Heinrich Zschokke
Der tote Gast
Heinrich Zschokke

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Das Fest war glänzend. Altenkreuz und Henriette erschienen diesen Abend schwarz, in altdeutscher Tracht. Beide zogen durch ihre Pracht aller Augen an sich; denn sie übertrafen selbst die Pracht des Vicomte de Vivienne und der jungen Baronin von Roren, die sich durch die bunten Reihen als Perser und Perserin bewegten.

Der Schwarze ist kein anderer als der Graf! sagte der Vicomte zu seiner Geliebten. Wozu nur der Narr die Larve vornimmt! Er kann doch seine Stangenfigur nicht verkürzen, mit der er eines Kopfes Länge und alle wegragt. Um sich kenntlicher zu machen, bedarf dieser Ritter von der traurigen Gestalt wahrhaftig seiner Leibfarbe nicht, in der er sich alle Tage wie ein Pariser Abbé zur Schau stellte, Schwarz auf Schwarz. Aber neugieriger bin ich, wer seine Tänzerin sei. Wahrhaftig, sie hat schönen Wuchs und tanzt allerliebst.

Ich wette, sagte die Baronesse, irgendein gemeines Ding aus der Stadt. Man sieht es der gezwungenen ungelenken Haltung an.

Der Ball dauerte tief in die Nacht, ehe man zum Gastmahl ging, bei dem man natürlich die Masken ablegte. Da gab es beim Erblicken so vieler reizenden fremden Gesichter neue, angenehme Überraschungen. Der Vicomte konnte sich an der lieblichen Altdeutschen nicht satt schauen. Er saß bei der Tafel neben ihr, so wie Altenkreuz bei der jungen Baronin. Die beiden Herren schienen hier ganz ihre Rollen zu wechseln; so viel Artigkeiten, die fast mehr als Artigkeiten waren, die der Vicomte seiner freudetrunkenen Nachbarin spendete, ebensoviel der Graf der Geliebten des Vicomte. Diese Vertraulichkeiten setzen sich auch nach aufgehobener Tafel fort.

So wahr ich lebe, sagte der Vicomte zum Grafen, ich kapere Ihnen Ihre Tänzerin, und wenn Sie mir darüber todfeind würden.

Ich habe die Rache in Händen, lieber Vicomte, erwiderte Altenkreuz, ich kapere Ihnen Ihre liebenswürdige Baronesse.

Der Vicomte, den die neue Leidenschaft und der alte Wein am Tische allzulebhaft gemacht hatten, sagte unbesonnen genug, und ohne darauf zu achten, daß die Baronesse in der Nähe stand und es wohl hören konnte: Ein Dutzend meiner Baronessen für die einzige Venus im altdeutschen Kostüm!

Vicomte, rief der Graf finster, besinnen Sie sich, was Sie sagen. Wie artig immerhin meine Tänzerin sei, der erste Preis der Schönheit gebührt immerhin der Königin dieses Festes, Ihrer Braut.

Titularkönigin! Titularkönigin! Ich halte es mit der wirklichen Macht! rief der Vicomte. Der Graf gab vergebens durch Blicke und Winke, wegen der Nähe der Baronin, zu verstehen, daß er sich mäßigen solle; redete zuletzt entschlossener und gebot dem Vicomte, keine Beleidigungen weiter, wegen der Baronin, die sich zornig entfernte, auszustoßen. So kam es zum Wortwechsel. Umsonst suchte der Graf wieder zum Gütlichen einzuleiten. Der Vicomte, von Liebe, Wein und Ärger entflammt, betrug sich immer unanständiger. Die Gäste traten zusammen. Der Graf suchte durch Schweigen größeres Aufsehen zu verhüten. Als der Vicomte aber sagte: Graf, ich hätte nicht geglaubt, daß ein so abgezehrter Wüstling, wie Sie, noch Kraft genug zur Eifersucht habe; denn nur ohnmächtige Eifersucht spricht aus Ihnen! Da konnte sich auch Altenkreuz nicht länger mäßigen.

Vicomte! rief er. Wüstling? Ich? Wer sagt das?

Ihr eigenes bleifarbenes Gesicht! lachte höhnisch der Vicomte.

Wenn Sie keine Memme sind, Vicomte, sagte der Graf, so geben Sie mir Rechenschaft über Ihre Albernheit. Einer von uns wird dies Haus verlassen müssen. Sie sind ein Geck.

Baron von Roren hatte seine Tochter in einem Nebensaale weinend angetroffen und von ihr die Ungezogenheit des Vicomte erfahren. Er suchte ihn auf. Er hörte noch die letzten Reden des Grafen. Alle Anwesenden waren gegen den Vicomte empört. Der Baron faßte zornig die Hand des Vicomte und führte ihn auf die Seite. Sie haben meine Tochter öffentlich beschimpft! Elender, haben wir das um Sie verdient? Mir geben Sie diesen Augenblick, nicht erst morgen, Genugtuug. – Damit verließen beide den Tanzsaal. Während sich hier die Paare von neuem reihten, um im Tanze die gestörte Freude herzustellen, waren der Baron und der Vicomte in einen erleuchteten einsamen Nebensaal getreten. Ihnen auf dem Fuße aber war der Graf gefolgt. Er brachte zwei Degen und bot einen dem Vicomte dar, indem er sich zugleich an den Baron wandte und sagte: Erlauben Sie, Herr Baron, daß ich die Ehre der göttlichen Baronesse und meine eigene an diesem Nichtswürdigen räche!

Der Vicomte rief wütend: Nun denn, du Aschengesicht, zieh! Und damit zog er den Degen, schleuderte die Scheide weg und fiel den Grafen an. Dieser verteidigte sich mit vieler Kaltblütigkeit. Es währte der Zweikampf keine drei Minuten, da ward dem Vicomte der Degen mit gewaltiger Macht aus der Hand geschleudert, daß die Klinge weit weg in einen großen Wandspiegel flog, der in tausend Stücke zersplitterte.

Erbärmlicher Mensch! rief der Graf. Dein Leben ist in meiner Macht. Ich möchte mich nicht mit deinem verächtlichen Blute besudeln. Fort aus dieser Atmosphäre, und erscheine mir nicht wieder. Damit gab er dem Vicomte einen flachen Hieb über den Rücken und warf ihn mit Riesenstärke zur Tür hinaus.

Noch in derselben Nacht verließ der Vicomte de Vivienne mit seinen Leuten das Schloß.

Wie schwer gekränkt auch die junge Baronin durch die Unanständigkeit des Vicomte gewesen, hatte sie doch in der Ehre, daß man ihretwillen den Degen zog, volle Entschädigung gefunden. Zwar hatte sie den Vicomte eigentlich nicht geliebt, aber jetzt haßte sie ihn; – hingegen der Graf, der ihr vorher nicht hübsch genug gewesen, schien ihr nun wirklich viel Angenehmes zu haben. Man muß sich über die plötzliche Verwandlung eben nicht wundern. Ist es doch bekannt: Liebe macht blind. Und die Selbstliebe der Eitelkeit ist ja auch eine Liebe.

Als sie alles Vorgefallene von ihrem Vater erfahren hatte, suchte sie den Grafen mit einer freilich nur angenommenen Ängstlichkeit auf. Sie wußte sehr gut, daß von beiden Seiten alles blutlos abgelaufen war.

Aber, rief sie, bester Graf, was haben Sie begonnen? Sie sind doch nicht verwundet? Um Gottes willen, wie Sie mich erschreckt haben!

Meine Gnädige, und wenn ich nun für Sie verwundet wäre, wie stolz würde ich sein! Fürchten Sie nichts; mich verwundet solch ein Geck, wie der Vicomte, nicht leicht. Wollen Sie aber doch ein wenig Mitleiden mit mir haben, so haben Sie es immerhin; denn verwundet bin ich doch an gefährlicher Stelle – in diesem Herzen – und noch dazu durch Sie. Aber dafür haben Sie kein Mitleiden.

Tändler! Bis jetzt hat Ihnen die ganze Welt noch keinen Wundenschmerz angesehen.

Ich schwieg und litt, und wollte gern eins der vielen Opfer Ihrer Reize sein. Ich schwieg, und war glücklich Sie mit Hinwagen meines Lebens an einem Frevler zu rächen. Ich werde schweigen, und werde einst mit Freuden für Sie sterben.

Schweigen Sie! sagte die Baronin lächelnd und vergalt seine Worte mit einem leisen Händedruck. Führen Sie mich lieber zum Tanz.

Sie tanzten. Beide wurden nun vertraulicher, da er das schwere Geständnis, das schwerste für jeden Liebenden, schüchtern ausgesprochen und sie es nicht verworfen hatte. Als sie ihn ihren vielgetreuen Kämpen und Ritter im Scherze nannte, verlangte er auch auf Ritterweise den Ehren- und Minnesold. Den nun freilich verweigerte die junge Baronin, ob er gleich nur in der Erlaubnis eines Kusses auf ihre glühenden Wangen bestehen sollte; aber die Eroberung war ihr darum nicht minder angenehm.

Noch freudeberauschter war Henriette. Sie sah sich als den Gegenstand allgemeiner Bewunderung. So viel Schönes war ihr in ihrem Leben noch nicht über ihre Schönheit gesagt, wie hier von den jungen Edelleuten auf dem Balle. Als der Graf sie gegen Morgen wieder im Wagen zum väterlichen Hause zurückführte und sie wieder zum nächsten Balle einlud, verdoppelte sich ganz natürlich ihr Entzücken. Ach, Henriette, seufzte er, wirst du mich nie ein wenig lieben? Du hattest heute einen frohen Abend; willst du nicht immer diese Abende, diese Tage, diese Nächte? Es hängt von dir ab. Als Gräfin von Altenkreuz ist dein ganzes Leben ein fröhlicher Balltag. – Sie schwieg. Er raubte ihr einen Kuß, indem er sie an seine Brust drückte. Sie zitterte und schwieg, und duldete einen zweiten.

Des anderen Tages fehlte der Graf nicht, sich nach dem Befinden beider Tänzerinnen zu erkundigen und bei beiden seine Bewerbungen fortzusetzen. Beiden machte er glänzende Geschenke; beider Mädchen Eitelkeit begeisterte er so, daß beide sich zuletzt einbildeten, sie liebten ihn wirklich. Die Väter, der Schneider wie der Baron, wurden auf gleiche Weise von ihm geblendet. Der Schneider glaubte sich bald reich genug, sein Handwerk aufgeben zu können, und der Baron konnte den Grafen nicht genug loben und schmeicheln, denn dieser hatte ihm, der in bedeutender Geldverlegenheit war, wirklich beträchtliche Summen vorgeschossen.

Altenkreuz hatte also leichtes Spiel, als er, um zum Ziel zu kommen, beim Schneider um Henriettens Hand, beim Baron von Roren um dessen Tochter anhielt. Ohne daß einer vom anderen wußte, gaben ihm beide das Jawort, wie er es endlich auch schon von den beiden hoffärtigen Mädchen herausgelockt hatte. Ja, was das Äußerste war, dieser unersättliche Verführer hatte dasselbe Spiel noch im Hause eines Beamten in der Stadt getrieben, durch seine Künste die Tochter des Hauses von ihrem Geliebten getrennt und dann dessen Stelle eingenommen. Förmlich war die Verlobung mit allen abgeschlossen.

Der Baron feierte den Verlobungstag seiner Tochter mit Gastmahl, Spiel und Ball. Auch Henriette ward wieder dazu eingeladen, und Altenkreuz empfing Erlaubnis von seiner Braut, die Schneiderstochter, jedoch erst abends, zum Tanze abzuholen. Es war aber ein fürchterlicher Tag in der Natur; Sturm, Regen und Schnee wüteten. Sogar Blitz und Donner fanden sich mit Hagelschauern ein. Von den Dächern rasselten die Ziegel; viele Bäume stürzten gebrochen. Dessen ward man jedoch im Tanzsaal nicht gewahr. Hier glänzte von hundert Kerzen ein heller, warmer Tag, und Liebe, Wein und Spiel herrschten ungestört unter den Schrecken der empörten Außenwelt.

Die junge Baronin und Henriette schwammen in Seligkeit. Der Graf weihte sich jener mit gesteigerter Zärtlichkeit fast ausschließlich; nur selten tanzte er mit Henrietten, die sich indessen mit den Anbetungen schadlos hielt, die ihr von anderen Tänzern wetteifernd dargebracht wurden. Die junge Baronin, die in wirklich königlicher Pracht ganz in die verschwenderischen Geschenke ihres Verlobten gekleidet war, tanzte mit ausgelassener Lust, und weidete sich stolz an der neidischen Bewunderung der übrigen Frauenzimmer. Viele der reichsten Edelfräulein der ganzen Nachbarschaft mußten diesen Abend Zeuginnen ihres Reichtums sein, und sie ließ mehreren empfindlich fühlen, daß sie, als Braut des reichsten Grafen von Deutschland, nicht mehr ihresgleichen kennen möchte. Früh ermüdet verließ sie den Ball gegen Morgen, ehe der Ball selbst geendet war. Der Graf, liebetrunken, führte sie unbemerkt hinweg. Im Nebensaale fanden sie eine der Kammerfrauen, die ihr zum Schlafgemach folgen wollte. Die junge Baronin, am Arm ihres Verlobten, sagte hocherrötend: Macht Euch lustig, ich will Euren Dienst nicht, und will mich selbst entkleiden. Sie ging durch den Korridor, der Graf folgte ihr ins Schlafgemach. Als er zurückkam, war die Gesellschaft eben bereit zum Aufbruch. Die Wagen fuhren vor. Altenkreuz führte Henriette zum Wagen und begleitete sie bis nach Hause. Alles schlief. Leise öffnete sie. Vergebens sträubte sie sich vor dem Hause. Der Graf ließ den Kutscher zurückfahren. Er folgte Henriette. Folgenden Morgens schon früh durchlief ein entsetzliches Gerücht die Stadt, man habe die Tochter eines Beamten tot im Bette gefunden, den Hals umgedreht. Man drängte sich zu dem Hause hin; Ärzte und Polizeibeamte eilten dahin. Die schreckliche Wehklage aus dem Trauerhause scholl weit durch den Haufen der hinzugeströmten Neugierigen. Jetzt fiel mehreren die Begebenheit ein, die sich schon vor hundert Jahren, ebenfalls in der Adventszeit, zu Herbesheim ereignet hatte. Die Sage vom toten Gaste lebte wieder auf. Todesschrecken kam über alle Familien.

Auch der Meister Vogel hörte davon. Da dachte er mit heimlichen Grausen an Henriette; doch befremdete ihn ihr langes Schlafen nicht, da sie erst spät vom Balle zurückgekommen war. Aber wenn er des toten Gastes gedachte, wie ihn die Sage schilderte, und dann an den Grafen Altenkreuz dachte – an ihn, den großen, langen Mann, an sein bleiches Gesicht, an die schwarze Kleidung, in der er immer zu gehen pflegte – dann ward es ihm doch, als wolle sich sein Haar aufwärts sträuben. Indessen er glaubte an die Sage nicht, weil die ganze Stadt an das Geschwätz nie geglaubt hatte. Er machte sich selbst über seine abgergläubische Einbildung Vorwürfe und ging zum Schränkchen, eine kleine Herzstärkung gegen seine Schwäche zu nehmen, ein Gläschen Madeira, von des Grafen Geschenken. Zu seiner Verwunderung fehlte die Flasche; noch mehr staunte er, als er, in anderen Schränken nachsuchend, eins ums andere alles fehlen sag, was er oder seine Tochter jemals durch die Freigebigkeit des Grafen empfangen hatten. Er schüttelte den Kopf.

Ihm ward nicht wohl. Ihm ahnte Böses. Allein und still schlich er die Treppe hinauf zu Henriettes Kämmerlein, daß im schrecklichsten Fall kein anderer Zeuge vorhanden wäre und er nicht das Gerede der Stadt würde. Leise öffnete er die Tür. Er ging zum Bett der Tochter, und hatte doch nicht das Herz, aufzublicken. Und als er endlich die Augen flüchtig dahin richtete – dunkel ward es ihm vor seinen Sinnen – da lag sie tot, das schöne Gesicht im Nacken. Betäubt wie vom Blitzstrahl stand er da. Mitten in der Betäubung nahm er den blassen Kopf der Verstorbenen und legte denselben in seine natürliche Lage. Ohne zu wissen, was er tat, eilte er davon zum Arzt und meldete ihm den jähen Tod seines Kindes. Der Arzt betrachtete die schöne Leiche und schüttelte den Kopf. Meister Vogel, der um alles in der Welt die Wahrheit nicht verraten wissen wollte, meinte, Erhitzung auf dem nächtlichen Balle, dann der kalte Wintersturm bei der Heimkehr möge die Ursache des schnellen Todes sein. Er heulte seinen Schmerz so laut aus, daß alle Nachbarn erschrocken zusammenliefen.

Noch sprach alles in Straßen und Häusern vom Unglück der beiden Mädchen, als sich dazu ein neues Gerücht vom schnellen Hinscheiden der einzigen Tochter des Barons von Roren mischte. Zwar die Ärzte, die vom Hause des Barons in die Stadt zurückkamen, versicherten, das Fräulein habe noch am Morgen gelebt, oder lebe noch; ein Schlagfluß, Folge nächtlicher Erkältung, Folge des Balles, habe das zarte Leben zerstört; allein wer hätte das glauben mögen? Jeder war überzeugt, die junge Baronin habe das Schicksal der übrigen gehabt und der Baron ehrenhalber das Geld nicht gespart, um ihr Schweigen zu erkaufen.

Wirklich war das Haus des Barons plötzlich aus einem Wohnsitze rauschender Freuden in ein Trauerhaus verwandelt, der unglückliche Vater untröstlich. Sein Entsetzen, wenn es möglich gewesen wäre, zu vergrößern, mußt er noch die Entdeckung machen, daß alle Geldwechsel und Geldrollen, alle Halsbänder, Ringe, Juwelen, die der Graf von Altenkreuz dem Vater oder der Tochter gegeben, zugleich mit dem Leben der jungen Baronin verschwunden waren. Ja, der Graf selbst, den man aller Orten suchte, zu dem man aus mehreren Häusern schickte, hatte sich auf die unbegreiflichste Weise unsichtbar gemacht. Seine Zimmer standen so leer, aufgeräumt und sauber da, als hätte er nie darin gewohnt. Mit Kisten und Kasten, Dienern und Pferden, Wagen, allem, was ihm angehörte, war er davon, daß man auch kein Fädchen und Stäubchen mehr von ihm entdeckte.

So wurden an einem und demselben Tage die drei Leichen der unglücklichen Bräute zu Erde bestattet. Die Särge mit ihren Trauerbegleitungen trafen zu gleicher Zeit auf dem Kirchhofe vor der Stadt zusammen. Der Pfarrer hielt für sie insgesamt das Gebet. Da ging einer der Leidtragenden, in seinen schwarzen Mantel gehüllt, noch ehe das Gebet vollendet ward, seitwärts, und kaum einige Schritte war er entfernt, sah man ihn, wie in veränderter Gestalt, in uraltmodischer, sonderbarer Tracht, schneeweiß, mit weißer Feder auf dem Hut, und auf dem Rücken wie auf der Brust, wenn er sich wandte, sah man drei dunkle rote Flecken und ganz deutlich Blutstropfen niedertröpfeln über das weiße Wams und die weißen Beinkleider. Er wandelte gegen den Schindanger, und ward nicht mehr gesehen. – Während Grausen den Betenden ankam, die ihm nachsahen, überfiel Grausen die Sargträger, als sie die Särge heben wollten, um sie in die Gruft zu senken. Denn diese schienen ihnen auch gar zu leicht, als wenn sie leer wären. Aber voller Schrecken stürzten sie die hohlen Särge in die Grüfte und schütteten eilfertig Erde nach. Wolkenbruchartige Regenschauer mit Sturm fuhren herein ins Land. Alles flüchtete mit Furcht und Schrecken dem Tore der Stadt zu. Ein schneidender Wind sauste ihnen im Nacken.

Wenige Tage nach diesem, im traurigsten Wetter, verließ der Baron von Roren sein Landgut. Nie kehrte aus seiner Familie einer wieder hierher zurück. Die Gärten verwilderten. Das Schloß stand unbewohnt und verlassen, bis er, der Himmel weiß wie, ein Raub der Flammen ward.«


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