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Die Worte summten Stephan noch im Ohr, als er in seiner Kammer saß, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt. »Was wollen sie hier?« fragte er sich, bis er rasch aufsprang, einige Zeilen schrieb und kuvertierte. Sein Bursche eilte damit zum Rittmeister.
Die Bodenkammer des Lehmhauses war nicht sechs Schritte lang, aber der Leutnant durchmaß sie, als wenn sie kein Ende hätte. Plötzlich rief er zum Fenster hinaus den Namen eines Husaren, und ein hübscher Mensch, ein junges Blut, stand schulternd an seiner Tür. Er hatte seinen Leutnant so noch nicht gesehen. Stephan lud die Pistolen.
»Befehlen der Herr Leutnant, daß ich lade, Sie schütten über.«
Stephan warf die Pistole hin: »Schämt Er sich nicht?«
Der Husar sah verwundert seinen Offizier an.
»Ich habe ihn unten gesehen.«
»Drum, ich wußte auch gar nicht, Herr Leutnant, warum Sie mich 'raufriefen.«
»Schämt Er sich nicht, Kerl, sich mit der Dirne zu befassen?«
»Ach, gestrenger Herr Leutnant, das ist bloß die Langeweile und weil Krieg ist«, rief der Husar, der noch verblüfft vor sich hin sah über einen Angriff, der ihm nicht in den Sinn gekommen, als ihm ebenso unerwartet jemand zu Hilfe kam. Der Leutnant Strach hielt die Klinke in der Hand.
»Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches, Herr Kamerad?«
»Man sieht's Ihnen gar nicht an, daß so heißes Blut in Ihnen rinnt. Wenn der Mensch so jung ist, glaubt er, er hat ein Dutzend Leben in die Schanze zu schlagen. – 's ist angenommen, Kamerad.«
»Sie kommen als Kartellträger?«
»Und Sekundant. Sich schießen zu wollen, ehe man Brüderschaft getrunken hat! Aber Sie sind an den rechten Mann geraten. Öl und Flammen! Wissen Sie, was ich an seiner Stelle getan? Ein Rittmeister von seinem aggregierten Leutnant gefordert, im Kriege, vor dem Treffen, in einem raffinierten Billett. Hol mich der Geier, Sie hätten mir das raffinierte Billett mit dem Papier und der Tinte und dem Mundlack aufessen müssen. Die Skriptur spedierte Sie stehenden Fußes in Arrest, auf die Festung, und Sie könnten von der Spandauer Zitadelle dem Kriege zusehen; aber es gibt einmal Narren in der Welt, warum nicht auch unter den schwarzen Husaren.«
»Ich wußte, daß der Rittmeister nicht niedrig denkt.«
»Glauben Sie, er will von Ihnen erschossen sein? Er will würfeln, ob Sie ihm aus dem Wege gehen, oder er Ihnen, das wollen Sie doch auch! Es kommen zwei Narren zusammen.«
»Wann bestimmte der Rittmeister?«
»Morgen früh.«
»Wo?«
»Drüben die Heide, wenn sie leer ist; man reitet wie zum Patroullieren hin. Ich hole Sie ab.«
»Welche Waffen?«
»Wollen Sie sich mit krummen Säbeln vom Pferde hauen, Ihre Schöne lachte Sie aus.«
»Pistolen dann.«
»Die ich laden will.« – Noch an der Tür wandte der Kartellträger sich um. »Beim Himmel, ich stehe nicht im Ruf, wenn zwei Männer etwas ausmachen wollen, daß ich zur Ausgleichung rate. Aber hier ist's pure Torheit, dem Tode vorgreifen. Spätestens in einer Woche rückt er Ihnen vor die Front und steht Ihnen offen und ehrlich. Was wollen Sie ihn vor der Zeit, wie ein Dieb bei Nacht aufsuchen? Ehre ist nicht zu holen, nur zu verlieren. Nicht um einen Zollbreit länger wird Ihnen das Grab gegraben, wenn Sie die Kugel trifft aus des Rittmeisters Pistole, als aus der Muskete des Panduren; nicht davon zu sprechen, daß ich mich schämte, wenn zwei preußische Offiziere um ein sächsisches Fräulein die Hälse brächen.«
»Reden Sie im Auftrage des Rittmeisters?«
»Vernunft ist nicht von einem Liebestrunkenen zu erwarten. An Ihnen, junger Kamerad, ist es, zuerst zu reden, denn Sie sind im Glücke.«
»Melden Sie dem Rittmeister, wenn wir noch einmal etwas auszumachen hätten, wünschte ich, er wähle einen anderen Kartellträger.«
Als der gespornte Tritt auf der Dorfgasse verhallte, warf sich Stephan auf den Stuhl, das glühende Gesicht auf dem Tische verbergend. Bilder der Vernichtung gaukelten um seine heiße Stirn, lockend und schrecklich, und alle lebendig wie einst die goldenen Träume der Jugend. »Sie nur einmal noch sehen!« sprach er, und die lange mit Macht zurückgehaltenen Tränen netzten hervorquellend seine fieberhaft glühende Wange. »Nur ein einziges Mal«, wiederholte er dringender, halb Wunsch, halb Gebet, und tausend Vorwürfe, daß er anders hätte handeln sollen, weckten tausend Erinnerungen.
Die Wirtin setzte das Lichtstümpfchen auf den Tisch, und er schrieb. – An die Gestalt, die in der langen Reihe der Erinnerungen ihm zuletzt erschienen war – sie hatte ihm versöhnend die Hand gereicht –, er schrieb einen Abschiedsbrief an seine Mutter. Die Zugluft durch die Ritzen der Lehmwände schaukelte das Lichtflämmchen, das Papier war feucht, die Tinte verschimmelt, die Feder wollte nicht fort, die Gedanken ordneten sich nicht, die Worte fehlten, und doch überlas er jetzt zwei Seiten, aber nur der Anfang war an die Mutter gerichtet, es war ein Brief geworden an die Gräfin. Der Oktobersturm, der über die Dächer fuhr, störte ihn nicht, indem er wieder und wieder las, und zum Anfang kein Ende fand, und zum Ende keinen Anfang. Der Wind riß seine Tür auf – oder er glaubte es – eine Frau war eingetreten, ein rotes Tuch um den Kopf, einen gelben Tuchmantel über die Schultern. Sie hustete, er blickte nicht auf. Sie klopfte ihm auf die Schulter; er winkte ihr fort.
»Mein Gott, das ist doch zu arg«, rief jetzt eine wohlbekannte Stimme trotz dem gelben Mantel und der häßlichen Binde im reinsten gebildeten Deutsch.
»Sie, Amalie«, fuhr er auf. »Sie kommen ...«
»Nicht meinetwegen. Die Gräfin ist hier und muß Sie sprechen.«
»Ich fliege zu ihren Füßen.«
»Halt! Wenn Sie nicht alles verderben wollen. Der Graf ist mit hier – er hat Geschäfte im Hauptquartier, und wir mußten zufrieden sein, einen Grund zu finden, daß er uns nicht allein zurückließ –, wir wohnen drüben in der Meierei, die uns gehört, ein Witwensitz für arme Fräulein aus der Familie –, aber bis Mitternacht ist der Alte wach, der Rittmeister bei ihm, und es läuft aus und ein von Offizieren und Ordonnanzen.«
»Was hindern mich die, als Gast in das Haus des Grafen zu treten!«
»Wenn wir das gewollt, hätten wir Ihnen eine Einladungskarte durch den Jäger geschickt. Doch wenn es«, fuhr sie, ihn fixierend, langsamer fort, »Ihnen mehr Lust macht, will ich das Putzzimmer aufschließen lassen und es den Bedienten sagen, daß man die Flügeltüren aufreißt, und der Schweizer soll Ihren Namen hereinschreien.«
»Amalie, was stecken Sie fort?«
»Nichts, was Sie zu würdigen wissen.«
Er faßte heftig ihre Hand.
»Sie zittern ja! Es ist nichts als ein kleiner Schlüssel zu einer Hintertür.«
Er entriß ihr den Schüssel, den sie Miene machte nicht gutwillig herzugeben, drückte ihn an die Lippen und die Hand der Überbringerin so fest, daß sie fast schrie.
»Ein echter Verliebter«, sagte sie kopfschüttelnd, »wartete nicht auf den Schlüssel. Er kletterte über den Zaun, bräche durch die Mauer, schlüge den Wächter und allenfalls mich tot, wenn ich ihm im Wege stände . . .«
Er riß den Mantel von der Wand.
»Halt! Vor Mitternacht dürfen Sie sich nicht auf den Weg machen, und es ist Ihnen erst erlaubt, bei uns einzutreten in der Stunde, wo die Gespenster wieder von dannen gehen. Sehen Sie dort die Lichter zwischen den Linden, das ist unsere Meierei. – Sie dürfen aber nicht über die Straße.« Sie zeigte ihm am Fenster die Gegend und den Weg. »Je weiter Sie um das Dorf herumschweifen, um so besser. Dort jenseits der Wiese kommen Sie den Weidendamm herüber, springen über den Graben, drängen sich durch die Hecke. Der Weg durch den Garten nach der Hintertür ist nicht zu verfehlen. An das Fenster der Komtesse hänge ich den Karmesinschal und im dunklen Hause muß ein Liebender sich selbst zurechtfinden.«
»Und die Ewigkeit bis da!« rief er.
»Sie benutzen sie, zu überlegen, ob Sie auch moralisch handeln.«
Er drückte ihre Hand noch einmal stürmisch an die Brust. »Wie dank' ich dir das!« Schnell entwand sie sich, legte den Finger auf die Lippen und flüsterte: »Gedenken Sie, die Stunde kommt nicht wieder«, und war, ehe er das Licht ergreifen konnte, die steile Treppe hinunter.