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XVII.

Der Unteroffizier blieb lange bei seinem Vorgesetzten in der Kajütte, dann wurde erst einer der jungen Leute allein vernommen, darauf der andere, schließlich Toby, der Unmündige, dem Lionel nochmals einschärfte, nur die Wahrheit zu sprechen, oder er werde es mit dem Leben büßen müssen. So erfuhr der Kommandeur den wirklichen Sachverhalt, er überzeugte sich von der Wahrheit der erhaltenen Aussagen und ließ schon am anderen Tage seine Gefangenen in das Matrosenquartier überführen.

Jetzt waren sie frei, es konnte ein neuer Abschnitt ihrer Geschichte beginnen, endlich derjenige, in welchem sie mit Gottes Hilfe teilnehmen sollten an dem Siegeszuge der Unionstruppen, deren Waffen schon seit Wochen die Konföderierten in allen Schlachten geschlagen hatten, um immer weiter und weiter gegen die letzten festen Bollwerke der Rebellen vorzudringen und schließlich auch diese zu stürmen.

»Wir gehen nach Charleston in Südkarolina,« hatte der Unteroffizier gesagt. »Vorher aber gelingt es vielleicht noch einen Blockadebrecher zu erwischen. Hier zwischen den zahlreichen Inseln im Strome halten sie sich auf und geben ihre Ladung an Boote, die dann leichter durchschlüpfen. Die schlauen Franzosen sind schon während der Nacht unter unserm Bug hingestrichen und haben richtig das weite gewonnen, jetzt aber gedenken wir sie ebenso sicher zu überrumpeln, wie vorhin die Leichenplünderer.«

»Sie haben Kundschafter?« fragte Lionel.

»Ja, natürlich. Ohne diese geht es bei den weiten Entfernungen nirgends.«

»Und jetzt ist wieder ein solches Schmugglerschiff angemeldet?«

»Es ist hier irgendwo in einem der Hunderte von Seitenarmen eins beschäftigt, Lebensmittel zu löschen – das jagen wir.«

Auf dem ganzen Schiffe war die Stimmung eine äußerst gehobene. Wenn das Schmugglerfahrzeug ergriffen wurde, so gab es reichliche Rationen und wohl gar Prisengelder, jedes Auge spähte daher nach irgend einem Zeichen, an dem sich die Anwesenheit des Franzosen erkennen ließ. Stromauf und stromab kreuzte das Schiff, bald hier Anker werfend, bald dort, aber bis jetzt immer vergeblich. Zwei große Boote mit zusammen dreißig Mann gingen dann in die engeren Kanäle hinein, um zu suchen, während die Kanonen des Schiffes immer bereit gehalten wurden, jeden Augenblick die Verteidigung zu übernehmen.

Auch Lionel durfte auf seine besondere Bitte diese Ausflüge zuweilen mitmachen, herrliche Fahrten durch schmale, umbuschte Wasseradern, vorüber an hohen Schilfmassen, in denen wilde Enten und Schwäne brüteten. Die riesigen weißen Wasserrosen versperrten beinahe den Weg, tiefe Friedensstille herrschte ringsumher, – der Kundschafter mußte eine vollständig irrtümliche Botschaft gebracht haben, – hier gab es kein Schiff, keine Schmuggler, nur die großen grauen und weißen Schwimmvögel belebten das weltabgeschlossene, einem kleinen Paradiese gleichende Gebiet.

Dann meldete eines Tages zu früher Morgenstunde der Mann im Mastkorbe plötzlich einen leichten, in einiger Entfernung aufsteigenden Rauch. »Zwischen den beiden einander fast berührenden Inseln muß ein Dampfer liegen!«

Die Botschaft wirkte elektrisierend. Ein Offizier bestieg selbst den großen Mast, um genaue Rundschau zu halten, er blieb lange oben und kam dann mit sehr befriedigter Miene wieder an Deck herab. »Den Rauch habe ich gesehen,« meldete er. »Es ist dieselbe Stelle, an der wir neulich lagen und nichts entdeckten.«

Der heißblütige Kommandeur ballte die Faust. »Diesmal soll uns das Gesindel nicht entwischen!« schwor er. »Wir wollen so nahe als möglich herankommen und die Boote ausschicken, wenn Gewißheit erlangt ist.«

Das Schiff richtete seinen Lauf der bezeichneten Stelle entgegen und von Zeit zu Zeit meldete der Mann am Ausguck, daß immer noch hinter den Bäumen ein Rauch aufsteige, plötzlich aber hieß es: »Nun ist alles verschwunden!«

»Wir sind also bemerkt worden und die Halunken haben ihre Feuer gelöscht, – das wird ihnen hoffentlich wenig nützen!«

Da vorn in der grünen Wildnis regte sich nichts, es war so still unter den schilfumkränzten Baumriesen, wie auf einem Gottesacker, selbst die Vogelstimmen schwiegen, als fürchteten sie sich, in die bange, hochgespannte Situation hinein irgend einen Laut zu werfen. Auch das schärfste Auge hätte hier keine Spur des Lebens entdecken können.

Alle Offiziere waren an Deck versammelt, die Unruhe stand lesbar in jedem Gesichte. Vielleicht brachten schon die nächsten Augenblicke einen neuen, erbitterten Kampf.

»Die Boote herab!« lautete das Kommando. »Backlegen!«

Aber ehe noch dem Befehle Folge geleistet werden konnte, erklang aus dem Mastkorbe eine Botschaft, die wieder den ganzen Plan veränderte. »Ein Schiff auf Steuerbord!«

Aller Blicke suchten den bezeichneten Punkt. In ziemlicher Entfernung glitt ein Dampfer mit vollem Dampf über die Wellen, quer in das Inselreich hinein. Es wehte vom Mast keine Flagge, kein Zeichen verriet die Nationalität des flinken Schiffes, aber seine offenbare Eile zeigte deutlich genug, daß es nicht bemerkt und noch weit weniger eingeholt werden wollte. Die schwarzen Rauchwolken, zu langer Linie vereinigt, schwammen in der hellen Luft wie ein wehender Riesenschleier dem Dampfer nach.

»Was nun?« Die Frage lebte in allen Herzen zugleich.

»Ihm nach!« riefen mehrere Stimmen. »Ihm nach!«

»Aber wenn wir in einen Hinterhalt gelockt würden?«

»Bah! was könnte uns die Nußschale anhaben?«

Das veränderte Kommando erfolgte und das Schiff flog dem vorauseilenden Dampfer nach. Grimmigen Blickes beobachtete der Kapitän die Entfernung zwischen dem Fremden und seinem eigenen Fahrzeuge, er brummte eine Verwünschung nach der anderen in den Bart.

»Allen Dampf auf! Sollen die Halunken entkommen?«

Aus dem Maschinenraum wurde gemeldet, daß die Feuer nicht vollständig glühten. Das Schiff hatte eine langsame Fahrt innegehalten, man war auf diese plötzliche Verstärkung der Geschwindigkeit nicht vorbereitet gewesen.

»So werft Speck in die Flammen, Öl, Schinken, alles was lichterloh brennt!«

Einige Minuten später war das Schiff in eine dichte Wolke blauen, unangenehm riechenden Dunstes gehüllt, die Schornsteine sandten schwarze Wolken empor, hie und da sprangen Funken, aber immer noch wollte sich die Entfernung zwischen dem Verfolger und seinem Wilde nicht wesentlich vermindern, ja, es entstand für die Fregatte sogar die Gefahr, hinter einer der Inseln das fremde Schiff ganz aus den Augen zu verlieren, – der Kapitän ließ das Glas nicht mehr von sich.

»Es muß schneller gehen! Schneller! Gießt Öl nach!«

Wieder kam eine neue Meldung. »Die Feuer brennen jetzt überall!«

»Gießt Öl nach! Vorwärts! Vorwärts!«

Funkenregen, glühende Asche, ja ganze brennende Körper flogen auf das Verdeck herab. Das Schiff erdröhnte in allen seinen Fugen, der Qualm verhinderte die Menschen, zu atmen. Wie ein Vogel schoß das Schiff über das Wasser.

Die dritte Meldung kam an Deck. »Jetzt ist ohne die dringendste Gefahr keine Steigerung mehr möglich. Es wird schon in jedem Augenblick eine Katastrophe befürchtet.«

Der Kapitän nickte. »Gut so! Gut so! Jetzt werden wir die Halunken schon einholen! Da in der breiten Rinne müssen sie wohl oder übel Halt machen!«

Die gewaltige Eile der Fahrt dauerte fort, zusehends verminderte sich die Entfernung zwischen beiden Schiffen. An Deck der Fregatte sahen die Offiziere einander verstohlen an. »Ein Hinterhalt, in den wir gelockt werden!« flüsterte jemand.

»Das glaube ich auch!«

»Vielleicht ein Angriff vom Lande her!«

Ein Achselzucken beantwortete den Satz. »Jedenfalls sind zwei Kauffahrer hier herum versteckt, – hinter uns liegt jetzt einer und löscht in aller Ruhe seine Ladung.«

Unteroffizier Reuter glaubte dasselbe. »Unser Kommandeur hat sich überrumpeln lassen!« flüsterte er. »Geben Sie acht, da vorn liegen konföderierte Kanonenboote und wir werden heiß genug empfangen werden!«

Lionel erschrak. Das Wort ›konföderierte‹ schien an kaum überstandene Gefahren zu erinnern, es trieb einen Schauer durch alle seine Adern. »Wenn nun die Fregatte geentert würde!«

»Das geschieht so leicht nicht, Sir! Jetzt noch um diese große Insel herum, dann werden wir sehen, was an der Sache ist!«

Auf Deck erklangen Befehle aller Art, die Bootmannspfeifen schrillten, die Soldaten traten an, das Schiff wurde, klar zum Wenden, für jede etwa notwendige Bewegung bereit gehalten, die Kanoniere standen bei den Geschützen, der Posten am Ruder war doppelt besetzt und vom Ausguck her kam in jeder Minute eine Meldung.

Jetzt war das fremde Schiff nahe genug, um seine Nationalität erkennen zu können. Ein Franzose! Man hatte von Anfang her nichts anderes erwartet. Die Aufforderung zum Beidrehen, eine Kanonenkugel schwirrte über seine Mastspitzen hinweg, ohne indessen beachtet zu werden. Wie eine weiße Möwe mit ausgebreiteten Schwingen flog das schlanke Fahrzeug über die Wellen dahin.

»Geben Sie acht,« flüsterte der Unteroffizier, »jetzt verschwindet es gleich!«

»Rechts um die bewaldete Landspitze?«

»Natürlich!«

Der Laut war noch nicht verklungen, als das französische Schiff eine Seitenbewegung vollführte und plötzlich den Blicken derer, die es beobachteten, verloren ging. Gleichzeitig schrillte vom Ausguck eine neue Meldung auf das Deck herab.

»Schiffe auf Backbord! Kanonenboote!«

Im vollen breiten Fahrwasser lag die Fregatte, rechts in einen Seitenarm war das Schiff verschwunden und links schossen gerade jetzt drei Kanonenboote in langer Linie auf, um sofort den günstigen Augenblick zu benutzen und die Fregatte mit einer glatten Lage so gleichsam aus dem Hinterhalt hervor anzugreifen.

Ein betäubendes Triumphgeschrei begleitete den gelungenen Streich. Zwar vergingen nur Minuten, bis die Breitseiten der Fregatte ihre todbringenden Antworten hinausspieen in das Takelwerk der kleinen hölzernen Fahrzeuge, aber während dieser kurzen Zeit erkannten doch die Konföderierten, daß ihre Kugeln nicht umsonst abgeschossen worden waren. Zerfetzt hingen die Segel der Fregatte herab, vom Schornstein war die Kappe über Bord geflogen, – fünf oder sechs Männer hatten das Deck mit ihrem Blute gefärbt.

»Seht die Wahnwitzigen!« rief der Kommandeur. »Sie glauben, so wahr ich lebe, mein gutes Schiff entern zu können!«

Wirklich kamen auf sämtlichen drei Kanonenbooten Beile und Enterhaken zum Vorschein, es wurde der Versuch gemacht, bis dicht unter den Bug der Fregatte zu gelangen und in dieser Weise den Geschützen derselben zu entrinnen, aber das war doch minder leicht, als es wohl den Anschein hatte.

Lage nach Lage prasselte auf die plumpen hölzernen Schiffe herab, ihre Masten flogen wie Splitter davon, ihr Takelwerk zerriß, große Löcher wurden in die Seitenwände geschlagen, große Lücken in die Reihen der Bemannung gerissen, – bei allem dem aber hatte die Fregatte dennoch einen schweren Stand. Die ursprüngliche Linie der drei Kanonenboote war aufgelöst worden und nun umzingelten die kleineren Fahrzeuge von drei Seiten zugleich das größere. Zwei Gegner hielten die furchtbaren, den Eisenhagel sendenden Breitseiten in Schach, der dritte, vom Kopfe des Schiffes herkommend, konnte sich ungehindert in das Kielwasser desselben drängen und lag nun Seite an Seite mit dem höheren Nachbar, dessen Geschütze ihre Kugeln unschädlich über seinen Rumpf dahinsandten.

»Faßt ihn, meine Jungen! Die Enterbeile heraus!«

Ein Hohngelächter antwortete, erstickt und überschrieen vom Donner der Geschütze und des Kleingewehrfeuers. Wo sich ein Enterhaken in den Bordrand der Fregatte einbohrte, da streckte ein Schuß den kecken Eindringling zu Boden, wo sich auf dem Verdeck des Kanonenbootes eine Gestalt offen zeigte, da fiel der Kugelregen auf sie herab, aber doch nur anfänglich, nur während einer gewissen Zeit, dann veränderte sich die Sachlage.

Von einem der beiden anderen Kanonenboote wurden die Verteidiger der Fregatte aufs Korn genommen, eine volle Flintensalve schlug in ihre Reihen und verursachte im ersten Augenblick eine so starke Verwirrung, daß die Konföderierten Muße fanden, mit aller Macht ihre Enterhaken einzuschlagen und das Verdeck der Fregatte zu betreten.

Mehrere und immer mehrere drängten nach, Hagel über Hagel schlug in die Glieder der tapferen Unionssoldaten; das Deck triefte von Blut, der Einzelkampf, Mann gegen Mann, Brust an Brust hatte begonnen.

Inzwischen waren die beiden anderen, in der Schußlinie der Fregatte liegenden Kanonenboote fürchterlich zugerichtet worden, – zum Teil versagten ihre Geschütze, zum Teil hatte die Bemannung alle Hände voll zu thun, um nur die immer neu entstehenden Lecke zu verstopfen und das eingedrungene Wasser auszuschöpfen. Einmal wurde von dem am meisten bedrängten Boote ein leichter Kahn ausgesetzt, wahrscheinlich, um darin auf das dritte, neben der Fregatte liegende Fahrzeug überzugehen und die Enterer in ihrem Vorhaben zu unterstützen, allein die Gegner durchschauten sofort das beabsichtigte Manöver und der kleine Kahn war in den Grund gebohrt, bevor noch ein einziger Mann Zeit gehabt hatte, ihn zu besteigen.

Das Wasser rings um die kämpfenden Schiffe her bedeckte sich mit Trümmern aller Art. Im weißen, kochenden Gischt trieben größere oder kleinere Holzteile, Segelfetzen, Uniformmützen und Splitter und Stücke von allen möglichen Gegenständen. Pulverdampf erfüllte die Luft, erschwerte das Atmen und biß in die Augen, der Donner der Geschütze wirkte betäubend. Wie durch einen dichten, blauen Schleier verhüllt, glänzte das heitere Licht des Himmels nur im falben Scheine auf die Erde herab.

Ein Krachen und Bersten, ein Wimmern und Stöhnen erfüllte die Luft. Verwundete und Tote wurden hinabgetragen in das Lazarett, die kaum frei gewordenen Plätze in der Leichenkammer nahmen andere stille Gestalten ein. Lionel und Hermann, beide vollständig ungeübt im Dienst der Waffe, widmeten ihre Thätigkeit dem Arzte und dessen Gehilfen, indem sie die ächzenden Opfer des Kampfes hinabtragen und verbinden halfen. Hier mußte ein Glied amputiert werden, dort fuhren die feinen Nähnadeln des Arztes durch das zuckende Fleisch, während bei einem dritten, obwohl er noch lebte, doch alle menschliche Hilfe zu spät kam.

Ein bitterer Jammer füllte den engen Raum des Lazarettes. Unter dem Donnern der Geschütze erstickte das Ächzen unerträglichen Wehes, über den furchtbaren Wunden des Zweiten wurden die des Ersten vergessen. Bleiche Gesichter sahen mitleidig, halb vom Übermaß abgestumpft, auf die Qualen, unter denen sich hart an ihrer Seite arme unglückliche Menschen wanden, die ihr Blut hingegeben hatten für die gute Sache.

Und dann ein Triumphgeschrei, ein Siegeslaut, der selbst den Donner der Geschütze, selbst das Wimmern der Sterbenden übertönte. Was war draußen geschehen?

Sie konnten keinen Schuß mehr abgeben, die beiden Kanonenboote, sie mußten ohne Antwort die eisernen Todesgrüße von den Breitseiten der Fregatte hinnehmen und sahen sich völlig außer stande, ihre Fahrzeuge aus dem Bereiche der Gefahr zu bringen. Das Ruder war zerschossen, das Takelwerk in Fetzen zerrissen, die Masten zersplittert, – aber gerade, je vollständiger die Unionstruppen gesiegt hatten, desto weniger wollten sich ihnen die Rebellen ergeben, desto glühender wurde der Haß, mit dem sie bis zum letzten Atemzuge zu widerstreben, zu kämpfen und zu schaden gedachten.

Schauerlicher Anblick, wie die hölzernen Fahrzeuge langsam mehr und mehr versanken! – Eine Linie, ein Zeichen nach dem anderen verschwand, höher und höher griffen die Wellen. –

»Ergebt euch! Streckt die Waffen und euer Leben ist gerettet!«

»Niemals! Lieber sterben als eure Gefangenen sein!«

Wie wahnwitzig, schäumend vor Wut, feuerten sie aus den wenigen noch vorhandenen Kugelbüchsen und erhielten dafür die vollen Geschützlagen, denen ganze Reihen zum Opfer fielen. Auch die Stürmer mit den Enterhaken waren besiegt, ihr Fahrzeug trieb vor Topp und Takel, – von allen drei Booten sprangen die letzten Überlebenden auf das gute Glück hin ins Wasser, um vielleicht schwimmend eine Insel zu erreichen und das nackte Dasein zu retten, nachdem aller Besitz und alle Hoffnung dahin waren.

Man ließ sie ziehen, unbehelligt, ungehindert. Keine einzige Kugel flog ihnen nach.

Und dann nahm der Sieger, was im heißen Strauße erfochten worden war. Die Löwentatze legte sich fest auf den zuckenden Körper des erbeuteten Wildes.

Marinesoldaten vom Bord der Fregatte durchsuchten die zerschossenen Schiffe, um alles was Wert besaß, für verfallen zu erklären, – endlich wurden die drei kaum noch aus dem Wasser hervorragenden schwarzen Holzrümpfe angebohrt und gänzlich versenkt. Die Fluten zogen weite Kreise, es gurgelte und rauschte, das große Schiff drehte sich wie im Schwindel, dann war die Stätte des Kampfes leer.

Kein einziger Gefangener steckte im Zwischendeck, nur unter den Verwundeten befanden sich einige Rebellen, die eben so sorgsam, so liebevoll in Pflege genommen wurden, wie die eigenen Angehörigen. Fleißige Hände scheuerten das Verdeck, die Feuer wurden neu angefacht und in der Kajütte des Kapitäns ein Kriegsrat gehalten.

Niemand wußte, ob der Nebenarm des Flusses, in den sich der französische Dampfer begeben hatte, überhaupt nach der anderen Seite hinaus fahrbar sei, man befand sich ohne Karte oder Lotsen in dem Inselgewirre und mußte teils auf gut Glück, teils auf die eigene Schlauheit vertrauen, um nicht etwa in eine Falle zu laufen, oder gar zwischen Klippen stecken zu bleiben. Jetzt entstand die Frage, ob es möglich sei, den Franzosen in seinem Schlupfwinkel zu entdecken und aufzubringen.

»Die Dampfbarkasse könnte den Versuch unternehmen,« meinte Mr. Matthews, der erste Offizier. »Ich bitte um die Ehre die Expedition befehligen zu dürfen.«

Der Kapitän schüttelte den Kopf. »Alles recht schön, meine Herren, alles recht schön, aber angesichts des eben Erlebten ist doch Vorsicht geboten. Wie nun, wenn die Barkasse plötzlich von zwei weiteren, bis jetzt versteckten Kanonenbooten in die Mitte genommen und wie eine reife Pflaume zerquetscht würde? – Man ist einigermaßen scheu geworden.«

»Ich meinerseits lasse es darauf ankommen,« beharrte der erste Offizier.

Der Kommandeur klopfte ihm die Achsel. »Wollen's bleiben lassen, Mr. Matthews, wollen's bleiben lassen. Ich habe einen anderen Plan, aber auch für diesen soll niemand befohlen werden! Wenn sich Freiwillige genug finden, so mag heute abend nach Einbruch der Dunkelheit das mittlere Boot den Wasserarm befahren und vorsichtig Umschau halten.«

Der Vorschlag wurde allseitig angenommen und dann der ganze Tag zur Erholung von den Strapazen des Morgens verwendet. Das Schiff war schrecklich zugerichtet, überall hatten die Kugeln große Löcher gerissen, der Fußboden zeigte Spalten, das Takelwerk mußte an unzähligen Stellen ausgebessert werden. Beim Appell wurden die Freiwilligen vorgerufen und so viele meldeten sich, daß nur höchstens der zehnte Teil Berücksichtigung finden konnte. Auch Lionel hatte gebeten, die Expedition mitmachen zu dürfen, aber der erste Offizier schüttelte den Kopf. »Ich kann das nicht gestatten, lieber Freund, – wozu auch? Sie bleiben besser hier in Sicherheit.«

»Ich möchte doch so sehr gern das kleine Abenteuer mit erleben! Bitte, lassen Sie mich von der Partie sein, Sir! Irgendwo ist ein Plätzchen, an dem ich stehen kann.«

Der Offizier lächelte. »Sie wollen als Freiwilliger in die Armee treten, junger Mann?« sagte er in freundlichem Tone.

»Ja, Sir. In irgend einer Form, durch irgend welche Thätigkeit die Sklavenstaaten zu bekämpfen, ist mein sehnlichster Wunsch.«

»Nun gut, dann wird sich ja für diesen Zweck auch bald die Gelegenheit finden; in Charleston stehen unsere Truppen, bereit, durch Südkarolina in Virginien einzufallen, denen können Sie sich anschließen und das Ende des Feldzuges durchleben.«

Lionel verbeugte sich. »Ich hoffe es, Sir, aber – wie steht es denn mit unserem heutigen Vorhaben? Darf ich die Fahrt nicht mitmachen?«

Der Offizier zuckte die Achseln. »In Gottes Namen denn!« antwortete er. »Der Unteroffizier bürgt mir für Sie, nicht wahr, Reuter?«

»Durchaus, Sir! Durchaus!«

Mr. Matthews nickte und die Sache war entschieden. Am Abend, als die Dunkelheit sich herabsenkte, wurde das Boot zu Wasser gebracht und von zwölf bewaffneten Soldaten besetzt. Mr. Matthews, der Unteroffizier und Lionel vervollständigten die Bemannung, dann, nachdem noch ein paar Flaschen Branntwein verstaut waren, trieb das Boot, von kräftigen Armen geführt, in den schilfbewachsenen Seitengang des vielverzweigten Flusses hinein.

»Aber nochmals, seid vorsichtig!« rief mit unterdrückter Stimme der Kapitän. »Wir haben heute schon so schwere Opfer gebracht.«

»Ohne Sorgen, Sir! Ohne Sorgen!«

»Und noch eins, Mr. Matthews! Drei Schüsse in unmittelbarer Reihenfolge sind für uns das Zeichen einer Gefahr! Wenn sie fallen, so kommt Ihnen das zweite Boot zu Hilfe!«

» All right Sir! All right!«

»Und nun Ruhe!« gebot Mr. Matthews. »Es wird nicht mehr gesprochen!«

Die völlig mit Segeltuch umwickelten Ruderstangen tauchten lautlos in das Wasser und wie ein Schatten glitt das Boot dahin. Schon nach wenigen Minuten hatten sich aller Augen an die Dunkelheit gewöhnt, man unterschied am Ufer die stärkeren Stämme und konnte auch auf einige Entfernung hinaus den Spiegel des ruhigen Wassers überblicken. Von dem französischen Schiffe war nichts zu sehen.

Das Boot blieb ganz im Schatten des Uferrandes. Niemand sprach, aber die Herzen schlugen schneller, die Blicke hielten sorgsame Wacht. Immer noch war von einem Schiffe nicht die geringste Spur zu entdecken.

Eine Viertelstunde mochte jetzt das Boot gefahren sein. Die Ruderer hatten mehrere Male gewechselt, in immer gleicher Eile schoß lautlos das Fahrzeug über die Wellen dahin, als plötzlich Lionel die Hand erhob, – sein außergewöhnlich scharfes Gehör hatte einen fremden Ton vernommen.

Der Leutnant ließ die Ruderer innehalten; alles lauschte.

»Hammerschläge!« flüsterte Lionel. »Vor uns!«

»Das glaube ich auch. Vielleicht hat der Franzose einen Schaden gelitten.«

Eine Handbewegung gebot den Leuten, die Fahrt wieder aufzunehmen. Dicht am Ufer, schwarz in schwarzer Finsternis, glitt das Boot dahin.

Dann wurden die Hammerschläge deutlicher und nach etwa zehn Minuten erhob sich aus den Wellen die dunkle Gestalt eines vor Anker liegenden Schiffes. Der Franzose! Jetzt hatte man ihn gestellt.

Alles horchte gespannt, alle Herzen schlugen schneller. Jetzt erklang das Kreischen einer Säge, dann wieder der Hammer, – es wurden Bretter aufgenommen und hingeworfen.

»Irgend eine dringende Ausbesserung!« flüsterte der erste Leutnant. »Könnte man nur erfahren, was es ist, um darnach seine Maßregeln zu treffen.«

»Die Feuer scheinen nicht zu brennen,« meinte der Unterofffzier. »Es ist kein Rauch zu entdecken.«

»Natürlich! Man kann nicht vom Fleck kommen, – weshalb sollte das Schiff sonst hier liegen geblieben sein, anstatt so schnell als möglich zu flüchten!«

Mr. Matthews überlegte. »Daß ich auch nicht schwimmen kann!« brummte er, »oder wenigstens doch nicht mehr, denn früher ging die Sache ganz flott. Verwünscht! Man müßte sich überzeugen, was die Kerle da vorhaben.«

Der Unteroffizier meldete sich. »Euer Ehren,« sagte er, »mit Verlaub, ich schwimme wie ein Fisch, befehlen Sie nur, wohin.«

Der Leutnant nickte. »Sie meinen es gut, Reuter, aber da fehlt das Hauptsächlichste, – Sie sprechen keinesfalls Französisch?«

Der Unteroffizier zuckte die Achseln. »Das freilich nicht, Euer Ehren, doch wäre es möglich, daß ich Rat zu schaffen wüßte. Einen Augenblick!«

Er glitt lautlos zu dem Platze, wo Lionel stand. »Junger Herr, auf ein Wort! Sprechen Sie zufällig französisch?«

Lionel war sehr erstaunt. »Ich kann mich wenigstens verständlich machen,« antwortete er.

»Und selbst verstehen, was andere sagen?«

»Das ganz gewiß!«

»Dann kommen Sie mit mir!«

Er führte unsern Freund zum Platze des Leutnants und lächelte dabei ganz triumphierend. »Hier ist unser Mann, Euer Ehren! Er schwimmt und versteht mit seinen Luchsohren alles, was die Herren Franzosen da drüben zusammenschnarren.«

»Pst! Pst! nicht so laut. Wollen Sie den Auftrag ausführen, junger Freund?«

»An das Schiff zu schwimmen und ein wenig zu horchen? Das ist eine Kleinigkeit, Sir.«

»Nun, so probieren Sie Ihr Glück. Es liegt mir viel daran, zu erfahren, welche Schiffsteile ausgebessert werden und wie beträchtlich der Schade ist!«

Lionel maß mit den Augen die Entfernung. »In zwanzig Minuten bin ich zurück,« flüsterte er.

»Aber hüten Sie sich ja vor einer Entdeckung. Ich bin, da Sie heimlich mitgegangen sind, dem Kommandeur für Ihr Leben verantwortlich.«

»Ich werde schon vorsichtig verfahren, Sir; haben Sie keine Sorge.«

Er warf seine Kleider ab und ließ sich über den Bootsrand in das ruhige Wasser gleiten, dann schwamm er ohne irgend ein Geräusch quer über die Flut bis zu dem Schiffe, das etwa in der Mitte des schmalen Armes lag. An Deck ging ein Wachtposten auf und ab, mehrere Stimmen sprachen durcheinander, während der Zimmermann eifrig arbeitete.

»Verfluchte Geschichte!« hörte unser Freund. »Ist denn kein längeres Brett aufzutreiben? Sucht doch einmal nach, Leute!«

»Wir haben keins, es ist schon jeder Winkel durchforscht worden!«

Ein ärgerlicher Ausruf folgte diesen Worten. »Dann kann ich in Gottes Namen noch vierundzwanzig Stunden an der Geschichte herumflicken und wenn einmal ein schnelles Manöver notwendig wird, so ist der Schade wieder da.«

»Möglich!« versetzte eine andere Stimme. »Aber nehmen Sie Vernunft an, Laurent! Wir müssen zunächst von hier fort, um uns mit der ›Weißen Rose‹ wieder zu vereinigen und auch, um einmal klar zu sehen, was aus den Kanonenbooten geworden ist. Dazu brauchen wir denn doch vor allen Dingen das Ruder!«

Herr Laurent brummte. »Ich bin ja schon seit sechs Stunden dabei,« versetzte er in grimmigem Tone, »aber leider, hexen kann ich nicht. Und was die Kanonenboote betrifft, so sind sie ganz und gar geschlagen, darauf wollte ich wohl meine Nase aus dem Gesicht verwetten. Wär's anders, so hätten wir längst eine Botschaft und besäßen auch Holz genug, um ein neues Ruder zu erlangen, ohne diese erbärmliche Flickerei, bei der man ganz rebellisch wird.«

Jetzt hatte Lionel genug gehört, er schwamm, ohne die weitere Unterhaltung der französischen Matrosen zu beachten, wieder über das Wasser und berichtete dem Führer des Bootes, was er erlauscht hatte. Mr. Matthews rieb sich die Hände vor lauter Vergnügen. »Aber sind Sie auch Ihrer Sache ganz sicher, mein junger Herr?« fragte er etwas unruhig.

»Ich kann Ihnen noch jedes der gesprochenen Worte wiederholen, Sir!«

Der Offizier ließ sich einiges berichten, dann klopfte er unserem Freund mit väterlichem Wohlwollen auf die Schulter. »Sie haben Ihre Zeit gut benutzt,« sagte er, »Ihr Französisch klingt rein und ist richtig, das kann ein junger Mann nie hoch genug anschlagen. Heute abend haben sie der guten Sache einen bedeutenden Dienst geleistet, ich werde nicht verfehlen, das unserem Herrn Kommandeur mitzuteilen.«

Lionel verbeugte sich. »Ich that gewiß nur meine Schuldigkeit, Sir! Aber dennoch würde es mich sehr erfreuen, Ihnen gegenüber eine Bitte aussprechen zu dürfen, – sie betrifft den Schwarzen der mit meinem Genossen und mir zugleich gefangen genommen wurde.«

»Ach! – der Bursche hat eine Zeitlang zu den Hyänen des Schlachtfeldes gehört, nicht wahr? Aber er ist ein wenig einfältig, es mangelt ihm das eigene Urteil.«

Lionel lächelte. »Vollständig,« warf er ein. »Ich möchte für den armen Schelm gern Gnade erwirken, Sir!«

»Dann wollen wir sehen, was sich machen läßt. Und nun vorwärts! Je schneller wir wieder an Bord kommen, desto besser ist es.«

Das Boot wurde gewendet und verstohlen außer Hörweite des französischen Schiffes gebracht, dann ließ man die Riemen kräftiger eintauchen und in einer Viertelstunde stand Mr. Matthews vor dem Kommandeur, um seinen Bericht abzustatten.

Der alte Herr war sehr zufrieden. »Wir müssen den Franzosen nehmen,« rief er. »Mit der bloßen Faust müssen wir ihn angreifen! Solch ein Schiff hat seine dreizehn bis sechzehn Mann an Bord, die können an keine Verteidigung denken – und thun sie's dennoch, so ist es ihr eigener Schade!«

»Lassen Sie mir doch einmal den jungen Menschen hierherkommen,« setzte er dann hinzu. »Ich möchte das alles von ihm selbst hören.«

Lionel erschien in der Kajütte und mußte hier wörtlich wiederholen, was auf dem französischen Dampfer gesprochen worden war. »Ich bemerkte auch auf dem Verdeck zwei Geschütze,« setzte er dann bescheiden hinzu.

»Butterbüchsen!« sagte verächtlich der Kommandeur, »Dinger, die vor Angst zerspringen, wenn sie einmal wirklich geladen werden. Aber um alle derartigen Weitläufigkeiten einfach zu vermeiden, machen wir die Sache gleich in dieser Nacht. Sind unsere Boote unter dem Bug des Franzosen, so mag geschossen werden, was das Zeug halten will, – uns fliegt es über die Köpfe.«

Lionel war entlassen, die Bootsmannspfeifen schrillten und die Unteroffiziere liefen schleunigst hin und her. Alle Boote wurden zu Wasser gebracht, die Dampfbarkasse geheizt und im Ganzen einhundertunddreißig Mann eingeschifft. Lionel und Hermann waren mit von der Partie, auch der Kommandeur und der Unteroffizier Reuter. Leicht und schnell glitten vier Fahrzeuge dem Punkte entgegen, wo das französische Schiff lag.

Es war jetzt Nacht. Vielleicht schlief bis auf den arbeitenden Zimmermann und dessen Maat die ganze Besatzung, vielleicht ließ sich der Dampfer ohne Blutvergießen durch einen geschickten Handstreich nehmen.

Eine kleine Lampe sandte ihre Strahlen über die nächste Umgebung hinaus. Der Zimmermann hämmerte unverdrossen und sang mit halber Stimme dazu ein Lied, dessen wehmütige Melodie Sehnsucht und Heimweh verriet, – ihm zusehend, den Rücken gegen die Schanzkleidung gekehrt, stand mit dem Gewehr im Arm ein Wachtposten, der, anstatt Obacht zu geben, hin und wieder leise mit dem Zimmermann sprach. »Wenn wir nur erst aus dem Blockadering glücklich wieder heraus wären, Laurent,« brummte er. »Da ist immer eine Aufregung nach der anderen, man steht in jedem Augenblick wie vor der Mündung des feindlichen Geschosses und hat weder Tag noch Nacht Ruhe. Verfluchte Geschichte! All mein Lebtage gehe ich nicht wieder auf ein Schmngglerschiff!«

Der Zimmermann that einige kräftige Schläge. »Bist ein Hasenfuß, Pierre!« entschied er. »Hättest daheim bleiben und in Frieden wollene Strümpfe stricken oder sonst eine nützliche Beschäftigung treiben sollen. Dabei kann man behaglich hinter sicheren Mauern sitzen, ohne jemals Schüsse knallen zu hören.«

»Ach – und das wäre so angenehm!«

»Bist ein Hasenfuß!« sagte wieder der andere.

Während dieser Unterredung hatten die Boote sich von allen Seiten ganz leise und unvermerkt genähert. Der Zimmermann sägte, daß es kreischte, der Wachtposten versenkte sich wahrscheinlich mit voller Seele in den Gedanken des Friedensbildes, das ihm Laurent entworfen, und so kam es, daß unsere Freunde von der Fregatte überall an der Schanzkleidung emporkletterten und daß sie mit hundert Augen zugleich auf das Verdeck blicken konnten, ehe noch die beiden dort befindlichen Franzosen das Allermindeste bemerkt hatten.

Jetzt zerriß ein Schreckensschrei die Luft. »Verrat! Verrat!«

Die Marinesoldaten hatten das Werkzeug des Zimmermanns und die Kugelbüchse des Matrosen an sich gebracht, sie hatten die beiden Männer in ihre Mitte genommen und ihnen Hände und Füße gebunden, ehe noch Minuten vergingen. Das Deck füllte sich mit ihren strammen, hübsch uniformierten Gestalten, – sie gewannen im Fluge, im ungeahnten Siegeslaufe das überrumpelte Schiff.

Aus dem Volkslogis, aus der Kajütte hervor drangen die Offiziere und Matrosen des Schiffes, alle erschreckt bis zum Äußersten, verstört, bereit, Widerstand zu leisten, aber eben so schnell überwältigt und zu Gefangenen gemacht. Binnen wenigen Minuten war die ganze Besatzung auf das große Boot der Fregatte übergeführt.

Der Kommandeur rieb sich die Hände. »Gott sei Dank, es ist kein Tropfen Blut geflossen. Das ging besser, als ich zu hoffen wagte! – –«

»Und nun laßt uns die Beute nach Hause bringen, meine Herren; in diesem Falle zu unserem guten Schiffe. Ich habe noch einen Plan, den ich Ihnen morgen mitteilen will und von dem ich mir sehr viel verspreche.«

Er begab sich an Bord der Barkasse, während seine Offiziere die Feuer im Maschinenraum des französischen Dampfers wieder anzünden ließen und dann, als das Schiff bewegungsfähig geworden war, es ins Schlepptau der Barkasse brachten. Das war eine gefährliche und beschwerliche Fahrt, aber das einzige Mittel, um das steuerlose Schiff vorwärts zu bringen. Seine Fahrgeschwindigkeit wurde genau nach derjenigen der Barkasse geregelt und so kam man langsam, aber sicher vorwärts. Die ersten Sonnenstrahlen schossen auf, als alle Fahrzeuge bei der Fregatte anlegten, als die Gefangenen aus dem Boote in das Regierungsschiff befördert wurden. Welch ein Tag, welche Ereignisse, seit zum letztenmale der junge Morgenglanz emporstieg – –

Und doch gab es nur wenige Stunden Ruhe. Der Kommandeur ließ schon gegen neun Uhr vormittags die Offiziere um sich versammeln und teilte ihnen mit, was als ein neuer kecker Plan seine Seele beschäftigte. »Wir müssen notwendig auch das zweite französische Schiff wegnehmen!« sagte er.

Alles schwieg ehrerbietig; der Kommandeur sah im Kreise umher und schien die Idee, welche er einmal gefaßt hatte, selbst immer lieber zu gewinnen. »Wir wollen es machen wie die Griechen vor Troja,« sagte er endlich, »oder wenigstens doch ähnlich. Das Ruder des französischen Dampfers ist ersetzt, nicht wahr?

Eine Meldung aus dem anderen Schiffe berichtete, daß die »Jeannette«, mit neuem Ruder versehen, unter Dampf bereit liege, in jedem Augenblick eine Fahrt anzutreten. Der Kapitän nickte sehr zufrieden. »Sind einige Anzüge von der Besatzung und den Offizieren aufgefunden worden?« fragte er.

»Viele sogar,« war die Antwort. »Im ganzen wenigstens zwanzig.«

»Das ist mehr, als wir brauchen. Hören Sie, meine Herren, wir kleiden uns in die Gewänder der Franzosen und fahren am hellen Tage mit ihrem eigenen Schiffe zu jener Stelle, wo die ›Weiße Rose‹ jedenfalls noch liegt und ihre Ladung löscht. Man läßt uns ahnungslos herankommen und wir überrumpeln die Gesellschaft eben so sicher als vorhin die Besatzung der Jeannette.«

Dieser Gedanke fand allgemeinen Beifall. Die gefangenen französischen Matrosen saßen sicher verwahrt hinter Schloß und Riegel im inneren Rumpfe der Fregatte, während ihre Kleidungsstücke und besonders die Kopfbedeckungen von den Amerikanern angelegt wurden, so daß sich, den Kapitän an der Spitze, eine völlig verkleidete Besatzung an Bord der Jeannette zusammenfand. Der erste Offizier erhielt den Oberbefehl der Fregatte, der französische Dampfer wurde bis zum letzten Platze mit versteckten Soldaten angefüllt und dann trennten sich beide Fahrzeuge, um ihren verschiedenen Bestimmungen nachzugehen. Das Kriegsschiff blieb im offenen, den freien Rundblick gestattenden Fahrwasser liegen und die Jeannette dampfte zurück zu jener Stelle, von wo am Morgen des vorigen Tages die Jagd ursprünglich ausgegangen war.

Der Mann vom Ausguck machte gewissermaßen den Lotsen, er entsann sich jeder Einzelheit in den vielgestaltigen Formen der Inseln und hielt auch jetzt wieder getreue Wacht, ohne indessen irgendwo einen aufsteigenden Rauch bemerken zu können. Die ›Weiße Rose‹ war also entweder überhaupt nicht mehr in dieser Gegend, oder sie lag wartend in irgend einem Versteck hinter Schilf und uralten Baumriesen.

»Ein dunkler Punkt voraus!« meldete der Mann im Mastkorbe.

»Kein Schiff?«

»Nein, – höchstens ein Boot, – wenn's nicht etwa ein treibender Baumstamm ist.«

Eine ziemlich lange, mit Ungeduld empfundene Pause verging den Wartenden, mehr als zehn Ferngläser durchspähten umsonst die sonnige Luft, dann kam wieder aus den oberen Regionen eine neue Meldung. »Es ist ein Boot! Vier Mann sitzen darin.«

»Franzosen?«

»Das läßt sich noch nicht bestimmt erkennen.«

»Und das Fahrzeug treibt uns gerade entgegen?«

»Ja!«

»Mehr Dampf auf!«

Das schlanke Schiff zeigte sich dem Ruder sehr gehorsam, es glitt wie ein Schwan über die leichtbewegten Wellen und verringerte in dieser Weise die Entfernung zwischen sich selbst und dem unbekannten Boote mit jedem Augenblick. Der Kapitän ließ das Glas nicht von sich. »Wenn nur nicht irgend ein Signal verabredet ist!« sagte er nachdenklich. »Daran könnte noch jetzt das ganze Unternehmen scheitern, – die Kanonen unsres guten Schiffes stehen uns ja hier leider nicht zu Gebote.«

»Aber doch würden wir die vier Männer unter Umständen unschädlich machen, Euer Ehren! Und zwar sehr leicht!«

»Durch ein paar Schüsse; aber wahrhaftig, das wäre mir mehr als unangenehm. Sehen Sie, meine Herren, da wird am Riemen eine Fahne geschwenkt!«

»So befehlen Euer Ehren, daß wir die französische Flagge aufhissen. Diese Antwort wird doch höchstwahrscheinlich erwartet.«

Der Befehlshaber zuckte die Achseln. »Auf das gute Glück hin, – meinetwegen!«

Die Fahne stieg am Mast empor und sogleich hörte in dem Boote das Schwenken auf. Die Riemen wurden eingelegt und wie ein Kork flog die kleine Nußschale über das sonnenbeglänzte Wasser heran.

Die Amerikaner vermieden möglichst, sich an der Schanzkleidung zu zeigen, sie nahmen von dem Boote gar keine Notiz und als es in die Nähe kam, hüteten sie sich, beizudrehen, sondern ließen in der Fahrgeschwindigkeit nicht im mindesten nach. Eine Frage, laut gerufen, schallte über das Wasser und blieb unbeantwortet.

Die vier Franzosen sahen einander an. Was war das?

Blitzschnell riß einer das Gewehr von der Schulter. Die beiden Läufe mußten im voraus geladen worden sein, denn zwei Schüsse krachten unmittelbar nach einander, – sie waren in die leere Luft gefeuert.

»Ein Signal!« ging es durch die Reihen der Amerikaner.

»Die ›Weiße Rose‹ muß also noch in ihrem Versteck liegen!«

Der Mann im Ausguck wurde gefragt, ob er die Gegend vollständig wiedererkenne, – seine Antwort lautete zufriedenstellend. »In einer Viertelstunde mußte die bekannte Stelle erreicht sein.«

Das Boot blieb weit hinter dem Schiffe zurück, es wurde bald ganz aus den Augen verloren, während vorn ein zweites auftauchte. Dies letztere kam jedoch nicht heran, sondern machte, als es die Flagge vom Mast wehen sah, kehrt und diente nun, ohne daß seine Insassen es ahnten, der Jeannette als Wegweiser.

Grüne Inseln erschienen wieder zur Rechten und Linken, der Lauf des Dampfers wurde verlangsamt, fast auf jedem Schritt Weges gelotet und scharfe Umschau gehalten. Hier mußte die ›Weiße Rose‹ liegen.

Der Mann vom Ausguck kam eilends aufs Deck herabgeklettert. »Wir sind ihnen ganz nahe,« sagte er. »Wahrhaftig, die Burschen rüsten zum heißen Empfang, sie stehen alle wohlbewaffnet beieinander und haben die Boote im Schilf oder hinter den Bäumen versteckt!«

»Aha! die beiden Büchsenschüsse waren also wirklich ein Signal!«

»Das scheint so. Hier links herum!«

Die Jeannette dampfte in den Seitenarm hinein und schon nach wenigen Minuten lag die Weiße Rose vor den Blicken der Amerikaner. Von Booten war nichts zu sehen, wohl aber erhoben sich am Ufer einige hölzerne Baracken, die jedenfalls dazu dienten, den eingeschmuggelten Kaufmannsgütern einstweilen Aufnahme zu gewähren.

»Ein guter Fang!« flüsterte der Kapitän. »Aufgepaßt, meine Jungen!

Die Franzosen schienen nicht zu verstehen, was ihre Augen sahen, sie sprachen durcheinander und gestikulierten lebhaft. Offenbar begriffen sie nicht, weshalb das verabredete Signal der beiden Schüsse überhaupt gegeben worden war. Endlich nahm jemand ein Sprachrohr und rief: »Seid ihr auf der Flucht vor der amerikanischen Fregatte?«

»Ja!« antwortete in französischer Sprache der Kapitän.

»Glaubt ihr denn, daß sie hierher kommen werde?«

»Nein, dafür ist das Fahrwasser zwischen den Inseln zu seicht. Laßt nur alle eure Waffen stecken, die Gefahr ist vorüber.«

»Seid ihr unserem Boote nicht begegnet?«

»Natürlich, – da ihr das Signal erhieltet.«

Jetzt bemerkte man, daß sich am Deck der Weißen Rose die festgeschlossenen Gruppen auflösten. Zwar schienen die Franzosen nicht so recht klar zu sehen, aber die erste Unruhe war vorüber und als die Jeannette herankam, bereiteten sich mehrere Offiziere, sogleich an Bord zu gehen.

Niemand empfing sie; nur der Mann am Ruder, das Gesicht abgekehrt, befand sich auf dem Verdeck, sonst kein Mensch, – die Amerikaner füllten das ganze Volkslogis und auf der anderen Seite des großen Mastes die Kapitänskajütte; sie sahen in den Kleidern der Franzosen aus diesen Schlupfwinkeln hervor, ohne auf das Verdeck zu kommen.

Drei Offiziere, der Kapitän und seine beiden Steuerleute warteten vergebens auf einen Empfang von seiten ihrer Genossen, sie flüsterten miteinander und klopften endlich an die Thür, welche zum Vorraum der Kapitänskajütte führte.

Der Eingang war verschlossen.

Sonderbar! – Ob hinter diesem ganz unbegreiflichen Auftreten doch in irgend einer Weise Verrat lauerte?

Aber da war ja der Mann am Ruder, ihn konnte man fragen.

Etwas ungeduldigen Schrittes näherte sich ihm der Kapitän der Weißen Rose. »Heda, Bursche! wo stecken deine Vorgesetzten?«

Der Amerikaner wandte langsam den Kopf, ein Schelmenlächeln zuckte über das hübsche, wetterbraune Gesicht. » Beg your pardon, Sir, I don't understand you.«

Einen Augenblick stand der französische Kapitän sprachlos vor Schreck und Erstaunen, dann wollte er sich hastig zu beiden Offizieren wenden, aber nun begegneten plötzlich seinen Blicken diejenigen, welche er eben erst gesucht hatte. Der enge Gang zwischen den Wänden der Kajütte und der Schanzkleidung war ganz mit Leuten angefüllt, die zwar französische Uniformen trugen, aber doch mit den spöttischen Gesichtern der amerikanischen Marinesoldaten den Überrumpelten entgegenblickten. Sie waren gefangen, die drei Befehlshaber der Weißen Rose, es gab für sie keinen Rückzug, kein Entrinnen mehr.

Nur der Warnungsruf blieb ihnen im ersten Augenblick noch offen. »Verrat! Verrat!« gellte es zu dem anderen Schiffe hinüber.

Hier waren die Matrosen ohne Anführer, es fehlte die Stimme, welche Befehle gab und sich Achtung zu verschaffen wußte, aber obwohl aus diesem Grunde die erschreckten Leute ziellos durcheinander liefen, so erfaßten sie doch ihre Waffen und hielten sich bereit, den Kampf aufzunehmen, mit wem es auch sei.

Lauter französische Uniformen sahen von der Jeannette herüber! Wie konnten sie es nur wagen, zu schießen? – –

Dann aber, als die Ersten von drüben her die Laufplanke betraten, als sie den Kunstgriff der Feinde durchschauten, brach die Wut in helle Flammen aus. Eine ungeregelte, doch volle Salve krachte den Amerikanern entgegen.

Die gefangenen Offiziere waren unter Deck gebracht, aus allen Räumen des Schiffes quollen amerikanische Marinesoldaten hervor und suchten jetzt, erbittert durch das vergossene Blut ihrer Kameraden, den schmalen Übergangspunkt zum anderen Schiffe zu gewinnen, aber noch schneller waren ihnen die Franzosen zuvorgekommen, sie rissen die Laufplanke fort, hoben in wilder Eile die Anker und schürten ihre, immer bereit gehaltenen Feuer. Das Schiff erzitterte in allen Fugen, vielleicht wenige Augenblicke später wäre es in unaufhaltsamer Fahrt gewesen, wenn nicht die Entschlossenheit der Amerikaner diese Absicht rechtzeitig vereitelt hätte.

Mit wahrer Todesverachtung sprangen sie über den breiten, trennenden Spalt, einer nach dem andern, mitten in die feindliche Schar hinein, zum Ruder, zum Maschinenraum, überall hin, wo es galt, den Widerstand der Franzosen zu brechen. Hier rang einer mit dem Gegner und stürzte tödlich getroffen auf die von Blut schlüpfrigen Planken, dort fielen Schüsse, die große Verluste verursachten, aber trotzdem wurde jede Bewegung des Schiffes gehemmt und auch die Laufplanke wieder befestigt.

Der Kapitän der Fregatte stürzte sich mit seinen Offizieren in das dichteste Gewühl des Kampfes. Die Franzosen konnten ihr Schiff gegen eine zehnfache Übermacht auf keinen Fall verteidigen, aber sie hielten sich bis dahin noch tapfer und als der Fregattenkapitän in den Kleidern eines ihrer eigenen, jetzt gefangen genommenen Anführer gegen sie vordrang, da kannte die Wut keine Grenzen mehr.

»Auf ihn! Auf ihn! Er darf nicht mit dem Leben davonkommen.«

Die beiden Offiziere suchten dem alten Herrn als Schutzwall zu dienen, aber sie wurden sogleich von rechts und links selbst in den Kampf verwickelt, so daß der Matrose, welcher den Hals des Kapitäns gepackt hielt, in diesem ungünstigen Augenblick gewonnenes Spiel zu haben schien. Der Greis wurde zu Boden geworfen, die Fäuste des Franzosen umklammerten wie Schrauben seinen Nacken, er schien verloren, während rings um ihn her der Sieg auf blutiger Bahn erstritten ward.

Lionel sah von der Laufplanke aus die drohende Gefahr, in welcher der alte Herr schwebte; mit einem einzigen Satz sprang er hinzu und schlug den Franzosen so wuchtig auf den Kopf, daß dieser zusammenbrach, ohne jedoch seine Hände von dem Halse des Kapitäns zu entfernen.

Die Gefahr war groß, jede Verzögerung konnte das Leben bedrohen, Lionel rief daher mit lauter Stimme um Hilfe und als einer seiner Genossen herzueilte, löste er unter dessen Beistand die krampfhaft verschlungenen Finger des bewußtlosen Mannes von dem Nacken des Halberdrosselten. Der alte Herr war schwarz im Gesicht, er atmete kaum und konnte keinen verständlichen Laut hervorbringen.

Lionel wusch ihm die Stirn aus der Branntweinflasche eines Soldaten, er selbst und noch einige andere trugen den schweratmenden Mann in die Kajütte, wo er auf ein Bett gelegt wurde und Zeit behielt, die Folgen des plötzlichen Angriffes wieder zu überwinden. Sein Diener blieb bei ihm, während die übrigen im siegreichen Vordringen das ganze Schiff eroberten und nun auch ihr Augenmerk auf die versteckten Boote richteten.

Mit reichlichen Wasserströmen wurde das Blut vom Verdeck gewaschen; der mitgekommene Arzt verband die Wunden und dann, nachdem sämtliche Gefangene unter Schloß und Riegel gebracht worden waren, gingen mehrere Boote an Land, um das Ufer zu durchspähen.

Waren auch hier noch Menschen verborgen?

Auf der ›Weißen Rose‹ war kein Boot mehr zu entdecken gewesen, es mußten also deren zwei oder drei im Schilfe verborgen liegen.

Ein dichter Kranz von alten Weiden umgab das Ufer. Die schweren Büsche hingen bis auf den Wasserspiegel herab, dunkle Gänge bildend, in deren Mitte das Wasser schwarz erschien, unergründlich tief und still wie eine nie berührte Fläche! Die Ruder tauchten hinein, – ein wunderbarer Duft von grünen Blättern und zahllosen farbenprächtigen Blüten wehte den Nahenden entgegen, wie in einer geheimnisvollen Welt glitten die Fahrzeuge durch das von keinem Sonnenstrahl erhellte Halbdunkel.

Kleine, schnelle Fische schlüpften in ganzen Scharen neben und unter dem Kiel dahin, Wasserspinnen schossen vorüber, hie und da flüchtete schreiend eine buntfarbige, im herrlichsten Federkleide prangende Entenfamilie in das Schilf, dessen grüne Wellen, von kleinen offenen Kanälen durchzogen, sich rauschend hinter den geflügelten Eindringlingen schlossen und ihre Spuren jedem sterblichen Auge verbargen.

Dann, tief drinnen in dem grünen, von Blätterfülle behüteten Versteck bot sich ein halb komischer, halb sonderbarer Anblick.

Zwei Boote, beide mit der Bezeichnung ›Weiße Rose‹, lagen unter den herabhängenden Weidenzweigen und auf ihren Bänken kauerten in den Stellungen der äußersten Furcht vier Männer, die ihre blassen Gesichter den Ankömmlingen entgegenkehrten und ehe sie noch ein Wort sprachen, schon aus der Entfernung angstvoll die Hände falteten.

Der Unteroffizier schob die Mütze in den Nacken. »Na! Na!« rief er, »was haben wir denn da für wunderliche Gesellen? Seid ihr Franzosen oder –«

»Ach nein, Herr, nein, wir sind arme, ehrliche Leute aus der Umgebung! Lassen Sie uns doch nur um Gottes Willen unbehindert ziehen.«

»Hasenfüße!« rief Martin Reuter. »Wollt ihr nicht lieber gleich heulen? – Was treibt ihr hier denn in den Booten von der ›Weißen Rose‹, he?«

Die Leute schienen immer noch ihre große Augst nicht besiegen zu können. »Ach, liebe Herren,« riefen sie, »wir sind ja nur hineingeflüchtet, als plötzlich das Schießen herüberklang. Wer mischt sich denn gern in fremde Händel?«

»Sind noch mehr Boote und mehr Menschen hier herum versteckt?« fragte in gebieterischem Tone der Unteroffizier. »Heraus mit der Sprache!«

»Nein, nein, gewiß nicht, ihr Herren! Gewiß nicht!«

»Nun gut, dann legt nur gleich die Riemen ein und kommt mit uns. Vorwärts! Vorwärts! Da kann nicht lange verhandelt werden.«

Aber die vier Helfershelfer der Blockadebrecher waren sehr entgegengesetzter Ansicht, sie ächzten vor Furcht. »Wohin sollten wir Ihnen denn folgen, bester Herr? Sie scherzen nur. Uns gehen ja die Kriegsverhältnisse ganz und gar nichts an.«

Der Unteroffizier zog die Signalpfeife hervor. »Seht ihr das Ding hier? Entweder ihr gehorcht sofort, oder ich – –«

»Nun, nun, lassen Sie doch mit sich sprechen, guter Herr! Ruhig! Ruhig! Wir sind ja keine Soldaten, – zu wem wollen Sie uns denn führen?«

»Zu meinem obersten Vorgesetzten natürlich, – da hilft kein Maulspitzen, es muß gepfiffen werden. Vorwärts!«

Die vier Überrumpelten wagten keine Einrede mehr, sie nahmen mit verzweiflungsvollen Mienen die Ruder zur Hand und trieben ihre beiden Fahrzeuge demjenigen des Unteroffiziers voran, nicht ohne indessen fortwährend mit leiser Stimme um Gnade zu bitten und allerlei dunkle Versprechungen durchschimmern zu lassen, Worte, die natürlich auf den biederen Unteroffizier ihre Wirkung vollständig verfehlten.

»Spart euch doch alle diese Reden,« sagte er. »Beichtet lieber ganz offenherzig, wo die Kaufmannsgüter liegen, dadurch erwirkt ihr euch am ersten Gnade.«

Ein Schrei zerriß die Luft. »Kaufmannsgüter, sagen Sie?«

»Ja, natürlich. Denkt ihr, uns darüber täuschen zu können?«

Und dann war das Bot wieder an den freien Strand gekommen. Die beiden anderen hatten nichts gefunden, Unteroffizier Reuter aber brachte ganz stolz seine vier Gefangenen vor das Kriegsgericht, welches sich in der Kajütte der ›Weißen Rose‹ sofort bildete. Der Kapitän war noch etwas matt und trug kalte Umschläge am Halse, aber er konnte doch wieder sprechen und befahl kurz und bündig: »Einsperren, bis die Kerle gestehen, wo ihre Vorräte lagern.«

»Wir haben wirklich nichts, gar nichts, wir sind ganz arme Leute!«

»Einsperren, Unteroffizier!«

Martin Reuter fuhr sogleich mit seinen vier zeternden Opfern ab in eine dunkle Hölle, aus der kein Schrei empordrang zu den oberen Räumen des Schiffes, dann wurde die nächste Umgebung gründlich untersucht, zuerst die beiden Blockhäuser. Etwas Kochgerät fand sich vor, schlechte Lagerstätten und einige Werkzeuge, aber von Kaufmannsgütern keine Spur; ebensowenig bargen die Gebüsche oder Dickichte das allermindeste an versteckten Waren.

»Weiter hinein ins Land also!« meinte der Kapitän. »Wollen es ruhig abwarten, meine Herren! Die vertrackten Kerle müssen erst mürbe gemacht werden, dann erhalten wir ohne Zweifel Geständnisse, die uns auf den rechten Weg führen.«

»Inzwischen,« setzte er hinzu, »könnten wir einige Vögel schießen. Etwas frisches Fleisch würde, denke ich, eine angenehme Abwechselung geben.«

Der Vorschlag wurde mit lebhaftem Beifall aufgenommen. Die durch eine schmale Landzunge mit dem festen Ufer verbundene Insel enthielt größere, ebene Flächen, auf denen es von Beccassinen und Wachteln förmlich wimmelte; die hübschen, braungefleckten Tiere kamen in ganzen Flügen den Jägern zum Schusse, so daß der Schiffskoch eine reichliche Auswahl an angenehmen Gerichten herstellen konnte. Auch Hasen und Kaninchen fielen als Opfer des Tages, besonders im eigentlichen Walde hinter der Landzunge, wo das Wild massenhaft und ungestört hauste.

Die Marinesoldaten trieben das Terrain ab und wenigstens zehn Offiziere bildeten die Schützenlinie. Es war ein lustiger Tag, der den Anstrengungen und Schrecknissen der jüngsten Vergangenheit einigermaßen als Gegengewicht diente.

Auch Lionel und Hermann schossen tapfer mit. Der Kapitän hatte seinen Retter zu sich kommen lassen und ihm mit einigen freundlichen Dankesworten versichert, daß er über Tobys Verschulden hinwegsehen und den Burschen durchschlüpfen lassen werde; es stellte sich auch heraus, daß der Mann, den Lionels Faust so kräftig traf, von diesem Schlage keinen bleibenden Nachteil erlitten hatte, unser Freund war daher in sehr guter Stimmung, besonders, da jetzt sein Schicksal vorläufig gesichert schien und der Horizont keine Wolken zeigte.

Was späterhin aus ihm werden würde, darnach fragte er heute noch nicht. Vielleicht ein Pedlar, wie Hermanns Vater, obwohl ihn der Gedanke einen heimlichen Seufzer kostete. Sein geliebtes Studium, seine Bücher, – ob er nie zu ihnen zurückkehren sollte? – –

Aber für den Augenblick hatte die Frage keinen Raum; der Wald widerhallte von den Klängen einer fröhlichen Treibjagd, die Sonne schien hell vom Himmel herab und die Schüsse knallten, – Lionel glaubte seit langer Zeit keinen so glücklichen Tag, keine so stille Herzensruhe mehr erlebt zu haben, wie gerade heute. Der treue Gott, dessen Hilfe bis hierher geführt, würde auch ferner den Schuldlosen beschirmen, er hoffte es zuversichtlich und versuchte nicht, an den geschlossenen Thoren einer fernen Zukunft zu rütteln.

Was ihm recht das Herz erfüllte, was ihn froh und dankbar stimmte, das kleidete sich bei ihm immer in ein poetisches Gewand, auch die heutige Stimmung des Geretteten, der aus den hochgehenden Wogen befreit und an den sicheren Strand geworfen wurde.

»Ich weiß, daß mir nichts angehört,
Als der Gedanke, der ungestört
Aus meiner Seele will fließen,
Und jeder günstige Augenblick,
Den mich ein liebendes Geschick
Von Grund aus läßt genießen.«

Er lag, während sich die ganze lustige Schar am Sammelplatz vereinigte, auf dem Rücken im Moos und träumte mit offenen Augen. Wenn sein geliebter, heimgegangener Wohlthäter noch lebte, wenn er ihn hier sähe, ihn, der gleich einem Fürstenkinde gehalten, dem von allen Blumen des Erdenlebens keine entzogen wurde! – – Heute aß er geschenktes Brot und demnächst war es sein Los, als gemeiner Soldat ins Feld zu ziehen.

Aber wenn auch, wenn auch, tausend andere litten ungleich schwerer. Er wollte nur innig dem Himmel danken und unbeirrt weiter gehen, sei es über Blumen oder Dornen. Auch in dem Kasten des Pedlars konnte er die Hoffnung durch das Land tragen, auch in untergeordneter Thätigkeit die Befriedigung des Herzens finden.

Hermann kam und bot ihm beide Hände. »Sind wir nicht heute einmal recht frohe Menschen gewesen, Lionel, recht glücklich und zufrieden?« – –

Und unser Freund nickte. »Was ich dachte, war eben das, Hermann.«


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