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Herr Heidenfrei saß allein mit dem Quartiersmanne bei verschlossener Tür in seinem Privatzimmer. Jacob wischte sich den Schweiß von der Stirn, eine lange Erzählung schließend, welcher der Reeder aufmerksam zugehört hatte.
»Du hättest schon früher mit mir darüber sprechen sollen«, sagte jetzt Heidenfrei aufstehend, und wie es seine Art war, mit auf den Rücken gelegten Händen schlürfend durch das Zimmer gehend. »Geirrt hast du dich doch in keiner deiner Angaben? Denn wir müssen vor allen Dingen Sicherheit haben, festen Boden unter unsern Füßen fühlen.«
»Auf mein Gedächtnis, Herr, kann ich mich verlassen. Es hat sich alles genau so zugetragen.«
»Und wie lange ist es her?«
»Es mögen gute sechs Wochen sein.«
»Du hältst also den Steuermann Andreas für einen Ehrenmann?«
»Er ist unter meinen Augen aufgewachsen, Herr, fast mit dem Paul, der nur ein paar Jahre jünger ist. Nun freilich, Sie wissen ja, Jugend hat nicht Tugend, und den Seeleuten muß ein vernünftiger Mann etwas zu Gute halten, aber redlich ist der Andreas, und einen schlechten Streich macht er nicht.«
»Dann wird er auch seinen jungen Freund, den spanischen oder brasilianischen Matrosen, wohin er nun zu Hause gehört, zu zügeln wissen. Aber, Recht hast du doch, Jacob. Deine Tochter muß aus dem Hause, in Umgebungen, wohin nicht einmal die Blicke des verliebten Toren dringen können. Welch ein toller Einfall! Es ist zu superbe. Aber ganz spanisch, wahrhaftig, ganz spanisch.«
»Der Herr wird also ein gutes Wort für mich einlegen?« fragte der besorgte Quartiersmann. »Es wäre mir bannig lieb.«
»Gewiß, Jacob«, versicherte Heidenfrei, »Hilfe muß geschafft werden, und zwar bald, das sehe ich ein. Zuvor aber muß ich doch auch mit meiner Frau reden, denn eigentlich sind alles das, was du wünschest, echte Frauenzimmersachen, mit denen wir Männer nicht recht umzuspringen verstehen. Abschlägig beschieden sollst du nicht werden, dafür laß mich sorgen. Ich weiß nur nicht recht, in welcher Eigenschaft Christine bei uns eintreten soll. Alle Stellen sind besetzt, obendrein so, daß meine Frau nicht wechseln mag. Na, schon gut. Jacob, nur nicht ängstlich! Es wird sich schon ein Platz für deine Tochter finden. Versteht sie Handarbeiten zu fertigen?«
»Vorzüglich«, beteuerte der Quartiersmann. »Ich habe es mich etwas kosten lassen, Herr, um das Mädel ein bißchen herauszuputzen. Nähen kann sie, wie die beste Weißnäherin, und zum Sticken hat sie ganz absonderliches Geschick, nur kam sie zu Hause selten dazu, sich zu üben und mehr zu vervollkommnen.«
»Schon gut«, versetzte der Reeder, »paß auf und hüte dein Kind nur noch ein paar Tage. Bis dahin will ich die Sache in Ordnung bringen. Als was es immer sein mag, Christine kommt in mein Haus. Früher aber, bis meine Familie in die Stadt zieht, wird es sich schwerlich tun lassen. Das geschieht jedoch in wenigen Wochen, und wenn dir besonders viel daran gelegen sein sollte, das hübsche Gesichtchen möglichst bald den suchenden Augen ihres fremdländischen Bewunderers zu entrücken, so kann Christine schon beim Einpacken hilfreiche Hand leisten. Meine Tochter und die kleine Ulrike haben hunderterlei Sachen, die nur eine Mädchenhand anzufassen bestimmt ist. Dabei bekommt sie gleich die erforderliche Einsicht und wird dadurch beim Ordnen hier im Hause wieder von Nutzen sein.«
Jacob zeigte sich für die Zusage des einflußreichen Mannes sehr dankbar. »Ich gehöre Ihnen mit Haut und Haar«, sagte er beim Fortgehen in seiner treuherzigen, derben Weise. »Gebrauchen Sie mich, wozu Sie wollen, und wenn kein Mensch mehr da wäre, den Heidenfreis zu dienen, Jacob Behnke wird nie fehlen, so lange er lebt und noch ein Glied rühren kann, für das Wohl Ihres Hauses, Ihrer Firma sich zu opfern. Tausend Dank, Herr, für Ihre Güte! Wie wird Mutter Doris sich über diese Nachricht freuen! Und Christine dazu. Ihr stand der Sinn immer etwas hoch, und zu vornehm und groß kanns ihr garnicht werden, der kleinen Blitzkröte!« –
Um dieselbe Zeit waren die beiden Söhne des Reeders beschäftigt, die Briefe ihres Onkels aus der Zeit seines ersten Glückes durchzulesen. Aus diesen brieflichen Mitteilungen, die ganz ohne Hintergedanken niedergeschrieben waren und für den unverschleierten Ausdruck eines übervollen, heißen und starker Bewegungen fähigen Herzens gelten konnten, wurde den Brüdern vieles, was ihnen bisher dunkel geblieben, in ein helleres Licht gerückt. Beide kamen während dieser Lektüre, die ein paar Stunden in Anspruch nahm, zu der Überzeugung, daß Onkel Augustin nicht allein Schuld hatte an den betrübenden Unfällen, die erst später seine ganze Existenz vernichtet hatten. Es kamen Äußerungen in seinen Briefen vor, welche ein bis zum Zerwürfnis gediehenes Mißverständnis zwischen Vater und Sohn voraussetzen ließen. Augustin bezog sich auf Mitteilungen des Vaters, von denen einige sogar wörtlich angeführt waren, die jedoch ohne Einsicht auch der väterlichen Korrespondenz völlig unverständlich blieben. Nur so viel ließ sich ahnen, daß Augustin einer heftigen Neigung wegen das Vaterland verlassen hatte, weil der Vater diese Neigung seines Sohnes nicht billigte und seine Einwilligung zu geben, auf das hartnäckigste verweigert haben mußte. In Brasilien fühlte Augustin Hohenfels sich unabhängiger, und wenn es auch gewiß nicht in seiner Absicht lag, auch hier wieder gegen den Willen des Vaters sich zu verloben, so konnte doch, entschloß er sich, seinem Vaterlande ganz zu entsagen, eine dem Vater mißliebige Heirat für ihn persönlich keine unmittelbar empfindlich nachteiligen Folgen haben.
»Wie strebte, wie wirkte Augustin Hohenfels! Welche gewaltigen Pläne wälzte er in seinem Geiste!« sagte Eduard. »Wie wahr, wie prophetisch erhaben waren die Gedanken, mit denen er sich trug und – o du mein Gott – wie wenig verstanden ihn diejenigen, denen er sein Herz rücksichtslos erschloß! Es ist und bleibt ein tief beklagenswertes Schicksal, aber laß uns Hoffnung fassen und handeln. Unser Vater liebt auch Vorsicht und Berechnung als Kaufmann, aber sein Blick ist weit, seine Gedanken sind auf das Allgemeine, das Große gerichtet. Ein Funke, in seine Seele geworfen, zündet, wenn man ihm Zeit läßt zur Erholung. Er opponiert gegen die Dampfschiffahrt und spottet sogar der bis jetzt erzielten Erfolge, aber er tut es im Grunde mit Widerstreben und weil es ihn ärgert, daß man nicht schon größere Resultate damit erreicht hat.«
»Laß uns jetzt vor allem dahin streben«, nahm Ferdinand wieder das Wort, »daß wir den Vater bewegen, dem unglücklichen Oheim in Rio Mittel zukommen zu lassen, welche ihn in den Stand setzen, sich aus der Lethargie emporzuraffen, in die sein Schicksal ihn hineingestoßen hat. Ist es nicht schon zu spät, so wird schleunige Hilfe ihm neue Spannkraft geben, seinen Geist wieder aufrichten. Wichtiger und von größerem Einfluß würde es noch sein, ließe sich irgendeine Spur von seinem verschollenen Sohne entdecken. Dazu ist leider lange Zeit erforderlich, denn wie soll man es anfangen, einem Menschen nachzuspüren, von dem man nichts weiter weiß, als daß er eben existieren soll?«
»Eine undankbare Aufgabe«, sagte Eduard schwer aufatmend. »Dennoch müssen wir uns Mühe geben und uns rühren. Komm jetzt und laß uns dem Vater mitteilen, welche Gedanken die Lektüre dieser Briefschaften in uns geweckt hat. Ich glaube, er wird nicht lange zaudern, vielmehr schon mit nächster Post Briefe und Anweisungen dem Hilfsbedürftigen, nur zu lange unserer Familie Entrissenen, senden.«
»Das hoffe ich auch«, meinte der Bruder, die Briefe zusammenschnürend. »Eben fährt der Wagen vor, und da höre ich den Schritt des Vaters.«
Gleich darauf ward die Tür geöffnet und der eintretende Heidenfrei fragte mit funkelndem Auge die Söhne, ob sie die Lektüre beendet hätten? Auf die bejahende Antwort sagte er ruhig:
»Superbe, dann kommt und laßt mich unterwegs eure Ansichten hören.«