Willibald Alexis
Cabanis
Willibald Alexis

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5. Das Ehrengericht

Am Mittag des anderen Tages hatte ein seltsames Schauspiel die Bewohner des Schlosses in dem großen Gartensaal versammelt. Nicht die militärischen Gäste allein, jedermann, so hatte der fremde Offizier gewünscht, sollte Zutritt bei dem Gericht haben, welches dieser aus den höheren Offizieren ihm zu bestellen gebeten. Wo die Ehre öffentlich gekränkt wäre, hatte er behauptet, könne sie ihm auch nur durch ein öffentliches Gericht wiederhergestellt werden. Täte man nicht den Ausspruch, auf den er hoffe, sei es ihm gleichgültig, ob die ganze Welt es gehört hätte oder fünf Stabsoffiziere. Einige Generale, die schon gestern Wohlgefallen an dem jungen Mann gefunden, hatten ihm vergeblich den grillenhaften Einfall auszureden versucht und versprochen, daß seiner Einrangierung auch ohne Ehrengerichte nichts im Wege stehen solle. Er aber hatte darauf bestanden, und aus ähnlich grillenhafter Gefälligkeit hatte man es angeordnet, wie er wünschte.

»Was mich das angeht!« sagte die Gräfin, als das Fräulein sie aufforderte, in den Saal zu kommen. »Es sind schon mehrere preußische Kriegsgerichte gehalten worden, und ich fühlte mich nie getrieben, ihnen beizuwohnen.«

»Da haben Sie ganz recht«, sagte die Gesellschafterin. »Und erschossen wird er überdies nicht, wenn er sich nicht selbst die Kugel durch den Kopf jagt. Danach sieht er mir wohl aus, wenn die Graubärte ihn nicht freisprechen. Nun, da Sie der Fall nicht interessiert, sollen Sie auch keine Silbe über den Ausfall hören.«

»Ist mein Vater dabei?« fragte Eugenie, als Amalie ging.

»Ich glaube; es war schon so voll im Saal.«

»So warte und nimm mich mit; es dürfte ihm unangenehm sein, wenn ich mich zurückziehe.«

»Davon hat er nichts gesagt, liebe Komtesse.«

»Doch, ich kenne meinen Vater.«

»Und ich seine Tochter«, murmelte das Fräulein und zwang, vorangehend, ihre Gönnerin, die Schritte zu verdoppeln, um sie einzuholen.

Als beide in den Gartensaal traten, hatte das Gericht, wenn man ihm den Namen geben darf, schon begonnen; denn zum Gerichte fehlte der inquirierende Richter wie der Protokollführer. Der Fremde führte allein das Wort. In seiner malerischen, reichen, gegen die preußischen Uniformen gehalten, halb wilden ungarischen Kleidung stand er da, ein großer schöngewachsener Mann, in der Mitte des Saales. Der Kopf war unbedeckt, und der ganze Ausdruck des wohlgebildeten, edlen Gesichtes, bleich, doch voll kriegerischem Anstand und Feuergeist, sprach ebenso lebhaft zu seinen Gunsten wie seine beredten Lippen, die der ungarische Knebelbart umschattete. Im Feuer des Vortrages schien er zuweilen seine Verwundung zu vergessen, er gestikulierte mit dem rechten Arm und fuhr an die linke Seite, wiewohl er den Säbel nicht trug. Er sprach ein reines Hochdeutsch, doch mit solchen Ausdrücken und Betonungen, daß man zweifelhaft ward, ob es seine Muttersprache sei. Die südlichen Sprachen mußte er kennen, so viele für das deutsche Ohr und deutschen Mund von damals ungewohnte Wendungen kamen vor. Er hatte sich auf seine Rede sichtlich vorbereitet; aber je länger er sprach, um so mehr floß dieselbe, nur erstickt, wenn die eigene Rührung ihn überwältigte, und die Stille der Aufmerksamkeit begleitete ihn. Es war, wie schon bemerkt, nicht der Anfang der Verhandlungen, den die Damen bei ihrem Eintritte hörten.

»Meine Herren«, sagte er, »lassen Sie mich vorerst den Grund aussprechen, auf welchen ich das meiste Gewicht zur Verteidigung meiner Ehre legen muß. Der König sollte der erste sein, dem ich vertraute; ihn allein wünschte ich zum Richter, ob ich recht gehandelt. Er hat mich nicht gewürdigt; die ganze Last des Scheines drückt mich zu Boden; ich kann sie nicht tragen und von Ihnen erwarte ich jetzt den Urteilsspruch, ob meine Tat sich mit den Gesetzen der Ehre verträgt. Ich rufe Sie, meine Herren, nicht allein als Krieger, als Offiziere an, ich habe, glaube ich, einen näheren Anspruch auf Ihre Teilnahme – ich bin Ihr Landsmann. – Seit achtzehn Jahren stehe ich heut' zum ersten Male wieder im Kreise von Männern, die auf denselben teueren, väterlichen Fluren spielten, als Kinder dieselben Laute besorgter Pflegerinnen, zärtlicher Mütter, strenger Väter, die nämlichen Ausdrücke von Schmerz und Lust, von Zorn und Liebe hörten. Ist das nichts, kein Band für den Menschen, dann habe ich kein Recht – nicht bei Ihnen, nicht bei mir, auf der ganzen Welt nicht; dann schelten Sie mich einen Überläufer und überlassen mich meinem Schicksal. Gibt es aber ein Vaterland; ist das etwas, daß wir geboren wurden auf derselben Erdscholle, das Rauschen derselben Wälder uns grüßte, dieselben Lüfte uns anfächelten, dieselben Namen uns teuer waren, dieselbe freundliche Gewohnheit von den Vätern her zu uns herüber sprach, gibt es ein heiliges Band des Vaterlandes, dann berufe ich mich darauf, daß ich als Preuße geboren bin, und an Ihren vaterländischen Sinn appelliere ich. – Vergeben Sie, meine Herren, diese Sprache einem Soldaten –, man wirft mir sonst vor, daß ich weich bin, aber ein schlafen gegangenes Gefühl, spät erwacht, ergreift mich heute so mächtig in Ihrem Kreise, daß ich mich der Tränen nicht schämen würde.«

Er fuhr nach einer Pause ruhiger fort: »Ich bin von bürgerlichen Eltern in Berlin geboren. Seltsame Ereignisse, ein grausamer Vater, verleideten dem aufgeweckten Knaben schon früh das Haus, in dem er geboren, das Geschlecht, unter dem er aufwuchs, die Luft, die er einatmete. Als neunjähriger Knabe entwich ich vor achtzehn Jahren aus meines Vaters Hause, aus Berlin, aus meinem Vaterlande. Ich entwich in kindischer Furcht vor einer verdienten Züchtigung und entwich zu einer Strafe, die mein ganzes Leben durch mich schmerzen wird. Achtzehn Jahre des Jugendlebens meines Vaterlandes habe ich nicht mitgelebt. Der preußische Adler flog zur Sonne, und was Kräfte hatte, versuchte die jugendlichen Schwingen unter ihm, ich nicht. Die ewigen Sterne von Friedberg, Soor, Prag und Leuthen, die Ihnen voranleuchten, sind dunkel für mich und, wo sie vorstrahlen, zeigen sie mir meine Schmach. Achtzehn Jahre meines Lebens sind umsonst gelebt, und wäre das nur! Aber es sind zwei Jahre mit einem unversiegbaren Flecken, ich habe gegen meine Landsleute gefochten.«

»Ei, mein scharmanter junger Landsmann«, rief der ältere von den beiden den Vorsitz führenden Generale, und stand auf, ihm die Hand drückend, »der Krieg ist noch nicht zu Ende, und es werden noch mehr solche Sterne aufgehen, wo Sie Ihre Bravour zeigen können als gutes Landeskind. Nehmen Sie Ihren Säbel wieder und hauen Sie von nun an mit derselben Courage auf die Bärenmützen wie zeither auf die Blechmützen. Es dringt hier so gut durch wie da, wenn man gut ausholt.« –

»Meine Herren, ich hatte der Kaiserin geschworen.«

»Ei was, wenn wir jeden, der da und dort einmal geschworen, examinieren wollten, wo sollten die Potentaten ihre Soldaten herkriegen. Sie sind Freiwilliger, noch dazu ein geborener Preuße, und haben sich bei der Affäre im Park distingiert – auf Ehre, ich kann Ihnen sagen, es beneidet Sie mancher darum –, das Kriegsgericht erklärt Sie für einen rechtschaffenen Offizier, und nun seien Sie nicht närrisch!« »Habe ich ein Recht, aus der Tat, welche Sie so hoch anschlagen, auf Ihr Wohlwollen, so beweisen Sie es dadurch, daß Sie mich ruhig anhören und daß Sie streng meine Gründe prüfen. Es wird sich doch eine Stunde finden, die Männer von Ehre einem Offizier schenken, der nur seine Ehre verteidigen will.«

»Sie werden uns die Umstände erzählen«, sagte der zweite General, »welche Sie bewegen haben, und in uns die aufmerksamsten Zuhörer finden.«

»Tatsachen, die man in Akten verzeichnen könnte, erwarten Sie nicht. Es tut hier nichts zur Sache und wird Ihnen gleichgültig sein, wie der Zufall mich nach Österreich führte, wie ich demselben Zufall eine Erziehung verdankte, welche mich meinem Vaterlande und den Erinnerungen aus der Kindheit völlig entfremdete. Ein seltsamer Mann, mein Wohltäter, ließ mir diese Erziehung über meinen Stand geben. Aus der Militärakademie trat ich nach längeren Reisen an der Seite meines Gönners in den aktiven Dienst. Es war vor dem Ausbruch dieses blutigen Krieges. In dem Könige von Preußen hatte man mich nur einen wortbrüchigen Vasallen, einen ehrgeizigen Abenteurer, einen gewissenlosen Eroberer, einen Geist ohne Grundsätze kennengelehrt.

Ich zitterte vor Lust, dem Mann im Felde zu begegnen, den die blöde Welt, so hatte man mich denken gelehrt, als unüberwindlich ausschrie. Sehen wollte ich, ob er die Schlachten gewinnt, und ob wir sie verlieren. Ich ward Offizier, allein, ein Spott für meine jugendliche Kampflust, in einer slawonischen Grenzgarnison. Hier hatte ich die Aussicht, mit bosnischen Räubern mich herumzuschlagen, indessen meine Kameraden um Lorbeeren kämpften. Man glaubte hier mit der halben Welt, daß Friedrich der Angreifer sei, und doch wunderte es mich, wie man in Hütten und Schlössern des fernen barbarischen Landes auf den Widerhall seiner ersten neuen Taten lauschte, wie eine verstohlene Freude aus den schwarzen, kleinen Augen blitzte beim Gerücht seiner ersten Siege. Es waren Protestanten, aber gute Untertanen; sie betrachteten den Sieg des großen protestantischen Königs wie einen für ihren eigenen bedrängten Glauben. Mir war es nie in den Sinn gekommen, den preußischen König so anzusehen. Und doch, jede Nachricht vom Kriegsschauplatz rüttelte an meinem Vorurteil. Man erklärte uns heute offiziell, daß er nun ganz und unwiederbringlich verloren sei, und morgen schon hatte ein rascher Schlag seines Degens alle Berechnungen zerstört, alle Voraussetzungen umgeworfen; er stand, Kummer und Bedrängnis abschüttelnd, frei, unangetastet, wie vorher, nur größer durch den neuen Ruhm! Man hütete sich, uns ahnen zu lassen, was der halben Welt klar geworden, daß Friedrich für das heiligste Recht der Selbsterhaltung focht.

Erst nach der Schlacht von Prag, in deren Blutströmen Österreichs Sonne zu erlöschen schien, als General Daun die letzten Truppen sammelte, rief man uns von der Grenze nach Böhmen. Der heißersehnte Tag kam heran. Von den Höhen von Kolin sah ich zum erstenmal das preußische Heer. Tausende von Bajonetten glänzten unter mir in der Sonne. Sie sangen Lieder, kochten ab, lehnten sich auf das Gewehr, als stände nichts Außerordentliches bevor, bis zum Troßknecht auf eines jeden Gesicht die trotzige Zuversicht: ›Friedrich kann nicht verlieren!‹ Und bei uns war's totenstill, die Bangigkeit der Erwartung, gepreßt jede Schildwacht auf ihrem Posten, die Offiziere mit dem Fernrohr am Auge; ein losgerissenes Husarenpferd, die Trompete der Furagierer schon brachte uns in Alarm. In jeder Miene konnte man lesen: ›Morgen werden wir geschlagen, trotz unserer Übermacht, trotz unserer festen Position, denn Friedrich steht unten.‹ Da, meine Herren, fühlte ich zum erstenmal einen Stolz, daß auch ich ein Preuße war.

›Was fesselt den Sieg an die Degenspitze des einen?‹ fragte ich mich hundertmal in der bangen Nacht. Der helle Schlachtruf der Preußen am grauenden Morgen schien mir zu antworten. Wie ihre Helden daherstürmten – ach Helden, von denen heute nur noch wenige sich am Lichte der Sonne wärmen –, sie achteten nicht unserer steilen Anhöhen, nicht auf den Eisenhagel unserer Batterien, da belebte sich die Zuversicht, und ein Vertrauen erwachte, das noch nicht erschüttert, das fester als unsere Felsen war. Ein ganzes Volk klammerte sich an seinen König, auf den tausend und aber tausend Bajonettspitzen schwebte der eine, dessen Name kräftiger war als der blinkende Stahl und die gähnenden Feuerschlünde. Das hatte ich nicht erwartet; wo wuchs diese Liebe, wo kam diese Begeisterung her? Sie war nicht bei uns, wo doch Maria Theresia den ausziehenden Truppen zugelächelt hatte. Wie hatte dieser König, fragte ich mich, der nicht liebt und nicht hofft, einen Glauben geweckt, den er selbst nicht kannte. Aber da war er.

Die blutigste Schlacht war entbrannt. Der Felsboden unter unseren Füßen bebte vorm Donner des Geschützes, die Preußen nicht. Die Janitscharenmusik ihrer stürmenden Bataillone verkündete uns durch den dicken Pulverdampf jetzt, wie sie unter uns herannahten, jetzt wie sie zurückgeworfen wurden. Eingehüllt im Staubwirbel stürzten wir in die Karrees der noch stehenden Preußen, und ich – war ganz Husar. Der Obrist lobte mich nachher vor der Front. Verdiente ich's? Den schmetternden Trompeten, dem hallenden Donner des Geschützes, dem Mut meines Hengstes, der nicht zurückbleiben wollte, verdankte ich's, ich dankte es dem besinnungslosen Taumel, der mich fortriß, und Sie, meine Herren, haben zu entscheiden, ob ich diesen Säbel, der teures preußisches Blut getrunken, noch für Preußen schwingen darf.

Wir hatten gesiegt, aber wir konnten es noch nicht glauben. Friedrichs Name schwebte über der rauchenden Wahlstatt, und konnte er nicht die Toten wieder aufwecken?«

Nach einer Pause hub der Redner wieder an: »Vergönnen Sie mir, eines kleinen Umstandes zu gedenken – er gehört in keinen Rapport, in keine Kriegsgeschichte, aber in meine Lebensgeschichte gehört er, wie das Auge zum Gesicht, es betrifft einen braven Kameraden von Ihnen. Noch stand hie und da ein Häuflein der alten Leibgarde; es wollte nicht fliehen, sich nicht gefangen geben; siegen konnte es auch nicht, so dürstete es nach dem Tode. Die sächsischen Dragoner hielten die Ährenlese. Eben gaben sie einem dieser zusammengeschmolzenen Karrees den Garaus. Aus den Leichen ringsum schoß ein letzter Mann, ein Riese von Grenadier, noch die Muskete ab. Ein Offizier stürzte; doch rief man ihm zu, sich zu ergeben. Er biß die letzte Patrone ab, aber ehe er laden konnte, schlug ein Säbelhieb ihm in den Nacken. ›Ergib dich!‹ rief es nochmals; er wies die Zähne und stieß um sich. Ich kam hin, als ein Pallaschhieb ihn in die Seite traf. Er sank in die Knie, aber es schien, als wollte er auch noch im Sterben nicht auf dem treulosen Boden liegen. Auf eine Trommel gelehnt mit der Rechten, drückte er mit der Linken sein zerbrochenes Gewehr an sich. Ein Kreis untätiger Zuschauer hatte sich in unwillkürlicher Rewunderung um den Tapferen gesammelt. Der Preuße streckte die Hand nach einer Feldflasche aus. Man gab sie ihm. Er strich den Bart zurück, richtete sich noch einmal auf, tat einen tiefen Zug, seine dunklen Augen glänzten, und als wäre seine Brust noch frisch, rief er: »Vivat Fridericus!« Er sank um, den Kopf auf die Trommel. Man schrie dem Sterbenden ins Ohr: ›Du Tor, mit deinem Friedrich ist's aus, das Blättlein dreht sich, und wir sind obenauf.‹ – Der Grenadier schlug noch einmal die Augen auf, ich glaubte ein Lächern um seinen wilden Mund zu lesen. Er horchte auf etwas und nickte mit dem Kopf. In weiter Ferne hub die preußische Feldmusik wieder an; Friedrich sammelte die Reste der Armee zu dem bewunderungswürdigen Rückzug, und der Grenadier wies mit dem schwachen Arm triumphierend dahin. ›Er wird wiederkehren‹, stand in seinem brechenden Auge geschrieben. So starb er. Und es war kein geborener Preuße! Was gab dem Menschen den Mut, diese Begeisterung, dieses freudige Vertrauen im Tode? Keine ererbten Gefühle heiligten die Sache, für die er starb, kein irdischer Vorteil, denn was nahm er mit sich! Aussicht auf Unsterblichkeit? Eingescharrt unter böhmischer Erde, wer erzählt von dem einen Grenadier, weiß doch niemand seinen dunklen Namen! Friedrich hatte ihm vielleicht einmal zugenickt, vielleicht ihm auf die Schultern geklopft, ihn angeblickt, und seine Miene hatte gesagt: ›Ich kenne dich.‹ Wenn das Friedrichs Blick, was war dann Friedrich selbst? so fragte ich mich; Friedrich war bei Kolin geschlagen, aber für mich war er seitdem der Unüberwindliche!

Der Wohltäter, dessen ich schon erwähnte, hatte ein Recht über mich. Was ich geworden, verdankte ich ihm allein; noch mehr hatte ich von ihm zu erwarten, denn er hatte die Absicht durchblicken lassen, mich zu adoptieren. Ich unterrichtete ihn von meinem Zweifel, meiner veränderten Gesinnung, von meinem gefaßten Entschlüsse, ich bat ihn, mir beim Hofkriegsrat den Abschied auszuwirken. In meiner Begeisterung hatte ich den unerbittlichen Haß des wunderlichen Mannes gegen Friedrich zu gering angeschlagen, ich hatte geglaubt, den Rausch, der mich fortriß, müsse jeder teilen, der es mit mir gut meinte. ,Meinen Fluch', schrieb mir der hitzige Mann auf der Stelle zurück, ,dem Deserteur, Enterbung dem Verräter; an den Galgen das feige Gesuch um Abschied während der Kampagne.' Gleich hinter dem Brief kam er selbst mit Kurierpferden und beschwor mich mit allen Ausdrücken väterlicher Zärtlichkeit, von meinem Vorhaben abzustehen. Aber nur die Vorstellung des Fleckens, der auf meiner Ehre haften blieb, konnte mich damals noch unter den tausend Gründen, die seine beredte Zunge vorbrachte, bewegen, nicht zur Rücknahme, nur zum Aufschub meines Vorsatzes.

Mit blutendem Herzen tat ich meine Pflicht während der vorjährigen Kampagne. Aber im Winterquartier, unter Bitten und Drohungen meines einflußreichen Gönners, schrieb ich um meine Entlassung. Er frohlockte, als der abschlägige Bescheid einkam. Ein zweites dringenderes Gesuch wurde zum zweitenmal in strengeren Ausdrücken abgewiesen. Ich war überzeugt, mein Gönner war dabei im Spiel. So verbarg ich es ihm, als ich zum drittenmal einkam, entschieden, wie auch die Antwort ausfalle. – Als geborener Preuße kündigte ich der Kaiserin den Dienst bis zu der bestimmten Frist, wo der Bescheid des Hofkriegsrates eingegangen sein konnte. Sie mochten mir den Degen abfordern, mich auf die Festung setzen, ich war auf den schlimmsten Fall gefaßt. Von dem Moment an war mein Eid gelöst, ich quittierte den Dienst, und mochten sie mich kassieren, infam kassieren, meine Ehre war gerettet.

Vorgestern um Mitternacht lief die Frist ab. Mein Pferd war schon gesattelt, der Brief an meinen Kommandeur war geschrieben, dem nächstfolgenden Offizier das Kommando übergeben. Ich war nicht mehr österreichischer Soldat, und eben trennte ich das kaiserliche Feldzeichen ab, als ein Husar, ein Kurier, mir einen Zettel des Marquis überbrachte. Mein seltsamer Wohltäter, befangen in wunderlichen Vorurteilen, schob meiner Verwandlung keinen anderen Grund vor, als weil ich einige Male beim Avancement übergangen war! Nun zeige sich eine solche Gelegenheit, schrieb er mir, die mein Glück mache, mir einen unsterblichen Namen sichere. Was der Brief ferner enthielt, wissen Sie, es galt Friedrichs Freiheit, sein Leben, von einem Atemzuge hing es ab. Er forderte mich zur Eile auf, ehe mir ein anderer zuvorkäme; ich dankte seinem Rat, und was geschehen ist, wissen Sie.

Nun richten Sie, meine Herren, streng nach dem Ehrengesetze, das in Ihrer Brust geschrieben steht und im Kriege gilt. Kein Mitleiden, keine Gunst wegen des letzten Vorfalles. Auch wenn ich nicht Ihrem großen Könige den kleinen Dienst hätte leisten können, wäre ich doch übergegangen.

Friedrich hat mich einen Überläufer genannt. War das sein Ernst? Habe ich meinen Schwur gebrochen ohne Fug und Recht, wie ein leichtsinniger Vagabund, hatte ich kein heiliges Recht in der Brust, den fremden Dienst zu quittieren, kein Recht, zurückzukehren unter die Fahnen meines angeborenen Königs, in den Dienst meines Vaterlandes? Darüber entscheiden Sie.« –

Der ermüdete Redner wollte zurücktreten, als wie auf einen Wink sich alle Richter erhoben. Der Vorsitzende General ergriff seine Hand und drückte ihn an die Brust:

»Ich wollte den kaiserlichen Offizier sehen, der jetzt sagen könnte, Sie hätten nicht wie ein braver Kerl gehandelt.«

»Gewiß nicht!« murmelten die andern.

Der zweite General hatte ihm die Hand geschüttelt: »Der König ward zu oft hintergangen, um nicht mißtrauisch zu sein. Es sind Äußerungen, an die man sich gewöhnen muß. Überlassen Sie mir, Seiner Majestät Ihre Sache vorzutragen, es soll noch heute Nachmittag geschehen, und ich stehe Ihnen dafür, er schilt Sie nicht zum zweitenmal Überläufer.«

»Ich freue mich«, sagte der Graf, indem er sich zu dem Freigesprochenen durchdrängte und seine Hand ergriff, »daß ich der erste Zeuge Ihrer preußischen Gesinnung wurde.« –

»Daß ich sie bald, den Degen in der Hand, bewähren könnte!«

»Nein«, erklärte jetzt der Vorsitzer, »den Säbel, mit dem Sie bei Kolin in unsere Garde einhieben, müssen Sie austauschen. Herr Rittmeister, tauschen Sie mit dem wiedergewonnenen Landsmann die Degen.«

Es geschah, und der Rittmeister drückte dem Fremden die Hand.

»Nun bleibt nur noch, daß Sie uns Ihren preußischen Namen nennen. Wie darf ich Sie, unseren Landsmann, dem Könige vorstellen?«

»Vergeben Sie«, entgegnete der Offizier dem freundlichen General. »Der Name ist so unbedeutend, daß er gar nichts tut. Zudem weiß ich nicht, ob mein Vater in Berlin ihn mir noch zu führen erlaubt. Im elterlichen Hause rief man mich – da meine Mutter eine Französin war – Etienne –, im slawonischen Regiment taufte man dies in Stephanek um. Vergönnen Sie mir, das Slawonische ins Deutsche zurück zu übersetzen und nennen Sie mich, bis ich erfahre, auf welchen anderen Namen ich ein Recht habe, Stephan.«


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