Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Eine Nacht voll Unruhe und Sorge folgte diesem bewegten Tage. Außer den Kindern schlief in der versteckten Felshöhle niemand; sie horchten vielmehr sämtlich den verschiedenen Lauten, welche zuweilen vom Strome herüberklangen und blieben in gespannter Erwartung, obgleich sich eigentlich nicht annehmen ließ, daß von seiten der Piraten vor dem nächsten Morgen irgend ein Angriff unternommen werden würde. Die Leute hämmerten und sägten immerfort, sie besserten ihr bei dem Kampfe beschädigtes Fahrzeug aus und sprachen während dessen laut mit einander. Bill, der sich hinausgeschlichen hatte, verstand, daß ein Kriegsschiff in der Nähe sei und daß die Räuber einer Begegnung mit demselben auszuweichen suchten. Aber war es ein Kreuzer der Konföderierten oder der Regierung? Das stand dahin.

Drinnen in der Felshöhle flüsterte der Verwundete mit halbverständlichem Murmeln und leisem, schmerzvollem Ächzen. Er warf unruhig den Kopf von einer Seite zur andern, die Augen waren jetzt weit geöffnet, aber ohne Blick, ohne einen Schimmer des Verständnisses. »Dunkan!« raunte er, »Dunkan, wenn wir ihn finden, ist er mein!«

Und dann, als habe er eine Antwort erhalten: »Gut, gut, ich zahle! Ich will ihm jeden Blutstropfen einzeln aus dem Leibe pressen.«

Lionels Lippen zuckten, aber er schwieg doch. Die tiefe Beschämung, welche des Verwundeten wartete, war vielleicht eine schwerere Strafe, als alles andere.

Neubert legte kaltes Wasser auf die fiebernde Stirn und auf den Verband der Wunde, dann und wann brachte er auch ein paar Tropfen zwischen die festverbissenen Zähne, aber ohne dafür einen Dank zu erhalten. »Wasser!« murmelte in verächtlichem Tone der Kranke, »ich mag kein Wasser! Bringt Sekt! Hörst du, Dunkan, Sekt! Wir fangen ihn noch, den Burschen, – laßt uns auf glücklichen Erfolg trinken!«

Und er hob matt und bebend die Hand, als führe er ein Glas zum Munde.

Bill und Martin beschäftigten sich während dessen mit dem getöteten Hirschkalbe, sie zogen es ab und schnitten alle genießbaren Teile heraus, um nur diese mitzunehmen, gleichviel, wie und wohin die Flucht aus den Felsen bewerkstelligt werden würde. Noch war es Nacht, aber in wenigen Stunden mußte die Sonne aufgehen und dann kamen die Piraten, um zwischen den Klippen die Leiche des verschwundenen Mannes zu suchen.

Jetzt hatte sich der Sturm gelegt, es regnete nicht mehr und nur noch aus den Wipfeln der Bäume fielen zuweilen Schauer von Tropfen herab, – langsam begann das geheimnisvolle Leben der Nachttiere sich zu regen.

In einem Winkel der Höhle brannte die Spirituslampe, auf deren Flamme Frau Neubcrt etwas Wasser zum Kaffee kochte, still auf ihren Plätzen neben den schlafenden Kindern saßen die Männer, kein Wort wurde gesprochen, kein Laut unterbrach die Stille. Da legte Martin mit leisem Lächeln die Fingerspitzen auf Lionels Arm und deutete zum Eingang der Schlucht, – zwei blitzende Augen sahen von draußen herein.

Auch die übrigen folgten der bezeichneten Richtung, niemand sprach oder regte sich, alle beobachteten einen Vorgang, der unter andern Verhältnissen sehr unterhaltend gewesen wäre und auch selbst jetzt seine Wirksamkeit nicht ganz einbüßte. Im schmalen Felsspalt stand mit etwas gekrümmtem Rücken eine große, schön gefleckte Wildkatze und bewegte schnuppernd die Barthaare, während ihr zur Seite drei halbwüchsige Junge der Mutter in jedem Zuge nachahmten und begehrlich wie sie auf leisen Sohlen den Knochen des geschlachteten Hirschkalbs näher kamen. Der Duft des frischen Blutes hatte gar zu verlockend gewirkt, binnen wenigen Minuten erschienen im engen Rahmen des Einganges noch zwei weitere Katzen, die der ersten wütend entgegenfauchten und ein halblautes ärgerliches Knurren ertönen ließen. Der erbitterte Kampf schien gerade losbrechen zu wollen, als sich Bill mit plötzlicher Bewegung vorbeugte und den Tieren die geballte Faust zeigte.

Es war dabei kein Wort gesprochen worden, kein Laut hatte die Stille unterbrochen, aber dennoch verschwanden sämtliche Katzen wie durch Zauberei von der Bildfläche. Ihre leisen Sohlen dämpften den Schall, ihre Geschmeidigkeit gestattete ihnen so weite Sprünge, daß Sekunden genügten, um sie aus dem Bereiche der Höhle zu entfernen, – lächelnd sahen Lionel und die übrigen einander an.

»Hübsche, große Tiere!« raunte Bill. »Ein solches Fell ist ein paar Dollar wert!«

»Aber wir dürfen ja um des Himmels willen nicht schießen!«

»Nein, o nein, natürlich nicht. Man kann indessen doch immerhin sein böses Geschick ein wenig bedauern.«

Und der gutmütige Fischer seufzte. Es war eine bedenkliche Geschichte, sich so weit auf den Strom hinausgewagt zu haben.

Vom Schiffe herüber klangen immer noch die Axtschläge, erst als der Tag langsam zu dämmern begann, zeigten Geräusche andrer Art, daß nun die Durchsuchung zwischen den Klippen und vielleicht gar an dem Ufer ihren Anfang nehmen werde. Wieder schlich sich Bill auf Kundschaft aus und mit blassem Gesicht kehrte er zu den Freunden zurück.

»Sie setzen ein Boot aus. Drei Mann sind hineingestiegen.«

»Bewaffnet?« fragte Neubert.

»Nein, aber was will das sagen? Sobald sie uns entdeckt haben, kommen die übrigen nach, und wir sind auf alle Fälle verloren.«

Eine Pause der stummen, trostlosen Betrachtung folgte diesen Worten; Martin war der erste, welcher sie unterbrach.

»Uns wird man so ganz leicht nicht entdecken,« sagte er. »Aber wenn diese Spitzbuben zwischen den Klippen nach einer vermeintlichen Leiche suchen, so finden sie möglicherweise das Boot und setzen es, nachdem die Plünderung stattgefunden hat, auf Grund.«

Bill wechselte die Farbe, er strich mit ruheloser Hast immer über seinen Kinnbart. »Ich habe schon lange daran gedacht,« seufzte er. »Dann wären wir Bettler.«

Neubert legte ihm die Hand auf die Schulter. »Nicht, wenn ich wohlbehalten davonkomme, ihr Leute!« versetzte er. »Wie viel Wert hat nach eurer Meinung die Argo?«

»Ach, Sir – wenigstens achthundert Dollar. Solch ein Boot kostet Geld!«

Der Kaufmann nickte. »Geht alles gut, so ersetze ich euch den Verlust. Verliert nur um des Himmels willen den Mut nicht, Kinder! Es mag ja sein, daß wir binnen wenigen Minuten mit den Spitzbuben ringen müssen.«

Bill reckte seine kräftigen Glieder. »Dann sollen sie es zu schmecken kriegen,« murmelte er mit einer Verwünschung. »Die Schufte!«

Und geräuschlos glitt er wieder zwischen die Felsen, um zu spähen.

Frau Neubert beschwichtigte inzwischen ihre durch das Sprechen der Manner erwachten Kleinen. Ängstlich schmiegten sich die Kinder an sie, das jüngste weinte sogar vor Furcht, aber lautlos, denn die bösen Männer waren ja noch immer da und Papa hatte gesagt, daß sie die Kleinen mit sich nehmen wollten. Man durfte sich also nicht verraten.

Die bleichen Gesichter der Seinigen trafen den Vater wie ein stummer Vorwurf. Alles um eines fremden Mannes willen.

Aber nur ganz kurz dauerte diese Anfechtung, dann war sie überwunden. Mochte geschehen, was Gott wollte, er hatte einem hilflos Daliegenden gegenüber seine Pflicht erfüllt, der Gedanke gab ihm Kraft und Ruhe zurück.

Bill huschte durch den Spalt, er legte den Finger auf die Lippen. »Um Gottes willen still! sie sind uns ganz nahe.«

Frau Neubert zog eine Decke um das weinende Kind, sie preßte sein Köpfchen fest an ihre Brust, während der andre Arm die kleine Toni umfaßte und Alfred sich an das Kleid der Mutter festklammerte. Herr Neubert, Lionel und Hermann standen, die geladenen Gewehre schußgerecht haltend, vor der Mutter und den bebenden Kindern.

Jetzt hörte man draußen streitende Stimmen. »Ich begreife nicht, was du hier suchst, Jim!« rief einer der Räuber. »Mit einem solchen Messerstich durch die Brust, wie ich ihn dem feinen Herrn versetzt habe, läuft niemand zwischen Felsklippen herum.«

»Einerlei!« versetzte der zweite. »Da unten im Moos sah ich deutlich erkenubare, noch ganz frische Fußspuren.«

»Natürlich, – die meinigen waren es!«

»Nicht deine!« beharrte Jim. »Ich sage dir, der, den wir suchen, lebt; die Leiche müßte sonst zwischen den Schilfmassen zu finden sein.«

»Ach was, Unsinn! Kommt nur, wir verlieren hier ganz unnützerweise die Zeit. Bedenkt, wenn der Kreuzer uns erwischen würde!«

»Thorheiten! Es ist noch nicht einmal gewiß, ob das verwünschte Schiff überhaupt so weit stromauf geht, – ich kann es mir garnicht denken.«

Die Sprechenden waren jetzt in unmittelbarer Nähe des Einganges, vielleicht nur um Armeslänge von der Schlucht entfernt, – eine zufällige Bewegung konnte ihnen den Weg in das Innere zeigen, konnte allen, die sich hier versteckt hielten, das sichere Todesurteil fällen. Unwillkürlich stockten die Schläge der Herzen, unwillkürlich zog Frau Neubert ihre Kinder fester in die Arme, bereit, sie mit dem Leben, mit dem letzten Blutstropfen zu verteidigen.

siehe Bildunterschrift

Im Augenblick der höchsten Gefahr.

Vor den Ohren der Lauschenden klang das Geräusch des stockenden Blutes, eine bange erdrückende Stille lastete auf dem engen Raume; wie unwillkürlich hoben sich die Kugelbüchsen der Männer, um jeden, der es wagen sollte, hier einzudringen, gleich im ersten Augenblick und ehe er Hilfe erhielt, niederzustrecken. Kamen dann die andern sieben vom Schiffe an das Land, so wurde auch ihnen der Kampf aufgedrängt und unter Gottes Beistand ein voller Sieg erfochten.

Schrecklicher Gedanke, zehn Menschen zu töten! Aber wenn keine andre Wahl übrig blieb, so mußte es, ehe die Unschuldigen erwürgt wurden, doch geschehen.

Minuten vergingen, dann gähnte draußen einer der Piraten sehr vernehmlich. »Ich hab's nun satt,« erklärte er. »Willst du mitkommen, Jim? Sonst bereite dich darauf vor, an Bord schwimmen zu müssen.«

»Hier ist allerdings keine Spur des Vermißten zu finden,« antwortete verdrießlich eine andre Stimme, »aber wo in aller Welt steckt er denn? Ich will doch da hinten die Bucht zwischen den drei hohen Felskegeln einmal genauer untersuchen.«

Bei dem Klange dieser Worte sahen Bill und Martin einander an, sie sprachen nicht, aber in ihren ehrlichen Gesichtern spiegelte sich eine schmerzliche Verzweiflung. Das Boot! Die Argo! – da hinter den Klippen lag sie ja!

»Nun ist alles verloren!« raunte Bill.

Die Piraten begaben sich zum Wasser und legten die Ruder ein, – jetzt war wenigstens eine augenblickliche Gefahr nicht mehr zu befürchten.

Ohne ein Wort zu verlieren begaben sich die beiden Fischer hinaus ins Freie, um zu beobachten. Es war ihre gesamte irdische Habe, die da im nächsten Augenblick den Wegelagerern zur Beute fallen würde – und doch mußten sie ruhig das Verbrechen geschehen lassen, um nicht mehr als Geld und Gut zu verlieren, das unersetzliche Dasein selbst.

Wenige Ruderschläge brachten das Boot der Feinde in die Bucht hinter dem natürlichen Felsenthor. Ein Ausruf des Erstaunens klang vernehmlich durch die Luft und traf wie ein Messerstich die Herzen der lauschenden Männer. »Alle Wetter, hier liegt ein Fahrzeug.«

»Was ist los?« rief jemand vom Schiffe her.

»Kommt mit dem anderen Boote und bringt Waffen, – hier sind Leute!«

Der Befehl wurde sehr schnell vollzogen, binnen wenigen Minuten waren Gewehre und Säbel verteilt, acht Piraten näherten sich der vor Anker liegenden Argo und riefen das kleine Fahrzeug an, ehe sie sein Deck betraten.

»Könnte ich euch den Hals umdrehen!« murmelte Bill, beinahe schluchzend. »O ihr Räuber, ihr Gesindel!«

Auch die beiden jungen Leute und der Kaufmann hatten sich hinausgeschlichen, um aus sicherem Versteck den Lauf der Dinge mit anzusehen. Die wiederholten Anrufungen der Piraten verhallten natürlich ungehört und nun unternahm es der Keckste, mit dem Säbel zwischen den Zähnen an Bord zu klettern. Die übrigen hielten ihre Kugelbüchsen schußfertig, dann aber, als der erste die Kajüttenthür geöffnet und keinen Menschen gefunden hatte, folgten sie ihm wie eine Schar hungriger Wölfe an Deck der Argo.

Bill und Martin wechselten einen Blick der Verzweiflung. Nun war alles verloren.

Die Piraten begannen mit unglaublicher Eile ihr Plünderungswerk. Alle Räume des kleinen Schiffes wurden durchsucht und kein lebendes Wesen entdeckt, also mußte schleunigst in Sicherheit gebracht werden, was irgend welchen Wert besaß, dann ging das Boot »in den Keller« und niemand konnte gegen die Räuber ein Zeugnis ablegen.

Einer aus der zerlumpten Schar sprang ins Boot und ruderte zum Schiffe; wenige Minuten später kam er mit einem großen Zentrumbohrer zurück. Es knirschte und rollte, wie wenn eine Kaffeemühle gedreht wird.

Bill stöhnte, er verhüllte das Gesicht mit einem Ärmel seiner Jacke.

Die Seeräuber schleppten sämtliche Lebensmittel aus den Bordkasten der Argo auf ihr Schiff, dann folgte die Munition, verschiedenes Kochgerät und was an Kleidungsstücken vorhanden war. Als sich nichts Nehmenswertes mehr vorfand, verließen alle das geplünderte Fahrzeug, dessen Seitenwände jetzt in eine Art leiser, schaukelnder Bewegung gerieten. Es war, als werde der Rumpf geschüttelt, als beuge er sich einer gewaltigen, unwiderstehlichen Macht.

Stumm sahen die Männer hinüber. Die Bretter und Balken, welche da versanken, das rohgezimmerte Fischerboot war ihre einzige irdische Heimat, ihr Asyl in höchster schrecklicher Not – und nun ging es vor aller Augen zu Grunde, nur die leere Stätte blieb zurück, die Erinnerung an eben noch Gewesenes. Niemand sprach, aber die Herzen waren schwer zum Sterben.

Das Deck versank tiefer und tiefer, kaum eine Spanne breit ragte es noch über die schäumenden Wellen empor, dann entstand ein Gurgeln, eine stärkere Unruhe, die Argo legte sich schwer, wie todmüde auf eine Seite und verschwand mit lautem Getöse im Gischt. Das Wasser zog weite Kreise, Woge nach Woge griff hoch hinauf an das Ufer, dann wurde allmählich alles stiller und die Bucht war leer, – so leer, als sei nie bedrängter Herzen einzige Hoffnung in ihrer Mitte geborgen gewesen, als liege nicht tief in ihrem Wellenschoße das Schiff, dessen Planken schuldlose Menschen hinaustragen sollten in die Freiheit, die sichere Ferne, wo es weder Bedrückung gab, noch Verfolgung.

Der Morgenwind fuhr kühl über die heißen Stirnen, es durchschauerte alle. Was nun? Was beginnen, dieser neuen fürchterlichen Heimsuchung gegenüber?

Eine schreckliche – schreckliche Frage.

Die Piraten zogen ihre Boote ein, sie lichteten die Anker und stellten die Segel. Das ruppig aussehende Schiff begann sich zu rühren.

Herr Neubert schlich geräuschlos in die Felshöhle zurück und unterzog sich der traurigen Aufgabe, seiner Frau den Verlust des Bootes mitzuteilen. Kaum der allerdringendsten Gefahr entronnen, sah sich die kleine Familie jetzt mitten in der Wildnis völlig verlassen, beinahe der Gewißheit des Verhungerns preisgegeben. Was halfen zehntausend Dollar im Ledergürtel an einer Stelle, wo sich keine Schnitte Brot, kein Trunk Milch für die Kinder kaufen ließ?

Und dazu der Schwerverwundete! – Es war unmöglich, ihn im Stiche zu lassen, ganz unmöglich, – man mußte hier bleiben und ihn pflegen, wenigstens so lange, bis er wieder im stande war, selbst zu urteilen und zu entscheiden.

Frau Neubert war merkwürdigerweise weit ruhiger als ihr Mann. Für den Augenblick hatten doch nun die Kinder nichts mehr zu fürchten, dies schien der armen Mutter wichtiger und bedeutsamer als alles Übrige.

»Sind die bösen Männer jetzt fort?« fragte der kleine Alfred. »Toni und ich wollen gern Beeren pflücken.«

Neubert seufzte unwillkürlich. Ja! sie waren fort, die Männer, aber alle Hoffnung, alle Aussicht auf Rettung mit ihnen.

Die Kinder durften in den dichten Himbeergebüschen ihrem Vergnügen nachgehen, während drinnen in der Höhle die Erwachsenen berieten, was jetzt zunächst geschehen müsse. Der Proviantbestand wurde nachgesehen und seufzend wieder in den Winkel geschoben, – etwas Butter, Speck und ein Kasten mit Zwieback, das war alles. Auch Zucker und Kaffee fanden sich, aber diese Dinge konnten nicht sättigen.

»Wir müssen fleißig auf die Jagd gehen,« meinte er.

»Und fischen, Früchte pflücken, Eier sammeln. Ich glaube gestern eßbare Pilze gesehen zu haben! Wasser ist auch ganz in der Nähe.«

»Und später?« fragte Bill. »Wohin gedenken Sie sich zu wenden, Sir?«

Herr Neubert sah auf. »Wollt ihr unser Los teilen, Leute? Wollt ihr bleiben und zu uns gehören, bis sich die Entscheidung gefunden hat?«

Bill nickte. »Ich gehe mit Ihnen, Herr! Vereinte Kräfte richten mehr aus, als geteilte, nicht wahr, Martin? Wir bleiben alle beieinander.

Der Fischer seufzte tief, dann dehnte er seine kräftigen Glieder. »So, Kinder, so! – Die Argo, das arme alte Ding, liegt auf dem Grunde des Stromes und kommt nimmer wieder an die Oberfläche. Es ist einmal Gottes Wille und wir müssen es hinnehmen, ohne zu verzagen. Der Mensch kann wohl, wenn es so gewaltig über ihn hereinbricht, im ersten Augenblick ganz verzweifeln, aber nachher muß er die Dinge nehmen, wie sie sind, und den Kopf oben behalten. Wir wollen an das Gewesene nicht mehr denken und uns so gut es geht, bis ans Meer durchschlagen.«

Neubert reichte beiden Fischern die Hände. »Ich danke euch, Leute,« sagte er. »Den Wert des Bootes sollt ihr ersetzt haben und reelle Bezahlung außerdem, – dafür müßt ihr helfen, meine Frau und meine unschuldigen Kinder zu beschützen, müßt den Verwundeten tragen und Lebensmittel sammeln. Wenn Gott will, sind alle diese Leiden in einigen Wochen überstanden.«

Es wurde der Plan für den gegenwärtigen Tag aufgestellt und die Arbeit verteilt. Der immer noch bewußtlose Mr. Forster erhielt ein weiches Lager aus Moos und Decken, sein Verband wurde erneuert und ihm etwas schwacher Kaffee eingeflößt, dann sammelten die Fischer einen Haufen bei der nächtlichen Sündflut trocken gebliebener Äste, bauten einen Herd aus großen Steinen und entzündeten ein Feuer, dessen prasselnde Flammen ein gewaltiges Stück Hirschfleisch brieten und von dem Abfall außerdem eine Suppe kochten. Freilich fehlte das Salz, aber es wurde durch einige Körner Schießpulver ziemlich ersetzt.

Neubert und Lionel suchten Pilze, Hermann fing aus dem ruhig gewordenen Wasser mehrere jener großen schmackhaften Fische, an denen die virginischen Ströme so reich sind und die Kinder brachten eine Menge Früchte herbei, so daß, obwohl Brot und Kartoffeln sehr fühlbar mangelten, doch der Hunger vollständig gestillt werden konnte und auch für den morgigen Tag noch Fleisch in Fülle übrig blieb.

Gegen Mittag bewegte sich der Verwundete auf seinem Lager und sah ächzend umher. »Dunkan!« flüsterte er, »wo bist du?«

Neubert trat, während sich Lionel zurückzog, dem Kranken näher. »Mr. Dunkan ist nicht hier, Sir!« antwortete er gelassen.

Der Verwundete murmelte einen Fluch. »Sind Sie der Anführer der Flußräubcr, Herr? War es Ihr Messer, das mir in die Brust fuhr?«

Neubert schüttelte den Kopf. »Ich – und noch ein anderer – haben Sie aus den Händen der Piraten gerettet, Sir, Sie befinden sich unter ehrlichen Leuten, die aber im Augenblick kein Haus besitzen, um Ihnen den Schutz desselben anzubieten. Schlafen Sie ruhig, wir werden wachen und Sie nicht verlassen.«

Mr. Forster wandte den Kopf. »Trinken!« stammelte er. »Ich will trinken!«

Neubert gab ihm frisches Wasser und schon nach wenigen Augenblicken war der Kranke wieder eingeschlafen. Die Wunde sah jetzt im hellen Lichte des Tages lange nicht so gefährlich aus, als in der Nacht, sie gab Hoffnung auf baldiges Genesen und damit die Möglichkeit, von hier fortzukommen. So im offenen Walde, dem Mangel und den rauhen, stürmischen Nächten schutzlos preisgegeben, konnten Frau Neubert und die Kinder nur zu leicht erkranken, es mußte daher des Familienvaters erste Sorge sein, sie aus diesem Zustande zu erlösen. Vielleicht ließ sich der Verwundete ohne Gefahr für das Leben schon in den nächsten Tagen transportieren, Neubert wollte daher gleich heute mit der Anfertigung einer Tragbahre beginnen, vorher jedoch mußte Moos zu Lagerstätten gesammelt und Wasser aus dem etwas entfernten Bergquelle herbeigeholt werden. Für sämtliche Männer sollte fortan eine vor der Höhle belegene schmälere Schlucht als Wohnung dienen, man wollte mit einer schweren Decke den Zugang sperren und nur oben in unerreichbarer Höhe dem Lichte und der Luft freien Eintritt gewähren. Eine Frage aber blieb vorläufig ungelöst. Womit waren die zahlreichen Wildkatzen wirksam zu verscheuchen?

Wenn diese, jede Höhe mit Leichtigkeit erkletternden Tiere über die Decke hinwegsprangen, so war es um sämtliche Fisch- und Fleischvorräte geschehen.

Bill wußte ein probates Mittel, nur schien es sehr ungewiß, ob sich die Möglichkeit zur Ausführung desselben finden lassen würde. »Man müßte ein paar große Gefäße mit Wasser vor den Eingang stellen,« sagte er. »Die Katzen wittern dasselbe und wagen aus angeborener Scheu keinen Sprung.«

Frau Neubert lachte. »Wahrhaftig, Bill, Sie haben recht, aber woher nehmen wir im Walde die nötigen Gefäße?«

Der Fischer schob die Mütze in den Nacken und wieder tief in die Stirn, es dauerte lange, bis er eine Antwort gab. »Ich bin einmal unten in der Bucht gewesen,« platzte er dann hervor, »bei der armen alten Argo. So sauber und nett liegt sie da in ihrem Grabe!«

Er konnte vor innerer Aufregung kaum sprechen; so oft sich seine Lippen öffneten, schlugen die Zähne aneinander, erst nach geraumer Zeit seufzte er tief und sagte mit unsicherer Stimme: »Das Wasser ist an der Stelle, wo die Unholde ihre Schandthat verübt haben, sehr flach, – wenn der Mastbaum der Argo aufrecht stände, so würde er weit herausragen.«

»Aha!« rief Lionel, »jetzt verstehe ich schon Ihre Absicht, Bill! Sie wollen tauchen und aus der Kombüse einige Eimer hervorholen.«

Der Fischer nickte. »So ist es, junger Herr! Vielleicht gelingt mir's auch, noch die eiserne Bratpfanne und ein paar sonstige Stücke zu bergen, ebenso das Faß mit Schmierseife. Die Spirituskanne habe ich schon gestern mit dem Kochapparat und den Betten an Land geschafft. Wollen Sie mich übrigens begleiten, Sir?«

Lionel hatte nichts dagegen einzuwenden und so gingen beide in Martins und Hermanns Gesellschaft hinunter zur versteckten Bucht zwischen den Uferklippen. Das Wasser war jetzt ruhig, Fische und Krebse, Insekten und Schlangen glitten hindurch wie früher, – vollkommen erkennbar in scharfbegrenzten Umrissen lag die Argo auf dem Grunde und schien bereits zum Tummelplatz verschiedener Tiergattungen geworden zu sein. Ein großer Taschenkrebs bewohnte die Kombüse, während eine Anzahl neugieriger kleiner Fische beständig in die Kajüttenthür hinein- und wieder herausschwamm.

»Solch' ein Unglück!« seufzte Bill. »O die Halunken! Für sie muß doch in der Hölle ein Extrafaß voll Öl siedend gemacht werden.«

Martin schüttelte den Kopf. »Denk' nicht mehr daran!« sagte er mit entschlossenem Tone. »Das Schiff liegt im Keller und wir können's durch keine Gewalt wieder hochbringen, also müssen wir die Sache vergessen. Strich darüber! Punktum.«

Er begann seine Kleider abzuwerfen, Bill that ein gleiches und nach wenigen Augenblicken tauchten die beiden kecken Fischer in das ruhige Wasser, um unten das ganze schwimmende Gesindel auseinander zu treiben und zunächst den riesigen Taschenkrebs, der sich nicht schnell genug aus dem Staube machen konnte, als gute Beute an das Ufer zu schleudern.

Hermann wälzte ihn vorsichtig in seinen Hut hinein, band das Taschentuch darüber und wandte sich dann wieder zu den beiden Fischern, die vorläufig alles, was in ihre Hände fiel, aus der Kombüse heraus und auf das Verdeck warfen. Lionel hielt die Uhr zwischen den Fingern. Dreißig Sekunden! nun mußten die Taucher bald wieder Luft schöpfen!

Vierzig Sekunden! – Himmel, Himmel, nur kein neues Unglück!

Aber da erschienen die beiden an der Oberfläche, etwas bläulich im Gesicht, prustend und mit geröteten Augen, doch völlig unversehrt. Bill hatte richtig das Seifenfäßchen erwischt, Martin ein Netz mit Zwiebeln und als das hauptsächlichste ein langes, derbes Seil, an dem ein Eisenhaken befestigt war. Früher wurde es benutzt, um Wasser an Bord zu ziehen, jetzt gab der Fischer das eine Ende den beiden jungen Leuten in die Hand und nahm den Haken wieder mit in die Tiefe, um nacheinander Eimer und Pfannen, Holzlöffel und Besen daran zu hängen, während Bill in die Kajütte drang und alles herbeischleppte, was sich an Kleidungsstücken der Familie Neubert nur vorfand. Ganz zuletzt wurden die hölzernen Bänke von allen vier Männern mit vereinten Kräften heraufgezogen und so gab es denn bei der Rückkehr in die Höhle einen wahren Triumphzug, als so viele notwendige und nützliche Gegenstände sich beisammen fanden. Besonders die Seife wurde mit Jubel begrüßt und gleich ein großes Waschfest veranstaltet, um Kleider und Geräte zu säubern. Besen und Bürsten thaten ihre Schuldigkeit, eine lange Leine zog sich von Baum zu Baum und lustig im Abendwind flatterten bunt durcheinander alle Garderobestücke, deren der Mensch von der Wiege bis zum Grabe bedarf, Papas heller Sommeranzug und Babys Hemdchen, die Jacken der Fischer und Mamas Morgenhaube, alles wie es dem blindlings zugreifenden Bill in die Hände gefallen war.

Frisch gescheuert glänzten Bänke und Küchengeräte, einzeln wie Perlen an der Schnur hingen die Zwiebeln an den nächsten Büschen, um zu trocknen. Das kleine, malerisch gelegene Heim der Flüchtlinge hatte einen Anstrich wahrer Gemütlichkeit bekommen; die Lagerstätte der Mutter mit ihren jüngeren Kindern war jetzt nach der glücklich vollbrachten Taucherreise der beiden Fischer durch einen Teppich den Blicken vollkommen entzogen, während an der anderen Seite der Höhle mehrere sorgfältig gesäuberte und zusammengerückte Felsblöcke die Vorratskammer bildeten. Noch war von allem reichlich vorhanden, man konnte in der nächstfolgenden Nacht ruhig ausschlafen und brauchte erst am zweiten Morgen wieder auf die Jagd auszuziehen.

»Ich mag gern Robinson spielen!« erklärte der kleine Alfred. »Papa, bekommen wir auch Lamas und große Sonnenschirme?«

Die übrigen lachten belustigt, nur der Blick auf den Verwundeten beeinträchtigte die zufriedene Stimmung, welche allmählich wieder Platz gegriffen hatte. Mr. Nathanael Forster war nur in den Morgenstunden einigermaßen bei freiem Bewußtsein, später schüttelte ihn das Wundfieber, wobei er fortwährend phantasierte und denen, die ihn pflegten, verriet, daß er den Zusammenhang der Dinge genau kannte.

»Zu Wasser ist die Flucht bewerkstelligt,« murmelte er. »Dieser Neubert, der Abolitionist hat den Burschen mit sich genommen, dafür verschaffe ich ihm den hänfenen Kragen. Sklavenraub, mein Bester, – ha, ha, ha, das Ding sollen Sie mit Muße bereuen!«

Während dieser Ausbrüche eines unbändigen Hasses saß der Kaufmann an dem Schmerzenslager des Bewußtlosen und verband seine Wunde oder legte ihm nasse Polster auf die brennende Stirn. Bis Mr. Forster wenigstens volle klare Besinnung erlangt hatte und ohne Schaden auf einer Bahre getragen werden konnte, ließ sich an ein Verlassen dieser Zufluchtsstätte nicht denken, darüber waren alle mit einander einig.

Am frühen Morgen wurden die fest schlafenden Männer durch ein ärgerliches Knurren und Schreien geweckt. Es klang wie Kinderstimmen und doch wieder ganz anders, – als Neubert nachsah, begegnete ihm ein Schauspiel, das komisch genug erschien, um auch die übrigen zu ergötzen. Von leiser Hand geweckt, beobachteten die jungen Leute eine Katzenfamilie, die sich auf dem Felsen über dem Vorhang versammelt hatte, um ihr schmerzliches Schicksal zu beklagen. Drinnen dufteten Speck und gebratene Fische, aber auch das verabscheute Wasser meldete sich den geschärften Sinnen und verbot jeden Sprung in das Innere der Höhle. Zuweilen hob eines der Tiere die Vorderpfoten, wie im Übermaß des Begehrens, aber eben so schnell zog es sich auch wieder zurück, bis endlich unter den hübschen schlanken Geschöpfen ein Krieg entstand, der mit einer allgemeinen Balgerei endete. Wütend fielen scharfe Zähne und Krallen über den Gegner her, bald sprangen die buntfarbigen Körper hoch empor, bald wurden sie geschleift, besonders ein älteres, wie es schien, hinkendes Tier erhielt unbarmherzige Bisse und Kratzwunden, die ihm ein großer schwarzgefleckter Kater beibrachte. Die Siegesfreude des letzteren sollte übrigens ein unerwartetes Ende nehmen; im Eifer der Schlacht geriet er rückwärts zu nahe an den Abhang und stürzte polternd hinab, direkt in Bills Wassereimer, dessen Inhalt hoch emporspritzte. Eine Sekunde später suchte er kläglich miauend sein Heil in der Flucht.

Das schallende Gelächter der versteckten Zuschauer verscheuchte auch die übrigen Tiere, aber nun war der Schlaf einmal gestört und so sah sich die kleine Familie früh bei den ersten Sonnenstrahlen schon um das Frühstück versammelt. Mr. Forster lag mit offenen Augen auf seinem Bette, er sprach nicht, aber er beobachtete, er schien alle Gedanken zusammenzuraffen, um sich ein klares Bild des gegenwärtigen Zustandes zu verschaffen. Ein leichtes Rot lief über das farblose Gesicht, er hob matt die Hand.

»Lionel!«

Neubert erschrak. Ein leichter Wink genügte, um unseren Freund aus der Höhle zu entfernen, dann erhob sich der Kaufmann und trat ruhigen Schrittes an das Lager des Verwundeten. »Wünschen Sie irgend etwas, Sir?«

Mr. Forster nickte. »Mein Sklave ist hier!« sagte er, mühsam sprechend.

»Wen meinen Sie mit dieser Bezeichnung, Mr. Forster?«

»Aha! Sie kennen mich, – nur er kann Ihnen meinen Namen genannt haben.«

Der Kaufmann schien nicht zu verstehen. »Schlafen Sie, Sir!« riet er. »Schonen Sie Ihre Kräfte; das Fieber ist noch durchaus nicht geschwunden.«

Ein unangenehmes Lächeln kroch über das Gesicht des Kranken. »Sie möchten mir gern einbilden, daß ich den Burschen nur im Traume gesehen,« nickte er, »aber das hilft Ihnen nichts. Lionel soll zu mir kommen, ich befehle es.«

Herr Neubert wandte sich ab. »Suchen Sie zu schlafen, Sir! Soll ich Ihnen ein wenig Kaffee bringen, oder möchten Sie einen Bissen Fleisch genießen?«

»Ich will meinen Sklaven sehen, er soll hierherkommen.«

Der Kaufmann schien nichts gehört zu haben, er beendete sein Frühstück und dann ging es an die Arbeiten für den Hausstand. »In dieser nächsten Nacht wollen wir eine Feuerjagd veranstalten,« sagte er den Knaben. »Das Fleisch geht zu Ende, wir müssen daher mehr Hirsche schießen, aber ich möchte mich nach dem Erlebten nicht gern allzu weit vom Hause entfernen. Etwa eine halbe Stunde von hier treffen wir die Tiere auf ihrem Wege zum Strome.«

»Eine Feuerjagd?« fragte Lionel, »was ist das?«

»Da! da!« rief aus dem Inneren der Höhle Mr. Forsters Stimme, »das war mein Sklave! Es war Lionel, der da sprach! Wo ist er?«

Die Draußenstehenden sahen einander an, Neubert winkte den jungen Leuten, sich etwas weiter zu entfernen. »Wir dürfen ihn noch nicht so sehr aufregen,« flüsterte er. »Verschlimmert sich das Wundfieber, so liegt er vielleicht noch wochenlang, ohne die Weiterreise mitmachen zu können und wir sind thatsächlich seine Gefangenen.«

Lionel schüttelte zweifelnd den Kopf. »Einmal muß der Kampf mit ihm doch ausgestritten werden,« versetzte er. »Mir ahnt Böses!«

Neubert zuckte die Achseln. »Was sollte er uns hier in der Wildnis zufügen können, mein Junge? Laß' ihn, so laut er mag, deinen Namen hinausschreien in die Einöde, – kein Ohr ist da, um ihn zu hören.«

Lionel sah auf. »Hier allerdings nicht, Sir, aber wird das immer so bleiben? Einmal müssen wir in die Gesellschaft der Menschen zurückkehren.«

»Hoffentlich!« nickte sehr ernst der Kaufmann.

»Und dann wird Mr. Forster seine Rache nehmen, verlassen Sie sich darauf.«

»Wenn wir ihm nicht den Weg versperren!« warf Hermann ein. »Es ist übrigens keine Gefahr vorhanden, wie ich glaube, denn wenn uns eine Truppe von Konföderirten begegnet, so sind wir jedenfalls verloren, bei den Soldaten der Regierung dagegen kann er uns nicht schaden.«

Niemand antwortete, aber der Druck einer Verstimmung lag auf den Seelen aller. So oft Neubert die Höhle betrat, sahen ihm Mr. Forsters Augen weit geöffnet entgegen; der Kranke befand sich heute besser, die Wunde schien zu heilen, aber mit der fortschreitenden Genesung wuchs offenbar auch jener leidenschaftliche Haß, in dem sich persönliche Kränkung und politische Parteinahme begegneten, – dieser Mann würde weder Dankbarkeit noch Erbarmen kennen, wenn es galt, sich an seinem Beleidiger zu rächen.

»Wenn der Kreuzer hierherkäme!« seufzte Neubert, »und wenn es ein Schiff der Regierungspartei wäre!«

Die Fischer hielten letzteres für unmöglich. »So weit landeinwärts gehen die Fahrzeuge nicht,« sagte Bill. »Man könnte ihnen zu leicht den Rückweg abschneiden.«

»Und ob sie uns an Bord nehmen würden, scheint auch fraglich. Flüchtlinge gibt es leider jetzt zu Wasser und zu Lande überall!«

Neubert strich mit der Hand durch das Haar. »Voraussehen läßt sich in unserer gegenwärtigen Lage gar nichts,« warf er ein. »Wir müssen auf Gott und die gute Sache vertrauen, besonders aber in jeder Stunde das vollbringen, was gerade dann notwendig ist. Auf, Kinder! im Augenblick ist Mr. Forster noch unschädlich.«

»Papa!« rief Hermann. »Du wolltest uns von der Feuerjagd erzählen!«

»Ich will euch in dieser Nacht die Sache zeigen, Kinder. Vorläufig braucht Mama neues Brennholz und auch einige Eier wären sehr willkommen.«

Bill lächelte bedeutsam. »Ich habe eine Entdeckung gemacht!« sagte er.

Aller Augen sahen ihn an. »Aber doch hoffentlich eine gute, Bill?«

»Eine wohlschmeckende,« versetzte er.

»Du hast irgend ein Tier in der Schlinge gefangen?«

Bill schüttelte den Kopf.

»Einen Fisch gespießt?«

»Nein.«

»Nun, so behalte dein Geheimnis, wir sind nicht neugierig!«

»Die Trauben sind sauer, sagte der Fuchs, als er sie nicht erlangen konnte. Aber ich will großmütig sein! – In der Kombüse der Argo sitzt eine prächtige Schnappschildkröte.«

»Und Sie haben den Zugang verschlossen, Bill?«

»Natürlich!«

»Das ist wahrhaftig eine gute Nachricht!« rief Neubert. »Bei jedem Schusse, den wir abfeuern, wird unser spärlicher Vorrat an Munition immer geringer, es wäre also sehr wünschenswert, auf andere Weise etwas Fleisch zu erlangen. Sollen wir die Jagd gleich beginnen?«

»Je früher, desto besser, Sir! Die Kombüse ist klein, das Tier hat daher wenig Raum und gar keine Luft, es könnte ersticken.«

»Nun, so machen wir uns gleich auf den Weg. Sie kennen hoffentlich diese Art von Jagd, Bill?«

Der Fischer nickte. »Martin und ich werden die Sache beinahe allein vollführen, Sir. Sie und die beiden jungen Herren brauchen nur das verwundete Tier ans Land ziehen, – dafür müssen wir noch einige lange, mit Haken versehene Stangen zurechtschneiden.«

Die ganze Gesellschaft begab sich in den Wald, um das Nötige zu suchen und von da an das Ufer. Im hellen Morgenschimmer glänzte das stille Wasser und der Moosboden mit seinen Tausenden von Blumen und Gesträuchen, große Schwimmvögel wiegten sich auf den äußersten Zweigen und beobachteten spähend das flutende Element, dessen Bewohner ihnen ein Frühstück liefern sollten, – ja, und auch ein alter Bekannter saß zusammengekauert auf einem der flachen Steine, die das Wasser rings umspülte, ohne ihre Oberfläche ganz zu erreichen, der schwarzfleckige Kater, dessen Fell im Sonnenschein bereits wieder getrocknet war und der nun hier in vollkommener Unbeweglichkeit, wie ein Steinbild zwischen den Klippen hockte. Den Schweif verborgen, die Ohren herabhängend, die glänzenden Augen halb geschlossen, so saß er lauernd da und schien irgend etwas erwarten zu wollen.

»Der alte Knabe fischt!« flüsterte Martin.

»Aber wie denn? Er fürchtet doch das Wasser so sehr.«

»Geben Sie nur acht, die Geschichte geht fast ganz trocken ab.«

Unsere Freunde blieben stehen und beobachteten das Tier, dessen Körper die vollständigste Regungslosigkeit zeigte. Wie mit dem Steine verwachsen, kauerte es auf demselben.

Und dann kam urplötzlich Leben in das vorher so starre Bild. Mit einem wuchtigen Tatzenschlage das Wasser treffend, zog Meister Murr einen großen, heftig zappelnden Fisch hervor, sprang, ihn zwischen die Zähne nehmend, mit einem gewaltigen Satz auf den Kamm der nächsten Klippe und verschwand im nächsten Augenblick in dem Gewirre steilaufragender Kegel und Kuppen, wo wahrscheinlich die Jungen im Neste ungeduldig der ersten Mahlzeit des Tages harrten.

»Ein vernünftiger Kater!« meinte Lionel. »Kann er den Fisch nicht gebraten haben, so verzehrt er ihn, wie er aus dem Wasser kommt.«

Jetzt war eine bessere Stimmung zurückgekehrt, die langen Stangen wurden bereit gehalten und Bill und Martin nahmen wieder ihr Morgenbad, indem sie tauchten und damit zugleich der Familie, bei der sie lebten, einen erheblichen Dienst leisteten.

Bill schoß direkt hinab zur Kombüse und zog mit einem Ruck die Thür derselben weit genug zurück, um die meterlange und demgemäß breite Schnappschildkröte gerade eben hindurchzulassen. Das Tier steckte zuerst den unförmlichen Hals mit dem kleinen Kopfe schnuppernd vor, dann wagte es sich vorsichtig hinaus und wurde hier von dem inzwischen nachgefolgten Martin sogleich mit einem Messerstich in den Hals empfangen. Wütend vor Schreck und Schmerz biß das Tier nach allen Seiten um sich, aber ohne doch dem überlegenen Gegner entrinnen zu können; ein zweiter, dem ersten unmittelbar folgender Messerstich machte seinem Dasein ein schnelles Ende. Bill tauchte nochmals, um auch an diese Beute den Eisenhaken zu befestigen und sie durch die anderen aus dem Schoße der Fluten hervorziehen zu lassen.

Der schöne Rückenpanzer des Tieres fand allgemeine Bewunderung, aber auch sein Fleisch sollte, da es noch jung war, vortrefflich schmecken; der ganze kleine Zug glücklicher Jäger brachte im Triumphe das erlegte Wild in die Höhle, wo es zunächst von den Kindern in Beschlag genommen und dann zerteilt wurde, um in den Suppentopf zu wandern.

Das Salz fehlte gerade bei dieser Speise sehr schmerzlich, aber sowohl die Kleinen als auch der Verwundete konnten sie gut genießen, weshalb Bill beschloß, den Schildkrötenfang fernerhin täglich zu betreiben. Für heute mußte Brennholz herbeigeschafft werden, Martin brachte einen ganzen Arm voll herrlicher reifer Trauben, Neubert und die Knaben suchten Pilze, bis endlich in der Nacht die geplante Feuerjagd vor sich gehen konnte.

Ein Haufen Splitter und eine eiserne Pfanne nebst Zündhölzer wurden mitgenommen, dann zogen die Jäger etwa eine Stunde weit in den Wald bis zu einer Stelle, die schon vorher genau bezeichnet und für den vorliegenden Zweck ausgewählt worden war. Ein schmaler Wildpfad führte von den hochgelegenen Bergwiesen hinab zur Tränke, während an beiden Seiten dichtes Unterholz eine Menge von Verstecken für die Männer darbot. Als Nachttiere kamen die Hirsche aus ihren Lagern bei Einbruch der Dunkelheit hierher, um ihren Durst zu löschen, darauf gründete sich die Hoffnung, ein oder mehrere Stücke glücklich zum Schusse zu bekommen.

Ein leiser Wind wehte von den Bergen herab, die Nacht war still und dunkel, um so weiter leuchtete daher das Feuer, welches Herr Neubert in der Eisenpfanne angefacht hatte. Die roten Flammen züngelten hoch empor, durch einen Baumstamm verdeckt lag der Kaufmann platt am Boden und unterhielt geräuschlos die Glut aus dem mitgenommenen Vorrat trockenen Holzes. Im Dickicht lagen die beiden Knaben und Bill mit geladenen Gewehren auf der Lauer, während Martin zum Schutze für die Familie und den Verwundeten daheim in der Höhle geblieben war.

Mehr als eine Stunde mochte vergangen sein, nichts regte sich, kein Laut wurde gehört, da legte plötzlich Lionel die Fingerspitzen auf Herrn Neuberts Schulter und als beider Blicke einander begegneten, deutete er vorsichtig zur entgegengesetzten Seite des Wildpfades hinüber.

Zwei glänzende Augen sahen durch das Blätterwerk auf den ungewohnten Lichtschein, welcher dem brennenden Holze entströmte.

Neubert nickte. »Noch nicht!« sagte die Bewegung seiner Hand.

Wieder vergingen Minuten. Ein dürrer Zweig am Boden krachte, es raschelte in den Blättern, mit erhobenem Vorderfuße trat ein Hirsch auf die offene Stelle hinaus, gefolgt von mehreren Kühen und Kälbern, die alle starr ins Feuer blickten. Jetzt schien der günstige Moment gekommen zu sein, alle drei Schüsse donnerten zugleich, zwei Tiere stürzten und auch aus dem Gebüsche erhob sich ein klagender Laut, aber nicht der des getroffenen Hirsches, sondern ein ganz anderer, der fast wie das Wiehern eines Pferdes klang. Neubert und die jungen Leute sahen einander an. Was war das?

Mit einem einzigen Satz sprang Lionel in das Dickicht. Die Augen, welche vorhin herausblickten, waren verschwunden, zwischen den Gesträuchen aber lag sterbend ein ganz junges Füllen ohne Hufeisen oder Geschirr. Es hatte die Ladung in den Hals bekommen und kämpfte nur noch matt gegen den hereinbrechenden Tod.

Lionel erschrak sehr. »Ein Füllen!« rief er. »Woher mag es gekommen sein?«

Auch die übrigen sahen einander an, das Gefühl der Bestürzung wurde allgemein. Befand man sich in der Nähe einer Farm, so war es ohne Zweifel die eines Mannes, der viele Sklaven hielt und mit Leib und Seele den Interessen der Konföderierten angehörte.

Das fühlten alle, am deutlichsten Neubert. »Kinder,« sagte er, »eins zunächst! Was wir hier gesehen haben, muß strengstens unter uns bleiben. Wir sprechen zu Hause nicht darüber und zwar, weil Mr. Forster keine Kenntnis davon erlangen soll.«

Bill nickte. »Das ist ganz notwendig,« bestätigte er.

Plötzlich hob Lionel die Hand. »Ich höre etwas!« rief er.

Sie horchten sämtlich, aber nur sekundenlang, dann war die Natur des entfernten, sich fortwährend wiederholenden Geräusches unverkennbar geworden. Schuß folgte auf Schuß, – da hinten in den Wäldern standen sich zwei Abteilungen der kämpfenden Armeen im Scharmützel gegenüber, – ja und der Schall schien sich zu nähern, vielleicht kamen Flüchtlinge hierher, vielleicht ging in dieser Nacht für immer zu Grunde, was mit so großen Opfern erkauft worden war, die Hoffnung, glücklich auf das Gebiet der Nordstaaten hinüber zu gelangen

Neubert seufzte. »Laßt uns eilen,« bat er voll geheimer Unruhe. »Was nach Gottes Ratschluß kommen soll, das möge uns wenigstens vereint treffen.«

Bill und Hermann hatten schon angefangen, die beiden erlegten Tiere auszuschlachten, jetzt wurde das Werk so schnell als möglich vollendet und der Heimweg angetreten. Während der ersten halben Stunde tönte das Geräusch des fernen Kampfes immer noch deutlich herüber, dann verschwand es und die frühere tiefe Stille beherrschte wieder den Wald und das Ufer. Dicht vor der Höhle ging Martin als treuer Wachtposten auf und ab, – auch er hatte eine Entdeckung gemacht und ebenso wie die übrigen eine böse.

»Das Kriegsschiff ist hier vorübergekommen,« bemerkte er. »Es war die ›Alabama‹ der Konföderierten, also nichts für uns.«

Neubert seufzte. »Sie erkannten trotz der Finsternis das Schiff, Martin?«

»Ja, Herr, mit vollkommener Sicherheit. Ich sah auch im Scheine der Deckslaternen die Uniformen an Bord und den flatternden Wimpel.«

»Nun,« versetzte der Kaufmann, »wie Gott will!« – Dann wurde Martin in das Geheimnis gezogen und allerseits verabredet, ein vollständiges Stillschweigen zu bewahren. Frau Neubert sollte ungestört schlafen und dem Verwundeten wollte man die Gelegenheit, möglicherweise verräterische Pläne zu schmieden, lieber gleich entziehen. Er brauchte nichts zu wissen.

Das Fleisch wurde in Sicherheit gebracht und der Rest der Nacht dem Schlafe gewidmet. Zwei Männer hielten Wache, während die drei übrigen ruhten und so ging es abwechselnd bis zum nächsten Morgen.

Es schien, als sei die gehegte Besorgnis grundlos gewesen, alles war und blieb still und einsam wie zuvor, es kamen weder Flüchtlinge noch Verfolger in das Asyl der kleinen Familie und so blieb es denn ein vollständiges Rätsel, wie sich das Füllen hierher verirrt haben könne. Obgleich aber kein Feind sich blicken ließ, beherrschte doch eine geheime Unruhe die Seelen der Männer, – es stand ein Wendepunkt ihres Schicksals bevor, das fühlten alle.

Als an diesem Morgen Herr Neubert zu dem Verwundeten trat, da fand er ihn durchaus fieberfrei und überhaupt kräftiger als bisher. Mr. Forster schien ruhig, ja ganz gelassen, er hatte seine gewohnte heftige und befehlshaberische Weise völlig abgelegt.

»Schenken Sie mir einige Minuten, Sir!« bat er, »ich möchte gern einiges zwischen uns ins Reine bringen.«

Der Kaufmann neigte freundlich den Kopf. »Ich stehe ganz zu Diensten, Mr. Forster!« versetzte er.

»Schön! Schön! Dann sagen Sie mir zunächst, wo sich Mr. Dunkan, der Friedensrichter, gegenwärtig befindet, Sir!«

Neubert zuckte die Achseln. »Ich kann Ihnen nicht dienen, Mr. Forster! Wir haben den genannten Herrn weder gesehen, noch von ihm gehört.«

»So! So! Die Fischerbarke wurde von den Flußräubern angegriffen und ohne Zweifel genommen. Mr. Dunkan ist getötet worden.«

»Ich weiß über diesen Gegenstand nichts, Sir! Wir sahen. Sie mit den Wellen kämpfen und beeilten uns, Ihnen zu helfen, das ist alles, was ich bezeugen kann.«

Mr. Forster sah aufmerksam in das Gesicht seines Beschützers. »Wir?« wiederholte er in gedehntem Tone. »Wer außer Ihnen selbst, Sir?«

»Ein paar Fischer, die mit uns reisen, dann mein Sohn.«

»Ah! darf man fragen, ob sonst noch jemand zugegen war?«

Neubert blieb freundlich, aber ganz fest. »Ich denke, man darf nicht fragen, Mr. Forster,« versetzte er.

»Nicht? – Nun, für mich wäre die bestimmte Antwort auch nur eine Formalität gewesen, weiter nichts. Mein Sklave Lionel ist bei Ihnen, ich weiß es und werde alle Hebel in Bewegung setzen, um ihn mir nicht entschlüpfen zu lassen. Ihnen persönlich schulde ich vielleicht großen Dank, bin auch bereit, alle mir geleisteten Dienste anständig zu bezahlen, aber wenn Sie geglaubt haben, daß ich aus Erkenntlichkeit auf mein gutes Recht verzichten und schweigen sollte, dann werter Herr, sind Sie im Irrtum. Sobald wir unter Menschen kommen, suche ich den Beistand der Behörde, – das war es, was ich Ihnen heute sagen wollte.«

Der Kaufmann lächelte. »Wenn wir unter Menschen kommen!« wiederholte er. »Mit Gottes Hilfe begegnen uns nur solche, die Gut und Blut daran setzen, um den empörenden, scheußlichen Gedanken der Sklaverei zu bekämpfen, um das eine der Kinder Gottes aus den Räuberfäusten des andern zu befreien. Dann sind Ihre schlimmen und unchristlichen Pläne vollständig ohnmächtig, Mr. Forster.«

Der Verwundete nickte vor sich hin. »Das Ende wird es lehren,« murmelte er.

»Ganz gewiß, Sir! Und daß wir jetzt darüber streiten, ist mehr als unnütz. Ich kam hierher, um Ihre Wunde zu verbinden, – hoffentlich sind Sie bald vollständig genesen.«

»Damit die Reise weiter gehen kann, nicht wahr? Vermutlich ist auch Ihr Fahrzeug von den Halunken genommen worden?«

»Ja! – Jetzt lassen Sie mich die Wunde sehen.«

Es stand alles gut; die anfängliche große Schwäche des Kranken war mehr Folge der Betäubung und des Blutverlustes gewesen, jetzt konnte er wieder ohne Schmerzen atmen und sich sogar in seinem Bette aus Moos versuchsweise aufrichten. Neue Hoffnung durchströmte Neuberts Seele, vielleicht war es unter diesen Umständen möglich, schon in den nächsten Tagen von hier fortzuziehen.

Keiner der Männer verließ heute die Umgebung des Versteckes, in welchem Frau Neubert und die Kinder beinahe fröhliche Stunden verlebten. Das Wetter war schön, es gab Lebensmittel in Fülle und niemand störte den Frieden der kleinen Niederlassung, – die arme geängstigte Mutter dankte, ohne nach mehr zu begehren, dem Himmel für seine Gnade.

Ganz in der Stille untersuchten an diesem Tage die Männer den Weg, welcher am Flusse dahinführte, auf seine Gangbarkeit. Zunächst blieb das Waldgebiet vorherrschend, dann aber folgten Sumpfstrecken, die für den einzelnen Jäger schwer zu durchschreiten gewesen wären, für eine Familie dagegen unter keinen Umständen als Fußpfad dienen konnten. Hier und dort quoll das klare Wasser aus dem Boden hervor, Schilfmassen wogten wie ein grünes Feld und riesige Wasserrosen bedeckten wie ein Teppich die Oberfläche, dann folgten Weidengebüsche, feuchte Strecken, aus deren Schoße uralte Stämme hervorragten, von Schlingpflanzen umwuchert, undurchdringlich dem Blick und dem Fuße des Wanderers, belebt von zahllosen Schwimmvögeln, die hier ihre Brutstätten besaßen, ihre Zusammenkunftsorte, an denen sie Rast hielten und alle Äste und Zweige dicht bevölkerten.

Es war unmöglich, diese Richtung einzuschlagen und so dem Strome nahe zu bleiben, unsre Freunde versuchten es daher weiter oben zwischen den letzten Ausläufern der Gebirgskette, aber mit dem gleichen ungünstigen Erfolge. Hier schoben sich vorspringende Klippen unüberwindlich in den Weg, einzelne kleinere Blöcke lagen zerstreut umher, dazwischen hatten die welken Blätter vergangener Jahre, die Ranken und Halme ganze verfilzte Massen gebildet, umgestürzte Bäume lagen überall umher, Gesträuche wuchsen empor und Dornen versperrten den Pfad.

Hier befand sich das Gebiet der Fasanen. In den Boden hinein schienen sie bei der Annäherung der Männer zu verschwinden, in den welken Laubmassen fanden sie sichere Schlupfwinkel, zwischen den Klippen ging binnen Sekunden ihre Spur verloren. Zu Hunderten flogen die schönen großen Vögel umher, aber es gelang nur zweimal, einen derselben zu erlegen und für die Bratpfanne mit nach Hause zu bringen. Auch hier kein gangbarer Pfad! Das war eine traurige Entdeckung. Man mußte, da das Gebirge nicht überklettert werden konnte, quer durch den Wald gehen, auf alle Gefahr hin, früher oder später einer Abteilung der Konföderierten zu begegnen.

Frau Neubert sah wohl, daß ihrem Manne irgend eine offene Frage schwer auf der Seele lag, aber sie hütete sich wohl, ihm das merken zu lassen. Es kam noch ein friedvoller Sonntag mit einem unter freiem Himmel gehaltenen Gottesdienst, mit einer reichlichen Mahlzeit und dem schönsten Wetter, dann konnte etwas später der Verwundete zum erstenmale einen Augenblick aufstehen und, zwischen Bill und Neubert gehend, wieder die freie Luft einatmen; dabei war es unvermeidlich, daß er Lionel bemerkte und daß sich die Blicke beider begegneten. Jähe Röte stieg in das Gesicht des heftigen, gebieterischen Mannes.

»Komm einmal hierher, Bursche!« rief er.

Lionel wandte sich ab, ohne zu antworten.

»Bitte, Mr. Forster,« sagte ruhig, aber sehr entschieden der Kaufmann, »lassen Sie diese Angelegenheit vorläufig ganz bei Seite. Wir sind hier im einsamen Walde, wo keine Rechtsfrage zum Austrag gebracht werden kann.«

»Es besteht meines Wissens auch keine solche!« war die in hartem Tone gegebene Antwort. »Ich habe den Sklaven Lionel gekauft, er ist daher mein Eigentum und ich beanspruche ihn als solches unbedingt.«

»Vor der Hand indessen ganz vergeblich, Mr. Forster, das wollen Sie gütigst im Gedächtnis behalten.«

»Bis auf weiteres, – ja! Was dann über Sie selbst und die Ihrigen kommt, mein Herr Neubert, haben Sie allein zu verantworten.«

Der Kaufmann schüttelte kaum merklich den Kopf. An seinem Arme hing todesmatt, hilflos wie ein kleines Kind der Verwundete, aber anstatt den aufopfernden Rettern zu danken, anstatt versöhnliche Gefühle zu hegen, drohte dieser Mann mit den härtesten Strafen der Gesetze denen, die ihn dem sichern Tode entrissen hatten. Neubert schwieg, aber es that ihm sehr weh, solche Worte gehört zu haben.

Schon nach einer Viertelstunde bat Mr. Forster, ihn wieder auf das Bett zu legen; er war blaß und müde, doch völlig schmerzfrei, so daß für den nächsten Tag die Abreise beschlossen werden konnte.

»Wir müssen aufbrechen,« erklärte der Kaufmann seinen Genossen, »es bleibt uns keine Wahl. Die Munition geht zu Ende, – wovon sollten wir leben? Der Mangel an Salz macht sich ohnehin sehr schwer fühlbar, ebenso hat meine Frau keinen Kaffee und keinen Speck mehr, – es muß also in Gottes Namen gewagt werden, was beinahe unausführbar scheint, denn von der Seite des Stromes her ist auf Rettung am allerwenigsten zu hoffen. Die Schmugglerschiffe nehmen keine fremde Person an Bord und Fischerbarken dürften sich überhaupt in so großer Entfernung von der Stadt nicht mehr finden.«

Bill und Martin bestätigten den letzten Satz. Es leuchtete allen ein, daß der Weg quer durch den meilentiefen Wald nunmehr angetreten werden müsse, aber welcher Weg würde es sein! Der Kranke mußte getragen werden, ebenso das Gepäck und das jüngste Kind, – für fünf Männer, die noch dazu den ganzen Zug mit Wasser und Lebensmitteln versorgen sollten, ein schweres, beinahe unausführbares Unternehmen.

»Dieser Mr. Forster kann durch seine Gegenwart uns allen das Leben kosten,« meinte Bill. »Hole ihn der Böse!«

»Namentlich, da wir geraden Weges auf den Kriegsschauplatz losmarschieren!«

»Das würde auch ohne ihn geschehen,« erinnerte Herr Neubert.

»Freilich! aber es wäre doch dann in unsrer Mitte kein Verräter. Dieser Mann mit der Trinkernase lechzt förmlich darnach, uns ins Unglück zu stürzen.«

Lionel wurde bald rot, bald blaß. »Ich will ihn in jeder Minute bewachen,« sagte er, während seine Augen drohend blitzten, »und Gott sei ihm gnädig, wenn er falsches Spiel treibt.«

Neubert nickte. »Bewachen werden wir alle ihn,« wiederholte er. »Vorläufig kann ja auch unser lästiger Gast noch nicht einmal gehen oder stehen, wie sollte er uns also schaden?«

Niemand antwortete und so hatte das unliebsame Gespräch vorläufig ein Ende. Daß man einen hilflosen Menschen unter keiner Bedingung seinem bösen Geschick überlassen dürfe, wußten ja alle, aber es war doch sehr schlimm, zu dem schon vorhandenen auch noch dieses neue Mißgeschick erleiden zu müssen, es bedrückte die Seelen und lähmte den frischen Mut, dessen ein schwieriges Unternehmen zu seinem Gelingen in allererster Linie bedarf.

In finstrem Schweigen gingen die Männer an ihre verschiedenen Arbeiten. Neubert und die Knaben zimmerten eine breite zuverlässige Tragbahre, während Bill und Martin aus biegsamen Weidenstäben zwei Kiepen flochten. Nach einer Seite platt, um auf dem Rücken getragen zu werden, nach der andern ausgebaucht, waren diese Gefäße bestimmt, das notwendigste Kochgerät, Lebensmittel und Kleider in sich aufzunehmen. Anstatt der fehlenden Lederriemen wurden starke Seile daran befestigt und dann die kleine Habe der Flüchtlinge hineingepackt.

Gegen Abend war auch die Bahre fertig. Ein herrlicher Sonnenuntergang überzog mit feinen Purpurtinten den Fluß und das grüne Ufer, im tiefen Laub sangen zahllose Vogel, wilde Bienen summten mit den Fliegen und Mücken um die Wette. Auch dieser Fleck Erde im unwegsamen Walde war den Heimatlosen lieb geworden, sie empfanden es als eine neue Trennung, ihn jetzt verlassen zu müssen, – von allen trauten Plätzchen wurde besonders Abschied genommen, von den Himbeergebüschen, an denen jetzt keine Beere mehr hing, von der hübschen, vorn offenen Felshöhle, mit dem gestürzten Baumstamme und endlich von der Argo, die im sonnenüberglänzten Wasser dalag und Hunderten von Tieren zum Asyl diente. Schnecken und Muscheln hatten sich an den Mastbaum geklammert, große Wasserspinnen schossen mit langen Beinen über die Oberfläche; in jedem Spalt, in jeder Fuge regten sich der Kampf und die Freude des Lebens.

Es war fast finster, als an diesem Abend die Schlafstätte aufgesucht wurde. Noch eine letzte Nacht im Frieden der versteckten Felshöhle, dann ging es vorwärts, dem ungewissen Schicksal entgegen.

Mr. Forster schlief nicht, unruhig sahen seine dunklen Augen die Männer an. »Sie wollen diesen Ort verlassen?« fragte er. »Und ich? Was wird aus mir?«

»Wir tragen Sie, bis es Ihnen möglich ist, zu gehen, Sir.«

»Ah so! – Sehr verbunden, wahrhaftig! Ich werde alles bezahlen und bitte daher jetzt schon, mir auch in Gedanken keine moralische Verpflichtung auferlegen zu wollen, – das würde jedenfalls ein Fehlschuß sein.«

Niemand beachtete seine Worte, auch später, als er sich erkundigte, nach welcher Himmelsgegend man reisen werde, gab es nur einen ganz kurzen Bescheid, der aber dem Verwundeten völlig zu genügen schien. »Also in der entgegengesetzten Richtung des Stromes! Hm! Hm!«

Und Mr. Forster lächelte eigentümlich.

»Vielleicht einem konföderierten Armeekorps gerade in die Arme,« dachte Neubert, »er weiß es und freut sich des nahen Sieges, aber bei Gott, was Menschenkräfte vermögen, das werde ich thun, um den armen Lionel aus der Gewalt dieses grausamen Mannes zu befreien.«

Er schloß während der Nacht kein Auge und auch die übrigen schliefen wenig, Frau Neubert weinte sogar heimlich bis an den Morgen. Ihre kleinen Kinder gingen neuen, unbekannten Gefahren entgegen, das war für die besorgte Mutter Grund genug, sich entsetzlich zu ängstigen.

Mit Sonnenaufgang wurde ein tüchtiges Frühstück aus kaltem Fleische und Schildkrötensuppe eingenommen, dann schnallten sich die Knaben ihre Kiepen auf den Rücken, Neubert nahm das kleinste Mädchen auf den Arm und Bill und Martin ergriffen die Tragbahre mit dem Verwundeten.

»Ich werde bezahlen!« murmelte dieser, indem er die Mütze, welche ihm Frau Neubert genäht hatte, tief über das Gesicht herabzog.

Niemand antwortete ihm.


 << zurück weiter >>