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Zum ersten Male seit langer Zeit, vielleicht zum erstenmal im Leben, war Frau Johanna mit ihrem Gotthard unzufrieden, weil er den eigenen Sohn angeklagt hatte um einer Sache willen, die ihrer Meinung nach Gilbrecht mehr zur Ehre als zur Schande gereichte. Es gelang auch dem neuen Ratsherrn nicht, seine Frau zu der Einsicht zu bringen, daß Gerechtigkeit den Gefühlen des Herzens vorgehen und Gilbrechts Tat gesühnt werden mußte, um sein Gewissen zu befreien und seine Ehre herzustellen, denn sie bestritt, daß das eine beschwert und die andere beschädigt sein könnte. Die Verbannung Gilbrechts warf einen düsteren Schatten auf ihr häusliches Glück, das durch Gotthards Wahl in den Rat, durch Ilsabes Verlöbnis mit Balduin und durch die nahe Aussicht auch auf Arnolds eigenen Herd schon so hoch gestiegen war, daß ihr zu seinem Gipfel nichts anderes mehr fehlte, als Gilbrechts Forderung zum Selbstherrn im Bunde mit Hildegund. Sie hatte so fröhlich gehofft, so sicher darauf gerechnet, daß Gilbrecht bei seinem zum Meister gewordenen Bruder Arnold, der des Vaters Werkstatt übernahm, sein Mutjahr dienen, das Amt eschen und die Viskulentochter freien sollte, und nun war dieser schöne Traum ins Nichts oder doch in eine sehr ungewisse Zukunft verscheucht durch ihres Mannes steifnackige Ansicht von Gerechtigkeit und Sühne und seine unbegreifliche Anklage.
Gilbrecht dachte ebenso, denn er fühlte sich in seinem Gewissen durchaus nicht belästigt durch seine Tat. Jede andere Buße hätte er für das Bewußtsein, Hildegund gerettet zu haben, mit Freuden auf sich genommen, nur nicht die Verbannung; denn es war ihm ein sehr widerwärtiges und trauriges Geschick, noch einmal das Brot der Fremde essen, fern von der Geliebten wieder anderer Leute Knecht sein und sein ersehntes Glück günstigsten Falles noch ein ganzes Jahr länger hinausschieben zu sollen. Dennoch stellte er sich der Mutter gegenüber auf die Seite des Vaters und suchte ihr Trost zuzusprechen, indem er meinte, das eine Jahr würde im Umsehen dahingehen, er wäre ja noch jung, und sie sollte sich nicht um ihn grämen. Aber Frau Johanna merkte nur zu gut, daß solche Worte dem Sohn nicht von Herzen kamen, und daß es damit ganz anders bei ihm bestellt war. Niemand konnte ihr die Schwermut nehmen, die sich ihrer in einem Maße bemächtigte, daß sie die ganze Familie damit ansteckte und eine sehr trübe Stimmung im Böttcherhause herrschte.
Der Meister aber ließ sich nicht beirren in seinem Bewußtsein, zur Ehre seines Hauses und zum Besten seines Sohnes das einzig Rechte getan zu haben. Darin sollte er bald noch mehr bestärkt und auch seiner Frau gegenüber unterstützt werden, obwohl bei Gotthards Ruhe und Besonnenheit und Johannas Liebe zu ihm keineswegs ein Streit zwischen den Eheleuten ausgebrochen war. Mit wenigen bewegten Worten nur hatte sie ihm Vorwürfe gemacht; das übrige taten ihre traurigen Blicke und halb unterdrückten Seufzer, um ihn ihren Schmerz über das Schicksal des Sohnes erkennen zu lassen.
Da kamen eines Tages Hans Laffert, Schnewerding und Schuttenhelm und bald nach ihnen, als hätten sie sich verabredet, auch Dörgerloh und Hesterwegen zu Gotthard Henneberg. Sie waren ja nicht alle seine vertrauten Freunde, aber sie kamen doch als Freunde, um ihn noch einmal in seinen vier Pfählen aufrichtig zu beglückwünschen und ihn, noch mehr aber seine Frau über Gilbrechts zeitweilige Verbannung zu trösten. Das freute den Ratsherrn, namentlich von seinen dermaligen Gegnern, Dörgerloh und Hesterwegen. Er sowohl wie Johanna empfingen die Amtsmeister sehr herzlich, und es war ihnen beiden ein sehr wohltuendes Gefühl, von jenen zu hören, daß so wie sie die ganze Bürgerschaft dächte und die Befriedigung über sein vorübergehendes Regiment, besonders über sein mannhaftes Auftreten dem Herzog gegenüber und die Freude über seinen Eintritt in den Rat eine ungeteilte wäre.
»Und Henneberg«, sagte Dörgerloh, »ich will's Euch nur gestehen, es lief mir eiskalt über den Rücken, als ich Euch an der Schranke stehen sah und den eigenen Sohn wegen einer Tat, die ans Blut ginge, anklagen hörte; aber, lieber Amtsbruder und Ratsherr, was wahr ist, muß wahr bleiben, Ihr habt recht getan, es gereicht Euch zur Ehre!«
»Ja!« fiel Hesterwegen ein. »In dem Augenblick wuchset Ihr mir gleich einen Kopf höher, und ich kam mir sehr klein vor, denn ich glaube nicht, daß ich das gekonnt hätte.«
Gotthard Henneberg lächelte still vor sich hin und sagte dann zu dem Goldschmied: »Alter Freund Hans Laffert, meint Ihr auch, daß ich recht getan habe?«
Hans Laffert reichte ihm stumm die Hand herüber, und die klugen, freundlichen Augen blickten ihn unter dem weißen Haar so warm und treuherzig an, daß es keiner Antwort weiter bedurfte.
Schnewerding sagte: »Mir ist es erst zu Hause klargeworden, Henneberg, daß du recht getan hast, als ich es Immecke erzählte und die zu meiner Verwunderung ausrief: »Das ist brav, das ist schön! Das gefällt mir vom Sülfmeister!«
»Nun, Johanna«, wandte sich Gotthard zu seiner Frau, »was sagst du zu diesen ehrenwerten Zeugen?«
»Ich achte die ehrbaren Meister und ihre Meinung«, erwiderte Johanna, »aber sie sind auch alle nicht die Mutter des Jungen.«
»Ich bin auch nicht seine Mutter«, sprach Schuttenhelm und schlug sich mit der Hand derb aufs Knie, »aber ich sage auch: ich hätte es nicht getan! Um so ein verdammtes Pfaffennest sollt' ich meinen Jungen seinen besten Hals verwetten lassen? Nun und nimmermehr! Gotthard, sowas tust du mir in deinem Leben nicht wieder!«
»Das verhüte Gott!« lachte der Ratsherr, und die anderen mußten mitlachen über des grimmen Schmiedes sprühenden Zorneifer.
»Ja, lacht nur!« sagte der und wurde ganz rot im Gesicht. »Wir können Gott danken, daß da ein vernünftiger, milddenkender Richter stand! Sonst hätte was Schönes daraus werden können. Kopf ab! Aufs Rad! Heißt es nach altem Sachsenrecht; wißt ihr das nicht?«
Frau Johanna schauderte und erbleichte.
»Aber Schuttenhelm!« rief Dörgerloh.
»Bist du etwa dazu hergekommen, Grobschmied«, fragte Hesterwegen, »daß du dem Sülfmeister noch nachträglich die Hölle heiß machen willst?«
»Na, hab' ich denn nicht recht?« trotzte der Schmied.
»Nun, Schuttenhelm, du hast nicht recht«, erwiderte Gotthard Henneberg ruhig.
»Gewagt war es, Henneberg!« sagte Schnewerding.
»Das war es, ja!« meinte auch Hans Laffert. »Und um so höher ist es anzuschlagen; das fühlen wir alle mit, Gotthard! Und keiner in der Stadt wird Euch das vergessen, daß Ihr ebenso streng wie gegen andere auch gegen Euch selber gewesen seid.«
»Laßt's gut sein, Brüder!« sprach Dörgerloh. »Frau Ratsherrin, wo will sich denn Euer Sohn hinwenden? Können wir ihm förderlich sein, so sagt es nur; mancher von uns hat noch Freundschaft im Reiche.«
»Ich danke euch, liebe Meister!« erwiderte Johanna. »Wo er hingehen wird, weiß ich nicht; ins Blaue hinein, in die weite, weite Welt, wo er unlängst hergekommen ist.«
»Nun, nun«, sagte Schuttenhelm, »er hat gesunde Arme, wird sich schon durchschlagen; denn darauf kommt's an, wie man zugreift und wo man hinschlägt.«
»Und daß man das Eisen schmiedet, wenn es heiß ist; nicht wahr, Schuttenhelm?« lächelte Gotthard.
»Gewiß! Hast ganz recht, Herr Ratsherr!« erwiderte Schuttenhelm. »Wenn ich deinem Gilbrecht das Feuer aufblasen könnte zu seinem Glück, ich tät's, tät's gerne, verlangt von mir, was ihr wollt!«
»Alte, treue Seele!« sprach Gotthard und klopfte den biderben Freund auf die breite Schulter.
Die Amtsmeister erhoben sich, und nachdem sie noch ein paar freundliche Worte mit Arnold und Gilbrecht in der Diele gewechselt hatten, gingen sie fort. Ihre Anhänglichkeit und herzliche Teilnahme war ein linder Balsam auf Johannas Wunde.
Ilsabe saß oben in ihrem Schwalbennest, dachte an den Liebsten im Viskulenhofe und nähte an einem feinen Brauthemd, aber nicht für sich, sondern für Ursula.
Auch auf dem Viskulenhofe war große Kümmernis über Gilbrechts Geschick. Balduin konnte sich kaum darein finden, den Freund, der ihm unentbehrlich geworden war, so lange missen zu sollen, zumal er sich sagen mußte, daß Gilbrecht für eine Tat büßte, die zu vollbringen ihm, dem Bruder Hildegunds, eigentlich nähergelegen hätte als dem Freunde.
Hildegund hatte verweinte Augen. Der Schmerz über die bevorstehende Trennung von dem Geliebten nagte an ihrem innersten Leben, und sie, sie war schuld daran, ihretwegen litt er die Strafe, die sie ungerecht und grausam fand, und um derentwillen sie seinem Vater grollte. Dazu kam der bange Zweifel, nicht an Gilbrechts Liebe, aber an seinem Willen, sich auf ewig mit ihr zu verbinden. Sein Schweigen war ihr unerklärlich; sie hatte ihm doch die unzweideutigsten Beweise ihrer Liebe gegeben; warum sprach er nicht das entscheidende Wort? Warum forderte er nicht Gelübde und Treuschwur, mit dem sie ihm ihre ganze Seele gegeben hätte? Warum machte er es nicht wie Balduin und kam zu ihrem Vater, ihre Hand von ihm zu erbitten, die ihm der Vater nimmermehr verweigern würde, nicht verweigern könnte? Warum? Warum? Sie konnte keinen Grund seiner Zögerung finden, als daß sie annehmen mußte, er hätte sie als seine Jugendfreundin zwar herzlich lieb, hegte aber nicht den Wunsch, sie zu besitzen. Dieser Gedanke quälte sie fürchterlich, denn ihm zu entsagen, war ihr unmöglich, ohne ihn mochte sie nicht leben. Seit jenem Morgen in der Heide waren Wochen vergangen, und er hatte sie nicht gefragt, ob sie sein eigen werden wolle. Heute sank die Sonne schon zum dritten Male seit dem Gericht in der Laube, und er hatte sich auf dem Viskulenhofe nicht einmal blicken lassen. Nur einen einzigen Tag noch durfte er in der Stadt verweilen, übermorgen mußte er von dannen. Wenn er bis dahin nicht käme, um sie als seine Braut in die Arme zu schließen – und sie glaubte nicht mehr daran – was sollte dann aus ihr werden? Ohne Abschied, so hoffte sie, würde er ja wohl nicht von ihr gehen, aber sie war überzeugt, daß sie den nicht überleben, sondern daß sie an dem letzten Wort, dem letzten Blick des Geliebten sterben würde, und das war ihr gerade recht.
Der Bürgermeister Heinrich Viskule sah das Leid seiner Tochter, wußte auch die Quelle, aus der es strömte, und – schwieg und lächelte. ›Der Tröster wird schon kommen‹, dachte er; aber der kam nicht, und als nun der Bürgermeister darüber nachsann, warum der wohl nicht kam, fand er auch hier die richtige Spur. Er hatte aber seinen Plan schon fertig. Als er heute gegen Abend aus der Schreibstube in sein Wohngemach hinaufging, traf er dort Hildegund, die sich bei seinem Eintritt schnell die Augen trocknete und mit einem tieftraurigen Blick an ihm vorüber aus dem Zimmer wollte. Da jammerte sie ihn doch, und er hielt sie zurück und sagte: »Hildegund, komm mal her! Was ist denn?«
»O nichts, Vater!« erwiderte sie, in ihr Schicksal ergeben.
»Nichts? Doch Kind! Etwas muß sein; soll ich mal raten?« Wieder perlten ihr die Augen.
»Dir tut es leid, daß mein guter Freund Gilbrecht wieder fort soll, nicht wahr?«
Sie biß die Lippen zusammen und nickte.
»Und du bist gewiß recht böse auf seinen Vater, daß er ihn angeklagt hat«, fuhr der Bürgermeister fort.
»Ja!« kam es leise, aber doch etwas trotzig von ihren Lippen.
»So! Ja, möchtest du denn, daß dein Freund Gilbrecht zeit seines Lebens mit einem schlechten Gewissen herumginge, eine ungerochene, ungesühnte Schuld auf der Seele? Daß er, wenn er einmal einen Brandstifter richten sähe, sich sagen müßte: du bist auch nicht besser als der arme Sünder da? Oder möchtest du lieber, daß er leichten und freien Herzens jedem braven Christenmenschen in die Augen sehen kann, weil er seine Schuld nach Fug und Recht gebüßt hat und wieder so rein und ehrlich geworden ist wie du und ich?«
Hildegund blickte ihren Vater groß an, und eine einzelne Träne lief über ihre sich sanft rötende Wange.
»Du möchtest doch gewiß lieber das letztere, nicht wahr?« fuhr der Vater fort.
»Ja!« hauchte Hildegund und ein heller Schimmer glänzte aus ihren Augen.
»Nun, siehst du wohl! Also braucht du ihn gar nicht so sehr zu bedauern, brauchst dich gar nicht um ihn zu grämen; er tut es gewiß auch nicht. Oder – oder meinst du doch?«
Hildegund hielt einen Zipfel ihres Taschentuches zwischen den Zähnen, starrte ins Leere und seufzte aus tiefer Brust.
Der Bürgermeister saß in einem Lehnstuhl, zog die vor ihm Stehende auf seine Knie und sah ihr mit einem innigen Blick nahe in die Augen. Diesen Blick konnte sie nicht ertragen; sie warf sich an seinen Hals und weinte bitterlich.
»Sage mal, mein Mädchen«, sprach Heinrich Viskule freundlich und ruhig, »hast du denn den Gilbrecht lieb?«
Statt aller Antwort drückte sie den Vater in ihren Armen und schmiegte das Haupt noch fester an seine Schulter.
»Hast du ihn denn wohl ebenso lieb wie Ilsabe deinen Bruder Balduin?«
»Ach! – Noch viel – viel – viel lieber!« schluchzte sie.
»Und der Schlingel hat dich nicht wieder lieb?«
»O doch!« fuhr sie fort.
»O doch? Woher weißt du denn das?«
»Er hat es mir selber gesagt », erwiderte sie hold verschämt.
»Dir selber gesagt? So so! Sieh mal an! Wann denn?«
»Als er mich aus dem Kloster holte.«
»Aha! – Und seitdem hat er nichts weiter gesagt?«
»Nein! Kein Wort!« sprach sie beinahe heftig.
»So! – Weißt du was? Steh mal auf! Ich werde mal ein verständiges Wort unter vier Augen mit dem Gilbrecht reden.«
»Vater –!«
»Na, na! Laß mich nur machen! Sollst zufrieden mit mir sein.«
Und er rief seinen alten Diener Martin. »Martin, springe mal hin zu Hennebergs, ich ließe Gilbrecht bitten, gleich einmal zu mir zu kommen.«
Mit dem Springen hatte das bei Martin gute Wege, aber er ging so schnell, wie ihn seine alten Beine tragen wollten.
»Du bleibst hier im Nebengemach, Hildegund«, sagte der Bürgermeister zu seiner Tochter, »bis ich dich rufe; dann kommst du aber Augenblicks herein! Verstanden?«
Hildegund umschlang den Vater noch einmal und lief dann hinaus, das Herz voll Hoffnung.
Gilbrecht erschien etwas betreten vor dem Bürgermeister, der ihn mit den Worten empfing: »Wo steckst du denn, Gilbrecht? Läßt dich ja gar nicht sehen!«
Gilbrecht schwieg verlegen.
»Nun?« sprach Herr Viskule weiter. »Übermorgen geht's fort, nicht wahr?«
»Ja, Herr Bürgermeister! Leider!«
»Leider! Warum denn leider? Ein junges Blut wie du kann gar nicht genug von der Welt zu sehen kriegen. Wo willst du denn nun hin?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Gilbrecht kleinmütig.
»Wirst doch wohl wissen, wo dein Handwerk blüht. Willst doch einmal Böttchermeister werden?«
»Ja«, sagte Gilbrecht etwas zögernd, »ich habe ja doch nichts anderes gelernt.«
»Oh, Balduin sagt, du könntest gut rechnen, hättest dich überhaupt hier sehr anstellig und gelehrig gezeigt, an dir wäre eigentlich ein Kaufmann verlorengegangen, und deine Handschrift ist auch nicht übel, ich habe sie gesehen.«
Gilbrechts Augen blitzten; er sah den Bürgermeister forschend an.
»Höre mal, Gilbrecht«, fuhr der alte Herr fort, »eine Frage wird ja erlaubt sein: hättest du wohl einige Lust, statt eines Böttchers ein Kaufmann zu werden?«
»Herr Bürgermeister –! Herr Bürgermeister! Ja! Mit tausend Freuden!«
»So! I das freut mich von dir, bin selber mit Leib und Seele Kaufmann. Was meinst du, wenn ich dich dieses Jahr lang zu einem alten Freunde, einem Handelsherrn in Lübeck, auf sein Kontor schicke, daß du da die Handlung lerntest?«
Gilbrecht stand mit weiten Augen und offenem Munde da, faßte nach des Bürgermeisters Hand und sagte verwirrt: »Allen Dank! Allen Dank!«
»Sieh mal«, sprach Herr Viskule, »ich habe als Bürgermeister nicht viel Zeit, mich um mein Handelswesen hier zu kümmern; es wird ohne meinen Willen von Jahr zu Jahr größer, und für Balduin allein wird es bald zuviel sein; da dachte ich mir, es wäre hübsch, wenn du ihm helfen könntest und mit deinem künftigen Schwager das Geschäft hier zusammen besorgtest. Was meinst du dazu?«
»Herr Bürgermeister, so viel Glück habe ich nicht verdient«, erwiderte Gilbrecht, halb berauscht von der lockenden Aussicht.
»Nun, wirst es ja noch. Aber – was wollte ich doch gleich sagen? Ja so! Wenn nun Balduin deine Schwester, die Ilsabe heiratet, dann – dann kannst du auch nicht mehr lange ledig bleiben; ein einläufiger Mann taugt nicht recht fürs Geschäft. Du mußt dir eine brave Frau anschaffen, Gilbrecht; vielleicht – vielleicht findest du in Lübeck eine, die dir gefällt!«
»Werde wohl nicht danach suchen, Herr Bürgermeister«, erwiderte Gilbrecht strahlend vor Freude.
»Nicht? Ei warum denn nicht? Hast dich doch nicht etwa schon heimlich mit einer versprochen?«
»Nein, das nicht, aber –«
»Das nicht? Was dann? Weißt du vielleicht eine, die du liebhast und gern zu eigen haben möchtest?«
»Ach! – Lieb hab' ich eine über alle Maßen, aber –«
»Aber sie will dich nicht?«
»Weiß nicht – ein Böttcherknecht –«
»Weißt es nicht? Warte mal!« – Er erhob sich und öffnete die Tür zum Nebengemach.
Glutüberströmt trat Hildegund herein.
»Hildegund«, sprach Herr Viskule, »der Gilbrecht sagt, er hätte eine sehr lieb, wüßte aber nicht, ob sie ihn wollte. Was sagst du dazu?«
Hildegund schwieg und wagte nicht, die Augen aufzuschlagen.
»Hildegund, möchtest du eine Böttcherfrau werden?« fragte Herr Viskule wieder.
Nur ein liebestrahlender Blick auf Gilbrecht und ein freudiges Nicken war ihre Antwort.
»Hildegund!« jauchzte Gilbrecht, und da lag sie in seinen Armen. Bald umschlangen sie sich, bald umhalsten sie den alten Herrn und waren überüberglückselig.
Der Bürgermeister wischte sich die Stirn und sagte lächelnd: »Kinder, das war ein Stück Arbeit, euch zusammenzubringen! Das hat uns Balduin bequemer gemacht. Ist denn nun alles in Ordnung? Hildegund, zufrieden?«
»Ach! Vater!« jubelte sie. »Ich habe keine Worte!«
»Was machen wir denn nun?« fragte Heinrich Viskule, selber voll Glück und voll Freude.
»Zur Mutter« sprach Gilbrecht.
»Hast recht! Und zum Alten! Kommt! Balduin ist unten, den nehmen wir mit«, sagte der Bürgermeister.
»Wenn er nicht schon dort ist«, lachte Gilbrecht.
Da gingen die drei. Hildegund hing sich an Gilbrecht und drückte ihn an ihre wogende Brust und sah zu dem Bräutigam auf mit Blicken unsäglicher Liebe.