Armand (Friedrich Strubberg)
Saat und Ernte
Armand (Friedrich Strubberg)

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Siebentes Kapitel.

Die Sonne war im Scheiden, als Harry vor dem Geschäftslokal Morgan's auf das Werft sprang und den Schiffer verabschiedete. Der alte Neger, der vor demselben auf einer leeren Kiste gesessen und des jungen Herrn Rückkehr erwartet hatte, kam ihm entgegen und meldete ihm, daß Herr Morgan schon nach dem Wohngebäude hinaufgegangen sei, und fragte ihn zugleich, ob er das Haus verschließen solle. Harry aber sandte den Schwarzen seinem Herrn nach mit dem Bemerken, daß er noch Einiges hier zu thun habe, jedoch bald nachfolgen würde. Er trat ist das Comptoir und blieb in der Mitte desselben stehen. Ein Gefühl der Wehmuth überschlich ihn, es war ihm, als winkten ihm die Sessel, die Pulte, die Bücher Lebewohl zu, und seit langer Zeit zum ersten Male wieder war ihm das Zimmer, in dem er sich wie in einem Kerker eingeschlossen gefühlt hatte, lieb und traut. Er selbst hatte es ja geschaffen, hatte es nach eigenem Gefallen eingerichtet und den größten Theil der Arbeit darin gethan. Es war ihm leid, Abschied davon zu nehmen, und mit einem Anflug von Unentschlossenheit setzte er sich auf seinen Sessel und öffnete sein Pult. Er nahm Privatbriefe und Papiere aus ihm hervor, steckte einige derselben in seine Brusttasche und legte die übrigen in das Kamin, wo er sie verbrannte. Dann kehrte er an sein Pult zurück und machte einen Auszug aus dem Hauptbuch von seiner eigenen Rechnung mit Morgan. Dieselbe stand nicht sehr günstig, denn es kamen ihm nur noch vierhundert Dollars zu gute.

»Vierhundert Dollars!« sagte er halblaut. »Und was habe ich für das ausgegebene Geld gehabt? Ich habe nur die Langeweile damit zu tödten gesucht und bin doch keinen Tag ohne dieselbe geblieben. Fort, fort aus diesem trostlosen Kerker, in dem ich wie der Esel in einer Mühle gehe und schließlich nur genug verdiene, um meinen Hunger zu stillen!«

Bei diesen Worten sprang er auf, schlug das Pult zu und verließ mit seinem Rechnungsauszug in der Tasche das Haus. Er verschloß dasselbe und ging nun raschen Schrittes den Berg hinauf nach dem Wohngebäude, fest entschlossen, ohne Wanken mit Morgan abzurechnen und morgen früh dessen Haus für immer zu verlassen.

Als er die Treppe vor der Veranda erstieg, erblickte er in dem Düster, welches schon darunter herrschte, die Familie Morgan, welche sich erhob und ihm mit freundlichem Willkommen entgegeneilte.

»Sie kommen spät, lieber Williams; es ist Ihnen doch kein Unfall begegnet?« sagte Herr Morgan, indem er ihm die Hand reichte.

»Wir fingen an besorgt um Sie zu werden«, fiel dessen Gattin ein; »Eliza aber hat Sie zuerst kommen sehen, sie hatte sich das Fernglas geholt und erkannte Sie in dem Schiffchen, schon als Sie in die Bai einfuhren.«

Madame Morgan hatte ihm die Hand gedrückt, als auch deren Tochter Eliza ihm die ihrige gab und halb scherzend, halb ernst zu ihm sagte:

»Sie haben in Galveston vor lauter Geschäften keine Zeit gehabt, an uns zu denken, sonst wären Sie nicht so lange ausgeblieben; oder thaten Sie es, um zu sehen, ob wir uns recht um Sie ängstigen würden?«

»Nein, wirklich, Fräulein Eliza, die Geschäfte hielten mich zurück«, entgegnete Harry verlegen und wandte sich dann mit einer halben Entschuldigung nach dem Eingang des Hauses, weil die Freundlichkeit, mit der man ihn behandelte, seine Verlegenheit von Minute zu Minute steigerte.

»Bleiben Sie nicht zu lange auf Ihrem Zimmer,

Williams, das Essen wird sogleich bereit sein«, rief ihm Madame Morgan noch nach, als er in dem Corridor verschwand. Es lag ihm auf der Seele, als ob er ein Verbrechen begangen habe oder begehen wolle, er eilte in sein Zimmer, warf den Hut und aus seiner Tasche die Papiere auf den Tisch und ging dann gesenkten Hauptes in der Stube auf und ab.

»Nein, nein – was helfen mir alle die freundlichen Worte«, sagte er, plötzlich stehen bleibend. »Man fühlt, daß man mich im Geschäft nicht entbehren kann, und da sollen die Artigkeiten mich halten und bezahlen! Ich habe lange genug für Sie gearbeitet, Herr Morgan, nun will ich einmal für mich selbst sorgen!«

Bei diesen Worten trat er nach dem Spiegel hin und fuhr sich mit der Hand durch seine prächtigen Locken; da fiel sein Blick auf einen frischen Blumenstrauß, der vor dem Spiegel stand und den er in dem Düster nicht sogleich gesehen hatte. Er fuhr zusammen und sah den Strauß einige Augenblicke unbeweglich an, dann nahm er ihn mit dem Glas, in dem er stand, und trug ihn in die Helligkeit an das Fenster. Es war Eliza's Glas, Harry erkannte es sogleich, und als er den Strauß näher betrachtete, bemerkte er ein Papier, welches aus demselben hervorsah. Schnell zog er es heraus, sah im Entfalten desselben, daß es beschrieben war, und las: »Wie kannst Du uns Blumen so lange auf Dich warten lassen, wir geben ja gern unser Leben hin, um Dich zu erfreuen!«

Harry war tief ergriffen, er stand regungslos mit den Blumen und dem Papier in der Hand und schaute auf sie nieder, da trat plötzlich das Bild Holcroft's vor seine Seele, er sah sich mit ihm auf den Wogen des weiten Oceans und dachte an das ungezählte Gold, welches sie gewinnen würden.

»Thorheit«, sagte er, »diese Spielereien sind zu Ende, die Langeweile soll mich nicht mehr plagen!«

Dabei stellte er das Glas mit den Blumen entschlossen wieder vor den Spiegel, schob das Papier in seine Tasche und verließ seine Stube. In dem Augenblick, als er in das Speisezimmer trat, erschien von der andern Seite her Eliza mit zwei Lichtern in den Händen und hielt ihre großen dunklen Augen zwischen denselben durch mit strahlendem Blick auf Harry geheftet, dieser aber wich ihnen aus und schaute durch das Fenster nach dem Abendhimmel, dessen feuriges Roth sich von Minute zu Minute verdunkelte.

»Haben Sie die Waaren alle in gutem Zustand vorgefunden, lieber Williams?« fragte ihn Morgan, der seiner Tochter in das Zimmer gefolgt war.

»In bester Beschaffenheit, Herr Morgan; mit der ersten Schiffsgelegenheit werden sie hierher verladen werden«, entgegnete Harry kalt, sodaß der Ton, mit dem er es sagte, nicht allein Morgan, sondern noch mehr dessen Tochter auffiel, die sich halb erschrocken von dem Tisch, an welchem sie beschäftigt war, nach ihm umsah. »Wenn es gefällig ist, so laßt uns unser Abendbrod einnehmen«, sagte Madame Morgan in diesem Augenblick, und alle traten an den Tisch, verrichteten ein stummes kurzes Gebet und nahmen dann ihre gewohnten Plätze ein.

Während mehrerer Minuten herrschte ein unheimliches Schweigen und alle beschäftigten sich mehr wie gewöhnlich mit der Mahlzeit selbst. Morgans sämmtlich fühlten, daß Harry anders gegen sie gestimmt war als sonst, und zwar weniger freundlich, und sie dachten hin und her, was wohl die Ursache davon sein könne. Für Harry war deren Ernst angenehmer als deren gewohnte herzliche Freundlichkeit; er fühlte, daß es ihm in solcher Stimmung leichter werden würde, mit ihnen zu brechen, und so blieb er stumm und hielt seinen Blick auf seinen Teller gerichtet. Madame Morgan aber unterbrach die Pause, indem sie Harry fragte, ob er seine Mutter und Geschwister besucht und ob er sie wohl angetroffen habe.

»Es fehlte mir die Zeit dazu und außerdem war zufällig kein Pferd zu haben, um darauf hinauszureiten«, antwortete er und machte seiner Rede dadurch schnell ein Ende, daß er die Tasse zu seinen Lippen erhob.

Madame Morgan versuchte es wieder und wieder, durch Fragen die Unterhaltung zu beleben, Harry wurde dadurch nur noch mehr in seiner Wortkargheit bestärkt. Eliza war stumm und sah nur von Zeit zu Zeit flüchtig nach ihm hin mit einem Blick, der ihm ihr Erstaunen, ihre Angst aussprach, und Morgan saß in Gedanken versunken und rollte eine Brodkugel zwischen den Fingern. Um alle dieser peinigenden Stimmung zu entreißen, erhob sich Madame Morgan zuerst und verließ dann mit ihrer Tochter das Zimmer.

»Es ist Ihnen etwas Unangenehmes widerfahren, lieber Williams«, hob Morgan zu diesem gewandt an; »was es aber auch sein mag, so wissen Sie doch, daß Sie keinen treuern Freund haben, als ich es Ihnen bin, und daß Ihnen Niemand näher steht als ich; darum müssen Sie mir aber auch vertrauen und mir gerade heraus sagen, wo es Ihnen fehlt und wie ich Ihnen dabei helfen kann.«

Harry hatte seine vollständige Fassung wieder in dem Augenblick, als die Damen das Zimmer verließen, er schob seine Rechte in seinen Busen, schaute Morgan mit der größten Ruhe in die Augen und sagte:

»Herr Morgan, nur wir selbst können darüber entscheiden, ob uns im Leben eine Stelle zusagt oder nicht; ich für meine Person bin jetzt nach langem Zögern zu der Ueberzeugung gekommen, daß die meinige durchaus nicht für mich paßt, und darum habe ich beschlossen, sie aufzugeben. Ich werde morgen früh nach Galveston und morgen Abend von da nach Neuorleans fahren.«

Morgan schrak zurück, als wenn der Blitz vor ihm eingeschlagen hätte, er sah Harry an, als wolle er sich noch überzeugen, ob derselbe wirklich ihm diese Mittheilung gemacht habe, als traue er seinen eigenen Ohren nicht, Harry's Züge aber zeigten unverändert dieselbe Ruhe, mit der er geredet hatte.

»Ist das wirklich Ihr Ernst, Williams, was Sie mir gesagt haben?« begann Morgan endlich, sich nach und nach wieder sammelnd. »Ist das Ihr Ernst, Herr Williams?« fragte er nochmals, aber mit viel festerer Stimme, und heftete seinen strafenden Blick auf denselben.

»Mein vollster Ernst, Herr Morgan«, entgegnete Harry ebenso ruhig.

Diese Antwort erschütterte Morgan sichtbarlich noch mehr als die erste, im nächsten Augenblick aber kam eine eisige Ruhe über sein Aeußeres, er richtete sich hoch auf und sagte:

»So danke ich Ihnen in meinem und in der Meinigen Namen für diesen Ihren Beschluß. Ich habe durchaus nichts dagegen einzuwenden, muß aber auf das ernsteste eine Bitte an Sie stellen, die, daß Sie meinen Damen nicht eine Silbe davon wissen lassen. Gehen Sie jetzt auf Ihr Zimmer, morgen früh rechnen wir ab, und dann schiffen Sie sich ein, ohne von meiner Frau oder meiner Tochter Abschied zu nehmen. Es ist dies eine Rücksicht, die Sie mir und den Meinigen schuldig sind und die ich auf das bestimmteste von Ihnen verlange. Schlafen Sie wohl.«

Bei diesen Worten machte Morgan eine kalte Verbeugung und wandte sich dann von Harry ab, welcher rasch das Zimmer verließ und nach seiner Stube gmg.

Harry's besseres Gefühl sträubte sich gegen seine Handlung, vergebens bekämpfte er die innere Stimme, die ihm schmählichen Undank gegen Morgan und abscheuliche, grausame Herzlosigkeit gegen dessen Tochter vorwarf, und umsonst suchte er diese Vorwürfe dadurch von sich zu weisen, daß er seine Verdienste für die Familie aufzählte; er fühlte sich vor ihr herabgewürdigt und verächtlich und verlangte nach dem Augenblick, wo er sich deren Gesichtskreis für immer entziehen würde. Er verbrachte eine schlaflose Nacht; bei dem ersten Tageslicht verließ er sein Lager, packte seinen Koffer und sah dann mit Beklommenheit und Widerwillen der Frühstückszeit entgegen, wo er noch einmal seinen gewohnten Platz an dem Tisch einnehmen mußte. Unruhig schritt er im Zimmer auf und nieder, legte sich in das Fenster und blickte über die See oder warf sich auf sein Bett und schloß die Augen, bis endlich der Neger in sein Zimmer trat und ihn zum Frühstück rief. Zugleich sagte derselbe, daß Herr Morgan ihm befohlen habe, die Sachen des Herrn Williams nach dem Lagerhause zu tragen, worauf Harry dem Diener sein Gepäck übergab, nochmals vor den Spiegel trat und dann mit möglichst gleichgültiger Miene hinunter in das Speisezimmer ging.

Der früher immer so heitere herzliche Morgengruß blieb heute allen halb auf den Lippen zurück, eine peinigende Stille herrschte bei Tische, und kaum hatte Harry sein Frühstück eingenommen, als Herr Morgan sich erhob und jenem einen Wink gab, ihm zu folgen. Beide verließen rasch das Zimmer und begaben sich nach dem Geschäftsgebäude hinunter.

»Haben Sie Ihre Rechnung in meinem Buche abgeschlossen, Herr Williams?« fragte Morgan diesen, als sie in dem Comptoir anlangten.

»Ja wohl, Herr Morgan, hier ist eine Abschrift davon«, entgegnete Harry kurz und reichte jenem den

Auszug hin, den er am Abende vorher gemacht hatte.

»Hiernach haben Sie noch vierhundert und zehn Dollars von mir zu fordern«, sagte Morgan, das Papier überblickend, zog eine Brieftasche aus seinem Rock und nahm Banknoten zu diesem Betrag aus derselben hervor, die er Harry mit den Worten reichte:

»Hier ist das Geld und unsere Rechnung ist somit für immer geschlossen. Mein Neger hat Ihre Effecten bereits in das Boot getragen, welches Ihrer wartet. Herr Williams.«

Hiermit deutete Morgan ihm mit einem Blick nach der Thür an, daß er sich entfernen möge, und Harry folgte der Aufforderung.

»Leben Sie wohl, Herr Morgan«, sagte er im Gehen, dieser aber gab ihm keine Antwort darauf.

Das Gefühl der tiefen Herabsetzung und Demüthigung, womit Harry das Haus verließ und nach dem Werfte ging, suchte er zu bewältigen und zu verbergen, indem er den Arm keck in die Seite setzte und den seidenen Handschuh in seiner Rechten spielend durch die Luft schlug, es war ihm aber, als ob ihn die Scham erdrücken wolle, als er an dem alten Neger vorüberschritt und dieser ihn verwundert anschaute. Schnell sprang er in das Boot, stieß es selbst vom Werfte ab und warf sich auf die Bank am Ruder nieder, während der Schiffer das Segel dem Winde preisgab und der Nachen eilend das Ufer verließ.

Holcroft harrte am Strande, als sein junger Verbündeter sich demselben nahte, und winkte ihm schon von weitem sein Willkommen zu. Indem das Boot landete, reichte er Harry die Hand und sagte:

»War ich doch wahrlich in Zweifel, ob Sie so bald kommen würden. Nun, Glück auf, der erste Schritt in das neue Leben ist gethan!«

»Man hat es mir schwer genug gemacht. Morgan wollte mich durchaus nicht gehen lassen, er bot mir höhern Gehalt, bot mir dann Theil in seinem Geschäfte an und wollte mich schließlich noch zu seinem Schwiegersohne machen, ich aber blieb fest und ging«, versetzte Harry mit stolzem Tone und schüttelte dem Sklavenhändler die Hand.

»Recht haben Sie gethan, Williams. Ein Mann von Ihren Fähigkeiten ist nicht geboren, um damit andern Leuten ein angenehmes, sorgenfreies Leben zu erarbeiten, seine Ueberlegenheit über den großen Haufen berechtigt ihn, auf Kosten desselben sich selbst ein solches zu verschaffen und die Freuden zu genießen, die uns in so reicher Fülle geboten werden. Nun fort von diesem elenden Platze! Heute Abend bei

Sonnenuntergang lichtet jene Brigg dort die Anker, und sie wird uns hoffentlich übermorgen wohlbehalten in Neuorleans an das Land setzen; dort blüht unser Weizen!«

Hiermit reichte Holcroft seinem jungen Freunde den Arm, sagte dem Schiffer, daß er das Gepäck des Herrn Williams würde abholen lassen, und schritt mit diesem nach dem nächsten Trinkhaus, um auf die schöne Zukunft ein Glas zu leeren. Harry theilte dem Sklavenhändler dort mit, daß er nothwendig seiner Mutter einen Besuch machen und Abschied von ihr nehmen müsse, da die Zeit seiner Rückkehr hierher so sehr unbestimmt sei, worauf Holcroft sich erbot, ihn dorthin zu begleiten. Sie verschafften sich ein Cabriolet, und ehe eine halbe Stunde verstrich, fuhren sie in fliegendem Trabe auf dem glatten Meeresufer dahin, sodaß oft der Schaum der Wogen durch die Räder des leichten Fuhrwerks zischte.

Madame Williams vernahm mit großem Leidwesen die Trennung ihres Lieblings von der Familie Morgan, zumal da Harry ihr sagte, er habe eine Stelle in Neuorleans angenommen. Die glänzenden Aussichten aber, die seiner Versicherung nach dort seiner harrten, beruhigten sie einigermaßen, und als er nach kurzem Zusammensein von ihr schied, gab sie ihm ihren Segen mit auf den Weg.

Noch vor Untergang der Sonne kehrte er mit

Holcroft nach Galveston zurück, zeitig genug, um sich an Bord der Brigg zu begeben, die sie nach Neuorleans tragen sollte. Ihre Reise ging rasch und glücklich von statten, denn am dritten Morgen erwachten sie vor dem Werfte dieser Stadt, wo ihr Schiff in der Nacht angelegt hatte. Ihre Uebersiedelung von Bord der Brigg nach dem St.-Charleshotel wurde sofort bewerkstelligt, sodaß sie ihr heutiges Frühstück schon in diesem Hause der Pracht und des üppigsten Wohllebens verzehrten.

Harry hatte das Ziel seiner Sehnsucht erreicht, er war wieder in dem Orte der Freude, der Lust eingekehrt, und mit vollen Zügen wollte er sich deren Genuß hingeben, ehe er das Hazardspiel seines vor ihm liegenden Lebens begänne. Darum schlug er seinem Freunde vor, das schon am folgenden Tage nach Rio Janeiro abgehende Paquetboot unbenutzt segeln zu lassen und sich erst einige Wochen für vergangene und zukünftige Entbehrungen zu entschädigen, wozu der Sklavenhändler freudig seine Einwilligung gab.

Neuorleans befand sich in seiner Glanzzeit. Es war gedrängt voll von Fremden aus allen Weltgegenden; das Geschäft hatte seit Jahren nicht einen solchen Umfang gehabt als in diesem Winter, und wohl niemals waren die reichen Creolenfamilien aus dem Lande zahlreicher hier versammelt gewesen als in dieser Zeit. Pracht und Reichthum glänzten in den Straßen und auf den Promenaden und Feste und Lustbarkeiten aller Art bewegten Nacht für Nacht die Stadt.

Harry Williams, aus frühern Zeiten der Liebling der schönen Welt, wurde von dieser jetzt noch schöner, noch liebenswürdiger gefunden und durfte bei keiner Soiree, bei keinem Balle fehlen. Abends, wenn die Sonne ihre Kraft verlor, flog er in elegantem Cabriolet, von einem prächtigen Roß gezogen, mit einer der schönen Töchter der vornehmen, ihm befreundeten Familien auf der Muschelstraße hin, ging später mit seinen jungen Freundinnen im traulichen Lichte des Mondes auf dem herrlichen, viele Meilen langen Werfte an dem Ufer des Mississippi spazieren und besuchte mit ihnen die Conditoreien, um sie durch Eiscrême oder Sodawasser zu erfrischen. Die späte Nacht aber gehörte den Freuden, die er mit seinem Freunde Holcroft gemeinschaftlich genoß und aus deren Zaubergewalt er wonnetrunken immer erst gegen Morgen in das Hotel zurückkehrte.

So verstrichen einige Wochen, während welcher Harry nicht daran gedacht hatte, daß bei solchem Leben sein geringer Kassenbestand nicht lange ausreichen würde; als er aber nun die letzte Fünfzigdollarsnote wechselte, um zehn Dollars für einen Blumenstrauß zu zahlen, den er einer Dame für den Ball an diesem Abend zusenden wollte, da erschrak er und die Frage, woher mehr Geld nehmen, drängte sich ihm sehr beunruhigend auf, denn Geld mußte er haben, ohne Geld konnte er ja an diesem Orte nicht einen Tag leben! Sein erster Gedanke bei dieser Frage fiel auf Holcroft, doch unwillkürlich wich er vor dessen Bild zurück. So sehr befreundet und vertraut er auch mit dem Manne war, so lag doch etwas in dessen Wesen, was ihm jede Bitte der Art an denselben untersagte. Dessen eiserne Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von der menschlichen Gesellschaft, die er nur zu beachten schien, um auf ihre Kosten ein genußreiches Leben zu führen, sowie dessen kalte, gefühllose Berechnung seiner Pläne und Unternehmungen standen mit der Bereitwilligkeit, einem Andern aus einer Verlegenheit zu helfen, in so grellem Widerspruch, daß Harry ein solches Gesuch als vollständig zwecklos erkannte. Geld aber mußte er sich verschaffen, denn das nächste Schiff nach Rio Janeiro sollte erst in acht Tagen segeln. Womit sollte er während dieser Zeit seine laufenden Ausgaben bestreiten? Womit sollte er seine bedeutende Rechnung in dem Hotel bezahlen und wie konnte er ohne Geld sich für die bevorstehende Reise ausrüsten? Unter seinen vielen Freunden und Bekannten hier in der Stadt war nicht einer, an den er sich um ein Darlehen hätte wenden können, und nach Texas zu schreiben, wo er solche Freunde besaß, war unnütz, da die Zeit bis zu seiner Abreise eine Antwort von dort nicht mehr ermöglichte.

Während er nun berechnete, wie lange ein Brief nach Galveston und von da in das Innere des Landes unterwegs sein würde, zog er ein Schreiben eines Freundes, der eine große Baumwollenplantage am Brazosfluß besaß, aus seiner Brieftasche hervor. Dieser Freund, einer der reichsten und bedeutendsten Männer in Texas, davon war Harry überzeugt, würde ihm mit Freuden die nöthige Summe vorstrecken, wenn nur die Möglichkeit vorhanden gewesen wäre, noch zeitig dessen Antwort zu erhalten. Dies war aber nicht der Fall, und einen Wechsel auf denselben von Harry gezogen konnte dieser nicht für baar verkaufen. Seines Freundes Unterschrift allerdings wäre baares Geld gewesen. Während Harry nun noch hin und her dachte und berechnete, ob nicht doch eine zeitige Antwort zu erlangen sei, wenn der Brief von Galveston aus durch einen expressen Boten befördert würde, hatte er unwillkürlich die Feder ergriffen, und schrieb im Gedankenspiel die Unterschrift seines Freundes, die er in dessen neben ihm liegenden Briefe vor Augen hatte, auf ein Blatt Papier. Er hatte sie langsam nachgezeichnet, blickte sie einen Augenblick an und in seinem Spiel fortfahrend, schrieb er sie noch einmal flüchtiger darunter. Als ob ihm selbst die Treue der Abschrift auffalle, verglich er sie wie erstaunt mit dem Original und schrieb dann noch schneller eine dritte Copie darunter. So flog der Namenszug seines Freundes wieder und wieder und mit immer größerer Leichtigkeit aus seiner Feder auf das Papier, bis endlich zwischen dem Original und der Abschrift auch nicht der unbedeutendste Unterschied mehr zu erkennen war.

Harry hielt inne und sah festen Blicks auf das Papier. Mit dieser Unterschrift, das wußte er, konnte er eine Note zu einem bedeutenden Betrag an irgend einen Geldwechsler hier verkaufen und sein Freund, davon war er ja überzeugt, würde ihm gern das Geld vorschießen! Was für ein Unterschied war denn nun dabei, ob dieser ihm das Geld schickte oder ob er dasselbe sich durch eine Note mit dessen Unterschrift verschaffte? Er konnte es ihm ja ebenso gut seiner Zeit zurückgeben, als ob er es ihm gesandt hätte.

Daß sein Freund die Note als eine gefälschte nicht bezahlen und daß der Wechsler hier das Geld verlieren würde, das kam Harry wohl in den Sinn, er hielt aber an dem Gedanken fest, daß sein Freund ihm gern helfen würde und daß es darum kein Unrecht sei, ihm die Gelegenheit dazu zu geben.

Er stand auf und schritt im Zimmer auf und nieder, blieb aber jedesmal bei dem Tische stehen und blickte auf die nachgemachte Unterschrift. Von Entdeckung konnte keine Rede sein, sein Freund selbst mußte die Schrift für seine eigene halten. Warum noch zögern? Geld mußte Harry sich verschaffen, die Noth, die Verhältnisse zwangen ihn dazu. Entschlossen setzte er sich jetzt an den Tisch nieder, schrieb eine Note über neunhundert und siebzig Dollars und unterzeichnete sie mit dem Namen seines Freundes, des reichen, hochangesehenen Mannes in Texas.

Die Fälschung war soweit vollbracht, wie wenn man die Kugel in den Lauf gestoßen hat, mit welcher man einen Mord begehen will.

Harry faltete die Note zusammen und legte sie in seine Brieftasche.

Ueber die Art und Weise, wie er sie einkassiren sollte, war er noch nicht mit sich einig. Nicht daß es ihm an Entschlossenheit gefehlt hätte, dies Geschäft selbst zu besorgen, warum aber sollte er sich als den Verkäufer angeben?

Er ging im Laufe des Nachmittags einige Male an dem Hause des Geldwechslers vorüber, von dem er wußte, daß er für seinen Freund in Texas, dessen Namen auf der Note stand, alle Geldgeschäfte in dieser

Stadt besorgte, doch der Tag verstrich, ohne daß er den Verkauf bewerkstelligt hätte. Am folgenden Morgen aber begab er sich mit der Note in der Hand rasch zu seinem Freunde Holcroft und sagte, indem er ihm das Papier lachend entgegenhielt:

»Unverhofftes Glück, Holcroft! Da fliegt mir Geld zu, welches ich schon längst als verloren aufgegeben hatte, welches mir aber im Augenblick sehr willkommen erscheint. Es ist eine alte Forderung, die ich meinem Freunde in Texas zum Einziehen übergeben hatte und wofür derselbe mir so eben seine Note sendet. Sie müssen mir dieselbe bei Henry Lee und Compagnie zu Gelde machen, da diese Leute mit meinem Freunde in Verbindung stehen.«

Der Sklavenhändler stutzte und heftete seinen scharfen Blick halb erstaunt auf das Antlitz des jungen Mannes, indem er sagte:

»Ich? Warum wollen Sie es nicht selbst thun?«

»Aus einem einfachen Grunde«, antwortete Harry lachend; »weil ich dem Herrn Lee noch einige Hundert Dollars schulde, die ich ihm noch ein wenig länger schuldig bleiben möchte; wenn ich selbst ihm die Note bringe, so zieht er mir dies sein Guthaben an dem Betrage ab. Ob der Kerl jetzt oder in einem Jahr das Geld bekommt, macht ihm nichts aus, mir aber sind die paar Hundert Dollars im Augenblick sehr angenehm. Es ist ja eine kleine Mühe für Sie.«

»Der ich mich mit Freuden unterziehe«, entgegnete jetzt der Sklavenhändler heiter. »Geben Sie her, es ist immer gut, mit Zahlen seiner Schulden auf sich warten zu lassen, bis man des Geldes selbst nicht benöthigt ist.«

Hiermit nahm er die Note, setzte seinen Hut auf und eilte aus dem Zimmer. Harry aber legte sich in das Fenster und sah ihm nach, bis er ihn an der nächsten Straßenecke aus den Augen verlor. Dann schritt er, vor sich hinschauend, mit den Händen in den Rocktaschen im Zimmer auf und nieder und trat nach einiger Zeit wieder an das Fenster, um die Straße hinaufzusehen. Nachdem er dies einige Male wiederholt hatte, blieb er im Fenster liegen, um Holcroft's Erscheinen zu erwarten.

Gleich darauf trat derselbe auch wieder in die Straße ein und nahte sich dem Hotel in seinem gewohnten ruhigen, unbekümmerten Schritte.

»Er hat das Geld!« sagte Harry mit einem tiefen Athemzuge, als fiele ihm eine schwere Last von dem Herzen. Dann ging er in das Zimmer zurück, warf sich nachlässig in den Schaukelstuhl, schlug das Bein über und schwang es spielend auf und nieder.

»Verdammt warm«, sagte der Sklavenhändler, indem er in das Zimmer trat; »der Weg kostet Ihnen heute Abend ein Flasche Champagner.« Dabei griff er in die Tasche und legte den Betrag der Note in Bankscheinen mit den Worten auf den Tisch:

»So, nun mag Ihr Herr Lee mit seiner Forderung zum Teufel gehen. Es ist doch gut, wenn man einen Freund hat.«

»Ich danke Ihnen, lieber Holcroft«, entgegnete Harry, ohne sich aus seiner Lage zu erheben und ohne nach dem Gelde hinzusehen. »Was fangen wir heute Abend an? Ich bin frei, wenigstens bis jetzt habe ich noch keine Einladung erhalten.«

»So lassen Sie uns eine Partie auf dem Mississippi hinauf nach Carrollton machen; in dem Gasthaus bei dem Franzosen finden wir elegante Bequemlichkeit und seine Bedienung; die Würze aber müssen wir mitbringen. Was meinen Sie, wenn ich unsere schönen Freundinnen Seline und Miralda dazu einlüde?«

»Vortrefflich«, antwortete Harry, »und den nöthigen Champagner nehmen wir gleichfalls mit. Besorgen Sie die Einladungen, ich werde mich nach einem passenden Boote umsehen.«

In Lust und Freude schwanden Harry und dem Sklavenhändler die Tage bis zu ihrer Abreise, welche sie an einem heitern Morgen, vom herrlichsten Wind begünstigt, in einer schnellsegelnden Barke bewerkstelligten. Von seinem weißen aufgeblähten Leinen überwölkt, zog das schöne Schiff stolz über die spielenden grünen Wogen des Golfs, und die beiden Reisenden zählten die Tage, bis sie Rio Janeiro erreichen würden, und bauten die kühnsten Luftschlösser für ihre nächste Zukunft. Während einer vollen Woche schaukelte sich die Barke auf ihrem furchenlosen Wege dahin, kaum daß ihre Segel anders gesetzt worden wären, und wie auf einer Lustfahrt erreichte sie die Küste von Südamerika. Plötzlich aber an einem frühen Morgen zeigte sich im Westen schweres Gewölk am Himmel und stieg rasch und drohend an ihm auf. Mit den Wolken kam der Wind gezogen, die Wogen hoben sich höher, ihre Häupter bedeckten sich dichter mit Schaum und die Barke begann heftig zu arbeiten. Sie wurde mehr und mehr ihrer Segel beraubt, bis sie nur noch genug Leinen trug, um dem Druck des Steuers zu folgen. Es war ein schweres Wetter im Anzug. Der Kapitän ließ alle Vorbereitungen treffen, um dem nahenden Sturm zu begegnen, die Luken wurden dicht gemacht, die Anker in Bereitschaft gehalten, das große Boot von unnöthigen Banden befreit und das Verdeck von Allem gesäubert, was schneller Bedienung des Fahrzeugs im Wege sein konnte. Mit dem Untergange der Sonne sprengten die Elemente ihre letzten

Fesseln und ein fliegender Orkan peitschte über die Wogen und trieb deren Gischt heulend und pfeifend vor sich her. Die gute Barke bäumte sich hoch gegen die furchtbare Gewalt der rollenden Flutenberge, sie zitterte und stöhnte in allen ihren Fugen und schoß in die gähnenden Schlünde hinunter, als wolle sie sich unter der nächsten Riesenwelle begraben; aber immer warf sie sich schüttelnd die über sie stürzenden Seen von ihrem Rücken ab und stieg wie ein bäumendes Roß aus dem Wassergrabe empor. Die Nacht brach herein und bald war der letzte Schimmer von Helligkeit verschwunden, eine rabenschwarze Finsterniß lag auf Schiff und Meer, für das Auge gab es keinen Wirkungskreis mehr und das Ohr wurde von den Sturmaccorden erschüttert und betäubt.

Harry stand auf dem hintern Verdeck an den Mast gelehnt und dachte an sein ruhiges Leben bei Morgan, als plötzlich eine Woge sich donnernd gegen die Seite der Barke warf, an ihr emporstieg und das ganze Schiff überflutete.

Harry klammerte sich an dem Mast fest, um nicht von der Welle mit fortgerissen zu werden; Holcroft aber, der neben ihm stand, griff nur nach einem schwachen Tau, um sich aufrecht daran zu halten.

In dem Augenblick, als die Barke sich hob und die

Flut von ihr hinab in die See strömte, sprang der Sklavenhändler dem Manne am Steuer zu Hülfe, denn das Ruder war dessen Hand entfahren, das Schiff hatte sich mit seiner Seite dem Sturm und den Wogen zugewandt und die See stürzte über dasselbe hin. Der Untergang schien jetzt unvermeidlich, die Masten ächzten, das Tauwerk riß, Fässer, Kisten und Kasten stürzten und rollten über das Verdeck gegen die Brüstungen, dieselben brachen und flogen mit in die See hinaus und einzelne durch den Sturm tönende Hülferufe verkündeten, daß die Flut auch mehrere von der Mannschaft mit sich fortgerissen habe.

Holcroft aber stemmte sich mit eisernem Arme gegen das Ruder und wandte das Schiff von der Gewalt des Sturms ab, bis es wieder, mit den Wogen treibend, auf denselben dahinschoß. Seine gewaltige Stimme übertönte jetzt den Alles betäubenden Sturm, er rief die Mannschaft zu sich heran, damit sie ihm helfe, das Schiff zu retten, und hörte von ihr, daß außer mehreren Matrosen auch der Kapitän über Bord geschwemmt sei. Holcroft ließ nun Laternen auf das Verdeck bringen und sah, daß das Tauwerk am hintern Mast gerissen war, sodaß derselbe das kleine Sturmsegel nicht mehr tragen konnte. Er ließ ein solches trotz des furchtbaren Arbeitens der Barke an dem vordern Maste aufziehen, erkannte aber nur zu bald, daß das Schiff mit diesem Segel dem Steuer nicht folgen wollte. Dabei stöhnte der große Mast lauter und gefahrverkündender, er neigte sich immer weiter über die See hinaus und das Schiff begann sich bald links, bald rechts dem Sturme entgegenzudrehen. Da stürzte abermals eine Riesenwoge dem Fahrzeug entgegen auf das Verdeck und schwemmte mit dem Ueberrest der Brüstung noch einen Matrosen mit sich fort.

»Macht das Boot fertig!« schrie jetzt der Sklavenhändler durch den Sturm der Mannschaft zu und band das Ruder fest, faßte dann Harry beim Arm und zog ihn mit sich fort über das Verdeck dem Platze zu, wo die Matrosen im nächsten Augenblick zusammensprangen, um seinen Befehl auszuführen. Das Boot hing schon über dem Meere, und Holcroft, der selbst mit Hand anlegen wollte, um es hinabzulassen, ließ Harry's Arm los und rief ihm zu, sich an dem Tauwerk festzuhalten; in demselben Augenblick aber stürzte von der andern Seite her eine Welle über Bord und riß Harry mit sich hinaus in die See.


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