Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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XII.

Generalkonsul von Lenz wollte auch in der Großmut keinem anderen nachstehen.

Wenn Kommerzienrat Heller seinem Eidam die väterliche Fabrik wiedergab, so hatte er sich ein anderes Hochzeitangebinde für seinen Bruderssohn ausgedacht. Dem Baron von Berkow war nach der Verheiratung seiner Tochter der Besitz seiner Villa zur Last geworden, so daß er sie verkaufen wollte, um mit seinen Kindern zusammen zu wohnen. Er teilte dem Generalkonsul diesen Wunsch mit und fand in ihm gleich einen Käufer. In aller Stille, damit weder Hans noch die Familie Heller davon erfahren sollten, zog er aus, und schon folgenden Tages fanden sich Bauhandwerker und Tapezierer ein, um den Neuvermählten ein geschmackvoll gemütliches Heim zu bereiten.

Seit Adelheids Verlobung hatte Hans die Villa gemieden. Sie sollte für ihn ein unnahbares Heiligtum sein, wo seine erste Liebe begraben lag. Traf er, was selten geschah, den alten Freiherrn zufällig auf der Straße, so wich er ihm mit einem höflichen Gruß aus, und seinen Einladungen zum Besuche leistete er keine Folge. Und da er seit dem Wettrennen weder mit Lothar noch Adelheid zusammengekommen, so fügte es sich, daß er erst durch Lene Fabian vom Auszuge des Freiherrn Kenntnis erhielt. Er sah das Mädchen nur noch in der Fabrik, denn die Konzerte mit ihrem Vater, deren verzückte Zuhörerin sie gewesen, waren ja längst eingestellt. Ging Hans durch den Saal, so dankte er kopfnickend für ihren errötenden Gruß. Sie hatte die Empfindung, als schämte er sich ihrer Mitwissenschaft seiner unglücklichen Liebe. Nur am Tage nach des Freiherrn Umzuge warf sie ihm einen langen Seitenblick zu, als er an ihrem Tische vorüberging. Er verstand, daß sie ihm etwas sagen wollte, und blieb stehen.

»Immer fleißig, Lene?«

»Nicht immer,« antwortete sie halblaut, daß die Hasplerinnen es nicht hören sollten. »Gestern hab' ich zum Beispiel viel Zeit am Fenster versäumt.«

»Da schau mal! Du verdientest also eine Geldstrafe?«

»Aber feste. Herr Hans!«

»Und was gab es denn so interessantes am Fenster?«

»Der Herr Baron drüben ist ausgezogen. Die Villa soll neu eingerichtet werden.«

»Für wen?« konnte er sich nicht enthalten zu forschen.

»Ich weiß nicht,« lautete die Antwort. »Gestern war Ihr Herr Onkel mit einem Baumeister drüben, und heute sind die Handwerker eingerückt. Vielleicht soll Ihr Vetter mit seiner Frau einziehen.«

Das mochte es wohl sein. Gewiß sollten Lothar und seine leidende Frau den Herbst über in der väterlichen Villa wohnen, die fast einen Landaufenthalt ersetzte. Das wäre ihm ja eine peinliche Nachbarschaft! Ganz verstört ging er weiter und lauschte an einem offenen Fenster auf das Klopfen und Hämmern, das vom Park herüberschallte.

Nach Frau Viktorias und ihrer Tochter Rückkehr aus dem Nordseebade wurden die Vorbereitungen zur Hochzeit rasch zum Abschlusse gebracht. Im Hause an der Hohenzollernstraße fanden tägliche Konferenzen mit Schneiderinnen und Weißnäherinnen statt, und Heller war froh, wenn er aus all dem Trubel in die Fabrik flüchten konnte. Das Brautkleid kam aus Paris und war aus schwerster weißer Seide in Silber gestickt, die Taille aus weißem Samt, die Drapirung in Crêpe de Chine mit Myrthen. Die Ausstattung wurde zur Besichtigung ausgestellt, und man lud alle Bekannten und Verwandten ein. Bewunderung erregte zumal die auf langen Tafeln aufgeschichtete schneeige Tisch- und Bettwäsche, halbdutzendweise mit blauen Seidenbändern zusammengebunden, die feinen Weißstickereien und die meist mit echten Valenciennes besetzte Leibwäsche aus cremefarbiger Seide und Battist. O die glückliche Braut!

Der Generalkonsul aber hatte sich das Arrangement des Hochzeitmahles selbst vorbehalten. Erst hieß es im Englischen Haus oder im Hotel Kaiserhof würde es stattfinden; dem wurde aber später widersprochen. Offenbar plante man eine Überraschung, und nur wenige waren im Geheimnis.

So kam der große Tag heran. Das Standesamt war wie eine lästige Förmlichkeit schon vorher erledigt worden, hatte aber natürlich eigene Toiletten erfordert. Die kirchliche Trauung am folgenden Tage bildete den Glanzpunkt. Wicky sah ganz verführerisch aus. Die Brautjungfern, alle in weißer Seide und mit weißen Rosen, Kamelien und Tuberosenbouquets in der Hand, hatte man sich aus Burtscheid verschrieben, denn es fehlte Wicky noch an Berliner Freundinnen. Die Auffahrt vor der Kirche, der Aufzug aus der Sakristei, das Ja und der Ringwechsel vor dem Altar – das alles geschah ohne jeden leicht übel zu deutenden Verstoß, als wäre eine sorgfältige Probe vorausgegangen. Sogar der Septemberhimmel hatte sich fast sommerlich herausgeschmückt. Im fröhlichsten Sonnenscheine setzten sich die Wagen vor der Kirche in Bewegung, aber zum Erstaunen aller nicht Eingeweihten fuhren sie nach Charlottenburg hinaus.

»Wohin fahren wir, Hans?« fragte die Braut, ganz vergraben in ihrem weißen Schleier. »Doch nicht etwa in die abscheuliche Fabrik?«

»Ich weiß es selbst nicht. Der Onkel sprach von einer Überraschung.«

Da fuhr der Wagen schon am Fabrikthor vorüber und mit einer jähen Wendung in das weit offene Portal von Berkows Villa. Das Haus war an der Schauseite reich bekränzt, die Arbeiter standen Spalier, und der Generalkonsul, der noch vor dem Ende der Feier aus der Kirche vorangeeilt war, empfing sie selbst im blumengeschmückten Flur.

»Gott segne Euren Eingang!« sagte er nicht ohne Salbung.

Weißgekleidete Fabrikkinder unter Lenens Anführung streuten Rosen auf den Teppich, und mächtig bewegt führte Hans seine Braut in die Räume, in denen einst Adelheid gewohnt. Er hatte einmal gehofft, an ihrer Hand hier einzutreten. Es hat nicht sollen sein ... Doch nicht lange blieben sie allein. Wagen um Wagen fuhr vor. Die Hochzeitgäste rückten an, und alle Traurigkeit wich aus Hans' Seele, als Adelheid auf ihn und seine Braut zutrat, sie auf die Wange küßte und ihm die Hand reichte.

»Seien Sie glücklich, wo ich glücklich war.« Keine Trauer lag in ihren Worten, und so war auch er ruhig und versöhnt mit seinem Schicksal, wie die theure Jugendgeliebte.

Vor dem Hause wohnte Hitschold natürlich der Auffahrt der Wagen bei, die ihm als der Höhepunkt des Festes erschien. Schon die elegante Brautkutsche mit ihren Gummirädern imponierte ihm mächtig, innen mit weißem Atlas ausgeschlagen, mit silbernen Täubchen über den Laternen und mitten auf dem Rücken der schön geschirrten zwei Pferde. Ein Blick traf auch die in lange, hellbraune Livree gesteckten Kutscher mit ihren Gamaschen und Silbertressen, wohlgenährt, glattrasiert, gewichtig. Auch die Beiwagen verdienten sein Lob, seine Fuhrwerke, blankes Geschirr und gutes Gespann.

»Schöner nützt nichts!« sagte er, als das letzte Gefährt vorüber war, zu Lene Fabian, die mit ihrem Vater seltsam bewegt neben ihm stand. Dann begab er sich mit allen Arbeitern und Arbeiterinnen ins Wohnhaus hinüber, wo eine lange Tafel die sämtlichen Angestellten vereinigte. Er führte mit Würde den Vorsitz, und fleißig wurde auf das Wohl des Hochzeitpaares getrunken.

Das elektrisch erleuchtete Speisezimmer, das mit dem Kesselhause der Fabrik in Verbindung stand, nahm indessen die Brautgäste auf, die sich an der hufeisenförmigen Tafel niederließen. Das bunte altsächsische Tischgedeck, ein Geschenk des Generalkonsuls, der massive silberne Aufsatz, von herrlichen Blumen erfüllt, die fröhlichen, zufriedenen Mienen, die köstliche Letzung – es war ein glänzendes Freudenfest. Außer den Anverwandten der Familien Lenz und Heller sah man Geschäftsfreunde vom Rhein und von Berlin, die Prokuristen der Niederdeutschen Bank, Verwaltungsräte, einige Ältesten der Kaufmannschaft – alles ernste, gesetzte Männer. Lothars Uniform war für das Auge ein Labsal. Die Kaufmannsgattinnen behäbig, fröhlich, in Seide und Diamantenpracht, und ihre zum Teil sehr lieblichen Töchter in zartem Weiß und Rosa. Und am Ende der Tafel strahlte der Vertreter der Spinnerei, Herr Hinnen-Lotz, mehr Direktor als je. Er sprach und aß viel, und erst beim Champagner kam eine verdächtige Schweigsamkeit über ihn, die seinen Durst allerdings wenig zu hindern schien. Und als die Toaste zu steigen begannen, da klopfte auch er an sein Glas, erhob sich, zog ein Taschentuch aus seinem alten Frack, schneuzte sich mit Überzeugung und begann mit seiner tiefen, wohlklingenden Baßstimme:

»Liebe Anwesende!«

Man sah sich etwas erstaunt an, schwieg aber und hörte sogar auf, mit Gabeln und Messern zu klappern.

»Ich bin kein Redner« – »Oho!« und Gelächter unterbrach ihn – »und darum sage ich mit Martin Luther: Tritt fest auf, thu's Maul auf, hör' bald auf ... Aber nur das sage ich Ihnen, weil ich es halt sagen muß und will. Unser hochverehrter Chef Herr Lenz, der Hochzeiter – wir wissen ja alle, was er uns ist! Ein Ehrenmann, beim Eid! Damit habe ich alles gesagt und kann über ihn schweigen, denn ich und meine Arbeiter gehen für ihn durchs Feuer, wenn's sein muß. Ja gewiß ist's wahr, durchs Feuer! Seine Frau aber – wir sehen sie ja vor uns und auch ihren Herrn Papa, den lieben, guten Herrn Kommerzienrat Heller, – o was ist das doch für ein lieber Mann und ein famoser Spinner, besser nützt nichts, wie mein Schreiber sagen würde! Aber von ihm will ich ja nicht reden, sondern von seiner Tochter, der heutigen Braut oder vielmehr der jungen Frau Lenz. Ja, das ist das rechte Wort! Kurz und bündig! Lenz, das heißt übersetzt: Frühling, und wie der Frühling in Menschengestalt sitzt sie da unter uns, daß es einem ganz schwül zu Mute wird. Er heißt Lenz, und sie ist der leibhaftige Lenz! Und darum kann man unserem Chef oder auch Prinzipal nur gratuliren zu seiner guten Wahl, und ich bin sonst kein Prophet, aber diesmal sage ich es kühn voraus: der wird glücklich!« Lautes Gelächter unterbrach ihn wieder. »O sie auch!« rief er schnell. »Denn sie ist eine Perle auf tiefem Meeresgrund, und sie verdient gefaßt und als schönster Schmuck abgenutzt zu werden. Die junge Frau Lenz lebe hoch! hoch! hoch!«

Schweißtriefend, mit rotem Kopf und glänzenden Augen hatte er dreimal sein Sektglas geschwungen und die lachenden und kichernden Gäste waren gutmütig genug, dem wohlmeinenden Redner beizustimmen. Hochrufe und Gläserklingen übertönten den Spott, womit namentlich die jungen Leute freigebig waren. Nur das Hochzeitpaar und der alte Heller bewahrten ihren Ernst, jenes aus Artigkeit, dieser aus Überzeugung. Er ging auf den Redner zu und klingelte mit dem Glas an dem seinigen.

»Herr Hinnen-Lotz,« sagte er mit Thränen in den Augen, »das war gut gesagt und hat mir wohl gethan.« Und zu dem Generalkonsul gewandt, bemerkte er: »Noch selten hat mich eine Tischrede so angesprochen. Alles treffend, schlicht und wahr, und doch auch etwas Schwung und Phantasie. Ein Naturmensch!« Dann küßte er seine Tochter zwischen ihren Schleiern und dem Myrten- und Orangekranz auf die Stirn und setzte sich lächelnd wieder an seinen Platz.

Als die Gesellschaft immer lustiger wurde und den Reden die Vorträge folgten, da sah man die gedrungene Gestalt des Spinnmeisters sich wieder vom Platz erheben, und ohne weiteres kündigte er ein komisches Lied an, das er auf einer seiner sonntäglichen Bierreisen aufgeschnappt haben mochte. Er räusperte sich also wieder und begann ohne Klavierbegleitung mit des Basses Grundgewalt zu singen:

»Mädchen, die Piano spielen,
Sich als große Damen fühlen,
Die bei dem Spazierengehn
Stets nach jedem Herrchen sehn;
Denen einzig man zum Lobe
Sagt, daß dreimal schon zur Probe
Täglich sie die Schneid'rin rief:
Die sind Brief!«

Und indem der Sänger mit einer unsagbar wegwerfenden Handbewegung: »Die sind Brief!« wiederholte, sahen sich die meisten Gäste und zumal die Damen erstaunt an.

»Wie ungalant!« meinte Adelheid, die doch wahrlich nicht zu diesen Frauen gehörte.

»Der Mensch fällt mir auf die Nerven!« schnaubte Frau Viktoria in ihrem roten Samtkleid, und nur ihr Gatte, der wieder einmal den Naturmenschen bewunderte, rief laut:

»Köstlich! Mir aus der Seele!«

Doch Herr Hinnen-Lotz ließ sich durch keine Kritik stören, und über sein vom Wein erhitztes Gesicht flog es wie Verklärung, als er weiter sang:

»Aber Jene, die beglückt sind,
Wenn die Strümpfe gut gestrickt sind,
Stramm in Küche und in Keller,
Ehren hoch auch einen Heller ...«

Wie ein gewiegter Koupletsänger hob er die Pointe heraus, und der atemlos horchende Brautvater fing die Anspielung auf seinen Namen auf und rief mit herzlichem Lachen: »Bravo!« so daß auch Hinnen-Lotz ihm freundlich zunickte, um nach dieser verlängerten Kunstpause fortzufahren:

»Die getreu sind ihrem Gatten
Nie getechtelmechtelt hatten ...«

»Pfui!« rief Frau Viktoria mit ihrer ganzen sittlichen Entrüstung, doch diesmal ließ sich der Sänger nicht stören:

»Denen Häuslichkeit gefällt,
Die sind Geld,
Ja, die sind Geld!«

»Bravo!« rief Heller noch einmal, aber der Sänger war mit seinen unbequemen Alltagswahrheiten überlästig geworden und niemand achtete mehr auf seinen Singsang. Er begann zwar tapfer den zweiten Vers, allein die Unterhaltung wurde immer lauter gefühlt, so daß seine Stimme zuletzt übertönt war. Vergeblich rief der Kommerzienrat, sein einziger Zuhörer, ihm: »Lauter!« und den Gästen: »Scht!« zu, beide Aufforderungen halfen nichts, und der Lärm verschlang alles. Zum Überflusse fing ein unsichtbares Orchester zu pauken und trompeten an, wahrscheinlich auf einen Wink des Generalkonsuls, der den unangenehmen Sänger zum Schweigen bringen wollte. Unzufrieden, beschämt, mit purpurnem Kopf, setzte sich Herr Hinnen-Lotz wieder auf seinen Platz zwischen zwei Sektflaschen nieder und verließ ihn auch dann nicht mehr, als das junge Paar fast unbemerkt aus der Gesellschaft verschwand und die jugendlicheren Gäste und allen voran der schneidige Dragonerleutnant von Lenz sich zwischen die geöffneten Flügelthüren drängten, um im Nebensaal ein Tänzchen zu wagen.

Während Wicky mit Hilfe ihrer Mutter den Brautstaat mit einem bequemen grauen Reisekleide vertauschte, fanden Adelheid und Hans noch Gelegenheit, im Vorzimmer einige Worte zu wechseln.

»Von meinem Freudentage sprechen Sie!« sagte er ernst. »Mich erfaßt ein Schauer, wenn ich an mein verfehltes Leben denke, an das ich nun auch noch ein fremdes Geschick kette.«

Sie glaubte ihn zu verstehen und wollte ihn aufrichten. »Vielleicht, daß Sie nach Jahren doch noch zur Musik übergehen können,« sagte sie schüchtern.

»Nein, nein, damit ist es vorbei. Meine Finger werden steif, und die tausend klingenden Gedanken versiegen. Es ist vielleicht besser so, als ein verfehltes Künstlerdasein. Ich hoffe nur noch das Eine, daß die Liebe mir die drückende Last meines Berufes erleichtern wird. Die Liebe zu meiner Frau, zu meinen Kindern ... zu meinen großen Kindern, meinen Arbeitern, den Armen und Elenden, den wirtschaftlich Schwachen, den Unmündigen und Enterbten.«

Er reichte ihr zum Abschiede die Hand, und zwei große, traurige Augen folgten dem Wagen, der das junge Paar aus dem Jubelsturm ihres neuen Heims entführte.


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