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Robert Mayer hat als Naturforscher Großes geleistet. Eine sichtbare Anerkennung seiner Verdienste ist das sinnige Denkmal auf dem Marktplatz zu Heilbronn. Aber auch als angenehmer und witziger Gesellschafter ist Mayer in seiner Vaterstadt noch nicht vergessen. Gerne verkehrte er mit den Weingärtnern, die in Heilbronn auch unter dem Namen »Heine« bekannt sind. Einmal hatte sich Mayer in einer Besenwirtschaft – wenn die Weingärtner ihren eigenen Wein ausschenken, so zeigen sie dies durch einen am Hause angebrachten Besen an – wieder vortrefflich unterhalten. Der starke Wein löste die Zunge und entlockte Mayer die Behauptung, daß er bis zum nächsten Abend drei lebendige Tübinger Weingärtner in einem Zündholzschächtelchen herbeischaffen wolle. »Wann Se des fertig bringe däte,« meinte ein Weingärtner, »no däte drei Flasche Weî zahle.« – »Und ich,« versicherte Mayer, »stelle das doppelte Quantum zur Verfügung, wenn ich mein Versprechen nicht halte.« Ein kräftiger Händedruck besiegelte die Wette. Dabei entschlüpften dem Weingärtner die Worte: »Moriche Owed könne mr aa amol umsunst trinke, Herr Dokter.«
Am andern Tag machte Mayer seinen gewohnten Spaziergang über den Wartberg. Unterwegs fand er leicht Gelegenheit, drei schöne Raupen des Wolfsmilchschwärmers in einem Schächtelchen mitzunehmen. Mit diesen erschien er abends in der Besenwirtschaft. Schon bei seinem Eintreten riefen ihm mehr als zehn Stimmen zu: »Herr Dokter, Se henn d'Wett' verlore, vunn Ihre Düwinger Wengerter sieht mr nix.« – »Nur langsam,« beruhigte sie Mayer und suchte sich noch ein bescheidenes Plätzchen an dem dichtbesetzten Tische aus. »Die Tübinger Weingärtner habe ich bei mir; hier sind sie!« Dabei öffnete er die Schachtel und ließ die drei Raupen auf den Tisch spazieren. »O, des senn norr Rauwe!« rief alles durcheinander. »Eben deshalb habe ich die Wette gewonnen,« lachte Mayer. »Wie man in Heilbronn d'Wengerter ›Heine‹ nennt, so heißen sie in Tübingen Raupen.« – »So, so,« summten die Anwesenden, »des isch gewiß e alter Studentewitz.« – »Awer drei Flasche Weî isch'r wert,« bestätigte der Weingärtner, der am Abend vorher gewettet hatte.
Mit der Gesundheit war es bei Mayer nicht immer am besten bestellt. Öfters bereiteten ihm die überreizten Nerven trübe Tage. An gewissen Vorboten erkannte er das Nahen der Krankheit, und er suchte dann aus eigenem Antrieb eine Nervenheilanstalt auf. So hatte sich Mayer einst wieder nach Winnenden zurückgezogen. Gerne fügte er sich der Hausordnung und nahm auch an den gemeinschaftlichen Ausflügen der Kranken teil. Nur eines wollte ihm nicht gefallen. Wenn bei größeren Spaziergängen eine Erfrischung im Wirtshause gereicht wurde, so erhielt er gleich den andern ein Glas Most, während der Wärter mit Wohlbehagen Wein schlürfte. Seine Bitte, wenigstens dem Wärter gleichgestellt zu werden, erfüllte dieser nicht. Bei einem der nächsten Gänge ins Freie fand Mayer Gelegenheit, sich hiefür zu rächen. Zufällig hatte er erfahren, welcher Weg für diesen Tag in Betracht kam. Statt nun die ganze Wanderung mitzumachen, verzichtete er auf einen Teil derselben und traf etwas früher in der bestimmten Wirtschaft ein. Der Wirtin stellte er sich als Wärter vor, der für seine Pfleglinge Quartier zu machen habe. Die Frau nahm den Auftrag mit Freuden entgegen und schickte sich an, mit einem großen Krug in den Keller zu gehen. Mayer hielt sie aber noch einen Augenblick zurück und sagte: »Mit den Kranken wird auch einer kommen, der sich zuweilen für den Wärter ausgibt und ein Glas Wein verlangt. Für seine Gesundheit ist aber nur Most zuträglich. Mir können Sie einstweilen einen Schoppen Wein bringen.« Schon nach kurzer Zeit war der Wein da. Inzwischen trafen die angemeldeten Gäste ein. Der Wärter verwunderte sich nicht wenig, daß Mayer, den er als folgsamen Kranken kannte, heute gegen die Vorschrift handelte. Ohne ihm aber Vorwürfe zu machen, erteilte er seine Aufträge wie sonst: »Den Kranken bringen Sie ein Glas Most und mir dann einen Wein.« – »Ich weiß schon,« schmunzelte die Wirtin und – gab jedem Most. – »Sie verstanden mich wohl falsch,« meinte der Wärter in ruhigem Tone, »ich habe für mich ein Glas Wein bestellt.« – »Ich weiß schon,« erwiderte die Frau ebenso freundlich wie vorhin und – ließ den Wunsch unerfüllt. »Die Wirtin zählt mich zu den Kranken,« dachte der Wärter, »daher ist ein weiterer Versuch nutzlos. Wer mir aber diese Suppe eingebrockt hat, das ist auf dem stillvergnügten Gesicht Robert Mayers zu lesen.«
(Mündlich von G. A. Volz.)