis die Abschrift von dem Original nicht mehr zu unterscheiden war. Dann schrieb er eine Anweisung von zweitausend Dollars zu Gunsten der Madame Newberry auf die Bank und unterzeichnete sie mit dem Namen Dandon's. Er fertigte drei solche Anweisungen aus und erst mit der dritten war er ganz zufrieden, der Namenszug Dandon's darunter war mit dem in dessen Brief vollständig gleich. Er zerriß die beiden zuerst geschriebenen Anweisungen und legte die dritte ganz gelungene, nachdem er sie lange mit Zufriedenheit betrachtet hatte, zur Seite. Nun nahm er das Papier mit der

Schrift Randolph's zur Hand und begann dieselbe abzuschreiben. Langsam zeichnete er jeden Buchstaben, jeden Federstrich nach und verharrte bei dieser Arbeit über eine Stunde. Seine Schrift wurde der Randolph's immer ähnlicher und immer schneller floß sie auf das Papier. Endlich schien er mit den Versuchen zufrieden zu sein und verglich sie mit der Originalschrift.

»Es kommt ja gar nicht darauf an, daß sie ganz treu ist«, sagte er vor sich hin. »Man wird denken, er habe absichtlich seine Hand entstellt.«

Hierauf schrieb Harry der Schrift Randolph's so ähnlich als möglich ein Billet an die Bank, worin er bat, den Betrag inliegender Anweisung des Herrn Dandon der Mulattin Lucy in Banknoten mitzugeben, und unterzeichnete das Schreiben mit dem Namen der Madame Newberry. Das Datum setzte er auf den folgenden Tag. Nachdem er die beiden zerrissenen Anweisungen in das Kamin geworfen und verbrannt hatte, nahm er die zwei angefertigten Schreiben, setzte sich damit nahe an das Fenster und überblickte sie nochmals mit der größten Aufmerksamkeit.

»Vollkommen gut«, sagte er, nachdem er die Anweisung mit Dandon's Namen lange betrachtet hatte, legte sie in seinen Koffer und las dann noch einmal das Schreiben mit der Unterschrift der Madame Newberry durch. Auch dieses legte er zu dem ersten, fügte dann noch den Bogen, auf dem er die vielen Versuche mit Dandon's Namen gemacht hatte, hinzu und verschloß den Koffer. Indem er nun den Schlüssel in die Tasche steckte, sagte er:

»In der Bank wird man sich keinen Augenblick bedenken, der Mulattin das Geld auszuzahlen, da dieselbe von Jedermann als die Dienerin der Madame Newberry gekannt ist, und von den Beamten der Bank hat wohl keiner jemals die Unterschrift dieser Dame gesehen. Sie werden glauben, die zweitausend Dollars wären Privatvermögen derselben, welches Dandon in Händen habe. Es ist Alles richtig berechnet und ein Mißlingen nicht denkbar. Nun noch das Mädchen und ich bin schlag- und reisefertig.«

Wieder und wieder nahm Harry im Laufe des Tages die beiden Schriftstücke aus dem Koffer hervor und unterwarf sie neuen Untersuchungen, und immer zufriedener legte er sie in den Verschluß zurück. Nachmittags ging er nach dem Werft am Flusse, um sich die Dampfer, welche dort angekommen waren, anzusehen und Erkundigungen einzuziehen, welche Schiffe morgen vom Norden her auf ihrer Fahrt nach Neuorleans erwartet würden. Zu seiner Genugthuung erfuhr er, daß deren mehrere ersten Ranges am folgenden Tage eintreffen würden.

Der Abend kam und schon vor neun Uhr stand Harry hinter dem Hause Newberry's und harrte auf das Erscheinen der Mulattin. Es war sehr finster und das Gäßchen so einsam, daß er nicht durch Vorübergehende belästigt wurde. Er schritt nahe an der Thür in der Breterwand, welche den Hof hinter dem Hause umgab, auf und ab und war eben wieder vor dieselbe getreten, als sie sich leise öffnete und Lucy aus ihr hervorkam. Mit einem unterdrückten Freudenrufe glitt sie in Harry's Arme, reichte ihm ihre weichen Lippen zum Kusse und dankte ihm unter tausend Liebkosungen mit herzinnigen Worten dafür, daß er gekommen.

»Morgen Abend, mein Harry, erwarte ich Dich bei der Negerin, denn Madame Newberry ist dann in Gesellschaft gebeten und da kann ich schon nach sieben Uhr abkommen«, sagte sie in ihrem Glück, warf ihre Locken zurück und schlang beide Arme um den Nacken des geliebten Mannes.

»Das hat der Himmel so gefügt, Lucy, denn der morgende Abend soll das Glück unseres Lebens entscheiden. Morgen sollst Du Deine Sklavenketten abwerfen und meine Herrin werden!« versetzte Harry mit liebeathmender Stimme.

»Morgen?« wiederholte Lucy erschrocken und preßte ihre kleinen Hände um seinen Arm.

»Kommt Dir das Glück zu früh oder ist Dir die gewohnte Herrin lieber als Dein Harry?« fragte dieser mit einem Ausdruck leisen Vorwurfs.

»O mein Geliebter, was sagst Du da! Verlange, daß ich die ganze Welt verlassen und Dir in diesem Augenblick folgen soll, und ich will wie Dein Schatten Dir nachziehen und ginge es in Elend und Tod! Nur in Deiner Nähe gibt es Leben, gibt es Seligkeit für mich. Wann und wie soll ich Dir morgen folgen?«

»Morgen Abend, geliebtes Mädchen. Du mußt aber ein Opfer bringen«, entgegnete Harry und setzte lächelnd noch hinzu: »Werde ich Dir so viel werth sein?«

»Alles in der Welt, sage mir nur, was es ist«, fiel Lucy stürmisch ein.

»Es kostet Dir Dein prächtiges Haar und Deine Mädchenkleidung; Du mußt Junge werden.«

»O wie gern, Harry. Dann kann ich ja immer bei Dir sein«, sagte die Mulattin und schmiegte sich an sein Herz.

»Nun höre, Lucy. Du hast noch Mancherlei für unser Glück zu thun«, begann Harry wieder und zog Papiere aus seinem Rocke hervor. »Hier ist das Schriftstück des Herrn Randolph; lege es wieder dahin auf seinen Tisch, wo Du es wegnahmst. Diesen Bogen aber, auf welchem nichts weiter geschrieben steht als der Name Apollo

Dandon, lege zwischen Randolph's Papiere so, daß er ihm nicht in die Augen fällt.«

Harry hatte die beiden Blätter zusammengefaltet, reichte sie der Mulattin und diese verbarg sie in ihrem Kleide und sagte:

»Ich werde es genau so besorgen, wie Du mir befahlst, Geliebter.«

»Nun ist hier aber noch ein Brief von größerer Wichtigkeit; er enthält eine Anweisung auf die Bank von zweitausend Dollars, die Du für mich einkassiren sollst. Morgen Nachmittag genau um ein Viertel vor drei Uhr gehst Du in die Bank und gibst dort den Brief ab, empfängst die Summe in Banknoten und eilst dann die Hochstraße hinauf aus der Stadt, wo ich Dir begegnen und Dir das Geld abnehmen werde. Aber genau um ein Viertel vor drei mußt Du in der Bank eintreffen, denn um drei Uhr wird sie geschlossen«, sagte Harry und reichte Lucy den versiegelten Brief.

»O, ich bin mit den Herren in der Bank bekannt, ich habe schon oft Geld dort für die Herrin geholt und gewechselt«, antwortete die Mulattin und setzte noch hinzu: »Freilich so viel habe ich nie dort empfangen.«

»Das bleibt sich ja gleich, ob man hundert oder tausend Dollars empfängt. Nun aber noch eins. Du mußt sagen, Deine Herrin schicke Dich, das Geld für sie zu holen. Ich habe meinen guten Grund dabei, und die Herren in der Bank werden ja nie im Leben gewahr, ob Madame Newberry oder ein Anderer es holen ließ. Es kann ihnen ja auch ganz gleichgültig sein, denn sie sind verbunden, die Anweisung, welche in dem Briefe liegt und die auf den Inhaber derselben lautet, zu zahlen. Wer dieser Inhaber ist, das geht sie nichts an und danach fragen sie nicht. Ich kann mich darauf verlassen, daß Du es mir gut besorgst, nicht wahr, Lucy?« versetzte Harry lächelnd und strich ihr zärtlich über die Wange.

»Sicher, so gut, als ob Du es selbst thätest. Wenn es nur eine größere Aufgabe wäre, die Du mir stelltest, hierin liegt ja gar kein Verdienst für mich«, antwortete das Mädchen mit heiterer Unbefangenheit.

»Und morgen Abend«, fuhr Harry fort, »wollen wir uns nicht bei der Negerin, sondern auf demselben Platze treffen, wo Du mir nachmittags das Geld geben wirst; dann nehme ich Dich mit mir, um mich niemals wieder von Dir zu trennen. Nur mußt Du die Aufträge, die ich Dir gegeben habe, gut ausführen. Hast Du mich auch recht verstanden?«

»Vollständig, Harry. Du sollst mit mir zufrieden sein, ich werde ganz ernsthaft das Geld für meine Herrin fördern«, antwortete Lucy, glücklich in der Voraussicht, dem Geliebten einen Dienst erweisen zu können.

Sie hatte auch den Brief in ihrem Kleid verborgen und gab sich nun der Seligkeit hin, die sie bei den Liebesbezeigungen Harry's, womit derselbe sie jetzt überhäufte, durchbebte.

Die Zeit flog, doch Lucy lauschte dem Glockenschlage und nach Verlauf einer halben Stunde sagte sie mit traurigem Tone, daß sie Harry jetzt verlassen müsse.

»Noch eine Nacht und noch einen Tag, süßes Mädchen, dann wirst Du Dich nimmer wieder von mir trennen«, versetzte Harry und nahm mit den Worten Abschied von ihr:

»Richte Alles gut aus und lasse Niemand die Papiere sehen.«

»Sei unbesorgt, Geliebter!« rief sie ihm im Davoneilen zu und verschwand durch die Thür.

Am folgenden Morgen begab sich Harry wieder nach dem Flusse hinunter, wo die Schiffe lagen und wo vor einer Stunde ein prächtiger Dampfer von Cincinnati angekommen war. Harry ging an Bord desselben zu dem Kapitän und hörte von ihm, daß er am nächsten Morgen seine Reise nach Neuorleans antreten werde und zwar mit dem ersten Grauen des Tags.

»So wird es am besten sein, wenn ich schon heute Abend an Bord komme«, sagte Harry, »denn ich will mit Ihnen nach Neuorleans fahren und möchte nicht unnöthig in meiner Morgenruhe gestört werden.«

»Freilich thun Sie wohl daran und ich glaube, daß meine Betten vollkommen so gut sind als die in den Hotels der Stadt«, entgegnete der Kapitän, worauf Harry für sich und für seinen Mulattenjungen die Passage zahlte, eine Kajüte auswählte und mit dem Bemerken, daß er sich am Abend einfinden werde, das Schiff verließ.

Nun begab er sich zu Dandon und zeigte demselben an, daß er seine Geschäfte hier beendet habe und am folgenden Morgen schon abreisen werde. Dandon war sehr erfreut darüber, da er glaubte, daß Harry's Gegenwart in Texas für ihr beabsichtigtes Unternehmen von großer Wichtigkeit sei; er bat ihn um pünktliche Mittheilung über alle politischen Bewegungen und versicherte ihm noch schließlich, daß er sich vollständig gerüstet halten werde. Harry verabschiedete sich dann noch bei Blancha, die ihn mit ihrer gewohnten Ruhe empfing und entließ, und nun eilte er zu seiner Mutter, um auch ihr Lebewohl zu sagen. Bei ihr verweilte er bis halb drei Uhr, worauf er in der herzlichsten Weise Abschied von ihr nahm und sie verließ.

Der entscheidende Augenblick nahte sich. Harry jedoch schritt mit ruhig schlagendem Herzen durch die

Straßen, ja es schien, daß die Gefahr jeden seiner Nerven nur noch straffer spannte, es war kein Wanken, kein Zweifeln, kein Bangen in ihm. In der heitersten Laune nahm er auf seinem Weg durch die Stadt von mehreren Bekannten Abschied und lud sie ein, ihn auf seinen Besitzungen in Texas zu besuchen, und es schlug drei Viertel, als er das Ende der Stadt erreichte und in dem sandigen Wege langsam fortschritt.

»Jetzt zahlen ihr die gescheidten Herren das Geld aus«, sagte er lachend vor sich hin. »Ich wollte, Holcroft wäre hier, er würde mir ein Belobungsschreiben geben.«

Dann verfinsterte sich sein Blick, und in ernstem Tone fuhr er fort:

»Herr Randolph, der Triumph wird nun wohl auf meine Seite kommen!«

Im Vorwärtsgehen sah er wiederholt nach der Uhr, berechnete, wie bald Lucy hierher kommen könne, und wandte sich dann auf demselben Wege nach der Stadt zurück. Er hielt seinen spähenden Blick auf die letzten Häuser gerichtet, denn es war Zeit für das Mädchen zu erscheinen. »Vielleicht hat man sie nicht gleich abgefertigt«, dachte Harry und ging immer langsamer, um der Stadt nicht zu nahe zu kommen,

Immer noch erschien sie nicht. Sollte man Argwohn geschöpft und vielleicht zu Madame Newberry gesandt haben?

»Thorheit!« antwortete sich Harry laut. »Dazu sind die Herren zu dumm. Madame Newberry ist ja eine respectable Dame und die schöne Lucy ist als braves Mädchen bekannt, wie kann man an der Richtigkeit zweifeln? Sieh, dort kommt sie ja herangeflogen, man sieht ihre Freude in ihren Schritten, sie hat das Geld!«

Harry ging jetzt schneller und wenige Minuten später kam Lucy ihm jubelnd entgegen und sagte:

»Habe ich meinen Auftrag nicht schnell ausgeführt? Hier, Geliebter, hier ist das Geld!«

»So gut hast Du ihn ausgeführt, daß Du dafür lebenslang meine Herrin sein sollst, Du einziges Mädchen. Nun aber eile Dich, geh jenen Fußweg, er führt Dich von der andern Seite in die Stadt. Deinen Lohn erhältst Du heute Abend, ich werde um sieben Uhr hier sein. Auf Wiedersehen, meine Lucy!«

Hiermit empfing Harry das Papier mit den Banknoten, steckte es in seine Brusttasche und ging eiligen Schritts nach der Stadt zurück.

So gut wie heute bei seinem Mittagsmahl hatte Harry der Champagner lange nicht geschmeckt.

Nach Tische zahlte er seine Rechnung in dem Gasthause, packte seinen Koffer und ließ seine Effecten an

Bord des Dampfschiffs bringen. Er selbst begab sich nach einem Kleiderladen, wählte mehrere Anzüge für Lucy, kaufte eine schwarze Wachstuchkappe für sie und ließ diese Sachen gleichfalls nach dem Dampfschiffe senden, wohin er selbst voranging.


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