Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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VII.

Keine Ahnung hatte Hans von der ihm gestellten Falle. Er dachte sich den alten Heller als uninteressierten Freund und Ratgeber und seinen Onkel oder vielmehr die Niederdeutsche Bank als Neubegründer der väterlichen Firma. In dieser Voraussetzung hatte er sich bereit erklärt, für mäßigen Gehalt und Anteil am Reingewinne die Leitung der Spinnerei zu übernehmen. So ging er mit Eifer und Zuversicht an die Ehrenrettung seines Hauses, wobei ihm sein englischer Reisegefährte, auf dessen Wink die besten Maschinen angeschafft worden waren, mit seinem Rate beizustehen versprach. Ein gewiegter alter Spinnmeister, den Heller persönlich kannte, war aus der Schweiz verschrieben, und auf seine Bitte hatte Burtscheid mehrere gute Arbeiter abgetreten. Die meisten früheren Angestellten von Vater Lenz waren in alle Winde zerstreut, doch vernahm noch mancher den Ruf des Sohnes und kam mit Freuden herbei, um auch unter diesem zu arbeiten. Fabian blieb Cylindermacher und seine Lene Spindelhülsendreherin. und die drei Hausknechte, Janko, Zobel und Lux, fanden sich mit einigen Spinnern und Hasplerinnen auch wieder ein. Eine ganze Familie, bestehend aus dem Vater, der Selfaktorspinner war, der Mutter, die am Banc-à-Broches Verwendung fand, zwei Töchtern, die Hasplerinnen waren, und einem halbwüchsigen Burschen, den man als Ansetzerjungen brauchen konnte, wurde gern eingestellt, denn sie waren von einer Abfallspinnerei am Salzufer als ordentliche Arbeiter empfohlen. Sie hatten in der letzten Zeit in keiner Fabrik gearbeitet, sondern da und dort, wo man gerade fleißige Hände brauchte, und darum trugen die am Thore wachthabenden Hausknechte Bedenken, sie in den Hof einzulassen. Als erster drängte sich der Kleinste von ihnen ein und zwar ein vorlauter Bursche mit schwarzen Haaren und Augen und weißen Zähnen, die sich, wenn er lachte, blendend von seinem fahlen Großstädtergesicht abhoben. Er hatte sein Sonntagskleid an und bemühte sich vergeblich, mit den Händen und seiner Mütze die augenscheinlich ganz neuen Risse darin zu verdecken.

»Der Bengel hat sich mit den Straßenjungens gekeilt,« erklärte seine noch sehr energische Mutter wie zur Entschuldigung. »Überhaupt 'ne nette Nummer! Ein Prachtkerl, was? Ja, der wird sich schon durch das Leben fressen und wenn die Klöße haushoch auf der Straße liegen. Und sieht man so 'ne gedrängte Übersicht von so 'nem Musterexemplar, so hat man 'ne helle Freude dran und kann gar nicht begreifen, daß mir die Galle nicht schon gänzlich ins Blut getreten ist.«

Das nahm der kleine Held offenbar für ein Lob, und er warf der gerade im Hofe stehenden Lene einen herausfordernden Blick zu, der sie fast einschüchterte.

»Fürchte Dich nicht,« rief er mit Gönnermiene, »ich thue kleinen Puten nichts.«

Das beruhigte sie sehr, und als seine Eltern und Schwestern ins Kontor traten, blieb er draußen und begann mit ihr ein Gespräch.

»Wie heißt Du?«

»Lene Fabian. Und Du?«

»Hugo Mila. Was arbeitest Du?«

»Ich mache Röhrchen.«

»Man bloß!« rief er geringschätzig und warf sich in die Brust. »Ich bin Ansetzer.« Das schien nun ihr wieder nicht zu imponieren, was er mit Verwunderung bemerkte. »O aber nächstes Jahr bin ich so groß, wie ein Spinner sein soll. Stark genug wäre ich schon jetzt dazu, meint Vater. Hast Du keine Eltern?«

»Ei ja, Vater ist Cylindermacher.«

Jetzt war der Stolz auf ihrer Seite, aber er dachte an die komischen Angströhren der feinen Herren und lachte ... »Aha, Hutmacher, was wir Berliner Kopfschuster nennen!« Sie klärte ihn über sein Mißverständnis auf. »Das ist putzig, daß wir in derselben Fabrik schuften,« sagte er. Sie kannte diesen Ausdruck für »arbeiten« und lächelte verständnisinnig. »Und weißt Du hier Bescheid?«

»Ja,« gab sie zurück, »wir arbeiteten schon vor dem Stillstand in der Fabrik und haben jetzt die Aufsicht.«

»Wo ist Deine Maschine?«

»Mein Tisch? Neben Vatern in der Schlosserei.«

»Denn besuch' ich Dich, und wir erzählen uns eins, aber daß Dein Oller dabei ist, ist eklig,« sagte er. »Wo wohnst Du?«

»Drüben im Fischerhaus.«

Er sah errötend an ihr vorbei, als ihr Blick ihn zufällig traf. »Was ist das?« Er wies auf die Rollbahn, deren Wagen oben unter einem Vordach stand.

»Der Aufzug.«

»Da wollen wir auf- und runterfahren zusammen.«

»Jetzt aber nicht, denn die Maschine, die den Wagen zieht, steht ja.«

»Runter kann man immer,« sagte er pfiffig. »Dazu brauchen wir keinen Dampf.« Ohne ihre Antwort zu erwarten, zog er sie am Arme den schmalen Stufenweg hinauf, der neben der Schienenbahn empor führte. Sie folgte ihm mit halbem Widerstreben, und bald waren sie oben. Artig hieß er sie zuerst Platz nehmen. »Ich sehe schon, wie man das macht,« sagte er, hakte den Wagen los und hatte gerade noch Zeit, hinter sie auf das rollende Gefährt zu springen. Auch ihre Augen leuchteten jetzt in kindlicher Freude, als sie langsam am abschnurrenden Seil bergab fuhren.

»Schneller!« rief er ungeduldig, »du alte Schneckenpost!« Und mitten im Laufe stieß er mit dem hinten niederbaumelnden Beine vom Boden ab. Dabei verlor er das Gleichgewicht und stürzte in der Höhe des ersten Stockwerkes von der Bahn, während der erleichterte Wagen schnell weiter glitt und krachend an den Prellbock unten aufstieß. Mit blutüberströmtem Gesicht erhob er sich und hinkte herbei, um zuerst nach seiner Fahrtgenossin zu sehen.

»Ich bin mit dem Schreck davon gekommen,« sagte sie, noch blasser als sonst und dem Weinen nahe.

»Ich auch,« versicherte der unverbesserliche Prahlhans mit bittersüßem Lächeln. »Eine Schramme mehr, was thuts? Das ist männlich.« Sie sah mit Sorge auf das fließende Blut, nahm ihr blaues Tuch vom Halse und wollte ihm die Stirnwunde verbinden. »Unsinn!« rief er. »Ich bin kein altes Weib.«

»Du verblutest ja sonst.«

»Ach geh' man, wenn es genug geblutet hat, hört's eben wieder auf.« Sie hielt ihn aber fest und knüpfte dem Widerstrebenden das Tuch um den Kopf.

»Mit so'n Turban geh' ich nicht herum,« erklärte er hartnäckig. »Ich müßte mich ja vor den Jungens schämen.« Und er riß das Tuch ab und gab es ihr wieder. »Schönen Dank, aber lieber verbluten, als so 'ne Memme sein.« Er sah, daß sie ihm schmollte. »Ruhig, Göre, ich wollte Dich ja nicht beleidigen. Ich weiß, daß Du es gut meinst und danke Dir auch schön dafür.«

Er gab ihr die Hand und verließ mit seinen scheltenden Eltern und Schwestern etwas kleinlaut den Hof.

Der Einzug der Arbeiter dauerte mehrere Tage. Männer, Weiber und Kinder, einzeln und in ganzen Familien, im Sonntagsrock oder Arbeitkittel kamen sie durch das Thor und baten um Anstellung. Nord und Süd, West und Ost war vertreten, namentlich Sachsen und die Rheinlande. Auch ein junger Tiroler, die grüne Joppe auf die Schultern gelegt, mit bunt gefütterter Weste und die Schweinsblase mit dem Kautabak hinten im Gürtel eingeklemmt, betrat mit einem gellenden Juchzer den Hof und stellte sich den wachthabenden Hausknechten als der neue Kardenschleifer vor.

»Wie heißen Sie?« fragte der mißtrauische Zobel, der immer zudringliches Pack argwöhnte, das, einmal im Hofe, nicht wieder loszukriegen sei.

»Ich heiß' Joseph – Peppi.«

»Stimmt nicht,« brummte Janko mit einem Blick auf die Liste. »Der neue Kardenschleifer muß Pinzger heißen.«

»Pinzger schreib' ich mich.«

»Das kann jeder sagen,« fiel Lux ein. »Eben behaupteten Sie noch, daß Sie Peppi heißen.«

»Ja, Joseph heiß' ich, aber ich schreib' mich Pinzger.«

Die strammen Thürhüter verloren die Geduld und sahen sich verzweifelt an, »Sie sind wohl brustkrank im Kopfe?« sagte Janko unwirsch. »Wissen Sie was, schreiben Sie man den verehrten Namen hier auf, damit ich ihn dem Herrn Chef bringen kann.«

»Ich kann nicht schreiben.«

»Mensch,« donnerte Zobel, wie ein richtiger preußischer Unteroffizier, »wie wollen Sie sich denn Pinzger schreiben, wenn Sie nicht schreiben können!«

Zum Glücke kam gerade Hans des Weges und machte dem Streite ein Ende, indem er den Kardenschleifer, der von dem handfesten Kleeblatte schon aus dem Hofe gedrängt war, wieder hereinließ und ins Kontor schickte.

»Und ich heiß' doch Joseph und schreib' mich doch Pinzger, auch wenn ich nicht schreiben kann,« rief er triumphierend den Hausknechten zu, denen dieser spitzfindige Unterschied des tiroler Sprachgebrauches noch immer unverständlich war.

»Den müssen wir zivilisieren,« bemerkte Zobel zu Lux. Er haßte überhaupt all das fremde Gesindel und hätte gerne nur Berliner angestellt. Aber Hans machte ihm begreiflich, daß die Stadt im Baumwollspinnfache wenig geschulte Arbeitkräfte liefere, und ersuchte die Thürhüter, etwas minder schneidige Wache zu halten.

Dieser Ermahnung hatte es folgenden Tages der neue Buchhalter, Konrad Hitschold von Bern, ein langer, hagerer Vierziger, gewiß viel mehr als seiner anständigen Kleidung und der gelehrt aussehenden Brille zu danken, wenn er sogleich zum Chef gewiesen wurde, der gerade das neue Kontor im Erdgeschosse des Lagergebäudes links vom Thore mit Hilfe Fabians und des Lehrjungen Max einrichtete. Hitschold wurde willkommen geheißen, zog ohne weiteres seinen Rock aus und legte mit Hand an. Uebrigens war er mit dem neuen Spinnmeister aus der Schweiz hergereist und kündigte sein baldiges Erscheinen an. Indes verging die Zeit, und niemand meldete sich. Es war Hitschold unbegreiflich, wo sich sein Freund und Landsmann so lange verspäten konnte.

Endlich gegen Abend stellte sich am Thor ein sonderbarer Geselle vor. Ein angehender Fünfziger, untersetzt und stämmig, mit Habichtnase, trug er kurze braune Beinkleider, die von einem vorstehenden roten Turngurt mit weißem Kreuze gehalten wurden, und einen vorsündflutlichen Radmantel. Seine rosige Gesichtsfarbe und Stimmung deuteten an, daß er von einer kleinen Wein- oder Bierprobe kam. Übrigens faßte er seine Leute merkwürdig scharf ins Auge und befleißigte sich einer Haltung, die er heut' Unter den Linden den Leutnants abgesehen haben mochte.

»Sie wünschen?« fragte der biedere alte Janko am Eingange, indem er das Thor nicht aus der Hand ließ, wobei er von Zobel und Lux kräftig unterstützt wurde. Der Schweizer brach über dies Verhör in lautes Lachen aus.

»Das ist Bock!« rief er und fixierte die Cerberusse ganz durchbohrend, aber die Erwägung, daß sie mit ihrer Strenge nur der Vorschrift gemäß handelten, stimmte ihn plötzlich gnädig, »Ich bin der Herr Hinnenlotz, der neue Spinnmeister.«

Den Thürhütern kam die Sache nicht geheuer vor. Der Alte sah nach einem Spaßvogel aus, der sich mit ihnen einen Scherz machen wollte. Aber wie sie sich noch zögernd mit einem Blicke befragten, ob sie ihn einlassen sollten, waren sie schon von Herrn Hinnen-Lotz mit einem donnernden: »Sakerment nochmal!« beiseite gedrängt. Zufällig erschien just der Kommerzienrat, der mit den englischen Mechanikern drüben einen Spinnstuhl montierte, und erkannte den Eindringling auf den ersten Blick. Er begrüßte ihn freundlich und stellte ihn Hans vor, der auf den Lärm aus dem Kontor geeilt war.

»Denkt Euch nur,« sagte Herr Hinnen, der, wenn er gemütlich oder zornig war, die Leute immer per Ihr ansprach, »die Schubiake da wollten mich nicht einlassen! Das ist dem Herrn Hinnen-Lotz beim Eid noch nie passiert.«

Heller entschuldigte die Pförtner, die unter des Spinnmeisters wütenden Blicken wie begossene Pudel dastanden, aber der Eidgenosse war schwer zu beruhigen und brummte noch lange sein entrüstetes: »mich, den Herrn Hinnen-Lotz!« Nachdem sich Hans mit der ungewohnten und naturwüchsigen Erscheinung vertrauter gemacht hatte, gab sich die weitere Bekanntschaft übrigens von selbst.

»Seht da,« sagte der Alpensohn, indem er ein abgegriffenes Notizbüchlein aus dem faltenreichen Mantel zog, »der Herr Hinnen-Lotz ist kein studierter Spinner, aber er hat sie allesamt im Sack. Hier habe ich meine Berechnungen schwarz auf weiß, und ich mische Euch mit dem schlechtesten Zeug einen Faden, der Bock ist.«

In lächelnder Bewunderung hörte ihn Heller an, und lebhaft bestrebt, den ungünstigen ersten Eindruck bei Hans zu verwischen, fügte er verbindlich hinzu: »Ich kenne Sie schon lange, und weil ich Sie schätze, habe ich Sie auch empfohlen. In der ganzen Schweiz sind Sie als guter Spinner bekannt, und die Fabrikherren dort pflegen zu sagen: Nach dem Herrgott kommt gleich der Hinnen.«

Der Spinnmeister brach in ein unbändiges Gelächter aus und klopfte Heller vertraulich auf die Schulter: »Und ich werde Eurer Empfehlung beim Eid Ehre machen. Sonst bin ich eigentlich nicht gern gekommen. Es ist zu weit weg von meinen Bergen.«

»Schweizers Heimweh!« sagte Heller zu Hans. »Er ist ein Gemütsmensch!«

»Und der Wein hier ist gar nicht süffig,« fuhr Hinnen-Lotz nach einer Pause fort. »Ich bin einen guten Tropfen gewöhnt. Hier kennen sie aber weder Hallauer noch Affenthaler.«

»Aber einen Affen kann man sich auch bei uns kaufen,« witzelte Heller und lachte am meisten über seinen Scherz.

»Höchstens einen Spitz,« entgegnete Hinnen mit verächtlichem Naserümpfen. »Auch die Sprache ist mir zuwider. Hier redet schon das kleinste Kind Schriftdeutsch. Bei mir haperts, aber ich werde mich verständlich machen!« Man blieb im Ungewissen, ob diese kühne Behauptung etwas Drohendes haben sollte, doch der Biedermann entdeckte jetzt den hemdärmeligen Hitschold durch das offene Kontorfenster, wo er eben sein Pult ins günstige Licht rückte. »Aha, da ist ja mein Schreiber!« rief er aus. »Meine Herren, den empfehl' ich Euch. Ein fleißiger und braver Mensch und ein famoser Buchhalter. Nur eins hab' ich ihm noch nicht austreiben können. Er hat eine Leidenschaft für Rosse. Vor jedem Droschkengaule bleibt er stehen, gelt, Chueri?« Konrad Hitschold lächelte seinem Freunde verlegen zu, ließ sich aber sonst in seiner Arbeit nicht stören, so daß dieser auf ein ersprießlicheres Thema überging. »Und wie ist's denn hier mit den Weibervölkern?« fragte er Heller augenzwinkernd, »Ich bin nämlich Wittling und fürchte die Weiber nicht. Ich war' sogar imstand, meinem Jakob eine Stiefmutter zu geben.«

»Nach der Statistik gibt es in Berlin mehr Einwohner weiblichen als männlichen Geschlechtes,« erklärte der Kommerzienrat zur größten Genugthuung des Schweizers. »Sie haben hier jedenfalls eine reiche Auswahl.«

»Und Gesangvereine gibt's auch?« forschte Hinnen weiter. »Ich bin zweiter Baß und singe halt gern.«

»Auch dafür ist gesorgt,« tröstete ihn Hans, worauf Hinnen der Zusammenhang der Kehle mit dem Magen einfiel.

»Es ist mir blöd',« erklärte er mit kläglicher Miene. »Von Morgen an steh' ich den Herren den ganzen Tag zu Diensten.« Dann holte er sich »seinen Schreiber« aus dem Kontor, und beide ließen sich von Lux ins nächste Wirtshaus führen.

»Ein Urmensch und dabei ein Genie in seinem Fache!« rief Heller aus, als er mit Hans allein war. »Sie glauben nicht, wie mich der Umgang mit einem solchen unverbildeten Naturkind erfrischt. Ja, das ist das Volk, dem auch ich angehöre, denn meine Eltern waren Proletarier, und in meiner Jugend lief ich immer barfuß herum.«

In diesem Augenblicke kam der Generalkonsul vorgefahren, worauf Heller sich bald, wie auf Verabredung, empfahl.

»Hans,« sagte der Bankier zu seinem Neffen, indem er seinen Arm ergriff und langsam im Hofe mit ihm auf und ab ging, »ist Dir nicht aufgefallen, daß der Kommerzienrat sich merkwürdig für Dich ins Zeug legt?«

»Ich erkenne es dankbar an.« entgegnete Hans. »Kein Vater könnte für seinen leiblichen Sohn mehr thun, als er für einen Fremden, wie ich ihm bin. Oft wird es mir zuviel, und ich bin genötigt, seinem Eifer einen Dämpfer aufzusetzen. Sprach er doch heute allen Ernstes davon, die Firma Lenz & Komp. zu erweitern und neben der Spinnerei eine Weberei zu errichten.«

Der Generalkonsul horchte bei dieser Nachricht auf. »Laß ihn gewähren,« sagte er nach einer Weile. »Wer weiß, er mag seine Pläne haben, in denen Du eine wichtige Person bist.«

»Ich verstehe nicht...«

»Er hat eine Tochter und vielleicht denkt er, Du wärest der rechte Mann für sie.« Hans machte eine ablehnende Gebärde. »Nun, was hättest Du an Viktoria Heller auszusetzen? Sie ist jung, hübsch, klug, einziges Kind eines vielfachen Millionärs. Diesen Goldfisch ließe ich mir an Deiner Stelle unter keinen Umständen vor der Nase wegfangen.«

»Ich mag nicht heiraten.«

»Das sagt man immer, aber hält es selten. Weshalb solltest Du ein alter Junggeselle werden?«

»Weil mein einziger Gedanke ist, die Ehre der Firma herzustellen.«

»Dazu erweist sich eine gute Partie nützlicher, als alle Arbeit und Kopfzerbrechen. Such' einen besseren Grund. Hans.«

»Nun denn, weil ich Fräulein Viktoria nicht liebe, nicht lieben kann, nie lieben werde.«

»Weil Du noch an einer unglücklichen Neigung laborierst? Junge, sei gescheidt. Keine Frau ist wert, daß man sein Leben für sie zu Grunde richte. Adelheid von Berkow ist für Dich verloren. Du wirst sie verschmerzen, glaube mir, so wie sie Dich verschmerzt hat. Gerade um Deine erste Liebe zu vergessen, solltest Du heiraten. Das ist probat. Unglückliche Liebende verlieben sich am leichtesten wieder. Nenne mich nicht frivol. Aus mir spricht die Erfahrung, und sogar die Dichter bestätigen es. Nur der noch um Rosalie jammernde Romeo konnte sich über Hals und Kopf in Julia vernarren. Aber ich will Dich nicht drängen. Überlege es Dir in aller Ruhe. Ich werde unterdessen das Terrain für Dich sondieren. O fahre nicht auf! Es verpflichtet zu nichts. Ich möchte nur verhüten, daß Du Dir einen Korb holst. Aber daran ist ja nicht zu denken. Heller wenigstens ist dem Heiratplane gewogen. Er hat mir im Vertrauen mitgeteilt, daß er Dich schon wie einen Sohn liebt, und daß diese Verbindung seit Eurer englischen Reise sein liebster Wunsch sei.«

Hans kam aus seinem Erstaunen über all' diese Mitteilungen gar nicht heraus, und seine Aufregung wuchs. Wider Willen sank Heller in seiner Wertschätzung. »O diese Kaufleute!« rief er. »Selbst die Besten thun das Gute nur aus Berechnung. Aber was sagt die zu allererst Beteiligte? Wie stellt sich Fräulein Viktoria zu diesem ... Geschäft?«

»Die spielt dabei gar keine Rolle. Sie ist eine Kaufmannstochter und als solche von Jugend auf gewöhnt, zuerst nach geschäftlichen Interessen zu fragen, überdies folgsam und ohne romantische Schrullen. Sie wird ihren Eltern gehorchen, in deren Wunsch diese Verbindung liegt.«

»Aber ihr Herz?«

»Das entdeckt sie vielleicht später. Sie ist mit ihrer Million Mitgift eine gute Partie, das genügt.« »Schrecklich!«

Der Konsul zündete sich eine Cigarre an, und sie spazierten weiter. »Vernunftehen sind die besten auf der Welt, junger Schwärmer. Der gesunde Menschenverstand schließt sie ab, und die Freundschaft hält länger vor, als das Strohfeuer der Liebe. Glaubst Du, den alten Heller habe die Liebe mit seiner Viktoria vereinigt? Sie hatte etwas Vermögen, und das konnte er für seine Spinnerei gut brauchen. Und führe ich mit meiner Frau nicht eine sehr glückliche Ehe auf Grund gegenseitiger Achtung?«

Er schwieg und ließ Hans alle Zeit, das eheliche Glück dieser Ehe sich auszumalen. Der Konsul immer in Geschäften, nie zu Hause; seine um mehrere Jahre ältere Frau stets allein, und speisten sie einmal zusammen, so ließ er sich von ihr den Kurszettel beim Dessert vorlesen. Für ihn mochte dies Glück sein, aber gewiß nicht für die leidende, furchtbar sentimentale Frau. Hans schauderte bei der Aussicht auf ein solches Eheglück.

»Mein Vater hat die Mama aus Liebe geheiratet,« warf er ein.

»Er wird es oft genug bereut haben.«

»Sie waren sehr glücklich.«

»Auf ihre Weise. Hätte Dein Vater eine Partie gemacht, so wäre es der Firma besser ergangen, und seinem Sohne bliebe sein Ideal unbenommen, irgend ein armes Mädchen aus Liebe und meinetwegen die Muse der Musik in Person zu heiraten.« Er brach dieses Gespräch ab, das seinen Neffen aufzuregen schien, obgleich er gute Lust empfand, ihn auch an die Krankheit seiner Mutter zu erinnern, die ihr schwaches Herz dem Sohne vererbte, der infolgedessen militäruntauglich befunden wurde. Statt dessen erzählte er, daß Lothar und Adelheid gestern Abend von der Hochzeitreise zurückgekehrt seien und ihr elegantes Nest am Tiergarten bezogen hätten.

»Noch eins, mein Junge,« schloß er. »Fahre doch nächsten Sonntag mit uns zum Rennen nach Westend. Ich weiß, Du hast keine Freude an dergleichen, aber thu' es mir zuliebe. Hellers kommen auch mit hinaus. Meine Kinder vielleicht ebenfalls. Nachher feiern wir bei Dressel die Geschäftseröffnung der Firma Johannes Lenz & Komp. Da darfst Du natürlich nicht fehlen.«

Hans versprach zu kommen, und sein Gesicht hatte dabei einen ruhigen, fast heiteren Ausdruck, wie der Onkel durch seine vier Augengläser mit Vergnügen, aber nicht ohne Verwunderung konstatierte. Er erriet in seinem kombinierenden Gehirne, welcher Erwägung er diese rasche Zusage verdankte. Ohne Zweifel wollte Hans Adelheid wiedersehen und sich von ihrem Glück überzeugen. War sie mit der Vergangenheit versöhnt und in ihrer jungen Ehe zufrieden, so konnte er ohne Bedenken auch an sein Glück denken.

»Ich komme, Onkel,« sagte Hans nochmals, als sie sich trennten. Der Generalkonsul sah sich endlich von ihm verstanden und lächelte.


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