Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Siebentes Kapitel.

Die kühle Abendluft wehte erfrischend durch die offene Balkonthür in Harry's geräumigen Salon, der nur durch das Mondlicht matt erhellt wurde, welches durch dieselbe und durch das Fenster herein drang.

Tausend Pläne und Berechnungen, wie er den höchsten Gewinn aus seinem Lande in Texas ziehen wollte, durchkreuzten Harry's lebendige Phantasie, als er die Thür sich leise öffnen hörte und sich im Glauben, es wäre sein Diener, der sie öffne, nach ihr umsah. Es war aber eine Frauengestalt mit einem schwarzen Tuch über dem Kopf, die lautlos eintrat und, die Thür hinter sich schließend, den Riegel vorschob.

»Nun?« sagte Harry erstaunt und sah schärfer nach der Erscheinung hin, indem er zugleich den Dolch erfaßte, der vor ihm auf dem Tische lag.

Da warf die Unbekannte das Tuch von sich, breitete ihre Anne nach Harry aus und flog mit den Worten: »Mein Harry, meine Seligkeit!« zu ihm hin. Es war die Gräfin Romero.

»Laodice, um Gottes Willen!« rief Harry erschrocken aus und richtete sich trotz des Schmerzes in seiner Wunde im Sopha auf, doch die Condesa lag vor ihm auf ihren Knieen, hielt seine Hand in den ihrigen und drückte krampfhaft ihre Lippen darauf.

»Sei unbesorgt, Geliebter, ich bürge Dir mit meinem Leben für unsere Sicherheit«, sagte sie dann, sich zu Harry erhebend, und sank, ihre Arme um ihn schlingend, an seine Brust. Mit ihren Lippen erstickte sie die Worte, die er noch sagen wollte, und wie wenn der Engel der Liebe das Gemach durchwehte, verstummten beide in berauschender Umarmung.

»Aber, süße, himmlische Laodice!« hob nach einigen Augenblicken Harry wieder an.

»Wir sind sicher, ganz sicher, Geliebter«, fiel ihm die Condesa in das Wort. »Der Graf ist bei Santa-Anna zur Soiree und ich sollte ihn begleiten, doch da ich ihn bat, allein zu gehen und mich die Oper besuchen zu lassen, willigte er im Bewußtsein, mir in vergangener Nacht großes Unrecht gethan zu haben, ein. Die heilige Jungfrau hat uns beschützt, mein Harry! O dürfte ich nur bei Dir beiben und Deine Wunde kühlen; Du Armer – mußt mir zu Liebe so leiden. Bist Du denn auch wirklich nicht gefährlich verletzt?«

»Durchaus nicht, Beste, es ist nur ein Schrammschuß, es hat gar nichts zu sagen«, versetzte Harry, den Schmerz verbeißend, den das Aufsitzen ihm verursachte.

»Du willst mich nur beruhigen, Du Liebling meiner Seele, und hast doch große Schmerzen, ich sehe es Dir an; kann ich denn gar nichts für Dich thun, was Dir Linderung verschaffte? Muß denn Deine Wunde nicht verbunden werden?« fuhr die Condesa theilnehmend fort, doch Harry beruhigte sie und sagte ihr, er hoffe in wenigen Tagen sich wieder in ihrer Villa einfinden zu können.

Die Condesa bot die ganze Macht ihrer Reize auf, um Harry das Gefühl darzuthun, welches für ihn in ihrer Brust lebte; so sehr er sich aber auch bemühte, in seinen Liebesbezeigungen gleichen Schritt mit ihr zu halten, so stand der Augenblick, in welchem er den Schuß erhielt, doch noch zu lebendig vor seiner Seele, als daß seine Leidenschaft schon wieder so hoch hätte fliegen können. In der That, es würde mehr zu seinem Gefühl gepaßt haben, wenn die Liebkosungen der Condesa etwas weniger feurig gewesen wären, nur als sie zuletzt zum Abschied nochmals ihre Lilienarme um ihn schlang, raffte er alles ihm gebliebene Feuer zusammen und preßte sie mit aller Glut zum Lebewohl an seine Brust. Und doch mußte er sich sagen, daß er nie im Leben ein schöneres, liebenswürdigeres, reizenderes Weib gesehen habe.

Ihre Thränen netzten seine Wangen, seine Hände, und es war, als gebe sie ein Stück von ihrem Leben hin, als sie sich endlich von dem Heißgeliebten losriß, das schwarze Tuch über den Kopf warf und leise, wie sie gekommen war, das Zimmer verließ.

Harry sah ihr nach und hielt seinen Blick, in Gedanken versunken, noch lange Zeit auf die Thür geheftet, nachdem dieselbe sich hinter der ihn so sehr liebenden Frau geschlossen hatte. Welch große Veränderung war seit gestern in seinem Gefühle für sie eingetreten! War sie heute weniger schön, weniger liebenswürdig als gestern, und welche Gewalt hatte seiner Leidenschaft für sie Abbruch gethan? So fragte sich Harry, als er auf die Thür blickte, durch welche die Gräfin verschwunden war, und der Gedanke an die Schätze, deren Besitz ihm bevorstand, beantwortete seine Frage. Die fünf Leguas Land verdrängten von Stunde zu Stunde mehr jedes andere Interesse aus seiner Seele. Große Reichthümer zu besitzen, war seine einzige, wirklich innig, mit seinem ganzen Sein verbundene Leidenschaft, wenn er auch keine Energie, keine Ausdauer besaß, für den Erwerb derselben seine ungewöhnlichen Talente und Fähigkeiten zu verwenden. Sie mußten und sollten ihm werden, das Gefühl verließ ihn keinen Augenblick; auf welchem Wege und durch welche Mittel, das war ihm gleich, nur hielt er nach Holcroft's Lehre die Augen offen, um keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, die ihm dazu verhelfen könnte. Und jetzt hatte er ja die Gelegenheit erfaßt, die fünf Leguas Land mußten ihm, mit Umsicht verwerthet, hunderttausend Dollars einbringen. In der Liebelei mit der Gräfin aber war ihm die Gefahr entgegengetreten, um den Erwerb derselben zu kommen, und der Gedanke daran, sowie der unleidliche Schmerz der Wunde und das Zuhausesitzen löschten den letzten Funken seines Feuers für die Reize der heißblütigen schönen Condesa aus. Er war entschlossen, sobald er in den Besitz der Documente gekommen sein würde, Mexico Lebewohl zu sagen und nach Texas, der Quelle so großen Reichthums, zurückzukehren.

Die Heilung von Harry's Wunde ging rasch von statten, dennoch blieb er über eine Woche an sein Zimmer gefesselt. Die Sehnsucht der Condesa nach ihm steigerte sich von Tag zu Tag, und sprach sich immer heißer, immer verlangender in den zierlichen parfümirten Billets aus, welche Ismene ihm täglich überbrachte. Bald lag eine Locke ihres glänzenden Haars, bald ein Blümchen darin und oft konnte man in der zerflossenen Schrift die Thräne erkennen, welche dieselbe benetzt hatte.

Harry's Sehnsucht steigerte sich in gleichem Maße, aber nicht nach der liebenden Condesa, sondern nach den

Documenten über das Land, und obgleich seine Wunde noch nicht völlig geheilt war, entschloß er sich doch eines Morgens, dem Grafen Romero einen Besuch in dessen Geschäftslokal abzustatten. Derselbe war außerordentlich erfreut ihn wiederzusehen und machte ihm liebevolle Vorwürfe, namentlich im Namen seiner Gattin, über sein plötzliches Verschwinden ohne Abschied. Er sagte ihm, daß die Gräfin wirklich über den Verlust seiner Gesellschaft getrauert habe und daß er ihm zu Liebe noch heute in der Villa erscheinen müsse, um seine Gemahlin wieder zu erheitern.

Mit Ungeduld ließ Harry den zärtlichen Gatten ausreden und fragte dann nach den Documenten.

»Die sind ausgefertigt und zur Aushändigung an Sie bereit, doch sollen Sie dieselben aus der Hand der Gräfin empfangen, ich nehme sie heute mit mir hinaus, sodaß dieselben unsere Freundschaft unterstützen sollen, Sie zu uns zu führen«, entgegnete der Graf mit großer Freundlichkeit.

»Dieser Hülfe bedarf Ihre Freundschaft nicht, verehrter Herr Graf, auch ist das Geschäft zu unbedeutend, als daß es einen besondern Werth für mich haben konnte; mein Herz bringt mich viel schneller zu Ihnen als diese todten Papiere. Dieselben werden aber einen hohen Werth für mich erhalten, wenn ich sie aus der gütigen Hand der Frau Gräfin empfinge, wozu ich gern noch heute bereit bin; ich werde mich nach Tische auf Ihrem reizenden Landsitze einfinden. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor seit dem letzten glücklichen Abend, den ich dort Ihrer Güte und Freundschaft zu verdanken hatte.«

Bei diesen verbindlichen Worten drückte Harry dem Grafen die Hand, weigerte sich aber, Platz zu nehmen, weil er, wie er sagte, vor Tische noch einige Besuche zu machen habe, und verließ ihn mit der Bitte, ihn der Gräfin auf das angelegentlichste zu empfehlen.

Heute mußte statt des Rosses ein Wagen Harry hinaus zu Romeros tragen. Die Sonne neigte sich schon den Gebirgen zu, als er nach der Villa den Schlangenweg hinanfuhr, welcher an der Felswand unter dem fatalen Pavillon vorüberführte.

Er schaute an dem senkrechten Abhang hinauf, den er in jener Nacht so eilig und so unfreiwillig herabgekommen war, und betrachtete die rettende Ranke, die noch am Felsen hin auf dem Boden lag und ohne welche er unfehlbar den Hals gebrochen haben würde. Dem Pavillon sagte er im Stillen auf ewig Lebewohl.

Glück und Liebe strahlend kam ihm die Gräfin vor dem Schlosse entgegen, um ihn durch ihren Blick jubelnd zu bewillkommnen, mit Worten ihm aber

Vorwürfe über sein stummes Verschwinden und über seine lange Abwesenheit zu machen. Wie der Himmel nach einem vorübergegangenen Sturme klarer und freundlicher erscheint als gewöhnlich, so war die Gräfin heute schöner und bezaubernder als je vorher; aus dem Sammtdunkel ihrer prächtigen Augen leuchtete die Wonne beglückter Liebe, ihre sonst bleichen Wangen hatten sich mit einem Purpurhauch gefärbt und ihre wie zu einem Jubellaut geöffneten Lippen zeigten den Alabaster ihrer Zähne. Keine Mantille, kein Schleier hob heute den Schnee ihrer wundervollen Büste, ihrer makellosen Arme, keine Juwelen zierten deren edle, elastische Formen, es war kein Sieg mehr zu erringen, er war nur zu feiern, sein Glück zu genießen.

So genußreich der innige Handdruck und der liebewarme Blick der Condesa aber die nächste Zukunft Harry's auch bezeichneten, so drohten deren Freuden ihm und dem Ziel des Grundgedankens seiner Seele zu große Gefahren, als daß dieselben seine Leidenschaft für die schöne Frau abermals hätten in Flammen sehen können. Die unbedingte Gewalt aber, die er über seine äußere Erscheinung besah, verbarg der Gräfin die Veränderung, welche in ihm vorgegangen war, und ließ sie in ihm dieselbe ungezügelte Liebesglut für sie sehen, welche ihn bis zu jener Schreckensnacht an sie gefesselt hatte. Seine

Blicke waren noch ebenso feurig, der Druck seiner Hand noch ebenso innig und seine Worte enthielten noch dieselben Zusicherungen, dieselben feinen Betheuerungen seiner Liebe, in denen der Graf immer nur die Artigkeit des eleganten Gentleman erkannt hatte.

Die Condesa hatte kaum ihren so sehnlich erwarteten Gast bewillkommnet, als ihr rasch nachfolgender Gatte bei ihr erschien und gleichfalls seine Freude, über die so lange entbehrte Gesellschaft desselben aussprach. Das glückliche Ehepaar geleitete Harry in das Schloß und nach dem Salon, wo in der heitersten Stimmung einige Erfrischungen eingenommen wurden.

Die Sonne hatte ihren letzten Blick in das Thal von Mexico gethan, als die Gräfin einen Spaziergang durch den Park vorschlug und alte drei sich erhoben.

»So gehen Sie mit der Condesa voran, verehrter Herr Williams, ich habe noch etwas in meinem Arbeitszimmer zu besorgen und werde Ihnen bald nachfolgen«, sagte der Graf mit höflich grüßender Handbewegung und eilte in das Seitengemach, worauf auch die Gräfin mit ihrem Liebling den Salon verließ und sich in das Freie hinaus begab.

»Weshalb kommst Du zu Wagen und nicht auf Deinem treuen Rosse, mein Harry?« fragte die Condesa ihren Begleiter, als sie in den Orangenhain hinter dem Schlosse eintraten.

»Es ist lahm, theure Laodice«, entgegnete Harry bedauernd.

»Warum nahmst Du nicht ein anderes?« fuhr die Gräfin schnell fort; »der Wagen kann doch nicht auf Dich warten, bis ich Dich von meinem Herzen entlasse.«

»Um des Himmels Willen, Laodice, es ist zu gefährlich für Dich, ich darf Dein Glück, Deinen Frieden nicht für meine Seligkeit abermals auf das Spiel setzen.«

»Mein Glück, sagst Du? Wo in der Welt gibt es noch Glück für mich als an Deiner Brust? Nein, nein, und wenn ich zehn Leben hinzugeben hätte für eine Stunde des Glücks an Deinem Herzen, ich thäte es mit Freuden. Ich muß Dich sehen in dieser Nacht«, sagte die Gräfin mit bittendem Tone.

»Unmöglich, Laodice. Denke an den Schreckensaugenblick in dem Pavillon; wenn Dich der Graf erkannt hätte, was wäre Dein Schicksal gewesen und welch schrecklicher Vorwurf würde mich getroffen haben!«

»Mein Schicksal?« fiel die Gräfin ein; »das Leben für Deine Liebe hinzugeben, wäre mir kein Opfer. O bitte, Harry, versprich mir, daß ich Dich um Mitternacht finden soll.«

»Ich darf es nicht, um Deinetwillen nicht, himmlische

Laodice, und wenn meine Sehnsucht nach Dir mir das Leben kosten sollte«, antwortete Harry, flehend in die glühenden Augen der Gräfin schauend, und preßte beide Hände auf sein Herz.

»Du hast unnöthige Angst, Harry. Der Graf hat seine Uebereilung sehr bereut und wird nie wieder solchen Gedanken Raum geben; auch geht der Mond jetzt erst gegen Morgen auf. Es droht uns keine Gefahr, lasse mich nicht vergebens bitten.«

»Es ist unmöglich, engelsüße Laodice, ich kann ja den Kutscher nicht auf mich warten lassen.«

»Du kannst ihn aber nach der Stadt schicken und mir zu Liebe den Weg zu Fuße gehen. Nicht wahr, Du bringst mir das Opfer?« sagte die Condesa noch bittender als zuvor und hob ihre gefalteten Hände zu Harry auf.

»Ich bin es ja aber gar nicht im Stande, bester Engel; meine Wunde ist noch nicht geheilt, ich würde die Stadt nicht erreichen«, versicherte Harry abwehrend und blickte rasch hinter sich, indem er sagte: »Ich höre den Grafen kommen.«

Die Hoffnung, die ihn diese Worte sagen ließ, sollte in Erfüllung gehen, denn wirklich kam in diesem Augenblick der Graf mit schnellen Schritten unter den duftenden, mit goldenen Früchten beladenen Bäumen heran und eilte mit Papieren in der Hand auf die beiden Lustwandelnden zu.

»Hier, Laodice«, sagte er zu seiner Gattin, »überreiche diese Papiere unserm lieben, theuern Freunde und gib ihrem Inhalt dadurch Segen und Gedeihen.«

Die Gräfin sah mit Thränen im Auge fragend zu Harry auf, worauf dieser schnell und lächelnd versetzte:

»Ich habe darum gebeten, verehrte Condesa, indem die Papiere nur dadurch Werth für mich erhalten können, daß ich sie aus Ihrer schönen Hand empfange.«

»Sehr gern komme ich Ihrem Wunsche nach, Herr Williams«, entgegnete die Gräfin, indem sie die Papiere aus der Hand ihres Gatten nahm und sie Harry hinreichte. »Aber darf ich denn nun auch wissen, was diese wichtigen Documente enthalten?« fuhr sie dann fort und sah halb lächelnd, halb weinend zu dem Geliebten auf.

»Die ganze Wichtigkeit dieser Papiere besteht nur darin, Condesa, daß Sie mir dieselben reichten, sonst sind sie für mich ohne Werth; sie enthalten nur Besitztitel über Land, welches ich von der Regierung kaufte«, antwortete Harry in scherzendem Tone.

»Land?« fragte die Gräfin mit aufleuchtendem Blick. »Land, hier in der Nähe?« O dann sind wir es, für welche die Papiere Werth haben, denn sie geben uns die Hoffnung, daß Sie uns nicht ganz verlassen und wieder in Ihr mildes Texas ziehen werden.«

»Nein, das Land liegt in Texas«, bemerkte der Graf.

Die Condesa schrak zusammen.

»In Texas?« sagte sie mit einem schweren Athemzuge und wurde bleich wie Marmor. Sie hatte ihren Fächer entfaltet und verbarg, langsam vorwärts schreitend, vor ihrem Gatten die Thränen, die abermals ihren Augen entquollen. Harry aber, dem sie ihren verzweifelnden Blick zuwandte, sagte schnell:

»Ich hoffe, durch Verkauf dieses sowie meines übrigen Landes in Texas mein Einkommen so hoch zu stellen, daß ich ganz hierher übersiedeln und in diesem Paradiese unabhängig leben kann.«

Dabei winkte er der Gräfin mit einem liebeheißen Blick die Versicherung zu, daß er sie niemals verlassen könne, und wie die Sonne das Gewölk durchbricht, so stahl sich mit dem Blick der Condesa ein freudiges, dankbares Lächeln durch ihre Thränen. Sie blieb aber still und in sich gekehrt, so sehr sich Harry auch bemühte, sie durch Aufmerksamkeiten und verstohlene Zeichen seiner Leidenschaft zu erheitern.

Dabei waren seine Gedanken aber nur mit den

Papieren in seiner Tasche beschäftigt, sie zogen ihn nach der Stadt zurück, und früher als gewöhnlich trat er unter dem Vorwande, seinen Kutscher nicht länger aufhalten zu dürfen, trotz der schmachtenden, drohenden und flehenden Blicke der Gräfin seine Rückfahrt an.

Er hatte das Ziel seiner Wünsche erreicht, das Land mußte ihn zum reichen Manne machen, und er beschloß, sich mit dem ersten von Veracruz abgehenden Fahrzeuge nach Neuorleans einzuschiffen.

Mehrere Tage verstrichen, ohne daß Harry den Einladungen der Gräfin und des Grafen, sie auf dem Landgute zu besuchen, Folge geleistet hätte, er schützte Unwohlsein vor und empfing Ismene, die ihm regelmäßig des Morgens ein Billet von der Condesa brachte, auf seinem Sopha liegend. Abends aber folgte er der Führung seines Freundes Holcroft zu den Belustigungen, welche die Hauptstadt bot und bei welchen sie die Nächte verbrachten.

Eines Morgens fand sich Ismene abermals mit einem Billet von der Gräfin bei Harry ein, worin diese ihm ihre Angst, ihre Sorge um ihn klagte und ihn beschwor, sie aus ihrer tödtenden Ungewißheit zu rei-ßen und ihr die Wahrheit über seinen Zustand mitzutheilen. Er schrieb ihr mit den zärtlichsten Worten, daß er immer noch Fieber habe, daß der Arzt ihm noch nicht erlauben wolle, sein Zimmer zu verlassen, und daß er in Sehnsucht und Verlangen nach ihr vergehe.

Diese Nachricht erfüllte die Condesa mit neuer Besorgniß. Ihr Verlangen, den Geliebten zu sehen und sich selbst von seinem Befinden zu überzeugen, ließ ihr nicht länger Ruhe, und da der Graf an diesem Abend eine Einladung des Finanzministers angenommen hatte, so ließ sie sich von ihm nach dem Opernhause bringen mit der Abrede, ihn zur Rückfahrt in ihrem Palais zu erwarten. Sie wollte nur kurze Zeit in dem Opernhause bleiben und dann zu dem Geliebten ihres Herzens eilen.

Die Oper hatte bereits begonnen, als sie in ihre Loge eintrat und sich niederlassend zwischen der vorgezogenen Mantille hindurch ihren Blick an dem ersten Range gegenüber hingleiten ließ. In der letzten Loge nahe der Bühne bemerkte sie in deren Hintergrund eine verschleierte Dame, die sich, wie es schien, sehr lebendig mit Jemand an ihrer Seite unterhielt, den die Condesa wegen der Logenwand nicht sehen konnte. Nur einige Augenblicke hatte sie der Verschleierten ihre Aufmerksamkeit geschenkt und wandte ihre Augen nun der Bühne zu. Kurze Zeit darauf jedoch blickte sie wieder nach jener Loge hin und sah für einen Moment den Lockenkopf eines Mannes sich zu der Verschleierten vorneigen und dann wieder verschwinden.

Wie ein Eisstrom fuhr es der Gräfin durch die Glieder, ihr Blick blieb stierend auf der Verschleierten haften und ihre Rechte griff krampfhaft nach dem Dolch, den sie in ihrem Busen trug; der Lockenkopf, den sie gesehen hatte, war der ihres Geliebten, war Harry's Kopf gewesen. Doch es war nicht möglich, sie mußte sich geirrt haben, denn Harry lag ja fieberkrank in seinem Hotel. Unbeweglich hingen ihre Augen an der Verschleierten, statt der Kälte, die sie durchrieselt hatte, strömte es immer glühender durch ihre Adern, es war ihr, als wolle ihr die Brust zerspringen, als wollten die Pulse an ihren Schläfen zerreißen.

Ha, da war der Kopf wieder, es war Harry selbst, der jetzt der Verschleierten in das Ohr flüsterte!

Wie vom Blitz getroffen, zuckte die Gräfin zusammen, ihr Athem stockte und sie erfaßte den Stuhl, auf dem sie saß, um nicht von ihm herabzusinken. Nach einigen Augenblicken aber ermannte sie sich, ihre Augen sprühten Flammen, und ihre Hand hielt den Griff ihres Dolches umklammert. Regungslos saß sie da und stierte nach der Nebenbuhlerin hinüber, und nur wenn der Kopf des Treulosen sichtbar wurde, ergriff ein Zittern ihre Glieder.

Da erhob sich die Verschleierte, die Logenthür öffnete sich für sie und schloß sich hinter ihr.

Wie die Tigerin, der man ihr Junges geraubt, schoß die Gräfin aus ihrer Loge und durch den Corridor nach der Treppe, die in die Straße führte, und langte dort unmittelbar hinter Harry und der an seinem Arme hängenden Verschleierten an. Zitternd blieb die Condesa stehen, um sie vor sich in die Straße hinaus gelangen zu lassen, dann folgte sie ihnen lautlosen, flüchtigen Fußes.

Harry und seine Schöne gingen sehr eilig und hatten die nächste Straßenecke erreicht, als die Condesa fliegenden Schrittes sich ihnen nahte und Harry nach dem Rauschen ihres Seidengewandes sich umsah.

»Treuloser Verräther!« schrie die Gräfin mit entsetzlicher Stimme und stürzte mit gehobenem Dolche auf ihn ein, doch Harry wehrte sie mit seiner Linken zurück und die scharfe Klinge in der Hand der Frau vergrub sich in seinem Arme.

Seine Rechte aber hatte im selben Augenblick die Hand der Condesa ergriffen, ihr den Dolch entwunden und stieß sie von sich, daß sie zurück gegen die Mauer wankte. Dann beflügelte er mit seiner Begleiterin seine Schritte und war bald aus dem Gesichtskreis der zurückbleibenden Gräfin verschwunden.

Ein Arzt war mit dem Verbinden von Harry's Arm beschäftigt, als Holcroft zu ihm in das Zimmer trat und überrascht erkannte, was sich zugetragen hatte.

»Das wird schlecht heilen, es war eine dreischneidige Klinge, die Ihnen die Wunde beibrachte«, bemerkte der Sklavenhändler und sah dem Doctor bei seiner Arbeit zu; sobald derselbe aber den Verband angelegt und das Zimmer verlassen hatte, nahm er wieder das Wort und sagte:

»Das war ernstlich gemeint, Williams. Haben Sie eine Ahnung davon, wer Ihnen diesen Gruß gesandt hat?«

Harry erzählte ihm nun den ganzen Hergang und sprach seine Vermuthung aus, daß die Gräfin im Theater gewefen sei und daß sie ihn dort mit der schönen Mestize gesehen habe, worauf der Sklavenhändler sagte:

»Dann ist es hohe Zeit, daß wir unsere Federn von hier fortblasen, denn das Weib wird jede ihr zu Gebote stehende Gewalt aufbieten, um Sie aus der Welt zu schaffen. Ob wir hier oder in Veracruz auf ein Schiff warten, ist einerlei, lassen Sie uns morgen früh abreisen.«

Harry stimmte gern seinem Vorschlag bei und am folgenden Morgen schon saßen die beiden Abenteurer in der Postkutsche, welche sie am zweiten Abend nach Veracruz brachte.

Der Zufall war ihnen günstig und schon wenige Tage nach ihrer Ankunft befanden sie sich an Bord eines herrlichen Fahrzeugs, welches den Hafen verließ und sie nach Neuorleans führte.

So viel Anziehendes diese Weltstadt auch immer für Harry gehabt hatte, so erdrückten die glänzenden Aussichten, welche ihm in Texas lachten, doch augenblicklich jedes Interesse für andere Freuden, er schied von seinem Freunde Holcroft und schiffte sich nach Galveston ein. Hier angelangt, bezog er den ersten Gasthof und fuhr am andern Morgen nach der Farm hinaus, auf welcher seine Mutter mit seinem jüngern Bruder und seiner Schwester lebte. Der Jubel derselben, den Liebling ihres Herzens wiederzusehen, war groß, noch größer aber die Freude über das Glück, womit ihn der Himmel gesegnet hatte.

Auch für Harry waren die Berichte, die er von den Seinigen über ihr Ergehen erhielt, sehr befriedigend. Die Farm seiner Mutter warf infolge der Vergrößerung der Stadt Galveston, einen bedeutenden Ertrag ab und sein älterer Bruder Ashmore war gleichfalls nach Texas eingewandert und hatte sich am Brazosflusse eine vortreffliche Farm eingerichtet.

Angenehmer aber als alle diese freudigen Familiennachrichten berührten Harry die sich immer günstiger gestaltenden Verhältnisse des Staates und namentlich der bedeutend erhöhte Werth des Grundeigenthums.

Die Ursache hiervon lag in der täglich sich mehrenden Einwanderung aus den Vereinigten Staaten, von woher man nicht selten Züge von dreißig bis vierzig Wagen mit Ansiedlern erscheinen sah.

In höchster Begeisterung für seine nächste Zukunft verließ Harry nach wenigen Tagen die Seinigen und begab sich auf das Festland und zwar zuerst zu seinem Bruder Ashmore auf dessen Farm am Brazosflusse.

Dieser empfing den halbverschollenen Harry mit großer Wärme und Herzlichkeit und war außer sich vor Freude, als derselbe ihm mittheilte, welchen Reichthum er sich erworben habe. Namentlich machte es Ashmore sehr glücklich, daß sein Bruder einen so bedeutenden Strich Landes ganz in seiner Nähe an den reizenden, gesunden Ufern des schönen San-Bernardflusses besaß und daß er selbst sich auf demselben niederlassen und eine Baumwollenplantage dort anlegen wolle. Ashmore rieth ihm nun, sofort die fünf Leguas vermessen und in die Karten des Staates auf seinen Namen eintragen zu lassen, damit ihm keine Streitigkeiten mit Einwandern erwachsen mochten, welche sich etwa darauf ansiedeln könnten.

Es war dies auch die Absicht Harry's gewesen und er begab sich zuerst nach Nacogdoches und dann nach San-Augustine, in welchen beiden Districten er die gekauften und in den Besitztiteln nur unbestimmt angegebenen drei Leguas Land genau vermessen und bezeichnen und sich darüber die nöthigen Documente von der Landesverwaltung ausstellen ließ. Dann kehrte er zu seinem Bruder Ashmore zurück, suchte sich an dem San-Bernardflusse das schönste, noch von Privatbesitz freie Stück Land aus und ließ auf demselben nun die letzten zwei Leguas Land für sich vermessen.

In Nacogdoches, sowie in San-Augustine hatte er bekannt gemacht, daß er erbötig sei, kleinere Stücke Landes an Einwanderer zu verkaufen, und in beiden Districten Leute damit beauftragt, Kauflustigen seine Besitzungen zu zeigen.

Diese lagen sehr nahe an der Grenze der Vereinigten Staaten und in der bewohntesten Gegend von Texas, sodaß bald mehrere namhafte Landverkäufe davon abgeschlossen wurden und Harry bedeutende Summen Geldes dafür in seine Hände bekam.

Er hatte eine große Zahl Arbeiter gedungen, die auf seinem Lande am San-Bernardflusse eine Plantage für ihn herrichteten und die Felder für dieses Jahr mit Mais bepflanzten, weil ganz neues Land sich für Baumwolle nicht eignet. Zugleich kaufte er Kühe, Schweine, Maulthiere und Pferde und ließ sich schließlich auf dem hohen Ufer des Flusses ein nettes hölzernes Wohngebäude aufführen.

Harry Williams galt jetzt für einen der bedeutendsten Grundbesitzer in Texas und zählte bald zu den angesehensten, einflußreichsten Persönlichkeiten dieses Landes. Sein Charakter erschien rein und fleckenlos, sein feines, vornehmes Benehmen verschaffte ihm allgemeine Achtung und seine schöne, liebenswürdige Erscheinung machte ihn allenthalben lieb und angenehm. Die ersten Leute im Staate suchten seine Bekanntschaft und bei allen Berathungen für das Wohl des Landes wurde seine Stimme hoch gehalten.

Das politische Leben in Texas war seit dem Siege Santa-Anna's über Bustamente ein viel regeres geworden und mit den unbegrenztesten Hoffnungen sah man zu dem Sieger hin. Texas war unter Bustamente's Regierung stiefmütterlich und tyrannisch behandelt worden, seine schönsten Ländereien waren an reiche Spanier gegeben, alle Abgaben an die Regierung in Mexico eigenmächtig um das Doppelte erhöht, die Truppenmacht in allen Hauptplätzen des Landes war bedeutend vermehrt, um die Unzufriedenen mit Gewalt in Unterwürfigkeit zu halten, und seine Grenzen gegen die wilden, raub- und mordlustigen Indianer waren gänzlich unbeschützt. Alle Klagen, alle Beschwerden, die dieserhalb nach Mexico gerichtet wurden, blieben unbeantwortet und unberücksichtigt. Die Nachricht von dem Sturze Bustamente's wurde darum in Texas mit dem lautesten Jubel begrüßt und die Vivas und Hurrahs für Santa-Anna schallten von einem Ende des Landes zum andern.

Texas und Coahuila bildeten, seit Mexico das spanische Joch abgeworfen hatte, zusammen einen Staat dieses Reichs, doch war Texas die Erlaubniß zugesichert, sich von Coahuila zu trennen und einen Staat für sich zu bilden, sobald die Zahl seiner Bevölkerung es dazu ermächtigte. Diese Zeit war jetzt gekommen, und es waren namentlich die eingewanderten Amerikaner, die auf diese Scheidung drangen, weil die noch immer sehr unbedeutende Bevölkerung Coahuilas ausschließlich aus Mexicanern bestand und Texas fast sämmtliche Abgaben für sie mit an die Regierung aufzutreiben hatte.

In dem Frühjahr 1833, als Harry Williams nach Texas zurückkehrte, ward für einen neuen Präsidenten von Mexico gewählt, und die Wahl in Texas fiel einstimmig auf Santa-Anna. Auch in allen andern Staaten des Reichs hatte er die Stimmenmehrheit für sich und im März bestieg er den Präsidentenstuhl.

Der Abgeordnete von Texas für den Landtag in Mexico war Oberst Austin, einer der angesehensten Männer des Landes, und ihm wurde die Petition um Lostrennung von Coahuila, welche in San-Felipe bei einer Volksversammlung ausgefertigt worden war, mitgegeben. Santa-Anna, der neue Präsident, empfing Austin mit der größten Auszeichnung und machte ihm alle Hoffnung für die Genehmigung des Gesuchs. Wochen verstrichen aber ohne eine Entscheidung der Regierung, und als Austin auf eine solche drang, wich man ihm mit einer Antwort aus, behandelte ihn mit Geringschätzung, und er überzeugte sich bald, daß für Texas keine Hoffnung vorhanden sei, zu seinem Ziele zu gelangen. Austin, entrüstet über die Doppelzüngigkeit Santa-Anna's, reiste von der Hauptstadt ab, wurde aber auf seinem Wege nach Veracruz gefangen genommen, nach Mexico zurückgebracht und dort in ein greuliches Gefängniß geworfen, wo er wie ein Mörder behandelt wurde.

Dies Verfahren gegen den Abgeordneten des Staates setzte alle Gemüther, namentlich die der amerikanischen Bevölkerung desselben, in Flammen und allenthalben wurden Stimmen laut, daß Texas sich von Mexico trennen und sich selbstständig zur Republik erheben müsse.

Santa-Anna verstärkte aber alle Militärposten in Texas, entfernte alle Amerikaner vom Staatsdienste und sandte Mexicaner an deren Stelle, die, von dem Militär unterstützt, die Zügel der Gewalt nun noch straffer anzogen.

Harry Williams gehörte als ein thätiges Mitglied zu der unzufriedenen Partei und zu den eifrigsten Fürsprechern der Losreißung von Mexico. Es war aber nicht Liebe für Land oder Volk, welche ihn dabei beseelte, es war sein persönliches Interesse, welches ihn leitete. Erhob sich Texas zu einer selbstständigen Republik, so geschah dies durch die Kraft seiner amerikanischen Bevölkerung, und dann unterlag es keinem Zweifel, daß Sklaverei in seine Staatseinrichtungen aufgenommen werden würde. Und was konnte wohl den Werth des Grundbesitzes schneller und höher heben als Arbeitskraft, was konnte Harry's liegende Güter rascher in ungeheure Summen baaren Geldes umwandeln als die Einführung der Sklaverei! Ohne selbst aber öffentlich seine Meinung auszusprechen und sich dadurch mit den mexicanischen Behörden zu entzweien, schürte er nur im Stillen unter den Amerikanern eifrig das Feuer, welches die Einkerkerung Austin's in deren Gemüthern entzündet hatte.


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