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»Nun leihe mir Deine Aufmerksamkeit nur auf wenige Minuten, göttliche Epiphania,« sagte er, sobald er in das helle, einfache Gemach der Jungfrau eingetreten war und das Glas auf ein Tischchen gestellt hatte, welches von einem aufgeschlagenem großen Buche, einer Hauspostille, fast ganz bedeckt wurde.
»Mäßige Deine Stimme und störe den Schlummer der Kranken im Nebenzimmer nicht,« sagte sie. Dann trat sie ihm mit zürnendem, stolzem Blicke einen Schritt näher und sprach: »Gideon, was giebt Dir die Berechtigung, eine freundliche Nachsicht in solchem Grade zu mißbrauchen? Wer hat Dir Recht und Gewalt über mich verliehen?«
»Beging ich ein Verbrechen, holdselige Epiphania, daß ich Dich zwang, mich wider Deinen Willen anzuhören, so klage Dich selbst und die Allmacht Deiner Schönheit an. Was ich bin und sein werde, bin ich durch Dich allein; der größten Tugenden und der größten Verbrechen bin ich fähig, nur durch Dich. Wozu mich die Göttin Suadela kaum selbst bereden könnte, dazu verführt mich der leiseste Wink Deiner Augen.«
»Wenn Du Wahrheit redest, Gideon, würdest Du meinen Unwillen verstehen und dieses Zimmer und mich verlassen.«
»Ich werde Dir Gehorsam leisten, aber wisse, Epiphania, Du sendest Deinen getreuesten Freund in den Tod. Solche grausame Behandlung habe ich keineswegs verdient. Der Ausbruch des Krieges ist vor der Thür; ich verlasse heute schon wieder dieses Haus, das durch Dich mein Tempel, mein Allerheiligstes geworden ist; morgen vielleicht stehe oder falle ich schon auf dem Schlachtfelde. Gieb mir nur den Trost eines Deiner holdseligen Blicke. Ehemals bist Du gütiger gegen mich verfahren. Du selbst hast den Funken, der in mir brannte, zur Flamme der Hoffnung gemacht, daß ich Dich als Gemahlin heimführen würde.«
»Du sprichst Unwahrheit, Gideon,« sagte Epiphania, aber mit weicherem Tone und einem Blicke, der ihm nicht mehr zürnte.
»Noch vor drei Wochen, Fania, beim Abschiede, kanntest Du keine andere Schwierigkeit, als daß Addrich, Dein Oheim, sich weigern werde. Nun hat er mir noch vor wenigen Augenblicken feierlich seine Einwilligung gegeben. Hast Du mich nie lieb gehabt? Hast Du mich nur anlocken wollen, um mich zu verstoßen? Hätte ich mich so arg in Dir betrogen? Was sagst Du?«
Er sprach die letzten Worte fast zitternd und mit einem Tone seiner schönen Stimme, der sich, flehend, wie er klang, in ihr Herz einschmeicheln zu wollen schien. Sogar eine Thräne funkelte ihm in den Augen, deren Blick an ihren Mienen hing, als suche er darin Leben oder Tod. Epiphania schwieg niederschauend, aber in einer innern Bewegung, die sie nicht verhehlen konnte.
»Was sagst Du?« wiederholte er seine Frage, ergriff ihre Hand und führte sie mit Ehrerbietung sind Inbrunst an seine Lippen. Die Jungfrau errötete tief, schlug furchtsam die Augen zu ihm auf, aber, als könne sie den durchdringenden, flammenden Blick der seinigen nicht ertragen, wandte sie plötzlich das Gesicht von ihm ab und rief: »Gideon, laß mich gehen! Gideon, es kann nicht sein!«
Er hielt jedoch die genommene Hand fest in der seinigen und sagte. »Solch einer abschlägigen Antwort von Dir war ich nicht gewärtig. Was denn, Fania, was hat denn diese Veränderung zuwege gebracht? Genoß ich nicht immer Dein ganzes Zutrauen? Warum entziehst Du mir eine Gunst, die mich zum glückseligsten aller Sterblichen machte? . . . Fania?« rief er flehend und zog sie mit sanfter Macht an sich. Sie widerstrebte und betrachtete ihn eine Weile mit einer wunderbaren Unruhe, in der sie noch liebenswürdiger erschien. Die seltsamste Mischung einander widersprechender Gefühle drückte sich in ihrem Angesichte aus. Zärtlichkeit und mißtrauische Scheu, Glauben und Bangigkeit, Hingebung und Widerwillen sprachen zugleich aus ihren blauen Augen. Ihre hochgehende Brust, ihr fliegender Atem, ihre erglühenden Wangen offenbarten verräterisch einen Kampf, den sie im Innersten kämpfte, und welchen er, wie vielleicht mancher andere in seiner Stelle ebenfalls gethan haben würde, zu seinem Vorteile deutete.
»Willst Du mich in den Tod jagen, Fania?« sagte er. »Siehe, Fania, Himmel und Erde umfassen nichts, was ich mit solcher Liebe und Hingebung anbete, wie Dich. Stoße mich nicht von Dir, denn Du stoßest mich aus der Welt und aus dem Leben. Willst Du meine Mörderin sein?«
»Gideon, könnte ich das wollen!« stammelte sie. »Du jedoch wirst mein Mörder, wenn Du mich nicht von Dir lässest. Ich wollte, Du hättest mich nie gesehen, denn Du willst mich in den höllischen Abgrund reißen.«
»Fania,« rief er, »womit habe ich diesen schrecklichen Vorwurf verschuldet? Sieh mich an, Fania, ich bin Gideon, der jeden Augenblick zehntausend Tode für Dein Wohl sterben würde. Du sollst meine Gemahlin, Königin meines Lebens sein; ich will Dein Leibeigener bleiben für und für. Sprich, Abgott meiner Gedanken, welcher Verleumder hat mich verlästert? – Durch meine Rechtfertigung werde ich alsdann reiner vor Dir erscheinen, als das Licht des Himmels.«
»Es hat Dich niemand verleumdet,« antwortete sie sanft, und ihr Blick überflog schüchtern die Gestalt des schönen Mannes, der in Trauer demütig vor ihr stand.
»Und was hast Du gegen mich?« fuhr er fort. »Fania, von dieser Stunde hängt mein und Dein Schicksal ab. Ich erwarte, auf Leben und Tod gefaßt, Deinen Bescheid. Es gab eine Zeit. da glaubte ich Dir nicht gleichartig zu sein. Ich empfing von Dir freundliche Winke der Augen, Fania, ich hätte sie nicht gegen die Ewigkeit eines Seraphs vertauscht. Läugne nicht, Du hast mich geliebt; läugne nicht, ich bin Dir noch wert. Warum quälst Du Dich und mich?« Indem er dies sagte, legte er seinen Arm um sie und zog sie an seine Brust.
Sie zitterte, sträubte sich und sagte: »Gideon, lässest Du nicht ab von mir, so kann ich zur Selbstmörderin werden. Ich hasse Dich, weil ich weiß, daß ich in Deiner Macht bin. Dein Atem vergiftet und berauscht mich; Dein Berühren betäubt meine Sinne und jagt alles Blut in den Adern stürmisch durcheinander. – Du Bösewicht, glaube nicht, daß diese Verwirrung meiner Sinne Liebe sei; mein Herz verabscheut Dich, und meine Lippen würden Dich im Kuß verfluchen, wenn Du sie je zwängest, Dich zu küssen. Du bist die Schlange des Paradieses, schön und verführerisch; selbst das Gebet kann Dich nicht bannen. Ich weiß nicht mehr, was ich rede; aber ich beschwöre Dich, glaube meiner Zunge nicht, wenn sie zärtliche Worte spricht. Sie ist ein treuloses Werkzeug, das mir nicht gehorcht, sondern Deiner Gewalt. Ich gebiete ihr, Schmähungen auszustoßen, und sie will Dir mit süßen Namen schmeicheln.«
»Du liebst mich, Fania?« rief der Hauptmann entzückt.
»Gideon, wie die Taube den Drachen liebt, dem sie mit ängstlichem Flügelschlage entgegenflattern muß, weil sein tötlicher Blick sie bannt und hinzieht. Mit Schaudern bekenne ich Deinen Sieg. – Gideon, schöner, lieber Gideon, gieb mich mir wieder. Fliehe! Meine Vernunft, meine Ruhe verlange ich wieder. Darum gehe, Lieber, nun gehe, nur einen Augenblick gehe von mir, daß ich mich sammle,«
Sie hatte ihr Haupt an seine Brust gelehnt und sprach, was sie sagte, leise, in gewaltsamer Anstrengung, mit weichem Schmeichelton. Gideon drückte seine Lippen auf ihr gescheiteltes Goldhaar und sagte. »Dich verlassen? Lieber möchte ich von den himmlischen Pforte scheiden und den Schwefelpfuhl der Verdammten aufsuchen. Wie kannst Du mich hassen und lieben zugleich, Du überfrommer Engel? Sage es mir noch einmal, Du seiest in meiner Gewalt; löse alle Widersprüche; bekenne, was Dein jungfräulicher Eigensinn läugnen will: daß Du die Meine sein wollest.«
»O sage nichts, nichts! O was würde ich sagen müssen,« seufzte sie. »Ich bin wahnsinnig; ich weiß nicht, wie mir ist; ich verwünsche Dich und Deine Höllenmacht. Fliehe!« Sie machte einen schwachen Versuch, sich von ihm loszuwinden, und lehnte sich doch wieder sanft und zitternd an ihn.
»Willst Du Dich befreien, so gieb zum Lösegelde Herz und Hand,« flüsterte er ihr zu. »Gieb, gieb!«
»Gideon,« antwortete sie bebend, »mißbrauche meine Verwirrung nicht, Unmensch, denn ich würde jeden Eid brechen, den ich Dir schwöre, und darum doch nicht meineidig sein. Ich sterbe, ich vergehe in einem bösen Feuer an Deiner Brust. Ich verabscheue mich, und kann mich nicht ermannen. Ich fühle die Hölle des Entzückens, und mag ihr doch nicht entkommen. O Du bist nicht ehrlich mit mir zu Werke gegangen; Du bist liebenswürdig genug, warum denn hast Du mirs noch angethan durch verbotene Künste?«
»Fania, Du redest lästerlich und gottlos,« sagte Gideon. »Ich bin ein ehrlicher Mann und in reinster Zuneigung Dir zugethan. Ich rufe den Himmel zum Zeugen!«
»Ja, Du hast mich mit einem Liebestranke vergiftet, Gideon . . . verzeihe Dirs Gott! Und wenn Dich meine Arme fester umschlängen als Ketten, mein Herz stieße Dich Dennoch zurück. Du bist ein anderer als andere Menschen. Ich fühle mich an Dich gebannt; sobald ich in Deine Nähe trete, wird mein Inneres dunkel, wie verschlungen von einem Nebel, wie verzehrt von einer Glut, von einer . . . o ich muß schweigen, ich vergesse Pflicht und Würde. Selbst das Gebet rettet mich nicht.«
»Verkenne Dein Herz nicht, holdselige Fania. Du liebst mich, das ist die süße, die allgewaltige Macht einer Leidenschaft und keine nekromantische Kunst.«
»Rede nicht, Gideon, o nichts mehr! Du könntest mich auch zum Altar schleppen: aber ich würde Dich doppelt verabscheuen. Du würdest Dein Opfer nur vollenden: ich würde zur Leiche. Meine Schmach bringt Dir keinen Ruhm; nicht Deine Tugend oder Deine äußere Schönheit, nein, Dein Liebestrank hat mich bis zum Wahnsinn vergiftet.«
»Nun, beim Himmel!« rief Gideon. »Hier erlischt das Licht meines eigenen Verstandes. Was redest Du von einem Tranke? Ich will eher glauben, ein neidischer Belialsbruder habe sympathetische Mittel an Dir versucht, um mir einen schlechten Dienst zu erweisen und Dein liebes Herz von mir abwendig zu machen; denn so feindlich bist Du doch sonst nicht gesinnt gewesen. Wenn Du mich auch zuweilen mit Deiner spröden Laune zurückwiesest, dennoch kam es nie zum völligen Bruche. Du liebst mich. Beruhige Dich, mein einziges und schönstes Leben.«
»So entlaß mich aus Deinem Arme, so fliehe dies Haus, dies Thal; so meide mein Angesicht ewig; so erscheine mir auch sündlicherweise nicht mehr in Träumen, die Du durch gottlose Kunst hervorbringst. Du willst mich zum Kinde der Verdammnis machen, ich weiß es wohl. Gott wird es verhüten. Mein guter Engel hat mich nur auf eine kleine Weile verlassen . . . Du bist mein böser!«
Indem sie dies sagte, riß sie sich mit dem Aufwande aller ihrer Kräfte los und trat von ihm zurück. Ihr Busen war in stürmischer Bewegung, ihre Wangen glühten hochrot; ihre Blicke aber hingen mit dem Ausdruck der zärtlichsten Leidenschaft und zugleich des tiefsten Mißtrauens unverwandt an ihm.
»Ich Dein böser Engel?« sagte er lächelnd. »Ei, Du abergläubisches, närrisches Kind, und wer ist Dein guter, wenn ich's nicht bin?«
»O, Du nicht, Gideon, Du nicht! Du bist der Versucher, und jeder Gedanke an Dich wird eine Sünde. Verstelle Dich ja nicht; Du weißt es wohl, Dein Blick, Deine Stimme, Dein Atem, Dein Berühren verwandelt mich, macht mich zur Leibeigenen Deiner Gedanken. Weiche von mir, dann gehöre ich mir und Gott wieder an.«
»Fast möchtest Du mich überreden, Fania, es sei Zauber zwischen uns, Du liebst und hassest im gleichen Augenblicke. Wie ist dies möglich? Du liebst und quälst Dich vergebens mit leeren Einbildungen. Meine Abwesenheit verändert nichts, denn Deine Gedanken werden mich doch nicht verlassen.«
»Nein, Gideon, glaube mir, so oft Du noch von mir geschieden bist, ist auch das Fieber gewichen, Du warst vergessen, als hätte Dich Gott noch nicht erschaffen gehabt. Wenn ich Deinen Namen dann hörte, war es nichts mehr, als ob man in fremder Sprache redete. Nur Scham oder Reue hätte mich noch martern können, wenn ich nicht gewußt, Du habest mir's durch gottlose Kunst angethan.«
»Ich beteure beim Himmel und bei allem, was darin Heiliges ist, meine Unschuld,« rief Gideon tief gekränkt, und schloß Epiphanien wieder in seinen Arm. »Ich lasse aber mein Leben eher fahren als Dich, o höchstes und köstlichstes Juwel! Wundersames Kind, warum erschrickst Du vor Cupidos Pfeil und dem Erwachen Deines eigenen Herzens? Ich vermute, Du erschrickst jeden Morgen auch bescheiden vor dem Spiegel, wenn Du Dich darin allezeit reizender und bewunderungswürdiger erblickst. Fürchte Dich doch nicht vor Dir selbst. Du gestehst auf eine gar erfreuliche Weise, daß Dir noch kein Mann teuer gewesen ist.«
»O, Du Bösewicht, freilich!« seufzte sie, verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und legte ihren Arm um seinen Nacken. »Mein Bruder Fabian allein ist meine Seligkeit, Du bist meine Hölle.«
»Fabian!« rief er und drängte Epiphanien von sich. »Nenne den Namen des Berner Verurteilten nicht wieder. Er muß Dich ja blutrot machen, Dir ist sein wüstes Leben, das ihn auf die Galeere brachte, nicht unbekannt. Wie mag ein ehrbares Mädchen den Vagabunden noch Bruder nennen, der keinen Ehe- und Ehrenstand respektiert! Nenne den Namen nicht, ich könnte Dich seinetwegen hassen,«
»Hasse mich, hasse mich!« rief sie hastig. »Wie? Wäre das endlich der Name, das heiligste Wort, wodurch ich Deine Zauberwerke und meine Schande lösen könnte? Nun, so will ich Dir nichts mehr als Diesen Namen in's Ohr schreien. Fabian ist frei! Höre es, er ist unschuldig! Fabian blieb der frömmste Jüngling. Wenn Fabian vor mir steht, lächelt ein Engel, und mein Gemüt lebt in unaussprechlicher Himmelsruhe. Nur wenn Fabian fehlt, leide ich Pein und Sehnsucht.«
»So muß ich Mitleid mit Dir haben, Du wirst an solcher Sehnsucht sterben, dieweil er Dir sobald nicht wieder erscheint. Man sagte, er sei aus Gnade zu den Galeeren verurteilt; er hatte den Strick verdient.«
»Fabian ist frei, Gideon. Fabian ist nicht fern von uns, glaube es! Siehe diese Blumen, Fabian brachte sie in vergangener Nacht.«
Gideon erschrak und starrte Epiphanien schweigend an. Dann strich er mit der einen Hand langsam die schwarzen Locken von seiner Stirn, während sich die andere Hand krampfhaft ballte. Seine Stirn zog sich in dicken, finstern Falten über die Augen nieder, aus denen Blitze schossen, Unnatürliche Röte brannte auf seinen Wangen. Mit Wohlgefallen und Schaudern betrachtete Epiphania die vom Zorn verwandelte schöne Gestalt des jungen Mannes.
»Wenn Du nicht lügst, Epiphania,« sagte er mit gedämpfter Stimme, »so retten alle Heerscharen und Mächte der Erde und des Himmels den Höllischen nicht aus dem Rachen des Verderbens. Tod und Hölle! Bei Dir gewesen diese Nacht? Bei Dir? Du rühmst Dich dessen?«
»Sieh, Gideon, sieh Fabians Wahrzeichen, wie schön sie noch im Glase blühen, rein und anmutsvoll, wie seine lautere Seele. So brachte er sie mir immer, schon da wir noch als Kinder im Thale an der Lenk spielten. Er nahm nicht die Blume, die zunächst blühte; immer stahl er sie unter Lebensgefahr für mich irgend einem unzugänglichen Orte ab, wo die Natur sie nur für sich und die Geister des Gebirges gepflanzt hatte. Wenn wir hoch bis zum Himmel in die Alpen des Rawyl hinaufstiegen, kletterte er noch bis zu den blaugrünen Schrunden des Rätzligletschers. Am Oswaldtage, wenn sich das Volk auf den Berghöhen freute, stieg er, gewandter als das Gemstier, an schwindlicht hohen Felswänden zu den grünen Vorsprüngen der Grindeln, um mir Alpennelken, braune Muttern, süße Reifern, Grasengel, Goldkraut, oder auch nur die kleinen Enzianen mit dem brennenden Blau zu holen, die doch weit näher und gefahrloser zu finden waren.«
»Höre auf!« sagte Gideon mit verbissenem Grimm. »Vermutlich brachte er Dir auch diese Nacht den Strauß nicht ohne Leibes- und Lebensgefahr. Also dem übelberüchtigten Gesellen opferst Du Gideons Liebe und Treue? Nun denn, willkommen Rebellion und Bürgerkrieg! Lasset alle Furien los und machet die Manneskraft frei, daß jeder im rechten Werte erscheine. Ich habe andere Majestäten gesehen! Er ist verloren. Du bleibst die Meine; Dich hat mir Addrich gegeben; Du bist der Preis, um den ich ins Feld gehe. Ich mache Dich allen Teufeln streitig.«
»Sage: allen Engeln des Himmels,« lispelte halblaut Epiphania, die aber doch in einer Anwandlung von Furcht gegen die Thür zurückwich.
Er ging ihr nach und sprach mit bitterstolzem Lächeln: »Engeln? O ja, gefallenen! Du bist das mir zugefallene ewige Eigentum. Wehe dem, der Dich anrührt! Er wahre sich! Ich habe mich selbst durch Dein thörichtes Geschwätz wiedergefunden, und der Fund ist etwas wert. Ade, mein Schatz! Bereite Dir Deinen Brautschmuck. Lacht mir das Glück, erbeute ich mir ein Schloß zu Bern. Ade!« Er schlug seinen Arm um sie und drückte einen Kuß auf ihre Wangen, während sie erschrocken das Antlitz abwandte.
»Weiche von mir,« rief sie, »oder mein Geschrei ruft Addrich und das ganze Haus zum Schutz gegen Deine Frechheit herbei.«
»Närrin, meinst Du, Dein Geschrei und Toben schrecke mich? Ich glaube, Du zitterst? Pfui, das ziemt dem Soldatenweibe schlecht, Fania, Du mußt mir im Pulverdampf und Kugelregen gegenüber stehen und dabei Scherz treiben.«
Sie riß sich mit Unwillen von ihm und sagte: »Frecher Gesell, wie darfst Du mich mit That und Wort mißhandeln?«
Gideon erwiderte lachend: »Schönstes Kind, ein Kuß ist für Jungfrauen kein schlechter Lohn, aber anbeten kann ich Dich nicht mehr, noch galante Bücklinge vor Dir machen, wie Du dessen von mir gewöhnt warest; denn jener Galeeren-Kandidat hat Deinen Glanz verwischt. Du bist von der Höhe zu mir niedergestiegen, jedoch noch ein schönes Mädchen geblieben; wohl beachtet! . . . nichts mehr, als ein Mädchen, wie alle. Indessen hoffe ich, daß, wenn Du mein Weib geworden, ich nicht Dein Kukuk oder Hans mit dem spitzigen Hut sein und heißen soll.«
Epiphania wendete sich schaudernd von ihm ab und sagte: »Nun sehe ich deutlich, wie der böse Geist die Krallen aus Dir vorstreckt und hinter Deiner Larve grinset. Das Blendwerk ist zerflossen. Schmähe nur den guten Jüngling Fabian; Du kannst ihn so wenig, als die Hölle den Himmel rühmen. Ich bin nicht seine Braut, noch minder die Deine; eher werde ich die des Todes sein!«
»Hm!« versetzte er hämisch. »Alle Bräute sprechen diese Sprache. Man tadelt die Ware, die man zu haben wünscht. Du wirst ein anderes Liedchen singen, wenn Du Frau Hauptmännin heißest und mit mir in eine Residenz von Deutschland oder in ein Schloß ziehest. Da wird gespielt, getändelt, getanzt und fein gespeist; da giebt es lustige Treib- und Hetzjagden für uns Edelleute, Prachtzimmer mit Uhren, Gemälden und gestickten Polstern; Lustgärten, Feuerwerke, allerlei Kurzweil, Saus und Braus alle Tage vollauf.«
»O,« rief Epiphania, »welcher höllische Dunst konnte mir so grausam Vernunft und Augen trüben! Du bist nicht nur ein ganz gemeiner, roher Landsknecht, übermütig, verschwenderisch, unbarmherzig, gottlos . . . Du bist noch höchst ekelhaft dazu.«
»Mit Gunst, Fania,« entgegnete Gideon, »keife mit mir, wie's Dir gefällt; aber sprich mit Ehrerbietung vom Soldatenstand. Wer für Vaterland und Kirche, für Haus und Hof anderer sein Blut hinzugeben allezeit bereit ist, steht so hoch über dem Schellenwerker als der Adler über dem stinkenden Mistkäfer, und ist von Mit- und Nachwelt geachtet, wenn er gleich nicht unseres Herrgotts Gaukelsack sein mag. Im übrigen, Kind, unsere Sache ist ein für allemal abgethan. Basta! Ich werde mein Recht an Dir schon handhaben. Ade, mein Schatz, auf Wiedersehen!«
»Nimm meinen Abscheu mit Dir,« rief sie ihm nach, als er die Thür öffnete. Er wandte sich zurück und versetzte: »Komplimente mache ich Dir nicht mehr, Du hast Dich derselben unwert gezeigt; hast mit meiner Abgötterei Hohn und Verrat getrieben und sie einem entsprungenen Schellenwerker zum Spott aufgetischt. Daß er aber zur Hölle fahre, dafür lasse mich sorgen. Kann ich ihn lebendig fangen, so will ich ihm mit allerlei Qualen auf gut Schwedisch zusprechen; er soll braunschweigische Stiefel anlegen, dänische Kappe, spanischen Mantel tragen, bis er Kyrie eleison anstimmt. Ade, Schatz, gedenke mein! Auf Wiedersehen!«
Damit schloß er die Thür und ging in heftiger Bewegung, die er kaum zu bewältigen vermochte, hinab. Als er in das Gemach trat, wo Addrich und seine Gäste saßen, stellte er sich zum wärmenden Ofen, und hörte dem Gespräch der Redenden, anfangs mit geringer Aufmerksamkeit, zu.
»Keineswegs, Ihr Herren,« fuhr der Untervogt von Buchsiten fort, der eben das Wort führte und sich durch die Ankunft des Hauptmanns nicht unterbrechen ließ, »Kapitulationen und Verträge mit den Städten sind eitel Tinte auf Papier. Wir auf dem Lande bleiben nur so lange furchtbar, als wir einträchtig zusammen in Waffen stehen. Sie werden freilich im ersten Schrecken alles bewilligen, hier Ohmgeld und Zölle herabsetzen, dort das Land dem freien Handel offen lassen, anderswo den Lohn der Schuldenboten, die Hoffart der Landvögte beschränken, oder die abgeschafften Gerechtsame des Volkes und der Landschaften herstellen. Aber auf wie lange? Ist die Gefahr vorbei, ist die Achtung für uns dahin. Dann hat ihre Arglist leichtes Spiel, uns zu trennen: dort mit Verheißungen, hier mit Drohworten. Sie geben dem einen ein Geldstück, dem andern ein Ämtchen, stellen diesen in Schatten, streicheln den andern mit dem Fuchsschwanze. Wir haben leider der Leute genug, die den Mantel nach dem Winde hängen. Dann wird binnen wenigen Jahren wieder alles auf dem vorigen Fuße stehen; niemand mehr von Kapitulationen und Vertrag etwas wissen wollen. Wer dann noch rechtschaffen denken und daran erinnern will, wird Rebell heißen und ihm legt man, zur Belehrung der Übrigen, den Kopf vor die Füße. Vater Ulli Schad von Waldenburg hätte wohl recht, wenn alle so ehrlich dächten, wie er. Aber die Städter haben ein weites Gewissen und halten treulich Wort, so lange man sie am Seil hält. Bei ihnen ist Eidbruch nur ein Kniebruch. Wir haben das Wort für uns und Brief und Spiegel, die Städte aber die Gewalt und die starken Festungsmauern. Ohne genügende Gewährleistung ist eine Kapitulation mit den Städten nicht so viel wert.« Er blies über seine leere Handfläche hin.
Alle bejahten und stimmten ihm beifallgebend zu.
»Beim Sanniklaus!« rief Schybi. »Was habe ich denn vorhin anderes begehrt? Warum widersprach mir Ulli Schad? Die beste Gewährleistung, wenn der Hund nicht beißen soll, bleibt: daß man ihm die Zähne ausbricht. Schleift die Wälle und Ringmauern, stürzt die Basteien in die Gräben, daß der Bauer bei Tag und Nacht frei wie die Luft durch die Straßen der Hauptstadt ziehe: so stirbt die Aristokratie darin von selbst. Wer Geßler sein will, gebraucht Zwing-Uri. Keine Burg, kein Tyrann; und wo kein Harnisch, da ist kein Ritter!«
»Nicht so hitzig!« unterbrach ihn der Untervogt. »Vater Ulli hatte vorhin nicht ganz ohne gute Gründe gesprochen. Den Städten die Festungswerke schleifen, heißt ihnen die Städte nehmen. Sie würden hundert Jahre lang Krieg führen; es würde Seen Blutes kosten. Zudem, woher beziehen wir Belagerungsgeschütz? Und wenn wir die Mauern der Städte gebrochen hätten, würde es wohl von uns gethan sein? Schybi, Deine Vergleichung ist richtiger, als Du selber willst. Der Hund, dem die Zähne ausgebrochen sind, beißt zwar nicht; es scheuen ihn dann aber auch die Diebe nicht. Wir müssen Festungen behalten, damit ein auswärtiger Feind nicht beim ersten Stoße das ganze Land überschwemme.«
Schybi schielte ihn höhnisch von der Seite an und sagte: »Du willst die Pracht des Schweizerlandes mit geschornen Bäumen vermehren und unsere unüberwindlichen Engpässe, Gebirge und Seen mit Maulwurfshaufen befestigen.«
»Wir sollten uns,« fuhr Adam Zöllner fort, »unblutige und stärkere Garantie suchen. Die finden wir nirgends sicherer, als in der Gewalt des großmächtigen Königs von Frankreich, unseres Nachbarn. Nimmt er die Vermittlung an, so wird er Gewährleister unserer Rechte und Freiheiten den Städten gegenüber. Was schüttelt Ihr die Köpfe? Ihr Herren, erlaubt mir, hinzuzufügen, der Weg ist schon angebahnt, und zweifelt nicht, daß der König bereit sein werde. Was saget Ihr dazu? So höret denn! Ich habe zum französischen Gesandten, Herrn Jean de la Barde, welcher für den feinsten Politiker der ganzen Christenheit gilt, freien Zutritt. Er ist nicht abgeneigt, sich bei seinem Herrn, dem Könige, sobald wir ihn ansuchen, für uns zu verwenden. Ein Wort, nur ein Wink von Paris, und unsere Patrizier bücken sich bis auf die Erde und werden geschmeidig gegen die Fremden, wie steif sie auch sonst gegen uns andere den Rücken tragen, Da hofft ein jeder, für sich goldene Ketten, Gnadengelder und Ordensbändchen zu erhaschen. Das macht sie kirre!«
»Daß doch den Schluckern die Bänder und Ketten zu hänfenen Halsschlingen werden möchten!« unterbrach ihn Christen Schybi ärgerlich. »Wir Landleute sollen und wollen ehrlicher handeln, und nicht, wie Du uns raten willst, fremden Buhlen nachlaufen. Wenn Edelleute einer schönen Bauerntochter, und große Fürsten einer freien Republik den Hof machen, hegen sie beide gleich schlechte Absichten. Meinst Du, man schenke Ketten und Bändchen umsonst? Sie wollen daran unsere Ratsherren schleppen. Alle Gnadengelder, die sie ausgeteilt haben, sind ebenso viele der schweizerischen Unabhängigkeit gegebene Gnadenstöße gewesen. Beim Sannitlaus! Untervogt, wir Eidgenossen wären wert, Disteln zu fressen, wenn wir unser Lamm vom Wolf, wenn wir unsere Freiheit von ausländischen Potentaten bewahren ließen.«
Ohne Ausnahme und überlaut äußerten alle ihre Zustimmung zu Schybis Worten. »Mit Gunst, Ihr Herren!« rief nun Gideon Renold. »Ich glaube beinahe, daß es Hans de la Barde, Marquis de Marolles, gelüstet, uns zu schmeicheln; denn seines Königs Ehrgeiz ist es, die Pässe über das Alpengebirge zu besetzen, festen Fuß über dem Rheine zu fassen, und damit Deutschland und Wälschland im Zaume zu halten. Trauet listigen Versprechen nicht! Unsere Thäler würden alsobald von Franzosen wimmeln; ihre angeborene Leichtfertigkeit würde uns ihre Gebräuche, Sitten und Laster einflößen. Wir sollten vielmehr unsere Schanzen wahren und mit den tapferen Deutschen zusammenhalten, auf daß durch französische Einmischung unserem Lande kein Schaden erwachse.«
Da fuhr der Untervogt heftig auf und rief: »Gelt, Hauptmann Renold, zuletzt riefest Du die Schweden auch noch. Hole Beelzebub samt seinen Heerscharen herbei. Behüte Gott mit seinen Heiligen die Schweiz vor jenen Beschützern der Freiheit! Wie haben sie es in Deutschland getrieben? Gotteslästerer, Schnapphähne, Straßenräuber, Buschklepper, Strauchdiebe, welche sozusagen im Mutterleibe zu stehlen anfangen . . . das waren sie, aber keine Soldaten! Gottlose Kirchenräuber haben sich unter ihnen gefunden, welche die Monstranzen, Kelche und andere silberne und goldene Gefäße stahlen, um Saufgeschirr daraus zu schmieden. Chorröcke, Kaselen, Meßgewänder, geweihte und Altartücher mußten ihnen Kleider abgeben. Ja, die Heiligen samt dem Wachs ließen sie in Tiegel senken. Die Nonnen haben sie in den Klöstern geschändet und hernach spöttisch vorgegeben, sie hätten sich nur mit unseres Herrgotts Schwestern befreundet. Viele haben die Toten ausgegraben, die Sterbekittel gestohlen und mit den Totenköpfen auf den Kirchhöfen um Geld gekegelt und Ball geschlagen.«
Dem Hauptmann Renold fuhr bei dieser Rede das Feuer des Zornes über Wangen und Augen. »Untervogt,« schrie er, »warum siehst Du mich dabei an?«
Leuenberg, der bisher immer geschwiegen hatte, unterbrach ihn rasch und rief mit starker Stimme: »Denket ans Sprichwort: Eingenoß baut, Zweigenoß zerstört. Vergönnet, Ihr Herren, daß ich, ohne Euch vorzugreifen, meine Meinung mitteilte, denn die Zeit siegt mit der Schnelligkeit des Blitzes. Gleichwie vor Alters in den Urländern die Telle mit ihrem Blute und mannhaften Sitten gehandelt und keine andere Gewähr ihrer Sache begehren wollten, als Gott, ihr Schwert und ihr Recht, also sollen wir mit Wahrheit, Treue und Glauben bei allen unseren Handlungen sein, und keinem vertrauen als uns selbst, unserm Schwert, unserm Recht und dem Gott unserer Väter. Ein jeglicher Staat, welcher durch fremde Gewährleistung aufrecht erhalten wird, ist nur ein Sterbender, der noch von unsicheren Arzneien lebt. Dieweil wir noch festes, gesundes Gebein haben, warum sollen wir an der Franzosen oder Deutschen hölzernen Krücken hinken? Was Fürsten geben, ist nur auf wucherisches Unterpfand dargeliehen. Wer das Kränzchen der edlen Freiheit nicht aus eigener Kraft im Siege erlangen und sich aufsetzen kann, dem ist sein Besitz vom Himmel nicht bestimmt. Er würde die Kette der Tyrannen küssen, sobald ihm der Tod schmählicher dünkt.«
»Das heißt gesprochen wie ein Ehrenmann!« fiel ihm Addrich ins Wort.
»Verstehen wir uns jedoch recht,« fuhr Leuenberg fort. »Was begehren wir von den Städten? Neue Freiheiten? Nein! Nur das Recht, was unsern Altvordern zugehörte, was ihnen besiegelt und verbrieft war, und ihnen im Laufe der Zeiten allmählich aus der Hand gespielt worden war. Erkennen wir unsere Obrigkeiten und Regierungen nicht mehr an? Mit nichten! Wir ehren zur Stunde das hochobrigkeitliche Ansehen derselben mit aller Treue in allen ehrlichen Dingen. Warum nennen sie uns Rebellen? Wir sollen, sagen sie, unsere Beschwerden auf gesetzlichem Wege vorbringen. Haben wir denn nicht unterwürfig über die Schmälerung unserer Freiheiten, über die neuen Lasten und Abgaben, über die Hartherzigkeit und Hoffart der Landvögte geklagt? Warum trieben sie unsere Boten mit Schimpf, Schande und harten Drohungen fort? . . . Was bleibt uns also übrig? Das Recht des Landes ist so Recht, wie das Recht der gebietenden Stadt, und der Bauer ist fürwahr in seiner Haut ein Mensch, so gut und so gewiß als der Patrizier in der seinigen. Sind wir Rebellen, treulose, meineidige, verdorbene Leute, wie uns das Manifest von Baden schilt, so sind es die alten Helden für Erhaltung ihres Rechtes in den drei Ländern auch gewesen.«
Der Untervogt von Buchsiten unterbrach ihn hier ungeduldig und sagte: »Wozu wiederholst Du das Weltbekannte? Zur Sache, zur Sache geschritten!«
»Nun denn, zur Sache!« versetzte gelassen Niklaus Leuenberg. »Der ungerechte Übermut der Städte in der Eidgenossenschaft, welcher sich alles zu wagen erlaubt, hat mit dem Stanzer Ereignis Anno 1481 begonnen. Damals gaben sie sich Hand und Wort, einander wider das Volk in allen Dingen Beistand zu leisten. Von dieser Zeit an konnten die Stadtkälber jedes Recht, das ihrem Eigennutz beliebig war, wie Gras fressen, und sie haben auch den Bund wider eigene Untertanen allezeit treuer, als den Bund gegen auswärtige Feinde gehalten. Damals sprang der Demokrat dem Aristokraten und der Protestant dem Katholiken bei, wenn es der Niedertretung Recht begehrender Landleute galt. Gelt, Schybi, das freie Unterwaldnervolk zeigt jetzt über die Stadtmauern der Herren von Luzern den Entlebuchern schön die Zähne?«
Schybi verzog das Gesicht verdrießlich und sagte: »Die von Ury, Schwyz und Unterwalden sind in ihren Ländern nicht demokratischer, als es Zürich, Bern und die anderen Städte hinter ihren Ringmauern sind; aber alle Vettern und Gevattern sind untereinander gegen die Unterthanen.«
»Wohlan denn!« rief Leuenberg. »Die Herren schlossen ihren Bund. Wir haben dasselbe Recht zum Bunde für unsere Freiheiten. Lasset uns neben der Eidgenossenschaft der Herren eine Eidgenossenschaft des Volkes gründen. Jede Landschaft der Schweiz soll eingeladen werden, unserm Bunde beizutreten; einer jeden soll dieser Bund die Freiheiten und Gerechtsame gewährleisten, die sie nachweist; keine darf mehr fordern, als von ihrer Herrschaft verbrieft gewesen und gebührlich ist. Keine Landschaft darf fernerhin eigenmächtig mit den Städten unterhandeln. Entlebuch und Emmenthal, Luzerner Volk und Oberland nebst Aargau, Solothurner und Baseler Gebiet treten zuerst in das Volksbündnis ein und beschwören es. Dies muß in Manifesten durch alle Kantone und Vogteien öffentlich bekannt gemacht und den Regierungen in Städten und Ländern ihre unverletzten Rechte vorbehalten werden. Das ist mein Sinn. Was saget Ihr? Addrich, Du hast noch nichts gesprochen,«
»Was soll ich über die Thorheiten sprechen?« erwiderte Addrich mit einem Lächeln, worin die Bitterkeit des Mißmuts über seine getäuschten Erwartungen zu sehen war. »Ihr Leute taugt weder zum Kriege, noch zum Frieden, weder zum Gehorchen, noch zum Befehlen. Darum sehe ich den Anfang der Dinge klar voraus und Euch alle der Reihe nach in Armensündergestalt mit verbundenen Augen auf dem Sandhaufen, und Eure Köpfe unter dem Schwerte des Scharfrichters tanzen. Ihr habt den Stein aufgehoben und geschleudert, jetzt, wo er aus der Faust ist, beratet Ihr, wohin er fliegen, wohin er treffen müsse? Geht, geht, Ihr habt das Spiel bei der ersten Karte verloren und ich mit Euch. Ich vermutete bei Eurem Verstande eine richtigere Ansicht.«
Hier brach der mürrische Alte barsch ab, stand vom Stuhl auf und warf diesen zur Seite. Die übrigen, in nicht geringer Bestürzung, sprangen zu ihm und beschworen ihn, zu reden.
»Eitle Mühe!« rief Addrich. »Wen die Not nicht beten lehrt, der lernte vom Pfarrer nicht. Es ist um unsere Hälse zu thun, um Erhaltung des Leibes, Lebens und Vermögens; Ihr aber kannegießert wie neue Ratsherren im Schöppli-Leist. Das Volk ist im Aufstande, der Felsen rollt bergunter, der Strom schwillt über die Ufer: nun fährt alles aus, soweit es kann und muß. Denkt nicht, daß Ihr wehren und leiten könntet, Ihr müßt vorwärts, so weit Ihr könnt und müßt, nicht so weit Euch's gefällt. Die erschrockenen und ergrimmten Städte machen keinen Friesen. Ihre Hoheit muß obsiegen oder zu Grabe gehen. Es giebt zwischen Tod und Leben keinen Weg. Ihr werdet als neue Telle glänzen oder als elende Rebellen bluten; das bezwungene Volk zahlt dann die Kriegskosten und bekommt einen strafferen Maulkorb.«
»Nun denn, Addrich,« riefen alle, »Dein Rat, Dein Rat!«
»Mein Rat?« fragte der Alte entgegen. »Lasset die Trommeln rühren, die Fahnen tanzen, gehet, schlaget, sieget oder fallet. Bietet die Angehörigen und Leibeigenen aller Kantone auf. es gilt die Freiheit oder Knechtschaft aller. Sendet Verwirrung aus von einem Ende des Landes zum andern. Je größer der Schrecken und die Lähmung der Städte, desto leichter ihre Niederlage. Nichts bleibe auf der alten Stelle. Pflüget den zum Rasen gewordenen Acker tüchtig, aber erst wenn die Schollen umgekehrt liegen, egget frische Saat ein. Was dann werden kann, wird werden!«
»Teufel! Der will unsere Eisberge in den Abgrund der Seeen werfen, und die Alpen mit dem Nagel seines Daumens wie verschrumpftes Papier glätten,« rief Schybi lachend. »Das giebt – beim Sanniklaus – einen Jüngsten Tag.«
»Schybi,« sagte Addrich mit düsterm Gesichte, »Du wirst dieser Stunde gedenken, wenn Du das Armensünderglöckchen läuten hörst und sie Dich, Psalmen singend, hinaus zum Hochgericht geleiten.«
Der Leuenberg rieb sich die Stirn und sagte: »Addrich, bei meinem Leben, Du hast nicht übel gesprochen. Wie aber soll es enden, wenn wir über alles Recht hinausgehen?«
»Das Recht geht mit dem Sieger, das Unrecht mit dem Besiegten,« antwortete der Alte. »Ihr Emmenthaler seid Berns erkaufte Leute und Leibeigene; freie Schweizer waret Ihr nie; für Euch schoß kein Wilhelm Tell den Pfeil. Wähnet Ihr, ich trage meinen Kopf für Eure Lumpereien von Ohmgeld und verrufenen Batzen zum Schaffot? Es gilt Freiheit des Volkes vom Lemanersee bis zum Rhein: frei von Leibeigenschaft, frei von der Willkür des Stadtstolzes soll der Landmann sein; von Geburt nicht geringer als der Schultheiß, und nicht ärmer an Recht. Wir treten durch dasselbe Thor in die Welt hinein und hinaus. Mensch ist Mensch im Zwillich oder Samtkittel. Gott hat das Recht der Erstgeburt nicht erfunden, und Brüder können Brüder nicht leibeigen kaufen und besitzen. Unnatur und Unrecht vertilgen, das ist Natur und das ist Recht. Dafür gehe ich mit Euch zum Siege oder zum Schaffot, dafür ist beides gleich ehrenvoll vor der Welt und vor Gott.«
Sie schwiegen bei diesen Worten sämtlich; nur Ulli Schad stammelte erschrocken: »Wie meinst Du's? Alle Obrigkeit, sagt die heilige Schrift, ist von Gott. Es muß Obrigkeit sein, die Gewalt hat.«
»Obrigkeit und Unterthan muß sein, aber das Gesetz gehet über beide und Gott über alle!« antwortete Addrich,
Da wurde von außen ans Fenster gepocht, wo einer der Moosknechte, wie Addrichs Leute genannt wurden, Wache hielt. Der Alte begab sich hinaus. Seine Gäste standen schweigend im Nachdenken umher.
»Mit Eurer Gunst,« sprach nun Gideon, »Ihr gaffet verblüfft ins Blaue hinein, und es geht Euch, wie dem Knecht Rupprecht. Da er wollte ein Reiter werden, hatte er keinen Gaul; da er einen Gaul bekam, hatte er keinen Sattel; da er einen Sattel fand, mangelten ihm Stiefel und Sporn; und endlich, als er alles hatte, fehlte ihm der Mut und er saß da, wie Matthes von Dresden. Mich dünkt, Addrich hat wahr gesprochen. Vor der Hand habt Ihr nichts zu beraten, als woher Geld und tapfere Mannschaft nehmen, um dem Feinde zu jeder Stunde die Degenspitze zu zeigen. Liegen die Städte zu Euren Füßen, dann ists an der Zeit, Beratung zu halten, wie die Eroberung zu behaupten sei. Aber wo sind Eure Kriegsmittel? Es sollte alles bereit und längst schon fertig sein, Geld, Munition, Proviant, Geschütz Bewaffnung und Mannschaften,«
»Das wäre mein geringster Kummer,« antwortete Leuenberg, »Volkskrieg ist kein Herrenkrieg. Arsenal, Kriegsschatz, Provianthaus und Werbeplatz eines Volkes ist in allen seinen Dörfern, Höfen und Hütten versteckt.«
»Dabei ists bei weitem nicht abgethan,« rief Gideon. »Du sollst nicht glauben, daß, wenn man einen Bauer an einen Degen bindet, er davon alsbald Soldat werde. Wo bleibt die Disziplin? Wo sind Eure sachverständigen Hauptleute und Feldobersten? Wer hat die Leute schon in Rotten und Fähnlein geteilt, daß jeder seine Stelle und seine Pflicht kenne? Was wollt Ihr mit einem Haufen unerfahrener, toller, halsstarriger, aufrührerischer Bauern ausführen?«
»Mit Deinen deutschen und schwedischen Bauern freilich nichts,« antwortete Schybi ärgerlich. »Anders ists mit dem Schweizer. Er ist ein geborener Soldat, und weiß sich binnen wenigen Tagen des Spießes, Degens, der Musketen und brennenden Lunten zu bedienen, den Trab recht zu halten und in voller Rüstung einen guten Weg zu laufen. Alle Kriegskunst und Disziplin des Herzogs Leopold und Karls von Burgund sind bei Morgarten und Murten erfolglos geblieben.«
»Holla, Schybi, die Welt steht nicht mehr auf dem Flecke, wo Du sie in Deiner Chronik gesehen hast,« rief Gideon lachend. »Der große König Gustav Adolf und der unüberwindliche Held Torstenson haben die Kriegskunst auf den Gipfel ihrer Vollkommenheit gehoben, wovon Ihr Euch hier zu Lande nicht träumen lasset. Heutzutage gehören zu den zehn Ausgaben eines guten Kriegsmannes erstlich, daß er – –«