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XXI.

Der Rest der Nacht verfloß ruhig, gegen Morgen hatte der Regen aufgehört und vereinzelte Sonnenstrahlen schossen am Himmel empor. Wie sie aussahen, die fünf Flüchtlinge einer mörderischen, gegen Schwächere geführten Schlacht! Einer lachte, als er den anderen erblickte. Verworren und verklebt das Haar, geschwärzt und mit Streifen bedeckt das Gesicht, zerrissen und zerfetzt die Uniform, mit braunem Rost überzogen jeder Knopf, so standen sie da und wo sie während dieser unheimlichen Nacht gelegen hatten, da waren ihre ganzen Figuren in den Schlamm des aufgeweichten Bodens hineingedrückt.

»Eine wunderbare Gesellschaft!« meinte einer. »Wie seht ihr aus!«

»Gewiß dir ähnlich, Liebster! An jedem deiner Haare hängt ein Klümpchen Erde!«

»Die wir indessen abwaschen können. Der Wind muß als Handtuch dienen.«

Gesicht und Hände wurden vom Boot aus gesäubert und an etwas entfernterer Stelle ein Frühstück mit der hohlen Hand aus dem versumpften Wasser geschöpft, dann, als solchergestalt alles überhaupt Mögliche geschehen war, kam die Beratung.

»Wollen wir den Fußweg auf das gute Glück hin verfolgen, oder uns hier verborgen halten, bis die Neger zurückkommen? Man sieht dann vielleicht klarer.«

»Oder sie kommen nicht und man bleibt auf dem alten Fleck stehen.«

»Der dir doch nur darum so schlecht behagt, weil nichts Eßbares darauf zu finden ist! – Habe ich recht?«

»Frage deinen eigenen Magen, wenn's beliebt!«

»Wir gehen!« entschied Lionel. »Ich bin fest überzeugt, daß die Neger gegen Unionstruppen keine Feindseligkeiten unternehmen werden.«

»Wenn sie nicht etwa Parteigänger sind. Das müssen wir aber wagen.«

Die fünf machten sich auf den Weg, vorsichtig und geräuschlos, aber doch so schnell als nur möglich. Das Gehölz war dicht und von üppigem Blumenwuchs durchzogen, hier lebten auch wieder die kleinen buntgefiederten Gäste, deren Singen das weite Rund durchklang, hie und da schlüpften Eichhörnchen im Gezweig oder gurrten vom Nest die wilden Tauben. Plötzlich traf ein anderer Ton das lauschende Ohr, – es blökte ein Schaf.

Sie standen auf einen Schlag still; der, den der Hunger so sehr plagte, der unglückliche Verschmachtende that sogar einen Freudensprung. »Hammelbraten!« raunte er.

»Verteile keine Portionen, bis du den Wollträger erlegt hast. Da blöken übrigens mehrere dieser Gattung.«

»Hunderte, wie es scheint! Mein Gott, wenn man doch wüßte, ob man Freunde oder Feinde trifft! Das heißt wahrhaftig, mit verbundenen Augen vorwärts gehen.«

Die Herzen schlugen unwillkürlich schneller. Was würde vielleicht in den allernächsten Minuten schon gesehen?

»Es kommt eine Lichtung,« meinte Lionel. »Höchst wahrscheinlich eine große Weide, auf der die Schafe gehen.«

Sie sprachen jetzt nicht mehr; es klang ein Geräusch von Stimmen herüber, Kinderlärm und Hahnenkrähen. Gab es hinter den Bäumen ein Dorf?

»Zelte sehe ich!« raunte einer der Soldaten. »Und ein Feuer!«

»Schwarze Weiber, – sie rühren in großen Kesseln.«

»Das sind, wie ich behaupten möchte, Flüchtlinge gleich uns. Alle möglichen Vorräte lagern im nassen Gras bei ihnen herum.«

In diesem Augenblick kläffte ein kleiner Hund und fuhr wütend gegen das Gebüsch. Ein Schreckensschrei ging durch die Reihen der Negerinnen, sie flüchteten in ihre Zelte, während mehrere Männer, mit Kugelbüchsen bewaffnet, hervorstürzten und dann, als sie die Uniformen der Regierungstruppen erkannten, in lauten Jubel ausbrachen.

»Unsere Befreier! Unsere Befreier! Wie stark seid ihr, Freunde? Wo ist das Heer? – Schon so lange erwarteten wir euch!«

Eine weite, baumleere Niederung zeigte sich den Blicken, Hunderte von weidenden Schafen gingen im dichten Grase, vor einer Anzahl zerlumpter Zelte loderten Reisigfeuer, an denen große Kessel brodelten und angenehme Düfte hinaussandten in die Umgebung. Eine ganze Anzahl von Negern hatte hier ihre Heimstätte aufgeschlagen.

Die Soldaten gaben eine Erklärung und erbaten zugleich eine solche. Leider war dieser stille Fleck Erde keine Insel, sondern die jenseitige Grenze jenes Sumpfes, welcher hinter der Mühlwiese begann; die letzten Ausläufer des großen, meilenlangen Fichtenwaldes erhoben auf diesem Punkte ihre schlanken Stämme, es war nicht unmöglich, daß die kämpfenden Heeresmassen auch hierher kamen, daher wurden unsere Freunde mit so großem Jubel begrüßt, daher war die Enttäuschung der Schwarzen, als sie alles erfuhren, so außerordentlich bitter.

siehe Bildunterschrift

Das Zusammentreffen mit den geflüchteten Negern.

Seitdem sie, vor den plündernden Guerillabanden flüchtend, an dieser versteckten Stelle Schutz gesucht hatten, hing die Entdeckung am seidenen Faden über ihrem Haupte. Die beträchtliche Schafherde gehörte dem Müller, der mit seiner gesamten Familie in den Flammen des brennenden Hauses umkam, ebenso die Kornvorräte und vieles andere, das in Säcken und Fässern herumlag. Wenn die Konföderierten es fanden, so wurden die jetzigen Inhaber erschlagen und die Gegenstände konfisziert.

»Für den Augenblick gebt ihr uns wohl eine Mahlzeit,« bat Lionel, »das heißt, ohne Bezahlung, denn wir haben keinen Pfennig. Seit gestern morgen ist nichts mehr über unsere Lippen gekommen, nicht einmal ein Stück trockenen Brotes.«

Die Schwarzen brachten herbei, was sie selbst besaßen und unsere Freunde ließen sich das Essen schmecken wie ausgehungerte Menschen. »Wie steht es denn nun um eure eigene Sicherheit?« fragte Lionel. »Habt ihr Kundschafter ausgeschickt?«

»Ja, Herr, ja. Für heute wird ein Zusammenstoß der beiden Heere erwartet; wir erhalten, wenn die Konföderierten siegen sollten, eine Nachricht. Es bleibt dann nur übrig, in den Sumpf zu flüchten.«

Das klang wenig ermutigend, aber es war unabänderlich und die fünf Flüchtlinge mußten sich wohl oder übel in ihr Schicksal ergeben. Nachdem sie gegessen hatten, machten sich die Negerfrauen daran, ihre gänzlich durchnäßten Kleider zu säubern und zu trocknen, während sie selbst unter Dach und Fach von den Anstrengungen der durchwachten Nacht ausruhen durften. Stunden vergingen in festem Schlafe, es war weit über Mittag hinaus, als ein Geräusch von Stimmen ihre Träume unterbrach.

Draußen wurde in Neger-Englisch gesprochen. »Vor Abend sind sie hier,« sagte jemand. »Ihre Anführer wollen durchbrechen, die Schwarzen auf den Pflanzungen bewaffnen und so den Unionstruppen in den Rücken fallen.«

»Aber,« rief ein anderer, »aber werden unsere Brüder für sie fechten?«

»Entweder – Oder! Wer sich weigert, bekommt eine Kugel.«

»Dann laßt uns bei Zeiten fliehen, am besten in eine der benachbarten kleinen Städte. Zu den Regierungstruppen können wir nicht gelangen, da die Konföderierten mit ihrer ganzen Stärke den Weg versperren.«

»Ein Unglück!« seufzten mehrere Stimmen. »Ein Unglück!«

Jemand brachte den Soldaten die getrockneten Kleider und auch für jeden einen alten Strohhut, wie diese von den Negern getragen werden. Überall herrschten Unruhe und Besorgnis, man packte zusammen, was ganz unentbehrlich war, die Schafe und Hühner blieben ihrem Schicksal überlassen und als der Abend dämmerte, machten sich sämtliche Insassen des Versteckes auf, um durch den Wald davonzugehen.

Kundschafter voraus. Dann und wann kam ein schwarzes Gesicht zum Vorschein und bebende Lippen verkündeten Böses. Die Unionstruppen waren im weiten Umkreis eingeschlossen, es kamen immer mehr Konföderierte hinzu, immer enger und enger zogen sich die verderbenbringenden Eisenringe zusammen, immer trotziger und wilder drangen die Südlichen gegen ihre umzingelten Feinde vor.

Schießen und betäubendes Tosen drang durch den stillen Wald. Zur Linken und hinter den Flüchtigen brüllten die Kanonen, jetzt mußten die armen Schafe den raublustigen Horden schon zur Beute gefallen sein, – es galt, das eigene Leben in Sicherheit zu bringen; man konnte an nichts mehr denken, als nur an dies eine.

Gegen Morgen erschien vor den Blicken der Flüchtlinge eine Fabrikstadt mit rauchenden Schornsteinen. Die Einwohner von Karolina hielten es immer noch für unmöglich, daß dem gehaßten Norden der Sieg zu teil werden könne; von einem Orte zum anderen glaubten sie sich vollständig sicher, so kam es, daß auch in diesem Städtchen noch die allersorgloseste Ruhe herrschte. Wenigstens fünftausend Konföderierte standen einige Meilen weiter schlagfertig und zum äußersten Widerstande bereit, das war des Schutzes genug.

Hohe Fabrikgebäude erhoben ihre grauen, vom Rauch geschwärzten Mauern zum Himmel, weite, mit Schlacken bedeckte Höfe mündeten aus in ein Gewirre niederer Hütten, zwischen deren Rund sich das Leben des Tages noch nicht regte. Elende Lehmbauten, zum Teil ohne Fenster, bildeten hier die Wohnstätten ganzer Familien, das blasse, hohläugige Antlitz der äußersten Armut sah aus allen Winkeln dem Beschauer entgegen.

Vor der Stadt hatten sich die Neger in einzelne Gruppen geteilt, einer unter ihnen schien bei seinen Gefährten ein besonderes Ansehen zu genießen, ein großer, stattlicher Mann, der ihre geheimen, heidnischen Zeremonien zu leiten pflegte, – dieser war es, welcher den fünf flüchtigen Soldaten als Führer diente. Alle zusammen bogen in eine wenig bewohnte Straße, deren Häuser fast ganz aus Fabrikgebäuden bestanden.

»Haltet euch hart an den Mauern,« flüsterte er, »sprecht nicht, ihr Herren! Wenn irgend ein Mensch eure Uniformen sähe, so wäret ihr verloren.«

Die jungen Leute gehorchten auf der Stelle. Mit dem Rock des Unionssoldaten im noch uneroberten Gebiete der Konföderierten zu erscheinen, das hieß so viel, als den Kopf in den Löwenrachen stecken, sie wußten es, aber da sie von ihrem Truppenteil abgeschnitten waren, so blieb ihnen weiter nichts übrig, als den Anweisungen des Negers zu gehorchen und zwar blindlings. Es dämmerte jetzt bereits, das Grau der Nacht mischte sich mit dem ersten Tagesschein, aber noch war auf der Straße kein Mensch zu entdecken. Der Neger sah immer scharfen Blickes umher, wie ein Falke, dessen Augen nach Beute ausspähen, – vor einer eisernen Gitterpforte hielt er an.

»Scipio!«

Drinnen in dem ummauerten Hofraum erklangen Schritte, die knurrende Stimme eines Hundes schien zum Gebell ansetzen zu wollen, – der Neger hob hastig beide Hände empor. »Scipio, ich bitte dich, bringe den Bluthund fort!«

Am Gitter erschien ein Mulatte. »Der Hund gehorcht mir, Troilus! Was willst du denn so früh schon hier? Kusch, Nero! Kusch! – Das Tier sieht jedenfalls irgendwo auf der Straße einen verdächtigen Menschen. Ruhig, Bestie!«

Der gut dressierte Bluthund legte sich seinem Herrn zu Füßen, aber er knurrte noch leise und fletschte die Zähne. Aufatmend bat Troilus den Fabrikwächter, das Thor zu öffnen und ihn hineinzulassen. »Ich muß ganz notwendig mit dir sprechen, Scipio!«

Der Mulatte öffnete geräuschlos die Pforte. »Deine Mühle ist von den Konföderierten niedergebrannt, nicht wahr, Troilus? – Ah, wen hast du denn da? Segne meine Seele, das sind ja Soldaten, – Regierungssoldaten!«

Troilus zog ihn mit sich in den Schatten der Mauer. »Halte nur den Hund fest, du, und schließe das Thor. Ich will diese armen Jungen in den Negerhütten unterbringen.«

Der Wächter that, wie ihm geheißen worden war. »Flüchtlinge?« fragte er.

»Ja. Wieviel Zeit bleibt noch übrig, bis du die Leute weckst?«

Scipio sah nach der Uhr. »Eine gute Viertelstunde, Troilus.«

»Ach das genügt. Jetzt kommen Sie, meine Herren!«

Er führte die fünf jungen Leute über den Hof und bis zu jenen Hütten, in denen die Sklaven des Besitzers wohnten. Im Fabrikgebäude ruhten noch die klappernden Webstühle, hier, zwischen den Lehmwänden, lag alles in tiefem Schlafe. Scheue Katzen sprangen über den Weg, in einigen halbzerfallenen Ställen grunzten Schweine oder gackerten Hennen, – auf Kehrichthaufen blinzelte der erste blasse Tagesstrahl.

Troilus klopfte an eine der Thüren. »Malcolm!« rief er mit halblauter Stimme. »Malcolm, wache auf, ich muß dich sprechen!«

»Du bist es, Troilus?«

»Ja, ja, komm nur heraus!«

Eine Minute später wurde die Thür von innen geöffnet und der Neger betrat den dunklen Raum, während er seine Schützlinge aufforderte, einen Augenblick zu warten, er werde sogleich wiederkommen.

Die Soldaten sahen einander an. »Da hinein?« flüsterte einer. »Ich denke, mit einer solchen Verbannung hätte man seine Sünden abgebüßt!«

»Still doch! In die Hände der Konföderierten will ich wahrhaftig noch weit weniger gern fallen!«

Jetzt kam Troilus zurück. »Zwei von euch bleiben für heute in dieser Hütte,« sagte er. »Ich denke, ihr beide!«

Seine Hand bezeichnete Hermann und Lionel. »Gehen Sie nur hinein, Gentlemen. Heute abend sehen wir uns wieder.«

Er schien es sehr eilig zu haben, daher gehorchten ihm unsere Freunde sofort, während er schon wieder an eine andere Thür klopfte und auch dort einen Soldaten unterbrachte. Lionel und Hermann standen jetzt in einem engen, niederen Raume, dessen Atmosphäre sie zu ersticken drohte. In der Wand waren einige faustgroße, unverhüllte Löcher, aber kein Fenster, das Luft und Licht hereingelassen hätte; eine drückende Hitze herrschte in dem Gemach, dessen Fußboden mit einer Schicht Stroh bedeckt war, – durch das Halbdunkel rings umher sahen Lionel und Hermann einen Neger und dessen Weib, die sich beide bemühten, die Hände der Soldaten zu erfassen, sie zu drücken und zu küssen. »Der liebe Gott segne euch, ihr hochherzigen Männer,« stammelte der Bewohner des traurigen Raumes. »Ihr kommt aus weiter Ferne hergezogen, um uns armen schwarzen Menschen zu unserem Rechte zu verhelfen, dafür belohne euch der Himmel!«

Lionel wehrte den wulstigen Lippen, die in ungekünstelter Dankbarkeit seine Hände berühren wollten. »Können wir denn bis zum Abend in eurer Hütte bleiben, ihr guten Leute?« fragte er. »Aber vorläufig besitzen wir kein Geld, um es euch zu geben.«

Die Schwarzen erschöpften sich in Beteuerungen. »Was wir selbst haben, das teilen wir mit euch, ihr guten Männer!« riefen sie. »Es ist nur Brot aus Maismehl und Wasser, aber wir geben es von Herzen gern.«

Dann kramte die Frau in einigen alten Lumpen, welche irgendwo im Winkel lagen. »Hier sind auch Kleider von meinem Manne,« sagte die gutmütige Alte, »die müßt ihr anziehen. Troilus will es so haben, er kann euch in der Uniform nicht weiterbringen.«

Die zerfetzten Kattunkleider wurden den Flüchtlingen überreicht und dann, als das Horn des Wächters erklang, machte sich die Alte daran, außen vor der Thür der Hütte den getrockneten Mais auf einer erbärmlichen Handmühle zu mahlen und das mit Wasser vermischte grobe Mehl zwischen zwei heißen Steinen zu einem Pfannkuchen zu rösten. Vor allen Negerhütten geschah zu dieser Stunde das gleiche, wenn auch einige Bevorzugte außer dem Maismehl noch ein Stückchen Speck besaßen, und im stande gewesen waren, sich eine Pfanne oder einen Topf zu kaufen.

Der steinharte Kuchen kam und wurde verzehrt, obwohl unsere Freunde davon nur ein paar Bissen genießen konnten. Die Neger aus allen Hütten wanderten in das große Thor der Fabrik, um ihr mühseliges, dreizehnstündiges Tagewerk zu beginnen, zwischen den Lehmbauten wurde es völlig still und unsere Freunde waren allein.

Lionel schauderte. »Welch' eine Wohnung!« flüsterte er. »O mein Gott, mein Gott, und darin leben für immer die unglücklichen Schwarzen ohne Schutz und ohne Trost, elender als das Tier des Feldes!«

Er stieß die Thür weit auf. »Man könnte bei dem Gedanken daran wahnsinnig werden, Herrmann! O die Armen, die Armen!«

Der andere suchte ihn zu beruhigen. »Es ist ja keineswegs überall wie hier, Lionel! Auf Seven-Oaks lebten die Neger glücklich und in menschenwürdigen Verhältnissen.«

»Ach das war eine einzelne Ausnahme. Laß uns davon nicht weiter sprechen, Hermann, – mir ist das Herz furchtbar schwer.«

Sie warfen sich beide auf die Streu und suchten zu schlafen, aber eigentlich ohne Erfolg. War die Thür geschlossen, so ließ sich in dem fürchterlichen Raume nicht atmen, war sie offen, so mußte eine Entdeckung in jedem Augenblick befürchtet werden.

Von den Kameraden ließ sich keiner blicken, auch sie saßen jedenfalls gefangen zwischen kahlen, schrecklichen Wänden, preisgegeben ganzen Heereszügen von Insekten, ohne ordentliche Nahrungsmittel, ohne trinkbares Wasser.

Am Mittag backte die alte Negerin wieder ihre fürchterlichen Maiskuchen und am Abend kam das Gericht zum drittenmale auf den Tisch. »Eßt ihr nichts anderes?« fragte mit halberstickter Stimme unser Freund. »Nichts anderes während des ganzen Jahres?«

Die alten Leute schienen zu staunen. »Alle Sklaven essen Mais!« versetzte der Mann. »Solche, die als Hausdiener gehalten werden, bekommen wohl hie und da Trinkgelder oder Geschenke, sie kaufen dann ein Schwein und Hühner, – das können nicht alle Leute haben.«

Lionel wandte sich ab. »Es wird jetzt anders werden,« dachte er in brennendem Schmerz. »Solche Frevel rufen die Rache des Himmels herbei.«

»Da kommt Troilus!« flüsterte Hermann.

Der Neger erschien, um seinen Schützlingen zu sagen, daß er sie Punkt elf Uhr an der äußeren Pforte erwarten werde. »Scipio läßt euch hinaus,« fügte er bei. »Aber um des Himmels willen kommt nicht in der Uniform zum Vorschein, das könnte euer Verderben werden.«

»Wohin führst du uns denn eigentlich, Troilus?«

Der Gefragte zuckte die Achseln. »In eine andre Negerhütte und noch in zehn weitere, wenn es so sein muß, – bis Sie zur Regierungsarmee stoßen können, Gentlemen!«

»Hat man Nachrichten über den Stand der Dinge?«

Troilus nickte. »Noch ist keine entscheidende Schlacht geschlagen worden,« sagte er. »Die Konföderierten haben ihre Gegner ganz umzingelt.«

Lionel lächelte. »Um so schwerer werden sie später getroffen, – mit Gottes Hilfe sogar bald. Ich habe die beste Zuversicht auf den endlichen Sieg.«

»Gott gebe es,« murmelten die Schwarzen. »Gott gebe es!«

Der Schlangenpriester sprach dann noch in einer, den beiden jungen Leuten unverständlichen Mundart mit dem Eigentümer und dessen Frau, die beide eifrig nickten. Vielleicht handelte sich's um eine Versammlung unter nächtlich freiem Himmel, um Zauberzeremonien, die das schwarze Volk an verborgener Stätte begehen wollte, den Feinden zum Trotz, der eigenen Sache zum Gewinn. Sie zweifelten heimlich an dem Gotte der Weißen, die Ärmsten der Armen, sie blickten verlangend und sehnsuchtsvoll hinaus in alle Reiche der Natur und der verborgenen, nur geahnten Welt des Geisteslebens, um von irgend einer Macht die Erlösung aus schreckensvollem Elend zu erlangen.

Troilus schied befriedigt. In jeder Negerhütte mochte er die Botschaft zurücklassen und überall gab man ihm willig Gehör. Wenn der volle Mond am Himmel stand, dann war die Zeit für den Schlangenzauber gekommen.

In den Lumpen des alten Negers harrten unsere Freunde der verabredeten Stunde. Die beiden hochbetagten Leute hätschelten mit ihren Gästen herum, soviel es die arme niedere Hütte erlaubte, ja, für beide fand sich noch ein Ei und ein Stückchen Speck, andere treue Seelen hatten es von dem geringen eigenen Vorrate freiwillig und mit tausend Freuden den Vorkämpfern ihrer Sache geopfert, ja, als sich später am Abend die fünf jungen Leute vor den Thüren zusammenfanden, da drückten ihnen die armen Fabrikarbeiter noch von allen Seiten kleine Geschenke in die Hand, ein Stückchen Maiskuchen, einen Bissen Fleisch, ein paar Früchte, die sie vielleicht selbst aus den Gärten ihres Eigentümers gestohlen hatten. Wer garnichts besaß, um es zu geben, der streckte doch wenigstens die schwarze Hand aus und flüsterte einen Segenswunsch.

Die fünf gingen im Schatten der Mauer auf die Pforte zu und Scipio ließ sie hinaus. »Gott mit Ihnen, Gentlemen! Grüßen Sie die anderen tapferen Söhne der Nordens!«

Dabei fiel ein Dollar in Lionels Hand. »Ich habe ihn schon seit Jahren,« setzte er hinzu, »ich dachte immer, mir einmal eine recht große Freude dafür zu kaufen, – wohl, nun ist die Stunde gekommen!«

Lionel schüttelte den Kopf. »Niemals, Scipio! Wie könnten wir dir –«

Aber der Mulatte unterbrach ihn in beinahe flehendem Tone. »O Herr, nimm das Geldstück, ich bitte dich tausendmal! Wolltest du den armen Farbigen kränken, und gering achten, nur weil er nicht weiß ist, wie du selbst?«

»Wahrhaftig nicht!« rief Lionel, während ihm das Blut heiß ins Gesicht trat. »Ich bin ein Quarterone, daß du es weißt, ein entflohener Sklave, aber – dein letztes Besitztum möchte ich dir nicht rauben.«

Scipio schloß hinter den Flüchtlingen die Pforte. »Geht nur!« winkte er. »Gott sei mit euch! Geht und besiegt die Feinde unseres Volkes!«

»Amen!« flüsterte Lionel.

Jetzt standen sie draußen und sahen einander an. Wenn Troilus ausbleiben sollte! – Ein schrecklicher Gedanke! –

Aber da kam er schon und trieb zur Eile. »Auf, Gentlemen, wir müssen in dieser Nacht eine tüchtige Strecke Weges zurücklegen!«

»Wohin geht denn die Reise, Troilus?«

»In eine andere Stadt; wir haben wirklich keine Zeit zu verlieren.«

Er sah zum Himmel empor und fügte, als beantworte er den eigenen Gedanken, hinzu: »Um Mitternacht scheint der Vollmond auf die Erde herab.«

»Was hast du vor?« fragte Lionel.

»Nichts! Nichts! Aber ich muß etwa gegen zwei Uhr nachts wieder hier sein.«

Sie schritten durch die Stadt auf das freie Feld hinaus, eine Schar zerlumpter Gestalten, die wie Gespenster über den Ackerboden dahinglitten. Durchlöcherte Kattunkleider bedeckten anstatt der Uniformen die Glieder der Soldaten, zerrissene Strohhüte lagen auf ihren Köpfen, in Bündeln trugen sie alle verschiedenen, ihnen geschenkten Lebensmittel, die ›Fressibilien‹ des großen Friedrich, von deren Besitz im Leben so vieles, ja alles abhängt.

Voraus ging Troilus, immer die Blicke auf den Mond gerichtet; allmählich fing er an, sich bald nach rechts, bald nach links in den Hüften zu wiegen, er vollführte Schwenkungen sonderbarer Art, er hob die Arme und schleuderte sie hoch in die Luft oder kreuzte sie über der Brust, dabei verfiel er zuletzt in einen Tanz, der seine Aufmerksamkeit von den fünf jungen Leuten vollständig abzog und sie nur auf den Mond richtete.

»Toll geworden!« flüsterte der immer Hungrige, indem er tapfer das letzte Stück steinharten Maiskuchens aus seinem Bündel verzehrte. »Seht den Burschen, er ist verrückt!«

Lionel winkte abwehrend. »Troilus betet!« sagte er. »Laßt ihn doch die äußerliche Zeremonie nach seinem eigenen Ermessen einrichten.«

»Horch! Das war ein Kanonenschuß! Noch einer und noch einer! –«

»Troilus, hörst du nicht?«

Der Schwarze fuhr auf. »Die Götter sind uns günstig in dieser Nacht,« murmelte er. »Sieg! Sieg! Der Mond hat gesprochen.«

»Und die Kanonen sprechen auch. Hörst du nicht?«

Troilus horchte. »Wahrhaftig!« sagte er. »Die Schlacht hat also begonnen!«

»Werden wir denn unser diesmaliges Ziel noch ungehindert erreichen können?«

»Das wohl. Ja, ja, die Stadt liegt ziemlich entfernt von dem Walde, in welchem die Heere kämpfen.«

Sie standen alle still und lauschten mit klopfenden Herzen. Unter dem Donner der Geschütze, die da ihre verderbenbringenden Pforten öffneten, unter Verheerung und Schrecken entschied sich das Schicksal jener Armee, die von der Meeresküste bis in das Herz des Landes vorgedrungen war, um hinter sich das schwarze geknechtete Volk als frei und die weißen Gewaltherrscher als entthronte Größen zurückzulassen. Wenn der eiserne Ring einer vollständigen und keck geplanten Umzingelung zerbrochen werden konnte, so ging der Siegeslauf im Sturmschritt weiter und die letzten Hochburgen der Rebellen mußten stürzen, wie vorher schon so viele derselben gestürzt waren.

Salve auf Salve krachte, der Donner des Kleingewehrfeuers mischte sich hinein. Ein einziges dumpfes Rollen und Dröhnen schien die Atmosphäre in beständiger Bewegung zu halten, den Erdboden in leise Schwingungen zu versetzen. Der Wind trieb Spuren von Pulverdampf den nächtlichen Wanderern entgegen.

»Daß wir nicht dabei sind!« seufzte Lionel.

»Hm!« meinte der Hungrige. »Ein anderes Mal, Kamerad! Weißt du, wenn hier ein Wirtshaus ständ', Wirtshaus mit kühlem Biere, dann müßte dein Dollar springen, Lionel, meinst du nicht auch?«

»Es steht keins hier, das entscheidet die Frage. Troilus, wie weit sind wir von den kämpfenden Parteien entfernt?«

»Drei bis vier Meilen, Herr!«

»Aber die Konföderierten halten den äußeren Ring besetzt und wir können nicht herankommen. Seht da den Feuerschein am Himmel!«

Eine breite, rote Flammenschicht überzog den Horizont, immer weiter sich ausdehnend, immer dunkler erglühend. Der Wald mochte wohl brennen, in Tropfen lief schmelzende Masse von Harz über die Stämme herab, alle Äste leckten Feuer, – und unter diesen natürlichen, gewaltig aufragenden Fackeln kämpften auf Tod und Leben zwei Heere, die einander um jeden Preis den Sieg streitig zu machen suchten. Lohende Fichtennadeln unter den Füßen, rinnende Glut über den Köpfen, so umarmten sich in wilden Gewalten die Regimenter und zu dem eisernen Waffentanz donnerten die Geschütze ihre schreckliche Musik.

»Was ist das da?« forschte jemand. »Auch glühende Punkte in der Dunkelheit! Etwa ein zweites Schlachtfeld?«

Troilus hob die Hand. »Unser Ziel für heute ist es. Sonderbar, daß da so viele Lichter brennen, daß die Leute nicht schlafen!«

»Wieder neue Schwierigkeiten!« ächzte der Hungrige. »Lionel, hast du von diesem strafwürdigen Gebäck nicht noch ein Stückchen übrig?«

»Thut mir leid, Bester, du warst so gütig, den letzten Rest zu verzehren. Aber wo so viele Lichter brennen, da wird ja ohne Zweifel auch Brot zu bekommen sein.«

»Alle Straßenlaternen sind angezündet, wie es scheint! Wüßte man nur, welche Teufeleien da wieder beginnen?«

»Nun, binnen zehn Minuten muß man es ja erfahren. Troilus, was denkst du von der Sache, Alter?«

Der Schlangenzauberer schüttelte den Kopf. »Die Schwarzen haben sich den Konföderierten nicht stellen wollen, das ist's.«

»Dann kämen wir in eine Art von Revolution hinein. Das wird immer besser!«

Während dieser Unterhaltung hatten die Wanderer den kurzen Weg bis unter die Mauern des Städtchens zurückgelegt. Ein Lärmen und Brausen schallte ihnen entgegen, eine Unruhe, die von Minute zu Minute wuchs. Endlich mischten sich auch Trommelsignale hinein, Schießen und Geschrei, aber nicht etwa von einem bestimmten Mittelpunkte ausgehend, sondern von allen Seiten zugleich. Es schien, als sei die ganze Stadt in ein Netz von Lärm und Getöse hineingezogen.

»Revolution! Ich dachte es! – O du lieber Gott!«

»Sei doch nur ruhig, Mensch, du erregst Aufsehen.«

»Hierher!« befahl Troilus. »Mit einer schwarzen Haut kann man in dieser Nacht nicht offen über die Straße gehen.«

Er zog die jungen Leute in ein offenes Wirtshaus hinein und führte sie sogleich zum Hinterzimmer. »Hier bleibt, bis ich Erkundigungen eingezogen habe,« raunte er und verschwand dann wie ein Schatten auf den Hofplatz des Gebäudes hinaus.

Die Straße war leer, aber desto lebhafter gestaltete sich das Treiben auf einem anstoßenden Fabrikhofe. Wenigstens hundert Schwarze verbarrikadierten in größter Hast das vordere Thor, indem sie zerschlagene Möbelstücke, Pflastersteine und Maschinenteile aufeinanderhäuften. Einige unter ihnen schaufelten Sand in Säcke, andere holten alles mögliche Gerät herbei, um es neben und unter die übrigen Verteidigungsmittel zu stopfen.

An der Wand des Fabrikgebäudes lag tot mit zerschlagenem Schädel ein Mulatte, jedenfalls der verhaßte Aufseher, den das Volksgericht zuerst betroffen hatte, – neben ihm, von Messerstichen zerfleischt, auch ohne Leben, ein Bluthund, beides stumme, aber doch beredte Zeugen für den Geist der Widersetzlichkeit, von dem die Neger ergriffen waren. Jetzt, am siegreichen Ausgange des großen Verteidigungskampfes wollten sie sich für den Dienst in der konföderierten Armee nicht mehr pressen lassen.

»Wie eilig es die schwarzen Kerle haben!« sagte Hermann. »Man sieht keine Angreifer und doch arbeiten sie, als solle sogleich Bresche geschossen werden.«

»Die weißen Gebieter sind jedenfalls aus den Fabrikräumen verjagt oder sie liegen auch irgendwo mit dem Messer im Herzen am Boden.«

»Horch! – Es kommt Militär!«

»Wie die Neger laufen, wie sie sich bemühen, ihre Schanzen zu verstärken!« raunte Lionel.

»Arme Jungen, sie scheinen keine Waffen zu besitzen.«

»Der Große da ist offenbar ihr Anführer!«

»Troilus!« rief Lionel. »Ich erkenne ihn deutlich!«

»Aber wie ist er in den verschlossenen Hof gekommen?«

»Irgend ein geheimer Gang, eine Pforte, von der niemand weiß. Das ganze Land ist ja in Parteien gespalten, ein Bruder kämpft gegen den anderen, ein Nachbar verrät den, dessen Dach das seinige begrenzt. Jedenfalls haben die schwarzen Fabrikarbeiter einen verborgenen Zugang zu diesem Hause und zwar ihrer nächtlichen Versammlungen wegen.«

»Da sind die Soldaten!« flüsterte jemand.

Eine kleine Abteilung Konföderierter, etwa sechzehn bis zwanzig Mann nahm vor dem verbarrikadierten Thor Aufstellung. Es wurde mit dem Degengriff angeklopft, der kommandierende Offizier rief: »Aufgemacht!« aber die Antwort blieb aus. Sämtliche Neger schwiegen, sie hielten sich im Schatten der äußeren Mauer, ohne ein Wort zu sprechen.

Hier lag eine Gruppe betend mit gefalteten Händen am Boden, dort las einer in der Bibel und an vielen Punkten standen die armen kindischen Geschöpfe und bedeckten mit den angstbebenden Fingern ihre Gesichter.

»Seht diesen Troilus!« raunte Hermann. »Was macht er da?«

Hinter einem Anbau der Fabrik, etwaigen Kugeln von der Straße her nicht ausgesetzt, stand der Schlangenzauberer und rings um ihn her lagen seine Anhänger mit den Stirnen im Sande. Troilus hielt in beiden Händen, scharf vom Mondschein beleuchtet, eine große züngelnde Schlange, die er bald um seinen Nacken legte, bald um die Arme wand oder auch frei in der Luft schweben ließ. Zuweilen berührte er mit dem Kopfe des widerwärtigen Reptils die nackten Schultern der Knieenden, zuweilen ließ er die Schlange seinen Händen entschlüpfen und fing sie gewandt wieder ein, immer aber tanzte er dabei in jener Weise, die schon auf dem ganzen Wege hierher von ihm geübt worden war.

Der Schlangendienst im Vollmondschein näherte sich seinem Ende, die Betenden mit der Bibel zuckten zusammen, die Ängstlichen warfen sich auf ihre Kniee, – draußen wurde: Feuer! kommandiert. Eine Anzahl Kugeln schlug in den Sand des Hofraums, aber ohne jemand zu treffen, Beile und schwere Balken dröhnten an das Thor.

Troilus hatte jedenfalls die Schlange irgendwo in Sicherheit gebracht, jetzt erschien er, wie ein schwarzer Schatten über den Hof gleitend, vorn an der Umfassungsmauer und spornte die Wankenden zu neuem Eifer. Unsere Freunde konnten von dem, was er sprach, kein Wort verstehen, aber seine Bewegungen zeigten alles. Sobald von draußen gegen das Thor ein stärkerer Schlag geführt wurde, türmten emsige Hände die Sandsäcke und Holzstücke fester aufeinander, jede Salve belohnten unter Anführung des Schlangenzauberers die Neger mit einem Hohngelächter, so daß es endlich den Soldaten klar wurde, wie in dieser Weise die Befestigung nicht zu nehmen sei.

Die Abteilung stellte ihre Angriffe vorläufig ein, aber sie behielt Stellung vor dem verrammelten Thore und zwei Soldaten gingen fort, augenscheinlich um irgend einen Gegenstand herbeizuholen.

Die Straße hatte sich inzwischen vollständig mit Menschen angefüllt. Kopf an Kopf stand das Volk und harrte der Dinge, die da kommen würden. Alles wachte, alles horchte; immer röter und röter färbte sich der Himmel, immer mehr wuchs in jeder Weise die Aufregung. Drüben hinter den Fichtenstämmen donnerten die Kanonen, brauste in wildem Getöse die Entscheidungsschlacht, – es verlautete sogar, daß das Heer der Konföderierten im Zurückweichen begriffen sei. Noch ein starker, energischer Stoß, dann war der Ring gesprengt.

Alles Militär aus der Stadt wurde entsandt, um an dem bedrohten Punkte die Verteidigung zu unterstützen; jetzt übernahmen die Bürger den Angriff gegen das verschanzte Lager der Schwarzen, sie rissen Steine aus dem Straßenpflaster und bombardierten den Hof, aber ohne jemand aus den Reihen der Eingeschlossenen zu treffen. Nur die zahllosen Scheiben des Fabrikgebäudes gingen in Trümmer und jedesmal, wenn wieder ein lautes Klirren und Prasseln einen derartigen Sieg verkündete, erhob sich unter dem Gassenpöbel ein donnerndes Hurra, das die Stürmenden in immer erneute Wut ausbrechen ließ.

»So nützt uns die Geschichte nichts!« rief jemand.

»Aber wie denn? Gib besseren Rat, oder behalte deine Weisheit für dich!«

»Ich wüßte schon, wie!« rief der Kerl. »Aber es gehört mehr als Spießbürgermut dazu, um die Sache auszuführen.«

»Laß hören! Laß hören!«

»Nehmt Baumwollenballen, zündet sie an und werft sie hinüber! Ein Spiel für den, dem es daran liegt, seinen Plan durchzuführen.«

»Ja! Ja!« schrie die Menge, wie immer erhitzt durch den Gedanken an eine brutale Gewaltthätigkeit. »Ja! Ja! Feuer! Das hilft.«

»An anderen Punkten machen sie es ebenso. Seht nur, wie sich der Himmel rötet! Die halbe Stadt steht in Flammen.«

»Und erst drüben der Fichtenwald!«

Für einen Augenblick verstummte aller Lärm, die erschütterten Herzen mochten unwillkürlich fühlen, daß es etwas furchtbar Verhängnisvolles sei, sich so inmitten eines geschlossenen, hochauflodernden Feuerkreises zu befinden, sie mochten die ganze Schwere der Entscheidungsstunde begreifen und es ahnend erkennen, daß die unselige Sache des Südens verloren sei auf immer, daß es kein Halten mehr gebe dem Strafgerichte Gottes gegenüber.

Aber nur kurz dauerte dieser Eindruck, die Stimme des Pöbels überschrie ihn bald. »Heißa! nun kommen die Baumwollenballen! Zündet sie an! Zündet sie an!«

Aus einem nahen Lagerraume wurde der Vorrat herbeigeschleppt. Zwei Leute, die sich der Plünderung widersetzten, waren gleich an Ort und Stelle niedergeschlagen worden, dann brachte jemand in Kannen und Eimern das gefährliche Petroleum herbei, ein starker Geruch durchdrang die Luft, blaue Flammen züngelten empor und unter donnerndem Beifallgebrüll flog das erste brennende Geschoß durch die Luft, um jenseits der Umfassungsmauer in den von den Negern besetzten Hof zu fallen.

Dort war unterdessen der schlaue, von Begeisterung erfüllte Troilus nicht müßig geblieben. In den Fabrikräumen befanden sich lange Eisenstangen, die er herbeischaffen und bereit halten ließ. Als der mit Petroleum getränkte, an allen vier Ecken brennende Baumwollenballen in den Sand fiel, stießen sogleich mehrere Neger die Piken hinein und schleuderten ihn ebenso schnell wieder auf die Köpfe der Angreifer zurück.

Das war unerwartet. Ein vielstimmiger Schreckensschrei beantwortete das Hurra der Neger, die Menge stob auseinander, einige Personen, denen der zerplatzende Ballen auf die Köpfe gefallen kam, einige arg verbrannte Frauen und Kinder kreischten, als steckten sie am Spieße, die lodernden Baumwollenflocken fuhren, vom Winde getrieben, hierhin und dorthin, überall zündend, überall Angst verbreitend, – während ein Teil der Menge, die blaue Flamme im Haar oder in den Kleidern, schreiend davonstürzte, warf der andere den zweiten Ballen in den verschanzten Hof, den dritten, vierten, ehe sich die Neger, an Zahl und Entschlossenheit im Nachteil, genügend zur Wehr setzen konnten.

Es entstand ein Höllenspektakel, dichter Rauch wallte auf, unter dem vor der Mauer versammelten Volke kam es zu Zwistigkeiten und endlich zu Schlägereien, – wild erregt, in unentwirrbarem Durcheinander, von Wehgeheul und Flammen umgeben, kämpften erbitterte Menschen, ohne dabei einen wirklichen Grund für diese Uneinigkeit zu haben, ohne zu wissen, weshalb sie schlugen und schossen.

Hinüber und herüber flogen die Feuerbrände, taghell war rings die Umgebung beleuchtet, Fensterscheiben klirrten, Mauertrümmer fielen dröhnend zusammen, benachbarte Gebäude wurden angegriffen und ausgeraubt, durch die zerschlagenen Fenster der Fabrik flogen brennende Baumwollenmassen und setzten das Innere in Brand, – auch hier stieg ungehindert, majestätisch und rotglühend die Feuersäule gen Himmel.

In dem verhältnismäßig engen Hofe wurde die Luft zum Ersticken heiß; von den schwarzen Gestalten verschwand eine nach der anderen, hierhin, dorthin, die einen auf benachbarte Gebiete, die anderen in allerlei Verstecke. Es gab in dieser entsetzlichen Nacht keine bestimmt geordnete Handlungsweise, keinen Plan und Gegenplan mehr, alles ging darunter und darüber, jedes Gesetz, jede Forderung von Sitte und Gerechtigkeit hatte aufgehört.

Mit bleichen Gesichtern sahen unsere Freunde einander an.

Aus dem Fenster des Wirtshauses hatten sie sämtliche Vorgänge beobachtet, immer noch allein, ohne eine Auskunft über die Pläne des Negers, ohne den Gastwirt gesehen und überhaupt erfahren zu haben, ob es ihnen gestattet sei, hier noch länger zu bleiben, oder nicht.

Unten im Erdgeschoß entstand jetzt ein wüstes Getöse. Die Rotte von der Straße war hereingebrochen und hatte sich sämtlicher Branntweinvorräte bemächtigt, – vielleicht würden diese Unholde auch das erste Stockwerk stürmen und was dann geschah ließ sich auf keine Weise berechnen.

»Bleiben wir hier?« flüsterte Lionel, »oder was meint ihr, Kameraden?«

»Ich denke, wir gehen unbekümmert auf die Straße hinab. Wer sollte in uns Soldaten der Regierungsarmee erkennen?«

»Aber Troilus warnte so eindringlich. Jemand nennt den Unbekannten, zwecklos Umhergehenden einen Spion und im nächsten Augenblick wird er gelyncht.«

»Horch, es kommt ein Mann die Treppen herauf, wenn nicht mehrere!«

»Die Angreifer würden nicht leise schleichen. Vielleicht ist es der Wirt!«

Unwillkürlich scharten sich die fünf jungen Leute dicht zusammen und schoben einen schweren Steintisch als Brustwehr vor ihre Front, aber schon nach einer Minute zeigte sich, daß diese Maßregel unnötig gewesen, – Troilus sah in das Zimmer hinein, ihm nach folgte auf dem Fuße ein Gelber, dessen plumpes Gesicht die höchste Angst verriet. »Wie das klirrt!« murmelte er, »wie die Scherben fliegen! Allen meinen Brandy trinkt das Gesindel!«

Troilus winkte ihm. »Schweig, Assaph,« befahl er. »Andere Leute verlieren in dieser Höllennacht mehr als du!«

Dann wandte er sich zu den jungen Leuten. »Ich muß Sie jetzt verlassen, Gentlemen! Aber mein Freund Assaph wird Ihnen ein sicheres Versteck anweisen, Sie können ganz unbesorgt sein. Vor Sonnenaufgang sind die Regierungstruppen hier, – man meldet die gänzliche Niederlage der Konföderierten, ihre wilde Flucht, ihre Auflösung in einzelne Banden.«

Lionels Auge blitzte. »Das wäre eine gute Botschaft!« rief er.

Troilus nickte. »Sie ist vollständig verbürgt, Sir. Deshalb toben die weißen Unterdrücker auf der Straße, deshalb plündern und schlagen sie einer den anderen. Ihre Stunde ist gekommen, sie wissen es, aber sie sträuben sich gegen das Urteil.«

Dann trat der brave Mann den Flüchtlingen näher. »Adieu nun, adieu, ich muß fort. Die Schlange hat gesprochen, hat den Sieg verkündet, das sollen in dieser Nacht noch viele harrende schwarze Menschen erfahren. Assaph, du bürgst mir für diese Fremden!«

»Ja!« seufzte der Mulatte. »Ja! O lieber Gott, wie die Teufelsbrut in meinem Eigentum hauset, – jegliches Stück wird zu Scherben geschlagen.«

Eine dichte Rauchwolke wälzte sich in das Zimmer hinein; der Wirt schlug die Hände vor das Gesicht. »Hilf Himmel, jetzt brennt es sogar schon!«

»Rasch also!« drängte Troilus. »Rasch, ehe die Treppe erfaßt wird!«

Der Lärm unten im Hause war so betäubend, daß keine Vorsicht notwendig schien. Alle sieben Männer eilten über die Stufen der Treppe hinab in den Hof und an der brennenden Fabrik vorüber, bis auf einen freien Platz, in dessen Mitte eine Kirche stand. Das Gebäude lag im Doppellichte des Mondglanzes und der rings umher herrschenden Gluten, seine Thüren waren sämtlich verschlossen bis auf eine und dieser strebte Assaph, der Mulatte, entgegen, während die fünf jungen Leute in aller Eile von Troilus Abschied nahmen.

»Hinein! Hinein!« drängte er. »In der Kirche sucht euch niemand und bis es Tag ist, kommen die ersehnten Befreier.«

»Willst du nicht mitgehn, Troilus?«

»Unmöglich!« antwortete der Neger. »Die Pflicht ruft mich!«

»Adieu also! Adieu! Gott lohne dir, Troilus!«

»Das that er schon. Die Sache der Schwarzen ist im Sieg begriffen. Hurra! Hurra! Mein Volk wird frei!«

Und indem er den Hut schwenkte, glitt der Neger in das Dunkel eines engen Ganges zwischen zwei Häusern. Die Soldaten ihrerseits beeilten sich, das Innere der Kirche zu erreichen, wo wenigstens schon drei- bis vierhundert Schwarze, Männer, Frauen und Kinder ihre Plätze gefunden hatten. Fortwährend kamen neue Flüchtlinge hinzu, angstvolle Gesichter sahen einander an, bebende Lippen flüsterten voll Unruhe.

In den Straßen der Stadt herrschten Mord und Gewaltthat; eine förmliche Hetzjagd auf farbige Menschen war ins Werk gesetzt worden. Wo draußen oder in den Häusern die Unglücklichen zu finden, da hatte man sie hervorgezerrt und auf bestialische Weise zu Tode gemartert, um so an den einzelnen, wehrlosen Geschöpfen die Niederlage des Südens grausam zu rächen.

Blutende Wunden wurden notdürftig verhüllt, bittere Schmerzen niedergekämpft. Hier fehlte ein Glied der Familie, dort wußten die unglücklichen Schwarzen, daß sie ein teures Antlitz nie im Leben wiedersehen würden. Der Vater war mitten aus der Reihe angstvoll weinender Kinder heraus gerissen und vor ihren Augen erschlagen worden, sie sahen sein Blut das Pflaster färben, Bestien in Menschengestalt beschimpften und schlugen noch den toten Körper, fremde Hände rissen die jammernden Angehörigen hinweg und entzogen sie dadurch dem gleichen, schrecklichen Schicksal. Ein leises, herzerschütterndes Weinen ging durch den gewölbten Raum der Kirche, aber auch ein Flüstern des Frohlockens.

»Seht hinaus, weiße Männer der Nordarmee, seht, wie eure Brüder siegen! Die Konföderierten sprengen in voller Flucht durch das Thor, alle Straßen wimmeln von ihnen. Unter den Hufen ihrer Pferde zertreten sie unsere Frauen und Kinder.«

Die jungen Leute sahen einander an. So nahe die Erlösung?

»Laßt uns den Turm erklettern,« schlug Lionel vor. »Vielleicht sehen wir mit eigenen Augen, wie die Dinge stehen.«

Assaph, der jammernde Wirt, nickte händeringend. »Seht auch hinüber zu meinem Hause, ihr Herren,« bat er, »seht nach, ob es noch steht. O du lieber Himmel, all' das sauer erworbene bißchen Armut geht verloren! Ich bin ein geschlagener Mann, ich!«

Unsere Freunde überließen ihn seiner Verzweiflung und stiegen auf die runde Galerie am Ansatz des Turmbaues, um hinabzuspähen in die tobende, lärmende Stadt. Greller Feuerschein fiel durch die kleinen, bunten Scheiben der Treppenfenster, in roten, glühenden und lohenden Wolken lag jeder Gegenstand, jedes Wesen gebettet; gleich schwarzen, hochgeschwungenen Fahnen zogen die Rauchmassen unaufhörlich darüber her.

An den Wänden hingen die Bildnisse besonders hervorragender Männer aus der Kirchengeschichte, oder die gemalten Darstellungen biblischer Szenen, – über alles dieses zuckte der rote Strahl dahin, wie fließendes Blut lag es auf den ernsten Gesichtern eines Moses und Johannes, wie Blut auf dem weißen wallenden Gewande des Erlösers.

Oben im Rondel standen Säulen; hinter denen versteckten sich die jungen Leute, um von der Straße her nicht gesehen werden zu können. Ein dichter Menschenknäuel wogte auf und ab, Schmerzensschrei und das Triumphgeschrei des Sieges drangen empor zu den Lauschern, Berittene sprengten hin und her, ganze Scharen von Fußsoldaten folgten ihnen, stärker und stärker wurde das Getümmel.

»Seht doch!« flüsterte Hermann. »Die Leute bringen den flüchtigen Soldaten Erfrischungen. Man umarmt sie, man verbindet auf offener Straße ihre Wunden.«

»Männer küssen einander! – O wie die Herzen beben müssen, wie sie wohl weinen, die gequälten Menschen.«

»Die Sklavenbarone!« nickte Lionel. »Hermann, du kannst darüber nicht vollständig urteilen, – dein Rücken war von der Peitsche des Aufsehers, von den Fangzähnen der Bluthunde niemals bedroht. Es ist dein Volk, das weiße.«

Hermann sah ihn an. »Aber du willst doch nicht sagen, daß das schwarze in diesem Sinne – vergib mir! – das deinige sei.«

Lionels Auge blitzte. »In jedem Sinne ist es das meinige. Gewiß, Hermann! Du brauchtest deshalb nicht um Verzeihung zu bitten.«

Hermann streckte ihm die Hand entgegen. »Bist du böse, Lionel?«

Unser Freund lachte. »Böse? – Und in diesem Augenblick? – Sieh da, ein langer Zug von Soldaten. Sie bringen ihre Todwunden, die, deren Leben am seidenen Faden hängt. Das ist Gottes Vergeltung für die armen, gemordeten Schwarzen.«

Eine traurige Erscheinung bot sich den Blicken der Versteckten. Auf zusammengefügten Zweigen, hart gebettet, von je vier Kameraden getragen, ruhten stille regungslose Gestalten, denen man es ansah, daß der Tod die dürren Hände nach ihnen ausstreckte. Irgend ein Uniformstück, dem nächsten Gefallenen geraubt, lag unter dem Kopfe, ein paar grüne Büsche wehrten nach Möglichkeit den Moskitos und so trugen die Soldaten ihre Kameraden von der Walstatt, dem ungewissen Schicksal entgegen.

Denn nahe, ganz nahe war der Augenblick, wo die siegreichen Scharen folgen würden, wo die Stadt in ihre Hände fiel und das letzte Bollwerk von ganz Karolina, die im brennenden Walde zusammengezogene Truppenmacht, in alle vier Winde zerstob.

Frauen kamen aus den Häusern und öffneten weit ihre Thüren, um der Leidenden einen bei sich aufzunehmen und ihn zu pflegen, Kinder auf den Armen ihrer Mütter wurden den Berittenen entgegengehalten, um ihnen Blumen oder Erfrischungen darzubieten, – alles vereinigte sich zur erschütternden Szene der Trauer und des bittersten Seelenschmerzes.

Ein Land, das seine bürgerliche Freiheit, den Mittelpunkt aller seiner Einrichtungen dem Sieger preisgeben muß, ein Land, das verarmt, weil ihm der Stärkere den bisherigen Reichtum aus der Hand gewunden hat, – der Gedanke ist schmerzvoll und beklemmend.

»Sie kommen!« ging es im Flüstertone von Mund zu Mund. »Sie kommen!«

Das hörten unsere Freunde nicht, aber sie sahen es an den erschreckten Gruppen, sie erkannten es an mehr als nur einem Zeichen. Der Feind, der Sieger kommt! –

Und die flüchtenden Scharen schlossen sich zusammen, hier Infanterie, dort Berittene, – sie reichten noch einmal den Bürgern die Hände, sie grüßten nach rechts und links, dann ging es fort, in die Nacht hinein, schnell, so schnell Pferde und Menschen zu laufen vermochten. Ob ein schützendes Dach die Ermatteten, Verzweifelten erwartete, ob ihnen ein Stück Brot zu teil werden würde, – wer wußte das?

Sie zogen in das letzte Freigebiet, das der Sieger erst in einigen Tagemärschen erreichen konnte, sie mußten ganz darauf gefaßt sein, hier als Gefangene das Schicksal der Besiegten zu erleiden. Ein schmerzlicher Abschied von denen, welche zurückblieben, um jetzt schon den Todverhaßten ihre Stadtthore zu öffnen.

Allmählich wurde es stiller und stiller, die Menschen verschwanden von den Straßen, die Häuser schlossen sich. Aufgehört hatte die Hetzjagd gegen das menschliche Wild, aufgehört der laute Jammer über die erlittene Niederlage, – bleiernes Schweigen deckte die Stätte, an welcher noch vor kurzen Viertelstunden des Lebens heißeste Leidenschaften im erbitterten Kampfe mit einander gerungen hatten.

Lionel war sehr blaß, sehr ernst. »Und nun?« fragte er. »Ist es schon an der Zeit, hinabzugehen und die Sieger hierherzuführen, hierher zu den Opfern des Tages? – Für jeden dieser armen verbrannten, zerschossenen und zertretenen Schwarzen zehn Weiße, so wäre es billig. Sie müßten fühlen, was die plumpe, brutale Übermacht bedeutet.«

Der immer hungrige Kamerad schüttelte den Kopf. »Ich würde erst das Tageslicht erwarten,« meinte er.

»Ich auch!« stimmten die übrigen bei.

In diesem Augenblick erklang von der Treppe her Assaphs klägliche Stimme. »Und mein Haus?« fragte er. »Mein Haus? Steht es noch? Keiner von den jungen Herren hat mir eine Nachricht gegeben.«

Jetzt sahen alle zugleich hinaus. Da drüben der rauchende Trümmerhaufe, das war die Fabrik. Und neben ihr, nur getrennt durch die Umfassungsmauer, – stand das niedere Häuschen noch?

»Ja, Assaph, ja! Man erkennt es deutlich. Der wackelige alte Bau ist gerettet, du besitzest es wirklich, dein Brandyschloß!«

Der Gelbe warf die Mütze in die Luft. »Hurra! Hurra! Im Keller ist ein loser Stein, den hab' ich unter allerlei Gerümpel versteckt. Heißa, was darunter liegt, das können die Spitzbuben so schnell garnicht gefunden haben, es ist mein ganzer Reichtum, mein –«

Und dann erschrak der würdige Mann, seine geizige Seele empfand bereits wieder neue Befürchtungen. »Geld liegt allerdings nicht im Keller!« rief er. »O durchaus nicht, die Sache war vielmehr ganz anders gemeint!«

Ein fünfstimmiges Gelächter belohnte diese Rede. Sie empfanden es sämtlich als Wohlthat, einmal an anderes, als an den unseligen Krieg und die Schreckensszenen dieser Nacht denken zu dürfen; der Hungrige hatte auch gleich einen Vorschlag bei der Hand.

»Assaph,« sagte er, »geh aus, Dicker, und schaffe uns Lebensmittel, denn du mußt wissen, wir haben Geld. Nicht wahr, Lionel?«

»Nimmersatt!« lachte unser Freund.

»Geh nur, Assaph, geh nur, – und höre, Zitronengesicht, bringe uns auch einen Schluck von etwas Geistigem mit.«

Der Gelbe schnitt entsetzliche Grimassen. »Geld hätten die Herren? Hm, – Hm, – ja, kann ich die Sache wirklich wagen?«

Und er trat hin und her, wie jemand, der nicht weiß, ob ihn seine Straße nach rechts oder links führen werde.

»Horch!« rief er dann! – »Musik!«

»Militärmusik! Das sind unsere Kameraden!«

Die Melodie von › Old John Brown‹ klang zur Galerie des Turmes empor. Es mochte wohl zufällig ein Negerregiment an der Spitze des Armeekorps marschieren. Die Schwarzen begrüßten ihre erlösten Brüder, sie jubelten ihnen in den Weisen des nationalen Liedes einen siegesfreudigen Zuruf entgegen, ein »Tröstet euch! Tröstet euch! wir kommen!«

Und so wurde der Empfang von den in der Kirche Befindlichen aufgefaßt. Das leise Weinen und Klagen verstummte, wie elektrisiert horchten alle, während Assaph vor Freude vollkommen außer sich geriet. »Sie sind da, die Befreier, sie sind da! – Ich wage es! Nun will ich doch sehen, ob der Stein im Keller –«

Und fort schoß er wie der Pfeil vom Bogen.

»Bring etwas zu essen!« rief ihm der Hungrige nach.

Und dann erschienen auf der todesstillen Straße die Sieger. Eichenzweige schmückten die Kopfbedeckungen, braun und staubig sahen sie aus, die Gesichter, zerrissen und durchlöchert die Uniformen, aber froh blickten die Augen in den dämmernden Morgen hinein, lustig wurde halblaut im Takt die beliebte Melodie mitgepfiffen.

Wie ein farbenreiches Band, so rollte sich der lange Zug in verschiedene Abteilungen auf. Voraus Schwarze, dann wieder hochgewachsene Söhne des Nordens, dann ein deutsches Regiment, und abermals Neger. Ihrer zwanzigtausend mochten den Weg über diese Stadt genommen haben, vielleicht noch mehrere.

Und nun hielt es sie nicht länger, die in der Kirche eingesperrten Farbigen, sie stürzten hinaus, um ihre Brüder, ihre Befreier zu grüßen, unaufhaltsam, wie ein dunkler Strom ergoß sich die Menge auf Straßen und Plätze. Brausend, donnernd, in zehnfachem Widerhall erklang aus Hunderten von Kehlen das › Old John Brown‹; ebenso glühend umarmt und geliebkost wie vorhin die Konföderierten, wurden jetzt die Regierungssoldaten, nur eins fehlte, – die Bewirtung. Halb verhungert, wie sie selbst es waren, konnten die armen Schwarzen ihren Erlösern nichts geben, als nur Thränen des Dankes, nur Liebe, grenzenlos hingebende Liebe, die wohl mit dem eigenen Leben die ungeheure Schuld tilgen möchte, der es aber an dem trockenen Brote fehlt, um den hungernden Sieger zu speisen.

Von Narben zerrissen, welk und gebeugt, so gingen die Schwarzen neben ihren Brüdern in der Uniform der Nordstaaten, sie hielten die Hände derselben, sie erzählten ihnen von den ausgestandenen furchtbaren Leiden dieser Nacht, von dem Jammer, den so viele aus ihren Reihen erdulden mußten.

Und hie und da am Wege lag als beredtes Zeugnis für die Wahrheit des Gesagten noch ein toter, entstellter Körper, sah ein schwarzes Gesicht mit stummer, schwerer Anklage zum Morgenhimmel empor. Nur blinder Haß hatte diese Unglücklichen dahingemordet, ein letztes, allerletztes Aufflackern des tyrannischen Gelüstes, das in dem Neger nur die Arbeitsmaschine, nicht den gleichberechtigten Menschen erblicken wollte.

Die Soldaten drückten die Hände ihrer Brüder. »Jetzt ist euer Unglück gehoben, ihr Armen! Getrost! Getrost! Der Sieg bleibt unser.«


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