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Dem Hansjörg saß die Gicht schon längere Zeit in den Gliedern, ohne daß er auf seinen regelmäßigen Schoppen verzichtet oder ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hätte. Eines Tages trat aber der unsichtbare Quälgeist recht anmaßend auf. Hansjörg wollte von der Arbeit nichts mehr wissen und ließ es gerne geschehen, daß die kleine Marie den Dorfbader holte. Dieser traf den kranken Bauern im Bette an, das in dem dunkeln Alkoven seinen Platz hatte. Über die Art der Krankheit war keine lange Besprechung notwendig; auch das Mittel zur Abhilfe machte nicht viel Kopfzerbrechen. »Ein paar Blutegel oberhalb des rechten Knies werden dir bald deine Ruhe wieder geben,« meinte der Medizinmann; »ich habe die Schmerzensstiller in einem Glase zu Hause und werde sie gleich herbeiholen.« Nach einer kleinen Viertelstunde schon war einem Blutegel Gelegenheit gegeben, Nahrung aus dem Fuß des Bauern zu holen. Doch zeigte das Tier keinerlei Neigung sich festzusetzen. Die Kameraden, die nun ebenfalls das Glas verlassen durften, schienen auch nicht gewillt zu sein, dem Hansjörg seine Gicht abzunehmen. Dem Heilkünstler trat der Angstschweiß auf die Stirn. Den Blutegeln verdankte er die besten Erfolge, und jetzt war sein Ruhm durch sie gefährdet. Der Bauer bemerkte seine Verlegenheit und fragte endlich: »Ja, sollen denn die Blutegel auf der Haut festsitzen?« – »Natürlich sollen sie das, sonst kommt das schlechte nicht aus deinem Körper,« bestätigte der Bader. – Wenn die Sache so ist,« sagte der Bauer, »dann muß ich erst meine Lederhosen ausziehen.« Die kurzsichtige Dorfweisheit putzte gemächlich ihre großen Brillengläser und wartete, bis die Gichtstelle freigelegt war.
(G. A. Volz.)