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Was Rabener geantwortet, als ihn das Fräulein Klinkauf am 7. September 1759 morgens in der neunten Stunde nach dem Inhalt der fremden, eben durch die Moritzgasse nach dem Elbtor fahrenden Kutsche gefragt, davon geben weder die Dresdener Chronik noch Rabeners Schriften bestimmte Nachricht. Befand sich unter letzteren eine Notiz darüber, so ist sie bei dem Bombardement, welches ein Jahr später die Moritzgasse und mit ihr Rabeners Haus und darin seine eben zum Druck fertigen Satiren in Schutt und Asche verwandelte, mitverbrannt. Annehmen läßt sich, daß er sehr verwundert das Fräulein angehört, seine Unwissenheit beteuert, und gewiß ist, daß er aus der Unterredung keinen Stoff zur Satire geschöpft haben wird, denn das Fräulein war von Adel und kam an den Hof. Rabener aber war bürgerlich und nur bei der Steuerkontrolle angestellt.
Der Kranke in der Kutsche des Marquis sah, als der Wagen über die Elbbrücke rasselte, mit wehmütigen Blicken auf die herrlichen Ufer des breiten Stromes. »Wird Friedrichs Adler noch einmal auf diesen Bastionen wehen oder ist sein stolzer Fittich durchschossen und sein Flug geht abwärts?« fragte sein trübes Auge, als er, solange es ging, nach der verschwindenden Eibbrücke zurücksah. »Vorsicht!« stieß ihn seine Nachbarin an, als sie sich dem Japanischen Palais und der österreichischen Torwache näherten. »Es dürfte Sie ein Feind erkennen.« Sie wurden am Tor aufgehalten, aber die Schildwache, der bärtige Feldwebel und der wachthabende Offizier waren mit ihren langwierigen Dienstfragen weniger gefährlich als das Fräulein Klinkauf.
»Aloysius Stephan Xaver, Marquis von Cabanis, Ritter eines päpstlichen Ordens, Kammerherr des Königs von Sardinien« und einige andere Lehns- und Ordenstitel hinterher, erfunden oder wirklich, tönten so befriedigend in das steiermärkische Ohr, daß der Offizier auch ohne die genügenden Papiere zu wohlwollender Bereitwilligkeit geneigt gewesen wäre. Ein kranker Sohn, der in die Bäder geschafft werden solle, galt dem Österreicher als einen genügenden Grund, weshalb ein vernünftiger Mensch reisen kann, und ein Graf, der von der Residenz auf seine Güter ging, war ebenfalls in der Ordnung.
Eugenie atmete freier, als die letzte Bastion hinter ihnen lag und die Postzüge in munterem Trabe durch die fruchtbare Ebene des Weichbildes den östlichen Höhen zueilten. Als sie, langsam durch den Hohlweg hinauffahrend, zum letztenmal die Kuppel der Frauenkirche und den katholischen Dom tief unten im Herbstnebel des Tales verschwinden sahen, ging ihre Aufregung in stille Wehmut über. Hier durften, selbst wenn die Glocken der Residenz Sturm läuteten, keine nachgeschickten Patrouillen sie einholen.
Sie zog den Schleier dichter herab und drückte den Kopf in die Wagenecke, ein Zeichen, daß sie nicht gestört sein wollte.
Im Jahre 1759 führte noch keine Chaussee wie heute in der Richtung nach Großenhain durch den anmutigen Laubwald. Die Sonne des Herbsttages brannte schon heiß herab, als die Reisenden erst die schilfreichen Teiche vor Schloß Moritzburg und dessen Türme zu ihrer Rechten ließen, und als sie die bescheidene, im duftigen Walde versteckte Schenke, das Auerhaus genannt, erreichten. Sie bedurften nicht allein der Postpferde, sondern auch der Erholung und Erfrischung. Stephan hatte die Kissen und Pelze allmählich abgeworfen und fühlte sich so stark, daß er selbst die Unterstützung zurückwies, als er den Versuch machte, zu gehen. Amalie geleitete ihn, während Eugenie bei dem Vater blieb, scheinbar achtlos, und doch kamen die Spaziergänger ihr keine Minute aus dem Auge.
»Unbesorgt!« rief der Marquis dem Grafen zu, indem er ihn einige Schritte abwärts zog – beide waren in einem Wagen gefahren – »unbesorgt, sie läßt nicht von ihm.«
»Sie kennen Eugenie nicht.«
»Aber die menschliche Natur. Sie hat ihn gehegt und gepflegt, sie war seine Wohltäterin, seine Retterin; er kann undankbar werden, aber sie nimmermehr den vergessen, der, wie er ist, ihr Werk ist. Das Gedicht liebt nicht den Dichter, aber der Dichter das Gedicht.«
Der Graf wiegte lächelnd den Kopf, während der Marquis ein Glas Landwein, das ihm der Auerwirt respektvoll gereicht, auf der Zunge prüfte und dann in rascher Aufwallung dem bestürzten Manne über den Kopf goß.
»Diesen Krätzer nennt Ihr Wein!«
»Ländlich, sittlich!« meinte der Graf und wollte den Wirt befriedigen, was aber der Marquis nicht zuließ. Indem er ihm einen Speziestaler in die Mütze warf, schien er sich das Recht zu erkaufen, ihm eine Strafrede zu halten, die anfänglich gegen das saure Getränk, dann gegen allen Landwein, gegen die Weinbauer in Sachsen, gegen die Regierungen, die hier Weinberge duldeten, endlich gegen alle Länder, wo die Sonne nicht so warm schiene, um die Trauben zu reifen, losging.
Die Pferde waren inzwischen wieder vorgespannt. Man tauschte die Plätze, und die Gräfin und der Marquis schienen gegenseitig zufrieden, nebeneinander zu kommen.
Als der Graf den Eckplatz seiner Tochter eingenommen, hatte das Kammermädchen sich so wenig wie vorhin über eine zu lebhafte Unterhaltung zu beklagen. Fast auf gleiche Weise schweigsam ging es in der zweiten Kutsche zu. Stephan und Amalie waren zu alte Bekannte, um viel Unterhaltungsstoff zu finden. Nur hätte man zuweilen glauben mögen, daß beide ihre Rollen vertauscht, denn sie war nachdenklich, während auf seinen Lippen ein Lächeln schwebte, das eine innere Heiterkeit oder gar Spott verraten konnte.
Am lebendigsten war das Gespräch in dem Wagen des Marquis. Mit Geschicklichkeit wußte Eugenie das Gespräch, welches er auf Etienne zu lenken suchte, von diesem verfänglichen Gegenstande abzulenken, und der Marquis war ein viel zu galanter Hofmann, um gegen den Willen einer schönen Dame etwas zu verfolgen.