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Die großen Siege, welche im August und September des Jahres 1870 aufeinander folgten, wurden in Deutschland mit Jubel aufgenommen. Alt und jung freute sich über den Erfolg der deutschen Waffen. Für die Schüler lag ein besonderer Reiz darin, daß verschiedene Freudenbotschaften während der Unterrichtszeit einliefen und einen früheren Schulschluß herbeiführten. In Heilbronn verkündeten Böllerschüsse vom Götzenturm die telegraphisch gemeldeten Siege, und die Schüler gewöhnten sich rasch und gerne an diese Signale.
Ein älterer Präzeptor, der im Rektoratsgebäude an der Allee unterrichtete, schloß, wenn der eherne Mund gesprochen, den Unterricht mit den Worten: »Den deutschen Waffen ist ein neuer Sieg geworden; wir wollen für heute die Arbeit ruhen lassen und uns mit den Fröhlichen freuen.« Eine längere Ansprache wäre nutzlos gewesen; denn die meisten Knaben stürmten schon beim ersten dumpfen Ton der Türe zu.
Die beiden folgenden Monate, der Oktober und November, gaben der deutschen Schuljugend wenig außerordentliche Festtage. Die Buben im Rektoratsgebäude empfanden dies hart und grollten dem stummen Götzenturm. Ein Samstag im November brachte aber endlich die langersehnte Abwechslung. In der zweiten Unterrichtsstunde trugen die Lüfte die liebliche Musik: Bum, bum! ins Schulzimmer. Die Wirkung blieb nicht aus; in wenigen Augenblicken hatten die Schüler das Zimmer verlassen. Auch der Präzeptor schickte sich an, ihrem Beispiel zu folgen. Da merkte er, daß in den andern Klassen des Schulhauses der Unterricht ruhig weiter ging. Nichts Gutes ahnend, erkundigte er sich bei seinem Nachbarn, ob er denn die neueste Siegesbotschaft nicht vernommen hätte. »Vom Götzenturm her,« erwiderte dieser schelmisch, »ist nichts gemeldet worden. Ich glaube, daß die vermeintlichen Böller im Hause zu suchen sind.« Und so war es auch.
Zwei Schüler des Präzeptors, Söhne eines Bierbrauers und Küfers, hatten morgens bemerkt, daß im Spitalkeller, der sich ebenfalls im Rektoratsgebäude befand, gearbeitet wurde. Bis der Unterricht begann, war ihr Plan geschmiedet. Fast gleichzeitig verließen sie mit Erlaubnis des Lehrers das Schulzimmer. Der Keller stand noch offen, und der dort beschäftigte Küfer sträubte sich keineswegs, wenigstens als Mitwisser der Dritte im Bunde zu sein. Mit seinen Werkzeugen entlockten die jungen Patrioten einem großen, leeren Faß in angemessenen Abständen die vermeintlichen Böllerschüsse. Der zweistündige Schulausfall hat den beiden Knaben im späteren Leben keinen Nachteil gebracht. Sie sind jetzt angesehene, vermögliche Bürger der einstigen freien Reichsstadt Heilbronn.
(Mündlich von G. A. Volz.)