Hermann Wissmann
Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost
Hermann Wissmann

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Empfang bei Abed-bin-Salim.

Neuntes Kapitel.
In Nyangwe.

Als Pogge und ich das rechte Ufer des Lualaba, das Land Manyema, am Landungsplatze von Nyangwe betraten, geleiteten uns von Abed gesandte Leute zu einem großen Lehmhaus mit breiter offener Veranda (Barsa) und zwei hellen und sechs dunkelen kleinen Zimmern.

Nachdem in den mächtigen Kanoes sehr bald die ganze Expedition gelandet und unseren Leuten einige 20 kleine Häuser angewiesen waren, begaben wir uns mit Kaschawalla zum Besuche unseres Gastfreundes. Als wir uns auf 40 m dem Hause des Arabers genähert hatten, erhob sich dieser und kam uns mit sechs anderen Arabern und Bastarden, Alle in feinen weißen Hemden und weißen gestickten Käppchen, entgegen.

177 Schech Abed-bin-Salim ist ein schlanker, mittelgroßer, schöner Mann von ca. 70 Jahren, mit weißem Vollbart, gelblich-weißer Hautfarbe, scharfem und kühn geschnittenem Gesicht, elastischem Gange und würdigem Benehmen. Die schwarz gemalten Augenbrauen und unteren Augenlider beweisen, daß der Patriarch trotz seines Alters eitel auf sein Aeußeres ist. Wir schütteln uns die Hand, und er ladet uns ein, auf der mit bunt gewirkten Strohmatten und weichen Rückenkissen belegten Barsa Platz zu nehmen.

Schech Abed-bin-Salim.

Mit Spannung folgt man unserer durch Kaschawalla in Bassongesprache, die einige Begleiter des Arabers verstehen, übersetzten Beschreibung unserer Reise. Abed erwähnt die drei anderen Reisenden, die er schon in Nyangwe sah, und spricht sein tiefes Bedauern über Livingstone's Tod aus. Er habe diesen »sehr guten« Mann gekannt und sehr geschätzt; auch Cameron sei ihm ein guter Freund gewesen.

Als wir aufbrachen, begleitete er uns mit seinem Gefolge bis zu unserem Hause und verabschiedete sich. Bald darauf erschienen große Körbe mit Reis und ein Schlachtochse.

Ein hünenhafter, etwas roher jovialer Lebemann, Said Mesrui, der in Tibbu-Tibb's Stadt Kassongo wohnt, machte uns Besuch und bettelte sofort mit großer Vertraulichkeit um Patronen für sein Gewehr.

Noch an demselben Tage besuchte ich den zweiten Großen in Nyangwe, den berüchtigten, kriegerischen, Mtaga-Moio, oder, wie er von den Arabern genannt wird, Muini Muharra.

Muini ist ein Titel, den man reicheren Suahelileuten gibt.

Muharra ist der Vormund und Verwalter der Söhne des verstorbenen reichen Muini-Dugumbi.

Ich wurde überall gut empfangen und, wie üblich, mit Kaffee, Süßigkeiten und Früchten bewirthet.

Als Abends Abed seinen Gegenbesuch machte, legten wir ihm unsere Lage vor und fragten ihn, ob er uns Credit geben wolle, da ich von hier nach Osten gehen würde und in Zanzibar 178 den Credit ausgleichen könne. Zuerst schien der Alte etwas erstaunt und fragte, ob wir denn nicht Gold bei uns hätten; dann aber sagte er zu, nur müßten wir die Ankunft seines von Udjiji mit Waaren zurückkehrenden Sohnes abwarten, da er jetzt gar nichts habe.

Damit war uns ein Stein vom Herzen, und wir versicherten ihm, daß wir uns gern erkenntlich zeigen würden, er möchte mir nur seine Wünsche mittheilen, die ich in Zanzibar, wenn irgend möglich, erfüllen würde.

»Das könnten wir Alles später verhandeln; was aber die Geschenke anbeträfe,« meinte er in rührender Bescheidenheit, »so möchten wir uns nur nicht geniren, wir hätten viele schöne Sachen, und für ihn habe Alles Werth. Auch wir möchten ihn unsere Wünsche wissen lassen, er würde uns Alles, was er könne, gern besorgen,« und das war wirklich keine hohle Phrase; er hielt das Versprechen bis zum letzten Augenblick.

»Was meine Reise zum Tanganjika anlange, so könne ich mich ganz bequem anderen Arabern anschließen, denn in Manyema seien böse Eingeborene, man könne nur in großen Karawanen reisen.«

So waren wir denn unserer ernstesten Besorgniß enthoben und sahen froh in die Zukunft. Pogge wollte die Ankunft der Waaren von Udjiji abwarten und dann mit der ausgeruhten Karawane mit frischen Kräften und neuen Waaren nach Lubuku zu rückkehren und eventuell dort auf Ablösung, die von der Afrikanischen Gesellschaft uns versprochen war, warten; ich wollte mit Hilfe der Araber die Ostküste zu erreichen suchen, um nicht den schon aufgenommenen Weg noch einmal zu machen.

Nyangwe liegt fast genau im Mittelpunkte des Continentes von West nach Ost und ist immer noch die westlichste größere Niederlassung der Araber.

Abed-bin-Salim gründete vor 22 Jahren diesen Ort, dann kam Dugumbi und später Djumma-bin-Salim, wahrend Tibbu-Tibb und andere Araber in seinem Gefolge sich in dem südlicheren Kassongo niederließen.

Die Stadt zerfällt in drei Theile; der nördliche, in dem Muharra commandirt, ist nur von dem mittleren des Abed-bin-Salim 179 durch eine sumpfige Niederung getrennt, und 6 km oberhalb wohnt Djumma-bin-Salim.

Jeder dieser Flecken besteht aus den Häusern der Araber, ihrer Verwandten und Clienten, sowie der Küstenhändler, die sich ihnen angeschlossen haben, und den Sklavenhütten. Die Häuser sind meist in Lehm ausgeführt, mit Gras gedeckt, und haben eine Veranda. Sie sind mit Gärten und Bananendickichten umgeben und liegen in regelloser Unordnung, aber immer die der Abhängigen und Sklaven um die Häuser ihrer Herren.

Es wird nur Reis in Feldern gebaut und in Gärten cultivirt. Alle übrigen Bedürfnisse werden von weit her auf den großen, abwechselnd in jedem der drei Stadttheile tagenden Märkten ausgeboten.

Die gangbare Münze besteht in 0,5 qm messenden Palmenzeugstücken, die Mariba heißen.

Auf den Märkten ist Alles zu haben, was überhaupt in Afrika einen Werth repräsentirt: Sklaven, Vieh, Stoffe, Töpferarbeit, Brennholz, Lebensmittel aller Art, Waffen, Geräthschaften, Schmuckgegenstände u. s. w. Sämmtliche Verkäufer haben, bevor sie ihren Platz einnehmen, einen Marktzoll an die Wächter der drei großen Herren zu entrichten, der im Werthe zwischen 1/6 und 1/10 der ausgestellten Waaren schwankt.

Wie auch bei den großen Märkten unter den Eingeborenen, ist der Marktplatz durch strenge Neutralität gesichert. Streitigkeiten und Gebrauch der Waffe wird streng geahndet. Diese Markttage sind meist auch Besuchstage der Araber, und werden dann Geschäfte und Streitfragen, welche letzteren recht häufig sind, erledigt.

Es ist nicht zu verkennen, daß die Araber, wohin sie auch kommen, eine gewisse culturelle Verbesserung vornehmen, die aber rein egoistisch und so rücksichtslos betrieben wird, daß sie, wenn auch energisch zum eigenen Vortheil durchgeführt, doch zu keinem Segen für die Eingeborenen wird. Von allen Verbesserungen, die hier in Nyangwe auffallen, ist so gut wie Nichts auf die umwohnenden Stämme der Eingeborenen übergegangen, was bei der langen Zeit des Bestehens dieser Niederlassung auffällt, zum Theil auch allerdings der Indifferenz des Negers zuzuschreiben ist.

180 Zwei verschiedene Rindviehrassen sind vertreten; die eine mit mächtigen Hörnern kommt vom Norden des Tanganjika-Sees und scheint der vom Nordosten von den Nilländern vorgedrungenen Rasse anzugehören; die andere kleinere, mit größeren Höckern und schwächerer Hornbildung, kommt von Uniamwesi, wohl vom Südosten, und von Arabien über Zanzibar.

Die Ziegen werden sorgfältig gezüchtet und durch Legen der Böcke außerordentlich große, fette Thiere erzielt.

Das Schaf haben die Araber mit dem von den Somaliländern eingeführten Fettschwanzschaf gekreuzt.

Schweine werden nicht gehalten, obgleich sie drüben bei den verachteten Wagenya gezüchtet werden; ebenso sieht man wenig, weil auch unreine Hunde.

Esel sind eingeführt, und zwar hat die Kreuzung vom Maskatesel aus Arabien und dem eingeborenen von Ostafrika ein außerordentlich schönes Thier ergeben.

Kaninchen sind ebenfalls eingeführt.

Die Hühnerrasse ist durch asiatische und europäische Arten verbessert.

Der Hauptfeldbau erstreckt sich auf den Reis. Die Gärten liefern Zwiebeln, Knoblauch, Kümmel, Tomaten, große Bohnen, Kohl, Gurken und Kürbisse. Der Erbsenbaum ist überall; Melonenbäume, Guayaven, Mango, Orangen, Limonen, Ananas, Anona, Granatäpfel, Bananen und Platanen gedeihen wundervoll.

Da der Kaffee dicht bei Nyangwe nicht sehr gut ist, wird er in Ukussu gezogen. Abed erzählte mir einmal, daß die Wakussu, als er hierher gekommen sei, den Kaffee schon gekannt hätten. Vor vielen Jahren, sagten sie, hätte ein alter weißer Mann, der vom Westen aus gekommen sei, den Gebrauch des Kaffees, der in den Urwäldern von Ukussu wächst (von unseren Trägern zwischen Sankurru und Lomani uns auch oft gebracht war), ihnen gezeigt.

Den besten Tabak lassen die Araber etwas südlich der Ansiedlung Djumma's bauen. Keiner der hiesigen Araber raucht, alle kauen den Tabak, mit etwas Kreide, Betelnuß und einem Blatt verbunden.

Seife wird aus Palmöl, Hammeltalg und der Asche von Bananenblättern hergestellt.

181 Branntwein, der heimlich von vielen Arabern, Bastarden und Küstennegern getrunken wird, bereitet man aus Bananen, Zuckerrohr, Palmwein und Hirsebier.

Einige kleine Industriezweige, die von den Arabern eingeführt sind, bestehen im Herstellen sehr schöner, bunter, geflochtener Matten von 4 bis 5 m Länge und 2 m Breite, als Teppiche verwandt, von Messern mit Elfenbeingriffen und Reparaturen an Gewehren. Alles Uebrige, als Zeuge, Gewehre, Pulver, Papier und schön gearbeitete Waffen, kommt aus Zanzibar.

Von allen Seiten kommen Geschenke, so daß unser Haus einem Victualienladen glich. Ziegen, Schafe, Fische, Früchte, Reis, Reismehl, Honig, Gemüse, süßes Gebäck, Eier und Kaffee schleppte man herbei. Der Genuß des lange entwöhnten Kaffees zog uns Beiden ein kleines Fieber zu.

Am 17. waren wir von unserem alten Gastfreunde zu Tisch geladen. Wir trafen ihn noch beim Gebet, das er erst beendete und uns dann einlud, Platz zu nehmen, um ein vorzügliches Gericht von Reis mit Tauben und dicker Milch, dem süßes Gebäck und Kaffee folgte, einzunehmen.

Wir hatten ihm einige Kleinigkeiten mitgebracht, die sehr seinen Wunsch nach mehr erregten, ein Taschenmesser, ein Bild von Said-Bargasch, aus Stanley's Werk geschnitten, ein Brennglas, einige Ohrringe und Glaskreuzchen für seine Weiber, deren er bald acht herbeirief und sie uns einzeln mit Benennung der Abkunft und des Preises, wie der Pascha in »Fatinitza«, vorstellte. Es waren alles Frauen zwischen 30 und 15 Jahren, meist sehr hübsch. Die ältere derselben hatte ihren Herrn mit drei Söhnen beschenkt, deren erster, 16 Jahre alt und ganz schwarz, jetzt auf dem Wege von Udjiji hierher war; der zweite war völlig weiß, 8 Jahre alt und ein schönes Kind, Salim, nach seinem Großvater benannt, der ganze Stolz des Alten; der dritte Sohn war erst 2 Jahre alt und wieder ganz schwarz.

Der Schech ließ uns dann seinen Reichthum bewundern; 263 Elefantenzähne lagerten aufgestapelt zur Augenweide ihres Besitzers, der nur ab und zu einige nach Udjiji schickte, um die nothwendigsten Einkäufe zu machen, nie aber nach der Küste, denn er ist bei den Indiern in Zanzibar derart verschuldet durch das Anwachsen der Wucherzinsen, die er seit 24 Jahren hat anstehen 182 lassen, daß er mit dem ansehnlichen Vermögen, das das Elfenbein hier repräsentirt, dieselben kaum bezahlen könnteZwei Jahre später wurde er von Tibbu-Tibb auf Befehl des Sultans Said-Bargasch gezwungen, zur Küste zu gehen, und starb, nachdem er seine Schuld nach Möglichkeit abgetragen, fast völlig verarmt..

Nachdem Abed uns noch um etwas Seife, Bleistifte, Papier, Patronenhülsen und Medicin aller Art gebeten hatte, verließen wir ihn unter gegenseitigen Versicherungen großer Freundschaft und dem Bewußtsein, daß wir nicht viel Entbehrliches von hier fortnehmen würden.

Mukenge hatte der alte Schech schon die von mir dem Versprechen gemäß erhaltene Doppelflinte für ein Kuhkalb abgeschwindelt, das bald darauf auf dem Rückmarsche starb.

Am 19. gingen Pogge und ich in einem 24 m langen Prachtkanoe aus dunkelrothem Holz den Strom hinauf, um Djumma-bin-Salim, hier Famba genannt, oder Djumma-Merikani, den Gastfreund Cameron's während vieler Monate, zu besuchen.

Ein mittelgroßer, corpulenter Mann mit graumelirtem Vollbart, der Farbe eines Mulatten und hervorstehenden Augen, machte er den Eindruck eines gutmüthigen Lebemannes. Er hatte seit vier Jahren seinen früher weit südlich gelegenen Sitz bei dem großen Mulubahäuptlinge Kassongo verlassen, war am linken Ufer des Lomani nach Norden gegangen bis zum Lupungu, den wir vor sechs Wochen kennen lernten, und war von da nach Nyangme gekommen.

Auf der letzten Reise hatte er sich eine schwere Gicht geholt; Arm- und Beingelenke, Füße und Hände waren angeschwollen und schmerzten ihn fortwährend. Man sagte, er halte sich, um die Schmerzen zu betäuben, stets im Zustande einer halben Alkoholvergiftung und fabricire einen vorzüglichen Branntwein zu diesem Zwecke selbst. Wir erhielten bald Proben von seiner Kunstfertigkeit als Brenner.

Er ist der einzige Araber, der im Innern Afrika's mit Karawanen, die von der Westküste kommen, meist von Bihé, in Berührung gekommen ist, und bekräftigte unsere Annahme, daß südlich des Lundareiches viele Handelsstraßen vom Osten und vom Westen sich begegnen.

Famba zeigte uns ein Führungsattest, das ihm Lieutenant Cameron, von dem er mit großer Wärme sprach, wie alle Araber 183 und Häuptlinge, die sich dieses englischen Kameraden erinnerten, gegeben, und in dem ihm derselbe sagt, daß er seinen Gastfreund als einen »joly good fellow« jedem Europäer empfehlen könne.

Die Niederlassung Famba's war reinlich und geschmackvoll, die Gärten gut gehalten, das Gras geschnitten und die Wege mit Sand bestreut; die Kaffeebäume waren mit Früchten bedeckt.

Er belud unser Kanoe mit zwei fetten Ziegen und Früchten aller Art, und sausend ging's am Abend mit Stromes- und Wagenyakraft nach Hause.

Der alte Abed bedauerte, daß Famba sich dem Trunke ergeben hätte; er hielt ihn für reich an Elfenbein und sehr gelehrt, da er gut schreiben und lesen konnte, Gaben, die unserem alten Gastfreund zum Spötteln aller Araber versagt blieben.

Tiefmessungen, die ich bei Nyangwe im Lualaba anstellte, ergaben auf der Breite von 1200 m vom rechten nach dem linken Ufer in Abständen von je 200 m . . 8, 10, 11, 6, 8, und 5 m, und dann ein 200 m breites Ueberschwemmungsgebiet von 2 bis 3 m Tiefe. Der Durchschnittsstand also war 8.8 m, 3 m höher als Stanley's Messungen, der zur Zeit des tiefsten Wasserstandes hier war, während jetzt der Fluß fast seinen höchsten Stand erreicht hatte.

Schon am 20. fragte Mukenge an wegen Rückkehr; die Bena-Riamba sehnten sich nach ihrem Lubuku; hier, wo Alles theuer war und sie von den Leuten der Araber als »Waschensi«, d. h. Wilde, behandelt wurden, gefiel es ihnen nicht.

Ich versuchte einige der Westküstenneger für mich zu engagiren, und erklärte ihnen, daß ich sie von der Küste aus mit einem Dampfschiff nach ihrer Heimath senden würde, daß sie ohne Gefahr und Entbehrungen auf einem mächtigen Kanoe, das durch Feuer getrieben würde, schnell über das weite Meer Loanda erreichen würden. Manche sagten mir, daß sie gern mitgehen würden, wenn nur der unheimliche »Vapore«, Dampfer, nicht wäre.

Abends wurde in Nyangwe die Kriegstrommel gerührt; ein junger Araber, mit dem Speer in der Hand, zog an der Spitze einiger Bewaffneter mit der weißrothen Fahne, die in arabischen Lettern mit den Vermerken der blutigen Ereignisse, die unter ihr sich abgespielt hatten, schon fast ganz beschrieben war, durch die 184 Straßen. Morgen sollte ein »Strafzug« gegen einige »Rebellen« abgehen. Die Gleichgiltigkeit der Menge zeigte, daß derartige Ereignisse nicht zu den Seltenheiten gehören.

Unterdeß sind wir unausgesetzt von Arabern und Bastarden belagert, wir curiren auf Syphilis, Schwachhörigkeit, Kurzsichtigkeit, Asthma, Rheumatismus, Magenleiden, kurz auf alle möglichen, wirklichen und eingebildeten Uebel. Jeder Einzelne ist auf einmal schwer krank und klagt und bittet um »Daua«, Medicin: als aber die Herren auch mit Schaaren ihrer Sklaven ankamen, um von dem »Musungu« Heilung zu erbitten, mußten wir unsere schon nahezu erschöpfte Apotheke zuklappen.

Auch Spieluhren, Uhren und Revolver wurden uns zur Reparatur gebracht, wir sollten sie lehren, gute Seife und Pulver zu machen u. s. w., kurz von früh bis spät versuchte man von der Kenntniß des Weißen zu profitiren.

Da bis zum 23. Abed's Sohn mit Waaren noch nicht eingetroffen war und Pogge und die Baschilange drängten, so sollte ich mit Abed nach Kassongo, Tibbu-Tibb's Niederlassung, fahren, um dort wenigstens das Nothwendigste für Pogge einzukaufen. In zwei Kanoes, deren eines Abed mit dreien seiner Weiber, das andere ich mit Humba, der schon jetzt begann in dem hier gesprochenen Kiswaheli zu dolmetschen, inne hatte, ging es gegen den Strom in südöstlicher Richtung den mächtigen Lualaba hinauf.

Wo die Höhenzüge an die Ufer treten, steht ein weicher, gelber Thonschiefer an, der Höhlen, Altäre und Treppen bildet. Quellen rieseln unter einem tiefgrünen Schleier von bis in's Wasser hängenden Schlinggewächsen nieder. Wo die Höhen zurücktreten, liegen weite Lagunen, mit Schilf bedeckt; Uferinseln mit dem unseren Weiden ähnelnden Gestrüpp des Mangelbaumes, das voller Webervögelnester ist, bilden schmale Kanäle. Papyrus und Mariankagras, Schilf und Binsen säumen die flachen Ufer.

Wir lagerten des Abends am rechten Ufer in Kawanga, einer Niederlassung, deren nördliche Hälfte zu Abed, die südliche zu Tibbu-Tibb gehört. Das linke Ufer zeigt ununterbrochen kleine Dörfchen der Wagenya, hinter denen die Höhen des Landes Samba ansteigen.

Am 25. verengte sich der Strom bis auf 800 m, die Ufer 185 und Inseln waren zum Theil mit Urwald geschmückt, aus denen hier und da die nackten Aeste eines sterbenden Waldriesen ragten, dicht besetzt mit Ibissen und Reihern. Der schöne weißköpfige Fischadler zeigte beim Aufsteigen seine glänzenden rothbraunen Schwingen und ließ seinen weit schallenden hellen Doppelschrei ertönen. Sporengänse zogen dicht über den Strom, und weiße Geier kreisten, auf Beute lauernd, hoch über dem regen Leben des tausenderlei Geschöpfe ernährenden Stromes.

Bei der Einmündung des Lambabaches ist unser Ziel erreicht; weiter südlich ziehen sich die Höhen von Lubunda an den Lualaba heran und setzen sich fort in den steilen Kuppen von Usura am rechten Ufer. Wo diese Barrière den Strom durchbricht, sollen drei Wasserfälle sein.

An der Lambamündung erwarteten uns zwei bunt aufgeschirrte weiße Esel aus Maskat; da es jedoch schon zu spät war, brachen wir erst nach einer wegen Moskitos fast schlaflosen Nacht am 26. auf und erreichten gegen Mittag die Stadt Kassongo.

Der Ort liegt an einem sanften Hange nach dem Kakongobach und gleicht einem Bananengarten, aus dem die Häuserchen anmuthig hervorschauen. Der Hintergrund wird von einer Gruppe wunderlich geformter Bergzüge gebildet. Die Häuser sind gut gebaut, zum Theil mit einem weißen Thon oder mit aus Lualaba-Muschelschalen gewonnenem Kalk gestrichen; statt einfacher Stämme tragen breite Lehmpfeiler oder selbst geschnitzte Holzsäulen die Verandadächer. Alle Fenster sind durch Holzgitter geschützt, und massive Thüren, mit Schnitzerei verziert und eisernen Schlössern versehen, ja mit Koransprüchen zierlich bemalt, bilden den Hauptstolz des Besitzers.

Eine lange Allee von Guayavabäumen führt von dem Stadttheil Tibbu-Tibb's über eine Brücke nach dem des Said-Mesrui und einiger anderer Araber.

Abed und ich machen zunächst Besuche bei sechs Vollblutarabern, zum Theil Verwandten Tibbu-Tibb's, unter denen Said-bin-Habibu, Bwana Nsige genannt (der spätere Zerstörer der Station des Kongostaates an den Stanleyfällen), jetzt hier der Erste ist.

Abends besuchte mich ein Träger der »Lady Alice«, Stanley's Boot, das den Entdecker von hier hinabtrug zum westlichen Ocean, und ein Koch Cameron's.

186 Ueberall wurden wir bewirthet und Humba, der mich stets begleitete, mit Gelee, süßem Gebäck, Datteln und Früchten beladen.

Da Abed erst in zwei Tagen mit den gekauften Waaren zurückkehren wollte, machte ich mich am 28. des Morgens auf, um Pogge Nachricht zu bringen, erreichte um 11 Uhr den Strom, wo unsere Kanoes lagen, und Abends 7 Uhr Nyangwe, wo ich Pogge gesund und munter, aber mit vielen Kranken in unserer Karawane antraf. Ich hatte in 8 Stunden 85 km den Strom hinab zurückgelegt.

Am 30. April schon kam Abed zurück, Pogge nahm Waaren, die ich in Zanzibar bezahlen sollte, und bereitete sich zum Abmarsch vor. Die Baschilange beluden sich mit Reis und Salz, die wenigen Lasten, die fast nur aus Sammlungen bestanden, wurden so leicht als möglich gemacht, und Kalamba gab seinen Söhnen Pemba für eine glückliche Rückkehr.

Es hatten sich drei Mann gemeldet, die bei mir bleiben wollten, um mich nach Osten zu begleiten, Humba, mein Fahnenträger und Factotum, ein muthiger, verschlagener Neger, der durch sein Sprachtalent, seine Findigkeit und Furchtlosigkeit mir noch oft unschätzbare Dienste leistete, Joaquim Miranda, ein noch sehr junger, beschränkter, aber leicht zu leitender Mann, und Kawuansa, ein alter, abschreckend häßlicher, plumper, aber muthiger Neger aus Ambriz. Alle Drei behielten ihre Weiber bei sich.

Mein kleiner Diener Pitti und ein anderer Knabe von zwölf Jahren, den ich vor Kurzem freigekauft und Sankurru benannt hatte, vervollkommneten meine Expedition von drei Männern, drei Weibern und zwei Kindern.

Der soeben erwähnte Sankurru war nordwestlich von Nyangwe, in Ukussu, zu Hause und gehörte zum Stamme der Wassongora. Er hatte eines Tages seine Großmutter in einem Dorfe besucht, welches Dumbi, wo sein Vater Häuptling war, benachbart war. Dieses Dorf wurde, während er anwesend war, von den Kriegern Abed's überfallen, Viele niedergeschossen und Weiber und Kinder, unter denen auch mein kleiner Diener war, gefangen und nach Nyangwe gebracht. Ein älterer Sklave, dessen Herr wieder ein Haussklave des alten Arabers war, war der Besitzer des Knaben, der mir durch Lebhaftigkeit und zutrauliches Wesen auffiel. Ich wurde mit seinem Herrn bald über den Preis von 2½ Ellen bunten Calicos und einem alten Regenschirm einig und behielt 187 den kleinen Wilden, der erst vor zwei Wochen seiner Heimath entführt war, da keine Aussicht war, ihn sicher dahin zurückzusenden, bei mirSankurru, der jetzt, 1888, 6 Jahre bei mir ist und alle meine Reisen mitgemacht hat, war zweimal mit mir in Deutschland. Er spricht, schreibt und liest Deutsch, spricht Portugiesisch, etwas Englisch, Kiswaheli und viele Negersprachen, ist ein guter Koch und Dolmetscher und begleitet jetzt meinen Freund, den Dr. Wolf, nach dem deutschen Togolande..

Am Abend vor der Trennung war ich im Lager der Bena-Riamba. Kalamba trat in die Mitte der rings gruppirten Häuser und rief mit gewaltiger Stimme das zum Aufhorchen auffordernde »bantuē, bantuē« (Menschen). Mit einem zweihundertstimmigen »ēh« wurde das Avertissement beantwortet. »Moio - moio munene,« klang es jetzt von Kalamba's Lippen, und wurde der »Gruß – der große Gruß« einstimmig wiederholt. Er fuhr fort: »makelele - tueieko - cu Lulua - cu Lubuku - kabassu babu - tuie - cu maiji - cu maiji calunga - kabassu babu moio - moio a ngila - tō wolah« Jedes Wort wurde donnernd und schlagfertig zweihundertfach wiederholt. Es war der Abschied der Bena-Riamba und bedeutete: »Gruß, großer Gruß (moio heißt eigentlich »Leben«) – morgen – morgen wollen wir gehen – nach dem Lulua – nach Lubuku – Kabassu Babu (ich) – geht zum Wasser – zum Geisterwasser (Meer) – Kabassu Babu Gruß – Gruß auf den Weg – tō wolah - (Schlußformel: ich habe gesprochen.)

Des Abends besprach ich unter vielem Anderen noch mit Pogge dessen nächste Schritte. Er wollte von mir meine Meinung hören, ob er in Lubuku auf die versprochene Ablösung von Deutschland warten solle, oder nicht. Ich rieth ihm ab, da er nicht hinreichend Waaren habe, seine Gesundheit nicht mehr die kräftigste sei, und in Lubuku Nichts mehr zu thun sei; eine Karawane, die auch nach seiner Abreise von dort hinkommen würde, würde jetzt gewiß gut aufgenommen werden.

Mit dem 4. Mai war der Tag der Trennung von Pogge gekommen. Mit schwerem Herzen verabschiedete ich mich noch einmal von Mukenge, der tapferen Meta und den kindlich vertrauensvollen Söhnen des Riamba, bevor die mächtigen Kanoes die über ihren Heimmarsch Jubelnden hinüberbrachten über den trennenden Strom.

188 Pogge allein war noch am diesseitigen Ufer, und unvergeßlich wird mir diese kurze Zeit sein, die ernste Gespräche über unsere beiderseitige Zukunft ausfüllten.

Abed, der auch noch an der Hafenstelle war, ward ungeduldig, daß die Kanoes nicht wiederkehrten, um Pogge zu holen. Einige auf dem Flusse passirende Kanoes, welche Weiber von den Märkten nach ihrem Heimathsdorf bringen sollten, ließen sich durch Anrufe des Arabers nicht stören. Abermals wollte sich ein derartiges Fahrzeug durch die Flucht dem Anrufe von Abed entziehen, als der Erzürnte zweien seiner Leute den Befehl ertheilte, dasselbe herbeizuholen. Mit dem Gewehre in der Hand sprangen dieselben in ein kleines leichtes Kanoe und schossen wie ein Haifisch mit wüthenden Ruderschlägen dem Flüchtling nach. Als sich die Verfolger bis auf 20 Schritt genähert hatten, riefen sie zweimal die Wagenya an und feuerten, als dies erfolglos blieb, sofort auf dieselben. Wir sahen, daß die Schüsse Erfolg hatten; einige fielen nieder, und die Ruder wurden eingezogen. Bald landeten beide Kanoes vor uns, zwei Schwerverwundete und ein nur am Arme von den mit Rehposten geladenen Gewehren Getroffener wurden ans Land gebracht.

Abed war diese Blutscene wohl unsertwegen peinlich, und ließ er die energischen Jäger erst mit harten Worten an, dann aber, als ihm diese sich verantwortend mittheilten, daß die Wagenya spöttisch auf seine Befehle geantwortet hätten, ließ er die Kanoe-Insassen prügeln, wozu sich auch sofort einige Begleiter des Alten bereit fanden. Nur ein Mann, der unter dem Kanoe durchtauchend sich in dichtes Schilf rettete, entging einer nachdrücklichen Prügelstrafe.

Pogge und ich waren über den vorschnellen Gebrauch der Waffen sehr empört und ließen dies dem Alten merken. Er antwortete uns, daß die Wagenya frech und hinterlistig und nur durch Furcht im Gehorsam zu erhalten seien.

Das kriechende Benehmen der Geprügelten, die jetzt meinten, die Verwundeten hätten sie zur Flucht verleitet und hätten nun ihren gerechten Lohn, machte einen widrigen Eindruck und schien dem alten Araber Recht zu geben; denn nur mit Güte solche Menschen zu behandeln, war wohl unmöglich.

Unter dem Druck dieser häßlichen Scene wurde unser Abschied ein kürzerer. Ein Lebewohl und ein fester Händedruck, und hinüber 189 nach Westen trieben die Wagenyaruderer meinen Freund; seit einem Jahre hatten wir zusammen an demselben Werke gearbeitet, mit jeder Fiber dasselbe Ziel erstrebt, Sorgen und Entbehrungen zusammen getragen, Gefahren und Krankheiten zusammen durchgekämpft und überstanden.

Abschied von Pogge.

Eine wunderbare Trennung inmitten des finsteren, weiten Welttheiles!

Werden wir uns wiedersehen? Werden wir Beide, oder wer von uns wird die Heimath begrüßen?

Er ging zurück in die Wildniß, begleitet von vertrauensvoll zu ihm aufsehenden wilden Kindern; ich stand vor einer unbekannten Zukunft, mit vier Menschen, denen ich mich verständlich machen konnte, inmitten halbwilder Sklavenjäger, deren Wirken die östliche Hälfte des Continents zu einer halb entvölkerten Wildniß gemacht hat.

Schweres lag noch vor uns, aber mit der Gesundheit, in deren Besitz wir Beide uns getrennt hatten, fühlten wir uns Allem gewachsen.

Dort verschwand das Kanoe im Schilf des linken Ufers, noch einmal sah ich es schwarzweißroth winken, dann drehte ich mich um, fuhr mit der Hand über die Augen, um abzuschließen mit dem, was mir das Herz bewegt, und wandte mich entschlossen dem Osten entgegenDer weitere Verlauf von Pogge's Unternehmungen findet sich im zweiten Theile dieses Werkes..

Da unser Bekannter von Lufubu, Sahorro, in nächster Zeit zum Tanganjika-See wollte, schloß ich mit ihm ab, daß er mir Träger stellen sollte, und sandte dann von Abed gekauftes Baumwollenzeug nach Ukussu, um dafür Mariba, die in Manyema als Tauschartikel gehen, einkaufen zu lassen.

In der Nacht vom 6. zum 7. wurde die Stille durch ein nicht enden wollendes Gewehrfeuer unterbrochen. Said-bin-Abed, meines Gastfreundes Sohn, war von Udjiji heimgekehrt und meldete sich der Sitte gemäß durch Schießen an.

Am nächsten Morgen machte er mir seinen Besuch. Er ist ein schlaffer, schwächlicher, blöder Bursche und bettelt wie ein Neger, dem er auch in seinem Aeußeren gleicht. Der 15jährige Halbblutaraber hat schon einen Harem von zehn Weibern und zwei Sprößlinge.

190 Er hatte, da ihm die Elfenbeinpreise in Udjiji zu niedrig erschienen waren, sämmtliche Zähne wieder mitgebracht und so gut wie Nichts gekauft, so daß ich mir gratulirte, daß wir unsere nöthigen Waaren schon besorgt hatten.

Said erzählte viel von einem englischen Missionar am Tanganjika-See, der ihm viel geschenkt hätte, und Papa Abed war darüber so entzückt, daß er dem Herrn gern Alles, was einem Europäer Vergnügen machen könnte, aber Nichts kostet, durch mich gesandt hätte. Zur Zeit meiner Abreise jedoch hatte sich diese edle Regung schon verflüchtigt.

Eines Tages hatte ich Gelegenheit, die Kraft und Gewandtheit des alten weißbärtigen Schechs zu bewundern. Ein störrischer Esel entzog sich mit unglaublichem Geschick jedem Versuch, geritten zu werden. Der Alte, darüber ärgerlich, sprang selbst auf den Rücken des Thieres, und mit Hilfe von vielen Menschen, die das störrische Langohr zogen, stießen und schoben, gelang es trotz der verzweifelten Sprünge dem wie eine Klette sitzenden Alten, das Thier vorwärts zu bringen, bis sich dasselbe niederwarf, so daß der Reiter einige Schrammen und Quetschungen davontrug.

Wenn der Weg nicht zu weit gewesen wäre, hätte ich das Prachtexemplar als neuen Rigolo für einen Circus mitgebracht.

Zum größten Staunen der Araber nähte ich eines Tages eine tiefe Fleischwunde, die ein eifersüchtiger Ehegatte seinem Weibe mit dem Messer beigebracht hatte. Die Araber schienen diese Art von Wunddressur nicht zu kennen.

Ein anderes Beispiel der Rohheit der in Blutscenen groß gewordenen Sklaven gab mir ein zum formlosen Klumpen zusammengeschnürtes Weib, das ich Abends, von einem Haufen roh lachender Menschen umstanden, entdeckte. Das Weib war zum zweiten Male seinem Herrn entlaufen und sollte in eben beschriebenem Zustande in den Lualaba geworfen werden. Ich durchschnitt sofort die Fesseln, nahm das Weib mit zu Abed, und versprach mir dieser, dasselbe zu vierwöchentlicher Kettenarbeit zu begnadigen.

Er erzählte mir, daß, während Stanley, von dem man geglaubt hatte, daß er von Said-Bargasch beauftragt gewesen sei, über den Stand der Sklaverei zu berichten, in Nyangwe gewesen sei, man sämmtliche in Ketten arbeitende Sklaven hinüber zu den Wagenya gesandt habe; dies sei aber vor den Weißen, die vom Westen kämen, wo man wüßte, daß es Portugiesen gäbe, nicht 191 nöthig, und so wurde ich denn Zeuge eines schwungvollen Menschenhandels.

Interessant ist der Umstand, daß Tibbu-Tibb, nachdem er Stanley bis zu den Fällen gebracht hatte, auf dem linken Ufer des Lualaba zurückmarschirt war und viel Elfenbein und Sklaven mitgebracht hatte. Gleich nach seiner Ankunft in Nyangwe war eine zweite große Expedition mit über tausend Menschen organisirt worden und in die nun bekannt gewordenen reichen Länder vorgedrungen.

Man hatte am Lualaba verschiedene Stationen begründet, und war bis zur Mündung des Lomani, für die man fälschlicher Weise die Mündung eines 1° nördlicher Breite mündenden Flusses hielt, vorgeschritten.

Es hieß, Tibbu-Tibb sei jetzt zu Said-Bargasch nach Zanzibar, um große Unternehmungen nach dem elfenbeinreichen Norden vorzubereiten.

»Wehe jenen armen Völkern!« schrieb ich damals in mein Tagebuch, und es ist jetzt bekannt, daß diese Vorahnung sich in schrecklichster Weise erfüllen sollte. –

Während ich auf die Abreise Sahorro's wartete, machte ich in dem Verkehr mit den Arabern aus der Noth eine Tugend. Ich studirte die für Afrika so wichtige Frage der Existenzberechtigung dieser Völkervernichter. Es ist durchaus nicht richtig, den Sklavenhandel und die Verwüstung durch Muhamedaner nach unserem Gefühl zu beurtheilen und zu richten, denn sowohl Sklaverei, als auch rücksichtslose Ausnutzung des tiefer stehenden Volkes verträgt sich, ja wird sanctionirt durch Glauben und Erziehung der Araber. Der Strenggläubige verabscheut wohl Trunksucht, Unreinlichkeit und Feigheit, sieht aber im Sklavenhandel und der Vernichtung tiefstehender Ungläubiger nichts Verächtliches.

Wir dürfen demnach nicht die Araber als verbrecherische Räuber beurtheilen. Eine ganz andere Frage ist es, ob Europa, das civilisirende, tonangebende, mit ansehen darf, daß wenige Individuen mit einer nicht mehr mit den Anschauungen des Jahrhunderts in Einklang zu bringenden Religion die Allgemeinheit schädigen, Vernichter gleichberechtigter Creaturen werden, die höchsten Güter ihrer Mitmenschen unter die Füße treten, der Moral des weltbeherrschenden Europa Hohn bieten dürfen, wie sie das thun 192 in vollstem Maaße durch Sklavenjagden, Raub und rücksichtslose Verhinderung jeglicher europäischer Concurrenz.

Wie die höchste Mission für Afrika, die dem Neger Leben und Freiheit, Schutz für Weib und Kind, für seiner Hände Arbeit sichert, durchzuführen ist, darüber wurde ich mir erst viel später klar, als ich durch weiteres Zusammenleben mit den Arabern und Kennenlernen der Gebiete, in denen sie hausen, größere Erfahrung gesammelt hatte.

Daß unter Umständen, unter denen der Neger nicht seiner irdischen Güter, die für ihn überhaupt ja die höchsten sind, sicher ist, Missionen des Christenthums unüberwindliche Hindernisse haben werden und selbst die größten Opfer keinen entsprechenden Erfolg haben können, leuchtet ein.

Nachdem ich jetzt sieben Jahre lang mit und unter der auf socialem Kindesstadium stehenden Rasse gelebt habe, würde es mein höchstes Ziel sein, meine Erfahrungen für diese wichtigste Mission verwenden zu können.

Ich habe durch diese Beobachtungen etwas vorgegriffen, denn in der Zeit, die diese Zeilen wiedergeben sollen, durchschaute ich noch nicht so weit die Verhältnisse; ja, das chevaleresque Wesen der Araber, ihr Muth und ihre ausgesprochenen Bestrebungen, sich mir freundschaftlich zu zeigen, ließen mich Manches übersehen. Ich war allein unter ihnen, war auf sie angewiesen, ja völlig von ihnen abhängig, und schrieb zum Theil die Unterstützung, die sie mir gewährten, edleren Beweggründen zu, als ich dies heute thun würde.

Es waren öfters Streitigkeiten zwischen Abed und Mtaga-Moio ausgebrochen. Die Stadt des Letzteren war ein wahrer Pfuhl an Rohheit, Lärm, Rauferei und Frechheit. Die Raublust der wenig disciplinirten Massen von Sklaven hielt fortwährend die ganze Umgegend in Gährung, und so oft Unterthanen Abed's von diesen Uebergriffen betroffen wurden, waren zwischen den beiden Häuptern stets streitige Punkte zu regeln.

Nicht selten legte man mir derartige Angelegenheiten vor, und konnte ich oft Entscheidung herbeiführen. Ja, das Vertrauen zu mir war bald so weit gediehen, daß man einmal nach dem Tode eines Arabers mir alle Kostbarkeiten und Papiere übergab, um dieselben aufzubewahren, bis mit dem Erscheinen aller Verwandten die Erbschaft regulirt werden konnte.

193 An jedem Abend versammelten sich die anwesenden Araber und einige Küstenhändler in Abed's Barsa, und auch ich war stets zugegen. Wir tranken Kaffee; ein junger Araber, das Modell eines Helden mit dem Krummsäbel, schlug die Guitarre, und man sang Schlachtgesänge der al chasuri oder mesrui in Arabien, oder ein des Lesens Kundiger trug Stellen aus dem Koran vor, an die sich dann religiöse Gespräche knüpften, zu denen ich mit Vorliebe herangezogen wurde. Meist trennten wir uns erst um 10 Uhr Abends, aber dann begann der schlimmste Theil des Aufenthaltes in Nyangme. Kaum auf's Lager hingestreckt, beginnen zahllose Heere von Moskitos ihre hartnäckigen Angriffe, Ratten bewegen sich mit unglaublicher Frechheit, rennen über den Leib, ja über's Gesicht, sind nie zu treffen und nur auf Secunden zu verscheuchen.

Eine große graue Ratte mit weißem Bauch ist eine wahre Plage in Nyangwe, und man thut nicht nur Nichts gegen sie, sondern tödtet noch sogar ihren eifrigsten Vernichter, eine kleine Schlange, die man fälschlich für giftig hält. Viele Bewohner Nyangwe's können Narben an Fußzehen und Fingerspitzen zeigen als Beleg, daß diese freche Ratte selbst den Menschen im Schlafe nicht verschont.

Für Nyangwe wird es besser sein, wenn erst die Wanderratte bis hierher gelangt sein wird, denn diese tritt wohl nirgends mit solcher Frechheit auf, wie die hiesige, und es wird wohl auch nicht mehr lange dauern, bis sie, der alle Rassengenossen im Kampfe um's Dasein schnell unterliegen, hier Herrscherin sein wird.

Mein kleiner Diener Pitti war eines Tages verschwunden. Ganz Nyangwe wurde abgesucht, ohne daß man eine Spur fand, und nach 3 Tagen mußte ich mich betrübt über den Verlust der Meinung anschließen, daß er beim Baden von einem Krokodil fortgerissen sei.

In der Nacht des 29. hörte ich die Thür behutsam öffnen, es schlich Jemand durch mein Zimmer in den Vorrathsraum und kehrte gleich darauf zurück. Mit einem Satze war ich aus dem Bett und hielt den Eindringling gefaßt, der sich zu meinem großen Staunen als der kleine Flüchtling Pitti entpuppte. Seit 3 Tagen hatte er in einem benachbarten Maisfelde gelegen und sich nur 194 Nachts einige Bananen aus unserem Vorrathsraum geholt. Er war geflohen aus Furcht vor Strafe, da er verdächtigt war, etwas Pulver entwendet zu haben: seine Unschuld hatte sich herausgestellt, und so wurde ihm auch seine Flucht verziehen.

Am 28. kamen die 1000 Stück Mariba, die ich in Ukussu hatte kaufen lassen, an. Dieselben und ein Säckchen Kaurimuscheln, ein Geschenk Abed's, mußten zur Verpflegung meiner Leute bis zum Tanganjika-See genügen.

Man gibt auf dieser Reise jedem Mann täglich eine Mariba oder 5 Kaurimuscheln zur Ration.

Da ich jetzt reisefertig war und mir Sahorro den endgiltigen Bescheid ertheilte, daß er noch mindestens 4 Wochen warten müßte, entschied ich mich, allein zu reisen, trotz Abrathens der Araber. Schon waren fast 6 Wochen vergangen, und einen weiteren Monat wollte ich nicht verlieren, denn die trockene Jahreszeit rückte heran, wie zweifellos die Federwölkchen, die die schweren Haufenwolken am Himmel schon verdrängten, anzeigten.

Meine Leute litten viel am Fieber; auch ich hatte einige leichte Anfälle gehabt; dies sowie viele Krankheiten bei unseren Baschilange brachten mich zu der Ansicht, daß Nyangwe ein höchst ungesunder Ort ist; auch dieser Umstand trug zu meinem Entschlusse bei, nicht auf die Begleitung des Arabers zu warten.

Für den Preis eines Gewehres für jeden Mann, zahlbar in Udjiji, lieh mir Abed 14 Wakussu-Sklaven als Träger und 10 Gewehre.

Famba schenkte mir einen Reitesel, und der alte Schech, der stets eifersüchtig war, wenn ich von einem anderen Araber etwas erhielt, suchte dies durch das Präsent eines alten, aber noch brauchbaren Zeltes zu überbieten.

Von unserer Expedition hatte ich außer meinen beiden persönlichen Gewehren 3 Chassepots zurückbehalten, und so war ich denn reisefertig mit 17 Männern, 5 Weibern und 2 kleinen Dienern, mit 15 Gewehren, einem Reitochsen und einem Esel.

Die meteorologischen Verhältnisse in Nyangwe entsprachen denen der Westhälfte Afrika's: während im April noch volle Regenzeit herrschte, und ganz außerordentlich schwere Gewitter stets von Osten kamen, begann im Mai schon ab und zu ein westlicher Hauch zu wehen und damit sofort die schon erwähnten Anzeichen der trockenen Jahreszeit zu erscheinen. Auch hier waren 195 für den Eintritt des Wechsels der Jahreszeit Wirbelwinde charakteristisch, auch hier schien der Umschlag der Witterung besonders ungesund zu sein, vornehmlich wohl aus dem Grunde, daß das Fallen der Gewässer sumpfige oder überschwemmte Strecken freilegte und dadurch größere Entwickelung der Malariapilze zur Folge hatte. Meine Westafrikaner waren häufiger und schwerer krank als ich, ein Umstand, den ich auch später noch beobachtete. 196

 


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