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»Das Gewitter scheint sich verzogen zu haben«, sprach Don Alonso Gomez, der sich nach Cuxhaven zurückgezogen hatte, einen soeben erhaltenen Brief weglegend, zu sich selbst. »Zeit wäre es auch, denn noch länger in dieser Zurückgezogenheit, ohne erheiternden Umgang, ohne pikante Unterhaltung zu leben, ist mir unmöglich. Was aber nun beginnen? Woher Kredit schaffen, nun der erste völlig erschöpft und die Quellen, die einen neuen vermitteln können, zu weit entfernt sind?«
Der Mexikaner durchschritt einige Male sein Zimmer, das auf eine öde, jetzt im feuchten Nebel eines Spätherbsttages fast traurig erscheinende Gegend hinaussah.
»Fort muß ich von hier, und selbst auf die Gefahr hin, mich den ärgerlichsten Verwicklungen auszusetzen, will ich es wagen, die Welt wieder zu betreten, die ich nunmehr seit beinahe vier Monaten gemieden habe. Käme nur mein schuftiger Diener zurück! – Freilich betrügt und belügt mich der Spitzbube, so oft er für sich selbst daraus Vorteil ziehen kann, ich darf ihn aber dennoch nicht fortjagen. Keiner schweigt stiller als er, wenn er dafür bezahlt wird, und er kennt mich und mein Leben zu genau, um ihn sich selbst überlassen zu dürfen. Er muß mir also auch fernerhin zur Seite stehen, ich muß ihn dulden.«
Don Alonso Gomez sah in die Landschaft hinaus, die ihm zuwider war. Die Rückerinnerung an das Vergangene trieb finstere Schatten auf seiner Stirn zusammen. Gerade so war die Farbe des Himmels, als er den Anschlag auf Christine ausgeführt, der so ganz gegen alle Erwartung zu seinem Unglück ausschlug. Seit jenem Tage hatte es ihm nicht mehr recht glücken wollen. Sein ganzes Leben gestaltete sich anders. Was bisher daran glänzend, erheiternd gewesen, das verwandelte sich in farblose Langweiligkeit. Und als er nun vollends durch die Entdeckung von Christines Versteck genötigt wurde, dem verhaßten Miguel, der alle seine Schritte kreuzte, alle seine Pläne zerstörte, die früher entwendeten Papiere wieder zu geben, mußte er seine mit so vielem Glück gemachte Eroberung als einen gänzlich verlorenen Posten betrachten. Der namen- und vaterlose Miguel konnte ihm nicht gefährlich werden, der Sohn des einflußreichen, durch seine Familie mächtigen Hohenfels war ein achtunggebietender Gegner.
Dieser Umschwung der Verhältnisse, dem ein Gesinnungswechsel folgen mußte, vertrieb den abenteuernden Glücksritter aus Hamburg. Don Gomez verließ die Stadt, die er in vieler Hinsicht liebgewonnen hatte und in welcher, des großen Weltverkehrs wegen, leichter als irgendwo anders unter Benutzung des günstigen Moments noch immer ein Glück für ihn zu erobern war, mit dem festen Entschluß, nach Verlauf einiger Zeit wieder dahin zurückzukehren. Nötigenfalls konnte er sich ja einen andern Namen geben, einen imponierenden Titel beilegen. Luft und Leben hatten in den letzten Monaten genug an ihm genagt, daß er mit Hilfe der Kunst sein Äußeres glücklich maskieren und so einen ganz andern Menschen anziehen konnte. Es gab in seinem Vaterlande eine Anzahl Namen, die kein Europäer kannte. Die vielen politischen Wandlungen, das heiße Durcheinander keck begonnener und rasch beendigter Aufstände hatte manchen früher unbekannten Namen zu Geltung, Ruf und Ehren gebracht, und wenn ein unternehmender Mann sich unterfing, auf fernem europäischen Boden den Namen eines solchen, nur aus Zeitungsberichten bekannten, Mannes anzunehmen, so war dabei keine Gefahr. Nur Geld mußte man besitzen, glänzend mußte man auftreten, um die leichtgläubige Welt, die sich von jeher durch Reichtum und Flitter bestechen ließ, zu verblenden und gläubig zu stimmen. Leider fehlte dem Mexikaner gerade das Geld. Er hatte zu flott, zu vornehm, zu freigebig gelebt. Sein Kredit war erschöpft und ließ sich nach dem Vorgefallenen, das freilich nicht auf der Straße besprochen und kritisiert wurde, in früherer Weise schwerlich wieder gewinnen. Zu Don Alonso Gomez würde kaum Einer volles Vertrauen gefaßt haben. Darum fort mit dem alten abgenutzten Namen.
Endlich hörte er Schritte und gleich darauf stand Master Papageno vor ihm.
»Du bist der saumseligste Mensch, den ich kenne«, herrschte der Mexikaner den Mulatten an. »Konntest du nicht schreiben, wenn du so lange Zeit brauchtest, einem gewinnsüchtigen Schurken mit funkelnden Worten Herz und Augen zu verblenden? Wie ist's? Bringst du Geld?«
»Nein, aber Er ist da.«
»Wer?«
»Der als letzter Helfer zu ermitteln war.«
»Wo ist er?«
»Unten vor der Tür. Befehlen Sie und er macht seine Aufwartung.«
»Dein Witz ist stumpf geworden in diesem Nebelklima«, sagte Don Gomez. »Im Tal von Tenochtitlan hättest du eher einem reichen Gauner die Kehle zugeschnürt, ehe du dich einem Menschen überliefertest, der jetzt seinerseits an deinem oder vielmehr an meinem Halse diesen Kunstgriff einstudieren kann. Zum Glück ist man hier zu Lande weniger heißblütig, als bei uns, und zeigt man sich nur willig, schließt man geflissentlich die Augen, um sich ungenierter betrügen zu lassen, so verträgt man sich allenfalls wohl auch mit einem verhaßten Feinde. Ruf also deinen Mann.«
Der Mulatte entfernte sich und holte den hilfreichen jüdischen Unterhändler, Geschäftemacher und Spekulanten.
Moses sagte einen kaum hörbaren Gruß, denn er traute dem Handel nicht recht, und wäre der Gewinn, den man ihm bot, nicht gar so verlockend gewesen, so hätte er sich kaum auf ein so gewagtes Anerbieten eingelassen. Nachdem er sich überzeugt hatte, daß Don Gomez allein sei, fragte er mit größerer Zuversicht und offenbar erfreut, daß ihm ein neuer Gewinn bevorstehe:
»Was wünschen der gnädige Herr, daß Sie lassen holen einen schwachen Mann viele Meilen weit bei diesem Wetter?«
»Diese Frage ist überflüssig«, erwiderte der Mexikaner. »Mein Bevollmächtigter hatte Auftrag, dich zu unterrichten. Warum hast du nicht mit ihm unterhandelt und abgeschlossen?«
»Wie kann ich abschließen ein Geschäft mit einem Manne, den ich habe erzürnt, obwohl ich es meinte gut?« versetzte Moses. »Ein Feind ist immer ein Feind und soll ich machen ein Geschäft, kann ich es doch nur machen mit einem Freunde. Also bin ich gekommen mit dem Bevollmächtigten des gnädigen Herrn, um zu fragen, ob er mir noch eine menschenfreundliche Handlung nachträgt, für die ich hätte verdient weit eher Lob als Tadel.«
»Von Vergangenem soll zwischen uns nicht die Rede sein, Moses, und ich will dir nicht zürnen. Kannst du jetzt mit mir ein Geschäft machen?«
»Warum sollt ich nicht! Wovon lebt der Mensch, als vom Geschäft? – Gott, was sollte ich anfangen, wenn es nicht Menschen gäbe von großmütiger Gesinnung, die mich verdienen ließen zuweilen eine Kleinigkeit.«
»Nun ja, lieber Moses«, fuhr Don Alonso Gomez fort, »ich verspreche dir, meine Redeweise nie zu ändern, wenn deine Handlungsweise freundschaftlich bleibt. Sieh, lieber Freund, du würdest mich erfreuen und zu Dank verpflichten, wenn du mir gegenwärtig mit etwas barer Münze aushelfen könntest. Mein Bevollmächtigter hat dich gewiß hinlänglich von meinen Wünschen unterrichtet –«
»Hinlänglich? Ja, so sagen der gnädige Herr. Was aber ist hinlänglich?«
»Sahst du nicht die Papiere, Moses, die mein Bevollmächtigter dir vorlegen sollte?« fragte etwas erstaunt Don Gomez.
»Warum sollt ich sie nicht haben gesehen? Hab sie gehabt in den Händen und hab sie gelesen mit meinen Augen, und ich denke, es sind gute Papiere; man hat doch seine Not mit allem, was heißt Papier!«
»Du fürchtest, sie könnten ihren Wert verlieren? Das sehe ich ein, lieber Freund«, sagte der Mexikaner, »darum eben war mein Bevollmächtigter von mir beauftragt, dir in meinem Namen Wechsel über die betreffende Summe auszustellen, die ich später unterzeichnen wollte.«
»Ja, so hat er gesagt, und darum hab ich auch schon mitgebracht die Wechsel.«
Moses legte Don Gomez zwei Wechsel vor, die bereits ausgefüllt waren, nur die Unterschrift des Mexikaners fehlte noch.
Don Alonso Gomez durchlas die Papiere. Seine Augen funkelten vor Freude, als er die Summe überflog, zu deren Herbeischaffung der gefällige Moses sich bereit erklärte.
»Um dir zu beweisen, lieber Moses, daß ich weniger bedenklich bin, als du, unterzeichne ich diese Papiere sofort«, sprach der geldbedürftige Mexikaner. »Sicherheit, wie du sie nur wünschen kannst, hast du in diesen Papieren. Ich erlaube mir nur noch zu fragen, ob ich das Geld auch sogleich in Empfang nehmen kann!«
»Hab es bei mir auf Mark und Schilling«, erwiderte Moses.
»Die ganze Summe?«
»Die ganze Summe in einem einzigen leichten Papierchen an meinen Wechsler, der es Ihnen bar auszahlt.«
»Du bist ein wahrer Goldmann«, sagte Don Gomez und ergriff es begierig und legte es behutsam in sein Portefeuille.
Moses verabschiedete sich mit den Worten: »Und so der gnädige Herr ist zufrieden mit mir, und ich bin es mit dem gnädigen Herrn, der mich großmütig läßt verdienen ein paar Spezies unter vielen Sorgen und Mühen, will ich jetzt setzen meinen Stab weiter und dem Herrn wünschen von Herzen eine gute Nacht und angenehme Träume. Bleiben Sie gesund!«
Der Mulatte hatte dieser ganzen Unterhandlung stillschweigend zugehört. Jetzt, als Moses sich entfernte, näherte er sich seinem Herrn und sagte:
»Wann gedenken Sie zu reisen?«
»Morgen, wenn es die Witterung erlaubt. Auf jeden Fall bestelle schon jetzt Pferde. Die schnellste Beförderung ist für mich die billigste.«
»Wo befehlen Sie abzusteigen?«
»Wir nehmen vorerst auf dem Lande, nicht gar zu weit von der Stadt Quartier. Etwa in Blankenese. Man kann von da zu jeder Stunde leicht Hamburg erreichen. Auch hat man unterwegs, besonders wenn man die Strecke oft zurücklegt, Gelegenheit, für künftige Tage in der Stille Vorkehrungen zu treffen, um das Glück derer, die uns nicht gewogen sind, nicht gar zu üppig aufschießen zu lassen.«