Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Achtzehntes Kapitel

Auf der teichartig ausgedehnten Wasserfläche zwischen der Abtsmühle und der Kaufhausbrücke spiegelte sich das erste Viertel des zunehmenden Mondes. Der helle Widerschein glänzte und glitzerte in einem breiten Stege von einem Ufer zum anderen, wie die kleinen, sanft bewegten Wellen der Ilmenau hineinfluteten, sich behend aufblitzten, wieder untertauchend im Dunkel verschwanden und dicht daneben wieder andere blinkend aufsprangen, ein unruhig dauerndes, lebendig bewegtes Spiel, ein an die Stelle gebanntes Geringel und Geriesel wie von tausend und abertausend goldfunkelnden Flossen und Schuppen. Darüber in ewigem Schweigen der hohe Himmel, mit Sternen besät, zwischen denen in des Raumes Unendlichkeit der Mond wie eine große Leuchte hing. Auch auf den Häusern und Dächern ruhte sein milder Schein, beleuchtete diesen Giebel hell von oben bis unten, hüllte jenen in tiefe Nacht und hob seine zackige Form von dem lichten Hintergrund der schimmernden Luft scharfkantig ab. Die große Abtsmühle mit dem alten, massigen Turm stieg schwer und düster aus dem Wasser wie eine finstere Burg, schauerlich unheimlich. Weiter zurück ragte in einem matten Dämmerungsschleier die schlanke Spitze des Johanniskirchturms hoch über alles hinaus, und hier vorn gaben die breitgiebeligen Häuser mit ihren unregelmäßigen, über dem Wasser hängenden Ausbauten ein schattenreiches, spukhaftes Bild.

Das Kaufhaus drüben und die Brücke, hüben der Stintmarkt, das hohe Giebelhaus des Viskulenhofes und seine langen Warenhäuser stromabwärts waren leer und öde.

Da kam am Ufer entlang, gerade auf den Viskulenhof zu, ein einzelner Wanderer kurzen, langsamen Schrittes, wie es einem Mönche geziemt. Es war ein Franziskaner, den schlanken Leib in die braune Kutte gehüllt, die Kapuze über das Haupt gezogen. Zwei große, dunkle Augen schauten einmal schwärmerisch mit einem eigentümlichen Glanz zum Mond empor; dann schien der Einsame wieder seinen eigenen vor ihm herwandelnden Schatten zu betrachten. Dieser mußte ihm besondere Gedanken erwecken, denn er blieb zuweilen stehen, drehte den Kopf, hob die Arme, schwebte zur Seite und schien sich seines dunklen Abbildes dort auf dem Boden zu freuen wie einer, der sich mit einem neuen Gewand selbstgefällig im Spiegel beschaut. Darauf schritt er links in die Gasse, stellte sich an der Ecke des ersten Hauses dem Viskulenhof gegenüber in das Dunkel und verweilte dort lange Zeit regungslos.

Endlich öffnete sich drüben die Tür, und Balduin kam heraus, um nach dem Markt zum Schütting zu gehen, wo er um diese Stunde seine Freunde traf. Der Mönch trat ihm in den Weg und blieb schweigend vor ihm stehen, doch so, daß ihm der Mond nicht ins Gesicht schien. »Was willst du, Bruder Mönch?« fragte Balduin. »Eine Gabe?«

Der Mönch schüttelte langsam das Haupt.

»Was dann? – Sprich doch!«

Der Mönch schwieg und regte sich nicht. Balduin ging dicht an ihn heran und sah ihm unter die Kapuze ins Gesicht. Da schlangen sich rasch zwei runde Arme um seinen Nacken, er fühlte volle, weiche Körperformen an seiner Brust und einen heißen Kuß auf seinem Mund. Dann wollte der Franziskaner entfliehen, aber Balduin ließ ihn nicht fort und sagte lachend: »Halt, Bruder! Das war zu schön! Wer bist du?«

Vergeblich suchte der Mönch sich freizumachen; Balduin hielt jetzt ihn umschlungen, zog den sich Sträubenden in das helle Mondlicht und streifte ihm mit einem Ruck die Kapuze vom Haupt. »Walpurg!!« entfuhr es freudig überrascht seinen Lippen, und die Erkannte barg ihr Angesicht an seiner Schulter.

»Walpurg«, wiederholte er, wie kommt Ihr in diese Vermummung?«

»Habt Ihr in dem Augenblick, als ich vor Euch stand, an mich gedacht?« gab sie zurück.

»Nein, wahrlich nicht!«

»Seht, sagt' ich Euch nicht, ich würde mich lösen, wenn Ihr gar nicht daran dächtet?«

»Oh, darum! Habt tausendmal Dank, liebliche Salzfee! Aber die Zinsen, Walpurg, die Zinsen!«

Sie wehrte ihm nicht, als er seine Lippen wieder auf die ihren preßte.

»Kommt!« sagte er dann. »Hier am Wasser ist's einsam. laßt uns den Mondschein genießen.«

»Wird uns auch niemand sehen?« fragte sie.

»Gewiß nicht!« versicherte er. »Dort wohnt niemand, nur Speicher stehen dort, und naht sich ein Mensch, so zieht Ihr die Kapuze über das Haupt und bleibt unerkannt. Mich aber wird niemand schelten, wenn ich mich mit einem frommen Bruder Franziskaner erbaulich unterhalte.«

»Wenn's Euch nur einer glaubt!« lächelte sie.

Balduin nahm Walpurgs Arm unter den seinen, und so schritten sie den einsamen Uferdamm entlang, der an seinem Ende keinen Ausgang hatte. Neben der Tür des letzten Speichers war eine Steinbank. Darauf setzten sie sich; er schlang den Arm um sie, sie schmiegte sich an ihn und blickte träumerisch zu ihm auf. Im hellen Mondlicht sah er deutlich ihre Züge; ihre Augen glänzten in einem feuchten Schimmer, und die sanft geöffneten Lippen lächelten und lockten. Mit ungezählten Küssen mußte sie das Wagnis büßen, aber sie waren ihr keine Buße, sondern ein süßer Lohn, den sie mit allen Wonnen erfüllter Wünsche nahm.

Sie liebte Balduin. Oder war es nur ein Ausbruch der Leidenschaft, die so lange schon liebeverlangend in ihrem heißen Blut gärte? Waren es nur die so lange schon mühsam unterdrückten, plötzlich hochaufschlagenden Flammen üppig träumender, heftig begehrender Sinne? Der viel ältere, kühl bedächtige Kaufherr, dessen Gattin sie auf Wunsch ihres Vaters geworden war, hatte niemals ihr Herz zu einem lauteren Klopfen gebracht. Jetzt zum erstenmal in ihrem Leben genoß sie das Glück des Weibes, sich den berauschenden Liebkosungen eines geliebten Mannes hingeben und sie ihm mit der Lust und Glut einer nie gestillten Sehnsucht erwidern zu können. Selbstvergessen, überwältigt von Entzücken lag sie in seinen Armen, mit fliegendem Atem, mit stürmender Brust, nichts sehend, nichts hörend noch denkend, versunken in einem Meer seligster Gefühle.

Balduin sog den vollen Duft der sich ihm erschließenden Rose unersättlich schwelgend ein. Überschäumende Jugendkraft, Schönheit und Liebe bereiteten ihm eine verschwenderische Opferfeier, vom Mondscheinzauber einer warmen Frühlingsnacht geheimnisvoll umsponnen.

»Walpurg«, sagte er nach einem langen, nur von süßem Kosen erfüllten Schweigen, »waret Ihr in Eurem Leben schon einmal recht glücklich?«

»Nein, Balduin«, erwiderte sie, »noch niemals so wie heute.«

»Und wißt Ihr, warum Ihr es heute seid?« fragte er weiter.

»Ich glaube, ja!« hauchte sie und umschlang ihn inniger.

»Das Mönchsgewand, das Euch, fürcht' ich, nur zu leicht umschließt, müßt Ihr gut verwahren; es kann uns öfter nützen.«

»Meint Ihr?« sagte sie nachdenklich. »Die Heimlichkeit ist gefährlich.«

»Ihr wolltet ja nicht, daß ich zu Euch käme.«

»Nein, nein! Das sollt Ihr nicht!«

»Warum nicht, Walpurg? Warum nicht?«

Sie hielt ihm die Hand vor das Gesicht, weil er sie so forschend anblickte und sie sich errötend fühlte. Er drückte ihren wonnigen Körper fest an sich und spürte, wie sie an allen Gliedern bebte.

»Balduin«, fragte sie dann, »seid Ihr frei, ganz frei?«

»Frei wovon?«

»Von Fesseln, mein' ich, die Euer nicht würdig sind.«

»Ich verstehe Euch nicht, Walpurg.«

»So wollt Ihr mich nicht verstehen. Es heißt, Ihr tändeltet mit einem Mädchen, das doch niemals Eure Frau werden kann. Sie wohnt nicht weit von hier.«

»Walpurg, die Hennebergs sind meine Jugendfreunde.«

»Und weiter nichts?«

»Weiter nichts, aber das ist viel. Sie sind mir lieb und wert, und ich lasse sie nicht.«

»Ihr laßt sie nicht? Balduin, Ihr müßt wählen zwischen ihr und mir. Sind ihre Lippen süßer als meine? Preßt sie Euch heißer an den Busen als ich?«

»Ich habe seit unserer Kindheit die Lippen der Jugendfreundin nicht berührt.«

»Wirklich nicht? Ich habe sie nicht für so spröde gehalten und dachte, sie wäre –«

»Ich hoffe, Ihr dachtet nichts Übles, Walpurg!«

»Stille Wasser sind tief.«

»Da habt Ihr recht. Sie ist auch tief, aber auch klar und rein wie ein Bronnen.«

»Ihr verteidigt sie warm.«

»Gegen alle Welt, wenn man sie angriffe!«

»Und wenn man mich angriffe?«

»Wie könnt Ihr so fragen, Walpurg! Wer greift Euch an?«

»Ihr weicht mir aus. Balduin, Ihr seid nicht frei!«

»Wie kann der frei sein«, lächelte er, »der sich von so lieblichen Banden umstrickt fühlt!« Dabei drückte er sie fest an seine Brust und küßte sie, daß sie erschauerte.

»Euer Kuß ist heiß«, sprach sie erregt, »aber Euer Herz ist kalt; es gehört der anderen, sag' ich Euch, falls Ihr's selbst noch nicht wißt.«

»Walpurg! – Oh, wohin treibt Euch –«

»Die Eifersucht, ja! Nennt es so! Und bei dem Mond dort oben schwör' ich: gutwillig lass' ich Euch der Blonden da nicht!« Sie preßte ihn mit einer Gewalt an ihre Brust und ihre Lippen auf seine, daß ihm der Atem stockte. Dann sprang sie auf. »Ich muß fort. Lebt wohl!« Er wollte sie halten, wollte ihr folgen. »Halt!« rief sie. »Keinen Schritt! Wir sehen uns wieder!« Damit schwebte sie.

Als ihr leiser Schritt verhallt, ihre dunkle Gestalt verschwunden war, faßte sich Balduin an die Stirn: »Hab ich's erlebt oder hab' ich auf dieser Bank geträumt?« Dann ging er nach dem Schütting zu den lustigen Freunden.


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