Armand (Strubberg, Friedrich)
Die Rache des Mestizen
Armand (Strubberg, Friedrich)

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Piratenhochzeit

»Wann werden wir endlich segeln, Käpt'n?« fragte Ritcher, der Obersteuermann des »Sturmvogels«. »Ich weiß kaum mehr, wie ich die Leute beschäftigen soll. Und in der Stadt munkelt man schon darüber, daß sie nur unter meiner Aufsicht an Land gehen.«

»Glauben Sie, mir macht das Warten Spaß?« knurrte Flournoy. »Wir dürfen nur einen Tag früher als die ›Tritonia‹ segeln, sonst entwischt sie uns. Unten bei Kap Henry ist um diese Jahreszeit oft wildes Wetter und dicke Luft. Wenn wir uns zu weit von der Brigg entfernen, könnte es uns schwer werden, sie aufzufinden.«

»Segelt sie durch den Bahamakanal, so läuft sie uns gerade in die Zähne. Wie ich gehört habe, wartet der Alte noch auf Mehl. Ob sich die Beute überhaupt lohnt?«

Flournoy warf ihm einen stechenden Blick zu.

»Sie sollen fünfhundert Dollar extra haben ... unter einer Bedingung ...«

»Weiß Bescheid, Käpt'n!« grinste der Obersteuermann. »Ist ja nicht unser erster Handel! Ich liefre Ihnen dafür die schwarzäugige Schöne von drüben?! Sollen sie haben! Zeigen Sie mir nur eine Mastspitze der ›Tritonia‹ auf See!«

Flournoy wandte sich dem Ausgang seiner Kajüte zu und verließ das Schiff.

In einer stillen Seitenstraße der Stadt lag ein einstöckiges, drei Fenster breites Backsteinhaus mit einem kleinen Garten dahinter. Eine hohe weiße hölzerne Treppe führte zur Eingangstür hinauf. Es war das Eigentum des Buchhalters Terrel, eines braven pflichtgetreuen Mannes, der nur seiner Arbeit und Familie lebte. Von seinen fünf Kindern war die hübsche Melanie, die an jenem Abend bei Ballard so tiefen Eindruck auf Flournoy gemacht hatte, die älteste.

Seither hatte der Kapitän es verstanden, sich öfters mit dem harmlosen Mädchen zu treffen. Da er bald erkannte, daß er sein Ziel nicht anders erreichen konnte, hatte er ihr einen Heiratsantrag gemacht. Glückstrahlend hatte Melanie sich den Eltern offenbart.

Klopfenden Herzens erwartete sie heute abend die Heimkehr des Vaters vom Geschäft. Denn als vorsichtiger Mann hatte dieser seine Zustimmung vom Ergebnis seiner Erkundigungen über den Kapitän abhängig gemacht.

Später als gewöhnlich kam der Vater. Bei der Mahlzeit war er schweigsamer als sonst. Nach Tisch schickte er die kleineren Geschwister aus dem Wohnzimmer.

»Melanie!« sagte er ernst. »Die Auskünfte über Flournoy sind wenig gut. Vor Jahren war er Steuermann auf einem Ostindienfahrer. Dann hat er sich als Berufsspieler in der übelsten Gesellschaft herumgetrieben. Jetzt ist er allerdings Kapitän eines Schiffes, an dem er auch beteiligt sein soll. Es gehört angeblich einer Reederei in Havanna, aber es laufen allerlei dunkle Gerüchte darüber herum. Flournoy ist nicht der Mann, dem ich mein Kind anvertrauen möchte.«

Schreckensbleich starrte Melanie den Vater an.

»Das ... das kann nicht wahr sein!« stieß sie hervor.

»Ich habe bereits nach Havanna geschrieben«, beschwichtigte der Buchhalter. »Kind, ich will doch nur dein Glück! Lautet die Auskunft von dort günstig, so habe ich nichts gegen deine Verbindung mit Alfred Flournoy.«

»Mein Glück, Vater?! Ohne ihn gibt es für mich kein Glück mehr!«

»Sei vernünftig, Mädel! Ich habe Flournoy bereits einen Boten mit einem Brief geschickt, daß er seine abendlichen Besuche bei uns solange einstellen möchte, bis ich Nachricht von Kuba habe. Wenn er wirklich ein Ehrenmann ist, wird er danach handeln.«

Auch die Mutter redete Melanie zu, Geduld zu haben. Aber das sonst so sanfte Mädchen war außer sich und wies alle Verdächtigungen Flournoys heftig zurück. Schließlich brach sie in Tränen aus und lief fort auf ihre Kammer.

Melanie hatte sich auf ihr Bett geworfen und weinte sich aus. Da klang plötzlich ein heller Ton an ihr Ohr. Sie horchte auf. Noch einmal derselbe Ton! Er kam von einem Steinchen, das gegen ihre Fensterscheiben geworfen worden war. Sie sprang auf und eilte ans Fenster, schob den Vorhang zur Seite.

Auf der Straße stand im matten Licht der Laterne die ihr nur zu wohl bekannte Gestalt Flournoys. Er winkte mit der Hand in der Richtung hinter das Haus und verschwand.

Melanie griff sich einen großen Schal und warf ihn sich um. Dann huschte sie leise aus ihrem Zimmer, über den Flur, aus dem Hause und in den Garten. Flournoy schwang sich behend über den niederen rückwärtigen Bretterzaun. Sie warf sich ihm in die Arme.

»Man will uns trennen!«

Er drückte sie an sich und küßte sie begehrlich.

»Wenn du willst, traut uns der Friedensrichter morgen abend,« flüsterte er. »Dann kann uns keine Macht der Erde mehr trennen!«

»Ob ich will!!! Es fällt mir nicht leicht, die Eltern zu verlassen, aber dir folge ich überallhin! Wann werden wir in See gehen?«

»In dieser Jahreszeit kann ich dich unmöglich mitnehmen, mein Liebling! So gern ich es möchte! Nein, nein, die See ist oft fürchterlich! Ich kehre ja bald zurück, und auf meiner nächsten Reise kannst du mich dann begleiten. Inzwischen miete ich uns hier in einem guten Boardinghouse ein, wo du auf mich warten wirst.«

Diese baldige Trennung nach der Hochzeit war Melanie gar nicht recht, aber schließlich fügte sie sich. Der Treffpunkt für den nächsten Abend wurde noch vereinbart, dann schlich sich das Mädchen ins Haus zurück.

Es war am Abend des nächsten Tages. Flournoy kleidete sich in seiner Kajüte für die Trauung um. Sein Obersteuermann saß auf einem Schemel und paffte aus einer kurzen Pfeife.

»Die wievielte Frau ist das eigentlich, die Sie heiraten, Käpt'n?« fragte er grinsend.

Flournoy knüpfte sich vor dem Spiegel das weiße Halstuch in eine zierliche Schleife.

»Was weiß ich?« lächelte er zynisch. »Es gibt noch viele Häfen, in denen keine Frau auf mich wartet. Und ich finde es recht angenehm, wenn man überall gleich zu Hause ist.«

»Die arme Melanie! Ihre Flitterwochen werden nur ein paar Tage dauern! Warum nehmen Sie sie eigentlich nicht mit auf die Reise?«

»Ich muß die schöne Eloise haben! Zwei Weiber an Bord, das gäbe eine schöne Eifersucht! Nein, es ist besser, Melanie führt meinen Haushalt in Baltimore und sehnt sich hier nach meiner Rückkehr.«

Flournoy nahm seinen Frack aus dem Schrank und zog ihn an. Bald darauf erschienen die Heiratszeugen, Garrett und Mac Dower. Der Kapitän ließ eine Flasche Wein bringen.

»Auf das Wohl meiner schönen Braut!« sagte er und hob sein Glas.

»Hoffentlich hat der alte Tintenkleckser nicht inzwischen den Braten gerochen und sein Töchterchen eingesperrt!« lachte Mac Dower.

»Das will ich nicht hoffen!«

Flournoy schraubte das Licht der Ampel, die über dem Tisch hing, zu einer kleinen Flamme herab, ergriff seinen Mantel und verließ mit den beiden Besuchern die Kajüte, das Schiff und den Anlegeplatz.

Eine Kutsche brachte sie in schnellem Trab davon.

Mit klopfendem Herzen stand Melanie mit ihrer Freundin Olivia auf dem Platz des Stelldicheins und wartete auf den Geliebten. Endlich tauchte aus der Dunkelheit ein Wagen auf. Die Mädchen erkannten Flournoy, der heraussprang und auf sie zueilte. Er begrüßte sie artig, sprach mit scheinbar bewegter Stimme einige Worte des Dankes an Olivia und zog Melanie mit sich fort in den Wagen, der davonrollte.

Eine Viertelstunde später verließ Flournoy mit Melanie und den beiden Trauzeugen den Wagen in einer einsamen Gasse, in der nur wenige düstere Laternen brannten. Mac Dower zog an der Schelle eines niedrigen Backsteinhauses. Man hatte sie erwartet, die Tür öffnete sich sogleich. Sie traten in das Haus. Man führte sie in ein erleuchtetes Zimmer, in dem der angebliche Friedensrichter ihrer bereits harrte.

Mit gut gespieltem feierlichem Ernst ließ der falsche Beamte sich die Namen des Brautpaares und der Zeugen nennen und trug sie in ein Buch ein. Dann vollzog er »im Namen des Gesetzes« die Trauung.

»Nun bist du für immer mein!« flüsterte er.

Dann drückte er dem falschen Friedensrichter ein paar Goldstücke in die Hand, dieser verneigte sich grinsend. Man ging.

Der Morgen war heraufgedämmert. Schweigend saß die Familie des Buchhalters Terrel am Frühstückstisch. Erst bei Tagesanbruch hatte man die Flucht Melanies gemerkt. Der Vater rührte finster in seiner Kaffeetasse, die Mutter wischte sich die Tränen aus den Augen, die Kinder saßen bedrückt. Sie nahmen ihre Bücher und schlichen sich zur Schule davon.

»Das ist nun der Dank für alle Pflege und Sorge!« grollte der alte Terrel. »Geht heimlich mit einem fremden Manne durch, der im schlechtesten Ruf steht!«

»Gott mag wissen, wie sich das Kind so betören lassen konnte!« seufzte seine Frau.

Die Hausglocke schellte. Terrel eilte hinaus. Gleich darauf kam er mit einem Brief zurück, den er bereits geöffnet hatte und las.

»Sie ist verheiratet und bittet uns um Vergebung. Sie sei glücklich! Gebe Gott, daß sie es bleibt!«

»Vielleicht ist Flournoy nicht so schlimm wie sein Ruf«, meinte die Mutter aufatmend. »Die Liebe wandelt oft einen Mann und macht aus den tollsten Burschen brave Familienväter!«

»Ich möchte es Melanie wünschen, aber ich kann es leider nicht glauben!«

Der Buchhalter hüllte sich in seinen Mantel, nahm Hut und Regenschirm und begab sich ins Geschäft.


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