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Blauer Montag, und in jedem Quartal nur einer! Der mußte ausgenutzt werden; so dachten wenigstens die Schustergesellen in Lüneburg, und die vielgeplagten Schusterjungen waren derselben Meinung. In alten Zeiten hielten alle Handwerksknechte die blauen Montage gemeinschaftlich; das hatte so oft zu Reibereien und Schlägereien geführt, daß ein wohlweiser Rat sich gemüßigt sah, dagegen mit allem Ernst einzuschreiten und an Stelle des alten Herkommens eine bestimmte Ordnung in dieses Feiern zu bringen. Sämtliche Montage des Jahres wurden daher unter die verschiedenen Gilden verteilt, so daß immer nur einige wenige ihre blauen zusammen hatten. Heute waren es die Handwerke, die in Leder arbeiteten, die Schuhmacher, die Lohgerber, die Beutler und die Sattler und Riemenschneider. Am blauesten aber schien dieser Montag in der Löwengrube werden zu wollen, denn heute sollte ja Timmo in die Brüderschaft der Schusterknechte feierlich eingeehrt werden; er war also der Held des Tages, und das war so recht nach seinem Geschmack.
Sie hatten wieder Frieden geschlossen in dem kleinen Hause auf der Techt, wozu der glückliche Verlauf der Bußverhandlung beim Morgensprachsherrn nicht wenig beigetragen hatte. Die beiden Amtsmeister, Hesterwegen von den Schuhmachern und Mockeling von den Pelzern, hatten nämlich Daniel Spörken dort mehr ausgelacht als ausgezankt, hatten ihm nur eine sehr niedrige Pön auferlegt, und der mitleidige Ratsherr hatte es sich nicht nehmen lassen, die Strafe für Daniel an beide Ämter zu bezahlen, obwohl er dessen sehr unsicher vorgebrachte Behauptung, daß er ihm die Pelzstiefel selber bestellt hätte, mit ungläubigem Kopfschütteln und der allerdings sehr beweiskräftigen Bemerkung zurückwies, daß er seither von Pelzstiefeln ebensowenig etwas gewußt habe wie Daniel Spörken, sonst hätte er sich schon längst welche machen lassen. Dann war Meister Mockeling zögernd damit herausgerückt: »Ja, aber, Herr Ratsherr, die Pelzstiefel – die – die müssen wir mitnehmen.« Da hatte ihn Herr Marquard Mildehövet mit seinen guten, freundlichen Augen erst so sanft traurig und dann so schelmisch bittend angesehen und gesagt: »Aber, lieber Meister, wollt Ihr denn, daß mich armen, alten Mann das Podagel wieder zwickt und zwackt?« – daß sie es nicht übers Herz bringen konnten, ihm die heilkräftigen Pelzstiefel wegzunehmen. Dafür gab er in seiner Freude jedem der beiden Amtsmeister noch ein paar Mark in die Büchse zur Ausbesserung ihrer Gildehäuser, und nun war die Sache zur Zufriedenheit aller erledigt. Als Daniel Spörken nachher Sengstake besuchte, hatte dieser keine leichte Mühe, den glücklichen Schuster von der Gemeinschädlichkeit und Gefährlichkeit des gegenwärtigen Rates zu überzeugen, aber schließlich war Daniel doch wie weiches Wachs in den geschickten und derb zufassenden Händen des Schlangenklugen gewesen, und bis zum Platzen vollgepfropft mit einer unglaublichen Menge von schlimmen Geschichten und Anklagen gegen den Rat war er endlich zu seiner ungeduldig wartenden Hausehre zurückgekehrt.
Der Zank vom Morgen war am Abend vergessen, denn so leicht ließen sich die vier Bewohner der Löwengrube die gute Laune nicht verderben, zumal wenn es etwas Neues gab, worin sie sich wie in eine gemeinschaftliche Beute einmütig teilen konnten. Auffallend war es Frau Gesche gewesen, daß Timmo in letzter Zeit öfter Besuch von anderen Handwerksknechten erhielt, mit denen er flüsterte und tuschelte. Er beruhigte die Neugierige, daß es sich dabei um seine feierliche Einfahrt in die Brüderschaft handele, in Wirklichkeit aber waren es heimliche Verabredungen und Umtriebe für den geplanten Gesellenaufstand.
Am Sonnabend war der Ladeschlüssel der Schusterknechte umgegangen, von einer Werkstatt in die andere getragen mit dem jubelnd aufgenommenen Gebot des Altschaffers, daß am nächsten Montag Krugtag sein sollte.
Nun war der lustige Tag da, und während die Gesellen in größeren oder kleineren Trupps Arm in Arm durch die Straßen, auf den Wällen oder vor den Toren der Stadt müßig und vergnügt, singend und schäkernd umherschlenderten, wurden in der Herberge auf der Altstadt die Vorbereitungen für die Bruderzeche getroffen, die nachmittags fünf Uhr ihren Anfang nehmen sollte. Der Herbergsvater schob mit seiner Frau und ihrer rotwangigen Magd Hempa die Tische zusammen, so daß sie zwei lange Tafeln, das Gelage, bildeten, um das sie ringsherum Stühle rückten. Dann wurden die Krüge bereitgestellt, im Nebengemach zwei Tonnen vom besten Lüneburger Vierpfennigbier aufgelegt, und nun konnten die lieben Brüder kommen.
Sie kamen auch, nahe an sechzig Schusterknechte und die zwei von Timmo gewünschten und geladenen Gäste Arnold und Gilbrecht Henneberg. Timmo, mit einem Blumenstrauß geschmückt, wurde vom Altschaffer und Jungschaffer aus seiner Wohnung feierlich abgeholt und zur Herberge geleitet, wo ihn die Versammelten mit einem Hurra empfingen. Sie umringten ihn zu Begrüßung und endlosem Händeschütteln; für einen Vertrauten des rasch beliebt gewordenen Kumpans zu gelten, wurde schon als ein Vorzug angesehen, nach dem viele strebten.
Auch den Herbergsvater und die Herbergsmutter begrüßten die Gesellen alle einzeln, und die letztere hatte für jeden ein freundliches Wort, manchmal auch ein witziges und derbes. Sie ließen sich von der munteren Alten, die zur Feier des Tages statt eines gelben ein rotes Tuch um den wie ein Backofen glühenden Kopf geschlungen und die langen Zipfel gestärkt und gesteift hatte, daß sie wie die Stangen eines Hirschgeweihes emporstanden, auch alles gern gefallen, weil sie es immer gut meinte und manchen auf ihrem geduldigen Kerbholz hatte. Zu Timmo sagte sie. »Kleiner Darmstädter, mein Schenkgesell, wie gefällt dir's denn bei Frau Geschen in der Löwengrube?«
»Über die Maßen, Mutter Hombroksche!« erwiderte Timmo. »Meine schöne Meisterin hat einen wahren Narren an mir gefressen; Ihr glaubt gar nicht, was sie mir manchmal für Schmeicheleien an den Kopf wirft.«
»Kann's mir denken, mein Murmeltier!« lachte die Mutter Hombroksche. »Bist ein rechtes Teufelskerlchen! So gut wie du ist noch keiner mit ihr fertig geworden.«
»Ich wußt' es im voraus«, sagte Timmo und ging Arnold entgegen, der eben eintrat.
Die Gesellen drängten und schoben sich noch durcheinander, tauschten Witze aus, erzählten sich haarsträubende Dinge von ihren Meistern und Meisterinnen, prahlten mit kecken Antworten, die sie beiden gegeben haben wollten, und berühmten sich im stolzen Gefühl ihrer Unentbehrlichkeit ihrer wichtigen und einflußreichen Stellung im Hause. Nach und nach gelang es den Schaffern, sie alle glücklich zum Sitzen zu bringen. Oben, quervor am Gelage, nahm der Altschaffer Platz und rechts und links neben ihm die beiden Bierschaffer, welche Aufsicht zu führen hatten, daß alles in rechter Ordnung herging und bei Verstößen die Strafgelder einziehen mußten. Neben dem Bierschaffer rechts saß Timmo als einzuehrender Schenkgesell und ihm gegenüber Arnold. Den beiden befreundeten Schusterknaben Hans und Hennecke ward die Ehre zuteil, als Schenkjungen aufwerten und den Gesellen das Bier zutragen zu dürfen, unterstützt vom Jungschaffer, dem jüngsten Gesellen der Brüderschaft.
Hans fragte Hennecke: »Du, was hat's denn zu Hause gegeben von wegen der Karnickel?«
»Was es gegeben hat?« erwiderte Hennecke. »Was Warmes, aber nichts Gekochtes. Davon sei nur still!«
Jetzt klopfte der Altschaffer mit dem hölzernen Hammer auf, den er als Zeichen seiner Würde führte, und alle erhoben sich. Der Altschaffer sprach ein kurzes Gebet und öffnete dann die vor ihm stehende Lade, in der sich die Siegel und Briefe der Brüderschaft befanden. Darauf setzten sich die anderen nieder; er aber blieb stehen, stellte den Daumen seiner geschlossenen rechten Hand steif auf den Tisch und sprach:
»Seid willkommen, liebe Brüder und Tolaggesellen! Ist einer oder anderer unter euch, der auf den Altschaffer oder die Bierschaffer oder den Jungschaffer etwas zu sagen hat, der spreche jetzt und schweige nachmals, auf daß wir unser Bruderbier in Frieden trinken. Was deucht euch, Gesellen, ist Frieden nicht das beste?«
Die Gesellen antworteten: »Ja!«
»So sollt ihr wissen, liebe Gesellen: Wer bei diesem Bruderbier, bei dem wir hier allweg rühmlich versammelt sind, Hader oder Parlament anfängt, der soll geben, was zwischen Staff und Band verfaßt ist, an Bier und kein Wasser, Wein kann auch nicht schaden, zehn fette Ochsen, halb gesotten, halb gebraten, zehn fette Hammel, halb gesotten, halb gebraten, zehn Ofen voll Grobbrot, zehn Ofen voll Kleinbrot, und wer da nicht mit zufrieden ist, der soll haben Haarzug unterm Gelag und oberm Gelag, und so lange, bis man ihn für gut befindet, will ich ihm in die Haare greifen, ich in die seinen und er nicht in die meinen. So ich aber wüßte, daß mein Wort nicht sollte erhört werden, so wollte ich, daß ich das Wort nimmermehr gesprochen hätte.«
Die Gesellen antworteten: »Dank für dein Wort!«
»So sollt ihr auch wissen, liebe Gesellen: Ein jeder soll den anderen bei seinem rechten Namen nennen, kein Beiwort gebrauchen, keine Hand am Gelage haben, kein Messer ziehen, nicht weinen, nicht lachen, nicht schlafen oder was sonst ungebührliche Dinge mehr sind, so lieb ihm ein Pfund Pfennige ist. Und nun, liebe Brüder, steigt in eure Taschen und zieht die Beutel, aber laßt die Riemen nicht brechen.«
Die Gesellen antworteten:
»Steig' ich tief hinein, Steig' ich tief heraus, Hab' ich viel darein, Bring' ich viel heraus.« |
Damit griff jeder in seine Tasche und legte sein Auflagegeld vor sich auf den Tisch, das von den Bierschaffern eingesammelt wurde. Darauf sprach der Altschaffer: »Schaffer, seid so gut und stecht die Tonne an.«
Die Bierschaffer gingen mit dem Jungschaffer hinaus und stachen die erste Tonne an. Dann brachten die beiden Schenkjungen jedem Gesellen einen Krug Bier, und die Hombroks und Hempa halfen ihnen dabei. Der gemeinschaftlichen Unterhaltung, die in demselben harmlosen und auch in demselben großartigen und übermütigen Tone weitergeführt wurde, mit dem sie bei der Ankunft begonnen hatte, wurde freier Spielraum gelassen und unschuldiger Scherz niemandem gewehrt; mochte es aber unter den Gesellen so verabredet sein oder ihnen die Vorsicht von selber gebieten, keiner berührte mit einem Worte die Forderungen und Klagen gegen die Meister und den sich vorbereitenden Aufstand.
Nachdem etwa eine halbe Stunde unter nachbarlichen Gesprächen vergangen war, begann das umständliche, feierliche Trinken mit den Ehrenbechern der Brüderschaft, die aus Zinn und von verschiedener Form und Größe waren und ihre besonderen Namen hatten. Nicht jeder konnte aus jedem Becher trinken, sondern es ging alles nach Brauch und Ordnung, und jeder dabei gemachte Fehler wurde gerügt und bestraft.
Auf einen Wink des Altschaffers brachte ihm der Jungschaffer gefüllt den ersten Becher, der das große Glück genannt wurde. Stehend nahm ihn der Altschaffer mit der rechten Hand in Empfang, stehend trank er ihn zur Hälfte leer und sagte dann. »Hilf Gott, Gesellen! Das große Glück hat mich getroffen; ich bin verhofft, ein oder anderer Gutgesell wird mir Bescheid tun; hilf Gott, wen's Glück trifft.«
Die Gesellen antworteten: »Hilf Gott, daß es mich trifft!«
Dann schüttelte der Altgesell drei Würfel in der Hand und warf sie auf den Tisch. So viel Augen sie zeigten, so viel Gesellen wurden nach rechts hin abgezählt, um denjenigen zu bezeichnen, der den nächsten Trunk aus dem stattlichen Geschirr tun durfte. Der Altschaffer nannte diesen beim Namen: »Dich hat das Glück getroffen; nimm es hin! Es gilt dir und deiner Mutter Sohn, daß Gott dir Glück verleihe!«
Der Gesell antwortete: »Glück ist besser als Erbgut.« Dann grüßte er den Becher mit denselben Worten an und ab wie der Altschaffer, trank ihn aus und würfelte dann auch, während der Becher wieder beschenkt, das heißt, am Faß neu gefüllt wurde. In dieser Weise von jedem Trinker zur Hälfte geleert, ging das große Glück eine Viertelstunde lang nach der an der Wand befindlichen Sanduhr am Gelage herum. Länger nicht; dann kam ein anderer Becher an die Reihe, aber nicht sogleich, sondern man ließ zwischen zwei verschiedenen Bechern immer einige Zeit verstreichen, damit die schnell wachsende Heiterkeit zum Ausbruch gelangen konnte, und wer aus dem umgehenden Becher nichts abbekommen hatte, der trank mittlerweile aus seinem eigenen Krug und für sein eigenes Geld, während das Bier in den Ehrenbechern von der Auflage bezahlt wurde.
Der zweite Becher hieß die Jungfernkanne. Ihrer vier hatten sich in den Inhalt zu teilen, dabei des Feinsliebchens oder sonst einer ehrbaren Jungfrau laut oder leise gedenkend; aber einem ungewanderten Gesellen war der Trunk daraus und einer gewanderten Jungfrau das Gedenken dabei versagt. Wer sich hiergegen verdreistete, hieß es, der sollte seine Strafe nicht wissen. Nannte der Trinker den Namen seiner Holden, so tranken die anderen aus ihren Krügen mit und riefen: »Heil der tugendsamen Jungfrau ...!« Nannte er aber keinen Namen, so hieß es: »Bruder, geh ins Spittel, wo die alten Weiber am Zapfen sitzen und die jungen Mädchen am schönsten sind.« Sechsmal wurde die Jungfernkanne beschenkt; der älteste Bierschaffer setzte sie zuerst an den Mund, grüßte sie dann nach seinem Belieben einem anderen zu, wobei das zarte Verhältnis manches liebenden Schusterherzens zutage kam. Das letzte Viertel aus dem zierlich schlanken Gefäß erhielt der Jungschaffer, weil man annahm, daß er als der Jüngste noch kein Liebchen hätte, und ihm wünschte, daß er sich bald eins anschaffen möchte. Als er den Rest trank, lachten sie alle und riefen ihm zu: »Viel Glück, Bruder Jungschaffer, bei Tag und bei Nacht!«
Bis jetzt hatte die Brüderschaft auf ihren Schenkgesellen noch keine besondere Rücksicht genommen, mit dem nächsten Becher aber sollte Timmo nun wirklich eingeehrt werden. Der Jungschaffer stellte den gefüllten großen Willkomm, einen hohen, rundbauchigen Humpen, der mit einem Deckel versehen war, vor den Altschaffer hin, und dieser klopfte mit dem Hammer auf, worauf sich die Gesellen wieder erhoben.
Asmus Troffehn sprach: »Hilf Gott, liebe Brüder und Tolaggesellen! Es ist ein fremder, zugewanderter Schusterknecht gekommen, der Handwerks Gerechtigkeit und Aufnahme in unsere ehrbare Brüderschaft begehrt. Er hat das Handwerk bewiesen, ist echt, recht und deutsch geboren, niemandes eigen und hat uns von ehrbaren Meistern und Gesellen und vom ganzen Handwerk viel freundliche Grüße bestellt. Ist einer oder anderer unter euch, der etwas auf ihn zu sagen hat, der spreche jetzt und schweige nachmals. Schweigt einer aus Liebe, so habe ich ihm zu danken, doch soll mein Dank nicht zu groß sein, es mag ein jeder reden, was er verantworten kann. – Sie schweigen«, fuhr der Altschaffer nach einer kurzen Weile fort und wandte sich dann zu dem Schenkgesellen: »Grüß dich Gott, Schuster!«
»Dank dir Gott, Schuster!« erwiderte Timmo.
»Sage mir, Schuster, wie tust du dich nennen, wenn du hier und anderswo auf der Gesellen Herberge kommst, die Gesellenlade offensteht, Büchse, Briefe, Siegel, Geld und Gut drinnen und draußen herumliegen und ehrliche Schusterknechte um den Tisch herumsitzen und halten eine feine, stille Umfrage, gleichwie jetzt und allhier geschieht?«
»Ich tue mich nennen Timotheus Schneck, das ehrliche Blut, dem Essen und Trinken wohltut.«
»Timotheus Schneck ist ein feiner Name. Schuster, wo hast du ihn errungen? Hast du ihn ersungen oder hast du ihn ersprungen oder hast du ihn bei schönen Jungfern bekommen?«
»Ich mußte rennen und laufen und meinen ehrlichen Namen um ein frei Wochenlohn kaufen; das Wochenlohn wollte nicht recken, ich mußte meine Mutterpfennige auch daran stecken.«
»In welcher Stadt hast du ihn bekommen?«
»In der guten Stadt Darmstadt habe ich ihn bekommen.«
»Kannst du mir nicht zwei oder drei nennen, die dabeigewesen sind?«
»Ich kann sie dir wohl nennen. Es sind dabeigewesen Peter Pechsieder, David Drahtklemmer und Lude Leistenzwicker; mit diesen dreien kann ich's bezeugen und beweisen, und sind es dir nicht genug, so bin ich, Timotheus Schneck, der vierte und andere Gutgesellen mehr, die ich nicht alle herzählen kann.«
»Timotheus Schneck aus Darmstadt, wir wollen dich und deinen ehrlichen Namen hier behalten. Ich werde dich einschreiben, und es soll dir widerfahren, was mir und anderen Gutgesellen auch widerfahren ist; lege deine rechte Hand in meine rechte Hand und antworte mir, wie ich dich frage. Zum ersten: versprichst und gelobst du, dich treu und ehrlich zu halten nach der Herren Wort, nach der Meister Eid und nach der Brüder Willen, wie es einem ehrlichen Schusterknecht zukommt?«
Timmo antwortete: »Zum ersten, ja!«
»Zum zweiten: versprichst und gelobst du, Handwerks Gebrauch und Gewohnheit zu halten, zu hegen und zu handhaben nach Weisheit deiner fünf Sinne, als du am allerbesten kannst?«
Timmo antwortete: »Zum zweiten, ja!«
»Zum dritten: versprichst und gelobst du, alles zu tun oder zu lassen, was dir und anderen ehrlichen Gesellen zu tun oder zu lassen in den Siegeln und Briefen dieser ehrwürdigen Lade hier geboten oder verboten ist, Gott zu Ehren, dem gemeinen Handwerk zum Nutzen und dieser ehrbaren Brüderschaft zur Förderung und Gedeihen?«
Timmo antwortete: »Zum dritten, ja!«
»So nehme ich dich auf, Bruder Timotheus Schneck, in unsere ehrbare Brüderschaft. Sei willkommen wegen des Handwerks zum ersten, zum zweiten und zum dritten!«
Die Gesellen sprachen einstimmig: »Sei willkommen wegen des Handwerks zum ersten, zum zweiten und zum dritten!«
Timmo antwortete: »Ich bedanke mich, Bruder Altschaffer und liebe Gesellen!«
Dann setzten sich alle außer Timmo und dem Altschaffer, und dieser sprach weiter: »Bruder, du hast ein Paar Augen in deinem Kopf und eine Nase in deinem Gesicht, die vielleicht schon mehr gesehen und gerochen haben als einer von uns. Darunter aber steht ein roter Mund, darein schickt sich ein guter Bissen oder ein guter Trunk. Willkomms Gnade sollst du haben, Willkomms Gerechtigkeit kann dir auch widerfahren. Was willst du? Willkomms Gnade oder Willkomms Gerechtigkeit?«
Timmo antwortete: »Willkomms Gerechtigkeit.«
»Gut! Ich will ihn dir bringen mit sechs Ehren, drei vor und drei nach dem Trunk. Mit Verlaub, liebe Brüder und Taloggesellen, daß ich diesen ehrlichen Willkomm entblößen mag!«
Die Gesellen antworteten: »Allen Verlaub!«
Da hob er den Deckel von dem Becher, tat einen kurzen Trunk, bedeckte ihn wieder und reichte ihn Timmo dar mit den Worten: »Diesen ehrlichen Willkomm bring' ich dir zum Vollen zu kraft der ganzen, hier versammelten Brüderschaft. Du sollst ihn in drei schmalen Zügen austrinken mit bedeckter Schulter, mit unbedecktem Haupt, mit stillstehendem Fuß, ohne Rucken, ohne Zucken, ohne Bartwischen.«
»Wohl bekomm's!«
Die Gesellen sprachen: »Wohl bekomm's!«
Timmo nahm den Humpen und trank ihn in drei Absätzen leer. Dann wurde er wieder gefüllt und wanderte nun im ganzen Kreise herum, bis jeder daraus getrunken hatte, so viel er wollte. Aber es durfte sich keiner lange dabei aufhalten, und jeder mußte ihn mit der rechten Hand nehmen und geben und ihn dem Nachbar mit aufgesetztem Deckel und mit den Worten »Wohl bekomm's!« zugrüßen. Dabei wurde folgendes Lied gesungen:
Es macht ein Krug von Hand zu Hand Am Tisch herum die Reise, Du Bruder aus dem fremden Land, Dir gilt die frohe Weise. Ein Schlücklein dir, ein Schlücklein mir, Das soll uns beiden frommen, Nun bist du hier und bleibst du hier, Herr Bruder, Gott willkommen! Wer in der Herberg eingekehrt, Glück in die Werkstatt Tag für Tag, Zum Wohle dir, mein Schenkgesell, |
Nach dem Willkomm ward eine längere Pause gemacht und dann kam wieder ein kleinerer Becher an die Reihe, genannt die kleine Hoffnung oder der gute Wille. Auch diesen grüßte der Altschaffer zuerst dem Schenkgesellen zu, aber er trank das meiste davon selbst und ließ Timmo nur einen kleinen Rest darin, indem er sprach: »Bruder, du mußt mit dem guten Willen vorliebnehmen, das Kloster ist arm, der Brüder sind viel, und der Abt trinkt selber gern.«
Dieser einen Schweinskopf darstellende Becher, dem Rüssel und Hauer als Fuß dienten, wurde nur dreieinhalbmal beschenkt und nach Belieben herumgegrüßt; die letzte halbe Füllung war für die beiden Schenkjungen, daß sie sich ehrlich darin teilen sollten. Hennecke trank zuerst, und zur Vergeltung für die wegen der gemordeten Karnickel erhaltenen Prügel leerte er den Becher bis auf wenige Tropfen und reichte ihn Hans, dem Altschaffer nachäffend, mit den Worten: »Bruder, du mußt mit dem guten Willen vorliebnehmen, das Kloster ist arm, der Brüder sind viel, und der Abt trinkt selber gern.« Hennecke bekam von Hans ein Gesicht, aus dem er nicht die heißesten Freundschaftsversicherungen herauslesen konnte. Hans aber hielt sich an der Tonne schadlos, wenn er mit einem Gesellenkruge zum Zapfen ging.
Der nächste Trunk geschah aus dem Hemsbecher. Dieser war mit einem eingeritzten Vergißmeinnichtkranze geschmückt und ging nur bei den fremd zugewanderten Gesellen herum, daß jeder dabei seiner Heimat und der lieben Seinigen gedenke. Und wenn einer sich nach dem Trunke daraus nicht bloß die Lippen, sondern auch die Augen wischte, so schalt ihn niemand, denn die meisten in der Brüderschaft waren Zugewanderte, und auch viele von den anwesenden Lüneburgern hatten schon das Brot der Fremde gegessen und wußten, wie einem zumute ist, wenn man heim denkt und nicht weiß, ob die zu Hause noch leben, oder ob sie gestorben und verdorben sind. Der Jungschaffer ließ Timmo den ersten Trunk tun und sprach dabei: »Hilf Gott von Darmstadt! Trink, Bruder, und laß dir das Heimweh nicht einfallen, denn dies ist der Hemsbecher. Timotheus Schneck, hast du daheim ein lieb Mütterlein sitzen, das um den Sohn in der unbekannten Fremde sorgt und bangt? Lebt dein Vater noch, der dich rechtschaffen und ehrlich arbeiten gelehrt hat? Hast du Brüder und Schwestern, die denselben Namen tragen wie du? Die sich alle nach dir sehnen, daß du wiederkommst in Ehren, ihrem Alter zur Stütze, ihrem Herzen zur Freude?«
Als Timmo trank, waren aller Blicke auf ihn gerichtet, als suchten sie in seinem Angesicht eine Antwort auf diese Fragen. Seinem Geburtsbrief nach war er echt und recht und deutsch geboren, aber er hatte noch nie von seinen Eltern gesprochen und war Fragen danach so viel wie möglich ausgewichen. Als er getrunken hatte und absetzte, lagen auf seinem Antlitz nicht die Schatten einer milden Wehmut, sondern um Stirn und Mund zog sich etwas wie Trotz und Bitterkeit. Aber das war nur einen Augenblick, dann reichte er den Becher mit einer hastigen Bewegung dem Altschaffer und rief laut und verwegen: »Trink, Bruder Asmus! Und wenn dir das Heimweh einfällt, so spül es mit schwarzbraun Bier aus dem Herzen heraus, denn es taugt nichts. Trink, Bruder! Hilf Gott von Hamburg!«
Sie hörten es ihm alle an, daß er selber etwas aus dem Herzen herausspülen wollte, was nichts taugte, und das machte keinen guten Eindruck. So lebensfroh und lustig auch die Handwerksknechte waren, sie sahen auf Frömmigkeit und gute Sitten in der Brüderschaft, und keiner durfte verspotten, was einem anderen heilig war. Heimat und Vaterhaus waren ihnen lieb und ehrwürdig, und sie hätten bei Timmos herausfordernden Worten beinahe gemurrt, aber sie kannten seine Jugend nicht und hielten ihrem beisitzenden Schenkgesellen, der heute mehr als die anderen trinken mußte, bei seiner Einfahrt etwas zugute.
Die kleine Verstimmung ging also schnell vorüber und war gänzlich vergessen, als der folgende Becher kreiste, das Bier auf der anderen Hand. Mit der anderen Hand war die linke gemeint, denn nur mit der Linken durfte man diesen mit Buckeln und Wülsten versehenen Becher berühren, und die durch Führung ihres Handwerkszeuges durchaus rechts Gewöhnten vergaßen sich oft, griffen mit der Rechten zu oder waren mit der Linken ungeschickt. Wer aber die Rechte an den Becher brachte oder mehr Bier verschüttete, als er mit einer Hand oder mit einem Fuß bedecken konnte, der mußte Strafe zahlen. »Kommt Klage, kommt Strafe«, hieß es, »doch es ist keine Strafe, sondern Handwerks Gewohnheit.« Dabei gab es viel Gelächter und neckischen Streit, denn keiner zog gutwillig den Beutel, um eine Pön zu erlegen. Dann ward ihm bedeutet: wer sich von den verordneten Schaffern nicht strafen, stillen oder zum besten raten lassen wollte, der sollte von der ganzen Brüderschaft so lange angetastet und gebunden verwahrt werden, bis er sich eines Besseren bedächte. Diese scherzhaft vorgebrachte, doch ganz ernsthaft gemeinte Drohung hatte stets den gewünschten Erfolg, daß der auf einem Fehler Ertappte die kleine Buße halb lachend, halb murrend herausrückte, und es wurde scharf aufgepaßt, daß niemand eine verwirkte Strafe unterschlug.
Längst war die zweite Tonne angestochen; die Ungebundenheit stieg von Minute zu Minute und erreichte zwar noch nicht ihren Höhepunkt, aber doch schon einiges Übermaß, als der siebente und letzte Becher auf das Gelage kam. Dieser hieß die Gerechtigkeit, denn an ihm konnte sich jeder zu seinem Rechte verhelfen, der bei den vorangegangenen zu kurz gekommen zu sein glaubte. Die Brüder schienen dies samt und sonders zu glauben, denn keiner ließ sich von der Gerechtigkeit überspringen, und der große, zweihenkelige Krug wurde so oft bis auf den Grund geleert, daß die beiden Schenkjungen mit Schleifkannen hinter ihm hergehen mußten, um ihn gleich an Ort und Stelle wieder zu füllen ohne den zeitraubenden Weg zur Tonne hin und zurück.
Während die Gerechtigkeit ihren Umgang hielt, rief der Altgesell: »Brüder, jetzt singen wir das Blau-Montags-Lied!«
Und sie sangen:
Gestern ist Sonntag gewesen, und heut Hat es Blau Montag geschlagen, Vesperglocke, du liebes Geläut, Weckst mich schon frühe beim Tagen, Eile mit Weile Heißt es im Haus, Hammer und Feile, Ruhet euch aus, Nichts ist zu schaffen, zu sorgen, Feierabend ist es am Morgen. Sind wir doch heute die Herren einmal, Werkstatt ist leer und Herberge voll, Her mit dem Faß und hin mit dem Krug! |
Immer lauter und lustiger ward es in der Herberge auf der Altstadt, so laut und lustig, wie ein Schock Schustergesellen nur werden können, die in guter Eintracht bei gutem Bier beisammen sind und dabei keine anderen Sorgen haben, als daß jeder sucht, von dem Getränk so viel abzukriegen, wie er dessen nur irgend habhaft werden kann. Arnold und Gilbrecht waren auch vergnügt, aber sie hatten sich mit dem Trinken möglichst geschont und hatten auch als Gäste aus einem anderen Handwerk weder so viel Gelegenheit noch so viel Verpflichtung dazu gehabt. Die anderen waren in ihrer freudig erregten Stimmung kaum noch auf den Sitzen festzuhalten, und manchem wurden die Sinne allmählich stark umnebelt. Die rotwangige Magd Hempa hatte sich auf den Rat oder den Befehl der Mutter Hombrok bereits zurückgezogen, um nicht allzu zärtlichen Liebkosungen ausgesetzt zu sein. Hatte sich doch die rührige Herbergsmutter selber eines täppischen Gesellen zu erwehren, der ihr nach den gesteiften Tuchzipfeln fassen wollte. Aber er bekam derb etwas auf die Finger, und sie schnurrte ihn an: »Willst du Gelbschnabel mir mit deinen Schusterpechpfoten wohl von meinem Kopftuch wegbleiben! Trolle dich, oder du wirst hier auf die leere Tonne gelegt und zur Herberge hinaus auf die Straße gerollt!«
»Nur nicht gleich so borstig, Frau Mutter!« lachte der Gesell. »Ich freue mich ja bloß darüber.«
»Freue dich über den Affen, den du hast, und laß die Frau Mutter in Frieden!« erwiderte sie, und er mischte sich wieder unter seinesgleichen. Zu Gilbrecht aber sagte sie schmunzelnd: »Jung Gilbrecht, mein Goldsohn, du bist das beste, was uns der Darmstädter mit nach Lüneburg gebracht hat. Was macht denn's kleine Schwesterchen?«
»Es wächst einem an die Augen heran, Frau Mutter«, lächelte Gilbrecht.
»Das glaub' ich; mir ist es ans Herz gewachsen, das Prachtmädel«, sagte die Alte. »Grüß sie schön von der alten Hombrokschen.«
Noch hörten die Gesellen auf den Altschaffer, der ziemlich klar im Kopfe war und es an der Zeit fand, die Bruderzeche auszubieten. Er klopfte wiederholt mit dem Hammer auf, bis Ruhe ward, und sprach dann: »Liebe Brüder und Tolaggesellen! Weil nunmehr die Zeit verflossen und unser Bruderbier genossen und nicht vergossen ist, so wollen wir für diesmal einen frischen, fröhlichen Feierabend machen, und sind wir fromm gewesen, so wollen wir auch fromm bleiben. Bedenkt, ihr könnt nicht zum Tor hinauswandern, ihr müßt zuvörderst aus eures Meisters Tür hinaus, und wer über dem Herren Vater seinen Stein will, der mache kein Loch in die Mauer, daß ihm kein Ziegel auf den Kopf fällt. Bruder Timmo, deine Weise hat mir wohl gefallen, laß dir meine auch gefallen und mache dich fein lustig. Es ist mir nur leid, daß die Stube oben nicht so voll war wie unten, wir hätten uns sonst zum Fenster hinaus und zum Schornstein wieder hinein getrunken, aber dein Kopf hätte immer der erste sein müssen. Ich danke euch, liebe Gesellen, daß ihr fromme und bescheidene Brüder gewesen seid, und ich hoffe, daß ihr es in den nächsten drei Wochen auch bleiben werdet. Wenn das schwarze Buch verlesen werden soll und ist einer von euch darin begriffen, der stecke den Kopf so lange zum Fenster hinaus, bis das Schwarze vorüber ist.
Soll es verlesen werden?«
»Nein, nein!« riefen die Gesellen.
»So schließe ich unsere Gesellenlade, und wie ich das Schloß schließe, so soll auch jeder seinen Mund schließen; mit Kraft und Macht schließe ich es zu.«
Er schlug den Ladendeckel klappend zu und schloß ab. »Wer genug hat, der gehe nach Hause und vergesse seinen ehrlichen Namen nicht. Wer will weiter trinken, der lasse weiter klingen, mein Pfennig ist sein Gesell.«
Die anderen antworteten alle: »Meiner auch.«
Sie tranken also weiter, bis auch die zweite Tonne leer war, und bewegten sich außer Rand und Band bunt durcheinander. Timmo war in einem völlig unzurechnungsfähigen Zustande; er konnte die beiden Brüder Henneberg nicht mehr voneinander unterscheiden und verwechselte Gilbrecht mit Arnold. Beim Aufbruch schlang er den Arm um Gilbrechts Nacken und lallte: »Siehst du wohl, Bruder Arnold, hab' ich's nicht gesagt? Hab' ich's nicht gesagt? Hab' ich's nicht gesagt? Am Donnerstag gehen wir auf grüne Heide, ha, ha, grüne Heide! Daß du kommst, Bruder Arnold! Glocke achte, hinterm Mönchsgarten. Sie kommen, alle; alle kommen sie auf grüne Heide, Bruder Arnold!«
Keiner sonst hatte das gehört; Gilbrecht aber war von dem frevelhaften Plane, den ihm Timmos trunkener Mund unbewußt verraten hatte, in tiefster Seele erschrocken.