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II

Die Baronin kam allein zurück; Erhart war schon verschwunden, als sie in die offene Tür trat. »Wo ist der Baron?« fragte Ifinger.

»Noch bei seine Familie«, gab sie ihm zur Antwort.

»Was heißt das?«

Er war auf sie zugegangen; sie nahm ihn jetzt bei der Hand, nur ein wenig lächelnd, und führte ihn durch den zweiten Saal bis ans Ende. Hier war eine Glastür; man sah durch sie eine Reihe von breiten Stufen hinunter und in ein Vorzimmer vor der Galerie, die sich seitwärts anschloß. In diesem dämmernden Vorzimmer hingen nur die Grundrisse und Aufrisse, auch photographische Abbildungen des Hauses an der Wand; auf einem großen Tisch lag ein geschriebener Katalog in vornehm prächtigem Einband und ein Fremdenbuch. Über dieses Buch stand der Baron gebückt, sein Glas vor den Augen. Er war ganz allein.

»Was tut er da?« fragte Ifinger leise.

»Er liest Namen«, antwortete die Baronin. »Die Prinzessin und ihr Gefolge haben sich in das Galeriebuch eingeschrieben; er läßt niemand fort, eh' es das getan hat. Nun studiert er das.«

»Damit wird er aber bald fertig sein«, sagte Ifinger lächelnd.

»Oh, in diesem Falle liest er mit Genuß! – Dann wird er aber noch in die Galerie gehn –«

»Da kann er ja nichts mehr sehn!«

»Er sieht doch, daß sie da ist. Er freut sich, daß die Prinzessin drin gewesen ist. – Überhaupt, er freut sich. Verstehen Sie nicht, was das ist?«

»Es scheint, ich verstehe heute gar nichts«, sagte er zwischen den Zähnen. – »Da geht er –«

»Ja; sehen Sie: Da geht er in die Galerie. Die ist seine Frau. Mit die ist er verheiratet ...«

Doch mit einer plötzlichen Wendung der anmutigen Gestalt brach sie ab: »Sprechen wir jetzt nicht von ihm und mir; sprechen wir von Ihnen!« – Sie ging langsam durch die Zimmer zurück, indem sie ihn beständig von der Seite ansah; ein unendliches, aber zurückhaltendes, wohltuendes Mitgefühl lag in ihren Augen, in den zarten, verschobenen Schultern, in jeder Bewegung, die eben durch ihre Mäßigung sprach. »Wie gut, daß Sie wieder da sind«, sagte sie weich; »Sie fehlten mir so sehr; ho proprio bisogno di ritrovare con voi mein besseres Ich! – – Da kam ich eben ins Italienische, weil ich daran dachte, daß Sie wieder dort waren ... Aber warum waren Sie nur im Frühjahr in Italien, warum nicht von Anfang an?«

»Ich war ja nicht allein«, erwiderte er, langsam und halb zerstreut: denn er sah sie ebenso unablässig an, wie sie ihn, bald von der Stirn bis zum Kinn, bald die ganze Gestalt, sich über ihr Dasein wundernd, sich daran erquickend. »Offen gestanden«, fuhr er dabei fort, »meine Kinder konnten noch schlecht Italienisch sprechen; Christel auch nicht besser. Da ging ich denn, als die Hitze vorbei war, mit dem Stamme Ifinger zunächst nach Südtirol, nach Bozen; 's ist schon eine Art von Süden, göttliche Wintersonne – und sie kannten mich dort ebensowenig wie am Mittelländischen Meer. Da hab' ich die Tage verwandert oder verstudiert, Kinder erzogen, Ifinger erzogen – und so ward es langsam, aber plötzlich Frühling!«

»Ja, ich kenne das«, sagte Donna Clara mit ihrem feinen Lächeln; »›langsam, aber plötzlich‹. Das ganze Leben ist so ... Dann gingen Sie aber doch Ende März nach Italien; hatten denn Ihre Kinder unterdessen Italienisch gelernt?«

»Nein, die noch nicht. Aber eines Tages – ich sitze ahnungslos bei meinem Schoppen Terlaner, nachdem ich den ganzen Tag einige kleine ›Lebewesen‹ untersucht hatte, die Sie gar nicht kennen – da kommt die Christel zu mir, stellt sich in ihrer ruhigen Art vor mich hin, nur um die Augen herum so ein wenig lächelnd, und sagt: ›Wenn der Herr Doktor nun reisen wollen, so viel Italienisch kann ich‹. – ›Wieso denn? woher denn?‹ frag ich. – ›Aber, Herr Doktor, Sie wissen ja‹, sagt sie, ›hier in Bozen ist das leicht zu lernen; hier gibt's so viele Welsche: Handwerker, Kaufleute, Maurer, Fabrikmädel, alles. Ich hab' mich drum bemüht, da ist's auch gegangen. Eine kleine Grammatik hab' ich mir gekauft; der eine Buchhändler, der Italienisch kann, der hat mir geholfen. Bitte, examinieren Sie mich!‹ – – Zuerst bin ich noch verblüfft und sag' nichts; dann examinier' ich. Das sonderbare Geschöpf, sie weiß wirklich alles; Kants ›Kritik der Urteilskraft‹ kann sie nicht verwelschen, aber was man so zum Leben braucht, das hat sie alles im Kopf. Der Akzent etwas welschtirolerisch, aber sonst nicht übel –«

»Der Buchhändler, was ihr half, war wohl jung!«

»Liebe, meinen Sie? – Das dachte ich anfangs auch; aber es bewährte sich nicht. Nein, es war nichts als ihr Ehrgeiz und ihr guter Wille. Und das hatte sie so in aller Stille, so ganz hinter meinem Rücken getan! – Wir zogen dann also nach Süden; und es ging sehr gut. Sie schnarrte ihr römisches R, daß man den Hut abziehen mußte; und wenn sie einmal ein Wort nicht fand, und darüber rot ward, so stand ihr das allerliebst. Kurz –«

»Kurz, das ist ein merkwürdiges Mädchen«, sagte die Baronin. »Wenn sie zu alledem auch hübsch ist –«

»Hübsch? Das ist nicht das Wort. Stattlich; kräftig; beruhigend. Sie stört nicht. Man sieht gerne hin.«

»Aber sagen Sie mir eins, lieber Freund! Wenn sie so begabt und so nützlich ist – und Ihre Kinder auch so sehr an sie hängen, wie Sie an mich schrieben – wird sie dann nicht aus einer serva mehr und mehr eine padrona? Oder – wie sagen Sie im Deutschen – wird sie nicht anspruchsvoll?«

»Ja, das dacht' ich auch«, erwiderte Ifinger. »Ich war auf allerlei diplomatische Schwierigkeiten gefaßt, kann ich Ihnen sagen ... Unsinn. Sie ist heut' noch ebenso, wie am ersten Tag! Keine Arbeit ist ihr zu schlecht. Sie macht alles selbst; – es geht aber alles so sicher und geschwind, sie behält doch zu allem Zeit. Die schönen Städte, die merkwürdigen Menschen, die herrlichen Landschaften – – ihre großen Augen hat sie immer offen. Aber für sich will sie nichts; sie will nur sein und bleiben was sie war, die Kindsfrau, die Dienerin!«

»Hm!«

»Es scheint, Sie wollen durch Ihr sanftes Kopfschütteln sagen: Hermann Ifinger täuscht sich. So ein Phänomen gibt's nicht; das ist gegen die menschliche Natur –«

»Ja, das möcht' ich wohl sagen!«

»Ich auch; und ich würd's auch sagen, wenn ich mit meinen ungläubigen Zweifleraugen das nicht selbst erlebte. Und wenn ich nicht neulich begriffen hätte, wie es in diesem Frauenzimmer aussieht; ihre Weltanschauung –«

»Ah! Ihre Christel hat auch eine Weltanschauung!«

»Donna Clara, spotten Sie nicht«, sagte Ifinger ruhig lächelnd. »Das steht Ihnen nicht. Das seh' ich an Ihnen zum erstenmal; denn über Ihren lieben Mitmenschen abzusprechen, ist Ihnen nicht gegeben, dazu sind Sie zu himmlisch gut. Aber die kleine Aristokratin, scheint mir, hat sich eben gerührt –«

»O nein, nein. Das nicht!« – – Sie sann vor sich hin, ihre Augensterne gingen langsam nach oben, sie schwammen über dem bläulichen Weiß wie Gondeln auf der Flut. – »Vielleicht haben Sie doch recht«, sagte sie dann ehrlich. »›Aristokratin‹ ... Ich bin ja eigentlich keine echte, rechte – nur von der Mutter her – aber man wächst ja so in Vorurteile auf. Es ist mir so komisch, daß so eine Dienerin aus dem Volk – – Aber sprechen Sie, sagen Sie mir ihre ›Weltanschauung‹!«

»Zu dienen. Ich vertiefe mich neulich in meine Hausvaterpflichten – wir waren noch in der ›Herbstfrische‹ in Tirol – und fange an, mit Christel von München zu sprechen: daß dort außer der Köchin auch ein Mädel für die groben Arbeiten ins Haus müsse; sie selber nur für die Kinder und zur Oberaufsicht! – Da sieht sie mich so flehend an, daß ich gleich 'nen Schreck kriege, als hätt' ich sie tyrannisch und lieblos behandelt; und ›Herr Doktor!‹ sagt sie, wie es kein Mensch weiter sagen kann – außer Donna Clara. ›Lassen Sie mir meine Arbeit!‹ sagt sie; ›nehmen Sie mir nichts ab; hab' ich denn je etwas versäumt?‹ – ›Nein,‹ murmele ich tiefgebeugt, ›das nicht. Aber Sie haben doch wohl nicht Gott gelobt, meine Stiefel zu putzen und die Zimmer zu fegen ... ‹ – ›Nein‹ sagt sie, ›das hab' ich nicht. Aber ich kann's ja tun; warum dann ein andrer. Ich tu's ja doch nicht um Lohn, Herr Doktor – wenn ich auch ein bißchen für die Kleider brauche – sondern weil die Welt so eingerichtet ist, und es unsere Pflicht ist. Alle Menschen sollen doch einander dienen und helfen; jeder auf seine Art; Sie mit Ihren Büchern, ich mit meinen Händen. Der liebe Gott, sagten Sie selbst einmal, stellt jeden auf seinen Posten; mich hat er auf diesen Posten gestellt, hat mir meinen Ignaz genommen und – – Lassen Sie's nur, wie es ist, Herr Doktor; so ist's für mich gut!‹ – Ignaz war ihr Bräutigam ...«

»Das dacht' ich«, sagte die Baronin mit gesenkter Stimme. »Hm! – Ja, Sie haben recht. – Lieber Freund, diese merkwürdige Christel muß ich kennenlernen. Wollen Sie sie mir bald einmal mit den Kindern schicken?«

»Gewiß. Ohnedies wird's für Hansei Zeit, daß er Sie kennen lernt. Sie müssen die erste Liebe dieses Jünglings werden –«

Die Baronin unterbrach ihn, nicht durch Worte, sondern durch einen sprechenden, wieder echt »transatlantisch« ausdrucksvollen Blick. Ihr Gesicht hatte sich verändert; liebevolle Trauer, mit einem leisen, rührenden Zagen gemischt, füllte es förmlich an. Da er verstummt war, legte sie eine Hand auf die seine, »lieber Freund!« sagte sie weich. »Christels Weltanschauung und Hanseis Liebe, das ist alles gut; aber wir reden nun schon solange um Sie herum. Sagen Sie mir sonst nichts? – Daß Sie nicht viele Briefe schrieben, das hab' ich begriffen; es mußte mich begnügen, zu wissen, daß Sie leben und mir noch gut sind. Aber nun sind Sie hier – – und ich hänge ja nicht bloß an Ihr Geist, Ihr Denken, sondern an Ihr ganzes Leben. Sagen Sie mir sonst nichts?«

Er antwortete nicht gleich. Es ergriff ihn plötzlich eine heftige Bewegung, und wie bei jenem früheren Wiedersehn nahm er ihre beiden Hände und drückte sie gegen seine Augen. Vor Erhart hatte er vom Vergangenen noch nicht sprechen können; jetzt, von dieser weichen Stimme angerufen, stieg es gleichsam in der Brust herauf und drängte sich zu den Lippen. »O ja, ich sag' Ihnen was«, fing er, zuerst tonlos, an, ihr sanft über die Hand streichend. »Ich hab' mit mir Not gehabt; ich war tüchtig unglücklich ... Die Frau hatt' ich lieb; – nicht daß ich jetzt darum großtun will; die Liebe war schon in ihrem Herbst – sie hatte Stöße bekommen – aber am Leben war sie. Und die Schmach, die Schande; und die Marter, daß dieser andre lebte – daß ich in Selbstverachtung und Selbstzerknirschung mir das Recht nicht zusprach, sein Leben von ihm zu fordern ... Aber nun klag' ich nicht mehr. Ich bin um eine Ecke gegangen und von einer andern Seite in mein Dasein zurückgekehrt. Ich hab' viel gelernt, Donna Clara ... Sehn Sie, was ist Unglück? Reines Unglück gibt's nicht; das alles ist zuletzt doch nur eine Form, wie man anders wird – ein Weg, den man zu gehn hat, um irgendwo anzukommen – ein Loch, in das man versinkt, um irgendwo wieder an den Tag zu kommen, wo man eigentlich hinsollte ... Als ich an den Tag kam, war ich kleiner geworden und die Welt viel größer! Sie kam mir aber auch nur wie eine Verkleidung vor, hinter der sich das versteckt, was ich mir meinen Gott nenne – – und ich bilde mir ein, es ist auch nicht sein einziges Kleid, vielleicht hat er viele. Wir Menschen mit unsern Mikroskopen und Fernrohren sind nur so drollig, so stolz: was wir damit sehn, das geht so in die Milliarden und die Billionen, das ist doch gewiß ein hübsches Stück Welt, eine anständige, umfangreiche Welt, eine Welt, mit der der ›Schöpfer‹ oder die ›Kraft‹, oder was es ist, ganz zufrieden sein kann – also ist's ›die Welt‹! – Warum! Also nur was in unsre paar Sinne fällt, soll da sein, und weiter nichts? All die Möglichkeiten, die selbst unser bißchen Hirn ahnen und träumen kann, soll es nicht mehr geben? – – Da bin ich bei den ›Welten‹, nach denen Sie damals fragten, gute Donna Clara –«

»Und von denen Sie mir am letzten Abend nichts sagten, weil mein Mann von Vasari und Condivi sprach ... Aber nun reden Sie nur; heut' haben Sie das Wort!«

»›Welten‹ ... Es sind ja alles nur Worte. Aber selbst dem Mathematiker sagt sein nüchterner, rechnender Verstand: warum sollte es nur die drei Dimensionen geben, in denen unsre Welt sich abspielt? Die vierte, die fünfte, die sechste und so weiter – schon in unserm Denken sind sie als Knospen da! – Wir sehn ferner ein, daß wir nur höhere Tiere sind, und mit uns wär's aus? All die Geisterwelten, die wir uns zu ahnen erlauben, sollten nicht bestehn? Unzählige Kräfte, geistige und sittliche, können sich noch über uns entwickeln, und die alle täten das nicht, nur weil wir's nicht wissen? oder weil es unser ameisenhaftes Selbstbewußtsein stört? Und die höchste Kraft und der höchste Geist, in dem alles eins wird, der wär' darum nicht da, weil Hermann Ifinger ihn nicht kennt? – Aber das ist falsch. Hermann Ifinger kennt ihn. Der verspürt ihn in seinem Lebenslauf – und in seinem Unglück. Er verspürt ihn in seinen Gedanken, die an ihm hämmern, auch wenn er sie gar nicht will. Er verspürt ihn wie den Wind, den er auch nicht sieht und mit dem er doch segelt, oder gegen den er angeht; er verspürt ihn in diesem sonderbaren, unsichtbaren Wirbel, in dem er sich so langsam, langsam, halb ringend und halb getragen, aus seinem Elend herausdreht ... Das wollt' ich nur sagen; davon wollt' ich reden. So im Herausdrehn bin ich mit meinem Gott mehr bekannt geworden. Möglich, daß das der Sinn war von der ganzen Sache ...«

Er stand auf, schleifte auf etwas unsicheren Füßen, mit vorgeneigtem Oberkörper, durch das Zimmer zum Fenster hin und schien da etwas zu sehn. Die Spitzen der Fächerpalmen fuhren ihm rechts und links ins Haar, ohne daß er's spürte. Donna Clara ließ ihn eine Weile gehn; sie kannte ihn, sie wußte, daß dieses Abbrechen, diese ungeschickten Bewegungen nur die Absicht hatten, »den Rock wieder zuzuknöpfen«, wie er selber es nannte, das hervorgetretene Innerste wieder einzuschließen.

Um die Stille zu unterbrechen, begann er endlich leise zu pfeifen. Er kam dann langsam zurück. Als er wieder vor ihr stand – sie saß – blickte sein ernstes, gerötetes Gesicht sie mit einem fragenden Lächeln an; sie wußte nicht warum. Da sie noch immer schwieg, legte er ihr beide Hände auf die Schultern – das erstemal, daß er sie so vertraulich berührte – und sagte: »Da hab' ich Ihnen gebeichtet, als wär' ich ein Katholik. Sind Sie nun zufrieden?«

Sie nickte.

»Entschuldigen Sie, Donna Clara: Sie nicken, das ist mir nicht genug. Ich hab' auch Talent zum Beichtvater, ebenso wie Sie. Und Ihr Gesicht ist leider eine Art Palimpsest ...«

»Palimpsest? Was ist das?«

»Eine zweite Schrift über einer ersten. Als es nur Pergament und Papyrusse gab, fuhr man zuweilen mit einem Schwamm über die alte Schrift, um Papier zu sparen. Sie sind in diesen fünfviertel Jahren, daß ich fort war, zu meinem Bedauern auch neu beschrieben worden –«

»Häßlicher geworden?«

»Das nicht. Reifer, interessanter; aber – beunruhigend. Häßlicher? Eher umgekehrt; die Wangen haben sich noch gestreckt, wenn Sie erlauben, daß ich das bemerke; überall, wo sich die Sache irgend machen ließ, hat sich etwas Geist abgelagert; und die Augen – – in den Augen brennt etwas, das Sie sonst nicht hatten. Aber ich fürchte, das alles haben Sie zu teuer bezahlt. Über das warme, blühende Elfenbein hat sich so ein Alabasterschimmer gelegt; und was Bläuliches unter den Augen ... Was ist geschehn? Sagen Sie mir das nicht?«

Sie blickte ihn an und schwieg noch immer. Sie saßen wieder beide. Über den Alabasterschimmer, von dem er gesprochen hatte, zog eine schwache Röte hin, wie Abendwolkenschein über Schneehügel zieht; es schien, daß sie noch mit einem Entschluß kämpfte. Eine feuchte Trübung trat ihr in die Augen.

»Liebe, gute Donna Clara!« fing er wieder an. »Ihr Glück ließ' ich Ihnen ja gern allein, aber Ihr Unglück nicht. Sie sagten vorhin: ›Die Galerie ist seine Frau, mit der ist er verheiratet.‹ Dabei sah ich zuerst diese zweite Schrift ...«

»Das haben Sie gut gesehn!« fiel sie ihm ins Wort. Die etwas in sich versunkene Gestalt der Baronin schnellte auf einmal empor (sie blieb aber sitzen); ein scharfes, bitteres Lächeln, eine fast wilde Entschlossenheit flog ihr übers Gesicht. »O ja – von mein Mann will ich Ihnen sprechen,« fuhr sie fort; – »aber ich sag' Ihnen alles oder nichts. Abteilen kann ich's nicht!«

»Das sollen Sie auch nicht; ich bin Hermann Ifinger –«

»Sie verstehn mich nicht falsch, nicht wahr?«

»Wie sollt' ich das machen, da ich Sie doch kenne? – Sie wollten sagen, daß Ihr Mann mit der Galerie –«

»Ich will sagen, was ich sagte«, unterbrach sie ihn. »Er hat seine Galerie – ich nichts. Was tun wir zusammen. Ich kann nicht mehr mit ihm leben. Ich möcht' lieber sterben. So, nun wissen Sie's!«

Ifinger starrte sie an. Er war blaß, erschrocken; aber mehr über ihren Ausdruck, über ihre Stimme, als über das, was sie sagte. Er verwunderte sich, daß er sich nicht mehr verwunderte. Als hätte er immer unbewußt gedacht: »Die gehört nicht zu dem, einmal wird es so kommen ...«

»So, nun wissen Sie's!« wiederholte sie. »Wie kamen Sie aber an diesen Mann? werden Sie nun denken. O, ich sitze auch manchmal da und denke: wie kam ich an diesen Mann? – Aber ich war so jung. Ich kannte nicht die Welt. Mein Vater, meine Mutter waren beide tot; ich saß da in dieses Spanien, das ich nicht sehr liebte, ich liebte Schiller und Mozart und Mendelssohn, ich war bezaubert von alles Deutsche – und da kam dieser Mann. Er hatte so viel gelesen, wußte auch so viel; selbst die spanischen Dichter wußte er besser als die jungen Herren in Madrid und Valencia. Und er hatte so ernste, fremde Augen, als wär' ein großes Geheimnis in ihm; – und als er dann kam und von Liebe sagte, ging ich zu meine Tante und sagte auch von Liebe, und erklärte an sie: den will ich heiraten – den! – Und ich heiratete ihn ...«

Bei dieser Erinnerung stand sie auf; es kam noch einmal der weiche kindliche Ausdruck in ihr Gesicht, mit dem sie wohl damals in den goldenen Kelch ihres Glücks hineingesehen hatte. Schnell wie ein fliegender Wolkenschatten war er aber fort. Sie lehnte sich an den Kamin; »wie rührend, wie furchtbar ernst,« sagte sie, »hören Sie mir zu. Ich mochte noch nie zu Ihnen davon sprechen ... Und doch dauert es schon solange; die Enttäuschung, mein' ich ... Ich kannte Sie noch nicht viel, da schrieb ich an meine Tante: es ist alles aus, und ich bin sehr unglücklich! Und die arme Frau kam von Spanien nach Deutschland; sie war sehr gut zu mir – aber sie wußte gar nicht, was ich wollte, sie hatte gelebt, wie man an den Hof lebte, sie sprach besser französisch als spanisch, weiter wußte sie nichts ... Sie stand da como una piedra, wie ein Bild von Stein, als ich in mein kindisch Toben vor Verzweiflung stampfte und schrie: ich will nicht ein Mann, der nur Bücher liest oder Bücher schreibt – in den sich kein Lüftchen rührt – ich will leben, leben!«

Sie lächelte einen Augenblick selbst. »Ja, so war ich damals; – jetzt schreie ich nicht mehr ... Die Tante ließ mir ein paar katholische Bücher über die Entsagung und die innere Läuterung zurück und reiste wieder ab. Unterdessen hatten Sie, armer lieber Freund, Ihr großes Werk an mein Mann getan, ihn auf das Bildersammeln gebracht; damit nahmen Sie mir ihn ganz ... O machen Sie nur nicht dieses tragische Gesicht; ich liebe Sie darum doch als mein bester Freund. Es gibt wohl auch Männer, die können zugleich an ihre Galerie hängen und ihre Frau. Für den Baron ist das nichts! Er hat schon genug zu tun, daß er alles liest, was man über Kunst geschrieben hat, und noch schreiben wird. Und dann über das alles sprechen – o wieviel kostet das Zeit! wieviel kostet das Zeit!«

»Sie haben recht,« erwiderte Ifinger mit scheinbarer Ruhe: »da vergehn die Tage. – Wenn ich mir aber ernstlich denke, daß ich mit daran schuld bin –«

»O still!« sagte sie mit einer Gebärde, die ihm die Lippen schloß. Sie lächelte ihn aufs holdseligste an, wie um ihn zu trösten; dabei füllten sich aber ihre dunklen Augen jetzt mit großen Tränen. »Ich glaube, keine Frau konnte ihn glücklich machen; die Bücher konnten es, aber doch nur halb; die Bilder können es ganz. Ich hab' mich darein gefunden, ich bin eine Witwe ...«

Sie wandte den Kopf; »er kommt«, flüsterte sie. »Es wäre mir schrecklich, jetzt mit ihm zu sprechen ... Nicht wahr, Sie gehen nach Haus?«

Er nickte.

Baron Pillnitz trat durch die offene Tür des andern Salons herein; in seine Gedanken versunken, wie es schien. Als er näher kam, bemerkte er die leichte Glut auf ihren Wangen und die Tränen, die sie nicht versteckte. Einen Augenblick etwas betroffen, blickte er dann von ihr auf Ifinger und nickte wie in tiefem Verständnis vor sich hin. Ifinger nahm seinen Hut.

»Sie wollen schon gehn?« fragte er, als bedaure er sehr.

»Ja, Herr Erhart erwartet ihn«, antwortete die Baronin. »Und mein Kopf ist nicht gut. Ich brauche etwas Ruhe ... Auf Wiedersehn, lieber Freund!«

Sie winkte nur noch mit der Hand und ging.

Pillnitz sah ihr flüchtig nach; mit gedämpfter Stimme sagte er dann zu Ifinger, mild und weise lächelnd: »Sie wissen ja, so sind die Frauen. Zarte, weiche Seelen; und die Augen gehn ihnen gerne über – gehn ihnen gerne über. Sie haben mit ihr von – jenen Dingen gesprochen, das hat sie angegriffen; sie nimmt vielen Anteil. Also, lieber Doktor, auf bald!«

»Mit ›jenen Dingen‹ meint er offenbar mein Schicksal«, dachte Ifinger. Er hatte Mühe, einige nichtssagende Worte zu erwidern und den teilnehmenden Händedruck des Barons zurückzugeben; dann entfernte er sich, so geschwind er konnte.


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