Wilhelmine von Bayreuth
Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth
Wilhelmine von Bayreuth

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Ich hielt in Saarmund Mittagsrast und nahm nach einer leichten Mahlzeit meine Fahrt wieder auf. Der Kutscher war wieder so freundlich, auf der Landstraße umzuwerfen. Der Wagen fiel zweimal um, die Decke zu unterst. Da ich mich nicht vorsah, zerkratzte ich mir das ganze Gesicht und schlug mir den Kopf wund. Doch setzte ich trotzdem die Reise fort.

Tags darauf erreichte ich Halle, wo ich feierlich empfangen wurde. Erst fand sich eine Deputation der Universität ein, die mir zu meiner glücklichen Ankunft gratulierte, und Herr von Wachholtz, der in Abwesenheit des Fürsten von Anhalt Stadtgouverneur war, stellte mir eine Wache und bat mich um die Parole.

Ich sah hier auch die Prinzessin Radziwill, Schwester der Markgräfin Philipp, die eigens von Dessau gekommen war, um mich zu sehen. Ich kannte sie sehr gut; sie war sehr geistreich und gebildet, was den Verkehr mit ihr sehr angenehm machte.

Am nächsten Tage verließ ich Halle wieder und kam am 30. August nach Hof. Herr von Voigt, den ich in Schleiz antraf, teilte mir mit, daß der Markgraf uns mit großer Freude und Ungeduld erwarte. Der Fürst kam uns mit einem Gefolge von dreißig Wagen bis zu einigen Schußweiten vor der Stadt entgegen. Ich ließ den Wagen anhalten und stieg aus, da ich sah, daß er dasselbe tat. Er empfing uns auf die denkbar freundlichste Weise und herzte seinen Sohn. Wir nahmen sodann alle in meinem Wagen Platz. Er fand mich außerordentlich verändert und abgemagert, äußerte aber die Hoffnung, daß ich mich bald erholen würde, da er einen sehr geschickten Arzt gewonnen habe.

Wir blieben einen Tag in Hof und kamen am 2. September nach Bayreuth. Ich traf hier Fräulein Flora von Sonsfeld an, die sich sehr freute, mich wiederzusehen, und mir mein Töchterchen zeigte, das ich wahrlich nicht wiedererkannt hätte. Man hatte ihr allerlei kleine Fertigkeiten beigebracht, und ich darf sagen, es war das schönste Kind, das man sich denken konnte.

Jener bewußte Arzt, den man mir so angepriesen hatte, meldete sich gleich am folgenden Tag. Ich teilte ihm das Gutachten der Berliner Ärzte mit, das sie mir schriftlich gegeben hatten. Er war nicht ihrer Meinung und schrieb mein Übel einem verdorbenen Magen und schlechtem Blute zu; er wollte mich erst zur Ader lassen, dann mir jeden Morgen Gerstenschleim zu trinken geben und war überzeugt, daß ich mich bald besser befinden würde. Er fing also damit an, daß er mir tags darauf zehn Unzen Blut abnahm, was meine Schwäche so sehr vermehrte, daß ich einige Tage das Zimmer hüten mußte. Die Marwitz las mir des Nachmittags vor, und abends besuchte mich der Markgraf. Er bezeigte mir die größte Aufmerksamkeit, aber sie galt im Grunde dem Fräulein von Sonsfeld, das einen solchen Einfluß auf ihn gewonnen hatte, daß sie ihn gänzlich beherrschte. Zu meinem großen Glücke begab er sich nach Himmelkron und ließ mich in Bayreuth. Er sagte mir beim Abschied, daß er eigens von mir ginge, um mir Zeit zu lassen, mich zu erholen; er wisse wohl, daß ich mir in seiner Gegenwart den Zwang antäte, auszugehen und Toilette zu machen, und daß mir dies nicht förderlich sei; ich möge mich bis zu seiner Rückkehr unterhalten, so gut es gehe. Ich war über so viel Rücksicht hocherfreut und nahm mir vor, recht achtzugeben, damit diese schöne Eintracht nicht gestört würde. Meine Schwester in Ansbach kam auch auf einige Tage zu Besuch, und ich fing an, meine Ruhe etwas zu genießen, als ein neuer Zwischenfall mich in neue Besorgnis stürzte. Hier aber muß ich in meiner Erzählung zurückgreifen.

Ich erwähnte schon den plötzlichen Tod des Königs August von Polen. Nach seinem Ableben entstanden zwei Parteien in jenem Lande, deren eine für den Kurfürsten von Sachsen stimmte und den Kaiser und Rußland für sich hatte, während die Partei des Stanislaus bei Frankreich Unterstützung fand. Der Kaiser, als steter Gegner der Franzosen, und der König von Preußen, der keinen von einem so mächtigen Lande unterstützten Nachbarn wünschte, und Rußland, das stets zum Kaiser und den sächsischen Kurfürsten hielt, widersetzten sich offen einer Wahl des Stanislaus. Trotz aller ihrer Bemühungen siegte jedoch die französische Partei, und Stanislaus Leczinski wurde zum König von Polen erwählt. Rußland nahm Anstoß daran und ließ Truppen in Polen einmarschieren, die mit der Belagerung von Danzig die Feindseligkeiten eröffneten. Alles zielte jetzt auf einen Bruch zwischen Frankreich und dem Kaiser hin. Dieser hatte seine Truppen in Italien und am Rhein mobilisiert. Auf Grund des geheimen Vertrags, den der König mit dem Kaiser geschlossen hatte, mußte er ihm zehntausend Mann stellen. Man meldete mir von Berlin, daß der König selbst den Feldzug mitmachen wolle und sehr darauf rechne, daß der Erbprinz mit ihm ziehen würde.

Dies war die Ursache meiner Sorgen. Ich war an Sorgen so gewöhnt, daß ich über alles erschrak. Ich verfiel in eine schwere Melancholie. Alle Leiden, die ich in Berlin erlebte, hatten mein Gemüt so niedergedrückt, daß ich nur mit großer Mühe meine Heiterkeit wiedererlangte. Meine Gesundheit besserte sich nicht, und alle hielten mich für schwindsüchtig. Ich glaubte selbst nicht, daß ich mich wieder erholen würde, und erwartete mit Fassung meinen Tod. Meine einzige Erholung war das Studium. Ich beschäftigte mich den ganzen Tag mit Lesen und Schreiben, unterhielt mich mit der Marwitz und suchte sie zu bilden und zur Nachdenklichkeit anzuhalten. Ich hatte viel Sympathie für diese Person, die mir äußerst anhänglich war. Sie fing an, viel gründlicher zu werden, und suchte mir, wo sie konnte, Freude zu bereiten.

Inzwischen wurden die kaiserlichen Truppen nach und nach mobil gemacht. Der Herzog von Bevern führte das Kommando. Der Erbprinz brannte darauf, den Feldzug mitzumachen, der in diesem Jahr nicht mehr lange dauern konnte, weil die Jahreszeit zu sehr vorgerückt war; übrigens widersetzte sich der Markgraf offen seinen Wünschen. Alles, was er ihm gestatten wollte, war, daß er die Armee nahe bei Heilbronn besichtigen durfte. Er reiste am 30. September ab und kehrte am 1. November zurück.

Während dieser Zeit empfingen wir den Besuch der Prinzessin von Kulmbach, der Tochter des Markgrafen Georg Wilhelm. Die Geschichte dieser Prinzessin ist so eigentümlich, daß ich ihrer in diesen Memoiren gedenken muß.

Sie war bis zu ihrem zwölften Jahr bei ihrer Tante, der Königin von Polen, auferzogen worden. Ihre Frau Mutter, jene Markgräfin, deren Porträt ich schon entworfen habe, als ich meine Reise nach Erlangen berichtete, hielt es nicht für angezeigt, sie länger in Dresden zu lassen, und rief sie nach Bayreuth zurück. Die junge Prinzessin war schön und ebenso reizvoll wie ihre Mutter, nur war sie verwachsen, und zwar so sehr, daß es sich nicht verbergen ließ. Der Markgraf, mein Schwiegervater, der der mutmaßliche Erbe der Markgrafschaft war (denn der Markgraf Georg Wilhelm hatte keinen Sohn), war einer ihrer Freier gewesen. Er war damals schon von seiner Frau geschieden und konnte wieder heiraten, wann er wollte. Die Markgräfin konnte ihn aber nicht leiden, und ihre Tochter war derselben Ansicht. Ihre Schönheit, Sittsamkeit, ihr ganzes Wesen flößte der Mutter eine furchtbare Eifersucht ein. Sie nahm sich vor, die arme Prinzessin ins Unglück zu stürzen. Ihr Gatte, der Markgraf, wünschte seine Tochter mit dem Prinzen von Kulmbach zu vermählen. Um diesen Plan zu durchkreuzen, warf die Markgräfin ihr Auge auf einen gewissen Wobster, einen Kammerherrn ihres Gatten. Sie ließ diesem viertausend Dukaten in Aussicht stellen, falls er sich so weit in Gunst bei der Prinzessin brächte, daß sie ein Kind von ihm bekäme. Wobster war über diesen Antrag sehr erfreut. Er machte der Prinzessin lange Zeit den Hof, ohne daß sie ihm je anders als ablehnend und verächtlich begegnet wäre. Als die Markgräfin sah, daß sie auf diese Weise ihre Ziele nicht erreichen würde, versteckte sie Wobster eines Nachts im Zimmer der Prinzessin. Ihre Dienerschaft war bestochen. Man sperrte sie zusammen ein, trotz ihrer Hilferufe und Tränen wurde er ihrer Herr und tat ihr Gewalt an. Seine Unterwürfigkeit, seine Ehrfurcht und seine Tränen rührten die Prinzessin. Er machte ihr weis, daß es dem Markgrafen freistünde, ihn zum Grafen und später zum Reichsfürsten zu erheben, so daß er sie heiraten könnte, als einziger Tochter dürfe der Markgraf ihr den größten Teil seines Landes vermachen, indem er die Freilehen vergrößere, die sehr beträchtlich waren. Durch derartige Erwägungen wie durch ihre Liebe fühlte sich die Prinzessin bewogen, eine Intrige mit ihrem Liebhaber zu spinnen und ihm Zusammenkünfte zu gewähren. Diese wurden endlich so häufig, daß sie schließlich guter Hoffnung wurde. Die Markgräfin, die im Verein mit Herrn von Stuterheim, dem ersten Minister des Markgrafen, die ganze Sache leitete, wurde alsbald von dem Erfolg ihres Planes in Kenntnis gesetzt, aber sie stellte sich unwissend, und ihre Tochter suchte anderseits ihren Zustand solange als möglich zu verheimlichen. Der Prinz von Kulmbach arbeitete indes unablässig auf seine Vermählung mit dieser Prinzessin hin. Er wollte sich eben nach Bayreuth begeben und um sie anhalten, als er einen Brief von Herrn von Stuterheim erhielt, der ihm alles mitteilte, was ich soeben erzählt habe. Er verzichtete alsbald auf sein Vorhaben und war nur zu froh, zeitig genug von der Sache erfahren zu haben. Die Prinzessin stellte sich mittlerweile recht krank und tat, als ob sie fürchte, die Wassersucht zu haben. Mehrere wohlgesinnte Leute, die die Absichten der Markgräfin sowie die Krankheit ihrer Tochter durchschaut hatten, boten ihre Dienste an, um sie aus dieser Klemme zu ziehen, allein sie folgte den Ratschlägen ihres Liebhabers und wollte nichts eingestehen. Ihre Niederkunft stand nahe bevor. Die Markgräfin fuhr mit ihr nach der Eremitage, während der Markgraf und Wobster in der Umgebung jagten. Die arme Prinzessin wurde hier von Geburtswehen befallen; sie hatte nicht die Kraft, ihre Wehrufe zurückzuhalten. Ihre Mutter eilte herzu, während sie Zwillingsknaben das Leben schenkte, deren Gesichter schwarz wie Tinte waren. Die Markgräfin achtete nicht auf die Bitten und Vorstellungen aller derer, die zugegen waren, sondern nahm die beiden Kinder, lief damit umher und zeigte sie allen, indem sie über die Schamlosigkeit ihrer Tochter in Klagen ausbrach und ihre Niederkunft verkündete. Man schickte alsbald eine Stafette mit der schrecklichen Nachricht an den Markgrafen. Wobster stand neben ihm, als er diesen Brief erhielt, las in seinen Zügen den Inhalt desselben und machte sich eilig davon. Der Markgraf war durch dieses Unglück wie niedergeschmettert, und bevor er sich von seiner Bestürzung wieder erholt hatte, war Wobster schon weit weg. Die Prinzessin wurde ein paar Tage später nach der Plassenburg geschickt. Die Markgräfin hatte mit den Kindern so viel herumhantiert, daß beide starben. Was Wobster anbetraf, so schrieb er einen langen Brief an den Markgrafen, um die versprochenen viertausend Dukaten zu fordern. Dieser Fürst würde sich vielleicht an seiner Frau gerächt haben, hätte ihn nicht der Tod bald darauf ereilt. Als mein Schwiegervater, der Markgraf, zur Regierung gelangte, wollte er die Prinzessin in Freiheit setzen, allein die Königin von Polen widersetzte sich diesem Vorhaben. Da die Gefangene aber nicht mehr so streng bewacht wurde, fanden einige katholische Priester bei ihr Einlaß und versicherten ihr, daß sie auf den mächtigen Schutz der Kaiserin Amalie rechnen dürfe, die sie bald aus der Haft befreien und instand setzen würde, ihrem Range gemäß zu leben, wenn sie zu einer anderen Religion übertreten würde. Sie ließ sich durch diese schönen Vorspiegelungen blenden und schwor im geheimen den lutherischen Glauben ab. Da kurz darauf die Königin von Polen starb und die Prinzessin in Freiheit gesetzt wurde, bekannte sie sich offen zum katholischen Glauben. Kurz bevor ich nach Bayreuth zurückkehrte, wurde sie jedoch von Skrupeln befallen, so daß sie ihrem neuen Glauben abtrünnig wurde und sich von neuem zum Protestantismus bekannte. Der Markgraf, der bei dieser Gelegenheit seinen religiösen Eifer an den Tag legen wollte, lud sie nach Bayreuth ein, wo sie ihrem Range gemäß empfangen wurde und wo der Markgraf sie zu rehabilitieren suchte. Diese Prinzessin hat manche Verdienste; ihr Lebenswandel war tadellos; sie tut unendlich viel Gutes, und ihre schönen Eigenschaften tilgen den Fehltritt, dem sie durch Unglück verfiel.

Die Prinzessin hielt sich in Bayreuth nicht lange auf; sie kehrte einige Tage nach ihrer Ankunft nach Kulmbach zurück, um den Markgrafen und den Erbprinzen zu empfangen, die dort jagen sollten. Da meine Gesundheit mir nicht gestattete ihnen zu folgen, blieb ich in Bayreuth zurück.

Da ich nichts von allem, was mir widerfuhr, übergehen will und diese Memoiren gerne mit allerlei Anekdoten unterbreche, will ich hier eine einschalten, die auf viele Leute großen Eindruck machte, jedoch nicht auf mich, da ich mich infolge reiflichen Nachdenkens von vielen Vorurteilen befreite und mich außerdem ein wenig für eine Philosophin halte.

Die Gemächer des Erbprinzen bestanden aus zwei großen ineinandergehenden Zimmern und einem Nebenkabinett. Diese Zimmer hatten nur zwei Ausgänge; der eine durch mein Schlafzimmer, der andere durch einen kleinen Vorraum, wo sich zwei Schildwachen und ein Diener des Prinzen befanden. In der Nacht vom 7. auf den 8. November hörten die beiden Schildwachen und der Diener lange Zeit hindurch Schritte in dem großen Zimmer, worauf sie Klagen und endlich furchtbare Wehrufe hörten. Wiederholt traten sie ein, um nachzusehen, ohne etwas zu finden, doch kaum waren sie draußen, so fing der Lärm von neuem an. Sechs Schildwachen, die einander in dieser Nacht ablösten, sagten alle dasselbe aus. Auf den Bericht hin, der dem Herrn von Reitzenstein erstattet wurde, forschte man der Sache streng nach, ohne daß irgend etwas entdeckt werden konnte. Man machte mir ein Geheimnis daraus. Einige glaubten, es sei die Weiße Dame gewesen, die meinen Tod ankündete; andere fürchteten, daß dem Erbprinzen ein Leid geschehen würde. Diese Sorge wurde bald verscheucht, denn am 11. November kehrte der Markgraf mit dem Erbprinzen zurück. Aber kaum waren sie eingetroffen, als ein Kurier die traurige Nachricht vom Tode des Prinzen Wilhelm, meines Schwagers, brachte, und das merkwürdigste war, daß der Prinz in jener selben Nacht verschieden, in der der Lärm im Schloß gehört worden war. Er war mit dem Prinzen von Kulmbach von Wien abgereist, um an die Spitze seines Regimentes zu treten, das in Cremona stand. Kaum war er dort angelangt, als er an den Blattern erkrankte, die ihn innerhalb einer Woche dahinrafften. Für die ganze Familie war es ein Glück. Denn dieser ungemein törichte Prinz hätte seinem ganzen Hause viel Schaden zugefügt, wäre er am Leben geblieben.

Der Markgraf nahm die Nachricht mit großer Fassung auf und vergoß nicht eine Träne. Der Erbprinz war untröstlich, und nur mit großer Mühe vermochte man ihn von seinem Kummer abzulenken. Der Prinz von Kulmbach hatte Sorge getragen, daß der Leichnam heimlich nach Bayreuth gelangte. Wir begaben uns mit dem Markgrafen alle nach Himmelkron, um dem Begräbnis nicht beizuwohnen. Die Leiche sollte in der Peterskirche aufgebahrt werden, in der alle Prinzen des Hauses beigesetzt sind. Die Gruft, in der sie liegen, ist vermauert. Man öffnete sie einige Tage vor dem Begräbnis, aber mit grenzenlosem Staunen sahen die, die hinabstiegen, daß die ganze Gruft blutüberströmt war. Die ganze Stadt lief herzu, um das Wunder zu schauen; man wollte schon die schlimmsten Vorbedeutungen hierin erblicken. Es wurde mir ein Tuch gezeigt, das in dieses wunderbare Blut getaucht worden war. Niemand wollte dem Markgrafen davon Bericht erstatten, aus Angst, ihn zu beunruhigen. Ich, die ich nicht sehr an Wunder glaube, erachtete, daß der Markgraf von dem Vorgang benachrichtigt werden müsse; ich ersuchte ihn, sofort Herrn Goerkel, seinen ersten Leibarzt, an Ort und Stelle zu schicken, um den Fall zu untersuchen. Der Markgraf willigte ein; da er aber voraussah, welch panischer Schrecken hierdurch in allen Gemütern entstehen würde, bat er mich, nach der Ursache des Phänomens zu forschen. Goerkel teilte mir am Abend mit, daß die Gruft derartig von Blut überflutet sei, daß er ganze Kübel davon hatte forttragen lassen, und nach genauer Besichtigung habe er gefunden, daß das Blut aus einer kaum merklichen Ritze eines Bleisarges flösse, in welchem eine vor achtzig Jahren verstorbene Prinzessin des Hauses lag; es sei daher am geratensten, diesen Sarg zu öffnen, um sich von der Tatsache zu überzeugen. Der Markgraf gab entsprechende Order, doch konnte man den Sarg nur öffnen, indem man ihn ganz zertrümmerte, wozu man sich nicht entschließen wollte. Es fand sich in Bayreuth kein Chemiker, geschickt genug, um zu ergründen, ob dies Blut sei oder irgendeine andere Flüssigkeit. Einer der Ärzte in der Stadt zog uns endlich aus der Verlegenheit, indem er den Mut hatte, davon zu kosten. Das Wunder war alsbald dahin. Die Flüssigkeit, die diesem Sarge entfloß, war Balsam. Die Prinzessin, die da eingeschlossen lag, war außerordentlich beleibt gewesen. Man hatte sie einbalsamiert, und ihr Fett floß mit dem Balsam zusammen und hatte dies Phänomen hervorgerufen, das die Ärzte dennoch in Anbetracht der langen Zeit, die seit ihrem Tode vergangen war, sehr eigentümlich fanden. Die Beisetzung des Prinzen fand am 3. Dezember statt. Ich hatte meinen beiden Damen, der Grumbkow und der Marwitz, gestattet hinzufahren. Sie kehrten abends zurück.

Tags darauf, als ich allein mit der Marwitz war, fiel mir auf, daß sie zerstreut und verträumt schien, und ich fragte sie nach dem Grunde. Sie fing an zu seufzen und gestand, daß sie sehr traurig sei, mir aber den Grund nicht eingestehe könne. Ich wurde neugierig und drang heftig in sie, mir ihren Kummer anzuvertrauen. »Wollte Gott, ich könnte ihn Ihnen sagen, Prinzessin«, erwiderte sie. »Ich möchte es Ihnen noch lieber sagen, als Sie es erfahren möchten, allein ein feierlicher Schwur schließt mir die Lippen, alles, was ich Ihnen verraten kann, ist, daß es Sie betrifft.« Ihr Ton erschreckte mich. Ich konnte mir nicht denken, was es sei, und suchte es durch alle möglichen Fragen zu erraten. Allein sie schüttelte nur immer den Kopf. Endlich gestand sie mir, daß es den Markgrafen anginge. »Wieso?« fragte ich, »will er etwa heiraten?« Sie nickte. »Aber mein Gott! wen denn?« fragte ich, »und wie kommt es, daß Sie als erste davon wissen? Wenn dem wirklich so ist, können Sie mir nicht den Namen andeuten, ohne ihn zu nennen?« Daraufhin stand sie auf, lief im Zimmer umher, nahm einen Bleistift, mit dem sie etwas an die Wand schrieb, und eilte dann davon. Ich war schon sehr beunruhigt, stand aber wie erstarrt, als ich las, was sie geschrieben hatte. Es war folgendes:

»Ich bin heute morgen bei Tante Flora gewesen (es war der Taufname des Fräuleins von Sonsfeld, und ich will sie hinfort in diesen Memoiren also nennen), und da ich sie zerstreut und nachdenklich sah, fragte ich sie, was denn sei. Sie gab mir zur Antwort, es ginge ihr vieles im Kopf herum, worüber ich sehr verwundert wäre, wenn ich es wüßte. Ich bat sie dringend, es mir zu sagen; »Ich werde Ihnen mein Geheimnis anvertrauen« sagte sie, »doch müssen Sie mir unverbrüchlich schwören, daß Sie Stillschweigen bewahren werden« Ich versprach es ihr. Daraufhin erzahlte sie mir, der Markgraf habe nach unserer Abreise nach Berlin angefangen, ihr den Hof zu machen, und er schätze sie so hoch, daß er entschlossen sei, sie zu heiraten, er wolle sie zur Reichsgräfin machen, damit sie nach ihrer Vermählung in den Fürstenstand erhoben werden könne; er würde in diesem Falle Bayreuth ganz verlassen und sich mit ihr in Himmelkron festsetzen; sie sollte ein ziemlich ansehnliches Kapital erhalten, das er in irgendeinem fremden Lande anlegen wollte und von dem sie später ihr Witwengehalt beziehen sollte, so daß sie vor allen Streitigkeiten, die der Erbprinz gegen sie führen könnte, geschützt wäre. Der Markgraf wolle nur die Beisetzung seines Sohnes abwarten, um Ew. Königlichen Hoheit die Nachricht zur Kenntnis zu bringen. Ich sagte ihr, daß weder Ew. Königliche Hoheit noch der Erbprinz jemals in eine solche Ehe einwilligen würden; der König würde Ihnen mit aller Macht zur Seite stehen; unser ganzes Haus sei auf preußischem Boden ansässig, und der König wäre wohl imstande, uns alle für den Schaden, den sie Ew. Königlichen Hoheit zufügen würde, büßen zu lassen; die Hofmeisterin sähe sich genötigt, den Hof zu verlassen; es würde ein tödlicher Kummer für sie sein, kurz, ich könnte nicht glauben, daß sie sich derartigen Schimären hingeben könne. »Es sind durchaus keine Schimären,« erwiderte meine Tante. »Ich sehe gar nicht ein, warum ich das Glück, das sich mir bietet, nicht ergreifen sollte. Welchen Schaden könnte ich dem Erbprinzen und Ihrer Königlichen Hoheit zufügen? Wenn ich den Markgrafen nicht heirate, so wird es eine andere sein, und im Grunde bedarf der Markgraf ihrer Einwilligung nicht.« »Wenn Sie aber Kinder bekommen?« fragte ich. »Falls ich welche bekäme, ginge ich zugrunde,« sagte sie, »aber ich bin zu alt dazu.« »Bedenken Sie wohl, was Sie tun,« sagte ich, »und nehmen Sie es nicht auf die leichte Schulter. Ich sehe schreckliche Folgen voraus.« »Oh! Sie sind nur ein junges Ding,« sagte die Tante, »Sie geraten über alles in Angst, und ich bedaure sehr, daß ich Ihnen mein Geheimnis anvertraute, aber hüten Sie sich, es jemandem zu sagen; ich will nach Himmelkron fahren und meine Schwester allmählich darauf vorbereiten, denn sie ahnt noch nichts.«

In meinem Leben war ich nicht so überrascht; ich erwog alsbald die ganze Lage. Die Zeit drängte; Fräulein von Sonsfeld sollte am folgenden Tage kommen, und ohne Zweifel würde mir dann der Markgraf seinen schönen Plan unterbreiten. Ich löschte erst die Schriftzüge der Marwitz wieder aus und ließ den Erbprinzen rufen, dem ich alles erzählte. Wir zerbrachen uns beide den Kopf, wie dies verhindert werden könne, und konnten nichts finden.

Die Sache hatte mich sehr angegriffen. Ich stellte mich abends bei der Tafel krank, da ich meine Verwirrung nicht verbergen konnte. Der Erbprinz und ich fanden die ganze Nacht keine Ruhe und gingen nur immer im Zimmer auf und ab. Die Angelegenheit war nach allen Seiten hin von großer Wichtigkeit. Erstens würde es uns nicht zur Ehre gereichen, eine so wenig standesgemäße Stiefmutter zu haben; zweitens konnte sie uns nur den größten Schaden zufügen, das Land vollends ruinieren und uns überdies von neuem mit dem Markgrafen entzweien, drittens würden meine Hofmeisterin, die ich wie eine Mutter liebte und die für mich ins Feuer ginge, und die Marwitz, der ich unendlich zugetan war, gezwungen sein, mich zu verlassen und höchst unglücklich werden, denn der König würde sie nach Berlin zurückrufen und einsperren lassen; viertens würde die Sache auch mir selbst vor aller Welt höchst nachteilig sein; man konnte nur annehmen, daß ich mich habe täuschen lassen; denn alles würde denken, daß meine Hofmeisterin im Einvernehmen mit ihrer Schwester gestanden habe, um mich zu hintergehen. Dies alles stürzte mich in solche Aufregung, daß ich mich am folgenden Tage trotz aller Mühe nicht beherrschen konnte, so daß die Flora mir alsbald anmerkte, daß ich einen schrecklichen Verdruß habe, und aus meiner gezwungenen Haltung ihr gegenüber sofort schloß, daß die Marwitz sie verraten habe. (Wenn man sich selbst etwas vorzuwerfen hat, ist man meistens ängstlich.) Sie bat daher den Markgrafen, mir noch nichts zu sagen, da es noch nicht an der Zeit sei. Nachdem sie dies getan hatte, machte sie der Marwitz die bittersten Vorwürfe über ihre Indiskretion; diese aber wußte sie so wohl zu beruhigen, daß sie ihr noch mehr Geheimnisse entlockte. Die Flora sprach mit großer Genugtuung von ihrem zukünftigen Rang. »Ich werde«, sagte sie, »in meiner Eigenschaft als Stiefmutter den Vortritt vor Ihrer Königlichen Hoheit behaupten können, und der Markgraf sagte mir, daß er ihn mir auch unbedingt zuerkennen werde, ich werde jedoch nie vergessen, was ich der Erbprinzessin schuldig bin, und mich ihr vielmehr in jeder Weise gefällig zeigen. Ich will noch einige Zeit warten, bevor ich ihr dies alles sage. Ich werde sie für mich zu gewinnen suchen, ebenso der Markgraf, und wir wollen ihr so lange schön tun, bis sie ganz auf unserer Seite steht.«

Die Marwitz hinterbrachte mir dies alles sofort. Nachdem ich lange hin und her überlegt hatte, entschloß ich mich, meine Hofmeisterin in Kenntnis zu setzen. Doch um die Marwitz nicht zu kompromittieren, gab ich vor, einen anonymen Brief erhalten zu haben, der mich über die ganze hübsche Geschichte in Kenntnis setzte. Die Sonsfeld schwur erst hoch und teuer, es sei nur eine Erfindung von seiten ihrer Feinde, um sie und ihre ganze Familie ins Verderben zu stürzen. Aber auf die starken Beweise hin, die ich ihr für die Wahrscheinlichkeit dieser Aussage entgegenhielt, wurde sie allmählich ruhiger. Ich gab ihr die häufigen Besuche des Markgrafen bei ihrer Schwester und alle Rücksichten und Aufmerksamkeiten zu bedenken, die er für sie an den Tag legte, sowie tausend kleine Einzelheiten, die ich bisher nicht beachtet hatte, die aber bei näherer Betrachtung auffällig waren. Meine Hofmeisterin erhob die Augen und die Hände gen Himmel und brach in Tränen aus. Ihrem ersten Impulse folgend, wollte sie dem Markgrafen die Leviten lesen und ihre Schwester mit wegnehmen. Mit alledem war ich nicht einverstanden. Ich beharrte so lange darauf, daß man diese Intrige durch Sanftmut und durch Mahnungen an ihre Schwester vereiteln müsse, bis sie endlich einwilligte. Die Flora kam noch mehrmals nach Himmelkron. Die Hofmeisterin konnte nicht umhin, sie wegen ihrer langen Unterredungen mit dem Markgrafen aufzuziehen und bissige Bemerkungen zu machen, aber ich ermahnte sie zur Ruhe, und so beherrschte sie sich noch und schwieg.

Wir kehrten am 20. Dezember endlich in die Stadt zurück. Dort nun geschah es, daß sie ihren Zorn nicht länger bemeistern konnte und grimmige Saiten ihrer Schwester gegenüber aufzog. Sie sagte ihr, daß ich von allen ihren Ränken wisse. Die Flora war eine sehr beschränkte Person. Die Hofmeisterin, die viel älter war und für ihre Erziehung Sorge getragen hatte, flößte ihr immer noch eine gewisse Furcht ein. Das arme Ding ließ sich einschüchtern und gestand ihr alles, was ich hier erzählt habe. Flora zeigte ihr sogar Briefe des Markgrafen, worin er ihr alle Pläne unterbreitete, die er gefaßt hatte, um sie sicherzustellen, falls sie Witwe werden sollte, und diese Briefe waren voll der verlockendsten Verheißungen. Die Hofmeisterin las sie und sagte ihr dann, sie müsse auf der Stelle mit ihr kommen, um mir diese Briefe zu bringen und in meiner Gegenwart an den Markgrafen zu schreiben, daß sie ein für alle mal mit ihm breche. Andernfalls würde die Hofmeisterin sogleich abreisen; und falls Flora sich weigere, ihr zu folgen, würde sie schon Mittel und Wege finden, sie von Bayreuth wegzubringen. Vor dem strengen Ton des Fräuleins von Sonsfeld wurde ihr bange. Sie kam zu mir. Nachdem sie mir ihren ganzen Roman erzählt hatte, wollte sie mir weismachen, daß sie nie daran gedacht habe, die Anträge des Markgrafen anzunehmen. Ich tat, als glaubte ich ihr. Sie zeigte mir seine Briefe. Ich sprach ihr sanft und freundlich zu, ohne ihr jedoch zu verhehlen, daß ich mich zu dieser Heirat niemals verstehen würde. Der Erbprinz versprach ihr, sein Lebtag lang für sie Sorge zu tragen, sagte ihr aber außerdem ungefähr dieselben Dinge wie ich. »Zur Fürstin«, sagte ich, »werden Sie nie; Sie können es nur durch den Kaiser werden, und dieser wird aus Rücksicht auf meinen Vater nie in etwas einwilligen, was diesen so stark verdrießen würden; und Sie tragen, wie ich glaube, das Herz zu sehr am rechten Fleck, um eine morganatische Ehe eingehen zu wollen. Sie sehen also, wie unmöglich die ganze Sache ist.« Daraufhin versprach sie mir, dem Markgrafen so energisch zu schreiben, daß er sich des Gedankens vollkommen entschlagen würde; da sie aber infolge ihres Einflusses auf ihn sich uns nützlich zeigen könne, wolle sie vorsichtig mit ihm verfahren und ihn noch einige Zeit am Gängelbande führen, um uns Dienste zu erweisen. Sie hielt Wort, und ich war herzlich froh, diese peinliche Geschichte so glücklich beseitigt zu haben. Ich muß hier doch eine Schilderung von ihr entwerfen. Flora von Sonsfeld ist nur fünf Fuß hoch; sie ist außerordentlich dick und hinkt am linken Fuße. Sie war in ihrer Jugend eine große Schönheit gewesen; aber die Blattern hatten ihre Züge zu sehr entstellt, als daß sie noch für schön gelten konnte. Trotzdem ist ihr Gesicht sehr einnehmend, und ihre Augen sind so geistreich, daß man sich davon blenden läßt; ihr Kopf ist zu groß für ihren kleinen Körper und gibt ihr ein zwerghaftes Aussehen, aber doch nicht so, daß es auffallt; ihr Wesen ist angenehm, ihre Manieren und ihre Haltung zeigen, daß sie in der großen Welt verkehrt hat; sie hat das beste Herz und ist sanft und gefällig, mit einem Wort: es läßt sich nichts wider ihren Charakter sagen. Ihr Lebenswandel war stets tadellos, aber der Himmel hatte sie nicht mit reichen Geistesgaben ausgestattet; eine gewisse Weltgewandtheit, die sie sich zu eigen gemacht hat, läßt diesen Mangel nicht sogleich hervortreten, man wurde desselben erst im näheren Verkehr gewahr; die Vorteile, die ihr der Markgraf in Aussicht gestellt hatte, waren ihr zu Kopf gestiegen; ihre Eigenliebe und ihre Ehrsucht hatten sie verleitet, und ihre Beschränktheit hatte bewirkt, daß sie die Folgen übersah.

Für den Markgrafen war der Anfang des Jahres 1734 recht traurig, da er seine Hoffnungen vereitelt sah. Er vergoß reichlich Tränen, wie mir die Flora erzählte, als er ihren bewußten Brief erhielt. Dann aber tröstete er sich mit dem Gedanken, sie am Ende doch noch umzustimmen.

Mein Gesundheitszustand blieb stets derselbe. Ich hatte zwar nicht mehr fortwährend Fieber, doch kehrte es jeden Abend zurück. Trotzdem sah ich viele Menschen; aber ich langweilte mich sehr und war außerdem stets melancholisch, obwohl ich mich so sehr bezwang, daß nur meine nächste Umgebung es bemerkte. Diese Melancholie kam teils von meiner Krankheit, teils rührte sie von all dem Kummer her, den ich ln Berlin erfahren hatte, so daß ich sehr verträumt und nachdenklich geworden war.

Da infolge des Ablebens des Prinzen Wilhelm dessen kaiserliches Regiment ohne Führer geblieben war, riet man dem Markgrafen, es für seinen Sohn zu beanspruchen. Dieses Regiment war durch den Markgrafen Georg Wilhelm gebildet worden unter der Bedingung, daß es dem Hause vorbehalten bleiben würde. Der Markgraf trug mir auf, in dieser Angelegenheit an die Kaiserin zu schreiben. Ihre Antwort war sehr entgegenkommend, und meine Bitte fand Gewährung. Der Erbprinz war hierüber hocherfreut, er liebte nichts leidenschaftlicher als das Militär.

Es war gerade die Zeit des Karnevals. Die Marwitz, die mich immer zu zerstreuen suchte, machte mir den Vorschlag, eine »Wirtschaft« zu veranstalten. Der Erbprinz, der sich auch gern vergnügte, riet mir, auch den Markgrafen hierzu zu bewegen. Die Sache war nicht so leicht. Der Markgraf liebte derlei Dinge nicht, er machte sich Skrupel daraus, und sein Kaplan, ein Pietist vom reinsten Wasser, bestärkte ihn darin. Die Flora, mit der wir darüber verhandelten, versprach uns, es zuwege zu bringen. In der Tat wußte sie den Markgrafen so sehr zu beeinflussen, daß er mir vorschlug, dieses Fest zu veranstalten. Ich willigte sofort ein. Er bat mich, es ganz nach meinem Belieben zu gestalten, vorausgesetzt, daß er sich nicht zu maskieren brauche. Diese Art von Unterhaltung kennt man nur in Deutschland. Man stellt einen Wirt und eine Wirtin auf, die andern Kostüme sind die aller Gewerbe und Berufe, die es auf der Welt gibt. Man setzt bei solchen Festen keine Masken auf, und dies war der Grund, warum es die Marwitz vorgeschlagen hatte, sie wußte wohl, daß es vergeblich gewesen wäre, einen Maskenball zu beantragen. Der Markgraf würde ihn nie geduldet haben.

Ich ließ den ganzen Saal, der außerordentlich groß ist, in einen Wald umwandeln, an dessen Ende man ein Dorf mit einer Wirtschaft erblickte. Sie trug als Schild die Worte »Die Wirtin ohne Kopf« und war ganz aus Baumrinden hergestellt, während das Dach mit Lampions bedeckt wurde. Sie enthielt einen Tisch mit hundert Gedecken, dessen Mitte ein Blumenbeet mit mehreren Springbrunnen darstellte. Die Bauernhäuser waren kleine Erfrischungsläden. Der Ball fing nach dem Souper an. Jedermann war von dem Feste entzückt und unterhielt sich sehr gut. Nur mir war Langeweile beschieden; denn der Markgraf moralisierte während des ganzen Abends und fiel mir so zur Last, daß ich mit niemandem reden konnte, obwohl viele Fremde zugegen waren, mit denen ich gern gesprochen hätte.

Am folgenden Sonntag predigte der Hauskaplan des Markgrafen öffentlich gegen dieses Kostümfest. Er fuhr uns angesichts der ganzen Gemeinde an, und obwohl er dabei den Markgrafen verschonte, machte er ihm privatim so bittere Vorwürfe, sich bei einem sündhaften Unternehmen beteiligt zu haben, daß der arme Markgraf sich für ewig verdammt hielt. Er versprach diesem Geistlichen hoch und teuer, nie wieder derartige Vergnügungen in seinem Lande zu dulden, so daß er endlich die Absolution erhielt. Aber dies genügte dem Kaplan nicht, er wollte auch den Erbprinzen veranlassen, solchen Freuden abzuschwören. Dieser wußte sich dem Versprechen zu entziehen, was dem Markgrafen sehr mißfiel. Sein Aberglaube wurde kurz darauf durch einen Vorfall so verstärkt, daß wir bald wie Trappisten gelebt hätten, wenn der Erbprinz nicht hinter den Schwindel gekommen wäre.

Seit dem Tode des Prinzen Wilhelm hatte sich ein panischer Schrecken aller Gemüter bemächtigt. Jeden Tag wurden neue Geistergeschichten berichtet, die sich angeblich im Schlosse zugetragen hatten, wobei eine lächerlicher als die andere war. Die Sorge um mein Wohl ließ einen solchen Geist in Fleisch und Blut zu meinen Gunsten auftreten. Man glaubt immer, was man wünscht. Es ging ein Gerücht, daß ich guter Hoffnung sei. Da ich wußte, daß dem nicht so war, hatte ich teils zur Unterhaltung, teils weil die Ärzte mir viel Bewegung anempfohlen hatten, angefangen zu reiten. Der Markgraf hatte mir ein schwarzes, sehr gefügiges Pferd geschenkt, und da ich sehr schwach war, ritt ich höchstens eine Viertelstunde lang. Alles, was neu ist, wird übel aufgenommen. Diese Mode war in England und Frankreich sehr verbreitet, in Deutschland aber noch unbekannt. Alles zeterte darüber, und es wurde der Anlaß zu einer neuen Geistergeschichte. Man meldete bald darauf dem Marschall von Reitzenstein, daß ein furchtbares Gespenst jeden Abend die Gänge des Schlosses durchzöge und mit schrecklicher Stimme die erstaunlichen Worte riefe: »Saget der Prinzessin, daß ihr großes Unheil droht, falls sie fortfährt, auf dem schwarzen Pferde zu reiten, und sie soll sich hüten, ihr Zimmer innerhalb der nächsten sechs Wochen zu verlassen.« Herr von Reitzenstein, der sehr abergläubisch war, machte dem Markgrafen sofort Meldung von dieser Erscheinung, worauf mir strengstens untersagt wurde, das Schloß zu verlassen und zur Reitbahn zu gehen.

Dies verdroß mich sehr, besonders weil es aus einem so albernen Grunde geschah. Ich versicherte dem Markgrafen, dies alles sei nur ein abgekartetes Spiel. Der Erbprinz vertraute sogar dem Markgrafen die Vermutungen an, die er bezüglich dieses Falles hegte, und bestürmte ihn so lange, bis dieser ihm gestattete, der Sache auf den Grund zu gehen. Der Prinz stellte an allen Zugängen, durch die das Gespenst kommen konnte, seine Leute auf; aber es war so gut unterrichtet, daß es an solchen Tagen nicht zum Vorschein kam. Der Prinz versprach zuletzt derjenigen, die zuerst den Geist gesehen hatte, eine große Belohnung, falls sie ihn zu stellen vermöchte. Die arme Frau nahm eine Blendlaterne und fand gerade nur Zeit, das Gespenst zu erblicken; es hatte seine Vorkehrungen sorglich getroffen und streute ihr ein Pulver ins Auge, das sie ihrer Sehkraft beraubte. Sie sagte aus, es habe zwei Nußschalen vor den Augen gehabt und das Gesicht sei ganz von einer grauen Leinwand umhüllt gewesen, so daß sie es nicht erkennen konnte. Diese Entdeckung änderte nichts an der Bigotterie des Markgrafen oder, besser gesagt, seiner üblen Laune. Da sie gegen uns gerichtet war, hielt es der Erbprinz für geraten, uns allen Streitigkeiten zu entziehen, indem wir uns entfernten. Wir schuldeten dem Markgrafen von Ansbach schon lange einen Besuch, wählten also diesen kritischen Zeitpunkt, um ihn auszuführen, und reisten am 21. Januar ab.

Die Prophezeihung des Gespenstes sollte nahezu in Erfüllung gehen. Als wir an einem sehr tiefen Abgrund entlangfuhren, verschob sich eines der Vorderräder des Wagens, und wir wären abgestürzt, hätten meine Heiducken den Wagen nicht bei den Hinterrädern zurückgehalten. Der Markgraf, die Markgräfin und meine Hofmeisterin konnten nur mit Mühe herausgelangen, da der Schlag wegen eines vorspringenden Felsens nicht ganz geöffnet werden konnte. Meine Leute, die glaubten, daß wir alle aus dem Wagen heraus seien, ließen die Räder los. Die Angst verlieh mir Kraft und Behendigkeit; ich sprang mit einem Satze heraus, aber beide Füße glitten mir aus, und ich fiel unter den Wagen, als er eben zu rollen anfing. Die Marwitz und ein preußischer Offizier, die uns gefolgt waren, packten mich bei meinem Kleide und zogen mich zurück, sonst wäre ich überfahren worden. Da ich sehr erschrocken war, gab man mir etwas Wein zu trinken, um mich zu stärken, worauf wir unsere Fahrt fortsetzten.

Das Tauwetter hatte erst seit der vorigen Nacht eingesetzt. Die Sonne fing an, den Schatten zu weichen, um im Romanstile zu reden, als wir über einen Fluß setzen mußten. Er war zugefroren; aber kaum fuhren wir auf das Eis, so brach es, und der Wagen legte sich halb umgestürzt auf die Seite. Wir mußten mittels Balken und mit großer Vorsicht herausgezogen werden, sonst wären wir ertrunken.

Wir kamen endlich nach Baiersdorf, wo ich mich alsbald zu Bett legte; denn ich war halbtot vor Müdigkeit und all dem Schreck, den ich gehabt hatte. Tags darauf begaben wir uns nach Ansbach. Ich wurde dort wie das erstemal empfangen, und da ich diesen Hof schon beschrieb, will ich nicht länger bei seiner Schilderung verweilen. Ich reiste am 8. Februar wieder ab und war am nächsten Tage wieder in Bayreuth.

Dort harrten unser neue Mißgeschicke. Zur Zeit meiner Verheiratung hatte der König einen Vertrag mit dem Markgrafen geschlossen, demzufolge dieser Rekrutenaushebungen für drei preußische Regimenter gestattete: für das meines Bruders, das des Erbprinzen und das des Fürsten von Anhalt. Herr von Münchow, der Hauptmann des Bayreuther Regimentes, hatte dort für die Rekrutierungen Sorge zu tragen. Dieser junge Mann stand bei meinem Bruder sehr in Gnaden und war der Sohn jenes Präsidenten Münchow, der ihm während seiner Gefangenschaft so viele Dienste erwiesen hatte. Mein Bruder hatte ihn dem Erbprinzen lebhaft anempfohlen. Er war ein guter Mensch, der aber das Pulver nicht erfunden hatte. Er kam uns in Streitberg, wo wir speisen sollten, entgegen und meldete alsbald dem Erbprinzen, daß er einen sechs Fuß hohen Mann eingefangen habe, der aus Bamberg sei und eben in ein anderes Regiment habe eintreten wollen, weshalb er ihn mit Gewalt in der Nähe von Bayreuth habe fassen lassen, und zwar so heimlich, daß niemand etwas davon erfahren habe; er sei schon nach Pasewalk unterwegs. Er fügte hinzu, es sei ein Mensch ohne jegliche Stellung, so daß man wohl kein Aufhebens von der Sache machen würde.

Der Erbprinz teilte mir diesen schönen Streich Münchows mit und ahnte die üblen Folgen voraus. Er verhehlte es auch vor Münchow nicht; dieser aber berief sich so sehr auf alle Vorsichtsmaßregeln, die er dabei getroffen hatte, daß wir hofften, es würde vielleicht nicht herauskommen. Der Markgraf empfing uns aufs beste, woraus wir schlossen, daß er nichts wisse. Er fuhr sogar am Abend des 12. Februar nach Himmelkron.

Wir dachten gar nicht mehr an die ganze Geschichte, als Herr von Voigt uns um Mitternacht wecken ließ und dringend mit uns zu sprechen verlangte. Er meldete uns, daß Herr Lauterbach, ein Geheimer Rat, der aber nicht von vornehmem Hause war, ihn zur Nachtzeit aufgesucht und gebeten habe, uns zu benachrichtigen, daß er von Himmelkron käme, wo er den Markgrafen in einem geradezu beispiellosen Zorn angetroffen habe; er wisse von dem Gewaltakt Münchows, habe auch seinen Sohn dabei in Verdacht und wolle vor aller Welt Rache an ihm üben; er würde morgen in die Stadt zurückkommen, und wir täten gut, uns vorzusehen, denn für den Erbprinzen sei das Schlimmste zu befürchten.

Wir waren in der größten Bestürzung und wußten uns keinen Rat, soviel wir auch nachdachten; denn es gab keinen andern Ausweg für den Erbprinzen, als sich zu unterwerfen. Wenn dies aber nichts half, so war alles verloren. So verbrachten wir denn eine schreckliche Nacht. Sobald es tagte, ließ ich die Hofmeisterin rufen. Wir berieten uns wieder ganz ergebnislos. Endlich sprach ich mit der Flora. Sie versprach mir, alles aufzubieten, um diese schlimme Geschichte zu einem guten Ende zu führen, versprach sich aber nicht viel, da man um den Markgrafen so wenig bemüht sei, daß man es ihm nicht verargen könnte, wenn er uns Gleiches mit Gleichem vergölte. Ich ersuchte sie, mir dieses Rätsel zu erklären, da ich mir nicht bewußt sei, worin der Erbprinz und ich dem Markgrafen gegenüber gefehlt hätten. Sie zuckte die Achseln, ohne mir zu antworten. Ich wußte sehr wohl, was sie meinte, tat aber nicht dergleichen, und da ich auf einer deutlichen Antwort bestand, wußte sie nicht recht, was sie sagen sollte, und erwiderte endlich, daß ich den Markgrafen nur zum Narren hielte und ihn wie einen bornierten Menschen behandelte, mit dem sich nicht reden ließe. »Wenn ich von ihm sagte, daß er borniert sei, so habe ich nur die Wahrheit gesagt,« gab ich ihr zur Antwort; »doch habe ich solche Dinge nur vor Leuten behauptet, deren ich ganz sicher war und die ich keines Mißbrauchs für fähig hielt, wie Sie und Ihre Schwester. Ich gebe gern zu, daß er Grund zur Unzufriedenheit hat, denn ich habe Münchows Handlungsweise getadelt, sobald ich diese schöne Geschichte erfuhr; und selbst wenn er seinen Sohn etwas hart darob anließe, würde ich ihn nicht tadeln, sofern er sich jeglicher Ausschreitungen enthielte, denn in diesem Falle würde er sich ins Unrecht setzen.«

Den ganzen Nachmittag verbrachte ich in größter Angst. Ich kannte die Heftigkeit des Markgrafen und wußte, daß er im Zorn zu allem fähig war. Er kam um fünf Uhr endlich an. Der Erbprinz empfing ihn wie gewöhnlich an der Treppe und begleitete ihn in seine Gemächer. Der Markgraf zeigte sich äußerst herzlich und unterhielt sich eine gute Stunde lang mit ihm, worauf er ihm sagte, er hätte einiges zu tun und würde mich in kurzem aufsuchen.

Der Erbprinz kam triumphierend zurück. Er pries seinen Vater in Gegenwart der Flora und sagte, daß er niemals die Mäßigung, die sein Vater an den Tag gelegt habe, vergessen würde; obwohl er sich ja unschuldig fühle und keinen Teil an dem Mißgriff trage, habe der Markgraf ihn durch seine Güte geradezu beschämt. Aber er änderte gar bald seine Sprache, denn einen Augenblick später brachte man ihm die Meldung, Herr von Münchow sei mit zwei Unteroffizieren seines Regiments verhaftet worden.

Es war noch nicht lange her, daß die Holländer einen preußischen Offizier erschießen ließen, der auf ihrem Gebiet Aushebungen vornehmen wollte, und der Markgraf hatte ihre Handlungsweise durchaus gebilligt. Ich zweifelte nicht, daß er Münchow dasselbe Los bereiten würde. Mir war schrecklich bange; denn ich sah die schlimmsten Folgen voraus und überlegte schon, wie man ihn retten könnte, als der Markgraf eintrat. Er war äußerst liebenswürdig. Ich fühlte mich sehr erregt; aber da wir eben zu Tische gingen, sprach ich von nichts. Nach der Tafel ging ich aber auf ihn zu und sagte: »Eure Durchlaucht haben Grund, über das Verfahren Münchows entrüstet zu sein; seine Handlung ist in der Tat nicht zu entschuldigen, und Eure Durchlaucht zürnen ihm mit Recht; der Erbprinz hat ihn scharf gerügt und verwirft seine Handlungsweise ebenso wie ich; da seine Hast mir jedoch von seiten des Königs, der sich die Sache sehr zu Herzen nehmen wird, viel Verdruß zuziehen könnte, möchte ich Eure Durchlaucht dringend bitten, ihn mir zuliebe in Freiheit zu setzen; es ist die erste Gnade, die ich mir ausbitte, und ich hoffe zuversichtlich, Sie werden sie mir nicht abschlagen.« Er hörte mich mit großem Gleichmut an, dann sagte er im Herrschertone: »Eure Königliche Hoheit bitten mich immer um Gnaden, die ich nicht gewähren kann; es handelt sich hier um eine grauenhafte Tatsache; der Mann, der auf solche Weise entführt wurde, ist ein katholischer Priester. Man hat ihn gefesselt und auf die grausamste Weise behandelt, und dies sozusagen in meiner Gegenwart; außer den Händeln, die ich nun mit dem Bischof von Bamberg haben werde, kann ich nicht dulden, daß man der Autorität, die mir von Gottes Gnaden zusteht, in solcher Weise Hohn spricht; solange ich lebe, werde ich derartige Ausschreitungen in meinen Lande nicht dulden, und falls mein Sohn sich daran beteiligte, wollte ich, er wäre nie geboren oder in seiner Wiege umgekommen; ich bin hier der Herr und werde mich allen, die meiner Autorität zuwiderhandeln, als solcher zeigen.« »Niemand zweifelt daran,« sagte ich, »und ich wäre trostlos, wenn Eure Durchlaucht denken könnten, der Erbprinz sei bei der Sache beteiligt gewesen.« »Ich glaube es auch nicht, Prinzessin, aber mein Sohn hätte dennoch besser getan, mich davon in Kenntnis zu setzen; aber ich nehme an, daß Münchow sie ihm nicht so berichtet hat.« »Das ist wahr,« sagte ich, »aber dürfte ich noch etwas vorbringen?« »Was immer Sie wollen, Prinzessin.« »Nun denn,« sagte ich, »Eure Durchlaucht mögen doch statt der Strenge Milde walten und es bei der Verhaftung Münchows genügen lassen und Befehl geben, daß er morgen in Freiheit gesetzt werde; der Erbprinz wird ihn dann sogleich wegschicken; er ist ein Günstling meines Bruders, der ihm wie seiner ganzen Familie gegenüber große Verpflichtungen hat, und er wird es Eurer Durchlaucht sehr Dank wissen, falls er aus Rücksicht für die ihm geleisteten Dienste begnadigt wird.« »Ich beschwöre Eure Königliche Hoheit, die Sache nicht länger zu erörtern; ich weiß, was ich zu tun habe, und wünsche Ihnen einen guten Abend.« Damit ließ er mich ganz verdutzt stehen und ging hinaus. Der Erbprinz fand mich von der hübschen Unterredung noch ganz aufgeregt. Wir glaubten beide, Grund zu ernster Besorgnis zu haben. Der Erbprinz war furchtbar gegen seinen Vater aufgebracht, und ich war es nicht minder. Der Markgraf durfte mit Recht beklagen, daß man es an der schuldigen Achtung ihm gegenüber hatte fehlen lassen; aber er hätte es anders anstellen, mit seinem Sohne darüber reden sollen, den Offizier in Haft nehmen, ihn auf meine Bitte wieder freilassen sollen; die Hinterlist jedoch, mit der er zu Werke ging, war unverzeihlich und zeigte nur zu sehr, wie er uns im Herzen gesinnt war. Münchow wurde regelrecht verhört. Er leugnete, daß er den Mann habe mißhandeln lassen, und beteuerte, er habe nicht gewußt, welches Standes er sei, da er nicht als Priester gekleidet war. Man vernahm ihn zweimal am selben Tage, doch ohne etwas anderes herauszubringen. Die Flora hatte indessen beim Markgrafen nichts erreicht. Nun stellte ich mich krank und legte mich zu Bett. Man tat alles mögliche, ihn zu erweichen, und sagte ihm, daß ich vor Kummer erkrankt sei; er lachte nur darüber.

Bisher hatte ich in Güte ein versöhnliches Ende herbeizuführen gesucht; da aber Münchow den Erbprinzen wissen ließ, daß man seine Wache verstärkt habe und ihn wie einen Verbrecher behandle, dessen Urteil bevorstehe, hielt ich den Zeitpunkt für gekommen, ihn auf andere Welse aus dieser mißlichen Lage zu ziehen. Ich ließ den ersten Minister, Baron Stein, zu mir bitten. Ich stellte ihm die schlimmen Folgen vor, die das Vorgehen des Markgrafen nach sich ziehen könnte, falls er zu hart wider Münchow verführe, kurz, ich brachte ihm eine solche Angst vor dem König bei, daß er mir versprach, sich mit allen Kräften in meinem Sinne beim Markgrafen zu verwenden. Er eilte ganz bestürzt zum Markgrafen hin und wußte ihn so sehr einzuschüchtern, daß er Münchow auf der Stelle in Freiheit setzen ließ. Er trug dem Baron Stein auf, mir zu sagen, daß er nicht auf Münchows Abreise bestünde, ihm vielmehr Höflichkeiten erweisen wolle, und mich dringend bitte, diese Angelegenheit beim König zu schlichten. Ich ließ ihm für diese rücksichtsvolle Bewilligung meiner Bitte meinen Dank aussprechen und ihm sagen, daß der Erbprinz Herrn von Münchow sogleich in sein Regiment zurückschicken würde, weil er einen Mann, der das Unglück hatte, seinem Vater Grund zur Klage zu geben, nicht in seiner Umgebung behalten wolle; ich würde dem König ausführlichen Bericht erstatten und sei außer Zweifel, daß die Sache bald vergessen sein würde. Er war über mein Benehmen hoch erfreut. Münchow nahm Abschied von ihm, und der Friede war wiederhergestellt. Der Erbprinz erwirkte sogar beim König die Auslieferung des Priesters, so daß der Markgraf alle Genugtuung fand, die er nur wünschen konnte.

Kaum hatte ich aufgeatmet und mich wieder beruhigt, als mich ein Brief des Königs mit neuen Sorgen erfüllte. Er schrieb mir, daß er den Feldzug am Rhein mitzumachen gedenke, da er vertragsmäßig dem Kaiser zehntausend Mann zu stellen habe, und daß er auf die Beteiligung des Erbprinzen an dieser Kampagne rechne; ich solle mit dem Markgrafen darüber sprechen und seine Einwilligung erwirken. Der Erbprinz wünschte es mit Leidenschaft; und da er sich vom König unterstützt sah, hoffte er, seinen Vater dazu bereden zu können. Ich aber war ganz dagegen. Ich kannte den Erbprinzen: er war in militärischen Dingen von maßlosem Ehrgeiz und hing ihnen mit Leidenschaft an; und er war rasch und feurig. Ich mußte daher befürchten, daß er sich zu sehr aussetzen und ihm etwas zustoßen würde. Nichts war mir teurer auf Erden als er; wir waren ein Herz und eine Seele; wir hielten einander nichts geheim, und ich glaube, nie schlugen zwei Herzen so innig vereint wie die unfern. Ich sah mich genötigt, den Brief des Königs dem Markgrafen zu zeigen. Allerdings hinterging ich den Erbprinzen dabei. Es gelang mir, vorher mit dem Minister zu sprechen und ihn zu veranlassen, daß das Ministerium sich weigere, den Prinzen ziehen zu lassen. Ich erreichte es ohne Mühe, er war seit dem Tod seines Bruders der einzige Sohn des Markgrafen. Der Plan des Königs wurde daher einstimmig verworfen, und man versprach mir, den Markgrafen zur Verweigerung dieses schönen Projektes zu bestimmen. Nachdem ich meine Karten also zurechtgelegt hatte, sprach ich mit dem Markgrafen. Er schien mir verlegen und sagte, er wolle sich die Sache überlegen. Der Erbprinz setzte inzwischen alle Hebel in Bewegung, um seinen Vater zur Einwilligung zu bringen, aber niemand wollte ihm dabei zur Seite stehen, so daß der Markgraf selbst an den König schrieb, er würde nie dulden, daß sein Sohn den Feldzug mitmache, alle Hoffnungen des Landes seien auf diesen Sohn gegründet, und sein ganzes Land widersetze sich seinem Weggange. Diese Antwort brachte den König auf eine Weile zum Schweigen und gab mir die Ruhe zurück.

Ich habe von meiner Schwägerin, der Prinzessin Charlotte, nicht mehr gesprochen. Sie war ganz aus dem Häuschen. Hypochondrische Zufälle arteten nicht selten in Wutausbrüche aus. Zu solchen Zeiten mußte der Markgraf sie schlagen; es wurde ihrer sonst niemand Herr. Die Ärzte glaubten, diese Zustände hätten ihre Ursache in einem zu liebebedürftigen Temperament, und die einzige Heilung läge in einer Heirat. Sie täuschten sich nicht: gewisse Einzelheiten, auf die ich hier nicht näher eingehen kann, bewiesen die Richtigkeit dieser Vermutung. Morgens und abends ließ man sie erscheinen, und die übrige Zeit wurde sie streng bewacht. Wenn sie einen Mann sah, so lachte und winkte sie ihm zu. Man suchte es immer so zu wenden, daß man ihr eine Dame gegenübersetzte, damit sie sich nicht vergaß.

Der Herzog von Weimar hatte schon lange ein Auge auf sie geworfen. Er ist einer der mächtigsten Fürsten des sächsischen Hauses, der aber auf seine Art für einen ebenso großen Narren galt, wie die Prinzessin auf die ihre, so daß sie ausgezeichnet zusammenpaßten. Er wandte sich an Herrn von Dobeneck, um das Bild meiner Schwägerin zu erlangen. Obwohl es höchst unvorteilhaft war, zeigte sich der Prinz sehr entzückt darüber. Er ließ dem Markgrafen in aller Form einen Antrag machen, doch unter der Bedingung, nichts davon verlauten zu lassen, bevor er nach Bayreuth gekommen sein würde. Der Markgraf sagte gleich zu, wie sich leicht denken läßt, und man bereitete sich in aller Stille auf die Hochzeit vor.

Die Prinzessin Wilhelmine hatte auch vor einigen Monaten ihren ostfriesischen Prinzen geheiratet, da sie sich nicht entschließen konnte, nach Dänemark zu gehen.

Ich kehre zum Herzog von Weimar zurück. Er erschien wie Nikodemus in der Nacht, denn er ließ seine Ankunft nur einige Stunden vorher bekanntgeben. Der Herzog von Koburg sagte sich um dieselbe Zeit an, was uns sehr verdroß; denn er war der mutmaßliche Erbe des ganzen weimarischen Landes, falls dessen Herzog ohne männliche Nachkommen stürbe. Da der Herzog von Koburg keine Söhne hatte, dachten wir, er sei eigens gekommen, um diese Heirat zu hintertreiben. Der Markgraf, der weder die Welt noch fremde Gäste liebte, bat mich, die Honneurs zu machen, und befahl dem ganzen Hofstaat, meine Befehle auszuführen. Die beiden Fürsten wurden mir also sogleich vorgestellt.

Der Herzog von Weimar ist klein und mager. Er führte sich mit großer Gewandtheit bei mir ein, und ich konnte am ersten Tage nichts Närrisches an ihm finden. Er sah immer wieder die Prinzessin an, die schön wie ein Engel war und die ich aufs beste hatte schmücken lassen. Der Herzog von Koburg ist groß, von sehr schönem Wuchse und höchst einnehmenden Gesichtszügen. Er ist sehr höflich, sieht die Dinge, wie sie sind, und verdient wegen seines vortrefflichen Charakters die größte Anerkennung.

Am nächsten Tag fing der Herzog von Weimar schon an, sich in seiner wahren Natur zu zeigen. Er hielt mich zwei Stunden hindurch mit den gröbsten Lügen hin, die er unmöglich hätte vorbringen können, wäre er nicht beim Teufel in die Lehre gegangen. Der Tag verging, ohne daß er den Markgrafen etwas wissen ließ, worüber dieser sehr besorgt war und mich beschwor, diese Heirat zustande zu bringen. »Ich will mich vor dem Herzog nicht kompromittieren,« sagte er; »nur Ew. Königliche Hoheit können die Sache zum Ende führen; es wäre mir furchtbar, wenn sie scheiterte; meinem Hause geschähe hiermit ein Schimpf, der die übelsten Folgen nach sich zöge.«

Ich tat nach seinen Wunsch, wußte mir aber keinen Rat, wie ich den Herzog zu einer Erklärung bringen könnte. Der Herzog von Koburg zog mich aus der Verlegenheit. Er ließ mich und den Erbprinzen um eine geheime Audienz ersuchen. Er habe wohl bemerkt, sagte er mir, daß wir einen Argwohn auf ihn hätten, weil er als Erbe des Herzogs von Weimar in Betracht käme; er sei eigens gekommen, um sich bei uns zu rechtfertigen, und nur deshalb nach Bayreuth geeilt, damit diese Heirat zustande käme. Dieser Herzog habe die unglaublichsten Schrullen und kein Hirn im Kopfe; er sei unfähig, an einem Plane festzuhalten, und ändere zwanzigmal des Tages seine Absicht; wir würden niemals zum Ziele gelangen, falls wir auf seine Erklärung warteten; ich sollte sie ihm unauffällig entlocken und sie dann sofort bekanntgeben, er selbst würde mich nach Kräften unterstützen; die Prinzessin gefiele ihm sehr, und er bürge mir dafür, daß die Verlobung noch am selben Abend zustande käme, falls ich seinen Ratschlägen folgen wolle. Mir bedankten uns lebhaft. Er gab mir nun seine Instruktionen und bat den Erbprinzen, sich nicht hineinzumischen; »denn«, fuhr er fort, »der Herzog liebt die Damen, und Ew. Königliche Hoheit werden ihn über den Zaun springen lassen, wie es Ihnen beliebt.« Ich teilte dies alles dem Markgrafen mit und ließ ihn bitten, sich bereitzuhalten, um bei mir erscheinen und bei der Verlobung zugegen sein zu können.

Ich war also schon von Mittag ab gerüstet. Ich hatte an Musik versammelt, was nur aufzutreiben war: Trompeten, Pauken, Dudelsackpfeifen, Schalmeien, Jagdhörner, Posaunen, was weiß ich; wir wurden halbtaub davon. Mein Herzog war bald wie von der Tarantel gestochen; seine Narrheit zeigte sich in ihrem schönsten Lichte. Er stand von der Tafel auf, schlug selbst auf die Pauken, kratzte auf der Geige, sprang, tanzte und beging alle erdenklichen Tollheiten. Nach der Tafel führte ich ihn mit dem Herzog von Koburg, der Prinzessin und meinen Damen in mein Kabinett. Ich fing erst von dem rheinischen Feldzug zu reden an und tadelte den Kaiser, daß er ihm das Kommando über seine Armee nicht gegeben habe. Daraufhin verstieg er sich in endlose Prahlereien und Aufschneidereien und schloß sein sinnloses Gewäsch, das eine Stunde lang dauerte, damit, daß er sagte, er würde den Feldzug noch mitmachen, seine Ausrüstung wäre schon bereit. »Das kann ich aber nicht gutheißen,« sagte ich, »ein Fürst wie Sie darf sich nicht so aussetzen; Sie haben noch Großes zu erwarten und können Kurfürst von Sachsen werden, obzwar freilich ein paar Dutzend Prinzen vorerst sterben müßten.« »Das stimmt,« sagte er, »allein ich bin für den Waffendienst geboren, und darin liegt mein Beruf.« »Es gäbe wohl einen Ausweg,« sagte ich, »nämlich zu heiraten und einen Sohn zu haben, und dann könnten Sie ins Feld ziehen, soviel Sie wollten.« »Oh,« sagte er, »was das betrifft, so könnte ich hundert Frauen für eine haben; es warten in Hof drei Prinzessinnen und zwei Gräfinnen auf mich; aber sie gefallen mir nicht, und ich will sie wieder zurückschicken; Ihr Vater, der König, trug Sie mir an, Prinzessin, es lag nur an mir, Sie zu heiraten, da ich Sie aber nicht kannte, schlug ich den Antrag aus; jetzt bin ich untröstlich darüber, denn ich liebe Sie, ja zum Teufel auch, ich bin verliebt wie ein Hund.« »Ach, weh mir!« rief ich, »Sie haben mir einen solchen Schimpf angetan, und ich wußte es nicht; ich muß mir um jeden Preis Genugtuung verschaffen.« Ich spielte die Gekränkte; der Erbprinz und meine Damen lachten sich krank. Mein Herzog warf sich mir indes bebend zu Füßen und erging sich in Liebeserklärungen, die er aus irgendeinem deutschen Roman auswendig wußte. Aber ich ließ mich nicht erweichen. Endlich sagte er mir, er sei bereit, mir jede Genugtuung zu geben, die ich von ihm verlangen würde. »Nun denn!« sagte ich, »dann weiß ich nur die, daß Sie eine meiner Verwandten heiraten; ist Ihnen das recht?« »Mit Freuden,« sagte er, »wer sie auch sei, ich will sie nehmen, und Gott strafe mich, wenn ich sie nicht auf der Stelle zur Frau nehme.« »Ich brauche nicht lange zu suchen, hier ist sie,« sagte ich, faßte meine Schwägerin bei der Hand und führte sie zu ihm; »sie ist schöner und liebenswürdiger als ich, und Sie werden bei dem Tausch nur gewinnen.« Er wollte sie küssen, allein sie stieß ihn zurück. »Potztausend,« sagte er, »wie stolz! Aber sie gefällt mir, und ich will sie nehmen.« Ich schickte schnell nach dem Markgrafen und ließ ihm sagen, er solle sie, wenn er da sei, sogleich die Ringe wechseln lassen. Er trat einen Augenblick später herein. Ich sagte ihm alsbald, daß ich mir die Freiheit genommen habe, eine Ehe zu stiften, und es fehle nur noch seine Einwilligung; der Herzog flöße mir so große Hochachtung ein, daß ich ihm mein Wort verbürgt hätte, die Hand der Prinzessin Charlotte für ihn zu erlangen, und die Hoffnung hege, der Markgraf werde nicht dagegen sein. Statt mir zu antworten, ließ der Markgraf die Frage offen, lachte und fragte den Herzog nach seinem Befinden. Der Herzog von Koburg, der Erbprinz und ich fuhren vor Ärger fast aus der Haut; denn unser Narr fing ein langes Gespräch mit dem Markgrafen an und dachte nicht mehr an sein Heiratsversprechen. Man mußte von vorne anfangen, um ihn wieder darauf zu bringen. Wir trieben den Markgrafen so lange an, daß er ihm endlich sein Wort abverlangte. Unmittelbar darauf wurden Kanonenschüsse abgegeben. Der ganze Hof und alle Damen der Stadt waren in meinem Vorzimmer. Wir nahmen gleich die Glückwünsche entgegen. Nach dem Souper war Ball. Nachdem ich mit dem Herzog von Weimar getanzt hatte, zog ich mich zurück. Ich war todmüde und hatte schreckliches Halsweh von dem vielen Reden.


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