Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Die Stunde der Rache

Hell brannten in dunkler Nacht die Lagerfeuer der Jäger der Seminolen, die sich unter Führung Tomorhos am Ostrand des Llano Estacado auf Büffeljagd befanden. Die Nacht war still, meilenweit konnte man jeden Laut in der Wüste wahrnehmen. Einer der Wachtposten meldete Tomorho das Nahen eines Reiters.

Bald darauf wurde ein Weißer an das Feuer des Häuptlings geführt. Es war Duncan-Flournoy, der seiner Freude Ausdruck gab, hier im Süden so unverhofft auf einen Trupp Seminolen gestoßen zu sein. Tomorho hieß ihn an seinem Feuer willkommen. Von einem langen Tagesritt ermüdet, streckte sich der Trapper nieder.

Nachdem er gegessen hatte, erklärte er, daß er auf dem Wege zu Tallihadjo sei, um sein Herz zu erfreuen. Er könne ihm den letzten Wunsch seines Lebens erfüllen.

»Tallihadjo hat mir seine besten Felle versprochen, und ich hoffe, daß er sein Wort hält!«

»Tallihadjo hat noch nie sein Wort gebrochen«, erklärte Tomorho. »Will mir das Bleichgesicht nicht sagen, um was es sich handelt?«

»Um Ralph Norwood!«

Der Häuptling fuhr in die Höhe und starrte den Weißen mit wilden, glühenden Blicken an. Er haßte Ralph Norwood ebensosehr wie sein Vater, er kannte und teilte seinen brennenden Wunsch nach Abrechnung.

»Ich habe Ralph Norwood gesehen und kann dich zu ihm führen«, sagte der ehemalige Pirat lauernd. »Ich verlange die besten Felle Tallihadjos und genügend Packtiere, um sie und die Ausbeute in meinem Versteck oben am Canadian zum Verkauf in die Ansiedlungen zu bringen.«

»Du sollst haben, was du verlangst, wenn du mich zu Ralph Norwood führst, damit ich ihn fangen kann! Ich werde einen Boten an Tallihadjo senden, daß er hierher kommt. Inzwischen werde ich Norwood festnehmen und lebendig an dieses Feuer bringen, wo Tallihadjo Gericht über ihn halten kann.«

Duncan-Flournoy war damit einverstanden. Schon am nächsten Morgen brach er mit Tomorho und mehreren Kriegern nach Süden auf.

Seit dem Tage, an dem sein Sohn Tom gestorben und Flournoy so geheimnisvoll erschienen und verschwunden war, fand Ralph Norwood keine Ruhe mehr. Er trank übermäßig und war so unzugänglich, daß Eloise und Berenice ihn mieden, wo sie konnten. Böse Träume plagten ihn. Seine Opfer erschienen ihm, Milroy, Lacoste, Soublett, Tallihadjo auf den Trümmern des in die Luft gesprengten Dampfschiffes, Flournoy, wie er den Seminolen seinen Aufenthalt verriet. Er ließ eine hohe Palisadenwand um das Wohnhaus errichten, er ritt nicht mehr allein aus und schickte häufig Sklaven aus, um in der weiteren Umgegend nach Indianerspuren zu suchen. Und bei allen Nachbarn und vorüberkommenden Jägern zog er Erkundigungen über die Seminolen ein. Doch niemand wußte etwas über sie.

Der Tag schwand, und die Abenddämmerung brach herein. Farnwald war bei Eloise und Berenice zu Besuch gewesen, der General hatte sich nicht sehen lassen. Farnwald war in Eloise gedrungen, ihm doch zu erlauben, wegen Berenice und James Arnold mit Norwood sprechen zu dürfen. Aber Eloise hatte ihn gebeten, doch noch kurze Zeit damit zu warten. Heute sei der Zeitpunkt besonders ungünstig. Denn Ralph habe am Morgen einen Brief aus New Orleans erhalten, der ihm anscheinend eine sehr schlechte Nachricht gebracht habe. So sagte Farnwald den Frauen Lebewohl und ritt heimwärts.

In der tiefen Dämmerung des sinkenden Tages bemerkte er nicht die beiden dunklen halbnackten Gestalten, die unweit von Norwoods Plantage hinter einem Gebüsch am Waldrand lauerten.

Es war Tomorho mit einem seiner Krieger. Sie führten nur Tomahawk und Messer im Gürtel und hielten einen Lasso in der Hand.

Die Negersklaven kamen von ihrer Arbeit auf den Feldern und begaben sich durch das Tor in den Palisaden nach ihren Hütten. Ralph Norwood stand an dem Tor und zählte sie mit finsteren Blicken. Denn wenn der letzte Sklave heimgekehrt war, schloß er allabendlich eigenhändig das Tor.

Das Abendrot am Himmel war verglüht. Aus dem nahen Wald ließen Eulen ihren klagenden Ruf hören. Zwei Sklaven fehlten noch. Ein Aufseher erklärte, daß sie als letzte das Feld verlassen hätten und bald kommen müßten. Der General drohte, sie auspeitschen zu lassen, und schritt durch das Tor hinaus, um nach den beiden Ausschau zu halten.

Langsam ging er den Weg zum Wald hinab. Kurz vor dem Waldrand machte er mit einem Fluch kehrt und wandte sich dem Tor wieder zu. In diesem Augenblick sprang Tomorho lautlos aus dem Gebüsch, sein Lasso kreiste. Die Schlinge sauste über Norwoods Kopf, ein scharfer Ruck riß ihn jäh rücklings zu Boden. Schon waren Tomorho und sein Begleiter bei ihm. Blitzschnell schnürten sie Ralphs Hände und Füße mit Riemen zusammen. Der Mund wurde ihm verstopft.

Stieren Auges blickte Ralph auf die beiden Indianer, die ihn packten und hastig in den Wald zerrten. Ein Ruf, und zwei weitere Krieger tauchten auf, ergriffen den Gefangenen und schleppten ihn mit weiter in das Dickicht. Dann ging es auf einem schmalen Pfad in schnellem Lauf durch den Wald, bis ihnen unter einer uralten Lebenseiche, von deren weitausgestreckten Zweigen graues Moos bis auf die Erde herabhing und den Stamm wie ein Schleier umgab, ein kleines Feuer entgegenleuchtete.

Innerhalb dieses natürlichen Zeltes lag Flournoy mit zwei weiteren Seminolen. Er sprang auf, als die Mooswand sich teilte und Ralph hereingetragen wurde. Man setzte ihn auf die Erde nieder und befreite ihn von seinem Knebel.

»Ralph Norwood, du bist in der Gewalt Tomorhos!« sagte der Häuptling. »Er wird dich zu Tallihadjo führen. Die Stunde der Rache ist gekommen!«

Ralph war totenbleich, Angst verzerrte seine Züge. Jetzt erst fiel sein Blick auf Flournoy, der mit untergeschlagenen Armen dastand und schadenfroh lächelte. In wilder Wut riß er an seinen Fesseln.

»Lump, Schurke, dreckiger Verräter!« tobte er.

»Herr General, Sie beschuldigen mich ungerecht! Nur Ihren Greueltaten gegen meine Freunde, die Seminolen, haben Sie Ihr Schicksal zuzuschreiben!« Der Pirat wandte sich achselzuckend ab.

Man holte Pferde herbei. Ralph wurde auf einem festgebunden. Ein Seminole ergriff die Zügel. Ein Späher ritt voraus, und Tomorho folgte ihm nach einer Weile mit dem Gefangenen, Flournoy und den übrigen Kriegern.

Bald kamen sie aus dem Wald heraus auf die Prärie. Sie hielten ihre Pferde während der ganzen Nacht in eiligem Trab. Mit Tagesanbruch rasteten sie an einem Bach, stärkten sich und ließen die Tiere grasen.

Auch Ralph wurde gut verpflegt. Man sah seine Fesseln nach, daß sie ihm nicht ins Fleisch schnitten, und machte es ihm bequem, aber man gab ihm auf keine Frage eine Antwort.

Nach wenigen Stunden der Ruhe wurde die Reise nach Norden fortgesetzt. Das wogende wellenförmige Grasmeer nahm sie auf, das sich ringsum scheinbar unendlich bis zum Horizont dehnte. Nur hier und dort gab eine einzelne Mimose oder eine Ulme dem Auge einen Anhaltspunkt oder deutete ein schmaler Waldstreif Wasser an. Tagelang ging die Reise mit nur kurzen Unterbrechungen.

Die Einförmigkeit der Landschaft und das stete Schweigen der Indianer brachten Ralph zu immer größerer Verzweiflung. Erinnerungen umschwirrten ihn in wilden Schreckbildern. Er erlebte seine Jugend noch einmal, die zügellose Zeit in Columbus, den Tod des Vaters, die kurze Wandlung unter dem Einfluß der Arnolds, die verhängnisvollen Tage in Baltimore und dann die immer stärkere Verstrickung mit dem Bösen. Ralph wußte, was seiner harrte, nur zu gut war er mit den furchtbaren Grausamkeiten und Qualen bekannt, die von der Rache eines Indianers ersonnen wurden. Seine Angst steigerte sich von Tag zu Tag.

Das Grasmeer ging über in die Sandwüste des Llano Estacado, an dessen Rand der Reitertrupp entlangzog. Eines Abends bei Sonnenuntergang gaben ihm die lebhaften Bewegungen seiner Begleiter zu erkennen, daß sie etwas Besonderes erwarteten. Im Dunkel ging der Ritt weiter. Plötzlich blinkten Lagerfeuer auf. Der Platz war erreicht, an dem Tallihadjo den Zug mit dem Gefangenen erwartete.

In grimmiger Freude leuchteten die Augen des alten Häuptlings auf, als er Norwood erblickte. Schweigend musterte er den Mann, der mit eingefallenen Wangen und wirrem Bart nur ein Schatten von einst war.

Duncan-Flournoy näherte sich dem Häuptling und pochte darauf, daß er sein Wort gehalten habe und dasselbe nun auch von Tallihadjo erwarte.

»Dieser Schurke ist ein vielfacher Mörder!« schrie Ralph. »Er heißt nicht Duncan, sondern Flournoy und ist der blutige Seeräuber, der Eloise, meine Frau, verfolgte, bis sie an der Küste Floridas Schiffbruch erlitt. Er sollte in Baltimore gehängt werden ...«

Auf einen Wink Tallihadjos wurde er hinweggeführt. Höhnisch blickte Flournoy ihm nach.

Mit Sonnenaufgang ging der Ritt weiter. Wieder war das furchtbare Schweigen um Ralph, vergeblich suchte er Tallihadjo zum Sprechen zu bringen.

Dann endlich tauchte das Ziel der Reise auf. Schon von ferne zeigten Rauchsäulen an, daß man sich dem Dorf der Seminolen näherte. Nacht legte sich über die Prärie, die Sterne begannen zu funkeln. Jauchzen und Jubel empfingen die Heimkehrenden. Der kalte Angstschweiß brach Ralph aus allen Poren: diese Freudentöne galten ihm und seiner Gefangennahme.

Der Wald war erreicht. Männer, Weiber und Kinder drängten sich an den Zug heran. Mit Triumphgeschrei wurde der Gefangene nach der Hütte Tallihadjos gebracht. Ein Lagerfeuer loderte davor. Die Reiter saßen ab. Man hob Ralph von seinem Pferde.

Auch Flournoy stieg von seinem Rappen. Doch kaum hatte er den Boden betreten, als mehrere Lassoschlingen um seinen Hals fielen und er von einigen Kriegern niedergerissen und trotz verzweifelter Gegenwehr gefesselt wurde. Man schleppte ihn an das Feuer, wo man auch Ralph niedergesetzt hatte.

Alle Männer des Lagers versammelten sich. Tallihadjo nahm mit Tomorho den beiden Gefangenen gegenüber Platz, neben ihnen ließen sich die ältesten Krieger auf einen Wink nieder.

Mit lauter Stimme hub Tallihadjo an:

»Ralph Norwood, deine Verbrechen gegen mein Volk, gegen das Volk deiner Mutter brauche ich nicht aufzuzählen. Der Große Geist hat meine flehentliche Bitte erhört, mich nicht ohne deinen Skalp in die ewigen Jagdgründe zu meinen Vätern eingehen zu lassen. Er ist den Seminolen gnädig gewesen und hat dich in ihre Hände gegeben, um an dir den Untergang vieler Hunderter ihrer Brüder rächen zu können. Du wirst morgen sterben! Wir werden noch beraten und bestimmen, auf welche Weise! Ich selber fordere von dir nur deinen Skalp!«

Darauf wandte der Häuptling sich zu den alten Kriegern und trug ihnen auf, bei Tagesanbruch mit den übrigen Männern zu beschließen, wie Ralph Norwood getötet werden sollte. Dieser war keines Wortes mehr mächtig, er zitterte am ganzen Körper. Er wußte, daß ihn nichts mehr retten konnte.

Tallihadjo richtete nunmehr seine Blicke auf Flournoy: »Der Seeräuber Flournoy hat vielfach den Tod verdient. Er ist ebenso ein Verräter wie Norwood, den er um einiger Felle willen in unsere Hände lieferte. Er soll den gleichen Tod erleiden wie Norwood. Auf meine Gastfreundschaft hat er kein Recht, denn er wurde als Gefangener an mein Feuer gebracht. Seine Felle soll er haben, ich werde sie und seine eigenen Vorräte, wenn er mir ihr Versteck verrät, auf meinen Packtieren, wie ich es versprochen habe, dahin senden, wohin er bestimmt.«

Flournoy gab keine Antwort. Zu lange Jahre war er mit dem Charakter der Indianer bekannt, als daß er auf eine Änderung im Beschluß des Häuptlings gehofft hätte. Er versuchte es darum nicht. Mit verkniffenen Lippen starrte er vor sich hin.

Während dieser Nacht kam kein Schlaf in die Augen der beiden Verurteilten. Bald stierten sie sich gegenseitig mit Blicken des Hasses an, bald sahen sie auf Tallihadjo, der unbeweglich im Feuerschein vor ihnen saß und sie nicht aus den Augen ließ.

Bleicher Schimmer kündete das Nahen des Tages. Das Lager belebte sich. Alt und jung eilte dem Platz im Wald zu, an dem über die Todesart der Gefangenen beraten werden sollte.

Nur Tallihadjo blieb bei diesen am Feuer sitzen. Unheimliche Ruhe herrschte im Lager. Den Gefangenen dehnten sich die Minuten zu Ewigkeiten.

Plötzlich sahen sie die Indianer aus dem Walde mit schweren Lasten trockenen Holzes zurückkommen, die sie um einen einzelnen Baum auftürmten. Tomorho trat mit einigen alten Kriegern zu Tallihadjo und verkündete, daß die beiden Weißen den Feuertod sterben sollten. Ralph sank zitternd in sich zusammen. Flournoy suchte in einem Anfall verzweifelter Wut seine Fesseln zu sprengen. Schließlich brach er erschöpft nieder.

Der Holzstoß wuchs rasch. Die Frauen legten trockene Baumrinde und Reisig zwischen die Scheite, daß er nach der Entzündung schnell in vollen Flammen aufgehen mußte. Tallihadjo legte sich schlafen, Tomorho übernahm die Wache bei den Gefangenen, die von Minute zu Minute, von Stunde zu Stunde dem Schreckensaugenblick entgegenschauderten, in dem man sie dem furchtbaren Flammentod übergeben würde. Doch der Tag verstrich, ohne daß man sich um sie kümmerte.

Wie eine glühende Kugel versank die Sonne hinter dem dunklen flachen Rand der Prärie, da versammelten sich die Seminolen um den Holzstoß. Tallihadjo erhob sich von seinem Lager und gab einen Wink. Man packte die sich krümmenden Gefangenen und trug sie zu dem Scheiterhaufen. Frauen brachten brennende Fackeln herbei.

Es wurde Nacht. Im weiten Kreis standen die Seminolen, um dem Rachewerk beizuwohnen. In diesen vom Fackellicht erhellten Kreis schritt Tallihadjo. Mit finsterem Blick trat er vor Ralph.

»Ralph Norwood, die Stunde der Rache ist gekommen!« Er warf die Pantherhaut ab, die seinen Oberkörper verhüllte. In seiner Hand blinkte ein Messer. Plötzlich bückte er sich, griff mit der Linken in Ralphs Haar, seine Rechte führte blitzschnell den scharfen Stahl um Ralphs Schädel, dann ein Ruck...

Mit einem Triumphgeschrei richtete er sich in voller Größe auf, schwang die blutige Trophäe hoch über sich und zeigte sie seinem Volke. Das Wimmern und Ächzen des Skalpierten verhallte in ungestümen Jubelrufen.

Ein Wink des Häuptlings, und die Verurteilten wurden hochgehoben und mit den Rücken gegeneinander an den Baumstamm gebunden, der in der Mitte aufragte. Dann schleuderten die Frauen die Fackeln in den Holzstoß. Der aufsteigende Qualm entzog bald die beiden Männer den Blicken der wildjauchzenden Menge. Hoch wirbelte die Lohe über ihnen auf. Im Geprassel der Flammen und im Jubel der Seminolen erstickten ihre Schreie.

Monate später gelangte die Nachricht von dem furchtbaren Ende der beiden durch indianische und weiße Jäger zu Farnwald. Er teilte sie schonend Eloise und Berenice mit, die ihn bereits verlorengegeben hatten.

Die Frauen wohnten längst nicht mehr auf der Plantage. Die Gläubiger Ralphs hatten die Sklaven und das Vieh versteigert. Die Felder verwilderten, die Gebäude zerfielen.

James Arnold und Berenice hatten geheiratet. Eloise war zu ihnen in das schmucke Blockhaus gezogen. Nach den vielen Jahren des Leides hatte sie dort endlich Ruhe und Frieden gefunden. Was ihr versagt geblieben war, das sah sie dankbaren Herzens der Tochter beschieden: ein stilles Glück an der Seite eines redlichen, fleißigen und geliebten Mannes.


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