Ernst Willkomm
Reeder und Matrose
Ernst Willkomm

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3

Unter den Linden am Jungfernstieg flutete ein Strom elegant gekleideter Spaziergänger auf und nieder. Das prächtige Alsterbassin, von einem weichen Südwest kaum bewegt, glänzte blau wie ein Gebirgssee. Zahlreiche Schwäne glitten stolz und lautlos über das flimmernde breite Wasserbecken. Zierlich gebaute Boote mit weißen Segeln und roten Flaggen durchkreuzten die sanft sich kräuselnden Wellen nach allen Richtungen. Eine Anzahl langer Ruderboote, diese von vier, jene von sechs behenden jungen Männern rasch vorwärts getrieben, verschwanden unter der Lombardsbrücke, der breiteren Wasserfläche der Außenalster zu.

Aus den Pavillons am Jungfernstieg hallte Musik. Hier wimmelte es von Gästen, die größtenteils im Freien saßen, um sich an dem fröhlich belebten Bilde, das sich mit jeder Minute neu gestaltete und das reizendste Kaleidoskop großen Weltlebens entrollte, zu weiden.

Das Gewühl auf dieser schönsten Promenade Hamburgs wurde immer dichter, die hin und wieder rollenden Wagen reicher Kaufleute, die ins Theater fuhren, und die glänzenden Equipagen vornehmer und begüterter Fremden, welche in den Hotels am Jungfernstieg Wohnung genommen hatten, mehrten sich dauernd.

Bei Kaffee und Zigarre sahen diesem unterhaltenden Treiben eine Anzahl noch sehr junger Männer zu, die im Innern des Alsterpavillons an einem der Tische in der Nähe der geöffneten Fenster sich zusammengefunden hatten. Sehr elegant und ganz nach der neuesten Mode gekleidet, sah man es ihnen an, daß sie bis jetzt nur die heitere Seite des Lebens kennen gelernt hatten. Ungeniert in ihrem Auftreten, etwas herausfordernd laut, verriet ihr ganzes Wesen den kräftigen Freimut, den stolzen Unabhängigkeitssinn, welcher den eingeborenen Hamburger kennzeichnet und der bisweilen sogar auffallen kann, wenn er die Grenzen seiner Sitte achtlos überspringt.

Die Meisten blätterten in den Zeitungen, ohne sich dadurch in ihrem sehr laut geführten Gespräch oder in ihren Beobachtungen stören zu lassen.

»Nächsten Sonntag gibt es ja ein Diner auf Heidenfreis Landsitz«, sagte einer der jungen Männer, sich eine Zigarre anzündend. »Hat einer von euch das Glück, eingeladen zu sein?«

»Fängt Heidenfrei auch an zu traktieren?« erwiderte ein anderer. »Wie kommt der dazu?«

»Mein Gott, Julius«, sagte der erstere, »stellst du dich unschuldig, wie ein neugeborenes Kind! Er muß, wenn er auch kein sonderlich großes Behagen daran findet. Seine Kinder sind seit vorigen Winter in die Gesellschaft getreten, was freilich die höchste Zeit war, denn die kleine Elisabeth ist über siebzehn Jahre alt und eins der schönsten Mädchen. Nun, und die Söhne brauchens, ihr wißt, weshalb.«

»Freilich«, fiel ein Dritter, den man Anton nannte, ein, »die Söhne müssen wieder europäische Sitten lernen.«

»Das wird schwer halten«, sagte Kurt. »Das Leben an der Westküste Amerikas und später am Golf von Mexiko hat ihnen so gut gefallen, daß sie es lächerlich, töricht finden, unsere lieben vaterstädtischen Gebräuche wieder in ihrer ganzen köstlichen Unverfälschtheit anzunehmen.«

»Also der Zopf gefällt ihnen nicht mehr?« entgegnete Julius heiter lachend.

»Du hast gut spotten«, meinte Kurt, »ehrlich gesagt aber dauern mich die guten Jungen. Ihr wißt, gescheit und unternehmend sind die Heidenfreis alle. Das haben die Söhne vom Alten so gut ererbt, wie seinen Hang zum Sparen, was viele Geiz nennen, und seine Abneigung gegen alles prunkende Auftreten. Die freie persönliche Bewegung aber, die man uns hier nicht nach allen Seiten hin gestattet, am wenigsten dann, wenn Familieninteressen dabei mit ins Spiel kommen. brachten sie als eine neue Errungenschaft aus Amerika zurück, und mit dieser stoßen sie zum Verdruß der Alten und zum Leidwesen ihrer Mutter und Tanten gar zu oft an.«

»Der ärgste Verstoß gegen die heimische Sitte«, fiel Anton ein, »mag wohl die Huldigung sein, welche Ferdinand einem kleinen Mädchen darbringt, das vor kurzem als Gesellschafterin in das Heidenfreische Haus gekommen ist, von guter Geburt, feiner Bildung, sehr hübsch, aber leider blutarm sein soll.«

»Man spricht davon«, versetzte Julius, »doch möchte ich raten, etwas vorsichtig mit der Verbreitung dieses Gerüchtes zu sein. Ulrike ist ein bescheidenes, feines und schönes Kind, das schwerlich daran denkt, einen solchen Goldfisch zu fangen, und Ferdinand wird eher seine Geburtsstadt für immer verlassen, als dem entschieden ausgesprochenen Willen seines Vaters zuwider handeln. – Aber was geht da vor? Seht, die Menschen drängen sich ja wie toll in den Torweg zum ›Hamburger Hof‹?«

Die jungen Leute standen auf, machten lange Hälse und sahen neugierig, wie hundert andere, nach der Pforte des berühmten Hotels, vor welcher einige Droschken neben einer Equipage mit goldbetreßtem Bedienten und Kutscher hielt.

Julius sagte: »Etwas Ungewöhnliches geht vor in dem Hotel, dessen Reinertrag ich jährlich als Taschengeld einstreichen möchte. Seht hin! Die Menge weicht zurück!«

Der dichte Menschenknäuel öffnete sich jetzt wirklich, um zwei schlanke junge Männer durchzulassen, die beide fremdländisch, doch nicht gerade sehr auffallend gekleidet gingen. Nur die feinen, von bunter Seide gefertigten beutelartigen Mützen, die der breitrandige äußerst kleidsame Sombrero nicht ganz den Blicken der Neugierigen entzog, machte die Fremden zum Gegenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit.

»Ah, der reiche spanische Herr mit seinem Faktotum!« sprach Julius, gelassen den Rest seines Kaffees schlürfend. »Was mag diesen Nabob wohl hierher getrieben haben?«

»Man sieht ihn erst seit drei Tagen«, erwiderte Kurt. »Deutsch versteht er wenig, aber zu leben weiß er. Man sagt, er habe die halbe Etage des Hotels zu mieten gewünscht, obwohl er außer dem Mulatten keine Seele mitgebracht hat.«

»Was kümmert uns das«, fiel Anton ein. »Hat er Geld, so kommt es unserer Bevölkerung zu Gute, wenn er recht viele Piaster ausstreut. Wohl aber möchte ich wissen, ob er von hoher Abkunft ist, ob er hier Verbindungen besitzt und die Aussicht hat, ein Mann der Gesellschaft zu werden.«

»Ein hübscher Junge ist's, mag man sagen, was man will«, fiel Julius ein. »Wie köstlich steht ihm die breite seidene Schärpe, und wie keck und siegesgewiß blickt er um sich! Er geht zum Steg, um zu segeln!«

»Fürwahr, ein gefährlicher Patron!« meinte Kurt. »Wir müssen uns doch etwas genauer nach ihm erkundigen. Lohnt es der Mühe, so scheint er mir der Mann zu sein, der sich lieber drei Freunde mehr zulegt, als einen verliert.«

»Du meinst wahrscheinlich Freundinnen«, fiel Anton ein.

»Da fliegt das Boot über die Wellen«, rief Julius aus. »Still, Freunde, nicht mehr gescherzt! Der verdammte Fremdling steuert wie ein geschulter Lotse. Und sein brauner Kerl von einem Diener hat auch schon mehr als ein Segel gehißt.«

Wirklich handhabte der Fremde das Steuer mit seltener Fertigkeit und verstand das leichte Fahrzeug bei der nur geringen Luftbewegung so dicht an den Wind zu bringen, daß es rasch über den blauen Spiegel des Bassins fortglitt und die meisten übrigen Segler überholte.

Diese meisterhafte Führung des Ruders und die Behändigkeit im Wenden lenkte die Blicke Vieler auf die Fremden. Nicht nur Spaziergänger blieben stehen, um dem Schiff zu folgen, auch Droschkenkutscher und mehr noch die vielen Jollenführer am Ufer, die Segellustige gern nach irgend einem besuchten Landungsplatz der Außenalster steuern, machten ihre Glossen über das gewandte Schifferpaar.


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