Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Städtisches Treiben

Wenige Tage später war das Haus des Präsidenten Forney abends festlich erleuchtet. Kutsche auf Kutsche kam in der Charles Street vorgefahren, eine neugierige Menge säumte die Marmortreppe, um die Gäste aussteigen zu sehen.

Es war eine erlesene Gesellschaft, die sich einfand, um der strahlenden Braut ihre Glückwünsche darzubringen. Der Kriegsminister und der Finanzminister waren mit ihren Frauen eigens von Washington herübergekommen, viele andere hohe Staatsbeamte und Kongreßmitglieder hatten sich eingefunden. Von Alexandria waren die Offiziere einiger Fregatten, die dort vor Anker lagen, erschienen. Die angesehensten Kaufleute, Reeder und Bankiers der Stadt waren zugegen.

Neben der schönen Eleanor war Frank Arnold als ihr Bräutigam der Held des Abends. Er war nur ein einfacher Bürger und Siedler, aber man fragte damals in den Vereinigten Staaten nicht nach Stand und Herkunft, sondern nur nach Tüchtigkeit und dem eigenen Verdienst eines Mannes. Der Weg zur höchsten Würde im Staate war jedem einzelnen offen.

Auch Ralph Norwood wurde als Franks Freund und Nachbar mit Hochachtung in dieser ausgewählten vornehmen Gesellschaft aufgenommen. Daß er sich nicht so recht wohlfühlte, machten die Erinnerung an seine so unnütz vergeudeten Jugendjahre und das Bewußtsein seiner Minderwertigkeit, wenn man ihn nach der Größe und Ertragsfähigkeit seiner Plantage fragte.

In der Fensternische des Empfangssaals stand Frank mit dem Kriegsminister und einigen Kongreßmitgliedern.

»Ich hätte nicht erwartet, gerade in Ihnen einen Verteidiger dieser zügellosen Seminolen zu finden, Mister Arnold«, sagte der Abgeordnete des Staates New York.

»Die Regierung der Vereinigten Staaten hat den Indianern im Friedensvertrag ihr Land als freies Eigentum zugesichert«, erwiderte Frank. »Die Weißen aber rauben ihnen ein Stück Land nach dem andern und treiben sie mit Gewalttaten in die Wälder und Sümpfe zurück. Ist es ihnen zu verdenken, wenn sie sich wehren?«

»Das große allgemeine Interesse steht über dem kleineren«, erklärte der Abgeordnete von Pennsylvania. »Sie müssen doch zugeben, daß so ein schönes Land wie Florida nicht immer von Wilden bewohnt werden kann!«

»Dann betrüge man diese Wilden nicht durch Freundschaftsversicherungen, sondern kaufe ihnen ihr Land ab und schaffe sie nach dem Westen, wo sie sich jenseits des Mississippi eine neue Heimat gründen können«, ereiferte sich Frank.

»Dieser Vorschlag wurde im Kongreß schon öfters vorgebracht, aber immer als unausführbar zurückgewiesen«, sagte der Kriegsminister. »Das unvermeidliche Ende wird darum doch nur ein Vernichtungskrieg gegen die Seminolen sein. Der Vormarsch der weißen Rasse ist nicht aufzuhalten!«

Umsonst bot Frank seine ganze Beredsamkeit auf, er fand kein Verständnis für die Indianer. Höchstens ein paar Worte des Bedauerns, meistens aber blinden Haß. Die Damen bemitleideten und bewunderten Eleanor ob ihrer Bereitschaft, die Herrlichkeiten der Großstadt gegen ein einsames Blockhaus und die gefährliche Nähe wilder Unmenschen einzutauschen.

»Frank ist ja bei mir!« lächelte sie. »Wenn ich Furcht hätte, würde ich nicht zu ihm passen!«

Glücklich drückte ihr Frank die Hand. Das Gespräch wandte sich anderen Dingen zu, den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen – denn Monroes Amtszeit ging 1824 zu Ende – und dem Seeräuber, der neuerdings sein Unwesen an der atlantischen Küste trieb.

Die Marineoffiziere erzählten, daß man den Sturmvogel im Verdacht habe, aber alle seine Papiere seien in Ordnung und eine Untersuchung des Schiffes nach verborgenen Waffen sei ergebnislos gewesen. Aber man würde das Schiff im Auge behalten, denn wahrscheinlich habe er seine Bewaffnung irgendwo an den waldigen Ufern der Bay zurückgelassen, um sie nach dem Auslaufen wieder einzunehmen.

»Aber wir werden den Burschen untersuchen, wenn er die Bay wieder verläßt«, sagte Commodore Perrywill. »Morgen lasse ich den Regierungskutter ›Lion‹ unter Segel gehen und vor Kap Henry kreuzen.

»Wenn der Sturmvogel erscheint, soll er ihn anrufen und borden. Weigert er sich, beizulegen, so wissen wir Bescheid. Und dann werden wir ihn schon kriegen!«

Der alte Seebär und Freund des Hauses Forney nahm sein Glas und erhob es:

»Und jetzt trinke ich auf das Wohl unseres lieben Brautpaares! Daß es immer so glücklich und beneidenswert bleiben möge, wie es heute abend ist!«

Es war nach Mitternacht, als die ersten Gäste sich verabschiedeten. Frank und Ralph brachen als die letzten auf.

Frank schlief schon längst, als Ralph noch wach lag. Mißgunst bohrte in ihm, weil man den Freund an diesem Abend so gefeiert und bevorzugt hatte. Er fühlte sich zurückgesetzt. Was bedeutete er in dieser vornehmen Gesellschaft? Nichts ohne Frank! Er war dessen Anhängsel, war ihm untergeordnet, weiter nichts! Zum ersten Mal keimte in seiner Brust Abneigung gegen den glücklicheren Freund auf, dem alles in der Welt zu lächeln und um den alles fröhlich zu sein schien.

In bester Laune brach Frank am andern Morgen auf, um mit Eleanor Besorgungen zu machen. In bitterer Stimmung blieb Ralph zurück. Diese Untätigkeit machte ihn unzufrieden, er bereute es, Frank auf seiner Reise begleitet zu haben.

Da klopfte es an der Tür, und Garrett trat ins Zimmer.

»Hallo, Freund! Um elf Uhr ist ein Pferderennen, ich wollte Sie dazu abholen! Vorher können wir noch ein Stündchen reiten. Ich weiß einen Leihstall mit vortrefflichen Gäulen!«

Nichts hätte Ralph im Augenblick erwünschter sein können, als ein toller Ritt. Er war sofort einverstanden, und beide eilten nach dem Reitstall.

In einer langen hohen Halle standen auf jeder Seite über fünfzig blankgeputzte schöne Tiere. Ralph war überrascht. Er suchte sich einen Fuchs aus. Der Wärter trat heran, ein junger Mann in weißem Hemd und schwarzen Reithosen, auf dem Kopf einen runden schwarzen Hut, und warnte vor der Wildheit des Pferdes, das nicht jeder reiten könne.

Aber Ralph befahl ihm, das Tier zu satteln. Nachdem sich auch Garrett einen Schimmel ausgesucht hatte, begaben sich die beiden in eine nahegelegene Wirtschaft, um zu frühstücken.

Als Ralph und Garrett in den Stall zurückkamen, waren ihre Pferde gesattelt. Beide stiegen auf. Kaum waren sie auf der Straße, als der Fuchs in einem hohen Bogen vorwärts schoß und dann mit den Hinterbeinen auskeilte. Ralph geriet in Zorn, gab dem Pferd die Sporen und riß seinen Kopf in die Höhe. Wutschnaubend machte das Tier rasche Seitensprünge und suchte seinen Reiter durch heftiges Prellen abzuwerfen. Aber Ralph saß wie angegossen. Da sauste der Fuchs in Karriere über das Steinpflaster dahin, daß die Funken stoben. Garrett konnte ihm kaum folgen. Schimpfend sprangen die Passanten zur Seite.

Bald hatten sie die letzten Häuser der Stadt hinter sich gelassen. Ralph gab dem Fuchs nochmals die Sporen und hieb ihm eins mit der Peitsche über, daß er wie rasend dahinflog. Als die beiden Reiter das Wirtshaus an der Rennbahn erreichten, wurden sie jubelnd begrüßt. Sie sausten vorbei. Allmählich erschöpften sich die Kräfte des Fuchses. Er ließ sich von Ralph zurücklenken. Garrett holte ihn nun ein, und beide kehrten um.

»Ich denke, die Bestie ist nun für immer kuriert!« Ralph wischte sich die Stirn.

»Alle Achtung vor Ihrer Reitkunst!« sagte Garrett. »Das tut Ihnen so leicht keiner nach!«

Sie übergaben ihre Pferde an der Rennbahn einem Wärter, der sie zum Abkühlen herumführen mußte. Garrett wurde sofort von einer Schar Bekannter begrüßt und stellte sie Ralph vor. »Sportsmen« nannte man diese Art Leute, deren Geschäfte oder Zeitvertrieb Wettrennen, Pferdehandel, Jagden und Spiel waren. Es war eine Mischung von reichen Nichtstuern und abgefeimten Betrügern.

Das Rennen wurde von zwei jungen Leuten veranstaltet, die um fünftausend Dollar gewettet hatten, wer von ihnen das schnellste Pferd habe. Von allen Seiten wurden nun hohe Beträge auf das eine oder andere Tier gesetzt.

Die Trompete rief zum Rennen. Die beiden Rennpferde wurden vorgeführt und einer genauen Prüfung unterworfen. Es waren zwei edle Tiere aus arabischem und englischem Blut, ein Rappe aus Virginia und ein brauner Hengst aus Tennessee.

Inzwischen wurden die beiden Knaben, die reiten sollten, mit Sattel und Zeug gewogen und der Unterschied ihrer Schwere durch Gewichte ausgeglichen. Dann wurden die Pferde gesattelt und die Knaben hinaufgehoben. Die feurigen Tiere waren kaum noch von den Wärtern zurückzuhalten.

Ein Trompetenstoß gab das Zeichen zum Start. Unter jubelndem Hurra der Zuschauer flogen der Rappe und der Braune nebeneinander dahin. Sie blieben Seite an Seite. So brausten sie unter dem Geschrei der tobenden Menge nach der ersten Runde an dieser vorbei.

In der Hälfte der zweiten Runde gewann der Rappe um zwei Längen Vorsprung und ging damit in die dritte und letzte Runde. Flüche und Hurras brandeten auf.

»Der Braune gewinnt! – Tausend Dollar gegen den Rappen!« schrie Ralph und schwenkte begeistert seinen Hut.

»Die Wette ist angenommen! – Tausend Dollar gegen den Braunen!« rief ein junger Mann unweit von Ralph.

Garrett und einige andere Umstehende sagten als Zeugen dieser Wette gut.

Eine Staubwolke entzog die Pferde eine Weile den Blicken der Zuschauer. Noch immer war der Braune um zwei Längen zurück. Die letzte Hälfte der letzten Runde begann. Im Sturm rasten die Tiere dem Ziel zu.

Da schwang der Reiter des braunen Hengstes die Peitsche und setzte die Sporen ein. Mit Blitzesschnelle schoß der Braune plötzlich an dem Rappen vorüber und ließ ihn nun einige Schritte hinter sich. Auch der Reiter der Rappen gebrauchte nun Peitsche und Sporen. Aber umsonst: der Braune ging als Sieger um eine Länge durchs Ziel.

»Hurra für den Braunen! Verdammt der Schwarze!« brüllten die Zuschauer, je nachdem wie sie gewettet hatten.

»Glück zu, Norwood! Die tausend Dollar konnten Sie nicht schneller verdienen!« Garrett faßte Ralph unterm Arm und zog ihn mit sich in das Wirtshaus.

Dort wurden unter Scherzen, Lachen und Fluchen die Wetten bezahlt. Ralph erhielt eine Anweisung über tausend Dollar auf eine Bank. Garrett lud ihn zum Mittagessen ein. Ralph sagte zu, indem er spöttisch bemerkte:

»Ich fühle mich verdammt wenig dazu aufgelegt, jetzt die steife Gesellschaft des Herrn Forney aufzusuchen, wo man jedes Wort auf die Waagschale legen muß!«

Die beiden ritten nach dem Stall zurück, wo sie ihre Pferde ablieferten und das Mietgeld entrichteten. Dann gingen sie zum Hotel, wo Ralph für Frank Nachricht hinterließ, daß er bei Forney nicht zur Tafel erscheinen werde.

Das Boardingshouse befand sich in einer abgelegenen Straße des älteren Stadtteils und war äußerlich und innerlich wenig ansprechend. Alte schmutzige Tapeten und Vorhänge hingen in den düsteren Räumen, und im Empfangszimmer lümmelten sich einige wenig vertrauenerweckende Männer auf dem altmodischen Sofa und den Stühlen.

»Das Ansehen dieses Hauses ist wenig empfehlend«, flüsterte Garrett seinem Gast zu. »Doch man lebt hier sehr gut und ungeniert, und kann tun und lassen, was man will.«

Eine kleine Schelle gab das Zeichen zum Mittagessen. Die Männer spuckten ihren Kautabak in den Kamin und begaben sich in das Speisezimmer, wo die Wirtin bereits am Kopfende der Tafel saß. Auf seinem Teller fand Garrett einen Brief vor, den er öffnete.

»Sieh, das ist ja prächtig!« sagte er zu Ralph. »Wir bleiben heute zusammen! Mein Freund Ballard, den ich Ihnen neulich auf der Börse vorstellte, schickt mir hier eine Einladung für heute abend. Da kommen Sie mit!«

»Aber ich habe ihm noch keinen Besuch gemacht«, wandte Ralph ein.

»Ist nicht nötig! Bei ihm geht's immer lustig zu. Sie werden sich wunderbar amüsieren. Die schönsten Frauen Baltimores sind bei ihm versammelt. Ballard würde es Ihnen übelnehmen, wenn Sie nicht mitkämen.«

Ralph sträubte sich nicht länger. Garrett ließ ein paar Flaschen Champagner kommen und trank auf die gewonnene Wette. Als nach dem Essen Kaffee gereicht wurde, brachte einer der Anwesenden ein Pack Spielkarten zum Vorschein und forderte Ralph zu einem Spielchen auf. Aber Garrett schob die Karten mit einem verweisenden Blick zurück.

»Wir spielen nicht!«

Dann schlug er seinem Gast vor, am Nachmittag eine Spazierfahrt zu machen, und schickte den Hausneger fort, ein offenes zweirädriges Kabriolet zu besorgen.


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