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Albert wurde während der Zerstörung von Keller's Wohnung ohne Lebenszeichen hinaus in die Straße getragen, um ihm irgendwo Hülfe angedeihen zu lassen.
»Wen bringt Ihr da?« wurden die Burschen, die ihn trugen, von Kameraden angeredet, welche sich um sie drängten, um zu erfahren, wer der Verwundete sei.
»Es ist Albert, der unsere Lieder gedichtet hat«, war die Antwort, und »Hurrah für Albert!« schallte es ihm von allen Seiten nach.
Sein Beschützer wollte ihn nach dem nächsten amerikanischen Hotel bringen und schlug, um aus dem Tumult zu kommen, eine Seitenstraße ein, die aus dem deutschen Stadtviertel hinausführte. Langsam waren sie derselben gefolgt und hielten an einer Straßenecke bei einem Brunnen an, um auszuruhen und das Tuch um Albert's Kopf anzufeuchten. Während er noch damit beschäftigt waren, regte sich Albert und seine Brust hob sich wieder zum Athmen.
»Er kommt zu sich, laßt uns eilen, damit wir ihm bald einen Arzt verschaffen«, sagte sein Beschützer, und alle griffen zu, um ihn wieder aufzuheben. Da fuhr plötzlich ein Wagen in die Straße ein und kam mit größter Eile dieselbe herabgerollt.
»Der Wagen soll ihn nach dem Hotel fahren«, sagte einer der Burschen; alle ließen Albert wieder auf den Boden nieder und sprangen dem Fuhrwerk in den Weg. Der Kutscher, um sich nicht aufhalten zu lassen, trieb die Pferde noch schärfer an, doch Albert's Begleiter sprangen ihm von beiden Seiten entgegen, griffen den Rossen in die Zügel und zwangen sie still zu halten.
Ein alter Herr mit weißem Haar neigte sich aus dem Wagen und fragte mit ruhigem, gefaßtem Ton, was man von ihm begehre.
»Wir haben einen Verwundeten bis dort an den Brunnen getragen und bitten, daß Sie ihn nach dem Hotel in der nächsten Straße fahren, damit er sobald als möglich einen Arzt bekomme.«
»Recht gern will ich das thun, wenngleich ich in sehr großer Eile bin«, entgegnete der alte Herr; »es müßte aber einer von Ihnen mitfahren, denn ich und meine alte Frau hier sind nicht im Stande, den Kranken zu unterstützen. Wer ist er denn und ist er gefährlich verwundet?«
»Er hat einen Hieb am Kopfe, doch scheint er sich zu erholen und athmet wieder gut. Es ist der Dichter Albert, der die Volkslieder –«
»Albert – der geistreiche junge Albert?« fiel ihm der alte Herr rasch und mit großer Theilnahme in das Wort und öffnete den Wagenschlag. »Bringen Sie ihn nur schnell herein in den Wagen, den nehme ich mit nach meinem eigenen Hause und werde selbst für seine Genesung Sorge tragen. Bringen Sie ihn rasch herein!«
Dann bat er seine neben ihm sitzende Frau, sich auf dem Rücksitz niederzulassen, und nahm nun selbst ihren Platz ein, um den Verwundeten an seiner Seite zu haben. Gleich nachdem dies geschehen, langten die Männer mit Albert an dem Kutschenschlage an; sie hoben ihn vorsichtig auf den Rücksitz des Wagens, der alte Mann legte seine Hand unter seinen Nacken und rief dann dem Kutscher zu, fort zu fahren, so schnell die Pferde laufen könnten. Als der Beschützer Albert's den Schlag hinter ihm schloß, fragte er den alten Herrn nach seinem Namen, worauf derselbe antwortete:
»Ich bin der Maire der Stadt und heiße Walther März.«
»Verdammter Deutscher!« riefen die Burschen einstimmig und streckten ihre geballten Fäuste nach dem Manne aus, die Rosse aber jagten mit dem Wagen davon und verschwanden bald vor den Blicken der fluchenden Gesellen.
Walther März war die angesehenste Persönlichkeit in Philadelphia. Zu Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts war er als junger Mann von Deutschland dorthin ausgewandert, hatte den Freiheitskrieg unter Washington mitgefochten, hatte unter dessen Präsidentschaft hohe Stellen im Staatsdienst bekleidet und war jetzt nach langjährigem Geschäftsleben in Philadelphia von dessen Einwohnern als einer der achtbarsten Bürger zum Maire erwählt worden. Er hatte seit einigen Wochen auf seinem Landgute gelebt, die Nachricht aber von den ausgebrochenen Unruhen führte ihn mit solcher stürmischen Hast in die Stadt zurück.
In fliegender Eile fuhr der Wagen durch viele Straßen, bis er endlich vor einem prächtigen Palaste anhielt, aus welchem mehrere schwarze Diener hervorsprangen und den Kutschenschlag öffneten.
»Ruft noch einige meiner Leute zu Hülfe herbei, ich habe einen Verwundeten im Wagen, den Ihr in das Haus tragen müßt«, sagte März zu den Dienern, und nach wenigen Augenblicken erschienen deren noch mehrere, die nun Hand an Albert legten, ihn aus dem Wagen hoben und mit größter Vorsicht die hohe Marmortreppe hinauf in das Haus trugen. März sandte den Wagen nach seinem Hausarzt, um diesen schleunigst herbeizubringen, und folgte dann mit seiner Gattin dem Verwundeten nach dem Gemache, welches er für ihn bestimmt hatte. Dort ließ er denselben auf ein Sopha niederlegen und ihm vorläufig bis zur Ankunft des Arztes die Kopfwunde mit kühlenden Umschlägen bedecken. Nachdem seine Gattin sich entfernt hatte, um alles für die Bequemlichkeit des Kranken Nöthige anzuordnen, ließ März sich in einem Armsessel neben diesem nieder und ertheilte dem zurückgebliebenen Diener Anweisungen in Bezug auf dessen Pflege.
März war eine sehr große, stattliche Gestalt mit hochgewölbter Brust und breiten Schultern, das Bild eines schönen, kräftigen bejahrten Mannes. Die hohe, zu beiden Seiten in das kurzgeschnittene, volle, schneeweiße Haar eindringende Stirn, die starken weißen Brauen über den großen dunkelblauen Augen, die Adlernase, und der feingeformte, freundliche Mund gaben seinem schönen Kopf etwas ungewöhnlich Edles, und die gesunde blühende Farbe seines Antlitzes verlieh ihm jugendliche Frische. Seine ganze Erscheinung erinnerte an die Zeit des großen Washington, nur fehlte die Perrücke. Er trug einen weiten Rock von schwerer schwarzer Seide, eine lange weiße Weste mit herabhängenden Taschen, schwarzseidene kurze Beinkleider und Strümpfe von gleichem Stoffe, welche ein paar muskulöse, elegant geformte Waden zeigten und sich in sauber geglänzte Schnallenschuhe versenkten. Der Busen seines blendend weißen Hemdes, sowie die über die wohlgepflegten vornehmen Hände fallenden Manschetten waren sauber gefaltet und man sah es der ganzen Kleidung an, daß Aufmerksamkeit darauf verwandt worden war.
Als der Arzt in das Zimmer trat und durch Herrn März zu Albert an das Sopha geführt wurde, lag dieser noch immer ohne Bewußtsein.
»Sie sollen einem der geistreichsten, talentvollsten Söhne Amerikas, zu dem unser Volk einst mit Stolz aufsehen wird, das Leben erhalten, lieber Doctor, ich fürchte aber, der Tod hat ihn schon mit kalter Hand erfaßt«, sagte März und hob den Umschlag von dem Haupte des Kranken.
Der Arzt untersuchte nun die Wunde auf das sorgfältigste, während welcher Zeit März mit Bangen dessen Urtheil zu erwarten schien und dasselbe im voraus auf seinen Zügen zu lesen suchte.
Albert zuckte wiederholt während der Untersuchung zusammen und wollte durch eine Bewegung mit dem der Sonde des Doctors entgehen, da wandte sich dieser von ihm ab zu März und sagte:
»Die Hirnschale ist nicht verletzt, und wenn durch die Erschütterung innerlich kein Schaden gethan ist, so kann ich Ihnen die Genesung des jungen Mannes mit Sicherheit in Aussicht stellen. Wer ist er, daß Sie sich so warm für ihn interessiren, Herr März?«
»Albert Randolph, der junge Dichter, der durch seine prächtigen Lieder sich die Liebe jedes Amerikaners erworben hat.«
»Albert?« sagte der Doctor überrascht. »Wahrlich, es würde mich glücklich machen, etwas für ihn gethan zu haben.«
»Gott Lob, daß es so mit ihm steht«, fiel März freudig ein; »nun darf ich ihm aber auch keine Zeit mehr schenken. Ich übergebe ihn Ihrem Schutze, und meine gute Frau sowie meine ganze Dienerschaft werden Ihnen hülfreich dabei zu Gebote stehen. Mich selbst ruft die Pflicht jetzt hinaus; ich fürchte, es ziehen schwere Stunden für unsere Stadt heran.«
»Doch nicht, es sind nur Arbeiterunruhen, die ja in allen großen Städten vorkommen, die aber höchstens dem Geschäftsherrn und Meister einen höhern Lohn abzwingen. Die Sache wird ohne Folgen sein«, entgegnete der Arzt.
»Sie irren sich, lieber Doctor, der Aufruhr ist von tieferer Bedeutung und von unabsehbarer Tragweite. Es sind zwei gleich kräftige und doch ganz verschiedene Elemente, die einander schon lange Zeit feindlich gegenübergestanden, sich jetzt aber in sehr ernstem Zusammenstoß getroffen haben; ich fürchte, es wird ohne vieles Blutvergießen nicht enden. Lassen Sie uns indeß hoffen. Unsern jungen Dichter empfehle ich Ihrer größten Sorgfält«, sagte März, reichte dem Arzt zum Abschied die Hand und eilte nun kräftigen und entschlossenen Schrittes aus dem Gemach.
Während der ganzen Dauer des Kampfes in Philadelphia lag Albert ohne klares Bewußtsein, obgleich der Arzt ihn sehr oft besuchte, stundenlang bei ihm verweilte und Alles zu seiner Wiederherstellung aufbot. Herrn März erfüllte der Zustand seines Schützlings mit großem Leidwesen, obgleich des Morgens, ehe er seiner ernsten Pflicht als Maire folgte, und abends, wenn er nach rastloser Thätigkeit für das Wohl der Stadt ermüdet nach Hause zurückkehrte, der Arzt ihm beruhigend erklärte, daß er die sicherste Hoffnung für die Genesung des Kranken hege. Er saß manchmal noch spät in die Nacht hinein an dessen Lagers und wenn Albert dann die Augen aufschlug und seinen matten Blick über seine Umgebung kreisen ließ, ergriff März theilnehmend seine
Hand und richtete liebevolle, freundliche Fragen an ihn. Seine Hoffnung aber, ihn aus seiner geistigen Ermattung erwachen zu ersehen, wurde immer bald vereitelt, denn die Augen des Kranken fielen wieder zu und er versank abermals in starren Schlaf.
Am Abend, nachdem die Geschütze Ringold's die Aufrührer zersprengt hatten und die Herrschaft wieder in die Hände der gesetzlichen Gewalt zurückgegeben war, kehrte März von übergroßer Anstrengung ermüdet nach Hause zurück und wurde von seiner Gattin mit einem herzinnigen »Gott Lob!« empfangen.
»Gott Lob sagst Du – ist Albert zum Bewußtsein gekommen?« fragte er schnell in freudiger Ueberraschung und wandte sich nach der Treppe, um auf dessen Zimmer zu eilen.
»Ach nein, das nicht, lieber März, ich danke Gott nur für den Segen des Friedens und für Deine Erhaltung.«
»Ja wohl müssen wir ihm dafür dankbar sein, gute Frau, er sei gelobt und gepriesen. Ich glaubte, Du hättest mir die frohe Kunde von Albert's Besserung gleich mittheilen wollen. Wie geht es ihm?«
»Der Doctor sagt, es stände recht gut mit ihm, weil er wieder williger Speise und Trank zu sich nähme. Ich aber kann keine Veränderung an ihm gewahren.«
»So laß uns zu ihm gehen, vielleicht sehe auch ich Besserung«, sagte März und wandte sich abermals neich der Treppe.
»Willst Du nicht vorher etwas ausruhen? Du scheinst sehr ermüdet zu sein.«
»Wo kann ich besser Ruhe finden als bei dem Hülfsbedürftigen? Nur wenn die Seele sich ruht, erholt sich der Körper«, sagte März, ergriff die Hand seiner Gattin und begab sich nach dem Krankenzimmer.
Dort setzte er sich in einen Armstuhl neben Albert nieder und sagte, nach ihm hinschauend:
»Er scheint immer noch bewußtlos zu sein; es wäre ein Jammer für einen so selten bevorzugten Geist, wenn er im Aufkeimen gebrochen werden sollte.«
Dann wandte er sich nach einem Diener und trug ihm auf, Licht herein zu bringen, denn es war schon sehr düster geworden.
»Der Schlaf unseres jungen Pfleglings ist ein so ruhiger, so natürlicher, daß man glauben sollte, er wäre gesund«, sagte März zu seiner Frau, die unweit von ihm Platz genommen hatte. Da erhellte sich das Zimmer, der Diener trat mit dem Lichte herein, und Albert schlug die Augen auf.
Sein Blick, der bisher an nichts zu haften geschienen hatte und nur unstät und theilnahmlos an Allem vorübergezogen war, richtete sich jetzt sinnend auf den alten Herrn, der ihm mit zunehmender freudiger Bewegung in die Augen schaute. Es war, als besinne Albert sich, als wolle er die letzte Vergangenheit mit der augenblicklichen Gegenwart in Zusammenhang bringen, und immer erstaunter sah er den freundlichen alten Mann an.
»Gott Lob, Sie erholen sich, Herr Albert«, sagte März mit aufwallender Hoffnung und nahm dessen Hand liebevoll in die seinige. Albert aber blickte ihn noch immer verwundert an und suchte seiner verworrenen Gedanken Herr zu werden.
»Ich weiß nicht«, sagte er endlich mit matter Stimme und sah sich fragend um.
»Nein, nein, lieber Herr Randolph, Sie können auch nicht wissen, wo Sie sind. Sie befinden sich aber bei Freunden, die Sie hochschätzen, und ich will es Ihnen sagen, wie Sie hierher kamen«, fiel März ihm schnell in Rede. »Bleiben Sie aber ruhig liegen und strengen Sie Ihren Geist nicht an. Sie sind noch sehr schwach. Als die aufrührerischen Arbeiter in das Haus des Herrn Keller, bei dem Sie wohnten, eindrangen und dasselbe zerstörten, wurden Sie bei dessen Vertheidigung durch einen Schlag an den Kopf verwundet, worauf man Sie bewußtlos aus dem Tumult trug. Ein glücklicher Zufall führte mich in meinem Wagen in Ihre Nähe und da habe ich Sie mit hierher genommen. Es macht mich sehr, sehr glücklich –«
»Keller – ja wohl, Keller, ich wohnte bei ihm, er und seine Frau waren strebsame, gute Leute«, unterbrach Albert seinen Wohlthäter nachdenkend und fuhr nach einigen Augenblicken rascher fort: »Wie geht es der Familie Keller? Hat sie großen Schaden erlitten?«
März drängte die Antwort, die ihm auf die Lippen trat zurück und sagte nach einer kurzen Pause:
»Ja wohl, sie hat Verlust gehabt, ihre vielen Freunde aber werden sich gern ihrer annehmen und ihr helfen. Morgen will ich Ihnen Alles erzählen, was sich seit Ihrer Verwundung zugetragen hat, jetzt müssen Sie sich ruhen. Gute Nacht, lieber junger Freund!« Hiermit drückte März dem Kranken die Hand, winkte seiner Gattin und verließ mit derselben das Zimmer, nachdem er an der Thür dem Wärter aufgetragen hatte, so wenig als möglich mit Herrn Randolph zu reden und ihm namentlich durchaus keine Auskunft über die Ereignisse während der Unruhen zu geben.
Für den edlen hochherzigen März war der folgende Tag ein Freuden-, ein Glückstag, denn er fand Albert, wenn auch noch schwach, doch bei vollstem Bewußtsein und der Arzt erklärte ihn nun für gänzlich außer Gefahr. März widmete ihm jede Stunde, die er bei seinen jetzt so sehr gehäuften Geschäften erübrigen konnte, und theilte ihm Alles über die Schrecknisse mit, die während seines bewußtlosen Zustandes die Stadt heimgesucht hatten, nur eins verschwieg er ihm, er sagte ihm nicht, daß Keller todt sei. Albert dagegen fragte desto öfter nach dessen Ergehen, bat März, demselben Nachricht von seinem eigenen Befinden zukommen zu lassen, und sprach mitunter seine Verwunderung aus, daß er nicht einmal ihn hier besucht habe. März gab aber dem Gespräch immer schnell eine andere Wendung, um Albert über das Schicksal seines ihm so sehr befreundeten Hauswirths in Ungewißheit zu erhalten, und doch steigerte er in ihm absichtlich täglich mehr die Zweifel darüber. Erst nach Verlauf von einer Woche, nachdem Albert sich so weit wieder erholt hatte, daß der Arzt ihm erlaubte, abends in der Kühle einen Spaziergang zu machen, entschloß sich März und theilte ihm die Trauerbotschaft mit.
Dieselbe erschütterte Albert heftig; es war das erste Mal, daß ihm das Schicksal einen bittern Trank reichte. Er saß lange Zeit sprachlos da, dann traten ihm Thränen in die Augen und mit wehmüthiger Stimme fragte er März nach Keller's Frau und Kind.
»Sie sind am Leben und es soll ihnen an nichts zum Leben fehlen, wenn ich ihnen auch den Gatten und den Vater nicht wiedergeben kann. Seien Sie für deren Zukunft unbesorgt, lieber Randolph«, erwiderte März tief bewegt und brückte ihm mit großer Theilnahme die Hand.
Als der Abend kam, begleitete er ihn selbst bei seinem ersten Ausgang, und indem sie in der Straße langsam hinschritten, äußerte Albert den Wunsch, die Wittwe Keller zu besuchen, März jedoch verweigerte ihm seine Zustimmung dazu, nannte ihm aber den Ort, wo er die Frau untergebracht habe; denn sie hatte Alles verloren.
Sobald Albert von dem Spaziergang zurückgekehrt war, begab er sich auf sein Zimmer und schrieb an die Wittwe Keller. Er hatte durch seine literarischen Arbeiten nach und nach gegen zwölfhundert Dollars verdient, welche von ihm in der Bank von Philadelphia niedergelegt waren. Er schrieb eine Anweisung auf diese über tausend Dollars, legte dieselbe in den Brief an Madame Keller ein und bat sie, diese Gabe als einen kleinen Beweis seiner Dankbarkeit für ihm erwiesene Güte und Freundschaft von ihm annehmen zu wollen. Früh am folgenden Morgen übersandte er der unglücklichen Frau das Schreiben. Nach dem Frühstück aber begab er sich zu Herrn März in dessen Zimmer und unter den innigsten, heißesten Danksagungen für alle Wohlthaten, womit derselbe ihn überhäuft hatte, theilte er ihm mit, daß er sich heute, um seine Güte nicht zu mißbrauchen und um seine Studien wieder zu beginnen, nach einer Wohnung umsehen wolle. März aber ergriff seine Hand und sagte mit hochherziger Bewegung:
»Wenn Sie wirklich glauben, daß Sie mir einen Dank schulden, verehrter junger Freund, so tragen Sie ihn mir dadurch ab, daß Sie bei mir wohnen bleiben und mein Haus als Ihr väterliches betrachten. Ich habe Sie hochgeschätzt, ehe ich Sie persönlich kannte, jetzt stehen Sie meinem Herzen so nahe, daß es mir ein herber Verlust sein würde, wenn Sie mir Ihre tägliche Gesellschaft entziehen wollten. Es ist aber nicht mein Herz allein, welches diesen Wunsch ausspricht, ich bin auch stolz darauf, den Dichter Albert unter meinem Dache zu bewirthen. Nicht wahr, Sie bleiben bei mir?«
Bei diesen letzten Worten schüttelte der alte Herr mit deutscher Biederkeit seinem Gaste die Hand, und dieser erfüllte gern seinen Wunsch, konnte aber im Ueberströmen seines Dankgefühls keine Worte finden. Er erwiderte den Händedruck seines edlen Gönners und dieser las in Albert's Augen, was derselbe ihm sagen wollte.
»Da Sie mir meine Bitte gewähren wollen, so bin ich Ihnen ebenso vielen Dank schuldig wie Sie mir – unsere Rechnung steht gleich, mein lieber Randolph«, nahm März freudig das Wort. »Lassen Sie Ihr Zimmer durch meinen Diener ganz so einrichten, wie Sie es wünschen, Sie können dort ruhig und ungestört arbeiten, und wenn Sie in Ihren Mußestunden nichts Besseres zu thun wissen, so gönnen Sie mir und meiner Frau Ihre liebe Gesellschaft.«
Albert blieb bei März wohnen.
Es waren nun über drei Jahre verstrichen, seit Harry Williams seine kaufmännische Laufbahn in Neuorleans begonnen hatte. Sein Name als gewandter, thätiger Geschäftsmann ward allgemein hoch gestellt, und viele der ersten Häuser hatten sich bemüht, ihn durch glänzende Anerbietungen in ihre Dienste zu bekommen. Harry hatte sie aber sämmtlich zurückgewiesen und blieb Herrn Morgan treu. Er blieb gern bei ihm, weil seine geschäftliche Stellung eine sehr angenehme und unabhängige war, in welcher er Niemand über sich anzuerkennen hatte als Morgan selbst, und dieser war ja mit Allem einverstanden, was er that. Es gab aber noch zwei andere Gründe, die ihn bestimmten, bei ihm auszuharren, und die wohl stärker auf ihn einwirkten als die Annehmlichkeit seiner Stellung oder seine
Anhänglichkeit an Morgan. Dieser hatte ihm nämlich zu wiederholten Malen die Aussicht angedeutet, daß er ihm später einen Antheil an seinem Geschäfte zu geben beabsichtige.
Die Hoffnung, wirklicher Theilhaber in einem so angesehenen Hause zu werden, war ein Sporn für Harry's Thätigkeit gewesen um so mehr, als der zweite Grund zu seinem Verbleiben diese Hoffnung noch verschönerte. Morgan's einzige Tochter Eliza war zwar erst fünfzehn Jahre alt, blühte aber zur schönen Jungfrau heran und wurde dereinst eine reiche Erbin.
Man hatte Harry immer wie zu der Familie gehörend behandelt, wodurch zwischen ihm und Eliza ein vertrautes, geschwisterliches Verhältniß entstanden war, mit der Entwicklung der Jungfrau aber war ihre gegenseitige Zuneigung, wenn auch bei Eliza unbewußt, eine andere, eine wärmere geworden. Harry behandelte sie nicht mehr als Kind, er war mit Wort und That aufmerksam gegen sie und erfreute sie häufig durch kleine Geschenke.
Den Aeltern entging die Veränderung in dem Benehmen Harry's gegen ihre Tochter ebenso wenig wie deren wachsende Zuneigung für diesen, von einem ernstern Verhältniß zwischen den Beiden konnte aber für lange Zeit noch keine Rede sein, sodaß sie es nicht für nöthig erachteten, schon jetzt einen festen Beschluß darüber zu fassen. Für Morgan war der Gedanke, Harry einmal zum Schwiegersohn zu bekommen, nie ein unangenehmer gewesen, nur in letzter Zeit hatten sich ihm dabei mancherlei Bedenken aufgedrängt. So tüchtig und thätig der junge Mann auch im Geschäft war, so trieb ihn sein Hang zum Vergnügen doch zu einem sehr lockern Leben; er verbrachte Nacht für Nacht in fröhlichen Kreisen und zwar nicht ausschließlich in denen der vornehmen Welt. Namentlich aber befanden sich unter seinen genauern Bekannten Leute von sehr zweideutigem Charakter und ganz insbesondere hatte er sich dem allgemein gemiedenen und gefürchteten Sklavenhändler Holcroft eng angeschlossen. Morgan hatte ihn so oft schon vor diesem Manne gewarnt, er hatte ihm vorgestellt, wie sehr er sich durch den Umgang, mit demselben in den Augen der bessern Gesellschaft, die ihn mit solcher Auszeichnung behandelte, schaden würde, und hatte ihm den bösen Einfluß gezeigt, welchen solche desperate, im Sturm des Lebens gehärtete und abgeschliffene Naturen auf ein unverdorbenes jugendliches Gemüth ausübten, alle Warnungen, alle Vorstellungen aber waren fruchtlos geblieben und Harry's Umgang mit Holcroft war immer intimer geworden.
Um diese Zeit nahte sich ein Ereigniß, welches wie ein guter Stern über Harry's Geschick aufzugehen schien. Herr Morgan hatte in letzter Zeit in seiner Familie viel Krankheit gehabt, seine Gattin war häufig leidend gewesen und es waren ihm mehrere seiner werthvollsten Sklaven durch den Tod entrissen worden. Dabei konnte der alte Williams in seinen Briefen von Galveston an ihn und an Harry das wundervolle, gesunde Klima von Texas gar nicht genug rühmen; er sagte, daß man Krankheit dort nicht einmal dem Namen nach kenne und daß man dort glücklicher und gesünder unter freiem Himmel lebe als in den Vereinigten Staaten in den prächtigsten Palästen. Zugleich aber pries er Texas als eine unerschöpfliche Quelle des Reichthums für einen Geschäftsmann an, schilderte die Art und Weise, in der man dort mit Leichtigkeit großes Vermögen erwerben könne, und wies darauf hin, mit welchen Riesenschritten die amerikanische Bevölkerung des Landes zunehme.
Morgan war ein sehr vermögender Mann und hatte dem tödtlichen Klima von Neuorleans lange genug die Stirn gezeigt, darum kostete es nur wenig Ueberredung, um ihn diesem Weltkirchhof Lebewohl sagen zu lassen. Er entschloß sich kurz, nach Texas überzusiedeln. Harry erklärte sich bereit, mit ihm zu ziehen, und begann sofort das Geschäft Morgan's in Neuorleans abzuwickeln. Zugleich kaufte er solche Waaren für ihn, wie sie für die
Bedürfnisse der Landbewohner von Texas paßten, und schon nach wenigen Monaten schiffte sich Morgan mit seiner Familie und von Harry Williams begleitet nach Galveston ein. Der alte Williams übernahm es, ihm ein für seine Zwecke passendes Grundeigenthum zu verschaffen, er begab sich mit ihm auf das Festland, und Morgan wählte an dem Ufer der schönen San-Jacintobai einen Platz, auf dem er seine Niederlassung gründen wollte. Der Ankauf des Landes war gemacht, Herr Williams ließ dasselbe auf Morgan's Namen in die Landkarten des Staates eintragen, und nachdem das Geschäft vollständig beendet war, nahm er in der besten Laune Abschied von seinem Freunde und ließ sich durch ein Fischerboot nach Galveston hinüberfahren. Wenige Tage nachher jedoch wurde plötzlich die Familie Morgan in Schrecken und Trauer versetzt, denn man brachte die Nachricht, daß der alte Williams gestorben sei.
Morgan's angekaufter Grundbesitz gewährte alle Vortheile für eine Ansiedelung. Der Buffalofluß, welcher bis nach der Stadt Houston für große Dampfer schiffbar war, mündete hier aus, zugleich führte von hier die Landstraße nach jener Stadt und die Küstenfahrzeuge konnten hier ihre Ladungen mit Leichtigkeit an das Land bringen. Auch für Ackerbau eignete sich das Land, welches Morgan gekauft hatte, ganz besonders für
Baumwollencultur, und er beschloß, neben seinem kaufmännischen Geschäft auch eine Baumwollenplantage anzulegen. Abgesehen aber von allen diesen Vortheilen, entfaltete die Natur hier unendlich viel Schönheit und Annehmlichkeit; das hochaufsteigende Ufer bot einen unbeschränkten Blick über die mit unzähligen grünen Inseln geschmückte Bai und über Galveston hinaus auf den smaragdfarbenen Golf von Mexico, auf dem die schneeigen Segel der vielen Küstenfahrzeuge wie Schwäne auf und nieder zogen. Dabei wehte der erfrischende Seewind unaufhörlich über das grüne Küstenland und verscheuchte von den Bewohnern desselben die Tropenglut, welche im Sommer die Sonne auf sie niedersenkte. Hier, an dem Ufer der Bai, wo die ewig kommenden krystallklaren Wogen rauschend erstarben, erbaute Morgan sein Geschäftshaus, welches Waarenlager, Verkaufslokal und Comptoir in sich vereinigte; vor demselben legte er für die Bequemlichkeit der Schiffe ein kleines Werft an, und zu Gunsten der Wagen führte er die Straße, welche von Houston kam, bis vor seine Thür. Einige Tausend Schritte aber von diesem Geschäftslokal in das Land zurück stellte er auf dem höchsten Punkte, einige Hundert Fuß über dem Spiegel des Golfs erhaben, sein Wohngebäude auf. Dieses beherrschte nicht allein die Aussicht über das Meer, es gestattete auch einen freien Blick auf viele
Meilen weit in das Land hinein, welches sich wie ein grüner, mit tausendfarbigen Blumen geschmückter Teppich vor ihm ausbreitete und nur hier und dort in malerischer Abwechselung größere und kleinere Baumgruppen wie Inseln im grünen Meere zur Schau trug.
Die Niederlassung stieg wie durch einen Zauberschlag über dem bis jetzt friedlich stillen Ufer empor, auf welchem noch vor kurzem der Büffel und die Antilope ungestört geweidet hatten, die neue Straße bis zu Morgan's Werft begann sich zu beleben und die Schiffe schnitten ihre scharfen Furchen durch die Wogen, um zu demselben zu gelangen und dort ihre Segel einzuziehen.
Harry war, wie in Neuorleans, so auch hier die Seele von Morgan's Geschäftsangelegenheiten; unter seinen raschen, treffenden Anordnungen und Verfügungen war die Ansiedlung gegründet und seine Thätigkeit schuf bald einen lebendigen Geschäftsverkehr mit dem Innern des Landes.
Morgan beobachtete mit Freuden die Anstrengungen des ihm theuren jungen Mannes, nicht weil sein Interesse dadurch so sehr befördert wurde, nein, weil er ihn jetzt vor den Gefahren sicher glaubte, welche ihn in der verführerischen Weltstadt Neuorleans bedroht hatten, und weil er nun wieder mit Zuversicht hoffte, seine eigene Zukunft mit der Harry's in beglückender Weise in engere Verbindung zu bringen. Die Bedenken, die sich ihm bei den Aufmerksamkeiten des jungen Mannes gegen seine Tochter aufgedrängt hatten, waren verschwunden, und er gab sich wieder freudig dem Gedanken hin, sie als Gattin an dessen Seite zu sehen und beide die Früchte seines langjährigen thätigen Schaffens genießen zu lassen.
Harry aber hatte nur in der Aufregung der Neuheit seines Wirkungskreises die Freuden des Lebens in Neuorleans vergessen; sobald das neue Schaffen zu Ende ging und bei der Einfachheit des Geschäfts ein tägliches Einerlei eintrat, begannen ihm die müßigen Stunden langweilig zu werden, er sehnte sich nach den aufregenden Genüssen des bunten, rauschenden Treibens in Neuorleans zurück, und weder Morgan's zunehmende Herzlichkeit und Freundschaft, noch die seelenvolle Hingebung seiner lieblichen Tochter konnten Harry's hochfliegenden, rastlosen Geist für die verlorenen Freuden entschädigen. Die glühenden Bilder aus den stürmischen Erlebnissen seines Freundes Holcroft traten täglich reizender vor seine Seele, das schale, abgeschmackte Einförmige seines gegenwärtigen Wirkungskreises widerte ihn immer unerträglicher an, und der Gedanke, daß er sein Leben in so tödtlich langweiligen Verhältnissen verbringen solle, verfolgte ihn wie ein marterndes Gespenst.
Holcroft hatte einige Wochen vor ihm Neuorleans verlassen und zwar in einer geheimnißvollen, wie er sagte, vielversprechenden Unternehmung, er hatte ihm aber scheidend fest zugesagt, ihn in Texas aufzusuchen, sobald er glücklich von seinem Ausflug zurückgekehrt sein würde.
Ein Jahr war verstrichen, Holcroft war nicht erschienen. Auch das zweite Jahr neigte sich seinem Ende zu, ohne daß ein Lebenszeichen von dem Sklavenhändler aufgetaucht wäre, doch kein Tag verging, an dem Harry sich nicht dessen Versprechen in das Gedächtniß zurückrief, ihn gelegentlich an einer Fahrt nach Afrika Theil nehmen zu lassen. Hätte er nur gewußt, wohin er an Holcroft schreiben könnte, die Gegend aber, nach welcher derselbe gezogen, war ihm vollständig unbekannt geblieben. Vergebens hatte Harry zu wiederholten Malen es versucht, in Geschäftsangelegenheiten nach Neuorleans zu reisen, wo er hoffte, über seinen Freund Auskunft zu erhalten. Morgan hatte es immer zu verhindern gewußt und die Geschäfte schriftlich abgemacht, ja, er war selbst einmal dorthin gereist, nur um seinen jungen Schützling von dem verführerischen Leben in jener Stadt fern zu halten.
So schwand für Harry mehr und mehr die Hoffnung, Holcroft jemals wiederzusehen; um so häufiger wurden seine Vergleiche zwischen dessen reizendem, abenteuerlichem Leben und dem trostlosen Einerlei seines eigenen, in welchem er sich vorkam wie ein Gefangener, der in seinem Kerker nach und nach elend zu Grunde gehen müsse. Es war ihm oft, als könne er diese Fesseln nicht länger tragen, als müsse er hinaus in die Welt, um dort ein großes Spiel zu wagen.
In dieser Stimmung empfing er eines Morgens von Morgan den Auftrag, nach Galveston hinüberzufahren und daselbst Waarensendungen von Neuyork und Neuorleans in Empfang zu nehmen, und da ihm jede Gelegenheit willkommen war, eine Abwechselung in sein Leben zu bringen, so athmete er auch diesmal hoch auf und eilte schnell an Bord des Segelschiffchens, welches ihn nach der Insel hinübertragen sollte. Die Segel blähten sich über Harry, er ließ den Wind mit seinen Locken spielen und schaute nach der Niederlassung Morgan's mit dem Wunsche zurück, daß er sie niemals wiedersehen möge. Der Wind war frisch, das leichte Fahrzeug glitt eilig über die klaren Wogen, und schon nach wenigen Stunden schaukelte es sich an dem Werfte der Stadt Galveston. Harry begab sich sofort zu dem Spediteur, bei welchem die Güter lagerten, ordnete schnell sein Geschäft mit demselben und ging dann, um sich nach einem Pferde umzusehen, welches ihn hinaus auf die
Farm tragen sollte, wo seine Mutter und seine Geschwister wohnten.
Es gelang ihm bald, ein solches zugesagt zu bekommen, doch da das Thier in der Weide ging und erst geholt werden mußte, so wanderte Harry in der sandigen Straße hinauf nach einem Hotel, um sich dort etwas zu erfrischen und das Roß zu erwarten. Sein Weg führte ihn an einem Trinkhaus vorüber, und als er an dessen Veranda vorbeischritt, legte ihm plötzlich Jemand die Hand auf die Schulter. Er blickte sich um, und wer beschreibt sein Erstaunen, seine Freude, als er Holcroft vor sich sah.
»Holcroft! Holcroft! Ist es möglich? Sind Sie es wirklich?« rief Harry außer sich und schüttelte dem Sklavenhändler wieder und wieder die Hand.
»Ich mußte ja Wort halten, wenn ich lebendig dies Land wieder betrat«, entgegnete dieser, gleichfalls erfreut, und führte Harry in die Schenke, um das Wiedersehen durch einen guten Trunk zu feiern.
»Aber, was Teufel, wo haben Sie denn die furchtbare Narbe über dem Mund erhalten? Im ersten Augenblick machte sie mich zweifeln, ob Sie es wären oder nicht«, sagte Harry, nachdem sie beide ihre Gläser geleert hatten.
»Ein kleines Andenken an einen entscheidenden
Augenblick, und da derselbe zu meinen Gunsten entschied, so ist mir die Narbe nicht unangenehm. Am Trinken, wie Sie sehen, hindert sie mich nicht, und die Küsse der Schönen macht sie nicht weniger warm, denn der muthige Mann steht hoch bei den Weibern«, antwortete Holcroft lachend und schob seinem jungen Freunde die Flasche mit Cognac zu, damit er sein Glas wieder fülle. Dann fuhr er fort:
»Aber auch ich hätte Sie beinahe nicht erkannt, Williams; Sie haben ja einen famosen Bart bekommen. In diesem halbwilden Texas freilich wird er Ihnen wenig Freuden verschafft haben, aber kämen Sie damit nach Neuorleans, bei Gott, mancher Schönen würde es in den Fingern kitzeln, mit diesen glänzenden Locken zu spielen! Auf das Wohl der Mädchen und Frauen! Sie sind die Würze unseres Lebens, der Balsam für schmerzliche Wunden, die uns das Schicksal schlägt.«
Bei diesen Worten Holcroft's erhoben beide die Gläser, verneigten sich gegenseitig und leerten den Inhalt bis auf den letzten Tropfen. Darauf nahm der Sklavenhändler den Arm Harry's in den seinigen und ging mit den Worten mit ihm in die Straße hinaus:
»Wir haben viel mit einander zu sprechen, Williams. Lassen Sie uns eine Promenade nach dem Strande machen, die Seeluft ist kühl und erfrischend, und ich fühle mich dort mehr in meinem Elemente als hier in dem Sandstaub zwischen den sonnedurchglühten Häusern.«
Sie hatten bald die Stadt hinter sich und folgten einem Fußpfad, der durch die üppige Grasebene nach den hohen sandigen Dünen führte.
»Es gibt doch nichts Schöneres, nichts Kräftigenderes als das Meer!« sagte Holcroft, indem er auf der Höhe des Sandbergs stehen blieb und über den Golf hinzeigte, dessen schaumgekrönte Wogen dem Strande rauschend zujagten und brausend und zischend auf demselben vergingen. »Das Meer ist das wahre Bild der Freiheit. Dort gibt es keine Grenzen, keine Landstraßen, die uns die Wege vorschreiben, und wir hinterlassen keine Fährte, die verräth, woher wir kamen. Ich habe Ihrer recht oft auf meiner letzten Fahrt gedacht, Williams.«
Hierbei schritt Holcroft mit Harry den Hügel hinab auf den spiegelglatt gewaschenen festen feuchten Sand bis an die Meeresgrenze, welche die vor seinen Füßen ersterbenden Wellen beschrieben.
»Auch ich habe an Sie gedacht, Holcroft, ja, Sie sind mir in letzter Zeit keinen Augenblick aus dem Gedächtniß gekommen«, entgegnete Harry, den Arm des Sklavenhändlers nehmend. »Ich verzweifelte schon daran, Sie jemals wiederzusehen. Meine Verhältnisse, seit wir von einander schieden, waren unerträglich, die lange Weile hat mich fast getödtet.«
»So wäre Ihnen vielleicht ein Vorschlag zu einem freiern, ungebundenem Leben willkommen. Wie wäre es, wenn wir einen Ausflug zusammen machten?« fiel Holcroft aufmunternd ein.
»Darauf habe ich wahrlich zu lange gewartet, um mich noch zu besinnen; ich gehe mit Ihnen, und ginge es an das Ende der Welt«, antwortete Harry rasch und sah seinem Gefährten entschlossen in die Augen. »Vorausgesetzt, daß ich Geld dabei verdienen kann, denn Geld ist die Quelle alles Glücks«, fügte er noch halb fragend hinzu.
»Versteht sich von selbst. Glauben Sie denn, daß ich mir eine solche Narbe über die Lippen nicht theuer bezahlen ließe? Geld ist die Losung, wofür wir im schlimmsten Falle unser Leben einsetzen, welches ohne Geld doch nichts werth ist. Hier ist meine Hand. Williams, schlagen Sie ein: auf Treue im Glück und im Unglück.«
Mit diesen Worten hielt der Sklavenhändler seinem jungen Gefährten die Hand entgegen, und dieser schlug ein und sagte mit aufleuchtendem Blick: »Treue bis in den Tod!«
»Nun hören Sie«, begann Holcroft wieder, indem er an dem im Sande vergehenden Schaum der Wellen weiterschritt. »Von Brasilien aus hatte ich zwei Reisen nach der Küste von Afrika gemacht und zwei Ladungen Neger glücklich dorthin geführt, wodurch mir ein ansehnliches Vermögen zu Theil wurde. Ich war Willens, damit nach Neuorleans zurückzukehren und einige Jahre von meinem Fett zu zehren, die Unternehmer aber in Brasilien, für welche ich die Fahrten gemacht hatte, überredeten mich, noch einmal dem Glück die Hand zu bieten, und ich ließ mich darauf ein. Die Reise ging abermals erwünscht von statten, ich nahte mich mit einer vollen Ladung Afrikaner der Küste von Brasilien, als eine englische Corvette mich bemerkte und Jagd auf mich machte. Von Widerstand gegen dieses Schiff konnte keine Rede sein, ich floh, erkannte aber bald, daß ich ihm nicht entrinnen könne. Die Nacht kam mir zu Hülfe, ich verließ mit meiner ganzen Mannschaft unter dem Schleier der Dunkelheit in Booten meinen Schooner, gab dem Engländer Schiff und Ladung preis und erreichte glücklich die Küste. Dieser Verlust nahm mir wieder den größten Theil meines gewonnenen Geldes, und vor der Hand, solange dieser Kreuzer an der Küste lag, durfte man keine neue Unternehmung wagen. Ich entschloß mich daher, einen Abstecher nach den Vereinigten Staaten und hierher zu machen, nahm von meinen Geschäftsfreunden in Brasilien mit der
Zusicherung Abschied, nach einiger Zeit zu neuen Unternehmungen zu ihnen zurückzukehren, und hier bin ich nun, um mein Versprechen zu halten und Sie zu meinem fliegenden Kapitän zu nehmen.«
»Zum fliegenden Kapitän?« rief Harry hell auflachend. »Zu welcher Rangordnung gehört denn diese Würde?«
»Das ist leicht erklärt«, antwortete Holcroft. »Das Sklavenschiff bedarf zweier Kapitäne; der eine ist der wirkliche Fühler des Schiffs, welcher von der brasilianischen Marine seine Papiere erhält, um nach Afrika und zurück zu segeln. Da die Regierung selbst den Sklavenhandel als vortheilhaft für ihr Land heimlich unterstützt, so ist von seiten eines ihrer Kreuzer nichts zu fürchten. Gegenüber einem fremden Kriegsschiff aber bedarf es eines zweiten Kapitäns, welcher durch den amerikanischen Consul in Brasilien seine Papiere erhält, um nach der Küste von Afrika zu segeln und dort eine Ladung Palmöl, Goldstaub und Elfenbein einzunehmen. Diesen Kapitän nennen wir den fliegenden, weil er dann nur in seiner Würde erscheint, wenn das Schiff von einem fremden Kreuzer angesprochen wird. Da haben Sie nun Aufklärung über Ihren Rang und Ihre Stellung, die Ihnen hoffentlich wenig Mühe machen, doch nach einer glücklichen Fahrt wohl zehntausend Dollars als Ihren Antheil an der Ladung abwerfen wird.«
»Vortrefflich; ich werde meinem Amte Ehre zu machen suchen. Wann sollen wir reisen?« fiel Harry ein.
»So bald als möglich. Morgen gegen Abend wird ein Schooner von hier nach Neuorleans unter Segel gehen, und es wäre gut, wenn wir mit ihm führen. Warum sollen wir länger in diesem elenden Neste unsere schöne Zeit vergeuden? Eine Stunde in Neuorleans wiegt eine Woche in Texas auf«, versetzte der Sklavenhändler.
»So will ich mich sofort nach San-Jacintobai überfahren lassen und mit Morgan abrechnen, dann bin ich morgen frühzeitig wieder hier«, entgegnete Harry, und die neuen Verbündeten lenkten ihre Schritte sogleich nach der Stadt zurück. Harry mußte seinen Freund in das Gasthaus begleiten, um dort mit ihm zu speisen, und die Stunde, welche sie dabei verbrachten, schwand in Lust und Scherz. Champagner steigerte ihre heitere Stimmung, und als Holcroft seinen Gast nach dem Boote geleitete und dort auf baldiges Wiedersehen Abschied von ihm nahm, stellte er noch eine Flasche des schäumenden Weins für ihn in das Schiff, um ihn damit in guter Laune zu erhalten.