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XXII.

Zu Hause erwartete Bath eine unangenehme Überraschung: Das schöne Bild, das er erst vor einigen Tagen seiner Frau geschenkt hatte, lag am Boden, – es war mit scharfen Schnitten durchtrennt.

Lange blickte Bath auf das Bild, das jetzt auf dem Teppich lag. Dann sah er auf, in die ratlosen Augen seiner Frau.

»Wie kam das?« fragte er kurz.

Sie hob mit einer verzweifelten Gebärde die Schultern.

»Ich … ich kann das nicht verstehen. Wir waren alle im Nebenzimmer … längere Zeit. Als wir hierher kamen, lag das Bild so da wie jetzt. Und die Wohnungstür war nach wie vor regelrecht verschlossen.«

Bath beugte sich über eines seiner Kinder, das leise weinte, und streichelte es übers Haar.

»Weinen?« murmelte er vorwurfsvoll. »Man findet noch viele schöne Bilder in New York. Ja …« Er richtete sich wieder auf. »Für gewisse Leute gibt es eben keine Schlösser. Ich werde mein Haus bewachen lassen müssen. Und das da –« er deutete auf das Bild und lächelte spöttisch – »soll wohl ein Symbol sein. Na! … Ich werde nicht mit Symbolen antworten. Eine Kugel ins Hirn wirkt sicherer.«

Er winkte seiner Frau einen Abschiedsgruß zu und betrat schnell sein Arbeitszimmer. Ein anderer Gedanke war ihm gekommen: Es war recht unwahrscheinlich, daß ein Fremder sich hier unter großer Gefahr Einlaß verschafft hatte, lediglich um ein Bild zu vernichten. Vermutlich hatte er das so nebenbei mitbesorgt, aber der wahre Grund seines Besuches mußte ein ganz anderer sein. Und den würde er jetzt feststellen. Unbedingt.

Bath arbeitete gründlich und planmäßig. Zunächst, als er sein Zimmer betreten, blieb er an der Schwelle stehen und sah sich prüfend um. Wie zu erwarten war, sah alles genau so aus, wie er es verlassen hatte. Kein Buch, kein Stuhl, nichts schien von seinem Platz gerückt; nichts, nichts verriet, daß hier ein Fremder gewirtschaftet hatte. Doch mit einer Art Instinkt erkannte Bath, hier und nirgendwo anders in seiner Wohnung hatte der ungebetene Gast das getan, weswegen er gekommen war.

Noch über zwei Minuten lang stand Bath regungslos da und überlegte. Es konnte sein, daß man ihm etwas geraubt hatte – gewiß. Es konnte aber auch sein, daß man für ihn hier etwas vorbereitet hatte, das ihm, wenn er unvorsichtig war, das Leben kosten würde. Also war äußerste Vorsicht angebracht. Man mußte auf alles und jedes gefaßt sein.

Zunächst schloß Bath die Tür hinter sich ab. Dann schlug er mit einer einzigen kräftigen Handbewegung den Teppich beiseite, und erst, als er sich überzeugt, daß darunter nichts Gefährliches sei, eilte er zum Fenster und riß den Flügel auf. In einem vielleicht vergasten Raume war Luft die erste Heilbedingung.

Jetzt nahm er seinen Rock ab und hängte ihn über eine Stuhllehne. Dann schlug er die Hemdsärmel hoch und trat langsam an den schweren Geldschrank in der Ecke. Er besah sich das Schloß sehr aufmerksam durch die Lupe, aber nichts verriet ihm, daß daran ein anderer seine Finger gehabt hätte. Einen Augenblick schwankte er unschlüssig, dann zog er einen Bund Schlüssel aus der Tasche und öffnete vorsichtig das Schloß. Ehe er aber die Tür selbst aufzog, machte er einige Vorbereitungen: Aus einem Fach seines Schreibtisches nahm er einen langen Bindfaden, band ihn an den Griff des Stahlschrankes und entfernte sich bis in die äußerste gegenüberliegende Ecke des Zimmers. Nun erst zog er die Tür mit einem schnellen Ruck auf.

Nichts geschah. Die Tür öffnete sich lautlos wie immer, kein Knall war zu hören, kein Rauch zu sehen.

Beinah enttäuscht näherte sich Bath dem Schrank und begann nun mit der eingehenden Prüfung jedes einzelnen Geldscheins und jedes Schriftstückes. Aber nach Verlauf einer Viertelstunde hatte er sich überzeugt, daß nichts fehlte.

Mit derselben Vorsicht begab sich Bath jetzt an die Musterung des Inhalts seines Schreibtisches. Doch auch hier fand er alles in der ursprünglichen Ordnung – weder fehlte etwas, noch war etwas Überflüssiges da.

Jetzt kam der alte Schrank an die Reihe, in dem Bath verschiedene Kleidungsstücke hängen hatte, um nicht bei späten Ausgängen immer das Schlafzimmer betreten zu müssen. Bei einem anderen hatte die Aufmerksamkeit nach soviel fruchtlosem Suchen wohl nachgelassen, – nicht so bei Bath: Eben der Umstand, daß er bis jetzt nichts entdeckt, bestärkte in ihm die Gewißheit, es lauere irgendeine Gefahr auf ihn. Daher öffnete er die Tür des alten Schrankes fast noch vorsichtiger als die des modernen schweren Geldschrankes. Doch auch diese Tür öffnete sich gehorsam und lautlos.

Bath kam langsam näher. Jetzt, jetzt endlich hatte sein Ohr das wahrgenommen, wonach er so lange Vergeblich gesucht: Ein leises, kaum vernehmbares Ticken …

Ein Uhrwerk im Schrank! Bath wurde wie mit einem Schlage ganz ruhig. Nun wußte er, was ihm drohte, und er würde in wenigen Sekunden das Unheil abgewendet haben. Da! Unter den Kleidern verborgen, lag es: Ein kleines Schächtelchen, aus dem es leise tickte. Äußerst vorsichtig und doch sehr schnell hatte Bath es geöffnet, nach einem einzigen Blick auf den Mechanismus alles Nötige begriffen und im nächsten Augenblick mit einem kleinen dazwischengeklemmten Hölzchen das Uhrwerk zum Stehen gebracht.

Nun trug er es zum Schreibtisch, setzte sich ruhig hin und besah sich alles lange und aufmerksam.

»So, so …« murmelte er. Und dann noch einmal: »So, so …«

Es war ein so einfacher Mechanismus, wie Bath ihn nie erwartet hätte. Die Geschichte hätte nach einer halben Stunde losgehen müssen … Hier kam Bath der Gedanke, wieso sein Feind vermuten konnte, er, Bath, würde um diese Zeit grade hier sein. Das war beinah verdächtig, beinah verdächtig!

Fünfzehn Minuten lang saß Bath so da. Seine Finger spielten mit dem gefährlichen Werkzeug, das für ihn jetzt ganz und gar gefahrlos war. Ja, Bath kannte sich mit solchen Maschinen aus. Er selbst hatte manchmal schon im Hauptquartier das Auseinandernehmen viel schwierigerer Höllenmaschinen geleitet. Das hier war nichts, taugte nichts. Es hätte wohl einen schönen Knall gegeben, aber der Schaden wäre nicht groß gewesen.

Plötzlich sprang Bath auf. Jählings hatte er begriffen: Nicht des Bildes wegen und auch nicht dieser harmlosen Höllenmaschine wegen war der Fremde hier gewesen. Beides war nur dazu da, um ihn irrezuführen und zu verhindern, daß er noch etwas anderes, vielleicht wirklich Schlimmes entdeckte. Und war es dazu nicht schon zu spät? Wieviel Zeit hatte er schon hier verloren?

Wieder stand Bath vor dem alten Kleiderschrank, und wieder suchte er mit peinlicher Genauigkeit. Nein, hier war alles da, hier fehlte nichts. Drei Anzüge, zählte er, zwei Paar Schuhe, dann … Aber jetzt hielt Bath etwas in der Hand, das er nicht kannte. Sonderbar! Ein Kleidungsstück zuviel da?

Ja, es war ein Kleidungsstück, achtlos zusammengerollt und in der Ecke versteckt. Bath wickelte es auf und besah es beim Licht; Es war eine alte Frackweste, eine gewöhnliche alte Frackweste.

O nein, Bath erkannte es sofort: sie war nicht ganz gewöhnlich, – sie hatte nämlich hinten einige besondere Häkchen, die es ermöglichten, sie bedeutend enger oder bedeutend weiter zu machen. Sie konnte also ebensogut von einem schmächtigen wie von einem wohlbeleibten Manne getragen werden. Und diese Häkchen waren erst kürzlich an der Weste angebracht worden, – auch das erkannte Bath. Oh, und das da? Was doch solch eine alte Weste alles verraten konnte: Da fehlte von vier Knöpfen einer ganz, und der oberste war dazu noch anders als die beiden unteren.

»Flannagans Spur!« sagte Bath halblaut vor sich hin. »Oh, warum nicht? Vielleicht eine gute Spur – –«

Es klopfte.

»Wer ist dort?« fragte Bath stirnrunzelnd.

»Zwei Männer von der Polizei sind da«, antwortete die Stimme seiner Frau. »Sie möchten dich sprechen.«

»Warum nicht«, versetzte Bath gefaßt. »Für die Polizei bin ich immer zu sprechen.«

Er sperrte die Tür auf und ließ die beiden Männer ein, die sofort ihre Marken vorwiesen.

»Inspektor«, sagte der eine etwas verlegen. »Wir haben Auftrag, bei Ihnen Haussuchung zu halten. Es ist uns sehr unangenehm, aber Sie verstehen … Unsere Pflicht …«

»Ich verstehe sehr gut«, erwiderte Bath liebenswürdig und winkte dabei seiner Frau, draußen zu bleiben. »Und ich will Ihnen sogar bei der Suche behilflich sein. Vielleicht suchen Sie diesen Gegenstand da?«

Beim Anblick der Weste prallten die Polizisten förmlich zurück.

»Inspektor«, sagte der eine dumpf. »Sie geben also zu …«

»Was gebe ich zu?« fragte Bath rasch und beobachtete die Gesichter der Männer, die jetzt die Höllenmaschine bemerken mußten. »Ich gebe zu, daß dies eine Frackweste ist, daß ein Knopf daran fehlt, daß ein weiterer Knopf anders ist als die beiden übrigen … Sagen Sie mal, meine Herren, wissen Sie, was da neben Ihnen auf dem Tisch liegt? Eine nette kleine Höllenmaschine.«

»Ach!« sagte der eine stirnrunzelnd. »Eine Höllenmaschine? Inspektor, Sie werden doch nicht …«

»Natürlich werde ich! Sie meinten doch, ob ich Ihnen Widerstand entgegensetzen werde? Selbstverständlich!«

Mit einem Satz war Bath bei der Tür. Ehe die beiden Männer sich fassen konnten, hatte er die Tür aufgerissen und hinter sich wieder geschlossen. Dabei hatte er noch Zeit gefunden, den Schlüssel von innen abzuziehen, mit dem er jetzt hastig die Tür von außen verschloß.

»Lauf in die Wohnung nebenan«, wandte er sich lächelnd an seine Frau, die bleich und entsetzt neben ihm stand. »Ruf das Überfallkommando! Ich muß in den Hof, die Kerle abknallen, falls sie durchs Fenster entwischen wollen.«

Baths Frau fragte nicht, dachte nicht, sondern eilte, dem Befehl ihres Mannes zu folgen. Bath aber stand schon nach einer halben Minute im Hofe und rief schrill und laut zu dem Fenster im dritten Stock hinauf, wo sich zwei Männerköpfe zeigten:

»Hallo! Hallo! Ihr beiden da! Weg mit den Köpfen, sonst schießt Inspektor Bath. Und Inspektor Bath trifft immer!«


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