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XXI.

Nicht lange darauf stand Bath vor seinem Vorgesetzten Lincoln.

»Ich war bei Flannagan«, meldete er ruhig. »Wir unterhielten uns fast zwei Stunden lang … Ja … Aber er hat mir nichts davon erzählt.«

Lincoln paffte seine Zigarre und starrte finster den blauen Rauchwolken nach.

»Eigentlich sonderbar … hm …«, brummte er unzufrieden. »Erst berichtet er uns eine ganz unglaubliche Geschichte, wir stellen die ganze Polizei auf den Kopf, um einer bestimmten Spur nachzugehen, und dann erwähnt er nichts davon in einem zweistündigen Gespräch mit einem Inspektor der Kriminalabteilung. Sonderbar!«

»Er hält mich für McGregor«, sagte Bath achselzuckend. »Vielleicht ist das der Grund.«

»Pff!« machte Lincoln erstaunt. »Sie – McGregor? Das ist doch ein bißchen stark. Nachdem wir genau wissen, daß die Bande alles aufbietet, um Sie zu beseitigen?!«

Bath hob wieder die Schultern.

»Das könnte ja nur so … vorgetäuscht worden sein. Erst, wenn ich von der Bande wirklich kalt gemacht bin, ist das ein Beweis dafür, daß ein anderer McGregor ist.«

Lincoln lachte rauh auf.

»Und diesen Beweis möchten Sie Flannagan natürlich nicht liefern, lieber Inspektor«, sagte er und verzog die Mundwinkel zu einer Grimasse. »Na, diese Geschichte, diese Geschichte … Warten Sie, ich will sie nochmal durchnehmen: Also Flannagan, schon halb genesen, geht am Abend im Park des Krankenhauses allein spazieren. Sehr unwahrscheinlich, aber, lieber Bath, ist bereits als Tatsache nachgewiesen. Plötzlich, in völliger Dunkelheit, steht ein Mann vor ihm, bedroht ihn mit einem Revolver – furchtbar unwahrscheinlich!! – und redet ihn etwa folgendermaßen an: ›Lasse deine Pfoten von mir, niederträchtiger Hund von einem Spitzel, du! Siehe, vor dir steht McGregor höchst eigenhändig! Er könnte dich jetzt um die Ecke bringen wie nichts, aber er will dich noch zappeln lassen, du elender Erdenwurm. Dafür sollst du von nun an hübsch brav deinen Alkohol saufen und McGregor morden lassen, soviel es ihm Spaß macht!‹ Großartige Ansprache, was?«

»Ganz so wird McGregor wohl nicht gesprochen haben«, meinte Bath lächelnd. »Klingt ein bißchen zu sehr nach … nach …«

»Nach Kintopp, jawohl«, ergänzte Lincoln zornig. »Nach Kintopp, wie es vor zwanzig Jahren gemacht wurde. Da haben Sie recht. Und ganz so hat McGregor auch nicht gesprochen, wenigstens nach Flannagans Bericht zu urteilen. Aber der Sinn – verstehen Sie: der Sinn ist doch derselbe! Nun zeigen Sie mir mal einen einzigen amerikanischen Banditen, der einen Todfeind erst warnt, wenn er schießen, einfach schießen kann! Gibts das? Nein, sage ich, das gibts nicht! Also? Also hat Flannagan gedichtet. Gedichtet! Es fragt sich: Warum?«

»Man nennt das Irreführung der Behörden, glaube ich.«

»Groben Unfug vielleicht, was? Nee, mein Lieber, da steckt mehr dahinter, viel mehr! Nun aber zu dem Punkt, der uns möglicherweise das Rätsel klären kann: Flannagans Spur! Nach seinem Bericht ist ihm bei dieser Anrede nicht etwa das Herz in die Hosen geplumpst, – o nein! Er hat Mut bewiesen wie kein zweiter! Was tat er? Zündet er doch einfach wortlos seine Blendlaterne an – hat er extra zu dem Zweck mitgenommen!! – und leuchtet sich seinen Feind so recht gemütlich ab. Und McGregor? Sie denken, er hat endlich geschossen? I wo! Er muß von der Beleuchtung gradezu begeistert gewesen sein, denn er tat weiter nichts als Flannagan die Laterne aus der Hand schlagen. Zur Beachtung: Schrammen von dem Schlag an Flannagans Hand vorhanden. Blendlaterne in beschädigtem Zustand ebenfalls vorhanden. Alles vorhanden, und doch: ich kann's nicht glauben.«

»Sie wollten von der Spur sprechen«, erinnerte Bath.

»Richtig!« Lincoln stand auf und begann hin und her zu laufen. Es war aber mehr ein Stapfen, denn er war sehr behäbig. »Richtig: die Spur! Was hat Flannagan beim Lichte seiner Laterne gesehen? Einen Mann mit einer schwarzen Maske! Dachten Sie an etwas anderes? Ich nicht. Das gehört einfach zum Kintopp. Flannagan schien auch nichts anderes erwartet zu haben, denn er hielt sich nicht lange damit auf, das verdeckte Gesicht des Fremden zu betrachten. Er besah sich die Gestalt: Mittlerer Wuchs, gedrungene, fast dicke Gestalt. Und dann bemerkte er etwas ganz Eigentümliches, eine Kleinigkeit unter dem Mantel, der offen war. Und diese Kleinigkeit ist eine Spur, wenn die Erzählung Flannagans stimmt.«

»Und diese Spur ist?«

»Das will ich Ihnen lieber nicht verraten, Bath«, versetzte Lincoln. »Das wissen bis jetzt nur die Beamten, die diese Spur verfolgen. Und das genügt. Also, auch Sie glauben die Geschichte nicht?«

»Nein.«

»Dann werden Sie sich genau so wie ich wundern, wenn ich Ihnen verrate, daß der Mann, der den Schauspieler Murphy erstach, eben dank Flannagans Spur die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich lenkte und beinahe verhaftet wurde. Sie werden sich noch mehr wundern, wenn ich Ihnen sage, daß wir Beweise dafür haben, wie sehr McGregor im Augenblick bemüht ist, diese Spur zu verwischen. Demnach könnte Flannagans Erzählung stimmen.«

»Warum regen Sie sich dann auf?« fragte Bath leise. »Es scheint also doch, daß er nicht gelogen hat.«

»Es scheint, es scheint!« rief Lincoln barsch. »Auch der Vollmond scheint! Wenigstens manchmal. Und in Flannagans stockfinsterer Nacht hat er nämlich grade geschienen. Ist erwiesen. Was sagen Sie nun?«

»Nichts. Haben Sie übrigens den Polizisten verhört, der den falschen McGregor erschoß?«

»Nein, noch nicht vernehmungsfähig. Ich lasse ihn von fünf Beamten bewachen, damit er nicht ebenfalls verschwindet, bevor er sprechen kann. Sie können jetzt gehen. Ich habe nur einen Auftrag für Sie: Halten Sie sich so viel wie möglich in Flannagans Nähe auf.«

Bath verneigte sich zum Abschied.

»Ich glaube«, antwortete er nachdenklich, »das dürfte nicht schwer sein: Flannagan selbst wird dafür sorgen.«


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