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Von diesen Zimmerchen aus betritt man einen kleinen Garten, vor dem sich die Ruine eines Portals erhebt; der Garten grenzt an eine Laube, in die man sich bei großer Sonnenhitze zurückziehen und wo man ungestört lesen kann. Steigt man höher hinauf, so sieht man sich plötzlich vor einem Theater, dessen Pfeiler alle frei stehen, so daß man eine Oper unter freiem Himmel aufführen kann. Ich will es hier nicht näher beschreiben; ich werde diesen Memoiren Zeichnungen von all den merkwürdigen Bauten meiner Herrschaft beifügen, und man wird sehen, daß sie in ihrer Art einzig sind. Der Fluß zieht sich unten rings um den ganzen Berg; wohin man auch geht, kommt man auf herrliche Spaziergänge und Aussichtspunkte. Da ich den Ort beschreibe, wie er in seinem gegenwärtigen Zustand ist (d. h. im Jahre 1744), so werde ich fortfahren, alle Verschönerungen, die ich mit der Zeit hier anbringen lassen werde, zu verzeichnen.
Ich habe mich vielleicht zu lange dabei aufgehalten, allein ich schreibe zu meinem Vergnügen und rechne nicht darauf, daß diese Memoiren jemals gedruckt werden; vielleicht weihe ich sie eines Tages dem Feuer, vielleicht gebe ich sie meiner Tochter, kurz, ich weiß es noch nicht. Ich wiederhole es nochmals: ich schreibe für mich selbst, und es macht mir Spaß, nichts von allem, was ich erlebte, geheimzuhalten, nicht einmal meine geheimsten Gedanken.
Am Ende dieses Jahres brach der Krieg zwischen dem Kaiser und den Türken von neuem aus. Er war höchst ungerecht, doch führt die Ursache desselben weiter zurück.
Ich erwähnte bereits, daß die Russen zwölftausend Mann nach Deutschland geschickt hatten, um dem Kaiser wider Frankreich beizustehen. Die Kaiserin von Rußland lag damals im Kriege mit den Türken und hatte ihre Truppen dem österreichischen Monarchen nur unter der Bedingung zur Verfügung gestellt, daß er nach dem Frieden einen Umschwung herbeiführen und den Waffenstillstand mit den Ottomanen brechen würde. Im Jahre 1736 kam der Kaiser seinen Verpflichtungen nach und ließ seine Truppen nach Ungarn marschieren. Der Feldzug war im Anfang glücklich. Da die Türken auf keinen Angriff gefaßt waren und in dieser Gegend keine Truppen hatten, zogen sie sich zurück und überließen den Österreichern, ohne einen Schwerthieb zu wagen, die Stadt Nissa. Aber das Jahr 1737 brachte eine unheilvolle Wendung. Der General Seckendorf wurde zum Befehlshaber der kaiserlichen Truppen ernannt. Der Geiz und die schlechte Führung dieses Generals richtete die Armee gänzlich zugrunde. Er wurde am Ende dieses Jahres vor das Kriegsgericht gestellt und für den Nest seiner Tage in die Festung Spielberg eingesperrt; er durfte froh sein, daß er noch so davonkam. Ich staunte über das Schicksal dieses Menschen, der mir so viel Leid zugefügt hatte und der die Geißel aller Höfe genannt werden durfte, an denen er beglaubigt war. Er tat mir leid, und ich kann sagen, daß ich mich keinen Augenblick über sein Unglück gefreut habe. Wir werden ihm noch einmal begegnen. Doch ich kehre zu meinen eigenen Angelegenheiten zurück.
Zu Anfang des Jahres 1737 machte der Bischof von Bamberg uns einen Besuch. Der Hof zeigte sich bei dieser Gelegenheit in seinem ganzen Glanze. Ich hatte viele Änderungen an den Gemächern des Markgrafen und den meinigen vornehmen lassen. Wir hatten einige geschickte Musiker und ein paar vortreffliche italienische Sänger angeworben, was unsere Kapelle sehr in die Höhe brachte. Auch waren seit kurzem mehrere Fremde bei uns in Dienst getreten, die uns halfen, die Honneurs unseres Hofes zu machen und ihn ein wenig heiterer zu gestalten, als er früher gewesen war. Alle, die uns besuchten, unterhielten sich sehr gut, und der Bischof war mit seinem Aufenthalt sehr zufrieden.
Meine Gesundheit war immer noch sehr zart, fing aber doch an, sich zu kräftigen. Im Lande wünschte man sehnlichst einen Thronerben. Man schlug mir daher vor, ins Bad zu reisen. Da ich meine Konstitution kannte, sah ich wohl voraus, daß es mir nicht zuträglich sein würde; da man aber dem Arzte zugeredet hatte, er möchte es mir verordnen, so sah ich mich genötigt, den Wunsch des Landes zu erfüllen. Die Bäder von Ems waren die wenigst angreifenden, die es in Deutschland gab; diese zog ich also den anderen vor. Die Jahreszeit war aber noch zu rauh; wir begaben uns darum zuvor nach Erlangen, um von dort weiterzufahren.
In Erlangen verlebten wir eine sehr angenehme Zeit; ich hörte zum ersten Male in einer Pastorale den berühmten Signor Zaghini singen, der alles durch die Schönheit und den Schmelz seiner Stimme entzückte. Wir lebten nur dem Vergnügen, als uns ein unerwartetes Ereignis mitten in unsern Freuden störte. Es war der Tod meines Neffen, des Erbprinzen von Ansbach.
Ich erwähnte schon, wie schlecht der Markgraf und meine Schwester sich vertrugen. Seit einiger Zeit hatte sich ihr Zerwürfnis noch mehr verschärft; der Hofmarschall von Seckendorf war zum Teil schuld daran, da er den Markgrafen unablässig gegen seine Frau erbitterte. Der Tod des Erbprinzen bot ihm von neuem Gelegenheit, seinen ränkevollen Geist zu betätigen. Er stellte meine Schwester als die alleinige Ursache seines Todes hin und wußte den Fürsten so aufzuhetzen, daß er schwur, er wolle sie nicht wieder sehen und sich von ihr trennen. Er behandelte sie sogar auf ganz unwürdige Weise und ließ ihr durch gewöhnliche Dienstboten die härtesten Dinge ausrichten; dem ganzen Hof wurde strengstens untersagt, zu ihr zu gehen, kurz, man suchte sie auf jede erdenkliche Weise zu demütigen. Dieser Zustand dauerte schon seit drei Wochen, ohne daß ich es erfahren hatte. Endlich ließen mich einige gutgesinnte Leute dieses Hofes insgeheim benachrichtigen und mich bitten, nach Ansbach zu kommen, um all diesen Mißständen ein Ende zu machen. Ich zögerte nicht, dem Rufe zu folgen.
Der Markgraf war auf dem Lande, wo er in den Armen seiner Geliebten den Schmerz um seinen verstorbenen Sohn zu betäuben suchte. Sobald er erfuhr, daß ich nach Ansbach gekommen sei, kehrte er zurück. Ich traf meine Schwester in Tränen aufgelöst und so verändert aussehend, daß sie nicht mehr zu erkennen war. Der Markgraf würdigte sie keines Blickes; er mußte wohl oder übel mit uns speisen, aber man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel. Ich wollte mich nicht übereilen und genau wissen, was sich alles zugetragen hatte, bevor ich mit ihm sprach. Ich merkte aus dem ganzen Bericht, den ich vernahm, daß Herr von Seckendorf der Urheber dieses ganzen Zerwürfnisses war. Ich wandte mich also an ihn, um es wieder zu beseitigen. Der ruhige Ernst, mit dem ich ihn zur Rede stellte, stimmte ihn vielleicht zur Nachdenklichkeit. Er versprach mir, alles aufzubieten, um den Frieden wiederherzustellen. Er hielt Wort. Der ganze Hofstaat vereinigte sich mit ihm, um den Markgrafen zu besänftigen; aber der Hauptgrund, der ihn zur Nachgiebigkeit bestimmte, war die Angst, die er vor mir hatte. So war mir also die Freude vergönnt, den Frieden wiederhergestellt zu sehen. Da ich in Ansbach nichts mehr zu tun hatte, kehrte ich nach Erlangen zurück, von wo aus ich nach Ems fahren wollte. Ich begab mich unmittelbar nach Wertheim, wo ich mich einschiffte.
Unsere Reise war höchst angenehm. Wir hatten angenehme Reisegefährten an Bord, das Essen war vorzüglich, und wir hatten stets eine schöne Gegend vor Augen.
Nach sechs Tagen kamen wir in Ems an, von unserm letzten Reisetag sehr müde und abgespannt; denn wir hatten die vorhergehende Nacht in einer kleinen Fähre zugebracht, da die Lahn, die bei Ems fließt, für große Schiffe nicht fahrbar ist. Dieser Ort ist sehr unerfreulich. Er liegt in einem Kessel und ist ganz von Felsen umringt. Man sieht hier weder Bäume noch Grünes. Das Oranierhaus, das wir bewohnten, war schön und behaglich.
Am ersten Tage ruhten wir uns aus, aber gleich am folgenden Tage sah ich mich in der Gesellschaft um; sie war sehr klein und sehr langweilig. Frau von Harenberg, die Frau des diensttuenden Kämmerers am englischen Hofe, spielte hier die Hauptrolle. Sie war mit ihrem Gatten und ihrem Liebhaber, dem Obersten von Dieffenbrok, nach Ems gekommen. Diese Dame war klein, häßlich, unsympathisch und ebenso geziert wie gefallsüchtig. Wir machten uns ihre Lächerlichkeit zunutze, indem wir sie zur Zielscheibe unseres Spottes wählten. Der Markgraf tat, als sei er in sie verliebt, und machte ihr den Hof. Die Närrin ging in die Falle und war so erfreut über die glänzende Eroberung, daß sie den Roman so anfangen wollte, wie er gewöhnlich erst endet. Der Markgraf war aber anderer Meinung. Ihr Zorn fiel nun gänzlich auf mich zurück. Sie suchte mich überall in Verruf zu bringen, weil sie dachte, ich sei der Störenfried ihrer Liebesangelegenheiten gewesen. Zum Glück kannte man sie so gut, daß alles, was sie von mir sagen mochte, auf niemanden Eindruck machte.
Ich begann meine Kur, die mir anfangs ziemlich gut bekam. Die angenehme Gesellschaft, die noch dazukam, verschönerte unsern Aufenthalt. Außer mehreren Damen und Herren aus der Umgebung, die uns besuchten, war auch Pöllnitz gekommen. Ich habe seiner schon gedacht. Seit seiner Rückkehr nach Berlin hatte er einen andern Glauben angenommen und war wieder protestantisch geworden. Er erzählte mir viele Neuigkeiten aus Berlin. Er stand sehr gut mit dem König und wußte über alle seine Angelegenheiten Bescheid. Er sagte mir, daß ich der Gegenstand des allgemeinen Bedauerns sei; der König sei auf den Markgrafen sehr ergrimmt, weil er vernommen habe, daß er sich Mätressen hielte und übel mit mir umginge. Man konnte sich kein verleumderischeres Gerücht denken. Ich bat Pöllnitz auf das dringendste, den König aufzuklären, was er bei seiner Rückkehr auch tat.
Wir gingen manchmal spazieren, oder besser gesagt, wir wateten im Kot. Die »Promenade« bestand nämlich in einer Lindenallee, die längs des Flusses gepflanzt worden war. Man war nie allein: die Schweine und andere Haustiere leisteten einem getreulich Gesellschaft, so daß man sie mit Stockhieben von sich jagen mußte, um vorwärts zu kommen. Ich nahm nur lauwarme Bäder, denn von allen Seiten, selbst von dem Emser Badearzte wurde ich vor heißen Bädern gewarnt, da sie mir sehr schädlich werden könnten. Dennoch setzte sich unser Leibarzt Zeitz in den Kopf, ich würde nie schwanger werden, falls ich nicht die Bäder des Darmstädter Hauses nehmen würde, und machte mir diesen Vorschlag. Ich tat es, konnte sie aber nur eine Minute lang aushalten; diese Bäder waren so heiß, daß sie das ganze Zimmer mit Dampf erfüllten. Ich stieg sogleich wieder heraus.
Mein Herr Doktor wandte sich an Herrn von Voigt, damit dieser mich zu diesen Bädern berede; und obwohl der andere Arzt Einspruch erhob und offen erklärte, daß ich sie nicht vertragen könnte, bestand Zeitz darauf und sagte zu mehreren Personen, die es mir seitdem hinterbrachten, die Hauptsache wäre doch, daß ich einen Prinzen bekäme, und wenn ich stürbe, wäre eben eine Frau weniger da. Einer guten Eingebung folgend, schenkte ich diesem Rate kein Gehör und fügte mich nicht, obwohl man mir sehr zusetzte.
Als meine Kur beendet war, fuhr ich nach Koblenz, um die Fronleichnamsprozession anzusehen. Man zeigte mir das Schloß und die Stadt, die nicht verdienen, daß ich sie eingehend beschreibe. Ich kehrte dann nach Ems zurück, wo ich einen Herrn vom Hof des Landgrafen von Darmstadt traf, der uns auf das verbindlichste nach Münichsbruck, dem Lustschloß des Landgrafen, das auf dem Weg nach Frankfurt lag, einlud. Der Markgraf war hocherfreut, bei dieser Gelegenheit einen Fürsten kennen zu lernen, der durch seine Courtoisie und seine Prachtliebe allgemein bekannt war; er beschloß, die Einladung anzunehmen, und forderte mich auf, ihn zu begleiten.
Wir reisten also am folgenden Tage ab und sahen im Vorüberfahren Schlangenbad und Schwalbach, die beide überfüllt waren. In Wiesbaden übernachteten wir. Obwohl ich sehr müde war, stand ich tags darauf um fünf Uhr auf, um nach Münichsbruck zu fahren. In meinem Vorzimmer traf ich zwei Originale an. Es waren zwei Grafen von Reuß, von denen der eine die ganze Zeit von einem Fuß auf den andern hüpfte, indem er mir mitteilte, daß er der Kämmerer des Kaisers und regierender Reichsgraf sei. »Es freut mich sehr,« erwiderte ich; »und wenn der Kaiser viele so erlauchte Kämmerer um sich hat, muß es mit seinem Hofstaat gut bestellt sein.« »Ja, in der Tat,« meinte er. Der andere erzählte mir, daß er auf einem seiner Güter in der Nähe von Frankfurt lebe, weil dort, wie er sagte, das Futter viel besser sei und seine Hauptfreude darin läge, schöne Pferde zu züchten. Zugleich sagte er mir den ganzen Stammbaum seiner Stallbewohner her und zählte mir ihre Qualitäten auf. Ich hätte ihm antworten können, daß er selbst das größte Pferd sei. Ich stieg endlich in den Wagen, um mich von dem springenden und dem reitenden Grafen zu befreien, und kam bei unerträglich heißem und staubigem Wetter nach Münichsbruck.
Der Landgraf reichte mir die Hand, um mir aus dem Wagen zu helfen; er ließ mich aber dann, ohne mir ein Wort zu sagen, inmitten des Hofes stehen, um den Markgrafen zu begrüßen. Dann erst führte er mich ins Haus. Dort traf ich seine Tochter, die Prinzessin Maximiliane von Hessen-Kassel, und seinen Sohn, den Erbprinzen an. Ich fing ein Gespräch mit ihnen an. Der Landgraf erwiderte kein Wort, seine Tochter lachte geradeheraus, und sein Sohn erging sich in Verbeugungen. Als ihr Vater sich entfernt hatte, ließen sie sich mit mir in ein Gespräch ein; doch wählten sie höchst obszöne Themen, die mir ganz neu waren und die sie zudem auf sehr derbe Meise erörterten. Ich machte große Augen und geriet in große Verlegenheit, denn ich war an derlei nicht gewöhnt; auch war mir diese Gesellschaft sehr wenig entsprechend. Die Prinzessin von Hessen war eine zweite Madame Dubarry und mußte früher sehr hübsch gewesen sein; der Wein und die Ausschweifungen hatten aber ihren Teint so verdorben, daß er ganz kupfrig war, und ihr Busen, den sie so tief entblößte, als es nur ging, war voll ekelhafter Pusteln; ihre freien Manieren und ihre freche Miene verrieten nur allzuwohl ihren Charakter und ihre Natur.
Wir setzten uns endlich zu Tisch, und obwohl ich mich dem Landgrafen gegenüber sehr entgegenkommend zeigte, brachte ich kein Wort aus ihm heraus. Ein glücklicher Zufall verschaffte mir endlich das Glück, den Klang seiner Stimme zu hören. Münichsbruck ist eigentlich ein Jagdschloß und besteht aus mehreren einzelnen kleinen Pavillons; ein jeder derselben enthält einen kleinen Saal und auf jeder Seite drei kleine Zimmer; diese Zimmer hatten alle Damastmöbel in verschiedenen Farben mit Gold- oder Silberborten. Bei Tische rief plötzlich die Prinzessin aus: »Ach, mein Gott! Ach, mein Gott!« Ich erschrak und glaubte, sie hätte ihre Anfälle, an denen sie, wie ich hörte, mehrmals am Tage litt; aber sie rief mir jetzt zu, daß sich große Wunder vorbereiteten, und sie habe nie etwas Merkwürdigeres gesehen. Ich dachte in der Tat, sie sei närrisch geworden; da ich aber den Landgrafen geheimnisvoll lächeln sah, beruhigte ich mich wieder. Das große Wunder bestand nun darin, daß die Damasttapeten, die in diesen Zimmern waren, im Nu weggenommen worden waren, wodurch andere, die darunter hingen und die mit Öl auf Leinwand gemalt waren, zum Vorschein kamen. Der Landgraf sagte mir bei der Gelegenheit: »Ew. Königliche Hoheit sehen, daß hier in der Tat gezaubert wird.« Es waren die einzigen Worte, die ich von ihm hörte. Ich war voll des Beifalls über diese Kinderei, denn man muß, wie das Sprichwort sagt, mit den Wölfen heulen.
Als unser langweiliges Mahl vorüber war, zwang man mich zu tanzen. Ich war müde wie ein Hund, und da wir nur drei Damen waren und man viele Allemanden tanzte, kam ich nie zur Ruhe. Ich drang so lange in den Markgrafen, daß wir uns endlich um sieben Uhr verabschiedeten. Ich muß hier einiges über den Landgrafen und seinen Sohn einflechten.
Der Landgraf war über achtzig Jahre alt, als ich ihn sah; aber wenn man von seinen grauen Haaren absah, hätte man ihn für einen Fünfziger gehalten; ein Geschwür, das er am Munde hatte, entstellte ihn und machte ihn sehr ekelhaft; man sagte, daß er in seiner Jugend viel Geist besessen habe, aber im hohen Alter merkte man nichts mehr davon; er hatte viele Liebesabenteuer bestanden und war später schrecklichen Ausschweifungen verfallen. In seiner unglücklichen Suche nach dem Stein des Weisen hatte er sein Land, dessen Finanzen sehr zerrüttet waren, ganz ausgesogen. Er stand sehr schlecht mit seinem Sohne, den er wie ein Kind in Abhängigkeit hielt, obwohl er schon neunundvierzig Jahre alt war; dieser Prinz hatte viel Geist und vortreffliche Manieren, er hatte sich auch Kenntnisse erworben, doch verkehrte er in so schlechter Gesellschaft, daß er ganz verdummt und bis zur Unkenntlichkeit vergröbert worden war.
Ich kam sehr spät in Frankfurt an, wo wir unter dreifachem Kanonendonner feierlich empfangen und von den Magistratsherren und Bürgermeistern bewillkommnet wurden. Da ich mich nicht sonderlich wohlfühlte, hielt ich mich einen Tag dort auf und sah mir die Sehenswürdigkeiten an; nämlich den Römer, einen Saal, in dem die Kaiser an ihrem Krönungstage speisen; an diesen Saal grenzen mehrere Zimmer an, und es wurde mir die Goldene Bulle gezeigt, die dort aufbewahrt wird. Ich ging auch in die große Kirche, in der die Kaiser gewöhnlich gekrönt werden. Man zeigte mir den Ort, an dem die Wähler am Tage der Wahl ihre Beratung abhalten. Da aber die Einzelheiten hierüber leicht in Büchern zu finden sind, so will ich sie hier mit Stillschweigen übergehen.
Ich verließ Frankfurt am folgenden Nachmittag um fünf Uhr und fuhr die ganze Nacht durch, um die große Hitze zu vermeiden. Obwohl ich mich recht angegriffen fühlte, wollte ich im Vorbeifahren Philippsruhe, das Lustschloß des Prinzen Wilhelm von Hessen, besichtigten. Es ist groß und geräumig, jedoch innen sehr einfach und nicht möbliert. Die Lage ist sehr schön; man hat den Ausblick auf einen herrlichen Garten, der an den Main grenzt, und erblickt am gegenüberliegenden Ufer eine reizende Landschaft.
Unterwegs verschlimmerte sich mein Befinden, und schließlich wurde ich von einer Art Dysenterie befallen. Nachts überraschte uns ein arger Gewitterregen. Die Wege waren schrecklich, und wir befanden uns mitten im Spessart, wo weit und breit weder Dorf noch Haus, sondern nur Wald zu sehen ist. Ich kam endlich um neun Uhr morgens halbtot in ein kleines Dorf, namens Eselsbach, wo man mich aus dem Wagen hob und zu Bett brachte, ohne daß ich etwas davon wußte. Der Arzt, der lange vor mir angekommen war, fand mich sehr krank; ich hatte hohes Fieber, und er hielt meinen Zustand für recht bedenklich. Man beschloß also, diesen ganzen und den folgenden Tag an diesem Ort zu bleiben, und wollte dann versuchen, mich weiter zu schaffen, falls es nicht besser mit mir würde; denn wir waren hier so schlecht aufgehoben, daß für mich ein längerer Aufenthalt unmöglich war. Da ich mich aber etwas wohler fühlte, reisten wir den übernächsten Tag ab, um nach Würzburg zu fahren, dessen Bischof uns eingeladen hatte.
Wir wurden dort mit den größten Ehren aufgenommen. Die Garnison stand in Waffen auf den Straßen Spalier, man gab eine dreifache Salve von Kanonenschüssen ab. Der Bischof mit seinem ganzen Hofstaat empfing uns vor der Treppe. Ich war von der Fahrt so angegriffen, daß ich mich zu Bett legen mußte. Obgleich ich krank war, raffte ich mich auf, das Innere des Schlosses anzusehen, das als das schönste in ganz Deutschland gelten darf. Die Treppe ist wundervoll, und alle Gemächer sind groß und weit, aber die Ausstattung derselben fand ich abscheulich.
Wir fuhren um acht Uhr abends wieder fort. Mein Übel hatte sich gehoben, dafür wurde ich von einem andern gefährlicheren befallen, nämlich von so starken Brustschmerzen, daß ich nicht imstande war zu sprechen. Nachdem ich die ganze Nacht gefahren war, kam ich tags darauf nach Erlangen. Dort blieb ich vierzehn Tage, in denen ich mich sehr erholte, aber ich behielt eine große Schwäche zurück, und meine Gesundheit blieb sehr erschüttert.
Bei meiner Rückkehr nach Bayreuth traf ich Fräulein von Bodenbrok an, die erste Hofdame der Königin. Es war dieselbe, die mir während meines Aufenthaltes in Berlin so viel Verdruß bereitet hatte. Sie war auf dem Wege nach Karlsbad, um dort die Kur zu gebrauchen. Ich wollte mich großmütig erzeigen und nahm sie aufs beste auf. Dies rührte sie und bewirkte einen Umschwung in ihrem Gemüt. Sie erstattete mir ausführlichen Bericht über alles, was sich in Berlin zutrug, und erzählte mir, daß die Königin noch immer auf mich böse sei und mir bei jeder Gelegenheit etwas Schlimmes nachsage; daran sei niemand anders schuld als meine Schwester in Braunschweig, die sie stets gegen mich beeinflusse und allerlei Nachteiliges von Bayreuth auszusagen wisse. Unter anderem hatte sie erzählt, daß ich die Juwelen, die mir die Königin geschenkt hatte, so gering geachtet, daß ich sie verkauft und von dem Erlös neue erworben hätte, um nichts mehr zu haben, was mich an Berlin erinnere. Nicht genug, mich bei der Königin anzuschwärzen, erweise sie mir auch sehr schlechte Dienste bei meinem Bruder, der mir gegenüber ganz anders geworden sei und offen sage, seine Schwester in Braunschweig sei die, die er am liebsten habe; alle fingen an, ihn zu hassen; man bedaure mich allgemein und wünsche, daß ich wieder meinen früheren Einfluß über ihn gewönne. Ich rechtfertigte mich, was die Verleumdungen meiner Schwester anging, indem ich der Bodenbrok alle Juwelen der Königin zeigte, die ihr wohlbekannt waren. Sie versprach mir auch, mit aller Macht bei der Königin für mich einzutreten und zu meinen Gunsten mit meinem Bruder zu sprechen. So schied sie von Bayreuth, und wir überhäuften sie mit Aufmerksamkeiten und Geschenken.
Das Jahr 1738 drohte mir sehr unheilvoll zu werden. Der Markgraf wurde plötzlich krank. Sein Übel schien anfänglich nicht gefährlich, da es nur in einem sehr starken Blutandrang bestand. Allein eine Art Schlaganfall gab uns zu den größten Besorgnissen Anlaß. Es zeigte sich auch eine partielle Erschlaffung seiner Muskeln; so ist sein Mund etwas verzogen geblieben, und sein linkes Auge tränt fast dauernd; doch entstellt ihn dies keineswegs. Was habe ich nicht während seiner Krankheit gelitten! Meine Angst und Sorge läßt sich nicht schildern. Als er sich erholte, lebte ich wieder auf.
Meine Gesundheit aber stellte sich nicht her, sondern wurde von Tag zu Tag schlechter. Ich hatte wieder ein schleichendes Fieber, und nach drei Monaten erklärte der Arzt mein Leiden endlich für unheilbar. Fräulein von Sonsfeld und der Markgraf setzten die Königin und meinen Bruder von meinem Zustand in Kenntnis. Man hielt Konsultationen in Berlin und kam zu dem Schluß, daß ich nicht davonkommen könnte. Da erwachte die alte Zärtlichkeit im Herzen meines Bruders. Er meldete mir, daß in Stettin ein sehr geschickter Arzt lebe, der viel dazu beigetragen habe, den König zu heilen, als er die Wassersucht hatte; ich solle diesen bitten, ihn mir zu senden. Der Brief, den er mir bei dieser Gelegenheit schrieb, war äußerst liebevoll. Ich hatte mich schon in mein Schicksal ergeben. Ich glaubte nicht, diesmal davonzukommen, und sah dem Tode gefaßt entgegen; seine Nähe schreckte mich nicht. Das einzige, was mich bekümmerte, war der Schmerz, den der Markgraf über meinen Verlust empfinden würde; aber ich suchte über diesen Gedanken hinwegzukommen, indem ich an das Beispiel so vieler Männer dachte, die erst recht verzweifelt getan und sich dann doch getröstet hatten. Die dringenden Bitten meines Bruders jedoch und die des Markgrafen veranlaßten mich, den Rat des Kronprinzen zu befolgen. Ich schrieb einen rührenden Brief an den König, schilderte ihm meinen traurigen Zustand und sagte ihm, daß ich mich am Rande des Grabes sähe und ihn deshalb bäte, mir allen Verdruß zu verzeihen, den ich ihm, ohne es zu wollen, bereitet hätte; ich bat ihn um seinen Segen; ich brachte ihm meine innige Liebe zum Ausdruck und bat ihn endlich, er möge mir den Doktor Supperville schicken; dies tat ich mehr, um den Markgrafen zu beruhigen, als weil ich glaubte, daß er mir das Leben retten könne. Der König antwortete mir sehr verbindlich, und vierzehn Tage später war der Arzt in der Eremitage, in der ich damals weilte, angekommen.
Ich machte mich auf einen jener Pedanten gefaßt, die einem – als wackere Säulen der Fakultät – bei jedem Worte, das sie vorbringen, ihr Latein anhängen und deren langweiliges und verworrenes Gerede die Patienten vor der Zeit ins Grab bringt. Aber das war hier keineswegs der Fall. Ich sah einen Mann eintreten, der ein ziemlich angenehmes Äußeres und die Manieren eines Weltmannes hatte; mit einem Wort: er war in keiner Weise seinen Kollegen ähnlich. Meinen Zustand fand er sehr gefährlich, sprach mir aber Mut zu und versicherte mir, daß er mich wieder gesund machen würde. Ich muß hier eine Schilderung von ihm entwerfen.
Supperville ist von französischer Herkunft und angeblich aus gutem Hause. Seine Genealogie will ich dahingestellt sein lassen; jeder Franzose, der im Ausland lebt, ist ja adelig wie der König, obwohl sein Großvater manchmal in Paris Haushofmeister oder Lakai war. Aber lassen wir das; so mancher, der nicht adelig ist, würde verdienen es zu sein, und dieser hier hatte Fähigkeiten, die ihm vielleicht zu hohen Ehren verholfen hätten, wäre sein maßloser Ehrgeiz nicht gewesen. Supperville hatte in Leyden und in Utrecht studiert, denn sein Vater lebte im Haag. Als er seine Rechtsstudien beendet hatte, wurde er Gesandtschaftssekretär eines Gesandten, der nach Frankreich gehen sollte. Die Liebe machte einen Arzt aus ihm. Er hatte sich in ein sehr reiches Mädchen verliebt, und um sich nicht von ihr zu trennen, sah er sich genötigt, eine Laufbahn zu wählen, die ihm höchst zuwider war. Er kehrte auf die Universität zurück und betrieb sein Studium der Physik und Anatomie mit solchem Elfer, daß er bald zur Berühmtheit gelangte. Der König berief ihn zum obersten Arzt von ganz Pommern, woselbst sein Ruf sich bald ausbreitete. Er ist unendlich klug und belesen und darf als ein Genie angesehen werden. Im Verkehr ist er angenehm und weltgewandt; man kann mit ihm ebensogut scherzen wie über ernste Dinge reden aber sein hochfahrendes und eifersüchtiges Naturell steht seinen Vorzügen und Talenten im Wege und hat ihn unsterblich lächerlich gemacht.
Man wird aus dem Gesagten leicht schließen können, daß er bei uns viel Beifall fand. Unser Hof hatte sich sehr zu seinem Vorteil verändert. Als Erfolg all der Mühe, die wir uns gaben, um ihn zu bessern, war eine gewisse Roheit und Grobheit, die früher vorherrschend war, gewichen, aber es lag noch vieles im argen. Er war nur aus bornierten Leuten zusammengesetzt; die meisten waren aus Bayreuth nie hinausgekommen und hatten keine Ahnung von der übrigen Welt. Bildung und Wissenschaften waren verpönt, und ihre Gespräche drehten sich ausschließlich um die Jagd, den Haushalt und alte Hofgeschichten. Herr von Voigt, der einzige, mit dem man noch reden konnte, fing an, bigott zu werden. Wir waren also ganz auf uns selbst angewiesen. Supperville war uns demnach höchst willkommen. Er war uns ergeben, und wir fingen an, ihn gern zu haben. Er verordnete mir eine Kur, die mich nach Verlauf von sechs Wochen von meinem schleichenden Fieber befreite, mich aber nicht ganz herstellte, so daß er eine strenge Lebensordnung und genaueste Pflege für nötig hielt, um einem Rückfall vorzubeugen.
Er sagte mir eines Tages, er sähe wohl, daß meine Gesundheit noch lange nicht so sei, wie sie sollte, und seine Gegenwart nötig sei; er biete mir daher seine Dienste an, und nichts könne ihm erwünschter sein, als mir und dem Markgrafen sein Leben zu widmen. Sein Vorschlag freute mich; aber mir schien, daß er nicht leicht auszuführen war. Supperville war sozusagen der Günstling meines Bruders und seiner ganzen Clique, und ich dachte mir wohl, daß er es nicht gern sähe, wenn ich ihm einen Mann wegnähme, dem er zugetan war. Diesen Einwand hob ich sogleich. »Bisher habe ich es nicht gewagt.« sagte er, »mich offen auszusprechen; aber jetzt, wo ich die Ehre habe, Ew. Königliche Hoheit näher zu kennen, glaube ich ohne Umschweife reden zu dürfen. Als ich hierherkam, war mein Entschluß, aus dem Dienste des Königs zu treten, schon gefaßt. Ich wollte mich in Holland niederlassen; doch fühle ich mich von dem hiesigen Hofe so angezogen und bin von so großer Ergebenheit für Ew. Königliche Hoheit erfüllt, daß ich mich anders besonnen habe. Ich leugne nicht, daß der Kronprinz mir wohlwill, allein ich habe reichlich Zeit gefunden, Madame, ihn zu studieren. Er hat viel Geist, aber ein böses Herz und einen schlechten Charakter. Er ist mißtrauisch, verstockt, maßlos selbstsüchtig, undankbar, lasterhaft, und ich müßte mich sehr irren, wenn er eines Tages nicht noch geiziger würde, als sein Vater es heute ist. Es fehlt ihm jede Religion, und seine Moral hat er sich selbst zurechtgerichtet; er geht nur darauf aus, die Leute zu blenden. Trotz seiner Verstellungskunst haben aber schon viele seinen wirklichen Charakter erkannt. Gegenwärtig zeichnet er mich aus, um seine Kenntnisse zu bereichern, denn er ist außerordentlich wißbegierig. Wird er aber alles gelernt haben, was er von mir lernen kann, so wird er mich fallen lassen, wie er es schon mit so manchem getan hat; und ebendeshalb habe ich schon im voraus meine Vorkehrungen getroffen.«
Ich war schon lange mit meinem Bruder unzufrieden und wußte, daß mehrere andere Personen, die ihm ergeben waren, sich über ihn beklagten; aber ich hätte nie gedacht, daß sich sein Charakter in solchem Maße ändern könnte. Ich stritt mit Supperville lange über diesen Punkt. Der Markgraf, der während dieses Gespräches hinzukam, nahm die Partei des Arztes und sagte mir, daß er selbst das gleiche Urteil über meinen Bruder hege. Er nahm Suvpervilles Anträge mit Freuden an, und wir schrieben beide an den König, er möge ihn uns überlassen. Ich wandte mich mit demselben Anliegen an meinen Bruder, und Supperville reiste als Überbringer all dieser Briefe ab.
Man wird sich vielleicht wundern, daß ich mich so lange bei diesem Kapitel aufhielt, allein es ist in Anbetracht dieser Memoiren nötig, da Supperville in der Folge eine wichtige Rolle darin spielt. Der König erwiderte mir sehr verbindlich, Supperville stünde mir zur Verfügung, sooft ich ihn nur wünschte; er könne ihn mir jedoch nicht ganz abtreten, da er ihm zu nötig sei. Die Königin schrieb mir jedoch, daß sie den König umzustimmen hoffe, besonders, wenn ich ihm einige große Rekruten verschaffen könne.
Die Grumbkow heiratete am Ende dieses Jahres einen gewissen Herrn von Beist, einen rechtschaffenen Mann aus sehr guter Familie, der aber sehr wenig Vermögen besaß und als ganzen Reichtum vier Kinder aufzuweisen hatte, die ihm aus seiner ersten Ehe geblieben waren. Ich freute mich, die Grumbkow los zu sein. Statt ihrer nahm ich zwei Hofdamen, Fräulein Albertine von Marwitz und Fräulein von Kuten, die aus sehr großem und edlem Hause stammte.
Das Jahr 1739 wird interessanter sein als das, das ich eben beschrieb. Supperville kehrte im Frühjahr zurück. Eine neue Kur, die er mir verordnete, stellte mich vollends her oder entzog mich jedenfalls aller Gefahr. Ich muß aber jetzt auf etwas anderes zu sprechen kommen.
Ich erwähnte schon, daß der Markgraf einen gewissen Ellerot, einen sehr klugen und rechtschaffenen, dabei äußerst geschäftskundigen Mann, als Sekretär angenommen hatte. Dieser entdeckte überall und besonders in den finanziellen Angelegenheiten die größte Unordnung. Letztere hatte Herr von Dobeneck zu verwalten; aber man merkte bald, daß er trotz aller Prahlerei nichts davon verstand. Ellerot wurde also an seine Stelle gesetzt, und der Markgraf vertraute ihm zugleich seine Privatkasse an. Dieser Mann war einzig bemüht, neue Hilfsquellen aufzufinden, ohne der Unordnung zu steuern oder den Kredit herzustellen. Er machte mehrere Forderungen geltend, die uns noch zustanden; auf diese Weise konnten unsere Ausgaben bestritten werden. Man muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen, er leistete dem Markgrafen große Dienste, sowohl was die inneren wie die äußeren Angelegenheiten des Landes betraf. Dies alles zog ihm das Vertrauen des Fürsten in so hohem Maße zu, daß er ihn zu seinem geheimen Berichterstatter ernannte.
Das Ministerium begehrte wider diese Neuerung heftig auf; es wurden ihm dadurch die Flügel beschnitten, und es fühlte sich in seinem Ansehn geschädigt. Sie richteten daher ein Schreiben an den Markgrafen, das in sehr ungebührlichen und harten Ausdrücken gehalten war. Der Markgraf war darüber sehr aufgebracht und gab ihnen eine ziemlich derbe Antwort. Man hielt Ellerot für den Urheber derselben, was eine allgemeine Erbitterung zur Folge hatte; ja, es wurde sogar vielfach gemurrt, und es wurden Klagen laut, daß die Leute ihre Besoldung nicht erhielten, man bliebe ihnen zwei, drei Quartale schuldig.
Ich zog unter der Hand Erkundigungen hierüber ein und erfuhr, daß es wahr sei. Ich ließ ihn kommen und sprach mit ihm; ich sagte ihm sogar, daß ich vernommen hätte, mit den Finanzen sei es aufs schlimmste bestellt und die Kasse des Markgrafen sei arg verschuldet. Er behauptete das Gegenteil und versicherte mir, dies alles seien nur Verleumdungen, die seine Feinde gegen ihn ausstreuten, um ihn zu verderben. Ich wollte also dem Markgrafen nichts davon sagen, aber dieser hatte schon davon gehört.
Supperville, mit dem er die Sache besprach, empfahl ihm als Finanzdirektor einen Berliner namens Hartmann, dessen Verdienste und Rechtschaffenheit ich schon oft hatte rühmen hören. Herr von Montmartin, ein junger Mann, den der Markgraf hatte studieren lassen und der Regierungsrat war, hatte ihm schon diesen Hartmann vorgeschlagen. Der Markgraf zögerte also nicht, ihn an diesen Posten zu berufen. Ellerot schien gar nicht böse darüber zu sein, er wollte schon lange dieses Amtes ledig werden; in der Folge aber zeigte es sich, daß ihn seine Entlassung sehr gekränkt hatte.
Kaum war Hartmann angekommen, als man gegen Ellerot eiferte, groß und klein beklagte sich bei mir über ihn und bat mich, dem Markgrafen seine Unterschleife und Mißwirtschaft anzuzeigen. Ich kannte den Lauf der Welt zu wohl, um mich auf solche Dinge einzulassen. Jener Mann war vom Glück begünstigt, folglich hatte er Neider, und da ich ihn für unschuldig hielt, hütete ich mich wohl, den Argwohn des Markgrafen gegen ihn zu wecken und ihm zu schaden. Aber Hartmann bestätigte dies allgemeine Gerücht und versicherte dem Markgrafen, daß seine Finanzen in einer fürchterlichen Unordnung seien und daß man allen Angestellten für ein halbes Jahr das Gehalt schuldig sei. Ein Rentmeister überreichte dem Markgrafen ein Geheimschreiben, worin er behauptete, daß der Markgraf von Ellerot hintergangen worden sei, dieser verschachere die Ämter an den Meistbietenden und sauge das Blut des Volkes aus.
Der Markgraf teilte mir dies mit. Er war in einer schrecklichen Aufregung und wußte sich nicht zu raten. Nachdem wir lange hin und her geredet hatten, kamen wir zu dem Ergebnis, daß Ellerot nicht ganz schuldlos sein könne. Um aber nichts zu übereilen, ließ der Markgraf den Ankläger insgeheim rufen und befahl ihm, alle seine Anklagepunkte schriftlich niederzulegen. Dieser Mann versicherte ihm, daß er sie vollkommen vertreten und beweisen würde.
Ellerot hatte viele Freunde. Er erfuhr von der nächtlichen Beratung, die beim Markgrafen stattgefunden hatte, und da es ihm nicht an Spionen fehlte, erhielt er bald Kenntnis von dem Streich, der gegen ihn geführt werden sollte. Er sprach alsbald mit dem Markgrafen darüber, beteuerte seine Unschuld und beschwor ihn, die Sache aufs strengste untersuchen zu lassen. Was konnte man mehr verlangen? Der Markgraf willigte ein, und man ernannte vier Kommissare, um die Tatsachen zu erforschen. Ellerot wurde freigesprochen und zog sich schneeweiß aus der Sache heraus, während sein Gegner auf die Festung geschickt wurde. Wir werden im nächsten Jahr noch mehr von dieser Geschichte hören.
Meine Gesundheit besserte sich inzwischen nur wenig. Ich verfiel jetzt in eine Art Verzehrung. Supperville erklärte, daß ich eine Luftveränderung nötig hätte, denn das Bayreuther Klima wäre im Winter sehr drückend und ungesund. Er riet daher dem Markgrafen, ein Jahr in Montpellier zuzubringen; er meinte, diese Reise böte von zwei Seiten ihre Vorteile: einmal könne ich wiederhergestellt werden und dann könne er seine Angelegenheiten in Ordnung bringen. Der Staat habe für unsere Reisekosten aufzukommen. Der Markgraf war von diesem Plane sehr entzückt und teilte ihn mir sofort mit. Es läßt sich denken, daß ich damit einverstanden war; ich sah jedoch große Schwierigkeiten in Berlin voraus, da der König und die Königin sicherlich dagegen sein würden. Außerdem versprach ich mir nicht viel von Montpellier. Mein Schwiegervater, der verstorbene Markgraf, hatte mehrere Jahre dort zugebracht und mir eine wenig verlockende Schilderung davon entworfen. Ich machte dem Markgrafen und Supperville einen andern Vorschlag, den sie sehr bereitwillig aufnahmen, nämlich einige Monate in Montpellier zuzubringen, uns in Antibes einzuschiffen und Italien zu durchreisen. Da wir aber wohl einsahen, daß diese Reise noch viel mehr Schwierigkeiten begegnen würde als die erste, so beschlossen wir, sie geheimzuhalten.
Wir fanden es indessen angezeigt, daß der Markgraf sich nach Berlin begäbe, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die wir von dieser Seite zu befürchten hatten. Der Markgraf willigte mit Freuden ein. Er machte sich also vierzehn Tage später, ohne sich vorher anzusagen, auf den Weg, von acht langen Männern begleitet, die er seiner Garde entnahm, um sie dem König vorzuführen. Seine Reise und seine Ankunft wurden so geheimgehalten, daß kein Mensch etwas davon erfuhr. Der König hielt gerade eine Truppenschau. Seine Freude, als er den Markgrafen sah, war unbeschreiblich. Er stieg vom Pferde ab, umarmte ihn immer wieder und nannte ihn seinen lieben Sohn; es standen ihm die Tränen in den Augen, und er sagte ihm mehrmals: »Mein Gott, welche Freude haben Sie mir da gemacht! Ich sehe, daß Sie doch Zuneigung für mich haben.« Er führte ihn dann zur Königin, die ihn auch sehr freundlich empfing. Aber tags darauf kam er noch viel mehr in Gunst, als er seine acht großen Männer dem König vorführte. Mein Bruder nahm ihn auch sehr gut auf, riet ihm jedoch sehr davon ab, den König um Gnaden zu bitten, dadurch würde er alles verderben. Ich bin überzeugt, daß ihm der König alles bewilligt hätte, und andere haben es mir auch mehrmals gesagt; allein der Markgraf wollte sich mit meinem Bruder nicht überwerfen, so daß er die freundliche Gesinnung des Königs nicht ausnützen wollte. Aber nicht nur, daß der König unsere Reise nach Montpellier gestattete, er bewilligte auch Suppervilles Abschied und überließ ihn uns ganz. Der König schenkte dem Markgrafen eine goldene Dose, mit Brillanten besetzt, die sein Bildnis trug und viertausend Taler wert war; ich erhielt auch mehrere Geschenke von ihm und der Königin. Der Markgraf kam nach sechs Wochen endlich nach Bayreuth zurück und zeigte sich sehr zufrieden über die herzliche Aufnahme, die er in Berlin gefunden hatte.
Nachdem von dieser Seite alle Hindernisse behoben waren, fingen wir an zu Hause auf Schwierigkeiten zu stoßen. Es gab ein allgemeines Murren, und man wollte uns nicht ziehen lassen. Meine Hofmeisterin, deren Alter sie abhielt, an unserer Reise teilzunehmen, erhob ein großes Geschrei. Endlich nach vier Wochen überwanden wir alle diese Hindernisse, und unsere Abreise wurde für den 20. August festgesetzt.
Meine arme Mermann war schon recht hinfällig geworden. So schwer es mir fiel, mich auf so lange Zeit von meinen beiden getreuen Leidensgefährtinnen zu trennen, so wollte ich ihrer Gegenwart lieber entsagen, als ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Der Gatte der Mermann war mein Faktotum. Es war ein unruhiger, ungestümer und heftiger Mensch, der als mein Günstling gelten wollte und wütend war, es nicht zu sein. Er hielt seine arme Frau unter der Fuchtel, daß sie nicht vor ihm zu mucksen wagte und sich heillos vor ihm fürchtete. Dieser Mann war sehr erbittert, daß ich ihn nicht mitnehmen wollte, und er beschloß, sich zu rächen. Er bat mich, ihn während meiner Abwesenheit nach Berlin zu beurlauben. Ich gewährte es ihm. Endlich nahm ich, nicht ohne viele Tränen zu vergießen, von meiner Hofmeisterin und der Mermann Abschied und setzte mich mit dem Markgrafen in den Wagen. Flora von Sonsfeld und die Marwitz waren die einzigen Damen, die uns auf dieser Reise begleiteten. Supperville war zwei Tage zuvor von einem Fieber befallen worden und wartete in Erlangen auf uns.
Kaum waren wir eine Meile gefahren, als dem Markgrafen übel wurde. Er spürte heftige Kopfschmerzen und mußte sich erbrechen. Wir dachten, es hätte nicht viel auf sich und es sei nur eine Migräne; aber wir machten unsere Rechnung ohne den Wirt. Er bekam hohes Fieber, so daß wir einige Stunden in Trubach blieben, einem ganz erbärmlichen Nest. Ich schlug ihm vor, nach Bayreuth zurückzukehren; aber er ließ sich nicht dazu bewegen, sondern stieg wieder in den Wagen, um in Streitberg zu übernachten. Das Fieber wich jedoch die ganze Nacht nicht von ihm. Da er sich aber durchaus nach Erlangen transportieren lassen wollte, brachten wir ihn mit großer Mühe dorthin.
Wir hörten bei unserer Ankunft, daß Supperville schwerkrank sei. Er hatte dieselben Krankheitssymptome wie der Markgraf. Dessen Zustand versetzte mich in unbeschreibliche Bangigkeit und Sorge. Das Fieber blieb immer gleichhoch, und ich fürchtete mit Recht, daß es in ein hitziges ausarten werde. So kränklich ich selbst war, verließ ich ihn weder bei Tag noch bei Nacht und litt tausendmal mehr als er. Sein Zustand wurde nicht besser; schon seit fünfmal vierundzwanzig Stunden litt er an demselben Fieber, ohne daß die Mittel, die man ihm reichte, ihm die geringste Linderung verschafften. In meiner Aufregung ging ich endlich zu Supperville, der im Schlosse untergebracht war. Ich sagte ihm, daß der Markgraf so schlimm daran sei, daß man keine Zeit verlieren dürfe, ihn zur Ader zu lassen. Supperville erwiderte, daß er denselben Gedanken gefaßt habe und ihn ausführen wolle, sobald das Fieber geringer geworden sei. Ich kehrte also zum Markgrafen zurück, woselbst ich unfern zweiten Arzt namens Wagner antraf. Ich teilte ihm mit, daß ich eben von einer Konsultation mit Supperville komme und welche Entscheidung er getroffen habe. Er antwortete darauf, daß er bei dem Zustand des Markgrafen niemals einen Aderlaß billigen würde, nichts könne gefährlicher sein, und es sei das letzte Mittel, zu dem man greifen müsse, falls sein Übel sich ganz verschlimmern sollte. Ich sagte ihm, daß ich ihm hierüber keine Vorschriften geben könne, er müsse sich mit Supperville über den Fall einigen. Er kam einen Augenblick später wieder mit der Meldung, Supperville sei ganz seiner Meinung, und man dürfe nichts überstürzen.
Ich blieb bis um drei Uhr morgens beim Markgrafen. Endlich warf ich mich ganz erschöpft auf mein Bett, das in einem kleinen Kabinett stand, von wo aus ich alles sehen und hören konnte, was vorging. Meine Müdigkeit war so groß, daß ich einschlief. Mein Schlaf hatte vier Stunden gedauert, als ich geweckt wurde, die Augen öffnend, sah ich Wagner, der vor meinem Bette stand. Der Medusenkopf hätte mir keinen wilderen Schrecken einjagen können, denn ich dachte, der Markgraf läge im Sterben. »Beruhigen Sie sich,« sagte er, »der Zustand des Markgrafen ist unverändert; aber wir haben endlich beschlossen, ihn zur Ader zu lassen, und ich war der Meinung, daß Sie geweckt werden sollten, um zugegen zu sein.«
An allen Gliedern bebend, erhob ich mich; einem armen Sünder, der zum Richtplatz geführt wird, könnte nicht ärger zumute sein als mir in jenem Augenblick, ich zitterte an allen Gliedern, und die Knie versagten mir. Ich hielt den Zustand des Markgrafen für verzweifelt, da man zu dem letzten Mittel griff, das ihn noch retten konnte. Ich schleppte mich in sein Zimmer, wo neue Schrecken meiner warteten. Der ganze Rat hatte sich eingefunden. In den Straßen lief die Menge zusammen, stieß wider Supperville und den Aderlaß Verwünschungen aus und wollte den Wundarzt nicht hereinlassen. Supperville war ebenso krank wie der Markgraf, aber er behielt seine Geistesgegenwart; und um der Verwirrung und dem Aufruhr Einhalt zu tun, ließ er sich zuerst die Ader öffnen, was die Gemüter etwas beruhigte. Ich lag indessen in einem Lehnstuhl, in einer Verfassung, die sich nicht beschreiben läßt. Mein Kopf war leer, und ich starrte immer auf dieselbe Stelle hin. Endlich schritt man zu dem ominösen Aderlaß. Aber wie groß war meine Freude, als ich sah, daß der Markgraf ein ganz anderes Aussehen annahm, während sein Blut sich ergoß. Tatsächlich blieb der neue Fieberanfall aus, den man erwartete, und schon am Abend war er außer Gefahr. Als aber sein Zustand sich zu bessern anfing, bemerkte ich, daß er mir mit großer Kälte begegnete. Ich konnte es ihm in nichts recht machen. Dagegen zeigte er sich der Marwitz gegenüber äußerst zuvorkommend und fragte alle Augenblicke nach ihr, wenn sie nicht im Zimmer war. Er folgte ihr blindlings in allem, was sie ihm betreffs seines Zustandes anriet, und zeigte sich ungehalten, sofern ich ihm dasselbe sagte. Dies setzte mich in Verzweiflung. Mein Körper litt sehr bald unter diesen Gemütsbewegungen; ich wurde von Zuständen befallen, unter denen ich bisher nie gelitten hatte; es waren Konvulsionen, die von heftigen Kopfschmerzen begleitet waren. Meine Hofmeisterin eilte zu mir. Sie tat, was sie konnte, um mir Linderung zu verschaffen; allein niemand ahnte die Ursache meines Leidens.
Ich sagte schon, daß mein Schlafkabinett an das Zimmer des Markgrafen stieß. Jeden Morgen bei seinem Erwachen hörte ich ihn nach den Damen rufen. Wenn ich mich wohl genug fühlte, um zu ihm zu gehen, sah er mich kaum an und ließ gleich die Marwitz rufen. Eine furchtbare Eifersucht erfüllte mein Herz. Mein Kummer war ersichtlich genug, aber ich hütete mich, den Grund desselben einzugestehen. Ich kannte die Marwitz: sie war mir anhänglich, und sie war tugendhaft. Ich war überzeugt, daß sie den Hof verlassen würde, falls sie den Grund meiner Melancholie erriete. Aber ich konnte es dem Markgrafen nicht verzeihen, daß er sich mir gegenüber so verändert hatte. Ich war ein ganzes Jahr hindurch blind gewesen und hatte auf tausend kleine Dinge, die mir jetzt auffielen, nicht geachtet.
Der Markgraf war noch immer entschlossen, die Reise nach Italien anzutreten. Mir war die Lust vollkommen vergangen. Ich sah voraus, daß die Leichtigkeit, mit der er da die Marwitz öfters sehen könnte, seine Liebe nur anfeuern würde. Und außerdem war mir das Herz zu schwer, als daß mich etwas anderes hätte erfreuen können als die Änderung meiner Lage.
Es kam noch ein neuer Kummer hinzu. Ich erwähnte schon die Unzufriedenheit des Mermann. Sobald er in Berlin angekommen war, überbrachte er dem König des Markgrafen und meine Briefe. Der König erkundigte sich eingehend nach meinem Befinden. Mermann nahm die Gelegenheit wahr, um mich schrecklich anzuschwärzen, und versicherte dem König, ich sei niemals krank gewesen. Er ließ sich des längeren über die Ausgaben aus, zu denen ich den Markgrafen verleitet und durch die ich das Land ruiniert hätte. Kurz, er verstand es, den König so gegen mich aufzubringen, daß er teufelswild auf mich wurde. Mermann wagte indes seiner Frau die Verleumdungen, die er über mich ausgestreut hatte, nicht einzugestehen. Er kannte ihre Ehrlichkeit nur zu wohl und wußte, wie sehr sie sein arges Verhalten mißbilligen würde.
Diese begab sich tags darauf zur Königin und wurde von ihr eingehend über alle Punkte befragt, in denen Mermann mich angeschwärzt hatte. Seine Frau strafte ihn Lügen und wollte eidlich bezeugen, daß diese Aussagen über mich verleumderisch seien. Trotzdem schrieb mir die Königin einen sehr starken Brief, worin sie mir zu wissen gab, daß der König es mir nie verzeihen würde, falls ich auf meiner Reise nach Montpellier bestünde.
Zugleich erhielt ich einen Brief meines Bruders, der mir alle Einzelheiten mitteilte, die ich eben berichtet habe, sowie den Zorn, den der König gegen mich hegte. »Trotzdem rate ich Ihnen, Ihre Reise zu machen,« schrieb er weiter, »hat man einmal einen Entschluß gefaßt, so soll man ihn auch ausführen. Im Grunde hat Ihnen ja der König nichts weiter zu befehlen, und es wäre eine Schwäche von Ihnen, wenn Sie sich einschüchtern und zum Opfer der falschen Aussagen eines Subjektes wie Mermann machen ließen. Ich rate Ihnen, jagen Sie diesen Elenden davon, und zeigen Sie bei dieser Gelegenheit Ihre Charakterstärke. Seine Frau ist Ihnen treu ergeben, ich leugne es nicht, und sie verdient es nicht, so hart behandelt zu werden; aber Sie müssen sich darüber hinwegsetzen, um diesen Schuft loszuwerden.«
Diese beiden Briefe bekümmerten mich sehr. Ich war der Mermann von Herzen anhänglich und sah voraus, daß der Markgraf die Meinung meines Bruders teilen würde. Die Hofmeisterin, die seit einigen Tagen in Erlangen weilte, zog mich aus der Verlegenheit. Sie trat energisch für die arme Mermann beim Markgrafen ein und setzte die Begnadigung ihres Mannes durch. Alle diese Verdrießlichkeiten kamen Schlag auf Schlag und setzten meiner Gesundheit sehr zu. Fräulein von Sonsfeld fand mich mehrmals in Tränen. Sie drang so lange in mich, daß ich ihr endlich eingestand, mein Kummer rühre von dem veränderten Benehmen des Markgrafen her. Die Marwitz hatte wohl bemerkt, daß ich nicht wie sonst war; doch glaubte sie, daß meine Krankheit schuld daran sei. Die Hofmeisterin konnte nicht umhin, ihr zu sagen, wie niedergeschlagen ich sei. Die Marwitz erriet, glaube ich, die wahre Ursache. Es machte einen solchen Eindruck auf sie, daß sie krank davon wurde. Fräulein von Sonsfeld merkte indessen, daß meine Klagen nicht ganz grundlos waren und daß der Markgraf mir sehr kühl begegnete. Sie sprach sehr eindringlich mit ihm, und er nahm sich ihre Worte zu Herzen, entschuldigte sich bei mir und schob alles auf sein Fieber. In der Tat war er wieder so zärtlich gegen mich wie zuvor. Ich meinerseits zeigte mich so liebevoll gegen die Marwitz, daß ich ihr den Verdacht, den sie geschöpft hatte, wieder benahm.
Als der Markgraf völlig hergestellt war, kehrten wir nach Bayreuth zurück; denn die Jahreszeit war jetzt schon zu weit vorgeschritten, um unsere Reise nach Italien wieder aufzunehmen (wir waren im November). Zu Hause wurden wir mit größtem Jubel empfangen.
Mermann und seine Frau kamen bald darauf von Berlin zurück. Meine gute Amme empfing ich aufs beste, ihren Mann aber sehr ungnädig, und er war nicht wenig überrascht, mich über sein Verhalten so wohlunterrichtet zu sehen. Ich verzieh ihm seiner Frau zuliebe, und er ist mir seit der Zeit sehr anhänglich geblieben und gab mir nur Anlaß zur Zufriedenheit.
Ich hatte, sowohl was die Reise nach Italien als was die Mermann betraf, ganz den Ratschlägen meines Bruders zuwidergehandelt. Er nahm es sehr übel und schrieb mir deshalb einen sehr gereizten Brief. Ich führte alle Gründe an, um ihn wieder zu besänftigen: die noch schwankende Gesundheit des Markgrafen sei schuld, daß wir unsere Reise aufgegeben hätten, und ich hätte das Herz zu sehr am rechten Fleck, um eine Person, der ich zugeneigt und die mir treu ergeben war, unglücklich zu machen, zumal ich ihr verpflichtet sei. Trotzdem wollte sich mein Bruder nicht zufriedengeben und schlug einen sehr kühlen Ton in seinen Briefen an.
Mittlerweile meldete man mir aus Berlin, der König sei wieder sehr unpaß und die Ärzte fürchteten, sein Übel sei der Anfang einer Wassersucht. Und wirklich wurde sein Leiden im Jahre 1740 immer schlimmer.
Wir waren in der Zeit des Karnevals. Es wurden kostümierte Bälle im Schloß abgehalten, zu denen nur der Adel Zutritt hatte. Ich sage kostümiert, weil man ohne Maske ging. Die Geistlichkeit hatte unter der Regierung des verstorbenen Markgrafen einen großen Einfluß ausgeübt; es gab sogar eine Sekte – unter dem Namen Pietisten bekannt –, deren Oberhaupt der Kaplan des Markgrafen war. Dieser Mann, der unter dem Schein der Frömmigkeit einen maßlosen Ehrgeiz und viel Intrigensucht verbarg, machte bei der Gemeinde Stimmung wider uns. Er war beim dänischen Hof sehr gut angeschrieben, und wir mußten aus politischen Gründen freundlich mit ihm umgehen. So durften wir nur allmählich eine vergnügte Ära einführen, um allen schädlichen Schwätzereien vorzubeugen.
Ich fühlte mich wieder vollkommen beruhigt. Der Markgraf und ich vertrugen uns wieder aufs beste, und mit der Marwitz genoß ich alle Freuden einer innigen Freundschaft.
Der König wurde immer kränker. Die Königin schrieb mir, daß ihm die Ärzte nur noch vier Wochen schenkten. Meine Schwester in Braunschweig war nach Berlin gefahren, um sich persönlich zu erkundigen. Ich hielt es für meine Pflicht, dasselbe zu tun. Ich sprach mit dem Markgrafen. Er schien dagegen zu sein, erlaubte mir aber, meine Hofmeisterin zu Rate zu ziehen. Sie wollte mich aus übermäßiger Fürsorge von dieser Reise abhalten; denn sie fürchtete, der Tod des Königs, den man für so nahe bevorstehend hielt, würde mich allzusehr angreifen. Da ich aber dabei beharrte, riet sie mir, meinem Bruder zu schreiben. Ich war nicht ihrer Meinung. Da der Markgraf mir aber nur unter dieser Bedingung die Reise nach Berlin gestatten wollte, mußte ich dem allgemeinen Wunsch entsprechen. Ich schickte also eine Stafette an meinen Bruder, um ihm meine Absicht zu unterbreiten. Ich schrieb ihm folgendes: »Bisher hoffte ich immer, daß der König sich wieder erholen würde, aber der letzte Brief, den ich von meiner Mutter erhielt, meldet leider, daß er nicht länger leben kann. Ich habe daher beschlossen, falls Sie damit einverstanden sind, unangemeldet nach Berlin zu kommen, um meinen sterbenden Vater noch einmal zu besuchen und mich vollends mit ihm auszusöhnen. Ich wäre, offen gestanden, trostlos, wenn ich ihn vor seinem Tode nicht mehr sähe und er mir vorwerfen könnte, daß ich ihn vernachlässigt habe. Doch werde ich nichts ohne Ihre Einwilligung tun. Ich bitte Sie daher dringend, mir schnellstens durch eine Stafette Antwort zukommen zu lassen und mir Ihre Meinung kundzugeben« usw.
Er antwortete wie folgt:
»Ich war über Ihre Stafette sehr erstaunt. Was zum Kuckuck wollen Sie auf dieser Galeere? Man wird Sie wie einen Hund empfangen und wird Ihnen für Ihre schönen Sentiments keinen Dank wissen. Freuen Sie sich Ihrer Ruhe und Ihres angenehmen Daseins in Bayreuth, und kommen Sie nicht in diese Hölle, wo nur gejammert wird und wo alle unglücklich sind und gepeinigt werden. Die Königin ist wie ich mit Ihrem schönen Plan keineswegs einverstanden. Übrigens steht es ganz bei Ihnen, ob Sie ihn ausführen wollen. Adieu, meine Liebe, ich werde Ihnen mit jeder Post Nachricht über den König geben; er kann nicht mehr gesunden, doch glauben die Ärzte, daß es sich noch hinziehen kann. Ich bin' usw.
Dieser Brief machte meine Plane zunichte, da ich nicht mehr auf die Einwilligung des Markgrafen hoffen durfte. Der Zustand des Königs wurde indes immer schlimmer. Er erreichte endlich das Ende seiner Regierung und seines Lebens am 31. Mai. Es geziemt sich, daß ich hier einiges über diesen merkwürdigen und heldenhaften Tod berichte. Er war die Nacht hindurch sehr krank gewesen. Um sieben Uhr morgens ließ er sich in seinem Rollstuhl in die Gemächer der Königin fahren. Sie schlief noch, da sie ihn nicht für so krank gehalten hatte. »Stehen Sie auf,« sagte er, »ich habe nur noch einige Stunden zu leben, und so wird mir der Trost zuteil werden, in Ihren Armen zu verscheiden.« Er ließ sich dann zu meinen Brüdern fahren und nahm zärtlichen Abschied von ihnen, außer vom Kronprinzen, den er zu sich in sein Gemach beschied. Kaum war er mit ihm dorthin zurückgekehrt, als er die beiden Minister, den Fürsten von Anhalt und alle Generale und Obersten von Potsdam versammeln ließ. Er hielt ihnen eine kurze Ansprache, um ihnen für ihre geleisteten Dienste zu danken, und legte, ihnen ans Herz, dem Kronprinzen als seinem Erben dieselbe Treue zu bewahren; dann leistete er feierlichen Verzicht und überließ alle Autorität seinem Sohne, dem er in sehr schönen Worten die Pflichten eines Herrschers zu Gemüte führte und ihm die Armee und besonders die anwesenden Generale und Offiziere anempfahl. Dann wandte er sich an den Fürsten von Anhalt. »Sie sind der älteste meiner Generale,« sagte er zu ihm, »Ihnen kommt daher das beste unter meinen Pferden zu.« Zugleich ließ er es ihm vorführen, und da er die Rührung des Fürsten wahrnahm, fuhr er fort: »Es ist das Schicksal eines jeden. Jeder Mensch muß der Natur den Tribut zollen.« Um aber von den Tränen und Wehklagen der Anwesenden nicht aus der Fassung gebracht zu werden, gebot er ihnen wegzugehen und befahl, daß seine Dienerschaft eine neue Livree, die er hatte machen lassen, anlegen solle und daß sein Regiment eine neue Uniform trage. Inzwischen war die Königin wieder eingetreten. Eine Viertelstunde später wurde der König bewußtlos. Man legte ihn aufs Bett, und er kam endlich wieder zu sich. Umherblickend gewahrte er seine Dienerschaft in ihrer neuen Livree. »Eitelkeit und nichts wie Eitelkeit,« sagte er, »alles ist Eitelkeit.« Er fragte sodann seinen Arzt, wie lange er noch zu leben hätte. Der Arzt erwiderte ihm, daß ihm noch eine halbe Stunde bliebe, und der König verlangte einen Spiegel und besah sich lächelnd; dann sagte er: »Ich sehe sehr verändert aus, ich werde im Sterben ein böses Gesicht schneiden.« Dann richtete er dieselbe Frage nochmals an die Ärzte, und auf ihre Antwort hin, eine Viertelstunde sei schon verstrichen, antwortete er: »Um so besser; so kehre ich um so eher in mein Nichts zurück.« Man wollte zwei Geistliche einlassen, um die Gebete zu verrichten; allein er sagte, er wisse alles, was sie ihm zu sagen hätten, und sie könnten wieder gehen. Seine Schwäche nahm immer mehr zu, er verschied endlich um die Mittagsstunde. Der neue König führte alsbald die Königin in ihr Gemach zurück, wo viele Tränen vergossen wurden. Ich weiß nicht, ob sie echt oder erheuchelt waren.
Ein Kurier, den der König, mein Bruder, zu mir geschickt hatte, brachte mir die traurige Kunde. Ich mußte darauf gefaßt sein; dennoch blieb ich aufs tiefste davon betroffen. Ich bin unfähig, mich zu verstellen, und obwohl mir andere Verluste seitdem weit mehr zu Herzen gingen, so war ich doch über diesen sehr betrübt und ergriffen.
Mit dem König hielt ich es wie bisher. Ich schrieb ihm mit jeder Post, und stets im herzlichsten Ton. Sechs Wochen vergingen, ohne daß ich eine Antwort empfing. Der erste Brief, der mir nach Verlauf dieser Zeit zukam, war nur vom König unterzeichnet und sehr frostig. Er machte fürs erste eine Reise nach Preußen und Pommern. Mir gegenüber verharrte er in seinem Schweigen; ich wußte nicht, was ich davon halten sollte, und ich liebte ihn zu sehr, um über eine so auffallende Gleichgültigkeit nicht besorgt zu sein. Endlich nach drei Monaten wurde mir heimlich mitgeteilt, daß der König Berlin inkognito verlassen habe und auf dem Wege nach der Eremitage sei, wo er mich überraschen wolle. Über diese Nachricht wäre ich vor Freude schier gestorben; zwei Tage lang war ich vor Aufregung krank. Endlich kam er in Begleitung meines zweiten Bruders, den ich von nun an kurzweg meinen Bruder nennen werde, um ihn von den anderen zu unterscheiden. Mein ganzes Herz tat sich bei dieser Begegnung auf. Ich hatte dem König so viel zu sagen, daß ich ihm gar nichts sagte. Ich merkte sofort, daß seine Liebkosungen gezwungen waren, was mich etwas befremdete. Allein ich dachte nicht lange darüber nach. Ich fand meinen Bruder so gewachsen und verändert, daß ich ihn kaum wiedererkannte. Da ich später auf ihn zurückkommen werde, will ich jetzt meine Erzählung nicht unterbrechen. Der König sprach den ganzen Tag lang nur über gleichgültige Dinge mit mir. Er trug eine verlegene Miene zur Schau, was mich ganz verwirrt machte. Algarotti, ein Italiener von Geburt und einer der begabtesten Köpfe des Jahrhunderts, war in seinem Gefolge und lieferte unsern Gesprächsstoff. Was mich am meisten befremdete, war die außerordentliche Eile des Königs, meine Schwester in Ansbach zu besuchen. Er hatte sie nie geliebt und sie ihn auch nicht. Aber zwanzig Stafetten wurden ausgeschickt, um sie mit zärtlichen Worten nach der Eremitage zu bitten. Sie kam endlich am übernächsten Tage mit ihrem Gatten, dem Markgrafen. Nun vergaß der König jede Rücksicht und zeichnete sie öffentlich mehr aus als mich. Er schenkte mir einen kleinen Brillantenschmuck, der zweihundert Taler wert war, und einen Fächer, der eine Uhr enthielt. Mein Gatte, der Markgraf, erhielt eine goldene Dose mit dem Porträt des Königs in Brillanten gefaßt. Meine Schwester bekam ein Geschenk von ungefähr demselben Wert wie das meine, und der Markgraf von Ansbach eine Dose aus weißem, querdurchbrochenem Kieselstein, die er sogleich an einen seiner Pagen weiterverschenkte.
Herr von Münchow, von dem ich schon gesprochen habe, war Adjutant des Königs geworden und folgte ihm überallhin. Dieser junge naseweise Mensch stand bei ihm sehr in Gnaden und genoß mehr Auszeichnungen als die, die dem König, als er noch Kronprinz war, anhingen und Dienste geleistet hatten. Er war seinerzeit in die Marwitz sehr verliebt gewesen und hoffte, sie vom König und dem General Marwitz zur Ehe zu erhalten, falls ich meine Einwilligung dazu gab.