Wilhelmine von Bayreuth
Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth
Wilhelmine von Bayreuth

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Lord Chesterfield, der englische Botschafter in Holland, hatte einen Kurier seines Hofes geschickt, der am Morgen angekommen war. Der englische Gesandte, an den er gesandt war, mußte die Depeschen an das Ministerium adressieren. Grumbkow übernahm es, sie dem König zu übergeben; allein er wartete bis nach der Feier meiner Verlobung. Es war die ausdrückliche Deklaration meiner Heirat, ohne zugleich die meines Bruders auszubedingen. Der König, der mich ja im Grunde seines Herzens nur gegen seinen Willen verheiratete, war niedergeschmettert, als er diese Nachricht las. Er verbarg jedoch seinen Verdruß vor Grumbkow und Seckendorf, da er einsah, daß die Dinge jetzt zu weit gediehen waren, um sie rückgängig zu machen, und da dieser letzte Antrag zu spät eintraf und er sein Wort nicht zurücknehmen konnte, ohne einen souveränen Fürsten des Reiches zu beleidigen, was meinen andern Schwestern hätte schaden können; zudem hielt der König auf Treu und Glauben und zeigte sich niemals wortbrüchig.

Die Königin erfuhr diesen Vorgang tags darauf. Obwohl man ihr die Weigerung des Königs mitteilte, fing sie wieder zu hoffen an, daß meine Verlobung gelöst werden könne, und verbot mir auf das allerstrengste, mit dem Prinzen zu reden, noch ihm irgendwelche Höflichkeiten zu erzeigen. Ich folgte ihr aufs Wort, in der Hoffnung, sie durch meine Fügsamkeit zu versöhnen. Aber innerlich sehnte ich den Augenblick herbei, wo ich verheiratet sein würde. Die Feindseligkeit, die mir die Königin bei jeder Gelegenheit bezeigte, und die Art, wie sie mich behandelte, brachten mich zur Verzweiflung. Frau von Kamecke ausgenommen, ging ihr ganzes Gefolge so übel mit mir um, daß meine Geduld durch alle Mißachtungen und Geringschätzigkeiten, die mir widerfuhren, hart auf die Probe gestellt wurde. Dies ist der Lauf der Welt. Die Gunst der Großen ist durchaus entscheidend; man wird von allen Menschen geliebt und umworben, solange man sie besitzt, und geht man ihrer verlustig, so erntet man Verachtung und Hohn. Ich war der Abgott aller, solange ein glänzendes Los meiner wartete; man machte mir den Hof, um eines Tages meiner Wohltaten teilhaftig zu werden; man drehte mir den Rücken, sobald diese Hoffnungen vernichtet waren. Ich war töricht genug, mich über den Verlust derartiger Freunde aufzuregen. Man pries mir stets die Pracht des Hofes zu Bayreuth und versicherte mir, daß er an Reichtum den zu Berlin weit überträfe, und nirgends ginge es so vergnügt her; aber die, die mir das sagten, kannten ihn von der Zeit des letztverstorbenen Markgrafen her und wußten nichts von den Änderungen, die sich seitdem dort zugetragen hatten. Diese schönen Schilderungen machten mich äußerst begierig, ihm bald anzugehören. Für den Prinzen fühlte ich keinerlei Abneigung, doch war er mir gleichgültig. Ich kannte ihn ja nur vom Sehen und war nicht leichtherzig genug, um mich ohne nähere Bekanntschaft für ihn zu entflammen. Hier ist es angezeigt, daß ich dem Leser einiges über jenen Hof berichte.

Der Markgraf Heinrich, Großvater meines Gatten, war ein apanagierter Prinz des Hauses von Bayreuth. Er hatte früh geheiratet und viele Kinder gehabt. Seine sehr kleine jährliche Apanage genügte für den Unterhalt einer so zahlreichen Familie nicht, und so sah er sich in großer Bedrängnis, da er manchmal eben nur genug hatte, um leben zu können, und aus Mangel an Geld genötigt war, eine kleinbürgerliche Existenz zu führen. Er war der Erbe des Landes Bayreuth für den Fall, daß der Markgraf Georg Wilhelm, damals regierender Herr, ohne männliche Erben bleiben sollte. Doch schienen in dieser Richtung alle Hoffnungen eitel, denn dieser Fürst war sehr jung und hatte einen Sohn. König Friedrich I., mein Großvater, der die traurigen Verhältnisse des Prinzen kannte, wollte sich dies zunutze machen. Er forderte ihn auf, ihm seine Anrechte an den Thron gegen eine ansehnliche Pension und ein Regiment, das seinem zweiten Sohne verliehen werden sollte, abzutreten. Nach langem Hin- und Herreden kam der Vertrag zustande, und die beiden älteren Söhne des unglücklichen Prinzen Heinrich begaben sich nach Utrecht, um zu studieren. Bei ihrer Rückkehr von der Universität fanden sie ihren Vater im Sterben und die ganze Familie in Verzweiflung, da die Bedingungen des Vertrages nicht erfüllt und die Pension um zwei Drittel verkürzt worden war. Da Prinz Heinrich indessen verschied, entschloß sich der Markgraf Georg Friedrich Karl nach langen vergeblichen Gesuchen beim Ministerium, sich endlich in Weverling, einer kleinen Stadt auf preußischem Gebiete, niederzulassen. Dort gebar seine Gattin, Prinzessin von Holstein, meinen späteren Gemahl und mehrere andere Kinder, von denen ich noch reden werde. König Friedrich I. starb kurze Zeit darauf. Durch den Regierungsantritt meines Vaters erfuhr das Los der Prinzen keine Änderung. In ihrer Bedrängnis suchten sie nochmals ihren Verzicht hervor, der sich nach Aussagen sämtlicher Rechtsgelehrten als ungültig erwies. Sie machten sich also im stillen von Weverling fort und besuchten alle Höfe Deutschlands, um sie für ihre Sache zu gewinnen. Der Kaiser, das Reich und ihr gutes Recht halfen ihnen, den Bruch jenes Vertrages herbeizuführen und sie in alle ihre Rechte wieder einzusetzen. Markgraf Georg Wilhelm und sein Sohn waren gestorben, und die Herrschaft fiel dem Prinzen Georg Friedrich Karl zu. Er fand die Finanzen in großer Unordnung, viel Schulden, wenig Geld und ein korrumpiertes Ministerium. Dies veranlaßte ihn, seinen ältesten Sohn nach Genf zu schicken, in Begleitung eines bürgerlichen, allerdings sehr biederen Mannes, der aber gänzlich ungeeignet war, den Erzieher eines Erbprinzen abzugeben. Sein Unterhalt wurde so sparsam bemessen, daß er kaum damit auskommen konnte. Als er seine Studien beendet hatte, schickte man ihn auf Reisen und teilte ihm Herrn von Voigt als Hofmeister zu. Der Prinz befand sich auf der Rückkehr von seinen Reisen, als er nach Berlin kam. Ich will niemand schmeicheln, sondern mich genau an die Wahrheit halten. Das Bild, das ich von dem Prinzen entwerfen will, wird aufrichtig und ohne Vorurteil sein.

Friedrich III. von Brandenburg-Bayreuth, Gatte von Wilhelmine.

Ich sagte schon, daß er außerordentlich lebhaft ist; sein heißblütiges Temperament läßt ihn zum Zorn neigen, doch weiß er ihn so gut zu beherrschen, daß man es nicht merkt und daß niemand ihm jemals zum Opfer fiel. Er ist sehr heiter; seine Unterhaltung ist angenehm, obwohl er einige Mühe beim Sprechen hat, da er stark mit der Zunge anstößt. Er faßt leicht auf, und sein Verstand ist durchdringend. Seine Herzensgüte zieht ihm die Anhänglichkeit aller zu, die ihn kennen. Er ist freigebig, mildtätig, gütig, höflich, zuvorkommend, nie übler Laune, mit einem Worte, er besitzt alle Tugenden und ist frei von jedem Laster. Der einzige Fehler, den ich an ihm entdecken konnte, ist ein etwas zu großer Leichtsinn. Ich muß ihn aber erwähnen, da man mich sonst der Parteilichkeit zeihen könnte; doch hat er sich in diesem Punkte sehr gebessert. Übrigens wird sein ganzes Land, dessen Abgott er ist, ohne weiteres dies Urteil unterschreiben. Ich kehre jetzt zu meinen Angelegenheiten zurück.

Ich erwähnte schon, daß meine Schwester Charlotte dem Prinzen Karl von Bevern versprochen worden war. Sie war diejenige meiner Schwestern, die ich am meisten liebte. Sie hatte mich durch ihr einschmeichelndes Wesen, ihre Munterkeit und ihren Geist betört. Ich kannte ihr Inneres nicht, sonst hätte ich meine Freundschaft einem würdigeren Gegenstand zugewandt. Sie gehört zu jenen Charakteren, die sich um nichts als um sich selber kümmern; ohne Halt, maßlos spöttisch, falsch, eifersüchtig, etwas kokett und sehr eigennützig; aber stets freundlich, gefällig und sanft. Ich hatte mein möglichstes getan, um sie bei der Königin in besondere Gunst zu bringen. Sie war ihr nach Wusterhausen und Potsdam gefolgt und hatte sich sehr beliebt zu machen gewußt. Fräulein von Montbail, Tochter der Frau von Roucoulles, war ihre Hofmeisterin. Diese Person war mir abgeneigt, da es sie verdroß, daß ich eine bessere Partie als meine Schwester zu machen bestimmt war und mit mehr Auszeichnung behandelt wurde. Sie ließ nicht ab, meine Schwester gegen mich aufzuhetzen; sie freute sich sehr über meine Verlobung, in der Hoffnung, daß meine Schwester statt meiner nach England kommen würde. Diese besorgte, daß meine Gegenwart ihren Einfluß vermindern könnte, und spielte mir bei der Königin allerlei üble Streiche. Den Prinzen von Bayreuth hingegen fand sie sehr nach ihrem Geschmack; er war schöner, besser gewachsen und lebhafter als der von Bevern und zeigte sich sehr aufmerksam gegen sie, während der andere schüchtern und von einem Phlegma war, das ihr nicht behagte. Sie tat ihr möglichstes, um ihn mit der Königin auf guten Fuß zu setzen; allein es gelang ihr nicht.

Um den Fremden und besonders der Herzogin von Bevern eine Unterhaltung zu verschaffen, lud uns der König alle zu einer großen Jagd nach Charlottenburg. Der Fürst von Anhalt war mit seinen beiden Söhnen Leopold und Moritz dazu gebeten. Er hatte die Bevorzugung, die der König dem Prinzen von Bayreuth vor dem Markgrafen von Schwedt gegeben hatte, sehr übelgenommen; denn er hatte stets gehofft, ich würde den letzten heiraten. Der Erbprinz war sehr geschickt und ein so guter Schütze, daß er nie fehlschoß. Diese Jagd sollte für ihn fast zum Verhängnis werden. Ein unachtsamer Jäger, der seine Waffen lud, beging die Unvorsichtigkeit, ihm eine gespannte Büchse zu reichen; während der Prinz sie faßte, löste sich der Schuß, und die Kugel streifte die Schläfe des Königs. Der Fürst von Anhalt machte viel Wesens aus der Sache. Sein Sohn, Prinz Leopold, ließ die Gelegenheit nicht unbenutzt, sie noch breiter zu schlagen; er sagte laut genug, um von dem Erbprinzen gehört zu werden: ein solcher Streich verdiente, daß man den sofort töte, der ihn verübte. Der Prinz gab eine derbe Antwort, und der Vorfall hätte zu weiteren Folgen geführt; der Herzog von Bevern und Seckendorf legten sich jedoch ins Mittel, um sie zu versöhnen. Der König tadelte die Haltung des Prinzen Leopold, doch stellte er sich, als hätte er von der ganzen Sache nichts bemerkt.

Nach beendeter Jagd begaben wir uns alle nach Charlottenburg, woselbst wir mehrere Tage zubringen sollten. Die Königin fuhr fort, den Prinzen zu reizen. Sie wollte mir dadurch Verdruß bereiten und die Wahl des Königs ins Lächerliche ziehen. Eines Tages sagte sie ihm, daß ich sehr gern meinen Beschäftigungen nachgehe; ich sei wie eine Fürstin erzogen, die eine Krone tragen sollte, und sei in allen Wissenschaften bewandert. (Dabei übertrieb sie sehr.) »Kennen Sie die Geschichte,« fuhr sie fort, »die Geographie, die Musik? Können Sie Italienisch und Englisch, können Sie malen?« Der Prinz antwortete bald ja, bald nein, je nachdem. Aber da er merkte, daß ihre Fragen gar nicht aufhören wollten und daß sie ihn wie ein Kind ausfragte, fing er endlich an zu lachen und sagte: »Ich habe auch den Katechismus gelernt und kann mein Bekenntnis hersagen.« Die Königin war über diese letzte Antwort etwas betroffen und examinierte ihn von dem Tage ab nicht mehr.

Der König und alle fremden Prinzen, außer dem von Bayreuth, reisten bald nach unserer Rückkehr nach Berlin wieder ab. Der Zorn und Kummer sowie der peinvolle Zwang, den sich die Königin antun mußte, hatten endlich ihre Gesundheit angegriffen. Drei Wochen lang lag sie an einem heftigen Fieber darnieder. Ich verließ sie die ganze Zeit über nicht und suchte mir ihre Zuneigung durch Aufmerksamkeiten zurückzuerwerben, indem ich sie zerstreute und unterhielt. Allein ich fand in ihr nicht mehr jene zärtliche Mutter, die meine Leiden teilte und deren Trost ich gewesen war. Wenn ich um sie besorgt erschien, sagte sie: »Es steht Ihnen gut an, über meine Gesundheit sich aufzuregen, da Sie es doch sind, die mir den Tod gibt.« War ich traurig, so warf sie mir sehr heftig meine Launenhaftigkeit vor; zeigte ich mich fröhlich, so sollte meine bevorstehende Heirat die Ursache sein. Ich wagte, nur schmierige Kleider zu tragen, aus Furcht, sie könnte sonst glauben, daß ich dem Prinzen zu gefallen suche; kurz, ich war tiefunglücklich, und oft war mir der Kopf ganz wirr. Ich dinierte und soupierte in ihrem Vorzimmer mit dem Prinzen und den Hofdamen. Sie schickte eine Menge von Spionen hinter mir her, um zu wissen, ob ich mit ihm spräche; aber ich ließ mich nie ertappen, was dies anbelangt, denn ich redete kein Wort mit ihm und drehte ihm bei Tisch immer den Rücken. Er sagte mir später, er sei oft außer sich gewesen und im Begriffe abzureisen, hätte Herr von Voigt ihn nicht zurückgehalten. Dieser arme Prinz war in einer ebenso schlimmen Lage wie ich. Jedermann ließ es sich angelegen sein, seine Handlungen und Worte boshaft auszulegen; man erwies ihm nicht die geringsten Ehren und behandelte ihn wie einen Dahergelaufenen, was ihn so eingeschüchtert hatte, daß er stets zerstreut und melancholisch war. Die Königin hatte sich wieder erholt, und der König war nach Berlin zurückgekehrt. Er hielt sich nur einige Tage auf, da er nach Preußen mußte. Er sagte der Königin, daß er bei seiner Rückkehr, die in sechs Wochen stattfinden sollte, meine Hochzeit feiern wollte; er würde ihr das nötige Geld zu meiner Aussteuer zustellen lassen, und inzwischen sollte sie dem Prinzen mit Bällen und Festlichkeiten die Zeit vertreiben. Die Königin, die immer Zeit gewinnen wollte, erhob allerlei Schwierigkeiten und gab vor, in so kurzer Zeit sei es unmöglich, mich auszustatten, da die Kaufleute das Erforderliche nicht auf Lager hätten. Diese Gründe überzeugten zu meinem Schaden den König; denn er war sehr gut auf mich zu sprechen und hätte mir große Vorteile gewährt, die alle in Rauch aufgingen, als meine Heirat verschoben wurde.

Die Königin nahm nach der Abreise des Königs eine andere Haltung ein. Sie zeigte sich dem Prinzen gegenüber freundlich und schien damit zufrieden, ihn zum Schwiegersohn zu haben; aber mir gegenüber legte sie sich keinerlei Zwang auf und machte mir und Fräulein von Sonsfeld das Leben sauer, so daß meine Gesundheit unter so viel Kummer litt. Ich flößte endlich selbst solchen Teilnahme ein, die am wenigsten dafür empfänglich waren. Ich hätte wie Alzire in der Tragödie sagen können: haben meine Leiden Herzen gerührt, die nur dem Hasse lebten? Die Ramen, die mich oft ganz verzweifelt sah und zu der ich im Affekt öfter gesagt hatte, die Königin brächte mich außer Rand und Band, ich würde mich dem König bei seiner Rückkehr zu Füßen stürzen und ihn flehentlich bitten, mich nicht zu verheiraten–, teilte dies Grumbkow mit und erweckte in ihm die Befürchtung, ich könnte mich in der Tat hierzu hinreißen lassen. Er wußte ganz gut, daß die Königin in England weiter intrigierte; und da er neue Anträge von seiten dieses Hofes argwöhnte, beschloß er, sie zu überlisten und ihrem Unwillen auf für mich seltsame Weise ein Ende zu machen. Er ließ ihr durch Herrn von Sastot melden, daß der König es bereue, mich mit dem Erbprinzen verlobt zu haben; er könne ihn nicht leiden und beabsichtige, bei seiner Rückkehr die Verlobung aufzuheben und mich mit dem Herzog von Weißenfels zu vermählen. Es müsse ganz geheimgehalten werden. Denn er allein habe ja Kenntnis von den Plänen des Königs. Diese falsche Aufklärung von seiten Grumbkows hatte die gewünschte Wirkung. Die Königin stellte sich alsbald dazu, indem sie sich offen für den Erbprinzen erklärte. Sie vertraute mir ihre Befürchtungen an und befahl mir, aufmerksam gegen ihn zu sein, da sie lieber stürbe, als mich als Herzogin von Weißenfels zu sehen. Dies war ihre Art; es genügte, daß der König etwas lobte, und sogleich hatte sie daran etwas auszusetzen. Ich begriff nichts von dem ganzen Rätsel, das Grumbkow mir später verriet.

Diese angenehme Zwischenzeit war nicht von Dauer. Nach der Rückkehr des Königs zeigte sichs deutlich, daß die Königin hinters Licht geführt worden war. Zwar gefielen ihm die feinen Manieren und das zurückhaltende Wesen des Prinzen keineswegs. Er wünschte sich einen Schwiegersohn, der nur Sinn hatte für das Militär, den Wein und wirtschaftliche Dinge, und deutsche Wesensart zur Schau trug. Um seinen Charakter zu ergründen und ihn umzumodeln, trank er ihm jeden Tag recht oft zu. Der Prinz vertrug den Wein so gut, daß er sein Verhalten niemals änderte und seine Fassung behielt, während die andern sie einbüßten. Dies brachte den König auf. Er beklagte sich sogar bei Grumbkow und Seckendorf über ihn und nannte ihn einen geistlosen Stutzer, dessen Wesen ihm greulich sei. Dies wiederholte er so oft, daß sie fürchteten, diese Abneigung des Königs könnte noch für sie üble Folgen haben. Um hier vorzubeugen, machten sie dem Erbprinzen den Vorschlag, ihm ein preußisches Regiment vom König erwirken zu wollen, und machten ihm klar, dies sei das einzige Mittel, seine Heirat zum Abschluß zu bringen und sich beim König einzuschmeicheln. Der Prinz geriet in große Verlegenheit. Sein Vater, der Markgraf, war sehr herrisch. Er hatte nie gewollt, daß sein Sohn sich mit militärischen Dingen befasse, und um ihm jede Möglichkeit zu nehmen, hatte er zwei vom Markgrafen Georg Wilhelm ausgehobene kaiserliche Regimenter teils seinem jüngeren Sohne, teils dem General Philippi abgetreten. Dennoch kam der Prinz nach reiflicher Überlegung den Aufforderungen Grumbkows nach. Der König war hocherfreut, daß der Prinz in seine Dienste treten wollte. Er verlieh ihm einige Tage später ein Dragonerregiment und machte ihm einen Golddegen zum Geschenk, der von so schwerem Gewichte war, daß man ihn kaum zu heben vermochte.

Dies verdroß mich alles sehr. Es genügte, im Dienste zu stehen, um wie ein Sklave behandelt zu werden. Weder meine Brüder noch die königlichen Prinzen genossen andere Auszeichnungen als die, die sie ihren militärischen Stellungen verdankten. Sie waren auf ihre Garnison angewiesen, die sie nur verließen, wenn Revue gehalten wurde, hatten keinen andern Verkehr als den brutaler Offiziere ohne Geist und ohne Erziehung, in deren Gesellschaft sie gänzlich stumpfsinnig wurden, da sie weiter nichts zu tun hatten, als Truppen einzuexerzieren. Ich zweifelte nicht, daß der Prinz auf denselben Fuß gestellt werden würde. Meine Vermutungen erwiesen sich als richtig. Bevor der König nach Potsdam zurückkehrte, gab er ihm zu verstehen, daß er ihn an der Spitze seines Regimentes zu sehen wünschte. Da blieb nichts übrig, als zu gehorchen.

Am Tage vor seiner Abreise trat er im Garten von Monbijou auf mich zu. Er wußte von meiner Unzufriedenheit durch Fräulein von Sonsfeld, die es Herrn von Voigt hinterbracht hatte. Ich ging eben mit ihr spazieren, als er mich anhielt. »Ich konnte bisher«, sagte er, »keine Gelegenheit finden, mit E. K. H. zu sprechen und Ihnen meinen Schmerz darüber auszudrücken, daß ich Ihrem ganzen Verhalten eine Abneigung gegen mich entnehmen muß. Ich habe zu meinem größten Bedauern erfahren, daß man Ihnen nachteilige Dinge von mir sagte. Trage ich schuld an den Leiden, die Sie erduldet haben? Ich hätte nie gewagt, um die Hand E. K. H. zu werben. Der König wendete sich zuerst an mich. Konnte ich sie ausschlagen und mich so zum Unglücklichsten der Sterblichen machen, und können Sie, Prinzessin, mich darob tadeln? Ich verabschiede mich jetzt, ohne zu wissen, wie lange ich ferne bleiben werde. Ich bitte Sie also, mir eine bestimmte Antwort geben zu wollen und mir zu sagen, ob Sie in der Tat eine unüberwindliche Abneigung gegen mich haben. Denn ich will in diesem Falle ewigen Abschied von Ihnen nehmen und auf immer mein Verlöbnis aufheben, indem ich mich für mein Leben unglücklich mache und mich dem Groll meines Vaters und des Königs aussetze. Wenn ich mich aber täusche und Sie mir wohlgesinnt sind, so hoffe ich, daß Sie die Gnade haben werden, mir zu versprechen, daß Sie das Wort, das Sie mir auf Befehl des Königs gegeben haben, halten und nie einem andern angehören werden.« Die Tränen standen ihm in den Augen, während er sprach, und er schien sehr bewegt. Ich befand mich indessen in der größten Verlegenheit. Ich war an solche Reden nicht gewöhnt und war über und über rot geworden. Da ich nicht antwortete, drang er von neuem in mich und äußerte mit sehr trauriger Miene, er sähe wohl, daß mein Schweigen von schlimmer Vorbedeutung sei, und er würde sich danach zu richten wissen. Endlich nahm ich das Wort. »Ich werde mein Versprechen halten,« erwiderte ich ihm; »ich habe es auf Befehl des Königs gegeben, allein Sie können sich auf mich verlassen.« Die Königin, die in diesem Augenblick auf uns zukam, machte zu meiner Erleichterung dieser Unterredung ein Ende.

Frau von Kamecke hatte sich diesen Nachmittag damit unterhalten, daß sie Devisen aus Zucker herstellte. Abends verteilte sie diese unter uns allen. Der Prinz zerbrach mir eine in der Hand; desgleichen meiner Schwester. Aber die Königin verübelte es nur mir und hob auf der Stelle die Tafel auf. Sie nahm sehr eiligen Abschied von dem Prinzen und stieg mit meiner Schwester und mir in den Wagen. »Ich erkenne Sie nicht wieder«, sagte sie mir, »seit Ihrer leidigen Verlobung. Sie haben alles Schamgefühl verloren. Ich errötete statt Ihrer, als Ihr Laffe von einem Prinzen Ihnen die Devise in der Hand zerbrach. Das sind Familiaritäten, die sich nicht gehören, und er hätte besser Bescheid wissen sollen, welche Achtung er Ihnen schuldet.« Ich entgegnete, daß ich nicht gedacht hätte, es sei von irgendwelchem Belang, da er dasselbe mit meiner Schwester getan hätte; doch sollte es nicht wieder vorkommen. Sie ließ sich aber nicht beschwichtigen und ergriff tags darauf die Gelegenheit, Fräulein von Sonsfeld zu malträtieren. Frau von Kamecke, die zugegen war, machte der Zankerei ein Ende und trat so entschlossen für mich ein, daß die Königin, die nichts zu erwidern fand, nachgeben mußte.

Bisher waren es nur Fegefeuerleiden für mich gewesen; vierzehn Tage später hatte ich aber Höllenqualen auszustehen, da ich der Königin nach Wusterhausen folgen mußte. Es nahmen außerdem nur meine Schwester Charlotte, die zwei Hofmeisterinnen von Kamecke und von Sonsfeld und die Montbail an dieser Reise teil. Die Schilderung dieses berühmten Schlosses mag hier ihren Platz finden.

Der König hatte mit großer Mühe und vielen Kosten einen Sandhügel errichten lassen, der die Aussicht so stark begrenzte, daß man das Feenschloß erst sah, als man hart davorstand. Dieser sogenannte Palast bestand nur aus einem sehr kleinen Hauptgebäude, dessen Eindruck durch einen alten Turm mit einer Wendeltreppe verschönert wurde. Das Hauptgebäude war von einer Terrasse umzogen, und ringsum war ein Graben angelegt, dessen stagnierende schwärzliche Flut an die des Styx erinnerte und einen abscheulichen, ja erstickenden Geruch verbreitete. Drei Brücken, an jeder Seite des Hauses angebracht, stellten die Verbindung zwischen Hof und Garten und einer gegenüberliegenden Mühle her. Dieser Hof war von zwei Seiten her von Schloßflügeln eingeschlossen, in denen die Herren vom Gefolge des Königs wohnten. Er war von einer Palisade eingezäunt, an deren Eingang man zwei weiße und zwei schwarze Adler, sowie zwei Bären als Wächter angekettet hatte, sehr bösartige Tiere, die, nebenbei gesagt, jedermann anzugreifen suchten. Inmitten dieses Hofes stand ein Ziehbrunnen, aus dem man mit großer Kunstfertigkeit einen Küchenbrunnen gemacht hatte. Dieser prachtvolle Platz war von Stufen und nach außen hin von einem Eisengitter umzogen, und diesen reizenden Ort hatte der König für sich auserwählt, um abends zu rauchen. Meine Schwester und ich waren mit unserm ganzen Gefolge auf zwei Zimmer angewiesen oder, besser gesagt, zwei Dachstuben. Wir speisten, gleichviel bei welchem Wetter, unter einer großen Linde in einem gedeckten Zelt, und wenn es stark regnete, hatten wir die Füße im Wasser, denn der Boden war ausgehöhlt. Es war stets für vierundzwanzig Personen gedeckt, von denen drei Viertel hungerten, da für gewöhnlich nicht mehr als sechs karg zugemessene Schüsseln aufgetragen wurden. Von neun Uhr morgens bis drei oder vier Uhr nach Mitternacht blieben wir mit der Königin eingeschlossen, ohne Luft zu schöpfen noch uns in den Garten zu wagen, weil die Königin es nicht haben wollte. Sie spielte den ganzen Tag mit ihren Damen Tokkategli, während der König abwesend war. So blieb ich allein mit meiner Schwester, die mich von oben herab behandelte, und wurde hypochondrisch von dem fortwährenden Herumsitzen und dem steten Anhören unangenehmer Dinge. Der König stand stets um ein Uhr nachmittags vom Tische auf. Er saß dann in einem Lehnstuhl auf der Terrasse und schlief bis um halb drei Uhr, der stärksten Sonnenhitze ausgesetzt, und wir mit ihm, da wir uns alle zu seinen Füßen am Boden lagerten. Dies war die artige Lebensweise, die wir an diesem reizenden Orte führten.

Der Erbprinz erschien einige Tage später. Er hatte mir mehrmals geschrieben; meine Antworten wurden stets von der Königin diktiert. Ich hatte auch die Freude gehabt, einen Brief meines Bruders zu empfangen, den mir der Major Sonsfeld durch seine Schwester zustellen ließ. Mein Bruder fand es sehr lobenswert, daß ich durch meine Heirat den häuslichen Zerwürfnissen ein Ende machte. Er schien um mich besorgt zu sein und bat mich, ihm den Prinzen zu beschreiben und ihm zu sagen, ob ich mit der Wahl des Königs zufrieden sei. Er selbst sei mit seinem gegenwärtigen Leben sehr zufrieden; er unterhalte sich sehr gut, und sein einziger Kummer sei, nicht in meiner Nähe zu weilen. Man hatte ihm nicht gesagt, was ich seinetwegen erduldet hatte, noch wußte er, daß er es mir verdanke, wenn er eine gute Behandlung erfuhr und später begnadigt würde. Ich wollte es ihm nicht sagen und schrieb ihm nur über Dinge, die er wissen konnte. Ich teilte ihm auch mit, wie sehr die Königin sich verändert habe, und bat ihn, ihr zu schreiben und sie betreffs meiner Heirat zur Einsicht zu bringen. Er tat es jedoch vergeblich. Die Königin wurde nur noch gereizter, als sie sah, daß sie die einzige in der ganzen Familie war, die mein Verhalten tadelte.

Indessen stieg der Erbprinz mit jedem Tage in der Gunst meiner Schwester. Je mehr ihre Neigung für ihn zunahm, um so mehr haßte sie mich, und machte es mir nur allzu fühlbar, indem sie die Königin wider mich erbitterte. Als diese eines Tages mich sehr malträtiert hatte und ich in einer Ecke meines Zimmers bitterlich weinte, sprach mich die Schwester an: »Was haben Sie? was bekümmert Sie so?« »Ich bin verzweifelt,« sagte ich, »weil die Königin mich nicht mehr leiden kann; wenn das so fortgeht, sterbe ich noch vor Kummer.« »Sind Sie töricht!« erwiderte sie; »hätte ich einen so liebenswürdigen Liebhaber, so wäre mir das andere ganz gleichgültig. Ich lache nur, wenn sie schilt, es ist auch das beste.« »Sie lieben sie also nicht,« sagte ich; »denn wenn man jemanden liebt, nimmt man nichts gleichgültig hin. Übrigens können Sie sich über Ihr Los nicht beklagen. Prinz Karl hat Verdienste und gute Eigenschaften; und Ihnen lacht das Glück von allen Seiten, während ich von aller Welt verlassen bin, ja selbst vom König, der mich seit einiger Zeit nicht mehr ansieht.« »Nun,« gab sie mir mit einer boshaften Miene zurück, »wenn Ihnen der Prinz Karl so gut gefällt, so wechseln wir doch unsere Liebhaber; hier ist mein Verlobungsring, geben Sie mir den Ihren.« Ich nahm dies für einen Scherz und sagte, mein Herz sei gänzlich frei, meinetwegen könnte sie gern beide haben. »So geben Sie mir doch Ihren Ring«, sagte sie und zog ihn mir vom Finger. »Nehmen Sie ihn,« sagte ich, »er steht Ihnen zur Verfügung.« Sie steckte ihn an und verbarg ihren eigenen Verlobungsring in irgendeiner Ecke. Ich dachte nicht weiter darüber nach, aber Fräulein von Sonsfeld, die bemerkt hatte, daß mir der Ring fehlte und meine Schwester ihn seit drei Tagen trug, hielt mir vor, daß es Verdruß gäbe, wenn der König und der Prinz es gewahr würden. Ich verlangte ihn also zurück, aber sie wollte ihn mir nicht wiedergeben, so sehr Fräulein von Sonsfeld und ich in sie drangen. Ich mußte mich also an die Ramen wenden, die es der Königin sagte. Meine Schwester wurde von ihr sehr ausgescholten; sie steckte ihren Ring wieder an und gab mir den meinen zurück. Sie verzieh es mir nicht. Ich wagte kaum noch die Augen aufzuschlagen, denn sie sagte alsbald der Königin, ich zwinkere dem Prinzen zu.

Wir verließen Wusterhausen, um uns nach Makenau zu begeben, einen ebenso widerwärtigen Ort. Es kam dort zu neuen Auftritten. Die Engländer murrten schon seit geraumer Zeit über ihren König; es war stets ihr heißer Wunsch gewesen, mich in diesem Lande vermählt zu sehen. Der Prinz von Wales fing an, sich eine Partei zu bilden; er war untröstlich, daß sich unsere Heirat zerschlagen hatte. Von der ganzen Nation unterstützt, erhob er so energische Beschwerden beim König, daß dieser noch einmal meinem Vater, dem König, Anträge zu machen beschloß; da er sich aber keiner Zurückweisung aussetzen wollte, trug er dem hessischen Hofe auf, den König zu sondieren. Prinz Wilhelm sandte zu diesem Zweck den Obersten Donep nach Berlin. Dieser kam in Makenau zugleich mit uns an. Ich weiß nicht, welche Vorschläge er dem König unterbreitete. Die Heirat meines Bruders wird dabei wohl erwähnt worden sein. Die erste Antwort des Königs war so verbindlich, daß Donep an dem glücklichen Erfolg der Unterhandlungen nicht zweifelte. Er hatte noch nie Verhandlungen geführt und war Grumbkows intimer Freund, da er ihn nicht für verdächtig hielt, vertraute er ihm die Angelegenheit an. Dieser nützte die Unentschlossenheit des Königs aus, sprach sehr eindringlich mit ihm und riet ihm, mehrere Bedingungen, die ich nicht kenne, zu stellen, von denen er im voraus wußte, daß sie nicht bewilligt würden. Vierzehn Tage vergingen, und die Unterhandlungen dauerten noch immer an. Donep wollte eine bestimmte Antwort. Der König war schrecklich schlechter Laune, an der seine Unentschlossenheit schuld war.

Ich war indessen sehr krank geworden und litt an einem Halsgeschwür und starkem Fieber. Die Königin zwang mich in unmenschlicher Weise, auszugehen. Ich war drei Tage lang so schlimm daran, daß ich weder sprechen noch aufrecht stehen konnte. Es läßt sich denken, daß ich eine traurige Figur abgab. Als das Geschwür aufgebrochen war, fühlte ich mich leichter. Trotz seiner trüben Laune ließ der König eine deutsche Komödie für uns spielen und eine Seiltänzerbande kommen. Die Aufführungen fanden auf einem großen Platz vor dem Hause statt. Er setzte sich mit der Königin vor ein Fenster; meine Schwester, der Prinz und ich saßen in einer andern Nische. Er sah sehr traurig aus und sagte mir leise, ohne daß meine Schwester es merkte, was es mit der Gesandtschaft Doneps für eine Bewandtnis habe und welche Befürchtungen er hege. Diese Nachricht, die mir gänzlich unerwartet kam, erschreckte mich sehr. Ich bat ihn dringend, der Königin, die noch nichts davon wußte, nichts zu sagen; denn ich war sicher, daß es meine Lage verschlimmern würde, wenn sie dies erführe. Meine Warnungen waren umsonst; Donep ließ sie tags darauf in Kenntnis setzen. Die nachdenkliche und traurige Miene des Prinzen riefen ihre Hoffnungen wach; um ihr Spiel nicht zu verraten, überhäufte sie ihn mit Aufmerksamkeiten. Sobald ich wieder in meinem Zimmer war, überlegte ich, wie ich mich zu verhalten hätte, falls der König auf die Vorschläge Englands einginge. Die Offenheit, mit der mir der Prinz die im Gange befindliche Intrige anvertraute, hatte mir große Achtung für ihn eingeflößt. Ich fand weder an seiner Person noch an seinem Charakter etwas auszusetzen. Den Prinzen von Wales kannte ich nicht; ich hatte nie eine Neigung für ihn gehabt, und mein Ehrgeiz war gering. Ich war es müde, der Spielball des Glücks zu sein, und nahm mir vor, falls mir die Wahl bliebe, bei der zu bleiben, die schon der König für mich getroffen hatte, andernfalls aber mich nicht anders zu entschließen, ohne ihm dringende Vorstellungen gemacht zu haben.

Wir kehrten am nächsten Morgen nach Wusterhausen zurück. Die Königin schloß sich dort sogleich mit mir ein. Nachdem sie mir mitgeteilt hatte, was sie durch Donep wußte, sagte sie: »Ihre törichte Verlobung wird heute aufgehoben, und Ihr hergelaufener Prinz kann sich morgen empfehlen; denn ich zweifle nicht, daß Sie sich für meinen Neffen entscheiden werden, falls der König Ihnen die Wahl läßt. Ich will durchaus Ihre Gesinnung hierüber vernehmen. Ich habe meine Gründe, um so mit Ihnen zu reden. Hören Sie? Übrigens glaube ich, daß Sie das Herz am rechten Flecke haben, also keinen Augenblick zaudern werden.« Ich stand wie vor den Kopf geschlagen und rief alle Heiligen des Paradieses zu Hilfe, mir eine zweideutige Antwort einzugeben, die mich aus der Verlegenheit zöge. Ich weiß nicht, ob sie oder mein guter Geist sie mir eingaben. Ich faßte endlich Mut. »Ich bin Ihren Befehlen stets nachgekommen, Majestät,« erwiderte ich, »und nur zwingende Gründe haben mich vermocht, Ihnen zuwiderzuhandeln. Es geschah nur, um der Familie den Frieden zurückzugeben, meinem Bruder die Freiheit zu verschaffen und Ihnen, Majestät, tausend Leiden zu ersparen, die Sie noch erfahren konnten. Die Neigung trug keinen Teil daran, denn der Prinz war mir unbekannt. Aber seitdem habe ich ihn schätzen gelernt und nichts an ihm wahrgenommen, was ihn mir mißliebig machen könnte, so daß es mir für sehr strafbar erschiene, wenn ich ihm mein gegebenes Wort nicht hielte.« Die Königin unterbrach mich, sie war in heller Entrüstung und behandelte mich von oben herab. Trotz meines Kummers durfte ich mich doch vor dem König nicht verraten. Dieser achtete nicht mehr auf mich, was mich vollends untröstlich machte. An diesem Tage zeigte er sich sehr übler Laune. Abends kam der Prinz wie gewöhnlich zur Tafel. Als er eintrat, waren weder die Königin noch meine Schwester zugegen. Seine Miene war ganz verändert, denn sie war ebenso heiter, wie sie früher niedergeschlagen gewesen war. Er sagte mir ganz leise: »Der König hatte alles zurückgewiesen. Donep – – –« Ich ließ mir nichts merken, aber diese Nachricht freute mich sehr. Die Königin erfuhr sie einige Stunden später. Sie war darüber tief empört, und ihr Verdruß fiel wieder auf mich als den leidenden Teil zurück.

Meine Hochzeit wurde auf den 20. November festgesetzt; und da der König sie feierlich zu begehen wünschte, lud er mehrere Fürstlichkeiten, das ganze Bevernsche Haus, die Herzogin von Meiningen, den Markgrafen, meinen Schwiegervater, und den Markgrafen von Ansbach mit meiner Schwester dazu ein. Diese beiden kamen zuerst in Wusterhausen an. Der König ritt ihnen entgegen und führte meine Schwester zur Königin. Wir erkannten sie kaum wieder; sie war sehr schön gewesen und war es nun nicht mehr; ihr Teint war verdorben und ihre Manieren sehr affektiert. Sie stand wieder statt meiner in des Königs Gunst, die Königin aber hatte sie nie leiden können. Es reizte sie sogar, daß der König sie so auszeichnete und ihr so viel Liebes erwies, da sie es nicht ertragen konnte, daß er sich andern gegenüber freundlicher zeigte als ihr; doch konnte sie nicht umhin, gut mit ihr umzugehen. Unser Wiedersehen war erfreulicher; meine Schwester hatte mich stets gern gehabt, und ich hatte ihre Liebe erwidert. Nach dem Souper führte sie der König in ihr Zimmer, das neben dem meinigen unter dem Dache lag. Ihre Leute waren noch nicht angekommen, der König zeigte mit dem Finger auf mich: »Ihre Schwester kann Ihnen als Kammerjungfer dienen,« sagte er, »denn zu Besserem taugt sie nicht.« Ich traute meinen Ohren nicht, als ich dies vernahm. Der König zog sich einen Augenblick später zurück, und ich tat desgleichen.

Mein Herz war mir so schwer, daß ich in dieser Nacht zu sterben glaubte. Welches Verbrechen hatte ich denn begangen, daß mir in Gegenwart meines Verlobten und eines fremden Hofes eine so grausame Behandlung widerfuhr? Meine Schwester fühlte sich beschämt und tat ihr möglichstes, um mich zu trösten. Um mich noch mehr zu demütigen, räumte ihr der König den Vortritt ein, den sie nicht beanspruchen konnte, da ich die ältere war. Die Königin war sehr böse darüber, doch fruchtete ihr Einspruch nichts. Mir war die Sache nur deshalb empfindlich, weil es eine Folge der Worte war, die der König tags zuvor hingeworfen hatte. Er fuhr fort, mich absichtlich zu demütigen, solange wir in dem verwünschten Wusterhausen blieben. Er wußte selbst nicht, was er eigentlich wollte. Manchmal überkam ihn eine tiefe Reue, weil er mich verlobt und mit England gebrochen hatte; zu andern Zeiten war er mehr denn je auf diesen Hof ergrimmt, doch währte es nicht lang; aber so oder so, sein ganzer Verdruß fiel auf mich zurück.

Am 5. November waren wir endlich wieder in Berlin. Meine Großtante, die Herzogin von Sachsen-Meiningen, Tochter des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, kam zwei Tage nach uns an. Sie war zum drittenmal Witwe, da sie in erster Ehe den Herzog von Kurland geheiratet hatte und nach seinem Tode den Markgrafen Christian Ernst von Bayreuth. Sie hatte es fertiggebracht, die Länder dieser beiden Fürsten vollständig zu ruinieren. Man sagte, daß sie in ihrer Jugend sehr gefallsüchtig gewesen sei; ihre affektierten Manieren deuteten noch darauf hin. Sie wäre eine vortreffliche Darstellerin von Charakterrollen geworden. Ihre weinselige Physiognomie und ihre Taille, von so ungeheuerlicher Dicke, daß sie kaum gehen konnte, gaben ihr das Ansehen eines weiblichen Bacchus. Sie trug zwei dicke, schlappe und runzlige Brüste zur Schau, welche sie die ganze Zeit mit den Händen bearbeitete, um die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Obwohl sie über sechzig Jahre alt war, hatte sie sich wie eine junge Frau herausgeputzt; sie trug ihr Haar in dicken Locken, überall mit bunten Steinen bedeckt und mit rosa Bändern durchzogen, was sie noch röter erscheinen ließ; man hätte sie für einen Regenbogen halten können.

Die Königin mußte ihr den ersten Besuch abstatten, weil der König es so haben wollte. »Trachten Sie zu erfahren, wann ich zurück sein werde,« sagte sie mir, »und besuchen Sie sodann die Herzogin.« Ich folgte genau ihrem Befehl. Da es schon spät war und abends Cercle gehalten wurde, konnte mein Besuch nicht von langer Dauer sein. Man war schon versammelt, als ich heimkehrte, und die Königin unterhielt sich mit ihren Besuchern. Als sie mich sah, fragte sie mich im zornigen Tone, warum ich so spät käme. »Ich war bei der Herzogin,« sagte ich, »wie Eure Majestät befohlen hatten.« – »Wie,« erwiderte sie, »ich hätte dies befohlen? Ich befahl Ihnen nie, sich zu erniedrigen noch zu vergessen, was Sie Ihrem Range und Ihrer Würde schuldig sind; aber seit einiger Zeit sind Sie so gewohnt, sich etwas zu vergeben, daß mich dieser neue Beweis nicht wundert.« Diese harte Rüge angesichts des ganzen Hofes verletzte mich tief. Ich senkte die Augen, und es gelang mir nicht, so sehr ich mich auch bemühte, meine Fassung zu bewahren. Alle tadelten die Königin und bedauerten mich im stillen. Frau von Grumbkow, obwohl sie einen bösen Mann hatte, war eine verdienstvolle Frau. Sie näherte sich mir und fragte mich, was denn die Königin bewogen habe, mir mit solcher Härte zu begegnen. Ich zuckte die Achseln, ohne etwas zu erwidern.

Der König, der Markgraf von Bayreuth und der Bevernsche Hof kamen tags darauf an. Der Markgraf wurde mir bei der Königin vorgestellt, wo er sich in endlosen Beteuerungen erging, da ja nur noch sechs Tage bis zur Hochzeit waren. Der König befahl ausdrücklich, daß die Königin dem Markgrafen und seinem Sohn gestatte, nach Belieben bei mir vorzusprechen. Es nützte ihnen nicht viel, denn ich war den ganzen Tag bei ihr und sah die beiden nur einen Augenblick abends in Gegenwart zahlreicher Leute.

Am 19. fand ich zu meiner Überraschung die Königin mir gegenüber ganz verändert. Sie überhäufte mich mit Liebkosungen und versicherte mir, ich sei ihr Liebling. Ich begriff nicht, was dies heißen sollte; aber abends zog sie mich in ihr Kabinett und bekannte Farbe: »Morgen sollen Sie geopfert werden,« sagte sie; »es ist mir nicht gelungen, Ihre Hochzeit aufzuschieben. Ich erwarte einen Kurier aus England und bin im voraus überzeugt, daß mein Bruder, der König, auf die Heirat Ihres Bruders verzichten wird, falls der König keine Schwierigkeiten mehr erhebt, Ihre Verlobung mit dem Erbprinzen aufzulösen. Da ich aber nicht weiß, wie lange der Kurier noch ausbleiben wird, und keinen Ausweg mehr weiß, um zu verhindern, daß Ihre Hochzeit morgen stattfindet, so ist mir ein Gedanke gekommen, der mir den Frieden zurückbringen könnte; und von Ihnen erwarte ich die Ausführung meiner Idee. Versprechen Sie mir also, sich in keinerlei Vertraulichkeiten mit dem Prinzen einzulassen und wie Bruder und Schwester mit ihm zu leben, da dies das einzige Mittel wäre, Ihre Ehe für nichtig zu erklären, die für ungültig gälte, falls sie nicht vollzogen würde.« Ich wollte etwas erwidern, da kam der König hinzu, und es war ihr nicht mehr möglich, mit mir zu reden, so sehr wurde sie den ganzen Abend in Anspruch genommen.

Am nächsten Morgen begab ich mich im Morgenkleide zu ihr. Sie nahm mich bei der Hand und führte mich zum König, wo ich nach allgemein üblicher Sitte meinen Erbverzicht leisten sollte. Ich traf dort den Markgrafen und seinen Sohn, Grumbkow, Podewills, Thulmeier und Voigt, den Bayreuther Bevollmächtigten. Man las mir die Eidesformel vor, die besagte, daß ich allen Erbschaftsansprüchen entsagte, solange meine Brüder und ihre männliche Nachkommenschaft lebten, daß ich aber im Falle ihres Todes in alle meine Rechte als Thronerbin wieder eingesetzt würde. Als ich diesen Eid geleistet hatte, wurde mir ein zweiter abverlangt, der mich in großes Erstaunen setzte. Ich sollte nämlich auf immer meinem Erbteil von seiten der Königin entsagen, falls sie ohne Testament sterben sollte. Ich blieb unbeweglich. Der König sah meine Verwirrung und sagte mit Tränen in den Augen, indem er mich umarmte: »Sie müssen sich diesem harten Gesetz unterwerfen, liebe Tochter; Ihre Ansbacher Schwester hat sich ihm auch unterziehen müssen; im Grunde ist es ja nichts als eine Formalität, denn es steht Ihrer Mutter jederzeit frei, ein Testament zu machen.« Ich küßte ihm die Hand, indem ich ihm sagte, daß er mir feierlich versprochen habe, für mich zu sorgen, und daß ich nicht glauben könne, er würde so hart mit mir verfahren. »Es ist nicht an der Zeit, Schwierigketten zu machen,« erwiderte er zornig, »unterschreiben Sie gutwillig, oder ich werde Sie zu zwingen wissen.« Diese letzten Worte sprach er ganz leise. So mußte ich denn folgen, ob ich wollte oder nicht. Sobald diese verwünschte Zeremonie beendet war, zeigte er sich sehr liebevoll gegen mich, lobte meine Unterwürfigkeit und versprach viele Dinge, die er nicht zu halten gedachte.

Wir setzten uns dann zu Tische, wo ich neben ihn gesetzt wurde. Es waren nur der Prinz, meine Schwestern und Brüder und die Herzogin von Bevern zugegen. Ich war traurig und nachdenklich. Kein Wunder, da ich im Begriffe war, Bande zu knüpfen, die über das Glück und Unglück unseres ganzen Lebens entscheiden.

Gleich nach der Tafel befahl der König, daß die Königin anfangen solle, mich zu schmücken. Sie wollte mich frisieren. Da sie als Kammerzofe nicht geschickt war, brachte sie es nie fertig. Die Hofdamen halfen ihr, aber kaum waren meine Haare auf einer Seite fertig, als die Königin sie wieder in Unordnung brachte, und dies geschah alles nur, um Zeit zu gewinnen, in der Hoffnung, daß der Kurier eintreffen würde. Sie ahnte nicht, daß er schon angekommen war und daß Grumbkow die Depeschen besaß. Es läßt sich denken, daß er sie nicht eher dem König übergab, als bis die Trauung vorüber war. Dies alles machte, daß ich wie eine Närrin angezogen wurde. Man hatte so lange an meinen Haaren gezaust, daß sie ganz platt gedrückt waren; ich sah aus wie eln kleiner Knabe, denn sie hingen mir alle ins Gesicht hinein. Man setzte mir die Königskrone auf und vierundzwanzig faustdicke Locken. Also wollte es die Königin. Ich konnte meinen Kopf nicht gerade halten; er war zu schwach für ein so schweres Gewicht. Mein Kleid bestand aus einem sehr reichen, golddurchwirkten Silberstoff, und meine Schleppe war zwölf Ellen lang. Ich erstickte schier in diesem Aufzug. Zwei Damen der Königin und zwei meiner eignen trugen meine Schleppe. Diese letzten waren Fräulein von Sonsfeld, die Schwester meiner Hofmeisterin, und Fräulein von Grumbkow, die Nichte meines Verfolgers. Ich hatte diese zur Hofdame annehmen müssen, weil der König es unbedingt verlangte. Fräulein von Sonsfeld war an demselben Tage zur Äbtissin von Wolmirstedt ernannt worden, und der König hing ihr selbst das Ordenskreuz um. Wir verfügten uns alle in die Staatsgemächer. Ich will hier eine kleine Schilderung derselben entwerfen.

Sie bestehen aus sechs großen Gemächern, die in einen von Malern und Architekten prachtvoll ausgeschmückten Saal münden. Von hier aus gelangt man in zwei sehr schön ausgestattete Zimmer, die zu einer prächtigen Bildergalerie führen. Sie ziehen sich alle in einer Flucht hin. Die Galerie, die neunzig Fuß lang ist, bildet den Eingang zu einer weiteren Reihe von Zimmern, vierzehn an der Zahl, die ebenso groß und schön ausgestattet sind wie die ersten und die zu einem geräumigen Saale führen, dessen man sich bei feierlichen Gelegenheiten bedient. Dies alles ist nichts Besonderes; aber jetzt kommt das Merkwürdige. Das erste Zimmer enthält einen silbernen Kronleuchter, der 10 000 Taler wert ist. Das zweite ist noch großartiger. Die Trumeaus sind hier aus massivem Silber und die Spiegel zwölf Fuß hoch. An den Tischen, die unter diesen Spiegeln stehen, finden zwölf Personen bequem Platz; der Kronleuchter ist viel größer als der im vorhergehenden Zimmer, und so steigert sich alles bis zum letzten Saale, der die ansehnlichsten Stücke enthält. Man sieht hier die Porträts des Königs und der Königin und die des Kaisers und der Kaiserin, alle in Lebensgröße und in silbernen Rahmen. Der Kronleuchter hat einen Wert von 50 000 Talern; seine Kugel ist so groß, daß ein achtjähriges Kind bequem darin Platz fände. Die Wandleuchter sind sechs Fuß hoch, die Leuchtergestelle zwölf, der Balkon für die Musikanten ist aus demselben kostbaren Metall; kurz, dieser Saal enthält ein Gewicht für zwei Millionen Silbergerät. Alles ist kunstvoll und mit Geschmack ausgearbeitet. Aber im Grunde ist dieser ganze Prunk für das Auge nicht erfreulich und bietet viele Nachteile; denn statt der Kerzen werden hier Fackeln angezündet, was einen erstickenden Rauch erzeugt und die Gesichter und Kleider schwärzt. Mein Vater, der König, hatte all dies Silberzeug nach seiner ersten Dresdener Reise beschaffen lassen. Er sah in dieser Stadt den Hausschatz des Königs von Polen; er wollte ihn überbieten, und da er nicht so viele und seltene Edelsteine sammeln konnte, verfiel er auf den Gedanken, einen ebensolchen Aufwand mit Silberzeug zu treiben, um etwas zu haben, was kein Monarch in Europa noch gesehen hatte.

In diesem letzten Saale wurde meine Hochzeitsfeier begangen. Während des Segens ertönten drei Kanonenschüsse. Alle Gesandten, mit Ausnahme des englischen, waren dabei anwesend. Der Markgraf von Schwedt mußte ihr auf ausdrücklichen Befehl des Königs beiwohnen. Nach der Gratulationscour wies man mir einen Platz unter dem Thronhimmel neben der Königin an. Der Erbprinz eröffnete mit meiner Ansbacher Schwester den Ball. Er dauerte nur eine Stunde, worauf man sich zur Tafel begab. Der König hatte die Plätze auslosen lassen, um die Rangstreitigkelten der fremden Fürsten zu vermeiden. Ich saß am obersten Ende mit dem Prinzen, jedes in einem Lehnsessel. Mein Schwiegervater, der Markgraf, saß neben mir. Der König, der keine Dame führte, nahm neben dem Prinzen Platz. Es saßen vierunddreißig fürstliche Personen an diesem Tische. Der König trank dem Prinzen so lange zu, bis er ihn endlich angeheitert sah. Zwei Damen und die beiden diensttuenden Herren, die man mir zugeteilt hatte, hielten sich die ganze Zeit hinter mir. Oberst Breiche und Major Stecho bedienten mich, sowie Herr von Voigt, der zu meinem Oberhofmeister ernannt worden war, und Herr Bindemann, den man zu meinem diensttuenden Kammerherrn berufen hatte. Nach dem Souper kehrten wir in den ersten Saal zurück, in dem alles für den Fackeltanz bereitet worden war. Dieser Tanz wird nach einer alten deutschen Etikette mit großem Zeremoniell aufgeführt. Die Hofmarschälle mit ihren Kommandostäben eröffnen ihn, und alle Generalleutnants der Armee folgen, von denen jeder eine brennende Fackel trägt. Das Brautpaar macht zwei Rundgänge im langsamen Schritt. Dann fordert die Braut einen Prinzen nach dem andern auf, wenn sie mit ihnen den Umgang beendigt hat, nimmt der Bräutigam ihre Stelle ein und führt in derselben Weise jede Prinzessin. Dies alles geschieht beim Klang der Pauken und Trompeten.

Nach beendetem Tanz führte man mich in das erste Gemach, in dem man ein Bett unter einem rotsamtnen, mit Perlen besetzten Baldachin aufgeschlagen hatte. Der Etikette nach hätte die Königin mich auskleiden sollen, aber sie hielt mich dieser Ehre nicht für würdig und reichte mir nur das Hemd. Meine Schwester und die Prinzessinnen leisteten mir statt ihrer Hilfe. Als ich im Nachtkleide war, nahmen alle von mir Abschied und zogen sich zurück, mit Ausnahme meiner Ansbacher Schwester und der Herzogin von Bevern. Man führte mich dann in mein eigenes Gemach zurück, wo mich der König niederknieen und laut das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser hersagen ließ. Die Königin war wütend und gab es allen zu fühlen. Sie hatte von der Ankunft des Kuriers gehört und war in Verzweiflung. Sie sagte mir noch die härtesten Dinge, bevor sie mich verließ.

Meine Heirat war wirklich die sonderbarste Sache der Welt. Mein Vater, der König, gab sie wider Willen zu und bereute sie jeden Tag; er hätte sie rückgängig machen können, und sie vollzog sich gegen seinen Wunsch. Die Gefühle der Königin brauche ich nicht zu erwähnen. Man weiß zur Genüge, wie sie beschaffen waren. Der Markgraf von Bayreuth war nicht minder ungehalten. Er hatte nur eingewilligt in der Hoffnung, große Vorteile daraus zu ziehen, deren er sich durch den Geiz des Königs beraubt sah. Er war auf das Glück seines Sohnes eifersüchtig, und sein argwöhnischer Sinn jagte ihm die größte Angst ein, von der ich später reden werde. So ward ich gegen den Willen der drei ausschlaggebenden Personen verheiratet und dennoch mit ihrem Einverständnis. Wenn ich manchmal darüber nachdenke, so kann ich nicht umhin, an ein Schicksal zu glauben; und meine Philosophie wird durch meine Erfahrungen ins Bockshorn gejagt. Aber genug der Betrachtungen. Diese Memoiren würden nie zum Ende kommen, wenn ich alle Erwägungen, die sich mir in meinen verschiedenen Lebenslagen aufdrängten, verzeichnen wollte.

Am nächsten Morgen erschien der König, von den Prinzen und Generalen gefolgt, um mich zu besuchen, und beschenkte mich mit einem silbernen Service. Der Sitte gemäß sollte mir die Königin dieselbe Ehre erweisen, aber sie unterließ es. Trotz aller meiner Kümmernisse vergaß ich nicht meines Bruders. Ich sandte Voigt zu Grumbkow, um ihn an sein gegebenes Wort zu mahnen. Er ließ mir versichern, daß er es dem König sagen würde; ich möchte nur ein paar Tage warten, da man den günstigen Augenblick ergreifen müsse, um zum Ziele zu gelangen.

Am 23. war Ball im großen Saale. Zuvor wurden Lose gezogen. Ich zog Nummer 1. Mit den Prinzen zählte man siebenhundert Paare, alle von Rang. Es wurden vier Quadrillen getanzt. Ich führte die erste, die Markgräfin Philipp die zweite, die Markgräfin Albert die dritte und ihre Tochter die vierte. Die meine wurde in der Bildergalerie getanzt. Die Königin und alle Fürstlichkeiten waren zugegen.

Ich liebte den Tanz und benützte die Gelegenheit. Grumbkow unterbrach mich inmitten eines Menuetts. »Aber Prinzessin,« sagte er, »Sie scheinen fürwahr von der Tarantel gestochen; sehen Sie denn nicht die Fremden, die soeben gekommen sind?« Ich hielt inne, blickte nach allen Seiten und sah in der Tat einen ganz in Grau gekleideten Jüngling, der mir unbekannt war. »Umarmen Sie ihn doch,« sagte er, »es ist der Kronprinz.« Vor Freude stand mir das Herz still. »Himmel!« rief ich, »mein Bruder! Aber wo ist er denn? Zeigen Sie ihn mir um Gottes willen!« Grumbkow führte mich zu ihm. Als ich ihm näher kam, erkannte ich ihn, doch mit Mühe. Er war viel dicker geworden und hatte einen sehr kurzen Hals bekommen, auch ein verändertes Gesicht, das nicht mehr so schön wie früher war. Ich fiel ihm um den Hals; ich war so überrascht, daß ich nur unzusammenhängende Sätze hervorbrachte; ich weinte und lachte, als wäre ich von Sinnen. In meinem Leben habe ich keine solche Freude empfunden. Nach diesem ersten Impulse eilte ich auf den König zu, der mir laut in Gegenwart meines Bruders sagte: »Sind Sie zufrieden mit mir? Sie sehen, daß ich Wort hielt.« Ich nahm meinen Bruder bei der Hand und flehte den König an, ihm seine Liebe wieder zuzuwenden. Diese Szene war so ergreifend, daß sie alle Anwesenden zu Tränen rührte. Ich ging dann auf die Königin zu. Sie konnte nicht umhin, mich zu umarmen, da der König ihr gegenüberstand; allein ich merkte, daß ihre Freude nicht aus dem Herzen kam. Dann kehrte ich wieder zu meinem Bruder zurück, liebkoste ihn und sagte ihm die zärtlichsten Dinge; er verhielt sich dabei eiskalt und antwortete nur sehr einsilbig. Ich stellte ihm den Prinzen vor, er würdigte ihn jedoch keines Wortes. Über dieses Verhalten war ich ganz verwirrt, erklärte es mir aber aus der Gegenwart des Königs, der uns beobachtete und meinen Bruder dadurch einschüchterte. Selbst seine Miene befremdete mich; er sah die Leute stolz und von oben herab an. Endlich ging man zur Tafel. Der König war nicht zugegen, sondern speiste allein mit seinem Sohne. Dies beunruhigte die Königin; sie schickte Spione aus, um zu erfahren, was vorging. Man hinterbrachte ihr, daß der König vortrefflicher Laune sei und sehr freundlich mit seinem Sohne spräche. Ich dachte, es würde sie freuen; aber trotz aller Mühe, die sie sich gab, vermochte sie ihren heimlichen Ärger nicht zu verbergen. Sie liebte ihre Kinder in der Tat nur, insofern sie ihren ehrgeizigen Plänen dienten. Daß mein Bruder seine Versöhnung mit dem König mir verdankte, verdroß sie eher, als daß es sie freute, da sie nicht die Urheberin war.

Nach Tische kam Grumbkow, mir zu sagen, der Kronprinz verderbe wiederum alles. »Seine Haltung Ihnen gegenüber«, fuhr er fort, »hat dem König mißfallen; wenn sie durch seine Gegenwart veranlaßt worden wäre, so sei es für ihn verletzend, da er ein Mißtrauen zeige, das nichts Gutes für die Zukunft verspräche; wenn er hingegen aus Gleichgültigkeit und Undank für Eure Königliche Hoheit so kalt verblieb, so könne er dies nur seiner Herzlosigkeit zuschreiben. Hingegen ist der König mit Ihnen zufrieden, Sie gingen offen zu Werke. Fahren Sie fort, also vorzugehen, und bringen Sie um Gottes willen den Kronprinzen dazu, daß er dem König ohne Umschweife und aufrichtig begegnet.« Ich dankte ihm für seinen guten Rat. Der Ball fing von neuem an. Ich ging auf meinen Bruder zu, wiederholte ihm, was Grumbkow mir eben gesagt hatte, und machte ihm sogar einige leichte Vorwürfe über sein verändertes Wesen. Er antwortete mir, daß er stets derselbe sei und seine Gründe habe, um sich also zu benehmen.

Tags darauf besuchte er mich auf Befehl des Königs. Der Prinz hatte die Aufmerksamkeit, sich zurückzuziehen, und ließ mich mit ihm und Fräulein von Sonsfeld allein. Er erzählte mir alle seine Leiden, wie ich sie berichtet habe; er dankte mir für alles, was ich für ihn getan hatte, und umarmte mich, allein sein Herz war nicht dabei. Er fing ein gleichgültiges Gespräch an, um ein andres Thema aufzunehmen, und unter dem Vorwand, meine Wohnung sehen zu wollen, ging er ins andere Zimmer, wo er den Prinzen antraf. Er maß ihn eine Zeitlang von Kopf bis zu Fuß, und nachdem er ihm einige kalte Höflichkeiten gesagt hatte, ging er weg.

Ich muß gestehen, daß mich sein Verhalten ganz aus der Fassung brachte. Meine Hofmeisterin konnte es gar nicht begreifen und zuckte die Achseln. Ich erkannte diesen teuren Bruder, für den ich mich aufgeopfert hatte, nicht wieder. Der Prinz bemerkte meine Verwirrung und äußerte, er merke wohl, daß ich nicht zufrieden sei, und die Kälte, die mein Bruder mir bezeige, wundere ihn, besonders sei es ihm sehr empfindlich, zu sehen, daß er nicht den Vorzug genieße, ihm zu gefallen. Ich suchte ihm diese Gedanken auszureden und änderte nichts an meinem eigenen Verhalten meinem Bruder gegenüber.


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