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Mrs. Evelyn Bath saß im sauber aufgeräumten Wohnzimmer und wartete auf ihren Mann. Er hatte sie vor einigen Stunden angerufen und gesagt, er würde am Abend wahrscheinlich nach Hause kommen. Sie wartete schon lange auf ihn, und das Buch, in dem sie las, schien sie zu langweilen, denn immer wieder legte sie es weg und schaute seufzend nach der Uhr.
Es war still, die Kinder schliefen längst, und nur ein ausgestopfter Affe unter dem Sofa, der ihrer Aufmerksamkeit beim Aufräumen entgangen war, verriet, daß sich in diesem Zimmer am Tage Inspektor Baths Kinder tummelten. Mrs. Bath sah jetzt den Affen, aber sie war zu träge, um aufzustehen und ihn aufzuheben.
Die Uhr zeigte schon ein Viertel nach zwölf, als sie das Rascheln an der Wohnungstür vernahm und rasch aufsprang. Sie lief flink ins Vorzimmer und schob den schweren Riegel an der Tür zurück.
»Guten Abend, Evelyn«, begrüßte Bath sie etwas erstaunt. »Du hast den Riegel vorgeschoben?«
»Es ist so sicherer«, sagte sie leise, und er nickte, obwohl ihn diese Antwort nicht ganz befriedigt hatte.
Er trat ins Wohnzimmer, nahm das Buch auf, in dem sie gelesen hatte und blätterte darin.
»Du liest über den japanisch-russischen Krieg?« fragte er und zog die Brauen empor. »Das Buch taugt nicht viel. Es schildert wohl richtig den Verlauf des Krieges, die Beweggründe Japans zu diesem Krieg werden aber ganz entstellt berichtet. Die Kinder schlafen?«
»Ja, schon lange.«
»Ich möchte sie sehen«, sagte Bath kurz.
Auf den Zehenspitzen schlich er sich ins Kinderzimmer, schaltete das Licht einer roten Ampel an und stand lange sinnend an den Betten seiner drei Kinder. Sie schliefen fest und ruhig und spürten nichts von seiner Anwesenheit. Als Bath nach einer Weile wieder das Wohnzimmer betrat, stellte er die Frage, die ihn schon seit dem Betreten der Wohnung beschäftigte:
»Evelyn hat geweint?« Die Frage klang ruhig, im Tone einer etwas vorwurfsvollen Feststellung, aber man fühlte aus den Worten doch seine Sorge heraus.
Evelyn fuhr sich mit der Hand über die verräterisch roten Augen und begann dann hastig zu erzählen, was sie viel lieber verheimlicht hätte.
»Strong war hier und wollte dich sprechen. Er glaubte mir nicht, als ich sagte, du seiest nicht da … Und er drängte sich in die Wohnung, stieß mich einfach beiseite und sah überall nach. Die Kinder waren noch auf und fingen vor Angst an zu weinen. Strong machte nämlich ein sehr finsteres Gesicht.«
Sie schwieg.
»Und dann?« fragte er und bückte sich. Er hob den vergessenen Affen auf, strich den Staub von ihm ab und setzte ihn aufs Sofa.
»Dann – ging er wieder«, antwortete sie zögernd.
Bath sah sie nicht an. Er trat an die große Palme heran und betrachtete sie aufmerksam.
»Deswegen würde Evelyn doch nicht geweint haben«, meinte er tadelnd. »Was ist denn noch geschehen?«
»Nichts. Nur …« Und jetzt war sie entschlossen, ihm auch das nicht zu verheimlichen: »Er beschimpfte die Kinder … und als ihm die kleine Maud zu nahe kam, da … da schlug er sie.«
Bath war zusammengezuckt, als hätte eben jemand ihm selbst einen Schlag versetzt. Sofort aber war er wieder äußerlich ruhig. Sogar sein Lächeln war wieder da – ein freundliches, nachsichtiges Lächeln.
»Nun, und darüber weint man?« fragte er langsam. »Die Kinder werden das bald vergessen haben, und wir – werden doch die Worte und Handlungen eines so ungebildeten Mannes nicht ernst nehmen! Wenn mich auf der Straße ein Hund anbellt, werde ich es kaum beachten; wird es mir zu arg, so werde ich einen Stock nehmen und den Hund züchtigen, – aber beleidigt sein – – –? Nein, beleidigen kann mich ein bellender Hund nicht.«
»Du hast recht«, sagte sie und senkte den Kopf. »Aber ich werde von nun an immer den Riegel vorschieben und erst fragen, wer draußen ist.«
»Tue das«, antwortete er und nickte. »Ich habe jetzt noch etwas zu tun und muß nachher weggehen. Warte also nicht auf mich, denn es kann spät werden.«
Er strich ihr flüchtig übers Haar, und dann ging er in sein Arbeitszimmer.
Kaum hatte er die Tür hinter sich geschlossen, verfinsterte sich sein Gesicht.
»Mein Kind schlagen?« flüsterte er kaum hörbar und ging schnell zum Schreibtisch. Seine Hand griff nach dem Hörer des Fernsprechers, und dann stellte er eine Nummer ein.
»Hier spricht Bath«, sagte er mit fester, klarer Stimme. »Ja, Inspektor Reginald Bath. Ja … Also passen Sie bitte genau auf: Es soll nicht um zehn Minuten nach zwei Uhr, sondern um zehn Minuten vor drei Uhr geschehen. Verstanden? Bitte, wiederholen Sie. Ja, ganz richtig. Guten Abend.«