Heinrich Zschokke
Addrich im Moos
Heinrich Zschokke

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49.
Rettung.

Er ergriff ihn am Arme und führte ihn eilend, ohne Rast, mit sich hinweg, durch Wald und Feld, Weg und Steg weder meidend noch suchend. aber in gerader Richtung nordwärts, um den Aarfluß zu erreichen. Unterwegs erzählte er mit vielen Hinzufügungen von dem letzten und kurzen Gespräche, das er mit Gideon Renold gehalten; dann entwarf er Pläne, wie sie durchs Münsterthal oder die österreichischen Waldstädte am Rhein nach Frankreich oder Deutschland entkommen könnten, und wie er, sobald für Addrich eine geborgene Stätte gefunden sein würde, in das Schweizerland heimkehren und Epiphanias Spur aufsuchen wolle. Addrich schien das alles kaum zu hören und ließ nur zuweilen ein trockenes »Ja« oder »Nein« oder »Wohl möglich« vernehmen, mehr aus Gefälligkeit, oder um den Frager zufrieden zu stellen, als aus Lust an der Unterhaltung.

Als beide nach einer Stunde durch ein stilles Wiesenthal hervortraten, erblickten sie das Ufer der Aar und einzelne Fischerhütten; vor einer derselben flickte ein junger Mann aufgespannte Netze. Fabian redete ihn wegen der Überfahrt zum jenseitigen Ufer an und versprach ihm ein gutes Trinkgeld. Der Fischer betrachtete abwechselnd beide mit besonderer Aufmerksamkeit und sagte: »Nicht wahr, Ihr kommt von Herzogenbuchsee, und der Boden hier brennt Euch unter den Füßen? – Jesus, Maria und Josef! Das ist übel ausgegangen. Folget mir nach!«

Er warf eilig das Garn zur Erde, sprang zur Aar, rüstete einen Kahn und ließ die Wanderer einsteigen. Als er vom Lande gestoßen war, sagte er: »Ihr Herren, ist Euch zu raten, so fahret stromabwärts, je weiter, desto besser, bis die Nacht auf dem Lande liegt. Das Tageslicht ist Euer Freund nicht.«

»Du bist ein Ehrenmann,« sagte Fabian. »Fahre uns so weit Du magst; um den Fährlohn wollen wir nicht hadern. Du wirst mit uns zufrieden sein.«

»Danket der Mutter Gottes hunderttausendmal, daß Ihr mich am Staad gefunden,« erwiderte der Schiffer. »Ich setze meinen Kopf daran. Du heißest Fabian von der Almen, und der Alte dort Addrich der Mooser. Jesus Maria! Nun gehts Manchem an den Hals.«

Fabian erblaßte vor Schrecken, sich von einem Unbekannten und in unbekannter Gegend gekannt zu wissen. »Was weißt Du von uns?« fragte er den Schiffer.

»Daß man nach Euch beiden aller Orten das Netz ausgeworfen hat,« antwortete dieser; »daß man des Leuenberg kaum so sehr als Eurer habhaft zu werden trachtet, daß ich armer Geselle mit geringer Mühe ein paar Dublonen gewinnen könnte, wenn ich zu Olten, im Leuen, Nachricht von Euch brächte. Das wäre jedoch Blutgeld. Behüte uns Gott! Ich erkannte Euch beide augenblicklich an Kleid und Geberde, als Ihr vorhin am Staad zu mir tratet, denn der Steckbriefträger hat Euch aufs Haar genau beschrieben.«

Obwohl sich Fabian unschuldig fühlte, pochte ihm doch das Herz gewaltig bei dieser unerwarteten Botschaft, nicht minder aus Besorgnis für Addrich als um sich selbst, da man ihn überall als dessen unzertrennlichen Gefährten im Aufruhr gesehen hatte. Der Fischer bemerkte Fabians Unruhe und sagte: »Sei Du ohne Furcht; hast nicht allein im verbotenen Wasser gefischt; ich war auch dabei, als wir Landleute den Zug nach Solothurn machten und die Stadthechte fangen wollten. Seitdem hielt ich mich aber mäuschenstill am Staad und ging nicht einmal wie die anderen auf die Höhe, die Schlacht von Herzogenbuchsee zu schauen. Ich habe meine guten Gründe. Als diesen Morgen der Kerl von Bipp mit dem verdächtigen Gesichte kam und Euch beschrieb und bekannt machte, wie viel für Euch geboten wäre, wußte ich, was die Glocke geschlagen hatte. Mich soll niemand dumm machen.«

Unter diesen und ähnlichen Gesprächen des Schiffers mit dem geängstigten Fabian brach die Abenddämmerung herein. Der Kahn glitt rasch über den Fluß dahin.

»Es soll Dich nicht gereuen,« sagte Fabian. »Ich zahle Dir eine Dublone in blankem Golde, wenn Du die ganze Nacht durch mit uns fährst; bis morgen sind wir da, wo die Aar in den Rhein fällt.«

»Nimmermehr!« entgegnete der Fischer. »Ich kenne das Wasser nicht weiter als bis Brugg, und nächtlicher Zeit ist mit dem Strome übel spaßen. Soll's aber gelten, so begleite ich Euch um das halbe Angebot über den Berg zu meiner Base ins Iffenthal. Dort seid Ihr geborgen, besser als in Abrahams Schoße. Und ehe der Tag kommt, bin ich wieder am Staad.«

Fabian willigte in alles, um für sich und seinen Unglücksgefährten einen Schlupfwinkel zu finden. Der Schiffer steuerte endlich dem linken Ufer und einem Erlengebüsche zu, wo er die Wanderer ans Land gehen ließ, während er den Kahn befestigte; dann schritt er als Wegweiser voran über Wiesen und Äcker, bis in die Nähe eines Dorfes an der Landstraße nach Olten. Hier wurde eine Stunde unter freiem Himmel gerastet, um sich mit Speise und Trank zu stärken, und dann der Weg ins Gebirge genommen. Es ging durch Thäler und über Hügel, durch Tannenwälder und Schluchten, in allerlei Krümmungen bei dunkler Nacht. Nach zwei langen Stunden erreichen die Wanderer um Mitternacht eine einsame Hütte. »Hier sind wir zur Stelle!« rief der Schiffer. »Drinnen liegt alles im Schlafe, wartet deshalb, ich will das Seppli wecken.« Er schwang sich auf eine am Hause befindliche Holzbeige und verschwand in einer fensterartigen Öffnung des Estrichs. Nach geraumer Zeit wurde es im Innern der Hütte lebendig; man sah Licht, die Thür wurde geöffnet, und mit einem brennenden Kienspan in der Hand leuchtete der Schiffer seinen Freunden in eine Stube hinein. Ein junges, halbbekleidetes Weib, und bald darauf auch ein altes Mütterchen, traten herein, hießen die Fremdlinge willkommen und bedauerten, ihnen für die Nacht kein besseres Lager, als auf Ofen und Bank, anweisen zu können. Dankbar entrichtete Fabian dem braven Schiffer seinen verheißenen Lohn. »Nun denn,« rief dieser, nachdem noch vieles über einen geheimen Aufenthalt und über die nach allen Seiten nötige Vorsicht verhandelt worden war, »›dem Hungrigen ist bald gekocht, dem Müden leicht gebettet.‹ Ihr seid ins Trockene gebracht. Wartet geduldig, bis der Sturm ausgetobt hat. Gelobt sei Jesus Christ!«

Fabian, froh, sich und den Oheim Epiphanias in Sicherheit zu wissen, bequemte sich ohne Mühe in die ärmlichen Verhältnisse der Berghütte und fand, wie in dieser Nacht das Lager auf der Holzbank, so in den folgenden die Ruhestätte auf dem Heu, wie auch die Bewirtung mit den einfachsten Erzeugnissen des Herdes unendlich besser als den Aufenthalt in einer Felshöhle, an den er in der ersten Angst schon gedacht hatte. Die Flüchtlinge hätten kaum ein angenehmeres Asyl wählen können als diese hochgelegene, grüne Einöde, in welcher monatelang kein fremdes Gesicht gesehen wurde, und wo die beiden gutmütigen Weiber mit einem alten Knechte in Gastfreundschaft gegen die Unglücklichen wetteiferten. Das Thal, zwischen den beiden Jurapässen des Hauensteins gelegen, hatte seine eigentümliche Anmut. Zu beiden Seiten erhoben sich die alpenartigen Wiesen zu den nahen Felsenkämmen des Gebirges. Im Hintergrunde hing ein armseliges Kirchlein malerisch am Berge, hoch über einem furchtbaren Abgrunde. Die wenigen beisammen liegenden elenden Hütten und einzelne im Gebirge umher zerstreute kleine Berghöfe bildeten die Gemeinde.

Während Addrich in dieser Einsamkeit die einsamsten Stellen aufsuchte, dort tagelang auf einem verwitterten Felsblock des öden Bergrückens unbeweglich saß, selten sprach, und in diesem Falle, still grollend mit der Weltordnung, schreckenerregende Dinge ahnen ließ, schweifte Fabian ungeduldig durch das Gebirge. Gequält durch den schmerzlichen Gedanken an Epiphanias Schicksal, wurde ihm der Müßiggang und die einfache Lebensweise bald unerträglich. Er würde schon nach den ersten Wochen das Iffenthal verlassen haben, um seine verlorne Gattin, selbst mit Lebensgefahr, aufzusuchen, hätte ihn nicht eine geheime Bangigkeit um Addrich oder die Menge der Schreckensbotschaften zurückgehalten, welche der treue Schiffer jedesmal brachte, so oft er im Thale erschien. In jeder Woche gab dieser neue Berichte von der Strenge und Grausamkeit, mit welcher die Obrigkeit gegen die besiegten Rebellen verfuhr: wie täglich Verhaftungen erfolgten und jeder Verdächtige angehalten würde. Die Häupter und Rädelsführer der Empörung lagen fast sämtlich schon in Ketten und Banden. Leuenberg war zu Trachselwald, von einem seiner eigenen Helfershelfer und Nachbarn, Hans Bierri, verraten, nächtlicher Weile aufgehoben und nach Bern geschleppt worden. In Zofingen wurde ein Blutgericht von fünfzehn Personen niedergesetzt, die Eingefangenen abzuurteilen und die Schuldigen zu bestrafen. Christen Schybi, im Entlebuch ergriffen, wurde nach Zofingen gebracht, verurteilt und mit drei anderen Spießgesellen in Sursee enthauptet. Adam Zeltner, der kluge Untervogt von Buchsiten, empfing in Zofingen den Todesstreich vom Schwerte des Nachrichters, ungeachtet sich der französische Botschafter, Herr de la Barde, auf's dringendste für das Leben desselben verwendet hatte. Ulli Schad wurde vor dem Steinenthor bei Basel mit dem Strange vom Leben zum Tode gebracht, während sechs andere seiner Genossen beim Aufstande, sämtlich sonst achtbare Greise, alle mit grauen Köpfen und weißen Bärten, dort mit dem Schwerte hingerichtet wurden. Ein gleich trauriges Schicksal erlebte Leuenberg, von dem unter der Folter Geständnisse erpreßt werden konnten; ebenso sein ehemaliger Geheimschreiber Brömmer, und mancher andere zu Bern. Ein Schmied von Hochstätten wurde, weil er zur Volksbewaffnung Piken geschmiedet hatte, nach geschehener Enthauptung noch gevierteilt, und mit den vier Stücken seines Leibes an den Galgen genagelt. Als am Sonntage darauf (3. Juli) ein erschreckliches Ungewitter, von Sturmwind und Wolkenbrüchen begleitet, über Bern zog, die Stadt schwer beschädigte, das Hochgericht mit den angehefteten Köpfen der Rebellen niederwarf und zertrümmerte, erkannte der Aberglaube eines Volkes, welches unter dem obrigkeitlichen Zorne zitterte, wenigstens darin zu seinem Troste die Mißbilligung des Himmels gegenüber solchem blutdürstigen Wüten der gnädigen Herren und Obern.

Die Zahl der Hingerichteten war groß; noch größer die Zahl derer, denen vom Henker ein Ohr abgeschnitten oder die Zunge aufgeschlitzt wurde, die man mit Ruten strich, aus dem Vaterlande verbannte, auf die venezianischen Galeeren verschickte, um ihren Tod in den Seeschlachten gegen die Ungläubigen zu finden, oder die man ehr- und wehrlos machte und durch schwere Geldbußen ungroßmütig an den Bettelstab brachte.

50.
Die letzten Erscheinungen.

»Ich will lieber unter Menschenfressern und reißenden Tieren wohnen, die ihr Gebiß nur da einschlagen, wo Hunger und Notwehr Blut begehren,« schrie Fabian, »als unter diesen christlichen Obrigkeiten, die nun ihre Feigheit und überstandene Angst durch Grausamkeit verdecken; ihre Rache gleisnerisch hinter dem Schilde gesetzlicher Gerechtigkeit verbergen, das arme Volk erst durch Blutsaugerei und mit Frechheit zu Boden treten, dann die Verzweiflung desselben an Schuldigen und Unschuldigen in blinder Wut bestrafen, sich dabei gottesfürchtige, gnädige Obrigkeit und die armen, rechtlosen Unterthanen freie, glückselige Unterthanen nennen. Verruchte Unnatur!«

»Warum tobst Du, Bursche, wider die Natur?« entgegnete Addrich gelassen oder vielmehr kalt. »Sie geht ihren bleiernen Schritt. Wir Ebenbilder Gottes haben kaum das Menschengesicht aus dem alten Felle der Bestialität hervorgestreckt. Wenn sich eine Nation mit der Kinderrute züchtigen, mit der Peitsche geißeln läßt, verdient sie nichts besseres als Rute und Peitsche.«

»O Addrich, fesselte mich nichts mehr an diesen blutgetränkten Boden,« rief Fabian bewegt, mit der Thräne heiligen Grimmes im Auge, »ich möchte in eine Wüste ziehen, und mich mit den Tigern verbrüdern. Hast Du von unserm Fischer die Geschichte des alten Weibes von Olten gehört, welches nach Zofingen lief und vor den unbarmherzigen Richtern für das Leben des Ehemannes und Sohnes, endlich nur für das Leben eines einzigen von beiden den Fußfall wiederholte? Und als man ihr nun die schauerliche Wahl gestattete, als nach langem entsetzlichem Kampf des Mutterherzens und der Gattenliebe die eheliche Zärtlichkeit überwog . . . da hohnlächelte gefühlloser Witz über die Betrogene. Das scheint mir die höllische Krone auf das Haupt alles Frevels zu setzen . . .«

»Still, Bursche!« erwiderte Addrich. »Trage Sorge für Deine junge Haut. Wo Tyrannen wohnen, haben die Steine Ohren.«

Er hatte nicht unrecht, denn der Pfarrer des Iffenthales hatte den Aufenthalt der Flüchtlinge entdeckt, das Weib des Schiffers zu sich berufen und ausgeforscht, und demselben darauf geboten, reinen Mund zu halten über alles, was er gefragt und gesagt. Die junge Frau aber gehorchte mehr der Stimme ihres Mitleids als der des Beichtigers und warnte voller Angst die Fremdlinge. Da blieb die abgelegene Einöde kein Asyl mehr für sie.

»Fort denn,« sagte Fabian, »um das Leben zu retten, muß das Leben gewagt sein. Versuchen wir's, durch das unwegsame Gebirge, an den bewohnten Höfen und Bergdörfern vorüber, das kaiserliche Gebiet am Rhein zu erreichen!«

»Mir gilt's gleich,« entgegnen Addrich gleichgültig. »Mein Leben kannst Du nicht retten. Hätte ich mein Wort nicht gegeben, es wäre längst weggeworfen. Ich folge Dir. Die grüne Schale des Deinigen enthält noch einen Kern; der meinige ist vermodert.«

Mit Dank und gerührtem Herzen schied Fabian, Addrich aber stumm, in der Frühe des folgenden Morgens, ehe der Tag graute, von der gastfreundlichen Berghütte. Dicker Nebel lag auf dem Thale und verbarg ihre Flucht, zugleich aber auch den Weg und die Gegend so sehr, daß sie erst mit Sonnenaufgang aus der Bergschlucht hervortraten, durch welche ihnen ein wilder Bach den Ausgang über den untern Hauenstein zur Heerstraße gezeigt hatte. Als sie den jähen Felsenweg zum Hauenstein emporgestiegen, dessen letzte Höhe längs den Klippen eine blaugraue Wolke bedeckte, wurden sie eines Wanderers gewahr, der in städtischer Tracht vor ihnen gemächlich bergauf schritt. Fabian drückte das braune Sammetbarett tiefer in die Augen, und das Gesicht abgewendet, eilte er an dem Manne vorbei, indem er trocken grüßte.

»Heda! Halt!« rief der Wanderer. »Sonntag und Montag kommen alle Woche zusammen, aber nicht die Menschen. Es freut mich, Herr Freund, Euch hier zu treffen und mit Euch den gleichen Weg zu machen, wenn Ihr nicht wie ein Bürstenbinder lauft.«

»Schon früh auf den Beinen?« antwortete Fabian, der den wohlgemuten Meistersinger von Aarau erkannte und sich nun von Herzen des alten Bekannten erfreute. »Was giebt's neues? Jetzt ist wieder Ruhe und Sicherheit im Lande und das Regiment frisch und wohl bestellt.«

»Ja, ja, Herr Freund, es wird aufgeräumt, wie sich's gebührt. Nur sage ich, neue Besen kehren gut, doch gehen sie nicht in die Winkel. Den Haupträdelsführer Addrich haben sie noch nicht gefunden; wer weiß, wo er steckt? Hat aber der Teufel den Sattel, so holt er auch den Zaum. Ich wette, der trägt sein Kupfergeld nicht lange mehr auf der Nase herum. Heute oder morgen hängt er in Scharfrichters Dohnenstieg oder läuft wenigstens mit nacktem Rücken durch den Besenmarkt. Er hat's um mich allein schon verdient. Und säße er in einem Dachsloche, ich kröche hinein und holte ihn heraus.«

»Kannst ihn wohlfeiler haben,« sagte Addrich, der jetzt von hinten herankam. »Hier bin ich. Wie viel hat man für mich geboten?«

Meister Wirri stand still und starrte den Alten verblüfft an, faßte sich aber bald und sagte halb ängstlich, halb freundlich zu ihm: »Nun, nun, ich hoffe, Ihr werdet Spaß verstehen, Herr Freund. Ich hatte Euch wohl gesehen und nur so gesagt, um Euch Furcht zu machen. Ich soll Euch auch höfliche Grüße bringen von meinem Änneli, das ehemals in Eurem Dienste stand und Euch noch immer lobt.«

»Ist's Dein Änneli geworden?« entgegnete Addrich mit gleichgültiger Miene.

»Nicht wahr, das nimmt Dich Wunder,« rief Wirri, der sein Vergnügen nicht verbergen konnte, den furchtbaren Alten schnell auf ein anderes Gespräch zu bringen. »Nun, was nicht ist, kann noch werden. Es lebt beim hochwürdigen Herrn Dechanten Herrentage, und das Züngelein geht ihm noch immer wie der Schwanz der Bachstelze.«

»Wie viel also hat man für mich geboten?« fragte Addrich wieder.

Den Spielmann machte die Frage abermals ganz ernst, doch erzwang er ein Lächeln in die ersteiften Gesichtsmuskeln und versetzte: »Ei was? Macht doch aus der Pille keine Bombe. Jedermann begriff, es ging auf den alten Socken nicht länger, und die Bauern hatten recht. Niemand verdenkt's Euch. Hättet Ihr nur Euer Eisen geschmiedet, als Ihr vor der Esse waret, aber da wollte jeder von den Bauern sein eigenes Kraut schmalzen. Und wenn zwei Hunde an einem Knochen nagen, kommen sie selten überein. Das war das Unglück. Ein Mann wie Ihr, Herr Freund, hätte das Ruder führen müssen, aber kein hochmütiger Tölpel wie der Leuenberg, der sich einbildete, er höre die Flöhe husten und Gras wachsen, und der im Gehen den Kopf streckte, als ob er einen Degen verschluckt hätte.«

»Schweig', Mops!« entgegnete der Alte. »Lasse die Toten ungelästert. Er starb wenigstens für etwas besseres, als wofür Du lebst.«

»Nun ja,« stimmte Wirri verlegen ein, »es giebt mancher mehr für Karrenschmiere aus, als er mit der Karre verdient.«

»Ich rede von der Freiheit des Landes,« sagte Addrich.

»Richtig, ach die liebe Freiheit. Man kauft sie allezeit teuer ein, aber verkauft sie um einen Pfifferling wieder. Glaubt mir's, der Welsche versingt sie, der Deutsche vertrinkt sie, der Franzose vertanzt sie, der Holländer verschachert, der Spanier verbetet, der Schweizer verschläft sie. Kann der Bauer nicht Landvogt werden, muß er seinen Käse selbst von der Alp tragen.«

»Ich merke,« sagte Addrich, »Du bist Einer, der mit allen Winden segeln will.«

Fabian, der die Unterhaltung auf andere Dinge zu lenken wünschte, fiel hier mit der Frage ein: »Wohin geht die Reise so früh, Meister?«

»Ich komme von Olten und ziehe nach Basel. Man muß viel für den lieben Gott und für's liebe Brot thun. Der wohlehrwürdige Herr Dechant hat einmal sein Vertrauen zu mir, drum muß ich und kein anderer seinen Brief nach Basel tragen, an den . . . an den Dan . . . Din . . . Don . . . Dar . . . Ihr kennet ihn ja. Ich bringe leichter zehn Ketten in den Hals als den verwünschten Namen heraus.« Er griff in's Wamms und zog einen Brief hervor, um die Aufschrift zu lesen.

Fabian, der auch den Herrn von Groenkerkenbosch wegen Epiphania in Verdacht hatte, stutzte, als er vom Briefwechsel des Dekans mit jenem Manne hörte, und der Gedanke stieg in ihm auf, er könnte hier Licht für seine Finsternis finden.

»An Don Nardo?« rief der Jüngling auffahrend und riß den Brief ungestüm aus der Hand des Spielmannes.

»Richtig!« antwortete der Meister Wirri und setzte hinzu, indem er mit schalkhaft drohender Miene auf Addrich deutete: »Gebt das Schreiben nicht weiter. Da steht ein Männchen, das mir schon einmal den Botenlohn verdarb und einen Brief öffnete, der nicht für ihn geschrieben war.«

»Das kann ich selbst, und werde es beim Dekan Nüsperli verantworten,« sagte Fabian, riß das Siegel auf und durchflog, mit glühenden Augen, hastig die Zeilen.

Meister Wirri stand verduzt mit offenem Munde da, und als er die Sprache wieder gewonnen hatte, stammelte er halb scheu, halb zornig: »Plagt Euch denn . . . Gott sei mir gnädig . . . da muß Einem der Topf ohne Feuer überlaufen; anderer Orten nennt man das Straßenraub. Spornstreichs kehre ich um und klage es dem Herrn Dechanten. Er wird Euch Späne unter den Speck hacken. Geduld!«

»Schweig!« rief Addrich und hob die geballte Faust drohend empor.

Meister Wirri duckte sich und nahm hastig den Rückzug nach Olten, indem er rief: »Zwischen Fuchs und Wolf ist böse spazieren gehen. Behüte Euch Gott. Es giebt noch Obrigkeit, die Gewalt über Euch hat. Den Streich schreibe ich Euch nicht mit Kohlen in den Kamin.«

Während er sich brummend entfernte, doch immer zurückkehrte, und ebenso oft den Rückzug antrat, als er Addrichs Bewegung gegen sich erneuern sah, las Fabian den Brief. Er war in lateinischer Sprache geschrieben und dem Jüngling der Inhalt dunkel. Folgendes ungefähr sagten die Worte des Dekans an Don Nardo:

»Ach, daß wir Wasser genug hätten in unserm Haupt, und unsere Augen Thränenquellen wären, daß wir Tag und Nacht weinen möchten! (Jer. 9) Dir wäre besser gewesen, Du wärest von der Höhe des Felsens gestürzt, oder mit einem Mühlstein am Hals in die Tiefe des Meeres gefallen, daß Du nur das zeitliche, nicht das ewige Leben verloren hättest. Addrich hat, wie Dathan und Abiram, schwer gesündigt, als er von der durch Gott eingesetzten Obrigkeit abfiel. Aber seine Schuld ist federleicht, neben Deinem Hochverrat an Jesu Christo, denn Du hast in Deiner Apostasie eine Sünde gegen den heiligen Geist gethan, die nie vergeben wird. Ich darf nicht mehr der Freund dessen sein, der Gottes Feind geworden ist; mein Haus hat für Dich nur verschlossene Pforten. Darum, bist Du in Basel: so bleibe; trifft Dich dies Blatt schon auf der Straße nach Aarau: so kehre um und sei gewarnt! Denn den Jüngling, den Du suchst, findest Du nicht. Wir wissen nichts von ihm. Wehe, daß Dich der böse Geist blendete und Du in die Fallstricke der spanischen Katholiken fielest! Hätten die Wilden der philippinischen Inseln Dir den Todesstreich versetzt, statt Dein Antlitz mit einer Narbe zu entstellen, Du würdest minder zu beklagen sein, denn Deine arme Seele wäre gerettet worden, aber alle Tonnen Goldes, die Du von Deinem reichen Weibe dort ererbt hast, weil Du dessen Leben von den Barbaren befreitest, sind kein Lösegeld aus der Verdammnis. Und hättest Du ganz Ostindien, ja die ganze Welt gewonnen, was hülfe es Dir, nun Du Schaden an Deiner Seele genommen? Ich unwürdiger Diener des göttlichen Wortes beschwöre Dich bei den blutigen Wunden meines lieben Herrn und Heilandes, kehre zurück zur wahren, evangelischen Kirche, in der Du geboren und erzogen worden bist, und verführe nicht das Mägdlein zur verfluchten Abtrünnigkeit. Ich werde dieses Kindes Seele vor dem Thron Gottes einst wieder von Dir fordern. Noch einmal, kehre zum wahren Glauben an Jesum zurück; dann darf ich Dich wieder sehen, sonst nie! Ich werde zu Gott Tag und Nacht schreien, daß er Dein Herz bewege und Dich auf den Weg des Heils zurückführen wolle.«

Im Erforschen des Sinnes dieser Zeilen versunken und in unruhigen Ahnungen über das vom Dekan bezeichnete Kind oder Mägdlein, war Fabian mit scharfen Schritten, lesend und wieder lesend, zu der unwirtbaren Höhe des Weges hinaufkommen, unbekümmert um Addrich und Wirri, die hadernd zurückgeblieben waren. Als er die Augen aufschlug, sah er sich schon von jener Wolke umfangen, die er vorher auf dem Rücken des Gebirges über sich erblickt hatte. Ein frostiger Luftzug kam ihm zwischen den schroffen, kahlen Felsen entgegen, aus deren Klüften die Gebüsche durch den Nebel wie seltsame lebendige Gestalten nickten und gaukelten, aber eine andere Gestalt löste sich vor ihm aus dem Innern der Wolke zu immer bestimmteren Umrissen. Er erkannte einen Reisigen, der sein Roß am Zügel führte. Don Nardo stand plötzlich neben dem Pferde, im Begriff, zum Dechanten nach Aarau zu reisen.

»Halt!« schrie Fabian und zog den Degen. »Dich sendet Gott selbst in meine Gewalt. Stehe mir Rede. Stehe!«

Don Nardo, des Überfalls nicht gewärtig, stand anfangs betroffen da, als er aber den Jüngling erkannte, sagte er gelassen: »Ich ließ mir's keine kleine Summe kosten, wochenlang Leute auf allen Wegen nach Dir auszusenden und Dich zu suchen, aber daß Du in diesen Wildnissen das Räuberhandwerk treibst, ließ ich mir nicht träumen. Kennst Du mich nicht, Unglücklicher?«

»Stehe mir Rede!« rief Fabian und setzte ihm die Degenspitze auf die Brust. »Du, Du hast Epiphania entführt, die Nichte Addrichs, mein Weib!«

Während er sprach, ertönte das Geräusch vieler Pferdehufe und neue Gestalten schwebten wie dunkle Schatten im Nebel heran. Ein lauter Schrei erscholl: »Morde meinen Vater nicht!« und mit dem Schrei schlug ein weiblicher Arm den Degen Fabians auf die Seite. Der Ton klang betäubend in des Jünglings Ohr und erschütterte ihn so, daß ihm das Schwert aus der gelähmten Faust zu Boden fiel, doch die Retterin bebte, als sie des Jünglings besser ansichtig wurde, erst mit Erschrecken zurück, dann erhob sie laut weinend die Arme und rief: »Fabi, ach, Fabi, Du selbst!« und sank an seine Brust. Er starrte unbeweglich auf sie nieder und stammelte totenblaß und mit zitternden Lippen: »Faneli, meine Seele, o mein Leben!«

Indessen beide im Sturm der ersten Seligkeit, sich wiedergefunden zu haben und umfaßt zu halten, alles vergaßen, was um sie her geschah, kam Addrich atemlos den steilen Bergweg daher geeilt. Er hatte das Geschrei auf der Höhe vernommen und seine Schritte alsbald verdoppelt, weil er befürchtete, Fabian sei von aufgestellten Wachen im Nebel überfallen und gefangen genommen worden. Entschlossen, ihn zu befreien, und beim Anblick der Pferde und Menschen in der wolkigen Umdämmerung die Wahrheit seines Argwohns nicht mehr bezweifelnd, zückte er das Schwert und schwang es gegen den Ersten, der ihm aus dem Haufen entgegentrat, doch wie vom Schlage getroffen sank der erhobene Arm erschlafft zurück. Sein Gesicht war vom Entsetzen schrecklich entstellt. Die finsteren Augen starrten, als wollten sie ihre Höhlen verlassen, aus der roten Umfassung der Augenlider grausig hervor, wie eine Kohle aus der Glut. Er lallte mit bebender Zunge, unbewußt, halblaut: »Das ist mein toter Bruder Diethelm!«

Auch der Herr von Groenkerkenbosch, den sonst nichts aus seinem stillen Gleichmut brachte, verlor hier die Fassung, fuhr bestürzt zurück und rief: »Addrich!« Doch der vielerfahrene Mann sammelte sich schnell zur Besonnenheit und sagte: »Unglücklicher, Du bist der Greuel des Landes geworden, weil Du keinen anderen Gott hattest als Dein schreckliches Ich. Dich allein wollte ich vermeiden, aber Du hast mich zu Deinem Schuldner gemacht durch das, was Du meinem Kinde gethan. Mir steht nicht zu, mit Dir zu rechten. Fliehe dieses Land, das Dich verflucht; mein Schloß am Rhein hat Raum und Freude für uns alle. Hier nimm die Hand! Wir sind versöhnt!«

Addrich wich schaudernd vor der ausgestreckten Hand zurück und sagte mit leiser, heiserer Stimme: »Bist Du nicht unter dem Eise des Rawylgletschers begraben?«

Don Nardo schüttelte mit traurigem Lächeln das Haupt und sagte:»Still davon, mein Bruder! Oder, wenn Du es denn willst, so höre alles in vier Worten. Gottes Barmherzigkeit und Vorsehung haben gewaltet. Deine wohl etwas unbrüderliche Härte wies mir nur den Weg über den Rawyl zu meinem Glücke hinüber nach Ostindien. Eine fromme, reiche Pflanzerin der Philippinen wurde meine Gemahlin und ich nach ihrem Tode der Erbe ihres Reichtums. Wir kehren auf der Stelle nach Basel um. Mein Ziel ist unerwartet erreicht . . . Die Hand her!«

»Mensch, was habe ich mit Dir zu schaffen?« sagte Addrich und blieb unbeweglich in seiner Stellung. »Bist Du nicht der auserkorne Quälgeist meines Daseins? Hast Du dem verstoßenen Knaben nicht schon das Herz des Vaters geraubt, nicht dem Jüngling die Liebe der erwählten Braut? . . . Du und kein anderer hat mir Epiphania entwendet, mir und dem Gatten.«

»Laß den alten Hader fahren!« rief der Stiefbruder mit besänftigendem Tone. »Das Herz der andern ist in keines andern, als in Gottes Gewalt; ihre Liebe war ja nicht meine Schuld, nicht mein Verdienst. Und dort steht Epiphania! Ich mußte sie entwenden, weil ich sie nicht fordern durfte. Du bist wegen Deines Unglaubens, ich wegen des alleinseligmachenden Glaubens geächtet. Ich darf nicht mehr ohne Gefahr in der Heimat meiner Väter wandeln, weil ich zur römisch-katholischen Kirche heimgekehrt bin. Ich stehe rechtlos vor Euren Richtern, und meine Tochter würde mir vom Glaubenshaß Eurer Obrigkeit verweigert worden sein. Selbst jener Landvogt, für den ich, Du weißt es, Vermögen, Würde und alles verlor . . . er, dem ich mich zuerst und einzig offenbarte, hatte nur so viel Dankbarkeit erübrigt, um mich, als wäre ich ein Aussätziger, zu warnen, nicht Berner Grund und Boden zu betreten.«

Addrich schien der Worte seines Bruders nicht zu achten, sondern in anderen Gedanken vertieft, stand er mit zur Erde gewandtem Blicke da.

»Nun, Alter,« fuhr Diethelm nach einigem Schweigen, in welchem er den finstern Greis mitleidsvoll beobachtete, fort: »Hand her! In den Wolken des Himmels, hoch über der Erde, führt uns die Hand Gottes auf der vaterländischen Höhe zusammen. Hand her. Das Vergangene sei vergangen. Ich will alle Deine Sorgen von Dir nehmen.«

Hier richtete Addrich das Haupt empor und sprach: »Ich habe Deine Tochter, die Du verlassen hattest, jenem Jüngling Fabian von der Almen zum Weibe gegeben, daß sie nicht schirmlos bleibe.«

Mit sanftem, billigendem Kopfneigen erwiderte Don Nardo: »Er will mein Sohn sein.«

Addrich warf den Blick suchend durch den Nebel, schritt an seinem Bruder vorüber zu Fabian und Epiphania hin, die noch einander fest umschlungen hielten und bei seinem Erscheinen mit Seligkeit in Stimme und Blick riefen: »Addrich, o Addrich! Aller Schmerz und alles Weh hat nun sein Ende!«

»Alles,« murmelte Addrich. Als sein Bruder herankam, wich er seitwärts langsam zurück in den Nebel, wo er wie ein düsterer Schatten zwischen den Felsen hinirrte.

»O mein Fabi,« rief Epiphania, indem sie den zärtlichen, von Freudenthränen schweren Blick zu dem Geliebten erhob, »nimm meinen Vater an Deine Brust.«

Fabian hielt mit einer Hand die schöne Gattin fest, als fürchte er, sie könne ihm noch einmal entrissen werden: mit der andern Hand entblößte er vor Don Nardo das Haupt und sagte: »Epiphania, Eure Tochter, ist mein mir anvermähltes Weib. Ich flehe um Euren Vatersegen.«

»Du sollst mein Sohn sein,« antwortete mit gütigem Blick Don Nardo, indem er seine Hand wie zum Segen auf Fabians Scheitel legte. »Des Himmels Wille waltet hier unverkennbar. Dich, den ich nebst Addrich seit sieben Wochen von so viel ausgesandten Leuten vergebens suchen ließ; Dich, von dem nie eine Spur entdeckt wurde, Dich führt Gottes Hand mir selbst so wunderbar entgegen. Wir waren im Begriff, Deinetwegen nach Aarau zum Dekan Nüsperli . . .«

»O wie viele Angst habe ich um Dich getragen, Fabi!« seufzte Epiphania und küßte ihres Lieblings Hand.

»Verzeihet mir,« sagte Fabian zum Herrn von Groenkerkenbosch, »wenn ich Euch verkannt und im Irrtum beleidigt habe. Warum verhehltet Ihr mir auch, daß Ihr der Vater meiner Faneli wäret? Warum verbarget Ihr Euch, den ich wohl als Herrn Diethelm kannte, hinter falschem Namen?«

»Mein Name ist echt aus der Taufe,« erwiderte jener. »Ich heiße Leonhard Diethelm. Unter fremden Himmel streifte ich alles ab, was mich an meine Unglückstage mahnte, selbst den Namen. Ich wurde als Leonardo glücklicher, wie ich als Diethelm je gewesen war; Dir aber, junger Freund, wie konnte ich Dir vertrauen, den ich nicht kannte. Ich wußte nur durch Sagen von einem leichtfertigen Gesellen, der bei Addrich um meine Tochter würbe, einem lockeren Kriegsknecht. Lange hielt ich Dich für ihn.«

Fabian umarmte den Vater Epiphanias und sagte mit Herzlichkeit in Geberde und Ton: »Seid mein Vater, ich will euer gehorsamer Sohn sein. Gehet nicht nach Aarau! Euer harret kein freundlicher Empfang.«

Don Nardo küßte des Jünglings Stirn mit sichtbarer Rührung und legte Epiphania an des Jünglings Herz: »Hier ist Dein Weib!«

In diesem Augenblick zerriß der graue Nebel, der sie wie ein Vorhang des Himmels umgab, und schlang sich goldbesäumt um die Scheitel der Berge. Die Sonne überstrahlte mit blendender Pracht die schroffen Felsen und grünen Gebüsche der hoch gelegenen Einöde, und von jedem Halme blitzte, in wechselnden Farben, ein flüssiger Diamant im reinsten Morgenlicht. Wie liebende Seelen, die sich nach dem Tode des Leibes im Elysium begegnen, standen Fabian und Epiphania, einander umfangend, da, sich still bewundernd, mit stummer Zärtlichkeit um Liebe fragend. Des Vaters Blick ruhte lange Zeit mit Wohlgefallen auf dem schönen Paare, das dem Überirdischen glich. Endlich wandte er sich zu seinen Dienern, welche in einiger Entfernung bei den Pferden warteten, und rief: Wendet um, wir kehren nach Basel zurück. Wo aber ist mein Bruder?«

Addrich war im Nebel verschwunden; keiner von den Dienern hatte ihn gesehen. Von allen Seiten wurde er gerufen, doch es erfolgte keine Antwort. Er wurde von allen gesucht; nach zwei Stunden hatte ihn niemand gefunden.

»Lasset ab!« sagte Fabian. »Den Unglücklichen drückt die Seligkeit der Glücklichen. Er ist allein hinüber, wohin wir heute Beide wollten, durchs Gebirge in des Kaisers Gebiet.«

Also stieg der ganze Zug auf der anderen Seite des Hauensteins hinab, wo sich der Weg minder steil zum einsamen Bergdorf Läufelfingen niederzog. Auch hier bot Don Nardo Geld aus, und sandte Leute aus, den Verlorenen im Gebirge zu suchen oder ihm durch die Wildnisse in das Frickthal zu folgen, wohin er sich wahrscheinlich gewendet hatte. Man versprach, ihn in der Stadt Basel zu erwarten, wohin der Zug sich wandte.

Nach drei Tagen kam zu Don Nardo die Botschaft, man habe den Leichnam eines Greises in einem Abgrunde gefunden, in welchen derselbe von einer schroffen Felswand, vielleicht in den Nebeln verirrt, herabgestürzt sei. Don Nardo verschwieg, was er wußte, um den Himmel seiner Kinder nicht zu trüben. Erst lange nachher offenbarte er ihnen auf seinem Schlosse am Rhein das Ende Addrichs.


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