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(Bericht Pogge's an die »Afrikanische Gesellschaft«.)
Deutsche Station Mukenge, Mitte October 1883.
Da ich unter der mir aus Europa gesandten Correspondenz keine directen Nachrichten von der Afrikanischen Gesellschaft vorgefunden habe, bin ich entschlossen, die Station zu verlassen und meine Abreise thunlichst bald anzutreten, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Die Zeitdauer meines Contracts mit der Gesellschaft ist am 12. November d. J. abgelaufen. 2. Ich befinde mich hier fast ohne Instrumente und ohne die nöthigen Geräthschaften für wissenschaftliche Sammlungen. Meine Thätigkeit war in dieser Hinsicht lediglich auf einige meteorologische Beobachtungen beschränkt. Wissmann wollte mir in Nyangwe ein Siedethermometer nebst Kochapparat überlassen und mich mit den nöthigen Informationen versehen, aber die letzte seiner entbehrlichen Röhren zerbrach. In die mit Lack verschlossenen Röhren der beiden hier gebliebenen Thermometer war während meiner Abwesenheit Luft eingedrungen; es steht mir somit nur ein Krankenthermometer zu Gebot, dessen Scala erst mit +18° beginnt. Die Sammlungen habe ich fast beanstanden müssen, wegen Mangels an Kisten, Mappen &c. für den Transport. 3. Ich habe monatlich zwei Dolmetscher zu lohnen, wodurch auf die Dauer erhebliche Kosten verursacht werden; dennoch aber glaube ich im Sinne der Gesellschaft zu handeln, wenn ich fortfahre, diese Leute bis zu meiner Ankunft in Malanʒe zu lohnen, da sie sich stets zu meiner 328 Zufriedenheit betragen haben. 4. Mein Waarenvorrath ist ein sehr geringer und dürfte kaum zur Bestreitung der Erhaltungskosten auf 10 bis 12 Monate ausreichen, wenn ich zum zweiten Mal eine Expedition nach der Küste schicken würde. Germano war allerdings nur von 9 Trägern für mich begleitet; es hatten sich aber einige 20 unserer alten Malanʒe-Träger (darunter zwei, die mit Wissmann in Zanzibar gewesen) und einige kleine Händler seiner Karawane angeschlossen, die nicht weniger als 110 Musketen und 12 Ochsen als Handelsobjecte mit sich führten, so daß die Fährleute der verschiedenen zu passirenden Flüsse in Anbetracht einer so reich ausgestatteten Expedition besonders hohe Fährgelder verlangten. Ich hatte die Kosten der Reise auf 10 Stück Zeug und 4 bis 5 Fässer Pulver veranschlagt, während Germano 32 Stück und 12 Fässer verbraucht hat, ohne daß ich berechtigt wäre, ihm Vorwürfe zu machen, da er mir eine detaillirte Abrechnung, deren Richtigkeit durch Zeugen bestätigt wurde, vorgelegt hat. Für mich sind somit nur knapp ⅔ der in Malanʒe gekauften Sachen übrig geblieben. 5. Durch die Güte des stellvertretenden deutschen Consuls Herrn Niemann erhielt ich zwei Briefe, deren letzter vom 7. Februar d. J. datirt ist, worin er mir schreibt, daß er sich zur Zeit ohne Nachrichten von Berlin befindet; dasselbe schreibt mir Custodio in seinem Briefe vom 24. April, und Germano, der am 5. Mai Malanʒe verlassen hat, bestätigt, daß bis zu diesem Tage kein Reisender der Gesellschaft angemeldet worden war. Hätte ich vom Vorstande eine dahingehende Weisung erhalten, so wäre ich selbstverständlich gern hier geblieben; unter den obwaltenden Umständen aber handle ich so, wie ich es für die Interessen der Gesellschaft am vortheilhaftesten erachte, und reise ab.
In Betreff der Station kann ich Ihnen mittheilen, daß dieselbe sich im Laufe der Zeit zu meiner vollständigen Befriedigung entwickelt hat. Als ich von der Lualabareise zurückgekehrt war, fand ich bereits, wie Ihnen bekannt ist, ein Wohnhaus und einige junge Plantagen vor; aber es mangelte an den nöthigen Lebensmitteln und an Tabak, so daß ich während der ersten Wochen meines Aufenthalts oftmals tagelang der Fleischnahrung und dem Genusse einer Pfeife Tabak habe entsagen müssen. Durch unsere Initiative, aber auch durch die Kalamba's, allerdings auf meine fortwährenden dringenden Vorstellungen hin, sind diese Lücken 329 mehr oder weniger vollständig beseitigt worden. Wir begannen, sofort mit dem Beginne des ersten Regens, ansehnliche Reis-, Gemüse- und Tabakpflanzungen anzulegen. Kalamba gab seinen Unterthanen Befehl oder vielmehr Erlaubniß, mehr Hausthiere zu halten, und gestattete einem jeden seiner filios, ihre Handelsproducte frei und unbeanstandet im hiesigen Orte und auf der Station zum Verkaufe feil zu bieten. Bei der ausgezeichneten Fruchtbarkeit des Bodens und dem großen Vermehrungsvermögen des hiesigen Gethiers sind in kurzer Zeit auf der Station recht productive Culturen von Bananen, Bataten, Reis, Kohl, Tomaten, Tabak &c. geschaffen worden, und der hiesige Ort, sowie alle die kleinen Nachbardörfer haben bedeutende Hühnerhöfe aufzuweisen. Es wurden fast täglich auf der Station die Hühner zu Dutzenden zum Verkaufe gebracht, ebenso Honig, Oel, Salz, Früchte &c., so daß ich reichlich meinen Bedarf einkaufen kann, während ich früher alle diese Artikel nur ausnahmsweise einmal sah, weil die Leute sie nicht brachten, sondern sich fürchteten, bei einer Begegnung mit Kalamba sie als Tribut hergeben zu müssen. Die Bananen liefern in der Nähe des hiesigen Hofes derartig üppige Früchte, daß die meisten Bäume, nachdem die Frucht ausgewachsen ist, mit Stützen versehen werden müssen, um nicht unter der eigenen Last zusammenzubrechen. Die Reisfelder, auf leichtem Boden, ebenfalls in der Nähe des Hofes angelegt, gaben einen ungefähren Ertrag von 14 bis 15 Pfund pro Quadratruthe, obgleich die Hühner mit bei der Ernte geholfen hatten. Eine gleiche Ergiebigkeit ist hier die Regel bei allen Culturen. Einiger Mangel herrscht noch an Ziegen und anderen vierfüßigen Hausthieren, und ferner werden Fische recht selten zum Verkauf ausgeboten, obgleich der nahe Luluafluß außerordentlich reich ist an den verschiedensten Arten sehr schmackhafter Fische. Die Station besitzt einige 40 Ziegen und Schafe, die mit Mühe herangezogen und zusammengekauft wurden, jedoch befürchte ich, daß die Heerde jetzt ihrer Auflösung entgegengehen wird.
Die Preise der Lebensmittel sind jetzt fest normirt. Eine Ziege kostet 4 Ellen Kattun, 1 Huhn ½ Elle (früher 1 Elle), 1 Liter Palmöl 1 Ladung Pulver (3 mittlere Fingerhüte voll), ca. 1½ bis 2 Pfd. Honig 1 Ladung, 2 bis 3 große Ananas 1 Ladung. Maniok und Mehl, Mais, Erdnüsse u. s. w. liefert Kalamba gratis, oder sie werden für einen geringen Preis 330 gekauft, so daß die Erhaltungskosten der Station äußerst geringe sind, zumal ihre eigene Production (an Ziegen, Hühnern, Reis, Gemüse, Früchten) bereits anfängt, nutzbare Resultate zu liefern.
Hiermit habe ich Ihnen in kurzen Zügen die hiesigen wirthschaftlichen Verhältnisse mitgetheilt und bemerke gleichzeitig, daß die Station auch in politischer Beziehung, wenn ich mich so ausdrücken darf, unter den günstigsten Auspicien festen Fuß gefaßt hat. Sie ist der Stolz und die Freude Kalamba's und seiner Baschilange und genießt weit und breit im Lande ein hohes Ansehen. Kalamba's, sowie der hiesigen Einwohner größter Wunsch ist, daß der neue Weiße recht bald nach meiner Abreise hier eintreffen möge. Ersterer ist jederzeit bereit, ihm sofort, wenn es verlangt wird, die nöthigen Träger zur Weiterreise zu stellen. Kalamba weiß, daß die Stationsherrlichkeit ein jähes Ende nehmen kann, wenn er die Sendlinge des Mona-Putu nicht ihrem Wunsche gemäß behandelt, und fürchtet sehr wohl die Ungnade des Herrn der Weißen (auf dessen Conto nämlich hier alle Verhandlungen von mir geführt werden), jenes großen Machthabers aller Wasser und Länder, der zeitweise unter und über dem Wasser wohnt. Der Häuptling hat übrigens allen Grund, sich den ständigen Aufenthalt eines Weißen im Lande zu sichern. Seine Macht und Autorität haben sich nach der Lualabareise bedeutend vermehrt, so daß er entschieden als mächtigster Baschilangehäuptling angesehen werden kann. Er führt hier jetzt zur Verherrlichung seiner großen That allgemein den Namen Lualaba oder Luaballa (wie seine Reisebegleiter ebenfalls den Fluß zu benennen belieben), hat sich ein neues größeres Wohnhaus im Nyangweer Baustyl – eine wahre Caricatur von einem Hause, eine camera obscura im wahren Sinne des Wortes – erbaut und hat alle möglichen, bisher jedoch vergeblichen Schritte gethan, um seine sämmtlichen Bena-Kaschia hier anzusiedeln und ein zweites großes Nyangwe zu gründen.
Als der Dolmetscher Kaschawalla ihm gelegentlich Vorwürfe wegen seines Hausbaues machte und ihm rieth, doch wenigstens für Licht zu sorgen, gab er zur Antwort, das kenne Kaschawalla nicht, so sei das Haus des großen Tanganjika (des Scheiks Abed) und nicht anders.
Auch mehrere größere Tributkarawanen aus entfernteren Theilen des Baschilangelandes sind seitdem hier eingetroffen, und 331 diverse benachbarte, größere abtrünnige Häuptlinge, darunter auch Tschingenge, Wissmann's Verehrer, haben sich feierlichst als gehorsame Söhne dem Kalamba zurückgegeben. Tschingenge hat indessen nur Tribut (Mulambo) bezahlt, ist aber persönlich noch nicht erschienen. Er ließ mir gelegentlich sagen, er habe die Absicht, Kalamba zu besuchen, fürchte sich aber vor der Ceremonie der Antrittsvisite und appellire an mich, um auf Kalamba einzuwirken, daß er ihn von derselben dispensire. Er habe bereits Kioque bereist, habe längere Zeit Wissmann bei sich zum Besuche gehabt und sei ein großer Häuptling, der sich ohne Scham und Widerwillen einer solchen Ceremonie nicht unterziehen könne, die weder bei den Weißen, noch bei den Kioque gebräuchlich wäre.
Bei dem ersten Empfange fremder Häuptlinge und ihres Gefolges herrscht nämlich am Hofe Kalamba's für gewöhnlich folgendes Ceremoniell. Wenn eine solche Tributkarawane ankommt, begibt sie sich zuvörderst nach dem Marktplatze des Ortes, der Kiota, bringt dort die Nacht im Freien zu und begibt sich am nächsten Morgen in corpore, Männer und Weiber, mit Zurücklassung ihrer Bekleidung, in puris naturalibus nach einem etwa 400 m östlich vom Dorfe fließenden Bache und nimmt dort ein gemeinsames Bad. Am zweiten Morgen, nachdem die zweite Nacht über ebenfalls im Freien auf der Kiota zugebracht worden ist, wallfahrtet die ganze Gesellschaft in demselben Aufzuge nach einem ungefähr 250 m südlich vom Orte gelegenen Bache, reinigt sich zum zweiten Male durch ein Bad und begibt sich dann vor Kalamba's Wohnung, wo die ganze Schaar Posto nimmt, und zwar in zwei Gruppen getheilt, die Männer und Weiber für sich. (Ich sah gegen 40 bis 50 Weiber und eben so viel Männer hier so versammelt.) Soll die Handlung besonders feierlich vorgenommen werden, so erscheint Kalamba selbst (er läßt sich auch manchmal vertreten), nimmt auf einem kleinen Schemel Platz und bemalt mit einem Stück weißen Thon (hier »Lupemba« genannt) den vorderen Oberkörper einer jeden dieser durchaus paradiesischen, ihre Huldigung darbringenden Gestalten. Die Männer treten zuerst vor und wieder ab, nachdem ihr Körper und die Stirn mit einem breiten weißen Längsstrich versehen ist; dann kommen die Weiber. Nach Beendigung dieser Beschmierungscour gehen alle wieder auf den Marktplatz, bekleiden sich dort und kehren einzeln oder zusammen wieder zu Kalamba zurück, und es beginnt die 332 gefürchtete Pfeffercour, indem durch die offene Spitze einer kleinen Blätterdüte der ausgequetschte Saft von Capsicum in beide Augen getröpfelt wird. Während dieser Procedur hat der Täufling eine Art von Beichte abzulegen und hat auf alle möglichen Fragen zu antworten, auch Gelübde zu thun, z. B.: Hast Du schon gestohlen? Einen Menschen getödtet? Besitzt Du Fetische? Willst Du ein gehorsamer Sohn sein? u. s. w. Ich selbst war einigemal Zeuge reumüthiger Geständnisse seitens der Beichtkinder. Hiermit ist die Ceremonie beendet. Die Leute quartieren sich demnächst in die Ortswohnungen ein, oder sie bauen sich, wenn sie längere Zeit hier zu bleiben gedenken, eigene Wohnungen, und werden von Kalamba und den hiesigen Einwohnern verpflegt. Gelegentlich werden größere Hanfrauchfeste zu Ehren der Gäste veranstaltet, und der betreffende Häuptling empfängt von Kalamba einige annähernd im Verhältnisse zum Werthe seiner Geschenke stehende Gegengeschenke.
Dieses Empfangsverfahren kommt indessen, wie gesagt, nur bei solchen Unterthanen in Anwendung, die Kalamba entweder zum ersten Mal besuchten, oder die ihm ungehorsam waren. Ich habe einer Schwester Kalamba's, der Meta, bereits Vorwürfe wegen dieses höchst unliebsamen Verfahrens gemacht und habe auch einige größere Häuptlinge davor gerettet; ihre Antwort war indessen: von dieser Pfefferprobe sei noch Niemand gestorben.
Wirklich werthvolle Tributsendungen kommen übrigens sehr selten; die meisten Karawanen, aus 40 bis 60 Personen oder weniger bestehend, bringen ein oder zwei Weiber als Geschenke und einige Körbe mit Kautschuck. Ich habe als größte und werthvollste die des Häuptlings Kischimbi-Lulaba, südlich vom Mucamba-See, an der Grenze des Tuquetestammes wohnend, zu verzeichnen gehabt, welche 3 starke Elefantenzähne, 12 Weiber und 14 Ziegen brachte. Kalamba schickt außerdem seine Kilolo (vornehme Baschilange) in alle möglichen Weltgegenden, um Tribut zu erbitten. Solche Expeditionen sind durchaus friedlicher Natur und gestalten sich meistens nur zu Betteleien und gemeinsamen Hanfrauchfesten mit den Einwohnern der besuchten Dörfer. Diese Bettler Kalamba's, in Lunda würden sie Tuquata heißen, nisten sich mit ihrem Anhange oft für lange Zeit in die fremden Dörfer ein, wo ihnen Gastfreundschaft erwiesen wird, so daß sie regelmäßig erst nach Verlauf von Monaten wieder zurückkehren.
333 Gewaltthätigkeiten oder Grausamkeiten sind Kalamba fremd. Sein Regierungssystem ist ein durchaus mildes und grenzt eher an Schwäche als an Strenge, so daß ich oftmals im Interesse seiner Autorität ein energischeres Auftreten des Häuptlings seinen Unterthanen gegenüber gewünscht hätte. Bei uns sind auch verschiedenemal Klagen von Seiten der jüngeren hiesigen Kilolo eingelaufen, weil Kalamba etwaige Vergehen oder Ungehorsam seiner Söhne zu gelinde oder gar nicht bestrafte; aber, so heißt es dann: Kalamba will keine Züchtigungen vornehmen, weil der Kassongo kein Freund von Kriegen ist. Diese vorgeschützte friedliebende Größe ist meine Wenigkeit, die hier allgemein als der aus dem großen Wasser als Weißer wieder auferstandene Bruder von Kalamba, Kassongo, figurirt, der große Hanfreformator und Gründer dieser kleinen Dynastie, welcher als Häuptling der Bena-Kaschia auf einer Reise in Kioque einer Krankheit zum Opfer fiel. Meine Benennungen sind: Kassongo oder Inglesch (wie die Träger in Malanʒe den wissenschaftlichen Reisenden nennen) oder auch Mukelenge. (»Ukelenge« heißen die specifischen, die Würde zur Schau tragenden Besitzthümer eines Familien- resp. Dorfoberhaupts: Waffen, Schmuck- und Kleidungsstücke, sei es ein Hemde oder ein europäisches Tuch, ein Beinkleid u. s. w., und »Mukelenge« heißt dann der glückliche Besitzer derselben respective der Häuptling.) Hier im Ort werde ich überall ohne jegliche Ostentation mit meinen verschiedenen Namen beliebig angeredet, aber bei Passagen fremder Dörfer gelegentlich meiner Excursionen gellt es noch immer aus hundert Kehlen: »Kassongo munene jaku maii kajau kajau!« u. s. w.: Da kommt er, der große Kassongo aus dem Wasser.
Ich will bei dieser Gelegenheit noch bemerken, daß ich von den hiesigen Einwohnern nicht im Geringsten durch Besuche und Betteleien belästigt werde, im Gegentheil haben ihre Bescheidenheit und Freundlichkeit wesentlich zur Ruhe und Behaglichkeit meines Aufenthalts beigetragen. Ich verhalte mich übrigens meistens neutral bei den an mich ergehenden politischen Consultationen.
Vor einigen Wochen verließ Kalamba mit großem Pomp diesen Ort. um einen ihm befreundeten, östlich von hier am Moansangoma-Fluß oder -Bach wohnenden Häuptling zu besuchen. Er war von einigen seiner Nobelmänner begleitet, und alle 334 befanden sich in großem Staat, mit ihren Regenschirmen und in bunten Gewändern paradirend; auch ein Ochse und eine Tipoja zählten zu dem prächtigen Gefolge. Eine mir zugedachte Abschiedsvisite verfehlte ich wegen Abwesenheit von Hause, so daß ich nur von ferne Gelegenheit hatte, dem Schauspiel zuzuschauen. Schon nach Verlauf von zwei Tagen aber erschienen hier einige Abgesandte, um mich im Auftrage Kalamba's zu bitten, zu ihm nach einem östlich von hier gelegenen Hafen am Lulua zu kommen, um seine Flußpassage zu bewerkstelligen. Die am östlichen Ufer wohnenden Eingeborenen, der großen Mucangalafamilie angehörend, hätten die Passage versperrt und seine Leute im Boote mit Pfeilen angegriffen und verwundet. Die Leute befänden sich in dem Wahne, daß er in feindseliger Absicht komme, weshalb er mich bitte, ihm zu helfen und dies Mißverständniß zu lösen. Ich begab mich am nächsten Tage mit Germano an den Lulua, und zwar nach Kiewo, dem Dorfe eines Fährmanns gleichen Namens, passirte dort den linken Flußarm, dann eine ca. 400 m breite, mit Urwald bestandene Insel, an deren rechter Seite der Häuptling unmittelbar am Fluß auf einer kleinen, baumfreien Sandscholle sein Lager aufgeschlagen hatte. Sein Gefolge bestand aus etwa 50 bis 60 Männern, von denen die meisten nicht bewaffnet waren, und einigen Kindern und Weibern, darunter auch seine Schwester. Für Kalamba war hier eine kleine Laubhütte hergerichtet, die übrigen Herrschaften hatten bereits zwei Nächte im Walde geschlafen. Ich ließ bei meiner Ankunft dem Häuptling sagen, er möge jetzt mit mir an den unmittelbaren Rand des Flusses treten und den Bena-Mucangala sagen, daß ich gekommen sei, ihnen mitzutheilen, daß er, Kalamba, nach dem Moansangoma reisen wollte, ihre Dörfer nicht betreten werde, und daß sie das Ufer deshalb räumen möchten. Der Häuptling ließ mir antworten: er habe bereits zwei Tage lang mit ihnen verhandelt, und vergebens habe er geredet und ihnen »Mojo« geboten (Mojo ist der Gruß der hanfrauchenden Baschilange und heißt wörtlich »Leben«). Da ich aber jetzt hier sei, wolle er meinem Wunsche gemäß noch einmal mit »Mojo« zu ihnen reden. Inzwischen war in dem kleinen Lager ein Höllenlärm entstanden – das Jubelgeschrei über mein Erscheinen, das Getöse sämmtlicher in Thätigkeit gesetzter »Engommas«, das Knattern der Freudenschüsse und dazu 335 eine »Mojo-Ansprache« Meta's an die am anderen Ufer nicht weniger lärmenden Mucangala. Die Rednerin wußte mit besonderem Nachdruck und mit großer Würde ihre Gedankenergüsse zur Geltung zu bringen, denn sie erschien vollständig nackt auf dem Platze, in der linken Hand einen alten europäischen Topf, in der rechten einen grünen Hanfzweig haltend, und schrie wie besessen mit großem Pathos über den 100 m breiten Strom. Als mir die Sache zu bunt wurde, ließ ich Kalamba endlich bewegen, mit mir an den Fluß zu treten, und Ersterer begann, und zwar für einen Augenblick unter allgemeiner Ruhe, zu reden resp. zu schreien. Ich befand mich unmittelbar an seiner rechten Seite, einige der Leute an seiner linken. Die Stelle der Rede: »Ich bin Herr des Landes, mir gehört der Fluß«, begleiteten die Mucangala mit Hohngebrüll und mit Gewehrschüssen; dann aber plötzlich erfolgte eine gehörige Gewehrsalve, es stürzte ein Muschilange todt, ein anderer schwer verwundet unmittelbar neben dem Redner zu Boden. Es blieb jetzt kein anderer Ausweg – das Feuer wurde erwidert. Nach 5 Minuten war das jenseitige Ufer gesäubert, die ganze Mucangalagesellschaft hatte mit Zurücklassung zweier Todten, sowie ihrer Trommeln und anderer Gegenstände (es befanden sich 30 bis 40 Laubhütten hinter den Bäumen und Büschen des Ufers) die Flucht ergriffen. Die Ueberfahrt Kalamba's konnte jetzt beginnen; ich ermahnte ihn vorher, so dringend es mir möglich war, die Feindseligkeiten nicht fortzusetzen. Er versprach, meinem Wunsche gemäß zu handeln, so daß ich mich nach Hause begeben konnte. Die Nachricht von Kalamba's Sieg hatte sich alsbald in der ganzen Umgebung des Flusses verbreitet, und noch während meiner Anwesenheit im Lager trafen Schaaren bewaffneter Kaschia bei ihrem Häuptling ein, während andere große Zuzüge uns auf dem Rückwege begegneten. An den nächsten Tagen zogen hier täglich aus den entlegeneren Gegenden des kleinen, westlich gelegenen Mujauflusses ganze Dorfschaften dem Lulua zu. Es schien eine allgemeine Mobilmachung der Kaschia stattzufinden. Die meisten dieser Krieger waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet, ihre Häupter vielfach mit Federbüschen oder grünen Zweigen geschmückt. So passirten sie hier in kleinen und größeren Trupps, regelmäßig einen grotesken Kriegstanz im Kreise um den Flaggenstock vor dem Wohnhause aufführend, bevor sie ihren Weg gen Osten fortsetzten.
336 Nach Verlauf von zwei Tagen schickte mir Kalamba einen Boten mit der Mittheilung, daß er sich in dem Dorfe eines seiner Verwandten im Mucangalalande einquartiert habe, und daß ich ganz ruhig sein könne, da er sein Wort halten und Niemand etwas zu Leide thun werde. Die Dörfer der angreifenden Mucangala seien allerdings verbrannt worden, aber damit habe die Züchtigung ihr Bewenden, und das Oberhaupt der Mucangala, der Häuptling Kilunga Messo (nordöstlich von hier am Lulua), hatte bereits sein Bedauern über den Vorfall ausgedrückt und Kalamba erklärt, daß er als sein Sohn und großer Mucangalahäuptling die Strafzahlung für das Vergehen seiner Brüder zu übernehmen bereit sei.
Ich habe diesen blutigen Auftritt recht sehr bedauert, aber er war nicht zu vermeiden. Hätte Kalamba mit meiner Intervention den Fluß nicht passirt, so wäre es um sein Ansehen, sowie auch um das meinige geschehen gewesen, und beide sind unumgänglich nothwendig für das gedeihliche Fortbestehen der Station.
An Einkäufe von Handelsproducten habe ich nicht denken können. Das Land liefert noch sehr viel Kautschuck, aber die hohen Transportkosten stehen nicht im Verhältniß zu seinem Werthe; die Elfenbeinvorräthe hier sind nach ungefähr 15jährigem Handel jetzt vollständig erschöpft, und der Elefant ist nach der Einführung von Feuerwaffen ausgerottet – entweder getödtet oder verjagt. Kioque, Bangala, Ambaquisten und Biannos (Handelsleute aus Bihé oder Benguella, ähnlich nach Bihé genannt wie die Ambaquisten nach Ambacca, ihr eigentlicher Name ist Inbunda) importiren jetzt an europäischen Waaren: grobes Schießpulver, Musketen, schlechten Calico, rothen und blauen ordinären Flanell, bunte billige Baumwollstoffe, ordinäre Perlen, etwas Messingdraht und kleine Messingnägel, alte Uniformen, bunte baumwollene Schlafmützen, thönerne Tassen, Teller &c. Die Bangala bringen außerdem noch einheimisches Salz und exportiren Menschen weiblichen Geschlechts, Kautschuck und sehr wenig Elfenbein. Das Handelsverfahren ist hier noch ein durchaus primitives. Bestimmte Preise gibt es im Allgemeinen nicht, so daß die verschiedenen Interessenten je nachdem 100 Procent theurer oder billiger kaufen und verkaufen mögen; immerhin aber können folgende Preise ungefähr als Maaßstab der gebräuchlichen Tauschwerthe gelten: 337 ein ausgewachsenes Mädchen kostet 1 Muskete (Preis einer Muskete 3–4000 Reis in Malanʒe, 4500 Reis = 20 Mark) oder 24 Ellen (¾ m) Calico oder 1 Faß Pulver à 4 Pfund und 8 Ellen. Ein Kind von 8–10 Jahren 16 Ellen Calico oder 1 Faß Pulver. 1000 Kautschuckknäuel haben den Werth eines ausgewachsenen Mädchens; der Händler kauft diesen Artikel indessen im Allgemeinen billiger in kleineren Quantitäten, und zwar ellenweise, oder, wenn er mit Pulver bezahlt, ladungsweise. Bei der Abwickelung aller Handelsgeschäfte wird numerisch verfahren, d. h. die Sachen werden gezählt, und zwar nach dem Decimalsystem (wie überall. Am Lubilasch sah ich die Eingeborenen ihre Perlen 5 bei 5 zählen). Der hiesige Verkäufer legt z. B. 10 Gummibälle in einer Reihe auf den Boden. Wenn diese erste Reihe voll ist, klatscht er regelmäßig in die Hände, und es heißt: »Kikutu« = 10. Es werden hierauf 10 solcher Reihen parallel neben einander gelegt. Dann heißt es »Lukama« oder »Kikutu«, und diese 100 Bälle werden auf einen Haufen gethan, der wo möglich mit einem daneben gelegten Strohhalm markirt wird. Nachdem auf diese Weise 10 besondere Haufen hergerichtet sind, und das 1000, »Kanuno«, voll ist, wird die Tradition vorgenommen, wobei Käufer und Verkäufer manchmal einen kleinen Strohhalm oder dergleichen unter sich zerbrechen, zur Bekräftigung eines unauflöslichen Geschäftsabschlusses. Von den Kautschuckbällen, die zur Betrübniß der Händler während der Zeitdauer des hiesigen Handelsverkehrs in rapider Weise fortwährend kleinere Volumina angenommen haben, gehen jetzt ziemlich genau 40 auf 1 kg. Kaschawalla sagte mir, man hätte vor ungefähr 6 Jahren hier 3–5 auf 1 Pfund rechnen können, und seit vorigem Jahre haben sie sich noch um 50 Procent und mehr verkleinert. Ihre jetzige Form werden sie aber wohl behalten, da die Händler sonst jedenfalls allmählich anfangen werden, eine neue Rechnung zu machen. Die Qualität des hiesigen Kautschucks ist sehr schön. Verunreinigungen oder Verfälschungen des Stoffes kommen nicht vor.
Gewehre, Pulver und Fasenda sind die gewöhnlichen Tauschartikel, aber der Muschilange (Singularform zu Baschilange) liebt Neuerungen und verkauft für alle möglichen Sachen und Schund, wenn sie neu sind. Für den hier im Allgemeinen weniger eingeführten Flanell und für die sehr beliebten bunten Baumwollstoffe (in Malanʒe »Schita« genannt), sowie für neue Perlen kauft der Händler verhältnißmäßig bedeutend billiger. Einige Träger 338 z. B. erzielten für eine kleine Schachtel schwedischer Zündhölzer 100 Kautschuckbälle. Besonders beliebt sind Amulette, »Sambi« genannt, die als Fetischreliquien aufbewahrt oder halsbandartig getragen werden und denen allerlei geheime Schutzkräfte zugetraut werden. Ihr Werth ist wesentlich höher, wenn sie weither von einem Maschangi gebracht wurden. So, Plur. »Baschangi«, nennen die hanfrauchenden Baschilange alle fremden Händler, welche als Geister ihrer in Kioko verschollenen Landsleute angesehen werden. Die Baschilange, d. h. die Hanfraucher, machten vor ungefähr 15 Jahren, nachdem sie Bekanntschaft mit den Kioque gemacht hatten und in Handelsbeziehungen mit ihnen getreten waren, ihre ersten Wallfahrten nach Kioque, die später allgemeiner wurden und bei denen sehr viele Baschilange zu Grunde gingen – viele von ihnen starben, viele wurden von den Kioque als Sklaven aufgegriffen. Wenn hier z. B. eine Karawane von Händlern in Sicht ist, heißt es ganz allgemein: Es kommen Baschangi, gleichgiltig, ob die Karawane aus Kioque, Ambaquisten oder Anderen besteht. Unsere Baschangikarawane steht natürlich im höchsten Ansehen. Kleine Messingkreuze und Christusamulette, welche aus Kassanʒe stammen, gleichsam als letzte Reminiscenz der Missionen, besitzen große Kräfte und werden theuer bezahlt. Ein solcher Sambi gilt unter Umständen 1000 Bälle Kautschuck. Diese Sambipassion der Eingeborenen ist von den Trägern gehörig ausgebeutet worden; so wurden zur Zeit unserer ersten Ankunft aus Bleikugeln Kreuze verfertigt und für hohe Preise, selbst für Sklavinnen, verkauft. Jetzt scheint endlich, diesen Artikel anbelangend, eine Ueberproduction eingetreten zu sein.
Wenn eine Handelskarawane hier ankommt, läßt sie sich durch ihren Fahnenträger anmelden, der, einige 100 Schritte dem Zuge vorauf schreitend, den Ort bis zum Marktplatz durchrennt. Hier schwenkt er einige Male seinen bunten Lappen, vor Freude tobend, bald niedrig, bald hoch über dem Boden, und kehrt in Carrière zurück, um der langsam im Gänsemarsch anrückenden Karawane wieder voranzuschreiten. Unmittelbar hinter der Fahne marschiren die Vornehmen der Gesellschaft, oftmals in prächtig bunte Gewänder gehüllt, in Uniformen und Livreen, in rothe Pantalons und allerlei andere bunte, schmutzige Costüme und Lumpen. Das Alles sind die köstlichen Ukelenges, mit denen Kalamba und seine Kilolo beglückt werden sollen. So schreiten die Fremdlinge in 339 tadellos würdevoller Haltung unter dem Donner der Musketen und oftmals unter den wirklich harmonischen Klängen ihrer großen Doppel-Quertrommeln, der Kiota näher und nehmen, dort angelangt, um die in der Mitte des Platzes liegenden, glühenden Hanfrauchscheiterhaufen Platz. Inzwischen hat sich das neugierige Publicum versammelt, schön geputzte Kilolo machen die Honneurs und setzen sich zu den Gästen, während eine ansehnliche Weiberschaar mit hocherhobenen Armen und Händen fuchtelnd und convulsivisch den Körper verdrehend, im Kreise rund herumtrippelnd, ihren Tanz aufführt. Ein lebhafter, kräftiger Freudencantus ihrerseits, ein hundeähnliches Geheul oder manchmal ein etwas tactmäßigeres, von den Kioque erlerntes Geschrei begleitet die balletartigen Kunstproductionen. Die Gäste verharren mit Geduld in ihrer Stellung, bis durch die Uebersendung einer Sklavin oder einiger Körbe Kautschuck, als Geschenk an sie von Seiten Kalamba's, die Empfangsfeierlichkeiten beendet werden.
Von August 1882 bis heute sind hier vier Kioque-, eine Ambaquisten- und eine Bangalakarawane eingetroffen; eine große, aus mehreren hundert Köpfen bestehende Ambaquistenkarawane und eine ebenso große Kioquekarawane haben wenige Tagemärsche nördlich von hier den Lulua passirt, um an den Moansangoma zu ziehen. Alle Händler machen noch immer gute Geschäfte, obgleich die Thatsache, daß Kalamba als Tribut schon oftmals Gewehre erhält, und daß auch kleine Knaben sich hier und da als Sklaven einschleichen, als untrügliches Symptom eines bedenklichen Mangels an Weibern angesehen werden kann.
Der Grund und Boden hier mit seinen wilden Producten gehört nominell Kalamba, de facto gehört er dem Occupanten, dem Bebauer, und die gepflanzten Bäume, Palmen &c. gehören dem Pflanzer. Größeres Wild gehört dem Häuptling, und der Erleger hat ihm ¼ der Beute zu geben, eine Abgabe, der auch ich unterworfen bin. Ein Muschilange liefert getödtetes Wild seinem Häuptling resp. seiner Familie ab, und diese liefert an Kalamba.
Der Anspruch eines Häuptlings an seine Unterthanen entspringt hier aus den Consequenzen der väterlichen Gewalt, denn der Haussohn erwirbt zeitlebens für den Vater, dessen patria potestas erst mit dem Tode erlischt und sich nebst dem übrigen Vermögen auf den ältesten Sohn vererbt. Die Tribut- oder Mulambo-Leistungen der Häuptlinge originiren hier (und wohl 340 in allen Ländern des Westens) aus dem Verhältnisse des Vaters zum Sohne, und sind dem analog auf nicht durch Familienbande, sondern durch Unterjochung, Freundschaft &c. entstandene Abhängigkeitsverhältnisse ausgedehnt worden, weshalb sich auch überall der tributpflichtige Häuptling »den Sohn« seines Oberhäuptlings nennt. Communistische Grundsätze, wie einzelne Reisende sie vorgefunden haben, sind den Eigenthumsrechtsbegriffen der mir bekannten afrikanischen Völker durchaus fremd; wo sie bei ihnen vorkommen sollten, sind sie anarchischer Natur, oder sie tragen in Folge weit ausgedehnter Verwandtschaftsbande den Schein; denn der Hausvater hat seinen Kindern gegenüber schwere Pflichten; er hat unter Umständen für Gründung eines eigenen Herdes des Sohnes zu sorgen, für Kleidung, Nahrung &c. Die Jagdbeute wird meistens repartirt, und der Häuptling, welcher Tribut bringt, empfängt Gegengeschenke. Uebrigens wird das Gewohnheitsrecht der Eingeborenen durch seine Stupidität, seine Perfidie und Habgier oftmals stark verletzt. Dann gehen Macht und Betrug vor Recht. Das Weib ist nach unseren Begriffen eine Sklavin.
Ich wende mich nun zu einer kurzen Schilderung des Landes und seiner besonderen Vorzüge. Ich weiß eigentlich keinen passenderen Vergleich für die Configuration der Ebene zwischen dem Kassai und Lubilasch, als den mit einer stark geäderten Marmorplatte; ähnlich bunt ist das Land mit wenigen Ausnahmen von Bächen durchfurcht, welche, meistens in breiten, kesselartigen Schluchten entspringend, in breiten, 25–50 m tiefen Rinnsalen nach den verschiedensten Richtungen ihren Lauf nehmen und überall die Campine in kleine oder größere Plateaus theilen. Die Breite dieser schluchtartigen Wasserläufe sowie der Quellkessel variirt etwa zwischen 60 bis einigen 100 m und stellenweise, namentlich bei den Kesseln, bis 600 m und mehr. Sie sind fast ausnahmslos mit üppigem, tropischem Urwald bewachsen. Die Campinenplateaus sind eben, hin und wieder ein wenig wellenförmig gestaltet und dachen sich meistens ganz allmählich nach den Bachschluchten zu ab. Manche dieser bewaldeten Bachränder laufen allmählich schräg aus, bis der eigentliche Bacheinschnitt beginnt, manche fallen sofort abschüssig ab, wieder andere sind eben. Auffallend ist mir, wie scharf die Campine mit ihren Gräsern und Bäumen von diesen Wäldern der Bäche abgeschnitten wird, ähnlich so, wie in Norddeutschland ein Kornfeld von der Lisière des 341 angrenzenden Waldes. Die Campine behält ihre charakteristische Vegetation (auch kleine, mit Urwald und Busch bedeckte Walddschungeln, die Lieblingsplätze der Ananas, finden sich hier und da in der Campine) bis an den unmittelbaren Rand des plötzlich beginnenden, mit Lianen und dichten Büschen fast undurchdringlich verwobenen hohen Urwaldes, mit dem einzigen Unterschied, daß ihre Gräser und Bäume in der Nähe des Waldes etwas üppiger und höher gewachsen sind. Die Bäche, meistens über weißsandige oder kiesige oder mit Felsblöcken bedeckte Betten fließend und mit dichten Laubdächern überwölbt, liefern fast ausnahmslos ein vorzüglich gesundes, klares und frisches Trinkwasser und trocknen nicht aus; ihr unbedeutender Wasserstand, in den Oberläufen von einigen Zoll oder Fuß, bleibt vielmehr zu allen Jahreszeiten ziemlich regelmäßig derselbe. Der Boden der Campine (ich beschränke mich bei diesen Beschreibungen auf die hiesige Umgegend) besteht aus einem röthlichen, lehmigen Sande (in Mecklenburg würde man ihn einen guten Roggenboden nennen). Er steht sehr tief und bleibt sich überall gleich, nur an den Abdachungen wird er oftmals lehmig und ist dann vielfach schwarz und dunkelgrau oder rothbraun gefärbt. Der Baumwuchs in der Campine ist im Allgemeinen nicht höher und dichter als in Lunda und an der Küste, aber er ist üppiger in seiner Belaubung, und ebenso scheinen mir die Gräser hier höher und dichter zu wachsen. Bei meinem ersten Aufenthalte glaubte ich, der Graswuchs würde hier niedriger sein als z. B. in Malanʒe, aber ich irrte mich: zu Ende der Regenzeit erreichte das Gras eine gewaltige Höhe; es wachsen auch mehr Arten Gräser in der Campine als z. B. in Malanʒe, und manche blühen und reifen in einer Regenperiode zweimal. (Es befinden sich die meisten Grasarten in meiner botanischen Sammlung.) Häßliche schattenlose Hochwälder, größere Sand- oder sumpfige Wiesenstrecken, wie sie sich in Kioque, Lunda und anderen mir bekannten Ländern finden, gibt es hier nicht.
Die Bestellung des Bodens ist leicht, so daß die Eingeborenen in Folge dessen eine reine Brachwirthschaft betreiben und jedes Jahr neue Urbarmachungen für ihre Plantagen vornehmen. Die Weiber, welche allein den agriculturen Betrieb besorgen, hacken das Gras nieder, hauen gleichzeitig einige Büsche ab und verbrennen demnächst das vertrocknete Gras und Reisig oder tragen es von der Pflanzung. Bäume und einzelne hier und da sich befindende 342 Termitenpyramiden stehen mehr oder weniger hindernd im Wege. (Die letzteren sind steinhart und scheinen aus Lehm und Eisentheilen zusammengemauert zu sein. Die Termitenbaue haben hier alle pyramidale Formen; auf lehmigen Stellen, z. B. an den Abdachungen des Plateaus, finden sich auch die kleinen Pilz- und Zuckerhutformen; hohe, senkrecht in die Höhe steigende Obelisken, wie ich sie im südlichen Lunda sah, habe ich auf dieser Reise nirgends beobachtet.) An dem Stamme eines dickeren Baumes wird beliebig etwas mehr trockenes Gras verbrannt, so daß er seine Blätter durch Feuer verliert und mit der Zeit vertrocknet, um demnächst als Brennholz benutzt zu werden. Nach einiger Zeit wird der so präparirte Boden zum zweiten Male flach gehackt und mit Bohnen bepflanzt, indem letztere ohne weitere Bearbeitungen auf ca. 1 m Entfernungen in kleine gehackte Erdvertiefungen gethan und mit etwas Erde wieder bedeckt werden. Obgleich die so hergerichteten Saatfelder durchaus nicht den europäischen landwirthschaftlichen Ansprüchen genügen, da nicht verbrannte Graswurzeln, Reisig &c. ihnen regelmäßig ein unordentliches und unsauberes Aussehen geben, so berankt die kleine Bohne dennoch im Allgemeinen rasch und üppig den Boden und gibt nach ungefähr 3½–4 Monaten die Ernte. Nach Einheimsung der Schoten werden die zurückgelassenen Ranken &c. verbrannt, das Feld wird einmal flach gehackt und mit Hirse besät, die flach untergehackt wird, und nachdem letztere bereits etwas gewachsen ist, beginnt die Pflanzung des Manioks durch Stecklinge zwischen die Hirse.
Dies ist hier die regelmäßige Fruchtfolge. Mit dem Maniok, der sich meistens schon nach der Ernte der Hirse gut bestockt hat und nach 1½–2 Jahren die ersten vollen Erträge liefert, trägt das Feld ab und ist ein für alle Mal für fernere Saaten außer Cours gesetzt. Es wird mithin jedes Jahr neues Land urbar gemacht, und die Eingeborenen lieben es, familienweise ihre Culturfelder gemeinsam anzulegen, so daß sich hier z. B. zur Zeit 4–5 verschiedene, 15–30 Magd. Morgen große Brachfelder befinden, die meistens in länglich-viereckige, den verschiedenen Besitzern gehörende Parcellen getheilt sind. Diese großen Pflanzungen sind meistens in einiger Entfernung vom Orte angelegt, so daß in seiner Umgebung ein ansehnlicher Theil der Campine mit Maniok &c. bepflanzt ist. Außer diesen größeren Feldern gibt es indessen überall kleinere, die einen einzigen oder wenige Besitzer haben.
343 Maniok (hier »Tschiombe«), Hirse (»Ponde«) (regelmäßig die Kolbenhirse [Penicillaria]; die höher wachsende Büffelhirse [Sorghum] ist seltener hier) und die kleine, etwas streng schmeckende rankende Bohne (»Kunde« oder »Makunde«), ferner zwei Arten Erdnüsse, die ölhaltende, Arachis hypogaea (Sing. »Kambela«, Plur. »Tumbella«), und eine Stärkemehl enthaltende, Voandreia subterranea (»Kimu«), sind die Hauptnahrungspflanzen, für welche jährlich die neuen Urbarmachungen vorgenommen werden. Erdnüsse sieht man auch anstatt »Kunde« in der großen Brache; gewöhnlich aber werden erstere in einem besonderen Felde gepflanzt, jedoch immer auf neuen Brachfeldern. Ein Hauptnahrungsmittel ist außerdem noch der Pferdezahnmais (»Mava«), der indessen regelmäßig in den Dörfern in der Nähe der Hütten angepflanzt wird.
Alle anderen Nahrungspflanzen werden keiner regulären Cultur unterzogen, Bataten (»Bizenge«) finden sich in kleinen Dimensionen auf Brachfeldern oder in den Dörfern angepflanzt, eine »Yams«-Ranke findet sich hier und da am Stamme eines Baumes in der Brache, ebenso zwei mir nicht bekannte kleine, nicht rankende Knollengewächse (die eine mit Lippenblumen, die andere topinambur-ähnlich). In den Dörfern wachsen meistens ohne weitere Pflege und halb wild eßbare Malven, kleine Kürbisse, Amarantaceen (darunter ein roth und grüner Fuchsschwanz), Nachtschatten, eine Brassica &c. An cultivirten Nutzpflanzen will ich ferner noch Ricinus, Baumwolle und Hanf, zwei Arten Capsicum und Tabak erwähnen; alle diese zuletzt genannten werden in den Dörfern oder deren Nähe gepflanzt; sie wachsen indessen auch spontan, und nur dem Hanf und Tabak, welch' letzterer regelmäßig mit jungen Pflänzlingen gepflanzt wird, kommt regelmäßig eine sorgfältigere Pflege zu gut. Der Tabak (»Macanja«), der gern in unmittelbarer Nähe der Hütten cultivirt wird, blüht mit grünlich-gelblicher Röhre und weißem Kronensaum mit rosa oder dunkelrothem Rand. Wenn die Blume älter wird, neigt sich die grünliche Farbe der Röhre zur weißen. Ich kenne überall nur diese eine Art in Afrika. Auf dem fetten Boden in der Nähe der Häuser wird die Staude 5–6 Fuß hoch und liefert bis fußlange Blätter. An Zuckerrohr finden sich hier und da bei den Hütten einige Stangen angepflanzt, die um eine Mutterstange buschartig emporgewachsen sind, und deren Stamm oftmals mit einem Aschehaufen bedüngt ist. Gedenken will ich auch noch auf diesem Gebiete eines Schilfrohrs, welches ziemlich viel 344 am Lulua wild wächst und als Salzpflanze auf kleinen baumfreien, niedrig gelegenen und sumpfigen Stellen an Bächen (oftmals durch Stauungen sumpfig gemacht) mit Stecklingen gepflanzt und aus dessen Asche Kochsalz gewonnen wird. Dieses Salz scheint aber kein reines Chlornatrium zu sein; es hat einen bitteren Geschmack und bekommt, lange Zeit genossen, dem Europäer schlecht.
Reis und etwas Sesam wurden aus Nyangwe importirt. Ob ersterer sich einbürgern wird, muß die Zeit lehren. (Wie ich höre, sind dies Jahr bereits einige Pflanzungen von den Eingeborenen hier angelegt worden.) Seine ersten Culturen hier wurden unter der Leitung Germano's auf dem sumpfigen Boden einer niedrig gelegenen Stelle in der Nähe eines Baches vorgenommen, mißriethen indessen total. Die zweite Anpflanzung ließ ich im Garten der Station auf gewöhnlichem Boden der Campine herrichten, welche gut gedieh; eine dritte Pflanzung endlich, zu Ende Januar ebenfalls in der Campine angelegt, wuchs sehr üppig, als aber gegen Anfang Juni, nachdem sich bereits Rispen zeigten, der Regen ausblieb, gingen die Pflanzen allmählich ihrem Untergange entgegen und vertrockneten vor ihrer Blüthe. Sumpfiger Boden, d. h. kalter Boden mit stagnirendem Grundwasser, wirkt hier auf das Gedeihen der Reispflanzen ebenso nachtheilig, wie in Norddeutschland z. B. auf das Wachsthum des Weizens. Der Reis verlangt zu seiner guten Entwickelung einen guten, fruchtbaren Boden und viel Regen, und besonders scheint ihm trockener Urwaldboden zuzusagen. Auf einer solchen Stelle, die von den Eingeborenen hergerichtet war, um im Verstecke vor den hier privilegirten Zerstörern der Maispflanzungen, den Ochsen, einige Pflanzungen anzulegen, sah ich ein kleines Reisfeld, rohrartig ca. 4–4½ Fuß hoch gewachsen, mit vollen, mächtig schweren Rispen, während die hiesige Saat nur ca. 2 Fuß hoch wuchs, aber auch schöne, schwere Körner lieferte.
Die Eingeborenen pflanzen und ernten zu zwei verschiedenen Zeiten, und zwar zu Anfang, Mitte und Ende der Regenzeit. Dies gilt regelmäßig für Mais, Hirse und Kunde, die nach 3½–4 Monaten ein pflanzfähiges Korn liefern, während die Erdnüsse und der Reis 5–6 Monate zu ihrer vollen Entwickelung gebrauchen, mithin für dasselbe Jahr kein neues Saatkorn liefern. Mais und Hirse können und werden mit Erfolg immer wieder auf derselben Stelle gepflanzt, für Kunde und 345 Erdnüsse müssen neue Urbarmachungen vorgenommen werden. In diesem Jahre sind im hiesigen Orte die Maispflanzungen vielfach durch Hirse ersetzt worden wegen Plünderungen der Ochsen. Der Mais ist auf alten Erdnuß- oder Maniokpflanzungen bestellt worden, da Mais und Hirse nicht gut als erste Saat auf den Brachen, d. h. auf urbar gemachtem Campineboden, wachsen. Diese Regel gilt indessen nicht bei Waldboden.
Die beste Saatzeit für Reis und Erdnüsse dauert ungefähr von Mitte September, nachdem der Boden bereits vom Regen öfter angefeuchtet ist, bis etwa zu Anfang Januar. Während dieser Zeit können ohne Unterbrechung Pflanzungen hergerichtet werden, da der Regen hier nicht störend, wie in Deutschland, beim Säen einwirkt. Nach dem stärksten Regen während der Nacht wird am nächsten Morgen geackert und gepflanzt, und ein Erfolg der Ernte ist im Geringsten nicht abhängig von der Zeit der geschehenen Einsaat, im Gegentheil, ob früh oder spät gesät, der Erfolg bleibt immer gesichert, vorausgesetzt, daß überhaupt in den ersten und den mittleren Regenmonaten gepflanzt wurde.
Daß reichlicher Regenfall während der Regenzeit im Innern des westlichen Afrika niemals fehlt, ist eine unbestrittene Thatsache. Der Dolmetscher Bizerra, welcher so ziemlich sein ganzes Leben in Lunda, Kioque und hier verbracht hat, und auf dessen Aussage ich sehr viel gebe, erinnert sich nicht, jemals einen Regenmangel in diesen Ländern erlebt zu haben, während er sehr wohl weiß, welche verderblichen Folgen die Dürren oftmals in Kassanʒe und Malanʒe auf die Ernten ausgeübt haben.
Welche enorme Culturen würde ein europäischer Pflanzer hier vornehmen können! Mit wie geringen Arbeitskräften und mit wie viel Aussicht auf sicheren Erfolg im Vergleich mit solchen in Europa, speciell in Norddeutschland! Welche Arbeitskräfte erfordert in Deutschland die Urbarmachung von gutem Boden (Waldrodungen, mehrfache Beackerungen, Drainagen, Bedüngungen &c.), und welchen verderblichen Wettereinflüssen (Regen und Dürren, Sturm, Schnee und Hagel) sind die Saatfelder dort ausgesetzt!
Der Ansicht vieler Reisenden, daß ein Europäer hier keine Handarbeiten dauernd vornehmen könne, widerstreite ich auf das Entschiedenste. Ein europäischer Arbeiter wird gewiß nicht im Stande sein, ohne gesundheitsschädliche Folgen hier ebenso lange 346 und schwer zu arbeiten, wie in Europa, aber ebenso zweifellos wird er vermögen, ohne erhebliche und der Gesundheit nachtheilige Körperanstrengung des Morgens und während des späteren Nachmittags einige Stunden leichte landwirthschaftliche Arbeiten, etwa mit dem Pfluge, zu verrichten – und eine Arbeitsstunde bringt in landwirthschaftlicher Beziehung hier in Afrika vielleicht zehnmal mehr Resultate als in Norddeutschland. Hausarbeiten (d. h. Arbeiten im Schatten eines Hauses vollzogen) werden hier von Europäern ebenso lange vorgenommen werden können, wie in Europa, denn es ist nicht die relative Wärme, sondern es sind nur die brennenden Strahlen der Sonne, die wehe thun und vor denen namentlich ein Ankömmling sich schützen muß.
Das hiesige Klima ist recht gesund, und ich kann versichern, daß ich während einer Zeitdauer von über zwei Jahren, die ich östlich von Kassai verlebt habe, mich nur ein einziges Mal unwohl gefühlt habe, und zwar dies in Nyangwe, dem nach meinen Erfahrungen am wenigsten gesunden Orte im Innern des Continents. Es ist gewiß warm, denn das Thermometer zeigt ziemlich constant des Morgens mit Sonnenaufgang ungefähr 19–21°, Mittags 27–30°, 2 Uhr Nachmittags 29–32° und Abends mit Sonnenuntergang 21–25°, aber leichte westliche Brisen während der Regenzeit und östliche, oft starke Winde während der trockenen Zeit bringen meist erfrischende, angenehme Kühlung. Die Regenzeit dauerte in diesem Jahre bis Anfang Juni. Dann begann die trockene Zeit und währte bis Mitte Juli. Während dieser letzten trockenen Periode wehten unausgesetzt östliche Winde, und zwar regelmäßig aus Südost. Das Thermometer fiel indessen sehr unbedeutend und zeigte des Morgens mit Sonnenaufgang 18–20°, Mittags 12 Uhr 26–28°, Nachmittags 2 Uhr 28–30° und Abends mit Sonnenuntergang 21–23°.
Ich habe allerdings des Morgens nicht regelmäßig observirt und habe nur einigemal die Quecksilbersäule unter +18° gefunden, so daß der genaue Stand nicht bestimmt werden konnte, indessen nach meinem Gefühle ist die Temperatur niemals unter +16° gesunken. Gegen Ende Mai sprang der Wind auf die Dauer halber Tage nach Osten und zurück nach Westen; mit Anfang Juni blieb er im Osten stehen und wehte aus dieser Richtung bis Mitte Juli bei meistens klarem, graublauem und dunstigem Himmel, so daß 347 ein Dunstkreis am Horizonte mir oftmals die gewöhnliche Fernsicht nahm. Mitte Juli sprang der Wind wieder nach West auf kurze Zeit und zurück, der Himmel wurde bewölkter, und Donner ließ sich im Osten vernehmen. Darnach stellten sich die ersten Gewitterregen ein, und der Wind blieb westlich stehen. Die Regen, welche fast ausnahmslos von Gewittern begleitet sind, kommen mit den betreffenden Winden aus allen Himmelsrichtungen, am meisten aber aus östlichen und selten aus westlichen.
Oftmals bringt ein starker Sturm den Regen, der aber meistens nur 10 bis 15 Minuten andauert. Ebenso sind starke Platzregen regelmäßig nicht von langer Dauer, es folgt vielmehr auf einen ¼-, ½- oder 1stündigen starken Platzregen ein sanfter, ebener und oft viele Stunden andauernder Regen. Nach beendetem Gewitter steht der Wind regelmäßig wieder in Westen. Die bewirkte Temperaturabkühlung bei Gewittern ist sehr verschieden, manchmal erfolgt ein Fall von 30–32° auf 19–20°. Die Gewitter entladen sich oftmals mit furchtbaren Blitzen und starken Donnerschlägen; indessen scheint mir, daß sie hier weit weniger gefährlich sind, als z. B. in meinem engeren Vaterlande Mecklenburg in der Nähe der Küste. Ich habe hier selten von durch Blitze verursachten Unglücksfällen gehört. Hagelfall habe ich nicht erlebt.
An Obst, welches von den Eingeborenen cultivirt wird, kann ich nur Bananen erwähnen. Ananas, sehr saftreich und schmackhaft, werden östlich vom Lulua gepflanzt oder wachsen dort wild in den Walddschungeln der Campine. Der Urwald und die Campine liefern außerdem manche Arten eßbarer Baumblätter und Kräuter und viele verschiedene, oftmals angenehm schmeckende Baumfrüchte, ferner, namentlich die Campine, einige Arten recht angenehm schmeckender Pilze. Was die Obstpflanzungen der Station betrifft, so kann ich eigentlich nur von ziemlich ausgedehnten und sehr schönen Bananenpflanzungen und denen einiger Melonenbäume und Anonen (portug. fruta de conde, Grafenfrucht) berichten. Die meisten der etwas über ein Jahr alten Melonenbäume tragen bereits Früchte; selbstverständlich befinden sich unter ihnen einige, die nur männliche Blüthen tragen. Die Anonen sind allerdings noch sehr klein, etwa 1–1½' hoch, da sie sehr langsam wachsen. Die aus Malanʒe mitgenommenen europäischen 348 Saatkartoffeln sind auf der Reise hierher verloren. Die Kaffeebohnen aus Nyangwe waren bereits sehr alt und nicht mehr keimfähig, und die von dort mitgebrachten Gujavenkerne hatten unterwegs bei den Flußpassagen zu viel Wasser geschluckt und waren verdorben.
Ein nicht minder unglückliches Schicksal hat auch die europäischen Probesaaten ereilt. Ich hatte vor meiner Abreise von hier nach dem Lualaba Klee, Sommerweizen und Gerste in der Campine auf einer vor den Bränden scheinbar sicher geschützten Stelle gesät; indessen der Schein trügt auch hier, und Alles war während meiner Abwesenheit durch Brände vernichtet, so daß ich nach meiner Rückkehr nicht einmal im Stande war, die von mir markirte besäte Stelle wieder zu finden.
Das Gras der Campine wird von den Ochsen gern genommen und bekommt ihnen gut. Nur zur Zeit, wenn es ausgewachsen ist, hat es keinen Futterwerth. Die Eingeborenen lieben indessen, bei ihren Rattenjagden oder bei anderen Gelegenheiten, hier und dort in der Campine zu verschiedenen Zeiten kleine Brände vorzunehmen, auf denen dann wieder junges, nahrhaftes Gras aufsprießt, so daß eigentlich immer reichlich Nahrung für die nunmehr einige zwanzig Haupt starke Rindviehheerde vorhanden ist; überdies dürfen die Ochsen hier ad libitum in allen Plantagen &c. weiden. Die unsrigen erfreuen sich denn auch eines ansehnlichen Fettwanstes.
In den hiesigen Urwäldern prangt die tropische Vegetation in ihrer vollen großartigen Pracht. Hohe, stattliche Bäume mit mächtigen, dicht belaubten Kronen formen den immergrünen dichten Teppich, unter dem ein fast undurchdringlicher Wirrwarr von Büschen, jungen, schlanken Bäumen, von Rank- und Schlinggewächsen wächst. Knotenartig und endlos verschlungen in den Zweigen anderer Bäume hängen die Stämme der Lianen wie schlaffe Taue von den Laubdächern hernieder oder wuchern dickstämmig als selbständige Bäume, um in der Höhe ihre Zweige mit denen der benachbarten grünen Riesen zu verschlingen. Ganze Bäume sind manchmal vom Stamm bis zur Krone kuppelartig mit Guirlanden und Schlinggewächsen behangen, und manche Stämme und Aeste sind mit Aroideen, Amomen und anderen Gewächsen epheuartig umrankt oder bedeckt mit Farnen und Schmarotzern 349 aller Art (auch viele mit dem Schweinfurth'schen Elefantenrohr). An niedrigen nassen Stellen treten meistens die Lianen und das Unterholz zurück und machen Dickichten von Aroideen, Amomen &c. Platz. Hier wächst auch gern ein buschartiger Baum mit Platanenlaub und mit langfaserigem, weichem Holze, das die Eingeborenen vornehmlich zum Feuermachen benutzen.
Die Manipulation des Feuermachens geschieht durch Quirlen, indem der eine Stock quirlend in den anderen gebohrt wird. Jeder ältere Muschilange macht in einer Zeit von 3–4 Minuten spielend leicht Feuer, wenn er gutes, trockenes Material hat. Der Urwald birgt, so weit ich seinen Baumwuchs zu beurtheilen vermag, viele Feigenbäume, duftende Jasmine, Clerodendron, Rubiaceen, Akazien, Palmen, Myrtaceen, sowie manche mir unbekannte Bäume mit ahorn- und lorbeerähnlichen Blättern. Der Blumenreichthum ist sehr groß, vertheilt sich aber auf das ganze Jahr, da die verschiedenen Gewächse (auch manchmal Bäume derselben Art) vielfach zu verschiedenen Zeiten blühen, und ist deshalb verhältnißmäßig nicht so sehr in die Augen fallend. Die Hauptblüthezeit fällt in das Ende der Regenzeit und in den Anfang der trockenen Zeit. Dann bietet sich dem Beobachter hauptsächlich Gelegenheit, die prächtigen, mit eigenen oder mit Schmarotzerblumen geschmückten Baumkronen zu bewundern. Einige Bäume und Büsche blühen auch zweimal im Jahre.
An Palmen kenne ich hier die Elaeis guineensis, zwei ihr in den Blättern ähnliche Arten, aber ohne Stacheln und mit schuppigen, Tannenzapfen ähnlichen Fruchthülsen, hier »Dibonda« und »Dipanda« genannt (Plur. »Mabonda, Mapanda«), ferner zwei Arten der Calamuspalme (das spanische Rohr und ein ähnliches, nicht stachliges Rohr), hier »Mulangali« und »Codi« genannt; ferner die Raphia vinifera (der Bourdon). Eine Phoenix (in Malanʒe »Carima« genannt) sah ich auf der Reise zwischen dem Kassai und hier. Die Fächer- (Borassus) Palme sah ich nicht in diesen Gegenden. Dagegen kommt der kronleuchterähnliche Pandanus mit Ananasblättern vor. An cactusartigen Euphorbien sah ich nur zwei Arten, baumartig gewachsen, und zwar am Lulua.
Die Oelpalme liefert das allgemein bekannte Oel, die »Dibonda« liefert den Blätterbast für die hiesigen bedeutenden Webereien und Wein, die »Dipanda« ebenfalls Wein. Die 350 Oelpalme wird seltener auf Wein hier angezapft, obgleich er der schmackhafteste ist. Diese drei Palmenarten, namentlich die Oelpalme (»Dibu«), wachsen recht viel und üppig in den Wäldern der Bäche und auch in der Campine, namentlich östlich vom Lulua, wo sie indessen zweifellos ursprünglich angepflanzt worden sind.
Die spanischen Rohre wachsen viel in den Wäldern, besonders viel auf den mit Urwald bestandenen Inseln des Lulua. Der Pandanus wächst ebenfalls hier und da viel in den Wäldern und an den Rändern des Lulua. Die Bourdonpalme endlich sieht man in den hiesigen Gegenden selten, überall aber, wo ich sie antraf, wuchs sie sehr üppig, oftmals mit 6–10 m langen Zweigschäften.
Die Kautschuck-Liane (Landolphia) wächst überall viel, wo ihr der Boden zusagt. Sie liebt ebenen, schönen Waldboden und meidet steile Abhänge und Sumpf. Sie blüht hier mit weißer oder bräunlicher, sehr kleiner und unscheinbarer Blume und gibt eine runde, festschalige Frucht bis zur Größe einer kleinen Orange und ähnlich so gefärbt, aber nicht so intensiv goldgelb. In der Schale befinden sich einige Steine von der Größe einer kleinen Mandel, welche von einem zähen Fleische umgeben sind, das einen sehr angenehmen, säuerlichen Geschmack hat. Die Frucht reift ungefähr Mitte der Regenzeit und wird von den Eingeborenen viel genossen. Der Baum heißt hier »Chimba«, die Frucht »Nbulo«, der Kautschuck »Ndundu«. Das Blatt hat eine längliche Form und ist glänzend grün, wie lackirt.
Nutzhölzer der verschiedensten Qualität, für Bau- und Luxuszwecke passend, befinden sich selbstredend in unerschöpflicher Menge in den Wäldern, leichte und schwere, weiche und harte Hölzer in den verschiedensten Farben und Schattirungen; viele Bäume schwitzen Harze aus, und andere tragen ölreiche Früchte. Ebenholz scheint hier nicht vorzukommen; ich habe oft Erkundigungen darüber bei den Baschilange eingezogen, die im Allgemeinen die Hölzer ihrer Wälder ziemlich gut kennen und zu benutzen wissen, indessen das schwarze Elfenbein war ihnen fremd.
Die hiesige Thierwelt ist recht arm, namentlich an jagdbaren Säugethieren. Außer vielen Flußpferden im Lulua gibt es den kleinen Büffel, das Warzenschwein und einige Antilopenarten; von letzteren sah ich indessen nur die weiß-gestreifte Antilope 351 (Tragelaphus scriptus) und den Zwerg der Familie, den kleinen Buschbock. Der äußerst geringe Wildstand ladet nicht zur Jagd ein. Ein kleiner, murmelthierartiger Nager mit sehr breitem, rundem Kopfe, starken Zähnen und Krallen, braungrau gefärbt und von der Größe eines Kaninchens (in Malanʒe »Sischi« genannt) und die überall in Höhlen der Ameisenhügel wohnende kleine Manguste (Herpestes), ein wegen seiner leichten Zähmung allerliebstes Stubenthier, kommen ziemlich viel vor. An Affen kenne ich die sehr viel sich in den Wäldern zeigende und überall vorkommende graue Meerkatze (Cercopithecus?) und den selteneren, etwas größeren, schwarzen langhaarigen Affen (Colobus Angolensis?); ferner sah ich einen jungen Cynocephalus Babuin (?) und die hellgrau gefärbten Bälge einer kleinen Meerkatze mit schwarzem Schwanz. Auch kleine Eichhörnchen, Marder u. s. w. kamen mir oftmals im Walde zu Gesicht. In der Campine gibt es eine große Anzahl kleinerer verschiedener Rattenarten, denen der Muschilange leidenschaftlich nachstellt und für deren Jagd die hölzernen Pfeile mit ihren verschiedenartigen Spitzen eingerichtet sind.
Vögel gibt es hier ziemlich viele, d. h. mehr den Arten als der Zahl nach. Ihrem Beobachter geht es indessen bei ihrer Suche ähnlich, wie dem Käfersammler bei seinen Jagden. Er wird Vögel für gewöhnlich nicht häufig sehen, ohne ihre Lieblingsplätze zu kennen, oder sich für längere Zeit im Walde still zur Lauer zu setzen. Von mir bereits in Lunda oder an der Küste bekannten Arten erwähne ich: den schwarz und weißen Palmengeier des Quanza; derselbe kommt viel am Lulua vor. Ebenfalls in der Nähe des Flusses beobachtete ich den kleinen Silberreiher, den Sattelstorch, große Schaaren des Nimmersatts, der grünen Taube (Tricon calva); ferner den Schlangenhalsvogel, Strandläufer, den Madenhacker (Buphaga Africana), schwarze Störche, größere Reiher und Gänse, prachtvoll gefiederte »Nectarinen«. Eine häufige Erscheinung hier sind Nashornvögel, von denen ich vier Arten kenne: eine große Art von der Figur des deutschen Hühnerhabichts, mit schwarz und weißem Gefieder und weißem Schnabel, eine ebenso große, ganz schwarze Art, mit weißem Schnabel, und zwei kleinere schwarze Arten, mit weißer Brust und rothem Schnabel und rothen Beinen, und mit weißem Schnabel und 352 schwarzen Beinen. Diese Vögel fliegen meistens familienweise (zu 4–6 Stück) oder paarweise umher; besonders häufig sieht man die großen, weiß und schwarz gefärbten Vögel, welche mit lautem Gekrächze, ähnlich dem Miau einer Katze klingend, sich in den Kronen der hohen Bäume bemerkbar machen. Der prachtvoll stahlblau gefiederte Turacus cristatus läßt sich auch häufig in den Wäldern hören und sehen, seltener der grüne Corythaix und noch seltener der blaue (Corythaix Schüttii). Höchst seltene Erscheinungen hier sind die des Flötenwürgers (Laniarius aethiopicus), sowie des Gauklers (Helotarsus ecaudatus) und des Schildraben, häufig dagegen sind die Klapperlerche, die schwarze Baumlerche mit weißer Querbinde in den Flügeln, die graue Singdrossel, die kleine schwarzbraune Wachtel, die Nachtschwalbe (Cosmetornis vexillarius), die Eisvögel, Staare u. s. w. An Spechten sah ich ebenfalls mehrere verschiedene Arten.
Die reifen Hirsefelder werden von großen Ketten des gewöhnlichen Perlhuhns und von Schaaren großer und kleiner Weber und grauer Tauben und von dem kleinen, graubraunen Frankolinhuhn, mit rothem Schnabel und Beinen, besucht. Außer dem gemeinen Perlhuhn gibt es hier noch eine größere Art mit einem Schopf und mit hübschem, bläulichem Gefieder. Diese letztere Art scheint mir die von v. d. Decken bei Zanzibar entdeckte; sie ist sehr selten hier, während die gewöhnlichen Perlhühner sehr häufig vorkommen. Graue kleine Grasmücken sind recht häufig, ebenfalls Kukuke und Pirole. Au Erdschwalben gibt es hier mehrere Arten, darunter die größte, eine schwarz gefärbte, mit rothbraunem Unterkörper und langem Keilschwanz, in Gestalt und im Fluge an die deutsche Thurmschwalbe erinnernd.
Erwähnen muß ich ferner noch ziemlich viele Arten kleiner Falken und eine kleine, weiße Weihe, welche sehr an die deutsche weiße Kornweihe erinnert, aber kleiner ist. Den gemeinen Milan sieht man meistens nur einzeln oder paarweise. Eine nicht große Trappe, braungrau gefiedert, mit weißer Binde in den Flügeln, läßt oftmals, meistens einzeln, in der Campine sich sehen. An Papageien kommt hier nur der graue mit dem rothen Schwanze vor. Er ist eine sehr häufige Erscheinung und fliegt meistens paarweise oder in kleinen Schaaren von 10–20 Stück. Seine 353 Lieblingsplätze sind die dichten Kronen der hohen Waldbäume, wo er sich oft in großen Schaaren versammelt und stundenlang krächzend und flötend, gleichsam in fortwährender Unterhaltung, zubringt. An bestimmten überschwemmten Stellen am Lulua sah ich, ebenso vereint, Hunderte dieser Vögel sich baden.
An Raubthieren gibt es hier Leoparden, den kleinen wolfsähnlichen Schakal (von den Portugiesen cão do mato genannt), diverse kleine Wildkatzen und die Hyäne, von welch' letzterer ich indessen niemals etwas hörte oder sah, während die Leoparden in letzter Zeit den Ziegenbesitzern benachbarter Dörfer Schaden zugefügt haben. Der Löwe kommt nicht vor.
Von größeren gefürchteten Giftschlangen kenne ich eine 2–3 m lange, armdicke Viper, hellgrau auf dem Oberkörper und weiß unter dem Bauche gefärbt, und ferner die ca. 1 m lange, handgelenkdicke Puffotter. In den Wäldern sah ich häufig kleinere, meistens grün gefärbte Baumschlangen.
Schmetterlinge gibt es ziemlich viele. Die schönsten Arten birgt der Wald, wo sie auf kleinen Fußsteigen, oder auf Stellen, wo die Sonnenstrahlen etwas Zutritt haben, oft in großer Anzahl umherfliegen. Käfer gibt es ebenfalls ziemlich viele, aber sie halten sich sehr versteckt und sind im Allgemeinen selten sichtbar. Hemipteren, besonders Wanzen, sind in vielen Arten vertreten und überall sichtbar; dasselbe gilt von Schrecken und von Immen, speciell von den Wespen, die, so weit meine Beobachtung reicht, alle Maurer oder Erdbohrer sind.
Ich will meine zoologischen Betrachtungen nicht ohne die Bemerkung schließen, daß die Station von schädlichem Gethier niemals heimgesucht oder belästigt wurde und daß das hiesige Wohnhaus fortdauernd vollständig frei von jeglichem Ungeziefer (inclusive Moskitos) gewesen ist.
Ueber die Baschilange will ich Ihnen heute nur ganz kurz mittheilen, daß dieselben sich in drei große Tribus oder Familien theilen, und zwar in den der Baschilange, deren Wohnsitz vom Kassai bis zum Luebofluß östlich reicht, der Baschilambembele (vom Luebo bis nicht ganz an den Lulua) und der Baschilambua, die das Land östlich bis an den kleinen Muncamba-See bewohnen. Sie gehören zu dem großen Volke der Baluba (Sing. 354 Muluba), welches östlich bis über den Lubilasch hinausreicht (Kanika's Reich) und im Norden von Bakuba und Bassonge-Völkern, im Süden von Lunda und Kauanda-Völkern begrenzt wird. Zu letzteren Völkern rechnet der Dolmetscher Bizerra auch die Tuquete, Tubintsch, Tukongo u. A. Die Söhne des Häuptlings Maiu oder Mai munene (eines nur kleinen Häuptlings), der nahe dem Einfluß des Tschikapa in den Kassai zwischen beiden Flüssen und an den Wasserfällen des letzteren wohnt, nennen sich Bena-Mai und gehören zur Luba-Rasse. Ob die Baschilange eingewanderte Kauanda sind und ihre Geschichte etwa mit den Eroberungskriegen der Lunda und der Entstehung des Reiches Matiamvo's in Verbindung steht, bleibt eine offene Frage.
Wissmann und ich haben den Vorzug gehabt, und ich habe ihn bekanntlich noch, mit einem zuverlässigen und intelligenten Dolmetscher zu reisen, mit dem Ambaquisten Johannes Bizerra Correia Pinto, von den Eingeborenen Kaschawalla genannt, dem einzigen mir bekannten Neger, welchem ich das Zeugniß eines homem honrado ausstelle. Ich bin denn auch Dank seinen Mittheilungen einigermaßen gut orientirt in den hiesigen völkergeschichtlichen Verhältnissen.
Reisen habe ich von hier, außer verschiedenen kleinen Excursionen nach dem Lulua, nicht unternommen. Bei Tschingenge war ich dreimal, traf indessen den Häuptling niemals zu Hause; derselbe war vielmehr immer auf kleinen Handelsreisen abwesend. Bei meiner letzten Anwesenheit in seinem Dorf machte ich einen Ausflug nach einem ungefähr zwei deutsche Meilen südlich von dort im Lulua gelegenen, höchst großartigen und schönen Wasserfall. Der Fluß ist hier von einer unbewaldeten und scheinbar sehr breiten Insel getheilt. Der linke Arm, bis kurz vor dem Falle durch eine bewaldete lange Insel in zwei Läufe gespalten und ebenso weit von bewaldeten Ufern umsäumt, stürzt über ein mächtiges Granit- und Gneisgebilde, das, von Ufer zu Ufer reichend, ungefähr 8–10 m hoch und in einem convexen Bogen über 200 m breit ist. Unmittelbar vom rechten Ufer ausgehend, erhebt sich eine 10 m hohe und 40–50 m breite Terrasse, deren Felsen aus senkrecht gespaltenen und einige Fuß hohen und breiten Blöcken bestehen, die so regelmäßig und 355 horizontal auf einander geschichtet sind, daß die ganze Formation der einer regelrechten, aber steilen Treppe gleicht. Diese Terrasse wird von einer eben solchen zweiten Terrasse getrennt durch eine kleine, schmale, etwas schräg nach dem unteren Bette zu auslaufende, felsige und mit Urwald bedeckte Insel, deren Seitenwände aus schroffen Felsen bestehen. An die zweite Treppe unmittelbar stößt ein jäh abschüssiger Felsenschlund, in welchen zur Zeit ungefähr 20–25 m breit die Hauptwassermassen stürzten. Diese größere Felsspalte ist durch Felsblöcke ganz schmal wieder von einer zweiten solchen Spalte getrennt, in die ebenfalls ca. 10 m breit ein bedeutender Sturz stattfand. Neben dieser befand ich mich auf Felskuppen und Platten, ganz wenig oberhalb des oberen Flusses gelegen, die bis an den Uferwald reichen und ganz allmählich sich nach dem unteren Flußbette zu abdachen. Damals, zur Zeit des geringsten Wasserstandes (Ende August), stürzte der Fluß außer in die beiden Spalten nur von der zweiten Terrasse in vielen hübschen Cascaden hinunter. Immerhin aber gewährte der Fall einen prachtvollen Anblick und gehört zu den schönsten Naturscenen, welche ich jemals gesehen habe. Der Lulua steigt und fällt an manchen Stellen 2–3 m. Zu Ende der Regenzeit sollen alle Felsen des Falles, wie ich gehört habe, von den Fluthen des Stromes bespült werden. Dieser Wasserfall heißt Dipumo, eine generelle Benennung aller Fälle, auch der kleineren, von denen in der Nähe Mukenge's einer östlich und einer nordnordöstlich bei dem Dorfe Mopuja liegt.
Ich kenne nur den letzteren, der allerdings höchst winzig ist, aber auch recht hübsch über Felsbarrièren zwischen Urwäldern dahinbraust. Für Schifffahrt ist der Lulua total unbrauchbar. Sein Bett, welches an beiden Seiten von ca. 50–60 m hohen Hügelzügen eingefaßt ist, welche auf ihrer Höhe ein ebenes, weites Platean bilden und ganz allmählich 2–4 km breit nach dem Flusse abfallen, scheint in einer einzigen Felsader zu liegen. Ueberall tritt Gestein zu Tage, im Flusse selbst, an seinen unmittelbaren und an seinen hügeligen Seitenufern. Ich halte das Gestein für Granit, Gneis, Conglomerate, hauptsächlich Eisenconglomerate, Sandsteine und meistens weiß und gelblich gefärbte Quarze. Die Granit- und Gneisformationen erinnern oft an erratische Blöcke, oftmals treten sie platten- oder kuppenartig 356 einige Fuß hoch oder höher über dem Boden zum Vorschein. Die unmittelbaren Ufer des Flusses sind an beiden Seiten regelmäßig ganz eben, haben eine Breite von einigen hundert Meter, bis die Hügelufer beginnen, und bestehen meistens aus schwarzem lehmigen Boden, ohne im Allgemeinen sumpfig zu sein. Für gewöhnlich findet sich auch hier eine reine Campinenvegetation, d. h. ohne Büsche und Bäume; nur an den der Ueberschwemmung ausgesetzten Stellen zur Zeit der Regen wachsen Sumpfgräser und Blumen, Riedgräser u. s. w., und eine kleine, filzartig den Boden berankende stachelige, sowie eine ebenso dicht rankende kleine, roth blühende Akazie. Der Boden der Uferabdachungen, die von unzähligen bewaldeten Bächen durchfurcht werden, ist regelmäßig ein strenger brauner oder grauer Lehm. Auf den Plateaus selbst wird er dann wieder weniger lehmig, und hier, d. h. auf der Höhe der ganzen Ebene dieser Gegend, tritt nirgends Gestein zu Tage. Es findet sich nur an den Abdachungen resp. in den Wasserläufen. Die Breite des Lulua variirt zwischen 180 und 500 m und darüber, und ebenso schwankt seine Wassertiefe an verschiedenen Stellen zwischen wenigen Fuß bis 7 m und darüber. Der Lauf des Flusses ist förmlich besät mit kleinen und großen, meistens länglich geformten und mit prachtvollem Urwald bewachsenen Inseln, die oftmals einige hundert Schritte breit und unabsehbar lang sind. Unzählige Felsblöcke und weit gedehnte platten- oder kuppenartige Felsbildungen ragen hier und da einige Fuß über den Wasserspiegel empor und versperren stellenweise barrièrenartig seinen Lauf. Gegen Ende der Regenzeit waren indessen die meisten Felsen im Flusse unsichtbar. Die unmittelbaren Uferränder sind stellenweise mit Urwaldgallerien, stellenweise aber nur mit einzelnen Büschen oder Bäumen oder mit Campinengras bewachsen (Cyperngras, Papyrus antiquorum, sah ich nicht eine Stange hier am Lulua); nichtsdestoweniger aber geben namentlich die Inseln dem Laufe des Flusses, von der Ferne gesehen, das Bild eines breit und lang sich dahinschlängelnden Waldstreifens. Fische, unter denen besonders große Welse zu erwähnen sind, gibt es recht viele im Lulua. Krokodile sind selten. Ich sah überhaupt hier im Lulua nur zwei, allerdings 4–5 m lange, die ebenso gefärbt waren wie diese Echsen im Quanza (grau mit schwarzen Flecken).
357 An Metallen wird im Lande der Baschilange nur Eisen gewonnen, welches aus der Gegend des Moansangomaflusses kommt, Kupfer, welches eigentlich nur für Handelszwecke eingeführt wird, kommt aus Lunda in der gewöhnlichen Kreuzform.
Der Kassai führt bei den Baschilange und Tupende den einzigen Namen Sari. Kassai wird der Fluß von den Lunda, Kioque, Bangala u. A. genannt. Die meisten Baschilange verstehen überhaupt nicht den Namen Kassai. 358