Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Der Aufstand der Seminolen

Tallihadjos Kundschafter meldeten, daß von der Tampa-Bai aus amerikanische Truppen an der Mündung des Ocklocknyflusses gelandet seien und sich anschickten, nach Tallahassee zu marschieren. Auch von Norden her rückten einige Abteilungen Infanterie und Dragoner heran, zu denen sich die Freiwilligenkompanien gesellten.

Der Häuptling wußte, daß diese Truppenbewegungen nur ihm gelten konnten. Nach allen Richtungen sandte er Eilboten zu den Stämmen der Seminolen. Doch nur einzeln folgten die Häuptlinge; zumal aus dem Innern fanden sich nur wenige Streiter ein. Trotzdem war seine Macht bald auf tausend Mann angewachsen.

Vergebens wartete Tallihadjo aber auf das Zeichen Ralph Norwoods, um loszuschlagen. Ralph ließ sich nicht blicken, und es gab auch kein Mittel, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Tallihadjo erkannte jedoch, daß er handeln müsse, bevor sich die feindlichen Abteilungen vereinigt hatten.

Er hielt einen Kriegsrat ab, und es wurde beschlossen, daß der Creekhäuptling Kajukee mit der einen Hälfte der Krieger in Tallahassee einfallen, Tallihadjo selbst aber mit der anderen Hälfte die heranziehenden Truppen angreifen sollte. Fast alle Weiber, die Kinder und kampfunfähigen Männer des Stammes wurden auf die befestigte Insel gebracht.

Es war eine helle Mondscheinnacht. Kajukee hatte mit seinen Kriegern das Lager verlassen, um sich in der Nähe von Tallahassee zu verbergen, das er in der folgenden Nacht überfallen wollte. Einer der ausgesandten Kundschafter brachte die Nachricht, daß eine feindliche Truppenabteilung kaum vier Meilen entfernt bei Sonnenuntergang haltgemacht und Feuer angezündet habe. Er hatte an die achthundert Mann Fußvolk und an hundert Reiter gezählt.

Trotz dieser Übermacht entschloß sich Tallihadjo zum Angriff. Da er nur zu gut wußte, daß manche der Krieger sich im Dunkel der Nacht vom Kampf drücken würden, brach er aber erst mit dem Morgengrauen von seinem Lager auf.

Von einer Höhe aus beobachtete Tallihadjo die Amerikaner, die bei der Zubereitung ihres Frühstücks waren. Die Pferde grasten frei in einiger Entfernung.

Des Häuptlings Plan war schnell gefaßt. Der Feind lagerte am Rand einer großen Mulde, die ringsum von endlosen Fichtenwäldern umsäumt war. Tallihadjo kannte eine Schlucht, die ganz dicht an das Lager hinanführte. Aus ihr wollte er plötzlich hervorbrechen.

Auf einem Umweg erreichte er auch wirklich, ohne bemerkt zu werden, die Schlucht. Doch hier wurden sie von einem feindlichen Vorposten gesehen. Ein Schuß alarmierte im Nu das Lager. Eine Trommel rasselte, die Soldaten liefen zu ihren Waffen und Sammelplätzen, die Reiter rannten nach ihren Pferden.

Aber da brachen auch schon die Indianer mit gellendem Kriegsgeschrei aus dem Walde vor. Unter ihren Kugeln fielen die ersten Soldaten. Die Reiter ließen ihre Pferde und flüchteten nach dem Lager zurück. Die Offiziere hatten es schwer, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Der kommandierende Major befahl, ein Karree zu bilden und das Bajonett aufzupflanzen.

Die Seminolen waren nur noch wenige Schritte von dem waffenstarrenden Viereck entfernt, als der Major Feuer kommandierte. Die Gewehrsalve riß furchtbare Lücken in die Stürmenden, an die vierzig Tote und Verwundete blieben liegen, die übrigen wichen zurück.

Tallihadjo brachte sie zum Stehen und änderte seine Angriffstaktik. Er zog die Krieger in langen Reihen auseinander. Mit geladenen Büchsen rückten sie vor. Doch als drüben das Kommando Feuer erscholl, warfen sie sich zu Boden, daß die Kugeln unschädlich über sie hinwegflogen, und ließen nun ihre Büchsen knallen. Kaum eine Kugel fehlte ihr Ziel. Tote und Verwundete brachen nieder.

Wohl schlossen die Soldaten ihre Lücken schnell wieder. Aber in diesem Augenblick sprang Onahee mit geschwungenem Tomahawk auf und stürzte sich auf den Feind. Mit wildem Geheul folgten ihr die Seminolen. Von Bajonetten durchbohrt, sank die Indianerin zusammen, doch schon brachen die Wilden hinter ihr in das Karree ein. Streitäxte klirrten gegen Gewehre und Bajonette, bissen in Fleisch und Knochen.

Im Augenblick war die Kampfordnung der Weißen aufgelöst, Mann focht gegen Mann. Den Soldaten nützten ihre Gewehre nichts mehr. Die Tomahawks der Wilden taten furchtbare Arbeit.

Das Siegesgeheul der Seminolen hallte in den Wäldern wider. Ihr Sieg war vollständig. Nur drei Amerikaner konnten sich retten. Es gelang ihnen, auf der Flucht ein Pferd zu schnappen. Auf bloßen Pferderücken jagten sie davon.

Auch die Seminolen hatten weit über hundert Tote und viele Verletzte. Tallihadjo selber hatte zwei Bajonettstiche erhalten, Tomorho einen Streifschuß. Das schauerliche Siegesfest des Skalpierens nahm seinen Anfang. Mit Triumphgeschrei wurden die verwundeten Feinde erschlagen, den Toten wurden die Kopfhäute abgerissen.

Endlich war das blutige Rachewerk vollendet. Die Seminolen machten sich nun daran, ihre Verwundeten zu verbinden. Dann setzte sich schweigend der lange Zug mit den Verwundeten in Bewegung. Auch Onahees Leichnam ließ Tallihadjo mitführen, um ihn bei dem alten Lagerplatz zu beerdigen. Gegen Mittag langten sie dort an, zogen aber bald weiter nach der Insel im See, um dort die Verwundeten den Weibern in Pflege zu geben. Freude und Leid brachten sie mit der Siegesbotschaft. Denn viele hatten Verwandte und Freunde unter den Toten zu beklagen.

Nur kurze Ruhe gewährte Tallihadjo den Kriegern. In der Frühe des nächsten Tages brach er nach Tallahassee auf, um sich mit Kajukee zu vereinigen.

Aber schon auf halbem Wege kamen ihm dessen Krieger entgegen. Es waren kaum noch zweihundert kampffähige Männer, die viele Schwerverwundete mit sich schleppten.

Kajukee selbst war gefallen.

Um Mitternacht waren sie mit Fackeln in Tallahassee eingedrungen und hatten den Ort an verschiedenen Ecken in Brand gesteckt. Sie metzelten die Bewohner nieder, soweit sie sich nicht ins Innere des Ortes retten konnten. Dort jedoch, um den Platz am Gerichtsgebäude, setzten sich die Männer zur Gegenwehr und nahmen die Rothäute in ein mörderisches Kreuzfeuer aus allen Häusern.

Gleichzeitig rückte eine Militärabteilung heran, die in der Nähe gelagert hatte. Den Seminolen drohte Umzingelung. Es gelang ihnen, sich durchzuschlagen, aber nur unter großen Verlusten.

Diese Niederlage traf Tallihadjo schwer. Er trat sofort den Rückmarsch nach dem See an. Einige zuverlässige Krieger entsandte er als Eilboten zu den Stämmen ins Innere, daß er sie erwarte. Er habe einen großen Sieg errungen und Hunderte Skalpe erbeutet. Den Mißerfolg in Tallahassee sollten die Boten verschweigen.

Mehrere Tage waren verstrichen. Nachdem die Verwundeten auf die Insel hinübergeschafft waren, hatte Tallihadjo die kampffähigen Krieger ihr Lager am Ufer des Sees aufschlagen lassen. Man rüstete zu neuem Kampf. Die Männer setzten ihre Waffen in Stand, gossen Kugeln, schärften Messer und Tomahawks. Die Frauen fertigten neue Pfeile.

Täglich brachten Kundschafter Nachricht über die Bewegungen der Amerikaner. Vom Ocklocknyfluß rückten mehrer tausend Soldaten heran. Ihnen marschierten die Truppen von Tallahassee her entgegen. Tallihadjo war zu schwach, ihre Vereinigung zu verhindern. Er hoffte auf die Verstärkungen aus dem Innern des Landes. Auch fühlte er sich in seinem Waldversteck sicher, da außer Ralph kein Amerikaner etwas davon wußte.

Um so bestürzter war er darum, als seine Späher ihm meldeten, daß die amerikanischen Soldaten in großer Übermacht auf den See zu marschierten. Noch glaubte er nicht an einen Verrat Ralphs, sondern vermutete, daß Kundschafter sein Lager entdeckt haben könnten.

Er wollte die Insel mit den Frauen, Kindern und Verwundeten nicht im Stich lassen. So beschloß er, dem Feind entgegenzurücken und sich dann notfalls auf die Insel zurückzuziehen, um sich dort zu verteidigen, bis Hilfe aus dem Innern des Landes kam.

Auf einer sumpfigen Ebene, durch die nur ein einziger Pfad nach dem See führt, legte er einen Hinterhalt. Beiderseits des Weges verteilte er seine Krieger in dem hohen schilfartigen Gras, unter Büschen, hinter Stämmen und in den Kronen dichtbelaubter Bäume. Unsichtbar und lautlos lagen die Indianer wie lauernde Panther in ihren Verstecken.

Endlich brachten Späher die Nachricht vom Anmarsch der Bleichgesichter. Man vernahm nichts als den klingenden Metallton des Spannens der Büchsen, dann war alles wieder still. Dann verriet eine Unruhe unter den Vögeln des Waldes das Herannahen der Truppen. Unzählige purpurblaugefiederte Häher flogen mit lautem Krächzen von Baum zu Baum.

Bald darauf tauchte fern die Spitze des Feindes auf. In einer schier endlosen Reihe kamen sie heran, drei Mann nebeneinander, denn breiter war der Weg nicht. Voran marschierten einigen hundert Büchsenschützen, die Waffen schußbereit in den Händen, nach allen Seiten ausspähend. So kamen sie vorsichtig näher und näher, gingen ahnungslos in die Falle.

Der ganze Zug der Büchsenschützen befand sich im Bereich der Indianer, als Tallihadjo Feuer gab und einen ihrer Offiziere niederstreckte. Im selben Augenblick krachte es von überall her. Kaum einer der Soldaten war nicht getroffen. Wild gellte das Kriegsgeheul der Seminolen.

Die Trommeln rasselten Sturm, und im Laufschritt stürmten die Musketiere auf dem schmalen Pfad heran, sprangen hinweg über die toten und verwundeten Kameraden und drangen in den Sumpf und den Wald, um den verborgenen Feind zu fassen. Ihre Verluste waren groß, aber immer neue drängten hinter ihnen nach. Die Seminolen konnten nicht schnell genug laden und feuern.

Tallihadjo rief zum Rückzug. Von Busch zu Busch, von Baum zu Baum wichen sie zurück, und der Feind hatte sie kaum erblickt, so waren sie auch schon wieder verschwunden.

Wohl setzten die weißen Soldaten ihnen nach, aber bald gaben sie in dem unwegbaren Sumpf die Verfolgung auf.

Fast ohne Verlust erreichte Tallihadjo mit seinen Leuten den See, sie sprangen in die bereitliegenden Kanus und landeten auf der Insel, bevor die Amerikaner am Ufer erschienen.

Tallihadjo beobachte, wie eine Kolonne nach der andern drüben angerückt kam. Zum Schluß wurden über hundert schwer beladene Maultiere herangeführt. Die Offiziere traten zusammen. Sie sahen nach der Insel herüber, die sich außer Schußweite befand, und schienen zu beraten. Dann gaben sie Befehle aus, und die Truppen wurden in vier Abteilungen geteilt, von denen drei um den See herumrückten und an verschiedenen Stellen einzeln Lager bezogen.

Trotz der hohen Verluste war jede Abteilung Tallihadjos Streitmacht noch überlegen. Daß er von solch einer Übermacht belagert werden könnte, hatte sich der Häuptling nicht gedacht. Die Lagerplätze der Amerikaner waren so gewählt, daß sie schneller jede Stelle des Ufers erreichen konnten, als ein Kanu von der Insel den See zu überqueren vermochte. Sie konnten also jede Landung leicht verhindern.

Des Häuptlings einzige Hoffnung waren die Stämme aus dem Landesinnern. Für zwei Monate reichten die Lebensmittel auf der Insel, dann mußte er sich ergeben oder verhungern. In dieser Zeit aber mußte der Entsatz da sein!

Viele Stunden wanderte Tallihadjo in Gedanken auf und ab und schaute nach den Feuern des Feindes hinüber. Wohl alle auf der Insel hatten die verzweifelte Lage erkannt und waren in niedergeschlagener Stimmung. Erst gegen Morgen legte der Häuptling sich schlafen.

Die Sonne stand schon hoch, als man ihn weckte. Drüben im Lager des Feindes finde eine Beratung statt. Ein Fremder sei zu Pferd angekommen. Tallihadjo eilte sofort ans Ufer und spähte über den See.

Auf den ersten Blick erkannte er drüben im Kreise der Offiziere Ralph Norwood. Ein freudiges Gefühl durchfuhr den Häuptling. Ralph kam gewiß, ihm zu helfen.

Nach einer Weile trat Ralph aus dem Kreise ans Ufer und winkte mit einem weißen Tuch nach der Insel herüber. Tallihadjo schickte sogleich ein Kanu mit zwei Kriegern, um ihn auf die Insel zu holen.

»Warum bist du nicht ins Innere des Landes geflohen?« kam ihm Ralph entgegen. »Ich habe dir doch zwei Boten gesandt, daß ein Indianer deinen Aufenthalt hier verraten hat!«

»Meine Augen haben keinen Boten von dir erblickt und zu meinen Ohren ist keines deiner Worte gedrungen!«

»Das verstehe ich nicht! Leider hörte ich zu spät von dem Marsch der Truppen hierher und bin nun zu spät gekommen. Du bist gefangen, und kein Häuptling wird dir zu Hilfe kommen!«

»Noch sind meine Hände frei und meine Waffen scharf! Tallihadjo wird sich nicht gefangengeben. Er weiß zu sterben!«

»Soll dein Volk mit dir zugrunde gehen? Ich war nicht müßig, Tallihadjo. Dein Wunsch war es, dein Volk in die weiten Prärien westlich des Mississippi zu führen. Was du nicht durch Krieg erreichen konntest, habe ich durchgesetzt. Die Regierung in Washington hat mir ihr Ohr geliehen und ist bereit, euch alle auf Dampfbooten in jene Länder der Freiheit zu bringen.«

Tallihadjos finstere Miene erhellte sich. Erwartungsvoll blickte er Ralph an, der eifrig weitersprach:

»Damit die Streitigkeiten zwischen den roten und weißen Männern aufhören, will der Weiße Vater in Washington seinen roten Kindern, die noch im Osten des Mississippi wohnen, Land im Westen des großen Stromes geben, wo sie frei nach ihrer Art leben können. Wenn die Seminolen in Florida bleiben, werden sie nach und nach besiegt werden und elend zugrunde gehen. Geh ihnen mit deinem Beispiel voran, Tallihadjo! Unbesiegt kannst du dein Volk nach dem Westen führen, wie du es ja schon immer gewollt hast!«

»Aus dir redet das Blut deiner Mutter!« Der Häuptling drückte Ralph die Hand. »Du weißt, wie sich mein Herz schon längst nach jenen Ländern im Westen gesehnt hat! Ich bin bereit, dorthin zu ziehen. Ich überlasse es dir, für mich mit den Weißen zu verhandeln.«

Einige Stunden später verließ Ralph den Häuptling mit der Gewißheit, das größte Geschäft seines Lebens in der Tasche zu haben. Tallihadjo hatte die Ältesten seines Stammes und die übrigen Häuptlinge um sich versammelt und ihnen die Lage erklärt. Mit seiner ganzen Beredsamkeit setzte er sich für den Vorschlag Ralphs ein, der sie nicht nur vor dem Verhungern rette, sondern ihnen auch ohne Verluste eine neue Heimat gebe. Sie hätten keine Wahl! Der Große Geist habe bestimmt, daß sie Florida den Weißen überlassen wollten, und auch die anderen Stämme müßten ihnen kurz über lang folgen, wenn sie nicht in den Sümpfen zugrunde gehen wollten.

Schmähungen und Klagen waren ausgestoßen worden, aber schließlich hatte man sich in das Unvermeidliche gefügt. Ralph empfahl den Offizieren für strenge Bewachung der Insel zu sorgen, damit keine Indianer entwichen und vielleicht noch Hilfe aus dem Innern herbeiholten. Dann ritt er nach Tallahassee, von wo aus er einen Eilbericht nach Washington sandte und Vollmachten und Mittel der Regierung erbat, um die Gefangenen nach dem Westen schaffen zu können.

Schon nach kurzer Zeit erhielt er mit einem Belobigungsschreiben, das seine Verdienste anerkannte, die gewünschten Vollmachten und Anweisungen, die Indianer nach der Westgrenze von Arkansas zu transportieren. Von Florida bis New Orleans würden die Seminolen auf Regierungsschiffen befördert werden. Dort müßten sie auf Flußdampfer umgeladen werden, die Norwood mieten möge. Der notwendige Kredit hierfür sei ihm in New Orleans eingeräumt.

Bevor Ralph nach der Hafenstadt an der Mississippimündung fuhr, suchte er noch einmal Tallihadjo auf und berichtete ihm, daß alles nach Wunsch gehe.


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