Ernst Willkomm
Reeder und Matrose
Ernst Willkomm

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5

Als Miguel die Hausschwelle des Quartiersmannes überschreiten wollte, fiel sein Blick auf die offen stehende Kellertür und die Figur des feisten Wirtes. Er blieb stehen, betrachtete aufmerksam die Treppe und sagte dann schnell und lebendig ein paar spanische Worte zu Andreas. Jetzt sah auch dieser hinab in den Keller, wo bereits vollauf zu tun war.

»Was meint der Spaniole?« fragte Behnke den Steuermann.

»Mein junger Freund behauptet, schon einmal da unten gesessen zu haben«, antwortete Andreas.

»Wann könnte das gewesen sein?«

Andreas richtete die nämliche Frage an Miguel, der unter lebhaften Gebärden, während die beiden Freunde dem Quartiersmann ins Haus folgten, ausführlich Antwort gab.

»Dachte ich mir's doch beinahe, daß es mir gelingen sollte, einen der Störenfriede kennen zu lernen, die mir so vielen Verdruß gemacht haben«, versetzte Behnke. »Schade, daß ich den Spaniolen nicht selber fragen kann, er sollte mir dann gehörig beichten. Aber ich denke, du wirst ihm die Hauptsache auch abfragen können, Andreas, und wenn du das redlich tun willst und mir versprichst, nichts, was er erzählt, zu verheimlichen, will ich's euch jungem Volk verzeihen, daß ihr in etwas ungebührlicher Manier meinem einzigen Mädel nachlauft. Wenn das junge Blut es wüßte, sie könnte sich wahrhaftig was einbilden und würde am Ende stolz.«

»Alterchen«, versetzte der Steuermann, »du mußt ausnehmend gut angeschrieben stehen beim großen Kapitän, daß er dir eine solche Tochter geschenkt hat. Es wäre mir nicht eingefallen, die köstliche Blondine, die dem armen Jungen da so arges Herzeleid macht, für die kleine Christine zu halten. Vor zwei Jahren war sie ja noch beinahe ein Backfisch, und jetzt – mein Gott, wie schnell verwandelt sich der Mensch!«

Inzwischen waren die drei Männer in Behnkes Wohnzimmer getreten. Frau Doris reichte Andreas. als einem alten Bekannten, mit freundlichem Gruß die Hand, während dem dunkeln Miguel nur ein schüchterner, forschender Blick als Bewillkommnung zuteil ward.

»Du meinst also, der Bursche habe ein Auge auf mein Kind?« fragte Behnke ernsthaft.

»Es ist, wie ich sage.«

»Dann mache es ihm bei Zeiten begreiflich, daß ich von dergleichen Dingen nichts hören mag.«

»Ein guter, ehrlicher Junge ist Miguel«, erwiderte der Steuermann, »auch rühmt er sich vornehmer Abstammung, Geld und Geldeswert aber hat er freilich nicht.«

»Danach würde ich zuletzt fragen. Ein tüchtiger Seemann findet immer sein Brot und kommt sogar zu Vermögen, wenn er Glück hat«, entgegnete Behnke, »ich mag aber das welsche Volk nicht leiden, weil ihr ganzes Wesen und Tun, all' ihr Denken und Wollen dem unsern zuwider läuft. Hoffentlich weiß Christine nichts von des Burschen Verliebtheit, und sie soll auch, kann ich's verhindern, niemals ein Wort davon erfahren.«

»Es konnte ein schreckliches Unglück geben!« fiel die Mutter ein, die mit steigender Unruhe dieser nur halblaut geführten Unterredung zugehört hatte.

»Wir dürfen meinen Freund nicht länger vernachlässigen«, bemerkte Andreas. »Er ist mißtrauisch und könnte glauben, wir wollten ihm nicht wohl, wenn wir ihn ganz bei Seite liegen lassen. Ich werde also in deinem Namen das angekündigte Examen beginnen.«

Der Quartiersmann bejahte durch stummes Kopfnicken. Die nun folgende Unterhaltung zwischen Andreas und Miguel, von welcher Behnke nur einzelne Worte verstand, ward mit großer Lebhaftigkeit geführt. Miguels funkelnde Blicke verrieten den Zuhörern, daß der junge Mensch seinem Freunde eine Geschichte erzählen müsse, die seines eigenen Beifalls sich nicht erfreue. Als er endigte, reichte er Andreas die Hand und schien froh, die Last von seiner Brust gewälzt zu haben.

Behnke erfuhr nunmehr aus der Berichterstattung des Steuermannes, daß die fremden Sänger der Matrose Miguel mit seinen Gefährten waren. Andreas erzählte ferner, sein junger Freund wäre nur gezwungen den Übrigen gefolgt, habe sich aber den Wünschen seiner ihn beherrschenden Begleiter fügen müssen, um nicht in ernsthafte Händel zu geraten. Und da habe er denn nach Kräften und auf den besondern Wunsch des stets herrisch sich gebärdenden Don Alonso Gomez alle seine Kunststücke zum Besten gegeben, welche die übrigen bereits sehr aufgeregten Gäste im Keller mit großem Staunen erfüllten. Erst spät nach Mitternacht wären sie aufgebrochen, um noch bis zum Morgen herumzuschwärmen.

Der Quartiersmann mußte jetzt über die Erzählung, die in Andreas Munde komisch genug klang, lächeln.

Miguel reichte dem Quartiersmann die Hand und mit einer Flut wohlklingender spanischer Worte bat er ihn um Verzeihung. Behnke verstand zwar nichts von dem, was Miguel sagte, aber er erriet seine Absicht und erwiderte beschwichtigend: »Schon gut, schon gut; hat nichts weiter auf sich.«

Darauf wandte er sich wieder zu Andrem.

»Wer ist denn aber eigentlich dieser Don Gomez«, fragte er.

»Weiß ich's doch selber kaum«, erwiderte der Steuermann. »Mexiko ist seine Heimat. Der junge Mann besitzt große Reichtümer, rühmt sich vornehmer Herkunft und hat sich nur zu einer Reise nach Europa entschlossen, um manches traurige Erlebnis, das seinen Geist verdüsterte, hier unter andern Menschen leichter zu vergessen.«

»Nun, gar zu schwermütig schien mir der mexikanische Don nicht zu sein«, warf der Quartiersmann ein. »Mich dünkt, er gehört zu den Menschen, die man Schwindler nennt.«

»Er liebt Glanz und Luxus, und wenn man ihn bewundert, fühlt er sich geschmeichelt und erträgt Fesseln, die ihn unter andern Verhältnissen drücken würden. Ich wette, Alter, es vergehen keine acht Tage, und ganz Hamburg spricht von dem vornehmen Mexikaner wie von einem Meteor.«

»Mir solls recht sein«, meinte Behnke. »Wenn die Vornehmen von ihm reden, haben wir niedrig gestellten Leute nichts weiter von ihm zu befürchten.«

Miguel stand auf.

»Wie steht's?« fragte er Andreas. »Kannst du mir Hoffnung machen?«

»Freund«, versetzte der Steuermann, »wir sind in Deutschland und noch dazu im Norden. Da will, wie unser Sprichwort sagt. gut Ding Weile haben.«

»Ich begehe ein Verbrechen«, flüsterte Miguel mit unheimlich flammendem Auge dem Freunde zu, »wenn ich das Mädchen nicht sehen kann.«

Andreas reichte Miguel die Hand.

»Du sollst sie sehen, aber fluche nicht, wenn ein paar Tage darüber hingehen.«

»Sie ist des Alten Kind?«

»Seine einzige Tochter.«

»Und er will keinen Fremden in seine Familie aufnehmen?«

»Noch sträubt er sich dagegen, aber Zeit und geduldiges Ausharren machen vieles möglich.«

»Er muß!« murmelte Miguel. »Ich verlasse Hamburg nicht eher, bis ich das Mädchen erobert habe.«

Andreas legte dem leidenschaftlich Erregten durch einen vielsagenden Blick Schweigen auf, sagte den Quartiersleuten gute Nacht und schied mit dem Versprechen, seinen Besuch recht bald zu wiederholen.

»Deinen Freund kannst du gern mitbringen«, sagte Behnke; »es wird meine Sorge sein, daß er nie meine Tochter antrifft.«

Andreas nickte, dachte aber im Herzen: Das findet sich. Junge Männer wissen junge Mädchen auch außer dem Hause der Eltern aufzusuchen.


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