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II.

Philipp und Hermann saßen schon auf dem Wagen. Nun sollte die Fahrt in das grüne Land vor sich gehen, mehrere Wochen der Ferienlust lagen offen vor den Blicken der drei Knaben, es war also kein Wunder, daß sie schon jetzt jubelten und lachten und sich stritten, wer die Zügel führen solle. Es bekam sie aber keiner, sondern der schwarze Ralph saß in aller Würde des herrschaftlichen Kutschers, ganz in schneeweißes Leinen gekleidet, auf dem Bock und sah mit außerordentlicher Verachtung auf die Mietgäule herab. »Dinger wie Ziegen,« sagte er achselzuckend, »haben niemals Hafer gesehen. Pah! wenn sie nur nicht umfallen, ehe wir auf Seven-Oaks sind!«

Es geschah aber nichts dergleichen, man gelangte glücklich zur Plantage, wo der Hausherr den wohlbekannten Schulkameraden seines Pflegesohnes mit Gruß und Handschlag willkommen hieß; dann wanderte das Kleeblatt zunächst hinab in den Hof, um die Tiere zu besehen, in diesem Vorhaben aber störte ein Zuruf Tobys, der in der Küchenthür stand und mit beiden Händen telegraphierte. »Sie herkommen, Massa Lionel, schnell herkommen!«

»Was gibt es denn?« fragte unser Freund. »Hast du wohl die Maus gefangen, Toby?«

Das schwarze Wollhaupt wurde geschüttelt, als sollten alle Haare davonfliegen. »Ist sich was Besseres, Massa Lionel, viel besser als eine Maus!«

Jetzt war die Neugier der drei Knaben doch erregt, sie eilten in die Küche und sahen hier am wohlbesetzten Tisch einen Mann, dessen Äußeres sehr von dem gewöhnlichen Erscheinen andrer Männer abwich. Ein ledernes Hemd, ebensolche Beinkleider und hohe Schaftstiefel bildeten den Anzug eines schlanken, noch jugendlichen Mannes, dessen Brust mit blitzenden goldenen und silbernen Medaillen geschmückt war. Im breiten schwarzen Ledergurt stak das Jagdmesser, zu beiden Seiten desselben sechsläufige Drehpistolen, deren blanke Griffe im Sonnenlicht funkelten. Neben diesem Manne lehnte an der Wand die Kugelbüchse, während sein Hut, ein grauer Filz von gewaltigem Umfange, vor ihm auf dem Tische lag. Zwei Jagdhunde, jedem Blick, jeder Handbewegung gehorchend, begleiteten den hübschen, stattlichen Jäger.

»Jack Peppers, der Trapper!« rief Lionel. »Willkommen auf Seven-Oaks, Sir!«

Der Fremde dankte höflich. »Ist Mr. Charles Trevor zu sprechen?« fragte er. »Ich möchte ihm gern eine Mitteilung machen.«

»Über eine bevorstehende Jagd, Sir? Sind Antilopen in der Gegend?«

»Besseres! Viel Besseres!«

»Doch unmöglich ein Jaguar?«

Der Trapper nickte. »Ein schwarzer noch dazu, eine Bestie wie ein Königstiger.«

Lionel klatschte vor Freude in die Hände. »Wo? mein guter Jack! Wo? Wird man zu Pferd die Stelle erreichen können?«

»Ganz bequem,« versetzte der Jäger. »Die Raubkatze ist jedenfalls durch die Truppenbewegungen an der Grenze hierher verschlagen worden; sie hat ihr Lager im Röhricht an den großen Sümpfen, da wo der Waldsaum den See streift.«

»Wie herrlich! Und Sie glauben, daß die Jagd von Erfolg sein wird?«

»Mr. Charles Trevor hat nur zu gebieten. Er sagte mir im vorigen Jahre, daß ich es hier melden möge, wenn einmal ein so edles Wild in der Nähe sei.«

»Dann sollen Sie auch sofort, wenn er von den Feldern heimkehrt, mit ihm sprechen, Sir, er ist nur vor Tisch auf ein Stündchen davongeritten, um nach dem Weizen zu sehen. Ganz gewiß nimmt er schon morgen die Jagd auf.«

»Und wir begleiten ihn, nicht wahr Lionel?«

»Jedenfalls! Wie glücklich wäre ich, wenn meine Kugel den Jaguar erlegte!«

Philipp schüttelte den Kopf. »Ich glaube, daß mich, ganz abgesehen von meiner Krücke, doch nichts zu einer Jagd verlocken könnte,« sagte er. »Ein so barbarisches Vergnügen!«

»Große Vergnügen!« rief Toby dazwischen. »Sein sehr schön Jagd auf Jaguar, ich ihn totschießen wollen in Herz!«

Er hatte den ungeheuern Hut des Trappers auf seine Wolle gesetzt und zielte nun mit der Kugelbüchse unter so furchtbaren Grimassen auf die alte Köchin, daß diese vor Schreck laut schrie: »Ist ich kein Jaguar, abscheuliches Bengel, du weggehen mit Schießflinte!«

Zum Troste setzte ihr Toby den großen Hut auf den Kopf. »Misses Cassy schön sein!« rief er. »Sehr schön sein! Sehen aus wie junges Mädchen!«

Er hielt der ehrwürdigen Küchenbeherrscherin beide zappelnden Hände fest und ließ sie trotz reichlich hervorgesprudelter Schmähreden nicht eher los, bis das Lachen aller Anwesenden zum Sturm schwoll. Jetzt ergriff er aber auch weislich die Flucht, denn Cassy fuhr mit dem großen Kochlöffel hinter ihm drein und die Hiebe fielen klatschend auf seinen Rücken.

Als später Mr. Charles nach Hause kam, wurde der Trapper vorgelassen und mußte seinen Bericht wiederholen. Auch Manfred Trevor horchte hoch auf. »Ein Jaguar? Und unten in der Wildnis an den unübersehbaren Sümpfen? – sollte das eine Treibjagd geben?«

»Gewiß!« rief der Gutsherr. »Ich kann fünfzig bis achtzig Schwarze stellen!«

Die Nachricht kam wie eine wahre Freudenbotschaft in das Haus; schon in aller Frühe des nächsten Tages sollte der Jagdzug beginnen, die Dienerschaft mußte gleich heute das Zelt des Gebieters in Stand setzen, die Pferde auswählen, Vorräte zusammenpacken und Waffen putzen, alle Hände waren in fieberhafter Thätigkeit, jeder Bewohner der Farm dachte an nichts als an den schwarzen Jaguar und seinen Pelz, den das Völkchen bald hier und bald dort plazierte, während der wahre Eigentümer denselben noch viele Meilen tief in das Herz der Wildnis hinein, unter Schilf und Röhricht verbarg und sich die weichen Katzenpfoten leckte, als wolle er sie vorbereiten zum Kampfe auf Leben und Tod.

»Hast du eine gute Kugelbüchse für mich, Charles?« fragte Manfred Trevor. »Ein armer Stadtgelehrter besitzt dergleichen nicht, wie du wohl weißt. Das heißt,« setzte er schnell hinzu, »wenn du überhaupt gestattest, daß ich dich zur Jagd begleite!«

»Manfred, – welche Frage! Da in der Waffenkammer hängen Dutzende von Büchsen aller Art, suche die heraus, welche dir am besten gefällt, und behalte sie gleich ein- für allemal zum Andenken an mich.«

Die Farbe auf dem Gesicht des andern wechselte unaufhörlich. »Danke! Danke!« sagte er hastig. »Wenn du es also gestattest, werde ich mich gleich heute nachmittag ein wenig einschießen, – drüben im Walde. Man muß doch das Ding zu handhaben wissen.«

»Wie ist es denn,« setzte er gleich darauf hinzu, »nimmst du auch die beiden Knaben mit? Philipp muß natürlich zu Hause bleiben.«

»Das ist wohl leider nicht anders möglich, aber Lionel und Hermann können uns ja sehr gut begleiten.«

Manfred schwieg, indem er aus dem Fenster in den Hof hinabsah; es schien, als tobe in seiner Seele ein innerer Kampf, dessen Wucht ihm kaum gestattete, ruhig zu atmen. Mehrere Male öffnete er die Lippen, wie um zu sprechen, aber kein Laut wurde gehört, erst nach längerer Pause sagte er mit heiserer, veränderter Stimme wie zufällig: »Du, Charles, von dem Jungen, dem Lionel hältst du wohl sehr viel, nicht wahr?«

Der Gutsherr nickte. »Sehr viel!« antwortete er. »Und Lionel ist wahrhaftig dieser väterlichen Zuneigung vollkommen würdig.«

»Gewiß, gewiß. Ein so schöner, kluger Knabe, kräftig wie ein Spartaner! Mir blutet das Herz, sehe ich neben ihm meinen armen Krüppel!«

Der Gutsherr legte ihm freundlich tröstend die Hand auf die Schulter. »Weshalb ziehst du Vergleiche, Manfred? Es ist ja sehr schlimm, sich schwach und kraftlos zu fühlen, aber trotz seiner lahmen Hüfte ist Philipp doch ein ganz gesunder und ganz zufriedener Mensch, wie ich glaube. Er wird eines Tages ein bedeutender Gelehrter werden, – ich denke, wir lassen ihn später deutsche Universitäten besuchen! – Vielleicht erringt er sich als Professor der Naturwissenschaften einmal einen Weltruf, während Lionel ein einfacher Farmer bleibt, aber dafür Bärenkräfte besitzt und laufen kann, wie ein Hirsch. Jedem das Seine!«

Mr. Manfred antwortete nicht. Auf seinen Lippen schwebte eine Frage, es schien mehrere Male, als wolle er sie aussprechen, aber dennoch mochte ihm eine höhere Rücksicht immer wieder Halt gebieten, er ergriff endlich die im Waffenschrank ausgesuchte Kugelbüchse und begab sich nach kurzem Abschied mit derselben hinaus in den Wald hinter dem Hofe. Hier befestigte er ein Kartenblatt an den Stamm einer Eiche und lud dann die Büchse.

Was jetzt folgte, war eine seltsame Szene, – seltsam und schauerlich zugleich. Der Mann mit dem blassen, mageren Gesicht nahm Stellung vor dem Baume; seine Blicke glühten, um seine Lippen ging ein ununterbrochenes krampfhaftes Zucken. Nun hob er die Büchse; nichts regte sich um ihn her, kein lebendes Wesen schien in der Nähe, aber doch spähte er nach allen Seiten, als sei es ein todwürdiges Verbrechen, die Kugel durch das Herz des Kartenblattes in den Baumstamm zu schicken. Ob nicht da hinter den Brombeerranken etwas raschelte?

Er setzte das Gewehr ab und horchte. Kalter Schweiß stand in großen Tropfen auf seiner Stirn. War wirklich niemand da?

Der Wind flüsterte und die Blumen nickten mit den Köpfen. Weiter unten rief ein Negerjunge die Kühe zusammen und sang dann sein: » Old John Brown« von dem damals die amerikanischen Lande widerhallten. Mr. Manfred Trevor trocknete seine Stirn und legte zum zweitenmale an, – die Kugel, von unsicherer Hand entsendet, flog weit an der Karte vorüber.

»Gut, daß du nicht schon den Jaguar vor dir hattest, Onkel!« rief hinter dem Schützen eine jugendliche Stimme, und Lionel erschien auf der Lichtung, um mit einer Büchse, die er von der Schulter nahm, sekundenlang zu zielen und dann das Herz aus der Karte herauszuschießen. »Hurra, getroffen! Jetzt kommst du, Onkel Manfred!«

Dieser sah aus, als sei ihm ein Gespenst begegnet. »Was willst du hier, Bursche?« rief er. »Wer heißt dich spionieren?«

In Lionels hübsches Gesicht trat die Farbe. »Spionieren?« wiederholte er. »Hier, wo ich zu Hanse bin? Ich verstehe dich nicht, Onkel Manfred.«

»Sieh! Sieh! Das ist ja ein Ton, als fühltest du dich bereits jetzt als den Erben von Seven-Oaks! – Nun, die Zeit wird es lehren, wir brauchen heute nicht darüber zu sprechen. In einem irrst du indessen, mein Bürschchen, ich treffe, wenn ich's eben nur will, den Vogel im Fluge.«

Er zielte lässig, Hand und Auge waren jetzt plötzlich fest geworden. Der Schuß krachte und die Kugel flog in das Loch, welches die Stelle des Herzens auf der Karte bezeichnete; noch zwei, drei andre folgten, dann sah Mr. Manfred Trevor spöttischen Blickes hinüber zu dem Pflegesohne seines Vetters. »Ich werde den Jaguar, wenn er mir zum Schusse kommt, nicht fehlen,« sagte er in sonderbar bedeutsamem Tone. »Vorhin mag mir etwas ins Auge gekommen sein.«

Dann wandte er sich ab und schritt ohne Gruß davon.

Lionel sah ihm ziemlich betroffen nach. »Onkel Manfred haßt mich,« dachte er, »aber warum nur? Ich habe ihm nie etwas zu leide gethan.«

Die Frage beschäftigte ihn indessen nicht lange. Hermann und Philipp kamen über den Hof gegangen und bald widerhallte die Lichtung von den Schüssen, welche gegen die alte Eiche abgefeuert wurden. An diesem Abend bildete der Jaguar das einzige Gespräch aller schwarzen und weißen Bewohner der Farm, in dieser Nacht den Gegenstand aller Träume. Erst zweimal während der zehn Jahre seines Hierseins hatte der Gutsherr eine Jagd auf das aus Virginien fast ganz verdrängte Raubtier mitmachen können, aber beide Male war es zufällig einem andern Teilnehmer der Partie zum Schusse gekommen, so daß es auf der Plantage keine Fußdecke gab, die aus einem selbsterbeuteten Pelz angefertigt worden wäre, – morgen sollte nun womöglich der scheckige Räuber sein Fell gerade dem leidenschaftlichen Jäger, Mr. Charles Trevor zum Opfer bringen, er wollte endlich neben den Geweihen zahlloser Hirsche und Antilopen, neben ausgestopften Vögeln und Schlangenhäuten auch seinen Besuchern das bunte Fell des Jaguars zeigen könne. »Da soll es liegen! – wenn ich's erst habe!« sagte er, mit der Pfeifenspitze auf seinen Schaukelstuhl deutend. »Diesmal muß mir die Bestie zum Schusse kommen.«

»Oder mir!« rief Lionel. »Wenn ich den Pelz erbeute, so nimmst du ihn doch auf jeden Fall von mir an, Onkel Charles? Ich habe erst heute aus dem Coeur-Aß das Herz herausgeschossen.«

Der Gutsherr streichelte das blühende Gesicht seines Lieblings. »Wenn du den Jaguar erlegst, mein Junge, so wird mich das noch weit mehr freuen, als wenn er von mir die Kugel ins Herz bekäme. Aber vorsichtig sollst du sein, – was Jack Peppers anordnet, das geschieht bedingungslos.«

Lionel tanzte vor Vergnügen. »Wer hätte sich so etwas Herrliches gedacht!« rief er. »Nun werden wir also eine ganze Nacht draußen im Zelt verbringen, werden auf Steinen und mit zusammengesuchtem Holze Kaffee kochen, vielleicht einen Hirsch schießen und ihn am Spieße braten! – ich kann mir wahrhaftig nichts Schöneres denken!«

»Ich auch nicht!« stimmte Hermann voll Begeisterung ein.

Der Gutsherr nickte lächelnd. »Nur die Moskitos werdet ihr über alle Berge wünschen,« sagte er. »In den Sümpfen gibt es Legionen, während unsre Netze jedenfalls zu Hause gelassen werden müssen.«

»Jedenfalls!« lachte Lionel. »Ach, wenn es erst morgen wäre!«

Abseits von diesen Ausbrüchen einer natürlichen, echt knabenhaften Freude saß Philipp und las ein naturwissenschaftliches Werk; er, der gesetzlich nächste Erbe von Seven-Oaks war gleichsam übersehen, während ein ganz Fremder, ein Sohn der verachteten farbigen Rasse volle Kindesrechte genoß und sich mit der Sicherheit des verwöhnten Lieblings im Hause bewegte. Mr. Manfred Trevor knirschte heimlich. Es gab ein Wort, das ihn seit diesem Mittag unablässig verfolgte, der Gutsherr hatte es ausgesprochen: »Philipp wird Professor, Lionel dagegen ein einfacher Farmer!«

Seven-Oaks war ihm zugedacht, das unterlag keinem Zweifel. Alle diese endlos gedehnten Fruchtfelder, diese Scharen von Sklaven, die nach Hunderten von Köpfen zählenden Herden und stattlichen Gebäude, – alles sollte Lionel erben.

»Manfred,« sagte der Gutsherr, »woran denkst du so lebhaft?«

Der Angeredete fuhr auf, als sei in seiner Nähe ein Pulvermagazin in die Luft geflogen. »Ich?« stammelte er. »Ich? – Nichts! Nichts!«

»Du sahst aus, als wolltest du einen Todfeind erwürgen, Onkel Manfred!«

Mr. Trevor zuckte die Achseln. »Den Jaguar!« versetzte er halb murmelnd.

»Den will ich erschießen, ich selbst.«

Und nun wurde das alte Thema wieder aufgenommen und weiter fortgesponnen, bis ein Machtgebot des Gutsherrn die Knaben ins Bett schickte. Sie schliefen nicht viel; der Gedanke an das Zelt und die Nacht im Freien war allzu verlockend, die Notwendigkeit, dieses oder jenes Stück Besitztum mitzunehmen, trieb bald den einen, bald den andern wieder aus dem Bette, bis endlich das ersehnte Tagesgestirn aufging und Ralph und Toby die Pferde auf den Hof hinausführten, um sie zu striegeln.

Dann zogen verheißungsvolle Düfte aus dem Bereiche der alten Cassy in die Morgenluft hinaus, Jack Peppers erschien mit dem Lederanzug und den beiden steifen ledernen Schutzvorrichtungen gegen Schlangenbisse, wie er sie vom Sattel herabhängend trug. Sein kleines sehniges Pferd, der »Robber«, tänzelte vergnügt, die blanken Waffen blitzten im Sonnenlicht, das ganze Leben und Treiben auf dem Hofe verriet das Vergnügen, welches alle Teilnehmer des Jagdzuges empfanden.

Zwei Packpferde wurden beladen, die schwarzen Treiber versammelten sich und zuletzt erschienen auch die Herren, denen sich noch einige, eilends aus der Stadt herbeigerufene Offiziere anschlossen. Nur Philipp blieb zu Hause, aber mit dem freundlichsten Gesicht und dem neidlosesten Herzen, er wünschte seinen Freunden eine fröhliche Jagd und glückliche Heimkehr; dem Gutsherrn reichte er noch zuletzt die Hand. »Adieu, Onkel Charles, amüsiere dich recht schön!«

»Danke, mein guter Junge,« klang es zurück. »Erinnere mich, sobald ich wieder hier bin, an ein Heft, das für dich in meinem Schreibtisch liegt. Es ist ein Katalog meines Buchhändlers und du sollst dir zum Ersatz für das Vergnügen dieser Jagd ein Werk, wie du es zu haben wünschest, heraussuchen.«

»O Onkel Charles, du bist so gütig, denkst immer an das Glück der andern! – Wie lieb habe ich dich doch!«

Mr. Manfreds Pferd sprang empor, als habe sein Reiter eine schnelle zuckende Bewegung vollführt. Dadurch kam in den ganzen Zug eine kleine Verschiebung, der Gutsherr konnte nur noch die Hand erheben und dem in der Hausthür stehenden Knaben einen Abschiedsgruß zunicken. »Morgen nachmittag sehen wir uns wieder, Philipp! Adieu! Adieu!«

Dann ritt er mit den übrigen davon, ein schöner, stattlicher Mann auf der mittleren Höhe des Lebens, ruhig in sich und glücklich, geliebt von allen, die ihm nahe standen. Sein vornehmes, das offenste Wohlwollen ausdrückende Gesicht war leicht gebräunt, zwischen den Lippen dampfte die Zigarrette, über den breiten Schultern hing am Lederriemen die Kugelbüchse und munter und lustig umbellten die Rüden das tänzelnde Pferd.

»Morgen nachmittag sehen wir uns wieder!« hatte er gesagt.

Zunächst führte der Weg durch die Felder und Wiesen von Seven-Oaks, dann über eine steinige Ebene und zuletzt in den Wald hinein. Es war sehr heiß, die Vögel saßen unter den dichten Laubkronen der Ahorn- und Walnußbäume versteckt, die Insekten hatten sich in ihre Schlupfwinkel zurückgezogen, nur Lampe, der schnellfüßige, erhob zuweilen die langen Löffel aus dem Gebüsch, und erhielt dann eben so regelmäßig das tötende Blei in den Pelz, um den übrigen Mundvorräten zugesellt zu werden. Um zwei Uhr nachmittags befand sich die kleine Gesellschaft schon etwa drei Stunden von der Farm entfernt, mitten im dichten, herrlichen Walde, dessen tausendjährige Stämme, von Ranken und Blumen umflochten, hoch in die Luft emporragten. Hier wurde Halt gemacht; die Neger waren nicht beritten, sie bedurften daher notwendig der Erholung und konnten sich, während Ralph und Toby das Essen bereiteten, ins Gras werfen, um auszuruhen. Wo ein besonders schöner Käfer vorüberkroch, oder wo ein seltener Schmetterling die Blütenkelche benaschte, da wanderte er, von schwarzen Fingern gepackt, für Massa Fili in die Blechbüchse; sämtliche Schwarzen liebten den verkrüppelten Knaben so sehr, daß sie gern ihre Bequemlichkeit opferten, um ihm seine Sammlungen vervollständigen zu helfen.

Hermann und Lionel zogen mit großen Blechgefäßen aus, um Wasser zu finden. Jack Peppers, der Trapper, wußte ja, daß hier irgendwo ein vom Gebirge kommender Bach zwischen den Bäumen dahinlief, – den suchten sie.

Von einem der Waldriesen zum andern neigten sich grüne Ranken und warfen mit ihrer dichten Blütenfülle einen undurchdringlichen Schatten auf den Moosboden. Im Halbdunkel sahen die Knaben, daß Federn umherlagen, große und kleine, in zahlreicher Menge, – hier mußte zwischen einem Fluge kleinerer Singvögel und einigen der großen Räuber ein erbitterter Kampf stattgefunden haben, vielleicht auch mit einem vierfüßigen Gegner, denn der Boden war zerkratzt und aufgewühlt, eine ausgetretene Spur führte tief in das Dickicht hinein.

»Wahrscheinlich ist ein Fuchsbau in der Nähe,« meinte Lionel.

»Schade, daß wir ihm nicht nachspüren können, – wo doch nur der Bach fließt! Jack Peppers behauptete, daß er gar nicht zu verfehlen sei.«

Lionel nahm das untere Ende eines abgebrochenen Astes und warf dasselbe aus allen Kräften in die Blättermassen der dichtverschlungenen Ranken empor, – Hunderte von kleinen Vögeln stoben mit lautem Kreischen und ängstlich durcheinander schwirrendem Flügelschlag davon. »Amseln!« rief der Knabe, »wahrhaftig, es sind Schwarzamseln! Dann gibt es auch da oben eine bessere Beute als bloßes Quellwasser!«

»Weintrauben!« rief Hermann. »Wollen wir hinaufklettern?«

»Natürlich. Jack Peppers kann den geheimnisvollen Bach selbst suchen.«

Die Blechgefäße wurden bis zur Schulter hinaufgeschoben und nun die Reise in die höheren Regionen wetteifernd angetreten. Geschickte Turner waren beide Knaben, in wenig Minuten hatten sie die Kronen der Bäume erreicht und begannen jetzt die gefüllten Vorratskammern der Schwarzamseln zu plündern. Riesige blaue Trauben hingen in verschwenderischer Menge an den Ranken; man konnte essen und einheimsen, so viel das Herz begehrte, ohne auch nur eine Abnahme des Segens zu bemerken.

»Wundervoll!« murmelte Lionel, emsig kauend.

Hermann antwortete nur mit einem unartikulierten: »Humm!« dann aßen sie beide andächtig weiter, bis unten die Stimme des Trappers mit lautem, rufendem Klange erscholl. »Hallo, Boys, wo steckt ihr? Weshalb bringt ihr kein Wasser?«

»Weil hier oben nichts fließt, Sir!«

Jack Peppers lachte. Es ergab sich, daß er auf den nächsten Baum klettern mußte, um den beiden schwerbeladenen Traubensammlern den Rückweg zu ermöglichen, dann zeigte ihm Lionel unten am Boden die frischen Führten und der Trapper nickte zufrieden. »Ein Fuchsbau, Sir, wir können später wahrscheinlich die Jungen im Moos herumspielen sehen.«

»O ja, das müßte herrlich sein. Wenn die Alten zu Mittag schlafen, gehen wir wieder hierher, nicht wahr, Jack?«

»Mir soll's recht sein, Sir!«

Die Trauben wurden schleunigst zum Lagerplatz gebracht und dann das Gewässer aufgesucht. Im hohen Uferschilf huschten ganz kleine Entenküken umher, graue Eichhörnchen kletterten an den Stämmen empor und Wolken von blauen Libellen schwebten über dem Wasser. Jack Peppers deutete auf die im Halbkreise aus dem Boden gehobenen Wurzeln eines schräge liegenden Baumes, er hielt ein flimmerndes rotes Haar, das er von dieser Stelle genommen, in den Sonnenschein. »Da ist der gewohnte Ausgang der Fuchsfamilie,« sagte er. »Seht her, ihr beiden, von hier aus schleicht Meister Reineke bis an das hohe Schilf und erhascht die Enten im Sprunge.«

»Als ob Sie ihn schon beobachtet hätten, Jack!«

»Hunderte von seiner Räuberverwandschaft, Sir. Aber nun ist's Zeit, den Kaffee zu bereiten, der Braten muß schon fertig sein!«

Das herrliche Mahl im Freien wurde gehalten, der Jubel kannte keine Grenzen, es schien noch nie irgend ein Gericht so wundervoll geschmeckt zu haben, als diese von den Stechmücken umschwärmten, ohne Stühle oder Tische verzehrten Leckerbissen. Dann kam die Stunde allgemeiner Ruhe, gerade dieselbe, in der das junge Volk der Füchslein aus dem Baue hervorzukriechen und seine Spiele vorzunehmen pflegt, wie Jack Peppers behauptete. Die drei Kameraden hingen ihre Büchsen über die Schultern und nun ging es geräuschlos in das Dickicht hinein. Der Trapper schien die Lebensgewohnheiten Meister Reinekes ganz genau zu kennen, er hatte kaum eine Viertelstunde lang gesucht und beobachtet, als auch schon der dritte verborgene Zugang zum Fuchsbau aufgefunden worden war. Hier sah es aus, wie auf einem Schlachtfelde. Gerippe von Hasen, Kaninchen und größeren Vögeln lagen umher, Federn und Bälge, Zähne und Schnäbel, ausgekaute Wachsklumpen und Fischgräten, zahllose kleine graue Mauspelze.

Jack Peppers nickte. »Sieben bis zehn Junge sind im Bau,« sagte er.

»Die wir sehen werden, Sir?

»Das kommt darauf an, mein Lieber. Wenn Sie sehr geduldig sind, ja!«

»Dreizehn Hasengerippe,« berichtete Hermann. »Solch eine Menge von Wild stiehlt eine einzige Füchsin!«

»Aller andern Tiergattungen nicht zu gedenken! Jetzt wollen wir uns übrigens in den Hinterhalt legen.«

Sie wählten ihr Versteck so, daß die kleine Lichtung mit dem dritten, unter der Baumwurzel befindlichen Ausgange frei vor ihren Blicken lag. Der sanfte Wind kam über das Wasser hin, den Jägern entgegen, so daß sie vor jedem Verrat geschützt erschienen; zu Lionels großem Leidwesen wollte aber der Trapper keine, noch so leise geführte Unterhaltung erlauben. Jedesmal, wenn einer der Knaben den Mund öffnete, hob er blitzschnell und warnend die Hand, bis endlich tiefe Stille die ganze Umgebung beherrschte. Eintönig bogen sich die hohen Schilfhalme und eintönig hoben sie sich wieder empor, während das Volk der Entenküken zwischen dem grünen Röhricht umherkroch und die Schnäbelchen genau in der Weise der Alten eintauchte.

Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, da schien plötzlich ein Erschrecken die Tierwelt zu überfallen. Die Entenmutter lockte mit schnellem Laut ihre Kleinen zu sich auf die Mitte des Teiches, mehrere Singvögel schossen eilig davon und an den Stämmen verschwanden die Eichhörnchen, als sei der Blitz unter sie gefahren.

Jack Peppers sah die beiden Knaben an; seine Blicke sagten deutlich: »Jetzt wird unser Warten belohnt werden.«

Die Gebüsche unter den letzten Zweigen eines alten Walnußbaumes thaten sich geräuschlos auseinander und eine spitze, rotbraune Nase kam zum Vorschein; zwei listig blickende Augen spähten nach allen Seiten. Mit einem einzigen schnellen Sprunge erreichte die Füchsin den freien Raum vor ihrer Höhle.

Wieder mußte Jack Peppers warnend die Hand heben. Beide Knaben hatten einen Ruf des Mitleids auf den Lippen, das sah er.

Die Füchsin trug im Maule wenigstens sechs lebendige junge Vögel, die alle erbärmlich schrieen und in vergeblicher Anstrengung bemüht waren, sich loszureißen. Das Raubtier mußte ein ganzes Nest voll der halbflüggen Jungen ausgeplündert haben, aber ohne selbst den leckeren Braten auch nur zu probieren, – es fuhr jetzt in die Höhle hinein, und kam nach wenigen Sekunden zurück, gefolgt von acht Jungen, die, nicht größer als kleine Kaninchen, kläffend und winselnd die Mutter umsprangen und sich voll Erwartung auf dem dichten Moos des Waldbodens umherkugelten.

Die Füchsin legte ihre Beute hin, sie zog sich ein wenig zurück und schien voll Stolz ihre Nachkommenschaft bei der jetzt folgenden abscheulichen Szene beobachten zu wollen.

Die armen kleinen Singvögel richteten sich auf, hier eins mit geknickten Beinen, dort eins aus tiefer Brustwunde blutend oder mit zerrissenem Flügel, – sie alle suchten ängstlich schreiend zu entfliehen, wurden aber von ihren grausamen Gegnern immer rechtzeitig wieder daran verhindert. Sobald sich eins der bedauernswürdigen Geschöpfe einige Schritte fortgeschleppt hatte, traf es ein Hieb des zunächst auf der Lauer liegenden Füchschens und schleuderte es zurück in den gefahrdrohenden Kreis, wo sich unterdessen der gleiche Vorgang mit seinen kleinen Unglücksgenossen mehrfach wiederholt hatte.

Die würdige Nachkommenschaft der alten Füchsin marterte ihre Opfer, ehe sie dieselben zwischen den Zähnen zermalmte.

Langsam, ganz langsam hatte Jack Peppers die Pistole aus dem Gürtel gezogen, als ihm Lionels bittender Blick begegnete und ihn lächelnd innehalten ließ. Er reichte dem Knaben die Waffe, als wollte er sagen: ›Ich schenke dir das Vergnügen!‹

Die Füchsin und ihre Jungen waren in das grausame Spiel darartig vertieft, daß sie die sonst geübte Vorsicht vollständig außer acht ließen. Lionel konnte zielen und abdrücken, ohne die Gesellschaft irgendwie zu stören. Der Blitz fuhr aus dem Rohre, ein zehnfaches Bergesecho warf donnernd und langhallend den Knall der Pistole zurück, – auf dem grünen Moos wälzte sich die Füchsin in ihrem Blute, sterbend, unfähig sich zu erheben und die Jungen zu beschützen. Nur eine Art klagenden Geheules brach aus ihrer durchschossenen Brust hervor, dann wurden die Zuckungen schwächer und endlich war das Tier tot, während die Jungen in wilder Flucht das sichere Asyl unter den Baumwurzeln aufgesucht hatten, nicht ohne indessen die halb erwürgten Vögel mit sich zu schleppen. Auch kein einziges der unglücklichen Geschöpfe war vergessen worden.

Lionel sprang auf und hob das getötete Tier am Nacken empor. »Wenn mir der Jaguar nicht zum Schusse kommt, so habe ich doch wenigstens eine Jagdbeute!« rief er. »Jetzt sind die armen kleinen Vöglein gerächt!«

Ein heiseres Kläffen aus der Höhle antwortete ihm. Die jungen Füchse schienen sich ganz nahe am Eingange aufzuhalten, aber sie kamen nicht zum Vorschein, ihr Geschrei und Scharren tönte bald von der einen, bald von der andern Seite.

»Soll ich hineinschießen?« rief Lionel.

»Nein, nein, das wäre Pulververschwendung – ja nicht, Sir!«

Peppers steckte die Pistole wieder in den Gürtel und begann den erlegten Fuchs an Ort und Stelle abzuziehen. Das rote, etwas silberglänzende Fell wurde dann an einer Stange befestigt und im Triumphe zum Lager getragen.

Der Donner des Schusses hatte hier schon sämtliche Schläfer geweckt; die Neger beluden die Packpferde, Zigarrendampf wirbelte in die warme Sommerluft empor und von Hand zu Hand ging eine Likörflasche, um vor dem Aufbruche noch eine kleine Erfrischung zu gewähren.

»Aha!« rief Mr. Charles Trevor, »du hast dir also heute die Sporen verdient, Lionel? Oder waren Sie der glückliche Schütze, Mr. Peppers?«

»Nein, Sir, der junge Herr hat die Beute erlegt. Wenn wir Dachshunde besäßen, so könnten uns sieben oder acht junge Füchse nicht leicht entgehen.«

»Aber was sollten wir mit ihnen anfangen, Peppers? Sind sie bereits erwachsen genug, um ohne die Mutter zu leben?«

»Nein, Sir, aber irgend ein altes Tier hört ihr Winseln und kommt, um ihnen Nahrung zu bringen, vielleicht sogar der Papa Fuchs selbst. Es ist auch immerhin möglich, daß der ursprüngliche Eigentümer des Baues, der Dachs, noch mitten unter den jungen Tieren sitzt.«

Mr. Trevor lachte. »Der arme Dachs,« sagte er. »Erst gruben seine flinken Füße die Höhle aus, dann wurden Zugänge angelegt und der Kessel weich gepolstert, – nur um dem frechen Erbschleicher zur Beute zu fallen.«

»Aber der hat auch die Kugel dafür in den Pelz bekommen,« nickte Lionel. »Das unrechte Gut brachte ihm keinen Segen.«

»Mich dauern doch die kleinen Füchse immerhin auch!« meinte Hermann. »Sie müssen vielleicht jämmerlich verhungern.«

Mr. Manfred Trevor bekämpfte einen Schauder, den er nicht ganz verbergen konnte. »Es ist kühl geworden,« sagte er, sich auf sein Pferd schwingend. »Mein Gott, wie doch die Stechmücken belästigen!«

Und er schlug in den Schwarm der kleinen Widersacher hinein, als wolle er den Groll eines ganzen Lebens gegen einen Riesen auskämpfen.

Der neue Ritt wurde unternommen; die Neger sangen und Jack Peppers unterhielt die Weißen mit seinen Abenteuern aus dem Trapperleben, das ihn nicht selten bis an die Grenzen der Indianerreservate führte und tausend wilde Gefahren brachte, Situationen, denen die Herzen der Knaben mit lebhaftestem Interesse entgegenschlugen, die sie sich voll atemloser Begier bis in die kleinsten Einzelheiten hinein schildern ließen.

Es dämmerte bereits, als der Platz erreicht war, den Peppers für das Nachtlager bestimmt hatte. Hohe Felswände umgaben im Halbkreis ein kleines Thal, das mit laubreichen alten Bäumen bestanden war; hier konnten die Zelte aufgeschlagen werden, hier sollten Pferde und Gepäck bleiben, bis die Jagdgesellschaft mit dem Fell des erbeuteten Jaguars zurückkehrte, man ließ sich häuslich nieder und errichtete zum Schutz gegen die Moskitos ein Feuer aus grünem Holz, an dem die Neger Kartoffeln in der Schale brieten.

»Denken Sie nicht, daß das Raubtier hierherkommen könnte?« fragte Mr. Manfred Trevor den Trapper. »Es wäre doch möglich, wie?«

»Ganz unmöglich, Sir,« versicherte Jack. »Der Jaguar begibt sich nicht in die Tiefe der Wälder, sondern er bleibt an den Säumen derselben, am liebsten da, wo hohes Schilf steht.«

Mr. Trevor antwortete keine Silbe, er nahm seine Wolldecke, hüllte sich hinein und schien zu schlafen, während die übrigen um das Feuer saßen und von der bevorstehenden Jagd plauderten. Trotz alles Eifers und Interesses aber wollte doch keine so recht gemütliche Stimmung aufkommen, Mr. Charles sah mehr in die Glut, als daß er rauchte oder sprach und auch Hermann war auffallend still.

»Wie es wohl den Meinigen ergeht?« sagte er seufzend. »Ich möchte auf eine Minute hinübersehen können.«

Lionel suchte ihn zu beruhigen. »Was sollte denn geschehen sein?« fragte er. »Dein Vater hat keine Feinde, nicht wahr?«

Hermann seufzte. »O, die Schurken sind um Gründe nie verlegen,« gab er zur Antwort. »Wären wir nur erst wieder in Seven-Oaks, – ich habe heute abend ein seltsam unruhiges Gefühl, mein Herz klopft wie im Fieber.«

»Das kommt von dem Gedanken an den Jaguar! Du solltest versuchen, zu schlafen, – Jack Peppers will sich schon bei dem ersten Strahl des Morgens auf den Weg machen.«

»Dann können wir abends wieder zu Hause sein! Nicht wahr, Ralph fährt jeden Tag mit dem kleinen Wagen zur Stadt?«

»Jeden Tag,« bestätigte Lionel. »Er überwacht den Milchtransport.«

»Nun dann wird er auch erfahren, was unterdessen geschehen ist.«

»Gewiß, gewiß, – so verdirb dir doch nicht selbst das Vergnügen durch unnötige Grübeleien. Eine Jagd auf den Jaguar erlebst du vielleicht niemals wieder.«

»Ich wünsche es auch nicht,« dachte Hermann, aber seine Lippen schwiegen, er wollte Lionels Freude nicht stören, sondern legte den Kopf auf den Arm und schloß die Augen, um zu schlafen. Draußen hatte das kindische Schwatzen und Lachen der Neger allmählich aufgehört, Jack Peppers lag schnarchend neben dem Feuer und auch Mr. Charles Trevor schien zu schlummern, nur Lionel lag noch wachend und sah mit hellen Augen zum Sternenhimmel empor. In seine junge Seele war bis jetzt kein Leid gekommen, es gab keine Befürchtung, die ihre grauen Schleier über sein Herz gebreitet hätte, keine Sorge, die ihn quälte. Onkel Charles Trevor schenkte mit vollen Händen, was das Leben verschönert und ihm Wert verleiht, er war dem elternlosen Knaben Freund und Beschützer, – Lionel liebte ihn dafür mit einer beinahe leidenschaftlichen Hingebung, er sah in dem Gebieter von Seven-Oaks einen zweiten Vater und freute sich des starken Schutzes, den ihm dieser gewährte, ohne bis jetzt jemals über die gegenwärtige Stunde hinaus gedacht zu haben.

Seine Phantasie beschäftigte sich augenblicklich fortwährend mit dem Jaguar. Wenn es ihm möglich war, auf irgend eine Weise die Bestie dem geliebten Onkel in die Schußlinie zu treiben, so sollte das sicherlich geschehen, – Mr. Trevor wollte so gern die Jagdbeute selbst erobern!

»Ich will Jack Peppers bitten,« dachte Lionel. »Ein Jaguar kommt so leicht nicht wieder in unsere friedlichen Wälder.«

Er sah zu den Sternen empor, zu den ragenden Felskuppen über seinem Kopfe. Wie herrlich war doch die Welt, – wie süß das Dasein unter guten, geliebte Menschen!

»Lionel!« flüsterte neben ihm eine Stimme.

Er wandte den Kopf. »Onkel Charles?«

»Wachst du noch, mein Junge? – Komm, rücke ein wenig näher, aber laß die andern schlafen, – ich möchte einen Augenblick mit dir plaudern.«

Und als der Knabe die Wolldecke neben ihm auf das Gras breitete und sich hineinwickelte, da legte der Gutsherr von Seven-Oaks den Arm um die Schultern seines Pflegesohnes und zog ihn voll Zärtlichkeit nahe zu sich heran.

»Eigentlich bin ich ein ganz leichtsinniger Mensch,« sagte er flüsternd, »ich mache mir deinetwegen heute abend heimliche Vorwürfe, Lionel.«

»Mein Gott, Onkel Charles, – aus welchem Grunde denn?«

Der Gutsherr wiegte den Kopf. »Hm, ob du mich verstehen würdest, Junge? – Ich sage mir, daß schon mancher Mann gesund und fröhlich aus dem Hause fortging, um niemals wiederzukehren, – das könnte auch mir geschehen, ich werde bei dem Gedanken heiß und kalt, Lionel, deinetwegen. Du wärest verloren, ein unglücklicher Mensch!«

Lionel erschrak. »Onkel,« fragte er ängstlich, »du bist doch nicht krank?«

»Nein, nein, mein Junge, aber ich denke an alle Wechselfälle einer so gefährlichen Jagd, ich mache mir Selbstvorwürfe, deshalb suchte ich dies Gespräch mit dir. – Ob wohl alle unsere Genossen schlafen?«

»Ich glaube es,« versetzte der Knabe, seltsam durchschauert von dem Tone seines Wohlthäters. »Was wolltest du mir sagen, Onkel Charles?«

Der Gutsherr sah ihn an. »Hast du mich lieb, Lionel?« flüsterte er. »Recht von Herzen lieb?«

Große Thränen erschienen in den Augen des Knaben. »Weshalb fragst du so sonderbar, Onkel? – Bin ich denn nicht dein Blutsverwandter? Ach, erzähle mir doch in dieser Stunde von meinen Eltern! Ich weiß nur, daß sie zu deiner Familie gehörten, aber sonst nichts! Gibt es keine Porträte von ihnen? nichts, das sie geschrieben oder getragen haben?«

Der Gutsherr streichelte das heiße Gesicht seines Schützlings. »Ich will einmal nachsehen,« versetzte er. »In Seven-Oaks sind vielleicht noch diese oder jene Kleinigkeiten aufgehoben, – aber kümmere dich darum nicht, Junge, denke nur an mich, der ich dein zweiter Vater bin, der ich dich liebe wie ein solcher. Als meine Frau und meine beiden Kinder in einem einzigen Jahre starben, da warst du ein kleines Bürschchen, – so recht eigentlich das letzte menschliche Wesen, welches mir Gott noch gelassen. Ich habe mein ganzes Herz an dich gehängt, Lionel, ich erziehe dich zum Gentleman und hinterlasse dir, wenn mich Gott abruft, meine Farm mit allem, was dazu gehört.«

Lionel fuhr auf. »Nein, Onkel Charles,« flüsterte er, »nein, das darf nicht geschehen. Philipp ist dein gesetzlicher Erbe.«

Der Gutsherr lächelte. »Ich will ihn auch keineswegs seinem Schicksal hilflos überlassen,« versetzte er. »Philipp bekommt sechzigtausend Dollar, das ist ein Vermögen, von dessen Zinsen er mäßig leben kann. Seven-Oaks dagegen bleibt dein, unter Brüdern wäre es schon seine halbe Million wert, aber wenn die Konföderierten den Sieg behalten und das Land im Preise steigt, so kannst du getrost noch deine hunderttausend hinzurechnen.«

Lionel schüttelte den Kopf. »Philipp würde mich nicht mehr lieb haben!« sagte er. »Onkel Charles, bitte, vermache uns beiden die Farm, ihm und mir, wie es geschehen würde, wenn wir z. B. Brüder und deine eigenen Söhne wären.«

Mr. Trevor hob die Hand. »Dein Vorschlag zeugt von einem großmütigen Herzen, mein guter Junge, er macht dir alle Ehre, aber dennoch wäre er unausführbar. Zwei Gebieter für dasselbe Eigentum sind meistens Sklaven, die ihre Kette seufzend tragen, – nein, nein, das geht nicht, Lionel. Philipp würde überhaupt garnicht dauernd auf dem Lande leben wollen und endlich ist auch mein Testament in aller Form Rechtens vorhanden, – eben daher bin ich ja heute abend so unruhig. Mr. Mason, der Notar, ist als Offizier in den Krieg gezogen, die beiden Zeugen gleichfalls; vielleicht kommt keiner von ihnen jemals zurück.«

»Und darüber wolltest du dir heute schon Sorgen machen, Onkel Charles? Du der noch dreißig und mehr Lebensjahre vor sich hat?«

Mr. Trevor schüttelte den Kopf. »Niemand kennt die Stunde, in welcher er abberufen werden wird,« versetzte er in ruhigem Tone. »Und nun höre, was ich dir sagen will, mein Junge! Das Testament ist in meinen Händen geblieben, anstatt bei dem Friedensrichter niedergelegt zu werden, Mr. Mason hielt es so für besser, weil die Freibriefe sämtlicher Sklaven mit darin enthalten sind, – etwas, das in unseren Tagen böses Blut machen könnte. Sobald ich gestorben bin, muß das Dokument den Behörden vorgelegt werden, es darf um keinen Preis in eine andere, als nur deine Hand gelangen, mein Junge!«

Lionel kämpfte mit den Thränen, die sich gewaltsam hervordrängen wollten. »Überlasse doch das alles dem Ratschlusse Gottes, Onkel Charles,« sagte er. »Bekümmere dich heute noch nicht um Dinge, die einer fernen Zukunft angehören.«

Der Gutsherr blieb unerbittlich. »Niemand weiß, wo das Dokument liegt,« raunte er. »Keine Seele, Lionel, es ist gut versteckt, aber gerade darum sollst du erfahren, an welchem Orte ich es geborgen habe. Vorher versprich mir, keinem Menschen von dem, was ich dir jetzt sagen werde, eine Mitteilung zu machen!«

»Onkel, ich bitte dich, du –«

»Versprich es mir, mein Junge! Der Tod kommt nicht früher, weil ich zu seinem Empfange gerüstet bin.«

Lionel reichte ihm stumm die Hand, er war unfähig, zu sprechen.

Mr. Trevor hob den Kopf. Ehe er dem Knaben an seiner Seite die bedeutungsschwere Mitteilung machte, beugte er sich ein wenig nach links hinüber, um in Manfreds blasses Gesicht zu sehen. Schlief der Mann mit dem ruhelosen Blick und dem scheuen, sonderbar verstörten Wesen?

Eine Sekunde nur, dann wandte sich der Gutsherr plötzlich ab. Mr. Manfred Trevor, sein Vetter, lag ohne Bewegung, wie ein Mensch, der fest schläft, aber dennoch war diese äußere Ruhe nur Schein, die Augen standen weit offen und unversehens, ganz unerwartet hatte Charles Trevor den glühenden, leidenschaftlich erregten Blick derselben aufgefangen. Zwar fielen die Wimpern herab, ehe auch nur der Gedanke die Situation erfaßt hatte, aber trotzdem wußte der Gutsherr, daß sein Vetter sich jedes gesprochenen Wortes erinnern würde, daß er auch jetzt noch unter der Maske des Schlafenden angestrengt lauschte, – ein unangenehmes Gefühl durchfröstelte sein Herz.

»Jetzt nicht,« flüsterte er in das Ohr seines Pflegesohnes. »Schlafe, Lionel, schlafe, – wir sprechen uns morgen.«

Er zog den Kopf des Knaben an seine Brust und blieb selbst, während Lionels Atemzüge schon sehr bald den ruhigen Schlummer der Jugend verrieten, wach, bis bei dem Erscheinen des Tagesgestirns der Trapper die Augen öffnete und durch seinen Ruf die Neger allarmierte. Es war jetzt Zeit, das Frühstück einzunehmen und den Jagdzug zu beginnen.

Alle Pferde und das sämtliche Gepäck sollten unter Obhut einiger älterer Neger an Ort und Stelle zurückbleiben, bis die Jäger wieder hierherkamen, um dann gemeinschaftlich den Nachhauseweg anzutreten. Jack Peppers ordnete den Vormarsch der Treiber, die das Unterholz von allen Seiten durchstreifen und so das kostbare Wild zwingen sollten, im dichten Schilf eines Sees Schutz zu suchen.

»Wie ist die Gegend beschaffen?« fragte Mr. Manfred Trevor. »Eine offene Fläche?«

»Ein See, der in einen Sumpf ausläuft, Sir, dahinter die Gebirgskette. Ich bin überzeugt, daß uns die Katze nicht entkommen kann.«

»Aber sie schwimmt doch, Sir!«

»Freilich! Man muß ihr keine Zeit lassen, erst auf die Mitte des Sees zu gelangen.«

Mr. Charles Trevor schien heute einsilbiger als sonst, obwohl ruhig und sorglos, er lud seine und die Kugelbüchsen der beiden Knaben mit eigener Hand, dann wurde der Kaffee getrunken und die fünf Jäger gingen zu Fuß den längst vorausgeschickten Treibern nach.


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