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Mit dem Betreten des unabhängigen Afrika's entfalteten wir die deutsche Flagge, die ein findiger Angolaneger, Namens Humba, trug. Stolz wehte schwarz-weiß-roth uns jetzt voran als Zeichen, daß wir das Bereich des Schutzes, den bis hierher nur eine europäische Macht ausüben konnte, verlassen hatten und jetzt auf eigene Kraft dem freien Innern gegenüber angewiesen waren. Da frühere Expeditionen wohl ohne Fahne in diesem Theile Afrika's marschirt waren, wurde die unserige von den Eingeborenen als eine Art Fetisch betrachtet, und wirklich schien sie ihre Zauberkraft zu bewähren, denn unter ihrer Führung gelang es zum ersten Male, vom Westen aus über die Grenze des Verkehrs der Neger hinaus in's unbekannte Innere zu stoßen und die Verbindung mit dem Osten zu gewinnen.
An einem der ersten Tage unserer Reise unternahm ich einen Jagdausflug, um mit einigen Wildtauben die Einförmigkeit unseres 17 Menus zu unterbrechen. Das unschuldige Unternehmen wäre fast verhängnißvoll geworden. Inmitten eines zu Jagdzwecken durch zeitgemäßes Brennen kurzgrasig gehaltenen Platzes stand ein dicht belaubter Baum, dessen Zweige sich bei meiner Annäherung vom Winde nicht gerechtfertigt bewegten. Im dichten Laub gewahrte ich einen Leoparden, der dies Versteck wie die Eingeborenen zu benutzen schien, um durch das junge Gras angezogene Antilopen zu belauern. Obgleich ich nur die Flinte und nur Schrot Nr. 3 bei mir hatte, wollte ich doch die gute Gelegenheit nicht vorübergehen lassen und näherte mich dem Baum behutsam bis auf 15 m. Da ich wegen dichter Belaubung nur einige Bewegungen der schönen Katze wahrnehmen konnte, ohne einzelne Theile unterscheiden zu können, zögerte ich und visirte mehrfach, ohne abzudrücken. Plötzlich ertönte der Angstschrei eines Menschen aus dem Laube. Ein Gewehr fiel zu Boden, und ein Eingeborener, Songoneger, mit einer mantelartig umgehängten Leopardenhaut, ließ sich blitzschnell zu Boden gleiten und starrte mich fahlgrau vor Schrecken an. Bald überzeugte ihn mein freundliches Lachen und meine Gesten von dem Irrthum, und der schlanke, athletische Jäger, ein guter Typus eines Mannes aus dem oberen Songo, begleitete mich zum Lager, wo die Erzählung der von ihm ausgestandenen Todesangst ein schallendes Gelächter unserer Leute hervorrief. Wäre diese Episode tragischer geendet, so würden lange Verhandlungen und mindestens eine hohe Zahlung unsererseits viel Zeit und Waaren gekostet haben. –
Täglich spielten sich im Lager nicht endenwollende, mit Einschüchterungsversuchen und Drohungen verbundene Betteleien von Dorfhäuptlingen ab, denen Pogge, der mit seinem graumelirten mächtigen Bart den Negern großen Respect einflößte und überall für meinen Vater galt, mit unerschütterlicher Ruhe und Geduld begegnete. Zuvörderst kommt ein Neger, der mit lärmender Beredsamkeit die Macht und den Reichthum seines »Soba« in's Unglaubliche übertreibt. Dann folgt der Große selbst mit gravitätischem Schritt und gewichtiger Miene; eine Zipfelmütze oder ein ausrangirtes Militärcaskett bedeckt das edle Haupt. Eine schon ganz mit Palmöl beschmierte Uniform, meistens roth, englischen Ursprungs, umhüllt den nackten Oberkörper und ein Hüftentuch aus bunten Taschentüchern die Beine. Der Regenschirm in allen Farben des Regenbogens darf nicht fehlen.
18 Hinter ihm wird ein magerer, mit Zetergeschrei und Seitensprüngen sich wehrender Ziegenbock dahergezerrt. Dieser und ein Körbchen mit Maniokmehl sind die fürstlichen Geschenke. Nun läßt sich der Herr des Landes auf einer Strohmatte im Lager nieder. Im Halbkreis um ihn gruppiren sich seine Getreuen. Diese berühren auf ein Zeichen des Ministers oder Vorschreiers mit der Stirn die Erde, drücken die innere Handfläche auf den Boden, reiben sich mit haften gebliebenem Sand die Brust und klatschen dann im Takte dreimal laut und immer leiser werdend in die Hände.
Nun beginnt die feierliche Rede des Häuptlings selbst, zu deren Schluß er seine Geschenke überreichen läßt. Da Pogge meistens nicht mehr als Gegengeschenk bewilligte, als den Werth des Geschenkes, so erhielt der Häuptling für gewöhnlich nur 4 Ellen Calico und einige Flaschen halb mit Wasser verdünnten Schnapses, den wir zu diesem Zweck mit uns führten; dies ist Reisenden jedoch nicht anzurathen, da der Genuß desselben die Eingeborenen stets nur zu Mehrforderungen und zu größerer Frechheit veranlaßt. Es werden nun die Geschenke, oder besser gesagt die Bezahlung, betrachtet, nachgemessen und bekrittelt, dann gibt der Häuptling seine Unzufriedenheit zu erkennen, scheitert jedoch meist daran, daß Pogge und ich uns in unsere Hütten begeben und den Unzufriedenen unbekümmert schreien lassen. Geht der Soba, wenn auch unzufrieden thuend, mit dem Geschenke ab, dann ist die Sache als erledigt anzusehen; gibt er sie jedoch zurück, so bedeutet dies Feindschaft oder wenigstens nicht Freundschaft, je nach der mehr oder weniger Respect einflößenden Karawane, und kann man dann noch immer durch eine kleine Zugabe das Verhältniß wieder herstellen, wenn es gerathen erscheint.
Ein schon gebrauchtes einfaches Zelt, das ich durch Zufall an der Küste erstanden hatte, zertrennte ich und verschenkte die Stücke desselben unter die Träger, da in demselben bei Tage eine derartige Hitze und bei Nacht eine so fühlbare Kälte herrschte, daß es völlig unbrauchbar war.
Es sind Laubhütten, im Westen Fundo genannt, die contractlich von den Trägern täglich herzustellen sind, jedem Zelt weit vorzuziehen. Eine solche Hütte wird aus 10 bis 20 m langen Stangenhölzern hergestellt, die zuckerhutartig zusammengestellt werden, durch Gabeln oder Bast oben zusammengehalten, 19 mit Zweigen oder Palmblättern belegt und schichtenweise mit Gras überdeckt. Das Fundo ist frisch und kühl, strömt einen kräftigen Laubgeruch aus, ist völlig regendicht, wenn man von innen Stellen, durch die das Tageslicht eindringt, bezeichnet und überdecken läßt, und schützt des Nachts, mit einer Thür versehen, auch besser gegen die empfindliche Kälte, als ein Zelt. Zelte mit doppeltem Dach sind einigermaßen erträglich und deshalb einem Fundo vielleicht vorzuziehen, weil sie in kurzer Zeit nach dem Beziehen des Lagers fertig sind, während der Bau eines Fundos 1 bis 3 Stunden in Anspruch nimmt, je nach dem mehr oder weniger nahe vorhandenen Material und dem Fleiß der Leute.
Will man für längere Zeit ein Fundo anfertigen lassen, so benutze man nicht Palmblätter, da diese innerhalb einiger Tage mit Eintreten des Vertrocknens von Millionen kleiner Raupen angenagt werden und dann das Innere der Hütte mit Excrementen der kleinen Thiere buchstäblich bedeckt wird.
Schon jetzt, nur 5 Tage nach dem Abmarsch von Matanʒe, machten einige unserer Leute den Versuch, zu streiken. Ein alter Träger aus Angola stieg, als wir uns schon zur Nachtruhe niedergelegt hatten, auf einen inmitten des Lagerplatzes befindlichen Termitenhaufen und hielt an die durch seine Zurufe wach gewordenen Träger eine Ansprache, in der er aufforderte, uns gleich von vornherein so zu gewöhnen, daß wir Rationen vertheilten, wenn die Träger dieses wünschten, und nicht an jedem 12. Tage, wie dies höchst ungeschickter Weise in Malanʒe von ihnen zugestanden sei.
Germano unterrichtete uns, noch während der Alte sprach, vom Inhalt seiner Rede, und es gelang mir, den mich nicht Bemerkenden mit einer schallenden Ohrfeige von seiner Rednerbühne derartig plötzlich zu entfernen, daß ich die Lacher auf meiner Seite hatte.
Bei dem nächsten Marsche beobachtete ich die praktische Art des Führers, ein Verirren nachfolgender Träger zu verhindern. Der Wegkundige verschloß von unserer Straße abführende Steige mit einem Strich, den er mit dem Stock quer über den Seitenpfad zog. Da in Gegenden, wo von den Eingeborenen keine Feindseligkeiten zu erwarten sind, Nachzügler oft stundenlang zurück sind, so ist diese Maßregel sehr angebracht. Im Osten wird der Weg, der von dem Hauptsteig seitwärts zu bewohnten Gegenden 20 abführt, durch Ausheben von Boden mit einem Hackenschlag bezeichnet.
Bei dem kleinen Dorfe des Soba-Moau trennten sich die Karawanenstraßen. Wir biegen nach Südosten ab, während geradeaus der Weg nach Kassanʒe, dem reichen Thal des Quango, dem Lande der handelslustigen, weitreisenden Bangala führt.
Kassanʒe gehörte früher zu Angola. Die Bangala sind eine Kreuzung ausgewanderter Kalundastämme, die sich, nach Westen wandernd, auf die im Quangothale wohnenden Tupende warfen, dieselben theils vertrieben, theils sich mit ihnen mischten. Das rücksichtslose Auspressen von portugiesischen Kaufleuten brachte die Bangala, von denen es früher hieß, daß sie zahm wie Ziegen seien, zur Erhebung. Viele Portugiesen wurden erschlagen, die Besatzung vertrieben und alles an portugiesische Cultur Erinnernde zerstört. Zwei militärische Expeditionen von Angola aus mißlangen, und die Bangala wurden frei, unabhängig, allmählich stolz auf ihre Macht und kriegerisch. Seit jener Zeit erlauben sie Reisenden nicht mehr, auf dem Wege nach dem Innern durch ihr Land zu gehen, da sie, selber Händler, sich nicht durch Weiße den Handel im Hinterland verderben lassen wollen. Reisenden, die von dem Innern aus nach der Küste kommen und sich als Nichthändler ausweisen, wie früher Dr. Pogge und Dr. Buchner, legen sie kein Hinderniß in den Weg.
Ein lichter Hochwald nahm uns auf, der in der Nähe der vielen kleinen Bäche, die alle sich dem Quiʒe zuwenden, dichter und üppiger wird, während bisher die Ufer aller Wasserläufe sumpfig waren und keinen Baumwuchs zeigten. In diesem Wald fällt dem Europäer Mangel an Schatten auf. Es ist früher schon dadurch erklärt worden, daß die Stellung der Blätter eine senkrechtere sei, oder daß die Bäume spärlichere Belaubung hätten; ich konnte aber keinen Unterschied zwischen diesen und unseren heimischen Bäumen in der erwähnten Beziehung finden und glaube, daß die Schattenlosigkeit nur durch den senkrechteren Stand der Sonne bedingt wird. Nur ganz dicht belaubte Bäume spenden in Afrika Schatten.
Im Lager bei dem Dorfe des Soba-Huemba, das wir nach Passage der Bäche Kajongo und Mujilo bezogen, vereinigten sich die Sippschaften zweier erkrankten Träger, um durch ein »Diviniare« den »Fetischero« ausfindig zu machen, der durch bösen Blick oder 21 Wunsch die Krankheit herbeigezaubert habe. Ein älterer Mann erschien, weiß und roth bemalt, inmitten des Lagers, wo sich bald ein großes Auditorium um ihn versammelte. Er wand sich hin und her, zuckte mit Schultern und Kopf, und rief mit halb geschlossenen Augen wie in Verzückung Namen von Trägern aus, die von dem Auditorium nachgerufen wurden. Ab und zu roch er an einem, wie ich mich später überzeugte, geruchlosen, schmutzigen Beutelchen, das kreuzweise mit Kaurimuscheln benäht war, als wenn er hierdurch neue Kraft schöpfen wollte. Ging ihm der Athem aus oder das Gedächtniß, dann rasselte er mit einem unseren Kinderschellen ähnlichen Instrument. Es schien mir, daß die Umstehenden, die von dem Alten scharf beobachtet wurden, keinen der angeregten Namen besonders betonten und deshalb der Zauberer nicht zur Entscheidung kommen konnte.
Er wurde durch einen anderen ersetzt, der unter gleichen Bewegungen und Ausrufen von Namen mit einem Spiegel vor dem Gesicht hin- und herfuhr. Jetzt wurden merklich einige der erwähnten Namen von den Umstehenden scharf betont, Mißtrauensvota, die dem Diviniaro nicht entgingen, und bald war der Fetischero ausgefunden. Bei einem Namen Augusto, der besonders scharf betont war, dessen Inhaber ein finsterblickender, verschlossener Träger war, der meist allein sich seine Hütte baute und, wie wir merkten, an Epilepsie litt, blieb der Spiegel plötzlich vor dem Gesicht des Diviniaro stehen. Er hatte die Züge Augusto's statt der seinigen im Spiegel gesehen.
Bei allen derartigen Vorgängen beobachtet der Bantu-Neger, wo ich ihn auch kenne, nie eine Andacht oder Scheu; es wird geschwatzt und gelacht, aber trotzdem doch fest an den Erfolg des Diviniars geglaubt. Wie man Augusto für seinen Fetisch bestrafte, konnten wir nicht erfahren, wahrscheinlich mußte er an die Erkrankten zahlen.
Am 11. Juni mußten wir wegen Krankheit einiger Träger liegen bleiben. Ein größerer Häuptling, Marimba-Ngombe, machte durch seine stundenlang dauernden Forderungen und Betteleien besonders viel zu schaffen. Er erhielt endlich, nur um das Geschenk eines Ochsen, den er uns gern aufgedrängt hätte, abzuweisen, einen Frack aus gelber Leinewand, 12 Ellen Kattun und 4 Flaschen Schnaps.
Stets nach Südosten marschirend, passirten wir den Quiʒe, nur einige Meilen abwärts seiner Quelle, und lagerten bei 22 Kabiero. Der Quiʒe ist hier 30 m tief eingeschnitten, die Abhänge sind üppiger bewaldet als bisher; die Thalsohle aber ist so sumpfig, daß ein Reitstier, der zu tief eingesunken war, auf die Seite geworfen und vermittelst an den Hörnern befestigter Stricke durch den Sumpf gezogen werden mußte. Durch die vielen Schluchten, die üppige Bewachsung, die vielen Windungen der Pfade und den Aufenthalt wegen Bach- und Sumpfpassagen wurde die Aufnahme des Weges sehr erschwert. Erst nach vieler Uebung gelingt es, aus den ewigen Schlangenwindungen eines Weges durch coupirtes oder wild bewachsenes Terrain eine annähernd wahre Richtung auszufinden. Man thut gut, sich von dem Führer im Vorterrain Punkte, die man später passiren wird, zeigen zu lassen und zur Controle anzuvisiren.
Es wurden jetzt die Märsche etwas länger, sie wurden schon öfters bis 11 Uhr ausgedehnt. Wegen 5 Kranker blieben wir abermals in Kabiero, wo gerade das Fest der Beschneidung stattfand. Die ganze Nacht hindurch tönte der melancholische Gesang von dem Ort der Ceremonie, einer Urwaldschlucht, aus zu uns herauf; es ist streng verboten, die Stelle zu besuchen.
Die Massongo haben nach und nach etwas Typisches angenommen. Die Männer sind groß und schön gebaut, ohne Schmuck und Verunzierung, während die Weiber geradezu abschreckend sind. Klein, mit auffallend an den mongolischen Habitus erinnernden Zügen, beschmieren sie den Körper mit Oel und rothem Thon, tragen als Haarschmuck selbstgemachte plumpe Thonperlen und Messingblättchen. Die Häuserform hat auch einen reinen Styl angenommen und ist nicht mehr mit Lehmgebäuden, wie in Angola Sitte, untermischt.
Wir überstiegen nun die Wasserscheide zwischen dem Quiʒe, der zum Quanza geht, und dem Lui, der dem Quango zufließt, mit einer absoluten Höhe von 1260 m, stiegen dann hinab zum Kubango und Kibanse, durch smaragdgrüne, kurzgrasige, aber gefährlich sumpfige Niederungen eilende Bäche.
Wir sind im Flußgebiet des Kongo; der Kibanse ergießt sich in den Lui, dieser in den Quango, letzterer in den Kassai, den größten der Nebenflüsse des Kongo.
Die Wasserscheide zwischen den zum Kongo und zum Quanza abfließenden Bächen, der sich unser Pfad in allen Windungen anschloß, führte oft über nur 20 m breite Sättel.
23 Am Rande des Thales des Luari lagerten wir bei Mutu a Ngengo. Wir fanden eine Versammlung von 8 Häuptlingen, die den Streit Mutu a Ngengo's mit einem benachbarten Häuptling schlichten sollten. Die Bettelei der versammelten Großen währte bis Abends 9 Uhr. Der bedeutendste der Anwesenden, ein uralter, runzliger Fuchs, Chaka-Nbunsch, Katumba-Katende oder Soba-Patti genannt, ließ uns natürlich nicht mehr aus den Fingern. Er geleitete uns zunächst bis zu seinem Dorfe. Der ganze Tag wurde mit Ueberreichen elender Geschenke und Stellen unverschämter Forderungen von Seiten der Häuptlinge, fortwährendem Abwehren oder Zugeben unsererseits ausgefüllt.
Ganze Schaaren von Häuptlingen von weit umher treiben sich im Lager herum, überall hört man das Erstaunen ausdrückende »Auá, auá«, und den Bewunderungsruf »A Mama« d. i. »Ach Mutter«, mit dem die Lästigen im Lager Alles bewundern, um gleich darauf zu betteln.
Die Gegend ist sehr schlangenreich, einige Puffottern, Vipera arietans, wurden getödtet und mehrere Baumschlangen von den Trägern in's Lager gebracht. Zwei der eifrigsten unserer Jäger schossen Zwergantilopen, Cephalophus, hier Kassesch genannt, und brachten uns eine Abwechslung von dem seit Malanʒe ununterbrochen auf unserer Tafel prangenden Ziegenfleisch.
Die Leute in Angola haben ihrem Patron oder ihren Häuptlingen stets ein Hinterviertel des erlegten Wildes abzugeben und erhalten dafür eine Ladung Pulver. Ist das Wild mit einem fremden Gewehr geschossen, so gebührt dem Eigenthümer der Waffe die Hälfte der Jagdbeute.
Der Luari ist ein Bach von 25 m Breite und 22 m Tiefe, hat sehr kaltes Wasser und stürzt sich über vielfach anstehenden dunkelrothen Sandstein in zahllosen Cascaden.
Schon seit Malanʒe, seit dem Tage, an dem sich Pogge drei Zähne hatte ausziehen lassen, hatte er über Schmerzen im Kinnbacken geklagt. Jetzt zeigte sich der Grund. Die rechte Seite des Kinnbackens war inwendig ganz in Eiterung übergegangen, Knochensplitter lösten sich ab und waren täglich zu entfernen. Es war nicht abzusehen, wie weit der Bruch des Knochens reichte. Der Arme konnte sich nur mit breiartigen Suppen nähren. In diesem Klima schien eine derartige Entzündung sehr gefährlich, besonders da seit einiger Zeit wiederholt kleine Fieber den Kranken schwächten.
24 Am 19. Juni lagerten wir in Miongo, dicht am Loʒebach. Wir mußten Nachts selbst Ronde gehen, um die Weiber zu verjagen, die aus dem Dorfe in's Lager kamen, denn schon mehrfach waren Streitigkeiten und Strafezahlungen unserer Träger an die sich eifersüchtig stellenden Gatten vorgekommen. Der schlaue Songo sendet oft sein Weib am Abend in das Lager eines Händlers und wartet in der Nähe verborgen, bis der Verabredung gemäß, wie um zu handeln, sich die Schöne in die Hütte eines Trägers begeben hat. Dann erscheint er sofort, um den Träger wegen Verführung seines Weibes anzuklagen und von ihm, je nachdem die Karawane groß oder klein, friedlich oder dreist auftretend, Bezahlung für das »Milongo« zu fordern.
Noch eine andere Art schlauer Erpressung wurde uns bekannt. Ein Träger fand im Wege ein Messer, hob dasselbe auf und steckte es zu sich, um den Eigenthümer später zu ermitteln. Ein in der Nähe versteckter Songo sprang hinzu, behauptete, das Messer für einen Augenblick dorthin gelegt in haben, und beschuldigte unseren Träger des Diebstahls.
Vom Lager bei Kabele, in dem uns der fast bewußtlos betrunkene Häuptling mit ewiger Bettelei belästigte, unternahm ich einen Ausflug nach dem Berge Bessa, von wo ich eine weite Aussicht nach Süden in das vom Ʒomboflusse durchströmte, wellige, bewaldete Gebiet des hohen Songo hatte. Am Hange dieses Berges markirt sich genau die Grenze des auf horizontal geschichtetem, eisenhaltigem Sandstein liegenden Laterits, der in West- und Centralafrika vorherrschenden porösen, aus eisenhaltigem Thon und Sandstein bestehenden Erde.
In das Thal des Lui hinabsteigend, gaben tiefe Erdstürze, die rothen Sandstein zeigten, an deren Fuß Quellen mit üppiger Vegetation hervortraten, dem monotonen Savannenwalde eine lebhafte Abwechslung.
Es fiel mir auf, daß wir einen durch Terrainverhältnisse nicht bedingten großen Umweg gemacht hatten. Auf Fragen wurde uns bedeutet, daß in dem umgangenen Walde die furchtbare Nʒio-schlange hause, die, auf den Bäumen lauernd und von da herabstoßend, durch einen augenblicklich tödtlichen Biß schon manchem Wanderer verhängnißvoll geworden sei. Die Eingeborenen wissen, daß der Python, hier Moma, nicht giftig ist, und behaupten dennoch, 25 daß die giftige Nʒio die Moma an Größe übertreffe. Die Erzählung erinnert an unsere Drachenfabeln.
Die Wasserläufe sind jetzt zum Theil bis 50 m eingeschnitten, die Hänge wild bewaldet, die Bäche jagen ihr krystallklares, kaltes Wasser mit starkem Gefäll über ein reines, weißes Sandbett und laden zu einem erfrischenden Bade im tiefen Schatten der überhängenden Bäume ein. Die erste Palme seit dem Verlassen des Quanza, die wilde Dattelpalme, hier Karima genannt, wird beobachtet.
Zwei Träger waren uns entflohen und hatten zwei Gewehre und ein Stück Zeug mit sich genommen. Um vor Nachahmungen abzuschrecken, sandten wir einen unserem Dolmetscher Germano durch Heirath verwandten Häuptling mit seinen Leuten aus und versprachen hohe Belohnung für Einfangen der Deserteure.
Die Vereiterung von Pogge's Kinnbacken griff immer weiter um sich und hatte jetzt schon den Verlust von mehreren gesunden Zähnen zur Folge. Es hatten sich, vielleicht in Folge der schlechten Nahrung, Dysenterieanfälle eingestellt und meinen armen Freund derartig geschwächt, daß er auffallend alterte. Er war schon vom einfachen Ritt auf dem Marsche so ermüdet, daß er sich gleich niederlegen mußte, ja so schwach, daß er nur mit Mühe sich im Sattel halten konnte: ich war daher sehr besorgt, ob er bei diesem Leiden die Strapazen der Zukunft überstehen würde. Fast täglich entfernte ich ihm mit der Pincette Knochensplitter, curirte ihn nach seiner eigenen Angabe auf Dysenterie und Fieber und gab ihm, da er trotz aller Schwäche nicht schlafen konnte, mehrfach Morphium.
Der Lui führt sein schönes, klares Wasser in Cascaden über Felsplatten in pfeilschnellem Lauf nach Norden, dem Quango zu.
In der Nacht zum 23. wurde ein Diebstahl von 13 Stücken Zeug mit außergewöhnlicher Frechheit ausgeführt. Ein Packet zwischen den vor unseren Hütten zusammengelegten und mit Gras bedeckten Lasten wurde aufgetrennt und das Zeug herausgezogen. Alle Untersuchungen, die wir noch mehrere Tage fortsetzten, führten zu keiner Entdeckung.
Viele Spuren der schönen Pferdeantilope, Hippotragus niger, hier Palanka, und anderer kleineren Arten verlockten mich zu einem weiteren Jagdausfluge von Chabukabuka aus nach Süden, und 26 wollte ich mit meinem Führer gleich zu dem nächsten Lagerplatz bei Mbala-Kabita, wohin Pogge mit der Karawane gehen wollte, stoßen. Statt mit Jagdbeute kam ich am Abend mit einem weißbärtigen Greise, den ich in einem kleinen Dörfchen angetroffen und der mich außergewöhnlich gastfrei aufgenommen hatte, im Lager an. Unser Erstaunen war nicht gering, als sich der Alte als Mirimberimbe, der bedeutendste Häuptling der östlichen Massongo, und als berüchtigter Wegelagerer entpuppte. Uns gegenüber benahm sich der Alte, wie auch Mbala-Kabita, sein Unterhäuptling, den Pogge von seiner Reise zum Muata-Jamvo kannte, für einen Songohäuptling außergewöhnlich anständig.
Ein Versuch, am nächsten Tage auf Büffel zu Schuß zu kommen, mißglückte ebenfalls.
Um vor unserer Abreise noch ein Anerkennungsgeschenk zu erhalten, erschien plötzlich in der Nacht der leicht angetrunkene Mbala-Kabita und warnte unsere Träger in weit schallender, lauter Rede vor Diebstählen von Seiten seiner Leute, für die er nicht verantwortlich sein wollte. Der so erstaunlich für unser Wohl Besorgte hatte selbst vor 2 Jahren die aus 80 Trägern bestehende Karawane eines portugiesischen Händlers vollständig ausgeplündert, und wir verstanden nicht, was uns seine Freundschaft, sowie die des alten Oberhäuptlings verschaffte.
Wir überschritten am 26. die östliche Grenze der Massongo und betraten das Land Minungo. Die Bauart der Hütten ist eine andere, die Dörfer reinlicher und das Gehöft einer Familie besonders eingezäunt. Die Männer sind geringer von Statur und höflicher als die Massongo, die Weiber haben nicht das scheue, heftige Benehmen ihrer westlichen Nachbarinnen und sind, obwohl häßlich und durch ausgiebige Anwendung einer röthlichen Thonschmiere, mit der sie Haar und Körper bedecken, verunziert, durch ruhiges, weibliches Benehmen nicht unangenehm.
Das Völkchen der Minungo scheint ein lebhaftes Temperament zu haben, überall hört man Lachen und jodelartigen Gesang. Unter einander sind die Leute zutraulicher, freundlicher und weniger ceremoniell als die Eingeborenen bisher. Der Titel eines Häuptlings ist hier »Mona«. Ein solcher wird begrüßt durch mehrmaliges Händeklatschen im Takt und Ausstoßen eines hellen, weit 27 klingenden Geheuls. Die Zeichen tiefer Unterwürfigkeit, wie in Massongo, kennt man nicht.
Der Reichthum an Hausthieren ist gering: Rindvieh wird schon selten, und das Schwein, sonst fast nackt und schwarz, zeigt oft eine blonde oder röthlich wollartige Behaarung. Maniok, das Hauptnahrungsmittel, und Hirse wird zur Bierbereitung (Garapa), das hier stark mit Honig versetzt wird, gebaut. Auch süße Kartoffeln und Erdnüsse wurden angeboten.
Groß scheint der Reichthum an wilden Katzen, Civetten, Schleichkatzen und Mardern zu sein, wie die vielfach zur Kleidung des Mannes verwandten Häute solcher Thiere zeigen.
Das Land der Minungo, nach Westen und Süden von den Massongo, nach Norden von den Bangala und nach Osten von den Kioque begrenzt, ist hügelig, ja bergig zu nennen, durchweg mit lichtem Hochwald und nur spärlichem Graswuchs bedeckt.
Ueberall steht der horizontal geschichtete, eisenhaltige Sandstein an.
Es fällt jetzt, wo wir von den hohen Kuppen oft einen weiten Horizont haben, auf, wie unklar die Fernsicht ist. Es ist dies stets in der Trockenzeit der Fall, und mag mit den Savannenbränden zusammenhängen, besonders wenn man eine gelbliche Dunstschicht rings über dem Horizont erblickt. In der Regenzeit ist die Luft bedeutend klarer, und besonders nach Gewittern die Reinheit der Atmosphäre und die Weitsicht auffallend. Dieser Umstand, sowie das veränderte Bild einer Landschaft bei hohem und bei niedrigem Grasstande macht es äußerst schwer, eine Gegend, 28 die man in einer anderen Jahreszeit passirte, später wieder zu erkennen, und ist das Bild außerordentlich verschieden, ob die Stämme der Bäume bis zu 2 m Höhe im Grase stehen oder frei sind.
Wir überschritten nun die größte absolute Höhe, die ich in der westlichen Hälfte Afrika's berührte; 1450 m hoch war unser Lager bei Kimuri, benachbarte Höhen erheben sich über 1500 m. Erst in Ostafrika, und zwar in Ugogo, traf ich bedeutendere Höhen an, und geben diese beiden höchsten Punkte ziemlich genau die Ränder der Grenzen des gewaltigen Kongobeckens an.
Weiter ging es in südöstlicher Richtung, und wurden die steilen, oft bis 50 m tiefen Böschungen unseren Trägern mit ihren 40 bis 50 kg schweren Lasten gewaltig sauer. Dazu kam noch, daß wir uns oft verliefen, da die Eingeborenen wegen Kriegsgerüchten im vorliegenden Terrain nicht führen wollten. Es zeigte sich die aus großer Anstrengung erwachsende Unlust unserer Leute daran, daß wir, im Lager angekommen, zwei bis drei Stunden auf die Fertigstellung unserer Hütten warten mußten, und dies in praller Sonne, was besonders für den kranken Pogge recht peinlich war.
Wir begegneten am 29. bei Cha i Hemba Flüchtlingen, die mit Hab und Gut nach Westen zogen. Einer von zwei sich feindlich gegenüberstehenden Minungohäuptlingen hatte Bangala zu Hilfe gerufen, und das allein schon war genügend, seine Gegner zum flüchtigen Räumen ihrer Sitze zu veranlassen.
Ein Scorpionsstich, den die Frau unseres Dolmetschers erhielt, wurde durch Anwendung von Ammoniak schnell unschädlich gemacht. Ansichten, daß ein solcher Stich, sowie der Biß des Tausendfußes lebensgefährlich sein könnte, bin ich in Afrika niemals begegnet. Die Neger haben gegen diese Gifte, sowie auch gegen Schlangengifte viele Mittel, von denen einige der Beachtung werth zu sein scheinen, wie ich überhaupt überzeugt bin, daß von den vielen Mitteln, die dem Eingeborenen Afrika's bekannt sind, noch manche für unsere Heilkunde von Wichtigkeit sein werden.
Der Hochwald wird jetzt hier und da von kleinen Prairien, die viele Spuren von Antilopen aufweisen, unterbrochen. Auffallend sind auch die vielen frischen Spuren an jedem Morgen in den Wegen, die auf einen weit größeren Wildreichthum schließen 29 lassen, als nach meinen oder unserer Leute, unter denen einige gute Jäger sind, täglichen Beobachtungen beim Pürschen der Fall zu sein scheint. Wahrscheinlich nimmt das Wild, das am Morgen schwer mit Thau behängte Gras scheuend, gern die Wege an.
Die erste vereinzelte Oelpalme tritt bei Karimba auf, und geht es nun von hier hinab in's Thal des Quango, eines größeren Flusses, den ich im Jahre 1884 viel weiter unterhalb passirte, und dessen große Mündung in den Kassai ich 1885 fand. Der Fluß drängt sich durch ein Sandsteinbett mit großer Schnelligkeit. Bei dem jetzigen niedrigen Wasserstande hatte er eine Breite von 35 m, von der jedoch nur 8 m auf eine 7 m tiefe Rinne kommen, während am linken Ufer 20 m, am rechten 7 m mit nur 0,5 m hohem Wasser bedeckt sind. Das Ufer zeichnete genau, daß in der Regenzeit der Stand auf weitere 4 m wächst. Die Brücke war vor Kurzem weggerissen, sei es durch die Kraft des Wassers, sei es durch die Minungo, wegen der erwähnten kriegerischen Verhältnisse.
Der 1. Juli fand uns bis zum Abend mit Ueberbrücken und Passiren des Flusses beschäftigt. Wir schleppten auf beiden Seiten des 7 m tiefen Einschnitts Steine zusammen und thürmten sie so hoch auf, daß sie 9 m lange Stämme auf beiden Seiten tragen konnten.
An dieser Stelle hatten wir den südlichsten Punkt der ganzen Reise bis hinüber zur Ostküste, nämlich 10° 25', erreicht.
Ein benachbarter Häuptling, Mona-Kandula, der, unzufrieden uns verlassend, drohte, wenn er einen unserer Leute außerhalb des Lagers antreffe, ihn zu binden, wurde von unseren Ʒingaleuten, welche die kriegerischsten unserer Karawane waren, zur schleunigen Entfernung veranlaßt.
Wir stiegen demnächst auf ein dicht bewaldetes Hochplateau und rasteten im Walde. Kandula besuchte uns abermals mit einer Ziege, Mehl und Bananen, nahm jedoch, unzufrieden mit den Geschenken, seine Gaben wieder mit. Auch am nächsten Tage folgte er uns bis nach Mucumbi und erschien mit Honigbier, einem Huhn und Mehl, ging jedoch wie gestern sehr empört von dannen.
Ein Tänzer, Mukisch, versuchte, wie wir später erfuhren, durch seine Tänze, die in plumpen, obscönen Hüftenbewegungen bestanden, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um anderen 30 Leuten Kandula's Gelegenheit zum Stehlen zu geben und auf diese Weise zu einem Durchgangszoll zu kommen, den wir als Gegengeschenk verweigert hatten.
Da viele Minungo mit Bogen bewaffnet im Lager erschienen, veranstalteten wir ein Wettschießen, bei dem die Eingeborenen äußerst geringe Geschicklichkeit im Gebrauche der Waffe an den Tag legten.
Vom Quango aus hatten wir bis Mucumbi, wo wir am 5. Juli Halt machten, östliche Richtung beibehalten, auf einem langen Höhenrücken hin ziehend, der mit von Bienen und Ameisen wimmelndem Hochwald bedeckt ist.
Bald nach dem Abrücken an demselben Morgen hatten sich einige vor mir marschirende Träger um einen Mann, der Ma-Kioque zu sein vorgab, geschaart. Da keiner der anwesenden Träger portugiesisch sprach, konnte ich nur verstehen, daß der Fremde um 2 Ladungen Pulver bettelte, und trieb ihn, über dergleichen Aufenthalt ungehalten, davon.
Kaum war ich im Lager angekommen, so meldete mir ein in fliegendem Lauf herbeieilender Träger, daß die Karawane überfallen und beraubt sei. Mit drei Bewaffneten eilte ich zurück, machte einen Minungo gefangen und nahm ihm das Gewehr ab, um auf alle Fälle eine Geisel in der Hand zu haben.
Als ich auf Pogge traf, der die Karawane mit Germano schloß, erfuhr ich, daß zwei fußkrank zurückgebliebene Träger überfallen, niedergeschlagen und beraubt waren. Ein Mann hatte mehrere Wunden auf dem Kopf, die ihm mit dem verkehrten Ende 31 eines Beiles beigebracht waren; der andere war gewürgt und so mißhandelt worden, daß er die Besinnung verloren hatte. Die geraubten Effecten bestanden in 10 Flaschen Cognac, fast dem ganzen Vorrath an Spirituosen, unseren sämmtlichen Lichtern, Tabak, 3 Stücken Zeug und einigen Effecten der Träger.
Die beiden Mißhandelten hatten, trotzdem sich die fünf Räuber das Gesicht schwarz angeschmiert hatten, genau den Mona-Kandula, der von uns zweimal mit seinen Geschenken zurückgewiesen war, wiedererkannt.
Der Schurke hatte noch am Morgen Pogge beim Ausrücken mit seinem ewig süßlichen Lächeln sauren Honigmeth angeboten. Zu meinem größten Bedauern erfuhr ich erst jetzt, daß der Ma-Kioque, welcher uns am Morgen aufgehalten hatte, uns diesen Hinterhalt des Minungohäuptlings hatte zeigen wollen.
Bis zum späten Nachmittag folgte ich mit 10 Trägern umsonst den Spuren der Räuber. – Wir verabredeten, daß ich am nächsten Morgen mit 20 Gewehren nach dem Dorfe Kandula's zurückkehren sollte, um die Räuber zu bestrafen und eventuell den Verlust wieder einzubringen. Pogge wollte mit dem Rest von 14 Gewehren im Lager bleiben. Da jedoch eine große Anzahl bewaffneter Minungos beim Lager erschien und sich kein Weib zum Verkauf von Lebensmitteln sehen ließ, mußten wir jene Idee aufgeben, denn die getrennte Macht erschien nach keiner Seite hin stark genug.
Wir zogen aus diesem Zwischenfall die Lehre, daß man als Reisender den Eingeborenen gegenüber keine Principien vertreten soll, wenn man nicht stark genug ist, dieselben auf alle Fälle durchzusetzen. Hätten wir Kandula's Gegengeschenk um eine Kleinigkeit erhöht, so würden wir von ihm in Frieden geschieden sein, und er nicht gewaltsam seinen Durchgangszoll zu erlangen versucht haben.
Wir vertheilten nun Munition an die Träger und ermahnten zu geschlossenem Marschiren. Ich ritt stets an der Tête, leitete die Verhandlungen mit den Führern durch den sprachenkundigen Fahnenträger Humba und gab das richtige Marschtempo an, durch einen voranmarschirenden Träger mit schwerer Last; auch übernahm ich die Auswahl der Lagerstelle, während Pogge, der mit dem Dolmetscher schloß, die Säumigen morgens aus dem Lager trieb und Marodeure zum Aufschließen veranlaßte. Während 32 aller Reisen, die wir zusammen machten, behielten wir diese Ordnung bei.
Wir begannen nun eine etwas mehr nördliche Richtung einzuschlagen, da wir einen nicht unbedeutenden Umweg nach Süden gemacht hatten, um nicht mit den Bangala, durch deren Land die directe Straße von Malanʒe nach Kimbundu führt, in Berührung zu kommen.
Auf dem Marsche bis zum Kukumbi weicht der Laterit mehr sandigem Boden, und verschwinden damit sofort die charakteristischen Termitenbauten. Die fleißigen Erbauer dieser oft bis zu 5 m hohen, zackigen Labyrinthe, welche, mit grünen Schlingpflanzen überwachsen, der eintönigen Savannenlandschaft eine angenehme Abwechslung verleihen, brauchen den Thon, den sie nur im Laterit finden, zur Ausführung ihrer kunstvollen Colonien.
Die Quellstellen und die flach eingeschnittenen Senkungen der Bäche sind sumpfig und weisen Raseneisenstein auf.
Wir beziehen jetzt immer Lager im Walde, da die Dörfchen der Minungo seitwärts der Straße liegen. Die angenehme Ruhe eines derartigen »Kilombos«, die nicht durch das laute Feilschen und Schreien der zum Verkauf erscheinenden Weiber und das unausgesetzte Angestauntwerden von den unsere Hütten dicht umlagernden Eingeborenen unterbrochen wurde, störten nur die Belästigungen unglaublicher Massen von Bienen.
Da die Gegend hier wildreicher ist, bringen uns die Träger öfters unseren Antheil an einer erlegten Antilope.
Am 10. stiegen wir in das Thal des 15 m breiten und 4 m tiefen Kukumbi, der sich durch ein schlohweißes Sandbett windend in den Quango ergießt.
Bei der Passage gerieth mein Reitstier Malucko, im Schwimmen abwärts treibend, unter die von uns ausgebesserte Brücke, blieb jedoch zum Glück mit den Hörnern hängen. Nach einstündiger Arbeit hatten wir das Thier gesichert, das sofort mit dem Betreten des festen Bodens ruhig Gras zu rupfen begann. Welch' prachtvolles Temperament für ein Reitthier in afrikanischer Wildniß! Ein Pferd z. B. würde, nachdem es eine Stunde lang zwischen Leben und Tod geschwebt hätte, vor Furcht und Aufregung erkranken und lange an den Folgen der überstandenen Angst leiden.
Aus dem Kukumbi-Thale stiegen wir auf ein sanft gewelltes Plateau mit weiten sandigen Flächen, die nur spärlichen 33 Graswuchs zeigten, und überschritten die Grenze des Landes der Kioque.
Beim Passiren des ausnahmsweise tief eingeschnittenen Kawemba fand ich eisenhaltiges Gestein, und auf dem Plateau beobachtete ich bedeutende Störungen meiner Taschenboussole, die auf ein Vorkommen von magnetischem Eisenstein schließen ließen.
Der 40 m breite Quilu wurde an einer Furt von nur 1,2 m durchschnittlicher Tiefe passirt. Längs seines rechten Ufers zog sich eine Lagune, die in der Regenzeit mit dem Flusse in Verbindung steht, entlang. Seine Mündung in den Quango wurde erst 1887 gefunden; hier behauptete man, er ströme dem Kassai zu.
2 Kioque-Häuptlinge besuchten uns am Abend mit Ziegen, Schweinen, Honigbier und kleinen Bohnen, und wurden höchst befriedigt entlassen. Einer derselben trug sein Haupthaar in vier bis zu den Hüften reichenden Zöpfen, auf die eine europäische Dame hätte stolz sein können; den anderen schmückte ein 2 Fuß langer, zum Zopf geflochtener Kinnbart.
Die bedeutenderen Häuptlinge der Kioque, die weiter im Süden, wo Livingstone sie kennen lernte, sich Kiboque nennen, heißen Mona-Ngana.
Wir passirten den Bango, der sich später mit dem Luschiko vereinigt als Saire-Temboa in den Kassai ergießt, und betraten auf einer schmalen Terrainwelle zwischen dem Loango und Quilubach den ersten Urwald, dessen mächtige Waldriesen, mit einem dichten Geflecht von Lianen behangen, uns in ihre tiefen Schatten aufnahmen. Dichtes Unterholz und der zu einer Höhe von 3 m 34 dschungelartig aufschießende Amomum, der uns durch seine schöne sauersüße Frucht erfrischte, machte ein Eindringen seitwärts des schmalen Pfades fast unmöglich. Wir schwelgten in dem Anblick dieser üppig wilden Natur und dem kühlen Schatten, der eine so angenehme Abwechslung von der gluthzitternden Savanne und dem end- und schattenlosen Hochwald Minungo's spendete.
Nach schwieriger Passage des breiten, sumpfigen Kamlathales lagerten wir beim Dorfe des Mona-Kauila.
Hier bekamen wir einen Einblick in die verwickelte afrikanische Rechtspflege:
Ein Kioqueknabe hatte einem unserer Träger vier Stückchen Tabak gestohlen und war dabei ergriffen. Gleichzeitig ließ ein anderer Träger bei dem Vater dieses Knaben eine Reparatur an seiner Axt ausführen und legte dem Schmiede zu dem Zwecke die Klinge der Axt auf den Boden. Der oben erwähnte bestohlene Träger verlangte nach hiesigem Rechte außer der Rückgabe des Tabaks (welche gleich erfolgte) für das Vergehen von dem Vater des Diebes, dem Schmiede, 7 Stücke Zeug, Gewehr, Pulver &c., einen sehr hohen Preis, weil er früher schon einmal unrechtmäßiger Weise in diesem Dorfe für ein Crimen hätte bezahlen müssen. Der Kioque-Schmied gestand zu, daß der Träger im Recht sei, dies zu fordern, da er aber ebenfalls für ein anderes Crimen eines unserer Träger, das darin bestehe, daß derselbe ihm die Axt ohne Stiel in die Hand gegeben habe, was hier verpönt ist, Bezahlung verlange, so höbe sich dies gegen das Crimen des Diebstahls auf. Der Träger, der das Eisen der Axt übergeben haben sollte, behauptete, er habe es nicht in die Hand gegeben, sondern auf den Boden gelegt, und brachte den Streit hierüber dadurch zur Entscheidung, daß er erklärte, »Juramento« trinken zu wollen.
Dies ist das bekannte Gottesgericht, bei dem beide im Streit liegende Theile ein Gemisch, »Bambu« genannt, trinken. Wer von den Beiden dies Gemisch zuerst vomirend von sich gibt, ist im Recht. Dieser Vorgang wickelt sich unter vielen Ceremonien und Hinundherreden ab, bis die Entscheidung durch Vomiren eines Theiles erfolgt. Der Schmied, dem dies Anerbieten gemacht wurde und der sich wahrscheinlich der Lüge schuldig fühlte, entfloh mit leeren Ausreden.
35 Jetzt warf sich ein sehr redegewandter Kioque als Richter auf, der für das Vergehen des Diebstahls Bezahlung als rechtsgemäß anerkannte, das Crimen mit der Uebergabe der Axt überging, aber als Gegencrimen aufstellte, daß die Bezahlung für die Arbeit an der Axt, die unterdeß vollendet war, nicht gleichzeitig mit der Uebergabe derselben erfolgt sei. Der Eigenthümer der Axt behauptete, es sei Recht, nach vollendeter Arbeit zu zahlen. Dies wies der Richter aber ab und entschied, daß der Schmied auf die Bezahlung für die Arbeit (eine Ladung Pulver) verzichten müsse, der Eigenthümer der Axt aber diese Pulverladung dem bestohlenen Träger übergeben müsse. Nach längerem Disput wurde das Milongo schließlich nach seiner Meinung beigelegt. Der Kioque-Rechtsanwalt sprach gewichtig, scheinbar sehr gewandt überzeugend, mit vielen bekräftigenden Gesten, er wandte sich immer an den Theil, zu dessen Gunsten er gerade sprach, und wurde von diesem mit Händeklatschen im Takt und Gestöhn der Zufriedenheit, von der Gegenpartei mit Grunzen des Mißbehagens begleitet, unterbrochen wurde er nie. Zum Schluß ist noch bemerkenswerth, daß die Gerichtskosten an diesen Sprecher auch hier in Afrika größer waren, als das Streitigkeitsobject: sie bestanden in einem Huhn und zwei Ellen Zeug, die allerdings der Theil, für den die Entscheidung zufriedenstellend ausgefallen war, also seine Landsleute, bezahlen mußten.
Am 19. überschritten wir den Paessubach, der von einem 1000 m breiten Gürtel einer saftig dunkelgrünen Niederung eingefaßt wird. Wellenartig bewegte sich die trügerische Decke beim Passiren der Träger. Wo dieselbe zerriß, warfen sich die Leute mit ihrer Last vornüber, um eine größere Tragfläche zu gewinnen. Die armen Reitstiere hatten trotz der Hilfe aller Träger furchtbar zu arbeiten, und so dauerte die Passage dieses Baches, der vor einigen Jahren das Verderben mehrerer Reitstiere des Dr. Pogge geworden war, bis zum Abend.
Von dem Lager bei Mutu a Mbao (Kopf des Büffels) machte ich einen Ausflug, um einige der häufigen Savannenhühner für unser schon seit langem jeder Abwechslung entbehrendes Mahl zu liefern. Von weitem gewahrte ich einen großen Schakal am entgegengesetzten Ufer eines Baches langsam auf mich zukommen. Das Thier hatte mich nicht bemerkt. Es erinnerte mich in seinem Gebahren ganz an unseren Fuchs. Wie es vorsichtig nach allen 36 Seiten sicherte, dann die Nase am Boden dahintrottete, bald mit der Pfote scharrend eine Stelle näher untersuchte, bald eine Bewegung in den Binsen aufmerksam studirte, glich es völlig unserem verschlagenen Reinecke, war jedoch viel größer von Statur, einem Windhunde gleichend, und hatte bei bräunlicher Färbung einen breiten hellgrauen Streifen auf jeder Seite, der ihm den Namen »Streifenwolf«, Canis adustus, eingetragen hat. Da das schöne Thier schon auf 60 m vor mir abbog, versuchte ich es mit Schrot Nr. 3 zu strecken, veranlaßte es jedoch nur zur Flucht in langen Sätzen.
Gegen 4 Uhr Nachmittags entstand im Lager unter den zum Handel anwesenden Eingeborenen und Trägern eine höchst komische Panik. Wie auf ein Zeichen stürzte Alles schreiend, lachend und scheltend, mit den Händen um sich fuchtelnd, aus dem Lager, das plötzlich bis auf zwei schreiende und an ihren Stricken reißende Ziegen verödet war. Pogge und ich gewahrten jetzt von unseren Hütten aus, daß ein erzürnter Bienenschwarm, der in der Nähe ausgeräuchert werden sollte, sich rachesummend auf das Lager geworfen und alles Lebendige rücksichtslos angegriffen hatte. Wir schlossen die aus Gras und Ruthen verfertigten Thüren unserer Hütten und mußten wohl oder übel im Dunklen verweilen, während unsere Leute von weitem ärgerlich oder schadenfroh lachend das Ueberkochen des auf dem Feuer brodelnden Abendgerichts mit ansehen mußten. Eine halbe Stunde dauerte es, bis die erzürnten kleinen Helden sich von dem eroberten Schlachtfelde zurückzogen, und die Träger, sich vorsichtig nähernd, nachsehen konnten, was noch von der Abendmahlzeit zu retten sei.
Wir hatten das Land der Makosa betreten, das als Enclave im Gebiet der Kioque liegt. Der Oberhäuptling Mona-Kimbundu ist dem Muata-Jamvo tributpflichtig. Die Makosa sollen ein hier hängengebliebener Theil jener Kalundahorden sein, welche mit den von ihrem Vater vertriebenen Söhnen eines früheren Muata-Jamvo Kassanʒe eroberten und, mit einem Theile der unterjochten Tupende vermischt, die Bangala bildeten. Sie haben jedoch inmitten der Kioque deren Sitten und Gebräuche angenommen und sich so mit ihnen verschmolzen, daß ein äußerlicher Unterschied nicht auffällt. Nur die Regierungsform ist die in Lunda gebräuchliche geblieben; die Lukokescha und die Moari der Makosa sind mit dem Oberhäuptling fast gleichberechtigt.
37 Am 20. Juli trafen wir in Kimbundu ein und hatten damit unser erstes Ziel erreicht, da unsere Träger nur bis hierher bezahlt waren. Der letzte Weiße, den wir auf Jahresfrist sehen sollten, Herr Saturnino de Souza Machado, der Pogge schon auf seiner Reise nach Muata-Jamvo gekannt und in schwerer Krankheit gepflegt hatte, empfing uns und wies uns einen seinem Hause benachbarten Platz als Lagerstelle an. 38