Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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V.

Über der Liebe von Hans und Adelheid lag immer eine sanfte Abschiedstimmung, und wenn sie bei ihrer letzten »Robinsonade« stärker zum Ausdrucke kam, als je zuvor, so geschah es unter dem Einfluß einer dunkeln Furcht vor dem nahen Ende. Diese Ahnung eines unabwendbaren Verzicht sollte sich schon wenige Wochen später erfüllen.

An einem schönen Maienabend, der nur von Hoffnung und Lebenslust wußte, überbrachte Lene Fabian ihrem Herrn mit dem gewohnten forschenden Ausdruck im Gesichte folgenden Brief:

Mein lieber, lieber Herr Nachbar!

Gott sei Dank, daß wir nur Nachbarn geblieben sind und nichts weiter, als gute Freunde, und daß wir unsere Herzen bloß auf den Mollakkord der Sympathie gestimmt haben, denn nun werden wir beide das Unabänderliche viel besser überwinden. Das Gefürchtete ist eingetroffen. Ich bin auf meines Vaters Wunsch die Braut Ihres Vetters Lothar. Wenn etwas meine Wehmut zu lindern vermag, so ist es der Gedanke, daß ich Ihren Namen tragen und mit Ihnen verwandtschaftlich verknüpft werde. Unsere Freundschaft hat also ein neues, stärkeres Band erhalten.

Bleiben Sie mir gut und tapfer, wie Ihre

Adelheid.

Sein Herz krampfte sich zusammen, und seine Augen füllten sich mit Thränen. Da hörte er hinter sich ein leises Schluchzen, und erst jetzt bemerkte er, daß Lene noch immer dastand.

»Verzeihung, Herr Hans,« sagte sie und wischte sich mit dem Schürzenzipfel die rotgeweinten Augen. »Ich weiß alles. Ich hab's geträumt ... und kommen sehen. Es war auch die letzte Zeit so viel Leben drüben. Ihr Onkel zuerst allein, dann zusammen mit dem Herrn Leutnant, und dann der wieder allein, fast jeden Tag und immer mit einem Strauß, einer größer als der andere. Und gestern gingen sie Arm in Arm durch den Garten. O sie that gar nicht zärtlich. Gerade so kühl, wie wenn sie mit Ihnen spazierte, aber da fühlte man doch die Liebesleute heraus. Man so thun, wie wir sagen. Ach, und nun ists aus, Sie armer Herr! Aber nicht wahr, Sie nehmen sichs nicht zu Herzen? Mir ist immer so bang. Sie kann ja auch nichts dafür. Sehen Sie, die reichen Mädchen können nicht immer, wie sie wollen. Sie haben's viel schlimmer als wir armen, glauben Sie's nur. Soll ich Vatern rufen? Er begleitet Sie gern auf dem Instrument. Sie spielen Ihre Sonate. Ach, wie schön die klingt! ... Das wird Sie zerstreuen ...«

Sie hatte stockend und schluchzend, halb in ihre blaue Schürze hineingesprochen, wobei sie ihre schimmernd überfließenden Augen immer flehend auf ihn richtete, und ihre Stimme, die sie zur Festigkeit zwingen wollte, war schon halb von den Thränen erstickt; und zuletzt trat sie ihm näher und erfaßte seine Hand, um ihn schnell zu ihrem alles vermögenden Vater zu bringen ... Der Allerweltkünstler brachte es auch wirklich fertig, einen Menschen zu trösten, ohne eigentlich um sein Leid zu wissen. Er sah Hans kummervoll, und da sein Kind in ihn drang, ihm schnell etwas vorzuspielen, so begann er gleich von der Sonate zu reden und stürzte sich in dem sauberen Wohnstübchen, das mit all seinen Geräten und Instrumenten doch wie eine halbe Werkstatt aussah, ans Klavier. O das war eine Sehenswürdigkeit! Er hatte es von einem Trödler um einige Thaler erstanden, denn es hielt sich kaum mehr auf den Füßen; der Resonnanzboden war gesprungen, die Hälfte der Saiten und Hämmer entzwei, und auch von den Tasten fehlten mehrere. Aber er hatte den Schaden kunstvoll geheilt, und wenn auch die ergänzten Tasten nur von Holz waren und das Pedal nicht ordentlich parieren wollte, so klang es doch leidlich und drang dem sorgenvollen Komponisten erhebend in die Seele. Und im Eifer riß Hans die vielgeflickte Geige von der Wand, und unter seinem Bogenstrich erbebten die Saiten und hauchten glockenrein ihre Klänge aus, die aus seiner Brust zu quellen schienen. Abseits im Winkel aber stand Lene und wischte sich mit der Schürze wieder die hellen Thränen weg und wußte es selbst nicht, ob die wundervolle Weise oder ein fremdes Leid ihr so gewaltig ans Herz griff.

Nach einer unruhigen Nacht stand Hans ziemlich spät auf und zog sich zum Ausgehen an. Sein Entschluß war gefaßt. Die Geliebte hatte man ihm genommen; die Kunst sollte ihm niemand rauben ... Er schwang sich auf die Pferdebahn, die eben nach den Linden fuhr. Es that ihm wohl, hoch über dem Troß der Menschen, im frischen Morgenwind und ganz seinen Gedanken überlassen, durch den frühlingsgrünen Tiergarten zu fahren. Wie liebte er diese hohen, schattigen Hallen, wo er so oft im Wandeln die Welt vergessen und halb überwunden hatte!

Am Brandenburger Thore verließ er den Wagen und schlug sich seitwärts in das Straßengewirr, bis er unfern der Dorotheenstädtischen Kirche das gewaltige Steingebäude der Niederdeutschen Bank vor sich aufsteigen sah. Nur zu gut kannte er das Haus, wo er drei kostbare Jahre seines Lebens – verloren, wie er meinte. Gar oft hatte er es verwünscht, wenn es ihn jeden Tag aus seinen musikalischen Frühstunden rief und bis zum Abend festhielt! Da war die Thoreinfahrt, die breite steinerne Treppe, die weiten Korridore, rings von hohen Fenstern eingeschlossen, der viereckige Hof mit seinen maurischen Anwandlungen, der Säulenhalle und dem Springbrunnen. Und jetzt an den Kassenboten vorbei, die mit ihren Geldsäcken auf der Schulter kamen und gingen, und durch den endlosen Korridor zur Linken, wo die Schritte auf den Steinfließen widerhallten. Thüre rechts – dort befehligte der verunglückte Kandidat der Theologie Hubacher die Korrespondenz und quängelte die Kommis, wenn sie seine Schreibweise mit den immer wiederkehrenden Wendungen in besseres Deutsch umzugießen oder die englischen und französischen Briefe nicht nach den durch Hubacher verbesserten Regeln von Ollendorff und Rothschild aufzubauen wagten! Auch Hans hatte erfahren, was es heißt, dem galligen Lohnschreiber zu widerstehen, obgleich er durch seine Verwandtschaft mit dem gefürchteten Direktor eigentlich vor den ärgsten Quälereien gesichert war. Mit den Klagen über all die zahllosen Nadelstiche des selbstgefälligen Ignoranten wollte er aber seinen stets in Anspruch genommenen Onkel niemals behelligen.

Da war es doch besser Thüre links, wo er in dem mit Draht vergitterten Kassenzimmer im ersten halben Jahre neben den Lehrlingen amtierte, die Geldsendungen nachrechnete, die erhaltenen Briefe überschrieb, die abgehenden kopierte und faltete und andere verwandte Hauptaktionen vollführte. Hier war man doch im Hinblick auf seinen Onkel rücksichtvoll gegen ihn und drückte gern ein Auge zu, wenn er zu spät kam oder zu früh ging. Der erste Kassenbote pflegte ihm sogar im Laufschritte das Frühstück zu holen, in der sicheren Erwartung, durch seine gewiß allmächtige Fürsprache eine Zulage zu erhalten. Am liebenswürdigsten aber war der Vorgänger des rothaarigen Kassiers, denn er beehrte ihn mit seinem Vertrauen und übergab ihm bei vorübergehender Abwesenheit die Aufsicht. Freilich, dem Vertrauen seiner Vorgesetzten hatte der Mann weniger Ehre gemacht, denn er ging mit Hinterlassung eines großen Defizits nach Amerika durch, wurde zurückgeholt und saß nun seit Jahren im Zuchthaus.

Hans wollte an die Mittelthüre klopfen, doch sie wurde im gleichen Augenblick aufgerissen, und der Kassenbote stand mit seinen sämtlichen Militärmedaillen auf der Brust vor ihm, die schwarze Wechselmappe in der Hand, bereit zu einem Ausgang. Er erkannte auch den jungen Herrn sofort und freute sich offenbar, ihn wiederzusehen.

»Der Herr Onkel ist drin,« sagte er mit vertraulichem Augenzwinkern. »Schön, daß Sie kommen! Die Gelegenheit ist günstig.«

Natürlich dachte der gute Alte an seine Zulage. Und weit riß er vor ihm die Thür auf, durch die Hans in den großen, stillen Saal der Buchhalter trat. Auch dort fühlte er sich lebhaft angeheimelt, denn der weißköpfige Bureauchef Wirz hatte ihn hier ein Jahr lang in die Geheimnisse der doppelten Buchführung eingeweiht. In dieser stillen Schreibstube, wo ein dicker grüner Teppich die Schritte dämpfte, wurde er in seiner Arbeit von niemand gehetzt, und oft weilte er halbstundenlang draußen im kühlen Korridor, um mit seinem Kollegen, dem buckligen Schwarzbach, einem leidenschaftlichen Musikschwärmer, über Opern und Konzerte zu plaudern. Armer Schwarzbach! Auch er war noch hier in Diensten Merkurs – Pegasus im Joche! Und er sah auch recht unglücklich aus, als er jetzt mit schüchternem, hochachtungsvollem Gruße dem ehemaligen Kollegen entgegen kam. Seine Wangen waren eingefallen, seine Brust hohl, und nur sein Höcker schien sich wohl zu befinden.

»Der Herr Direktor sind auf seinem Zimmer,« flüsterte er demütig und wie um Entschuldigung bittend, daß er nicht »auf höchstseinem Zimmer« sagte. Mit einer linkischen Handbewegung lud er Hans ein, ins Vorgemach zu treten, doch – war es Absicht oder Mißverständnis? – Hans ergriff seine kalte, feuchte Hand und schüttelte sie freundschaftlich. Herr Schwarzbach wußte sich über diese Ehre gar nicht zu fassen, duckte sich aber gleich wieder, denn eben warf Herr Hubacher aus dem Nebenzimmer einen giftigen Blick durch die Glaswand auf ihn. Der Ex-Theologe hatte zwar in der Buchhalterei nicht das mindeste zu befehlen, aber that es dem Bureauchef zum Trotz und gestattete sich sogar immer wieder, bei dem geringsten Rechenfehler sämtliche doppelten Buchhalter niederzudonnern. Doch diesmal war Herr Schwarzbach dem frech erweiterten Machtbereiche des Schrecklichen entrückt, denn schon betrat er mit Hans das Vorzimmer des Direktors.

»Wie geht es Ihnen, Herr Schwarzbach?« fragte Hans teilnehmend, indem er den Enteilenden am glänzenden Schreibärmel festhielt.

»Dank für gütige Nachfrage,« war die erstaunte Antwort, denn Schwarzbach war hier nur an geschäftliche Unterhaltung gewöhnt. »Ich habe mich gewissermaßen verbessert.«

»Die Prokura erhalten?«

»Nein, so weit bin ich noch nicht, aber Privatsekretär des Herrn Generalkonsul. Er will nur noch mit nur im Bureau zu thun haben. Natürlich werde ich deshalb viel beneidet und angefeindet.«

»Sie verdienen diese Vertrauensstellung, Herr Schwarzbach. Ihre Gewissenhaftigkeit, Ihr Fleiß und Ihre Kenntnisse ...«

»Nein, denen dank' ich es nicht,« warf er verschämt ein. »Vielmehr meinem Naturfehler ...«

»Ah, Ihrer – hohen Schulter?« fragte Hans und hielt mit Mühe sein Lächeln zurück. »Ja ich weiß, der Onkel hat von Paris den Aberglauben mitgebracht, daß solche – Naturspiele Glück bringen.«

»Mir kann es recht sein,« gab der Kommis zurück. »In meiner neuen Stellung habe ich mehr Freiheit, z.B. auch zeitiger Feierabend. Auf diese Weise kann ich an Wochentagen die Konzerte besuchen. Ach, Herr Lenz, die Eroica! ... die Neunte! ...«

Seine Schwärmerei wurde durch ein Geräusper im Nebenzimmer unterbrochen. Er duckte sich schnell, so daß sein Buckel unter den schwarzen Locken verschwand und verzog sich demütigst hinter eine Portiere.

Bald kam er wieder zurück mit der Meldung, der Herr Direktor lasse seinen Neffen bitten, und Hans trat ein.

Sein Onkel saß am Fenster auf einem Sopha und blies bedächtig den Rauch seiner Upman durch Mund und Nase. Wer ihn für unthätig gehalten hätte, würde sich irren. Lenz war nie fleißiger, als wenn er rauchte und nichts that. Er kombinierte.

Schwarzbach verschwand geräuschlos, indem er einige Handlungsbücher mitnahm, die offen auf dem Tisch lagen. Der Direktor hatte gewisse Konti sich vorlegen lassen, aber nur flüchtig geprüft. Er gab sich nicht mit Kleinigkeiten ab. Erst bot er seinem Neffen eine Zigarre an und zog ihn dann zu sich auf das Sopha.

»Ich weiß, was Dich herführt, Hans,« begann er mit selbstgefälligem Lächeln, denn sein scharfsinniges Gehirn hatte gewiß auch hier das Rechte getroffen. »Du willst zu Lothars Verlobung gratulieren, die Du von dritter Seite in Erfahrung gebracht haben wirst. Ja, der Junge muß sich endlich rangieren, und da kalkulierte ich, daß niemand dies besser zu bewirken vermochte, als eine energische, kluge Frau. Adelheid von Berkow ist zwar nicht gerade das, was wir Kaufleute eine Partie nennen, aber sie hat andere Vorzüge. Vor allem den alten welfischen Adel. Die Unterschrift ihres Vaters ist mir bei einer geplanten Transaktion von Wert, und auch in unserem Verwaltungsrate möchte ich ihn haben. So will ich ihn denn durch verwandtschaftliche Bande an mich fesseln. Baron von Berkow wird auf einem zumal für Hannover berechneten Prospekt Wunder wirken.«

Er sagte dies alles im gemütlichsten Tone, ganz offen und heiter, ohne das geringste Bewußtsein seines grenzenlosen Egoismus. Er brauchte den Vater, darum kaufte er sich die Tochter. Punktum. Das Menschenherz war für ihn ein Papier, das an seiner Börse keinen Wert hatte und nicht kotiert wurde. Was ging es ihn an, ob er Liebende trennte und eine unglückliche Ehe stiftete! Wenn nur seine Kombinationen nicht gestört wurden, so war er zufrieden.

»Lieber Onkel,« nahm Hans das Wort, »Du hast für Lothars Glück oder was Du dafür hältst gesorgt. Die Güte, die Du mir stets bewiesen, ermutigt mich zu der Bitte, auch ein bischen für meine Zukunft zu sorgen.«

»Was Du für sein Glück hältst,« widerholte der Konsul gedehnt und legte sein Diplomatengesicht in grämliche Falten. »Dein Zweifel macht mich stutzig. Ich gestehe, daß ich allerdings die Sache von dieser Seite, der sentimentalen, nicht ins Auge gefaßt habe, denn sie lag mir ferner. Ja glaubst Du etwa, daß Adelheid meinen Jungen nicht glücklich machen werde?«

»O,« erwiderte Hans mit Wärme, »sie ist das beste Mädchen unter der Sonne. Gut, klug, Salondame und Hausfrau, sie vereinigt alle Tugenden.«

»Umso besser also für Lothar.«

»Ja, für ihn! Aber sie! wird sie das Glück finden?«

Der Direktor that einen Zug aus seiner Zigarre, worauf er gedankenvoll die weiße Asche betrachtete und langsam den Rauch darauf blies, so daß sie jetzt rot aufglühte. Verdammter Junge, schien er zu denken, der da mit sentimentalen Erwägungen meine schönsten Kombinationen stört!

»Du meinst,« sagte er aufblickend, »daß Lothar ein unverbesserlich leichtsinniger Patron ist? Das stimmt vielleicht. Aber er hat ein gutes Herz ...«

»Gewiß,« warf Hans dazwischen.

»Und Charakter, viel Charakter.«

Er stutzte einen Augenblick, als erwartete er abermals eine Zustimmung. Da Hans indessen schwieg, fuhr er bekräftigend fort:

»Er hat meinen Charakter, nur mehr Herz als ich. Das weiche Herz seiner Mutter. Das ist im Geschäft manchmal lästig, einen Leutnant geniert es weniger. Ich werde ihm ins Gewissen reden und dann ... Nun, ich bin doch immer da, um nach dem Rechten zu sehen. Er ist willig, lenksam, er liebt mich, vergöttert mich sogar. Ein Wink meines Fingers, und er ist wieder im richtigen Geleise. Also keine thörichten Bedenken, zu denen Dich gewiß Dein freundschaftliches Interesse an Deiner schönen Nachbarin verleitete, Hans. O, Du brauchst nicht zu erröten! Ich sah sie neulich als begeisterte Belauscherin Deines Konzerts. Ihr seid Euch gut, denke ich. Du wirst also Deine neue Kousine umso willkommener heißen.« Er strich mit der Zigarre unter seiner Nase hin, um ihren aufsteigenden Rauch einzuatmen, dann erhob er sich und ging einigemal im Zimmer auf und ab. »Übrigens ist es mir lieb, daß ich Dich sehe, Hans,« fuhr er fort. »Ich habe eine erfreuliche Mitteilung für Dich. Es ist endlich gelungen, den störrigen Verwaltungsrat willfährig zu machen und auch andere Kapitalisten für die väterliche Spinnerei zu interessieren. Das Gutachten einer Autorität wie Kommerzienrat Heller hat Wunder gethan. Ich werde schon nächster Tage die Sache ratifizieren lassen, so daß die Gelder zur Amelioration und zum Betrieb flüssig gemacht werden können.«

»Dafür weiß ich Dir umso mehr Dank,« nahm Hans das Wort, »als meine fernere Mitarbeit im Geschäft dann überflüssig wird und ich an die Erfüllung meines Herzenswunsches denken kann. Wenn es Dir gelingt, mit den Gläubigern meines Vaters ein so günstiges Arrangement zu treffen, so brauche ich meine kleinen Ersparnisse nicht mehr zu opfern, so wie ich es angeboten hatte. Mir ist also die Möglichkeit gegeben, aus eigenen Mitteln meine künstlerische Ausbildung zu bestreiten.«

»Musikant!« rief der Direktor verächtlich.

»Musiker,« erwiderte Hans ruhig. »Meine Begabung, mein ganzes Wesen drängt mich dahin. Für die Geschäfte bin ich nicht hart und fest genug. Ich verlange nichts anderes von Dir, als Dein Ja, keinen Pfennig Geld. Ich will eine musikalische Hochschule in Berlin oder Leipzig besuchen und werde mich schon selbst erhalten, durch meine Ersparnisse, meine Kompositionen, durch Stundengeben ...«

»Niemals! Mein Neffe Stundengeben! Das würde ich nie zulassen! Lieber brächte ich Deiner Marotte Opfer. Aber nein, es ist unmöglich! Komm zur Besinnung, Hans, es darf nicht sein. Dein Vater würde sich im Grab umdrehen.«

Bei der Nennung seines Vaters zuckte Hans zusammen ... »Armer Papa! ja, es ist wahr, sein Wunsch war, daß sein Geschäft auf mich übergehen sollte, und mit eiserner Hand hat er mir meine musikalischen Liebhabereien verwehrt. Aber nun die Firma doch erlischt ...«

»Du irrst, Hans! Das Haus Johannes Lenz & Komp. steht noch, soll wieder blühen, und ich betrachte es als ein heiliges Vermächtnis, die Ehre meines Bruders zu reinigen. Ich denke, sein Sohn muß mir dabei zur Seite stehen. Er schuldet es jenem teuren Schatten. Du sollst die Ehre und den guten Namen Deines Vaters, seine Firma retten, Du mußt es!«

Er hatte die beiden Hände des jungen Mannes ergriffen und sah durch Brille und Klemmer ihm scharf in die treuen, braunen Augen, die ihn fest anstrahlten. Bis in sein Herz hinab konnte er blicken und fand kein Falsch darin, aber ein starkes Ehrgefühl und eine opferwillige Liebe übers Grab hinaus. Und wie konnte es auch anders sein? Die frühverstorbene Mutter war ein duldender Engel in Frauengestalt, und der schroffe, aber rastlose und rechtliche Vater hatte ihn im Gebote der Pflicht erzogen. Und heilig wie die Ehre seines Namens galt diesem Kaufmannssohne die Firma. Die Lebensarbeit seines Vaters steckte darin und der Schweiß Tausender von Mitarbeitern. Und wie tapfer hatte der Gute gekämpft Tag und Nacht, Jahrzehnte lang, immer in Sorgen um Weib und Kind und seinen ehrlichen Namen und war dann zusammengebrochen auf der Wahlstatt, müde, aber nicht besiegt, gebrochen, aber nicht hoffnungslos, denn noch lebte ja sein Sohn, der über alle Fährlichkeiten hinweg das Werk weiter führen und die Firma retten würde. Ja, der Onkel hatte Recht. Seines Vaters Ehre war auch die seinige, und die Firma durfte nicht untergehen, um keinen Preis, und wenn es sein Lebensglück kosten sollte. Dann wollte er hinausstürmen auf das einsame Grab dort draußen zwischen Eisenbahndamm und Haide und dem teuren Todten durch die gelben Schollen zurufen: Vivat Johannes Lenz & Komp.! Schlaf ruhig, Vater, Dein Name steht rein und makellos da! – –

Ein dumpfer Lärm störte ihn plötzlich in seinem Sinnen. In den Nebenzimmern wurde es lebendig. Thüren und Pultdeckel klappten. Laute Stimmen und Schritte verhallten auf den Korridoren. In dem emsigen Bienenkörbe schien alles in wilder Auflösung und Flucht.

»Mittagpause,« sagte der Direktor ruhig und griff nach Hut und Überzieher, denn für ihn, der nach der Uhr lebte, endete die Kontorthätigkeit auf den Glockenschlag. Hans wußte also, was das sagen sollte. Er erhob sich von seinem Platz und kämpfte seine mächtige Erregung nieder. »Komm, speise mit mir bei Hiller. Wir besprechen das Weitere dort. Du wirst aber einsehen, daß es keinen anderen Weg für Dich gibt, als den ich Dir vorgezeichnet.«

Bald darauf entfernten sie sich durch die verödeten Zimmer, nur von dem die Aufsicht habenden Kassenboten bemerkt, der ihnen lange nachsah.

»Famos! brummte er, »nanu kann der Herr Neffe ganz ungestört von meiner Zulage mit ihm reden!«


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