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Als Bath am nächsten Morgen im Polizei-Hauptquartier die Abteilung für Handschriftenprüfung betrat, merkte er gleich, daß sich etwas Besonderes ereignet hatte. Er sah lauter aufgeregte Gesichter, und schon im Gang, vor den eigentlichen Arbeitszimmern, herrschte ein ganz ungewöhnliches Hin und Her.
»Hallo, Bath!« rief ihm ein junger Mann zu und schwenkte lustig eine große blaue Mappe. »Wir haben ihn? Wir haben ihn!«
»Wen?« fragte Bath und blieb stehen.
Aber der junge Mann schien keine Zeit zu haben. Er rannte weiter.
»McGregor! Wen denn sonst?« rief er und verschwand hinter einer Glastür.
Jetzt packte es auch Bath. Mit ein, zwei Sätzen war er bei der Tür, riß sie auf und stürmte an erstaunt aufblickenden Beamten vorbei zur nächsten Tür mit der Aufschrift »Professor Dr. A. Neumann«.
Der Professor stand an seinem Schreibtisch, umringt von einer Anzahl jüngerer und älterer Männer, deren Gesichter alle eine ungewöhnliche Spannung verrieten.
»Betrachten Sie auch diesen Punkt über dem ›i‹!« sprach der Professor. »Es ist mehr ein Strich, und Sie sehen schon mit dem bloßen Auge, daß er mit einer gewissen Rundung von links oben nach rechts unten führt. Genau so hier, bei dieser Schrift – – – Ah, Mr. Bath? Nun, was sagen Sie zu der Neuigkeit?«
»Ich weiß noch gar nichts«, erwiderte Bath etwas erregt. »Fergusson rief mir zu, Sie hätten McGregor? Sollte es möglich sein?«
Der Professor tippte auf ein Blatt Papier.
»Hier, lieber Bath, hier haben wir ihn. Die Schriftproben, die Sie mir in der Nacht brachten, stimmen überein. Es steht unweigerlich fest: Sie stammen von derselben Person. Sie brauchen jetzt also weiter nichts zu tun, als dem Mann, der diesen Zettel geschrieben hat, Handschellen anzulegen: Er und kein anderer ist McGregor.«
Bath pfiff leise vor sich hin.
»Augenblick, bitte«, sagte er und nahm den Hörer vom Fernsprecher. Er führte verschiedene Gespräche mit verschiedenen Abteilungen des Hauptquartiers. Es war nicht so einfach festzustellen, was mit Flannagan in der vergangenen Nacht geschehen sei. Baths Mienen wurden immer ernster, je länger er forschte. Schließlich rief er den Chefinspektor Lincoln an.
»Ja, Flannagan ist verschwunden, und mit ihm Tamara Harrogate und Brennan«, sagte er nach den ersten einleitenden Worten. »Sie wissen es schon? Gut. Ich begreife, daß Flannagan verschwinden konnte; auch daß Tamara Harrogate was entgehen konnte, erscheint verständlich. Aber Brennan? Er wurde doch beobachtet? So viel ich weiß, strengstens beobachtet?«
Ehe Lincoln antwortete, stieß er ein paar greuliche Flüche aus.
»Inspektor Jonathan hat ihn beobachtet«, schrie er dann. »Sie kennen Jonathan? Nein, Sie kennen ihn nicht. Wir haben ihn um fünf Uhr morgens verhaftet. Warum? Weil er heute nacht seine Leute einfach nach Hause schickte, sich eine Fahrkarte nach Montreal löste und abdampfte. Abdampfte! An der Grenze wurde er festgenommen, gestand beim ersten Verhör, zu der McGregorschen Bande zu gehören … Na, und nun haben wir den Salat. Wissen Sie, lieber Freund, ich fange bald an zu glauben, daß von der ganzen Polizei nur einzelne Idioten wie Sie und ich nicht zu der McGregorschen Bande gehören.«
»Flannagan muß unbedingt gefunden werden«, antwortete Bath ernst. »Er hält jetzt den Schlüssel zur Lösung in der Hand.« In knappen Worten berichtete er davon, wie ihm Flannagan gestern eine Schriftprobe gegeben hatte und was bei der Prüfung entdeckt worden sei.
»Flannagan muß sofort gefunden werden!« brüllte Lincoln in den Apparat, dann hängte er ein.
Als Bath aufblickte, sah er in enttäuschte Gesichter.
»Und … Sie wissen also gar nicht, von wem diese Schriftprobe herrührt?« fragte der Professor gedehnt.
»Noch nicht«, antwortete Bath. »Noch nicht, aber bald.« Damit eilte er davon.
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Inspektor Bath hatte noch andere Eisen im Feuer. Er wußte jetzt, daß die Polizei fieberhaft nach Flannagan suchte. Es suchten Hunderte von Beamten. Also kam es nicht darauf an, ob einer mehr oder weniger suchte. Inspektor Bath beteiligte sich an der Suche nicht. Er hatte etwas anderes vor.
Die Uhr zeigte elf, als er, den Mantelkragen hochgeschlagen, den regennassen Hut in der Hand, ein kleines Postamt im Bowery-Viertel betrat. Ihm folgten auf dem Fuße zwei Männer, beide um einen Kopf größer als er, mit denselben ernsten undurchdringlichen Mienen wie er. Sie gingen schnurstracks auf den Schalter für postlagernde Briefe zu, an dessen Klappfenster wartend ein Mann stand. In dem Augenblick, als sie an ihn herantraten, standen wie aus dem Boden gewachsen noch zwei andere kräftige Männer mit undurchdringlichen Gesichtern neben dem Fremden.
»Guten Tag, Mr. Hubert«, sagte Bath freundlich. »Auch mal Post abholen?«
Hubert – er war es wirklich – fuhr herum. Für eine einzige Sekunde zeigte sein Gesicht einen Ausdruck von Wut und Haß, wie ihn bei ihm noch niemand gesehen hatte. In der nächsten Sekunde lächelte er schon zuvorkommend.
»Ja, Post für Mr. Flannagan«, erwiderte er gleichmütig. »Ich wußte nicht, daß Sie Ihre Post auch hier empfangen.«
»Nein, das konnten Sie nicht wissen«, antwortete Bath liebenswürdig lächelnd. Dann sagte er kurz: »Schnell!«
Acht Fäuste umklammerten gleich eisernen Fangarmen die Handgelenke Huberts. Er bäumte sich jäh auf, unterließ dann aber jeden Widerstand. Sein breites Gesicht lächelte, und das Lächeln war ein wenig spöttisch.
»Ich protestiere«, sagte er, doch schon am Tonfall seiner Stimme erkannte man, daß er es nicht ernst meinte. »Haben Sie einen Haftbefehl?«
Bath beachtete Huberts Worte nicht. Er wandte sich an den Schalterbeamten:
»Hier ist mein Ausweis. Geben Sie mir schnelle und genaue Auskunft. Auf welchen Namen wünschte dieser Mann eben Post zu erhalten?«
»Er hatte den Namen noch nicht genannt«, lautete die etwas verstörte Antwort.
»Hat er je für einen Mr. Flannagan Post abgeholt?«
»Nein.«
»Hat sonst jemand hier für Mr. Flannagan Post abgeholt?«
»Auch nicht.«
»Hat dieser Mann früher auf einen anderen Namen Post abgeholt?«
»Jawohl, Inspektor.«
»Auf welchen Namen?«
»Auf den Namen Reginald Bath.«
Bath lächelte.
»Das gefällt mir. Man hätte auch daraus vielleicht einen Strick drehen können. Na, schauen Sie mal nach, ob etwas für mich – Sie sehen am Ausweis: ich bin selbst Reginald Barth – ob etwas für mich da ist.«
Der Beamte suchte.
»Ein Telegramm, Mr. Bath.«
»Her damit.«
Bath riß es hastig auf und las:
»Alles in Ordnung. Weiterleiten.«
Das Telegramm war in Portland um sechs Uhr morgens aufgegeben. Mehr verriet es nicht.
Bath griff grüßend an die Stirn, besann sich dann erst, daß er den nassen Hut noch immer in der Hand hielt, lächelte schwach und gab seinen Leuten das Zeichen, ihm zu folgen.
Draußen erwartete sie ein schwarzer Wagen, in dem sie alle Platz nahmen. Die Fahrt ging zum Hauptquartier.
»Lieber Mr. Hubert«, sagte Bath unterwegs. »Ich weiß, Sie haben Befehle für McGregor empfangen und weitergeleitet. Sie werden uns noch heute sagen, wer dieser McGregor ist. Tun Sie es nicht, so überleben Sie den Tag nicht. Machen Sie sich also auf allerlei gefaßt.«
Hubert lächelte.
»Angst machen gilt nicht«, sagte er ruhig. »Wir wollen den Fall annehmen, ich kennte wirklich diesen McGregor. Würde ich ihn dann verraten? Nein, Mr. Bath, Hubert verrät keinen Menschen, der ihm vertraut.«
»Sehr anständige Gesinnung«, meinte Bath anerkennend. »Wird Ihnen das Leben kosten, mein Junge.«
»Solange McGregor in Freiheit ist, erscheint mir Ihr Leben weit gefährdeter, mein Junge«, gab Hubert zurück.
Der Wagen hielt vor dem Hauptquartier.
»Genauestens durchsuchen«, ordnete Bath an. »Alles abnehmen. Unausgesetzt beobachten. Jede Speise ist erst auf Gift zu prüfen. Kein Mensch zuzulassen. Sie haften mir für diesen Mann.« Schon im Gehen rief er: »Ich bin bei Lincoln. Alle Nachrichten dorthin.«