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XXXV.

Inspektor Bath saß wieder in seinem bequemen Sessel und beobachtete Huberts Schatten. Es war kein ruhiger Schatten mehr; immer wieder wechselte er sein gespenstisches Aussehen, bog sich bald nach rechts, bald nach links, und manchmal sah es aus, als würde der Schatten im nächsten Augenblick den Platz verlassen. Aber das war unmöglich: Zu gründlich war Hubert gefesselt. Wohl konnte er die Hände und die Schultern bewegen, sich auch nach rechts und links neigen, aber niemals hätte er sich befreien können.

Flüchtig glitt der Blick Baths über das Gesicht des Gefangenen. Es war wie im Schweiß gebadet, und in der grellen Beleuchtung sah man deutlich, wie die Gesichtsmuskeln unfreiwillige Bewegungen machten. Das ganze Gesicht Huberts war in einem fortwährenden Zucken. Die Mundwinkel hatten sich unnatürlich gesenkt, und die Augen blickten stier.

Bath dachte an die Gefahr, die jetzt Flannagan und Tamara drohte, und alles Mitgefühl mit diesem Manne schwand. Ja, der Mensch dort hatte es in der Hand, zwei neue Morde zu verhindern, doch er wollte nicht. Also mußte man ihn zwingen, ganz gleich mit welchen Mitteln.

»Ich will trinken!« rief Hubert laut. Es war sein erstes Wort seit nun mehr als einer Stunde.

Bath sah fragend zu Lincoln hinüber, doch der Chefinspektor schüttelte nur stumm den Kopf. Er schien nicht gewillt, dem Verhörten auch nur die leiseste Erleichterung zu schaffen.

»Na, denn nicht«, sagte Hubert jetzt leiser, nachdem er eine Weile vergeblich in die atemlose Stille gelauscht hatte. »Denn nicht, meine Herren. Soll wohl hier gleich zu Tode gequält werden? Ist eins, ist einerlei, ob so oder so … Aber der elektrische Stuhl ist barmherziger …«

Er schwieg und wischte mit den Ärmeln über sein nasses Gesicht. Dann horchte er, lange und angestrengt.

»He?« schrie er plötzlich auf. »Ist denn überhaupt jemand da? Man kann mir doch wenigstens sagen, ob jemand da ist? … Oh, verdammt, diese Schweinebande …« Er zerrte an den Riemen und schüttelte den Stuhl. »Ich hab's satt! Zum Teufel, was wollt Ihr von mir? Was wollt Ihr? Antwortet! Antwortet! Antwortet!«

Jetzt räusperte sich Lincoln.

»Hallo, Hubert«, sagte er streng und laut, »Wir wollen wissen, wer McGregor ist. Das ist eins. Zweitens aber wollen wir erfahren, wo sich Flannagan, Tamara und Mr. Harrogate befinden. Ehe Sie uns das nicht sagen, kommen Sie nicht raus. Und wenn Sie hier verrecken. Is' mir egal.«

Hubert lachte lange und laut. Es klang wie Triumph aus seinem Lachen. Deutlich erkannte Bath, wie verkehrt es gewesen war, das für ihn so qualvolle Schweigen zu brechen.

»Ich soll was verraten? Ha, ha, ha! Niemals! Hubert verrät nichts. Merkt euch das, Ihr Spürhunde! Habt wohl gedacht, nach ein paar Stunden macht Onkel Hubert schlapp? Was? Das habt ihr gedacht? Nee, nee, Hubert is noch großartig beisammen …«

Sein Gesicht strafte ihn Lügen. Er lachte immer noch, aber dabei sprach aus seinen Zügen der Ausdruck unnennbarer Pein. Wieder schwieg er, und dieses Schweigen dauerte diesmal siebzehn Minuten.

»Ich will euch mal was erzählen«, sagte er plötzlich ganz ruhig, und durch die Reihe der Zuhörenden ging eine erwartungsvolle Bewegung. Die Bleistifte wurden wie auf Befehl gezückt, das Papier auf den Knien geordnet.

»Ich darf euch doch was erzählen?« fuhr Hubert fort. Er starrte fragend in die Finsternis, aber die Finsternis gab ihm keine Antwort. »Wenn ihr schon nichts sagen dürft, so ist es mir doch erlaubt, zu sprechen? Nicht wahr? Ich darf sprechen, worüber ich will? Es ist hier so langweilig, ich muß euch was erzählen … Das is ne Geschichte, von der ich nicht gern spreche. Geschah in Buffalo, vor zehn Jahren. Onkel Hubert war damals verheiratet. Glücklich verheiratet, was? Klingt ein bißchen komisch? Na, is egal, war doch so. Ja, und da sollte so ein kleines Wurm ankommen. Wie das man so is in ner glücklichen Ehe. Erst eins, dann zwei, dann noch viel viel mehr, bis so der glücklichen Ehe langsam die Puste ausgeht. Is dann ein Dreck, aber keine Ehe mehr. Nun, aber so weit war Onkel Hubert noch nicht. Es sollte erst Wurm Nummer eins erscheinen. Also liegt da die Frau vom glücklichen Hubert im Bett und wimmert immer so ein bißchen vor sich hin. Hatte Schmerzen und hatte auch Hunger. Der Hubert war damals ein anständiger Kerl, und alle anständigen Kerls haben Hunger. Will man satt sein, muß man schon Verbrecher oder Polizist werden. Na, reden wir nicht davon, ich weiß, für euch is erst der ein anständiger Kerl, der zum Mittag ne Ente und zum Abend ne Daunendecke aufweisen kann. Hatte Onkel Hubert damals nicht. Oh, nicht in die Tüte! Also weiter! Sag ich da zu meiner Frau: 's gibt in ganz Buffalo keinen Arzt und keine Hebamme, die ihr Amt für nen Lobgesang verrichten. Hubert muß mal klingende Münze verschaffen, was, Anna? So hab ich gesagt. Ein bißchen spät, Jackie, ein bißchen spät, hat sie geantwortet. Wo Leben is, is noch Hoffnung, sag ich. Das hatte ich vom Pfarrer. Sie nickt und legt sich auf die andere Seite. Ich schleiche mich davon und geh zum Kaufmann gegenüber. Hallo, sag ich, und klimpere so mit ein paar Knöpfen in der Tasche. Ich brauch 'n Glas Honig für meine Anna. Bist wohl reich geworden? fragt er und macht sich auf den Weg ins Nebenzimmer, wo er seinen Honig hat. Nee, sag ich, aber es langt grad zu nem Glas. Dabei lange ich so gemütlich übern Ladentisch in die Kasse und hole mir ein paar Scheine. War mehr, als ich nehmen wollte, hatte aber keine Zeit mehr, was zurückzutun. Da war der Alte schon mit seinem Honigglas da. Ich reiche ihm in der Angst den ersten besten Schein – waren zehn Dollar. Er macht große Augen und geht zur Kasse. Ich sag, kannst mir morgen zurückgeben, und will türmen, doch er hat schon das Nötige gemerkt und fängt an zu schreien. Ich zurück, ihm an die Gurgel. Wirst du still sein, alte Bestie? Aber er schreit noch toller. Ich in meinem Schreck nehm nen Hammer – lag grade einer so da – und poch ihm eins aufn Schädel. Kein Mucks mehr hat er getan. Aber da kamen sie schon gelaufen, schrien und bellten. Polizei wurde geholt, Hubert wurde weggeschleppt, eingelocht. Der Alte hat sich von dem Hieb bald erholt, mich haben sie nach ein paar Jahren für gute Führung laufen lassen, aber die Anna, die hat ins Gras gebissen. Is in derselben Nacht mitsamt dem Wurm in 'n Autobus nach 'm Himmelreich eingestiegen. Na, und das hat mir nicht gefallen, da bin ich Verbrecher geworden, aber 'n richtiger. Und den alten Kaufmann hab ich fünf Jahre später überm Ladentisch aufgeknüpft, und kein Piep hat er gemacht. Ja, auch das Verbrecherhandwerk will gelernt sein. Ich habs im Zuchthaus gelernt … Nun, alles gut aufgeschrieben? Was? Hab nen Mord gestanden, was? Großer Erfolg für Mr. Lincoln und seine Methoden?«

Keine Antwort. Bath sah zu Lincoln hinüber und fuhr jäh zusammen. Deutlich erblickte er in der Hand Lincolns einen Revolver und dieser Revolver war auf Hubert gerichtet.

»Nein, nein, so nicht«, sagte Bath ganz ruhig und sprang auf. Mit einem einzigen Satz war er an Lincolns Seite, doch da knallte schon zweimal dessen Revolver. Glas splitterte klirrend, und Hubert schrie auf.

»Still!« zischte Lincoln und sah Bath durchdringend an. »Abwarten.«

Bath wartete. Er stand, jetzt ebenfalls einen Revolver in der Hand, dicht neben Lincoln und wartete. Die übrigen Männer waren aufgesprungen, doch auf Lincolns gebieterische Handbewegung blieben sie stehen, wo sie waren.

»Was ist denn das?« rief Lincoln laut. »Wer hat hier geschossen? Roggers, sehen Sie nach, ob Hubert was geschehen ist?«

Inspektor Roggers, der gleichzeitig Arzt war, stürzte auf Hubert zu. Hubert schien unverletzt, aber er zitterte am ganzen Körper. Roggers sprach mit ihm ein paar Worte, untersuchte ihn, schüttelte den Kopf und sagte dann sichtlich verwundert:

»Beide Kugeln müssen haarscharf am Kopf Huberts vorbeigegangen sein.«

»Gut«, erklärte Lincoln. »Setzen Sie sich wieder, Roggers. Wir werden später genauestens untersuchen, wer die Schüsse abgab. Jetzt erscheint es mir wichtiger, das Verhör schnell zu beenden. Es ist klar, daß die Bande Hubert nach dem Leben trachtet.«

Hubert lachte. Sein Lachen klang unnatürlich, gezwungen; aber er lachte.

»Mir machen Sie nichts vor, lieber Freund. Mir trachtet niemand nach dem Leben. Höchstens die Polizei! Und jetzt, jetzt werde ich überhaupt nichts mehr sagen. Solche Behandlung gefällt mir nicht.«

Bath warf Lincoln einen vorwurfsvollen Blick zu, den der Chefinspektor wütend erwiderte. Es schien, als sei hier wirklich nichts auszurichten. Hubert hatte die Augen geschlossen. Er kümmerte sich um nichts mehr, nicht einmal den Schweiß wischte er mehr ab, der ihm über die Stirn rann.

Und gerade jetzt, für alle unerwartet, sagte er plötzlich etwas matt:

»Ich mag nicht mehr, meine Herren. Habs satt. Lassen Sie mich raus, machen Sie Licht und geben Sie mir ein Glas Wasser und ne gute Zigarre. Dann will ich Ihnen sagen, wer McGregor ist.«

Lincoln machte eine befehlende Handbewegung, die sofort verstanden wurde. Fünf Inspektoren sprangen auf, und binnen Minuten waren alle Wünsche Huberts erfüllt. Jetzt saß er auf einem der bequemen Klubsessel, ein Inspektor reichte ihm schon das zweite Glas Wasser, ein anderer hielt ein Kistchen mit Zigarren bereit, ein dritter wischte ihm den Schweiß aus dem Gesicht.

Viel zu langsam schlichen für alle die Minuten. Endlich, endlich war es so weit: Zwischen den Fingern seiner gefesselten Hände hielt Hubert die Zigarre, aus Nase und Mund quoll ihm der Rauch, und seine Äuglein blickten fast vergnügt in der Runde herum.

»Na, meine Herren, spannende Sache, was?« fragte er gemütlich und lächelte ein wenig spöttisch und ein wenig wehmütig.

»Sie wollten uns sagen, wer McGregor ist?« erinnerte ihn Lincoln mit heiserer Stimme.

Etwas wie Triumph leuchtete aus den Augen Huberts.

»McGregor bin ich selbst«, sagte er leise.


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