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II

Sie stiegen auf das flache Dach, und im Abendlicht sah nun Ifinger – wieder staunend und fast gerührt, denn wirklich schöne Natur ging ihm sehr zu Herzen – den ganzen Reichtum mächtiger Formen und bedeutender Gegensätze, der um diesen Erhartschen »Mittelpunkt der Welt« sich ausbreitete. Die Sonne war nicht mehr heiß, nur behaglich warm; sie setzten sich auf die niedrige Brüstung, die das Dach umgab, zündeten Zigarren an und schauten bald aufs Allernächste, bald in blaue Ferne. »Haben Sie den Untersberg so gern?« fragte Erhart, als Ifinger einige Worte der Bewunderung ausgestoßen hatte. »Von dem Profil, das er mir hier zeigt, kann ich das nicht sagen; da, wo man seine lange, gleichsam angeschossene Mauer sieht, ah ja, alle Achtung; aber hier gegen Salzburg steigt er etwas patzig auf – als sagt' er zu der Ebene: Du da, Respekt vor mir, ich bin plötzlich sechstausend Schuh hoch! – Da sehn sie das Tännengebirg: das hebt sich ebenso majestätisch aus dem tiefen Tal, aber dann zieht es sich vornehm bescheiden unter dem Himmelblau hin, so in dem richtigen Gefühl, daß es vor allem schön sein soll; – 's ist mein Liebling, Doktor. Und dann rückwärts – das ebene Land! das zieht einen ins Weite; wie? Und wie gut die Luftperspektive malen kann; immer noch ein neues Tönchen, je weiter sie hinauskommt. Mir fehlt hier nur ein schneidiger Gegensatz gegen die Fläche ... Kennen Sie die Barmsteine?«

»Habe nicht die Ehre.«

»Die sind da hinter Ihnen: die beiden senkrechten Klippen, die wie mit der Steinsäge zugeschnitten aus dem Vorberg aufsteigen. Wir müssen einmal hin, Doktor. Wenn so ein Kerl von Fels grade vor einem wie ein ungeheures Stück Mauer in den Himmel hineinsteigt und in die Salzburger Ebene hinunterfährt – das ist kein schlechter Kontrast. O Herr, deine Welt wäre gar nicht übel – wenn nicht so viele gestiefelte Affen auf ihr herumträten – so viele Prahms und Pillnitze!«

»Sie wollten heute nicht mehr davon sprechen, Meister –«

»Ja, Sie haben recht. Reden wir von wirklichen Menschen. Unsrer ehemaligen Porzelläne, Ihrer Frau, geht's gut? – Die Frage ist ziemlich dumm, denn wenn es ihr nicht gut ginge, wären Sie nicht hier.«

»O ja, es geht ihr auch gut«, erwiderte Ifinger. Er war aufgestanden und hatte sich gewendet, um die angepriesenen Felsen besser zu sehn; jetzt stellte er einen Fuß auf die besonnte Brüstung, legte die Hände auf den Rücken – was er liebte – und starrte in die Luft. »Eine junge Frau mit zwei Kindern, wissen Sie, ist kein Backfisch mehr. Sie hat dies und das, manchmal klagt sie ein wenig; aber sie wirtschaftet rastlos weiter – wie Sie sie schon kennen. Nicht zuwenig, sondern zuviel. Das läßt sie nicht; da ist nichts zu machen!«

»Die Frauen geben gern nach, Doktor, nur nicht in dem, was sie wollen!« – Erhart, die Füße übereinandergelegt, warf einen seiner schrägen, klugen Blicke zu Ifinger hinauf und lächelte vor sich hin. »Mir ist's immer noch spaßig, Sie, Hermann Ifinger, als Ehemann zu sehn; – vielleicht, weil ich selber so gar nicht dazu tauge. Nun, und Ihr Bub, der Hans? Sagt er schon Papa?«

»Ob er schon Papa sagt? – Das ist doch unbegreiflich, Erhart, wie wenig Gedächtnis Sie für die Ereignisse der Weltgeschichte haben. Dieser Hans ist ja bald zwei Jahre alt! Einen Monat nach der Verlobung haben wir geheiratet; genau ein Jahr nach der Hochzeit, beinahe auf den selbigen Tag, kam er anmarschiert. Nicht ganz ein Jahr darauf folgte ihm die Grete. Diese Daten sind doch bekannt!«

»Ich bitte um Vergebung. Na, und wie steht's mit den Sorgen, Doktor?«

»Was für Sorgen? – Ums Zahnen?«

»Nein, die mein' ich nicht. Wenn ich eine Frau und zwei Kinder hätte, ich würd' gar nicht schlafen, glaub' ich; plötzlich, nachts um zwei, würd' ich aus der Haut fahren und denken: wie lange kann ich sie noch ernähren? Sind noch Semmeln da? – Macht Ihnen das nicht zu schaffen, Doktor? Sind Sie so unnatürlich wohlhabend?«

Ifinger schüttelte vergnügt den Kopf. »Gar so wohlhabend bin ich nicht«, antwortete er; »für den Hans hat's noch gelangt, für die Grete nicht mehr. Das ist mir ganz gut! Ich muß was ins Haus schaffen; muß mich zusammennehmen, etwas praktischer arbeiten, alles hübsch zu Ende führen, damit es mir und der Welt etwas nützen kann; nicht mehr in allen Wissenschaften so herumschmarotzen, wie ich's immer liebte. Das war gar nicht übel, um mich auszuweiten; jetzt heißt es endlich: zieh dich zusammen; das ist auch nicht übel. Alles zu seiner Zeit!«

»Wieder ganz Naturforscher?«

»So ziemlich. Alte und neue Arbeiten ... Mit dem Geld, das dabei herauskommt, bezahle ich die Grete. Sorgen hab' ich bis heute nicht!«

»Nun, das freut mich, Doktor«, sagte Erhart und tat einen besonders tiefen, herzhaften Atemzug. »Ich fragte das nur, weil ich dachte – – Nehmen Sie's nicht übel?«

»Ihnen? – Welcher Unsinn. – Also was dachten Sie?«

»Daß Ihre gute Frau, ›die so rastlos wirtschaftet‹, wie Sie sagen – daß sie sich so abrackern müßte, weil Sie nicht reich genug – – kurz, weil die Semmeln fehlten.«

Ifinger lächelte; es war ein widerlegendes, zugleich aber fast wehmütiges, leise summendes Lächeln. Er stützte einen Arm aufs Knie; – »was denken Sie!« sagte er. »Hätt' ich dann dem Anton Kircher so viele von seinen Ladenhütern abgekauft und zu Nämlichs Iphigenie ins Kinderzimmer gehängt – wo sie noch nicht schaden? – Nein, zum ›Abrackern‹ war kein Grund. Ich hab's nie begriffen. Hundertmal hab' ich gesagt: Ich versteh' dich nicht; ich nahm dich ja doch nicht, damit du dich zerarbeitest wie eine Handwerkersfrau – ich wollte ja im Gegenteil – ganz im Gegenteil – –«

Er brach ab, ließ sein Gesicht nicht mehr sehn und blickte aufs Tännengebirg, auf die Dachsteingletscher. Um auch nicht durch sein Schweigen zuviel zu sagen, begann er leise zu pfeifen.

»Dann versteh' ich's auch nicht«, bemerkte Erhart nach einer Weile, mit unwillkürlich gedämpfter Stimme. »Wenn sie's nicht nötig hat!«

Ifinger blieb noch einige Augenblicke still; dann drehte er aber langsam den Fuß auf der Brüstung und wandte sich herum. »Sehn Sie«, begann er etwas undeutlich murmelnd, doch allmählich klarer, auch bedächtiger: »so unter dem blauen Himmel – Ihnen und Ihrem Tännengebirg' kann ich's ja ehrlich sagen: ich hatt' mir's etwas anders gedacht! – Daß ich geheiratet habe, daran sind Sie eigentlich schuld: ich wollte den schönheitsblinden ›Platoniker‹ nicht auf mir sitzen lassen, den Sie mir einmal nachts aufgebrummt hatten – das wissen Sie gar nicht mehr. Ich wollte wie ihr Künstler ganz in der Schönheit leben, ›aus dem vollen leben‹ ... Dann kam Kirchers Elend und Not; – kurz, wir wurden Mann und Frau. Nu ja, dacht' ich mir, und wenn's auch ein bissel eine Zigeunerwirtschaft wird, was tut das? Meine schöne Frau, die soll lachen und sorgenlos und glücklich sein; dann lach' ich auch und bin auch sorgenlos und glücklich ... Aber – ich weiß nicht, wie's zuging – die Porzelläne, die ich geheiratet hatte – die war nicht mehr da. Gleich am ersten Morgen ging's an: sie nahm's ernsthaft, sie warf sich auf die Wirtschaft – furchtbar ernsthaft, sag' ich Ihnen – – na, später, da haben Sie's ja selber gesehn. Alles anfassen, alles machen, Hausfrau und Köchin und Magd und Dienstmann, alles zugleich, sich nicht abraten lassen, sich nicht helfen lassen – wie wenn sie ein Gelübde getan hätte – und wie die Fanatiker schon sind: zum Teufel geht der Humor! – Sie verstehen mich nicht falsch, nicht wahr ...«

»Lieber, guter Doktor«, sagte Erhart, mit einem kurzen Blick. »Maler haben ja Augen. Ich sah ja doch das alles selbst. Wie manchesmal hab' ich gedacht, wie Sie: wo ist die Porzelläne?«

»Nun ja ... Wer erklärt einem das? – Wenn ich zuweilen nachts den Sternenhimmel ansah, erlaubte ich mir die Bemerkung: so was muß einem doch vorher gesagt werden ... Dabei immer rührend gut – meine Frau mein' ich – immer sanft, geduldig, fügsam – bis auf dieses eine! Aber das Zigeunerische, das selig Verrückte, das ›aus dem vollen leben‹ – das kam nicht. Dafür kam endlich der Hans; da war's vollends aus; nur noch Wirtschaft, Wirtschaft. Es gibt im Deutschen Reich keine bessere Mutter – keine bessere Gattin ... Bitte um etwas Feuer, meine Zigarre ist ausgegangen ... Wie gesagt, etwas anders hatt' ich mir's gedacht!«

»So einen eingeteufelten Junggesellen wie mich wundert das nicht«, entgegnete Erhart äußerlich trocken, während er ihm seine Zigarre hinhielt. »Ich glaube, das kommt alle Tage vor, daß jemand ein Mädel nimmt, weil ihr Naturell bordeauxrot ist – um in Farben zu sprechen –, und dann findet er, die junge Frau hat ein chromgelbes Naturell! Mädel und Frau sind halt zweierlei; und die Mutter Natur, mit ihren geheimen Zwecken, die macht schon solche Streiche. Manchmal mag's auch vorkommen, daß es einem mit der Frau geht wie damals dem Nämlich mit seiner Iphigenie: sie verliert sich allmählich ganz – das Mädel, mein' ich, in das er sich verliebt hat. Zuletzt hat er nichts von ihr als die Erinnerung ... Da fällt mir ein: was treibt Nämlich?«

»Der? – Er malt kleine Bilder«, erwiderte Ifinger mit derselben äußeren Trockenheit und Ruhe. »Seit er die Entdeckung gemacht hat, daß er sie desto eher verkauft, je kleiner er sie malt, seitdem verachtet er die großen Formate und zitiert überall seinen Lieblingsvers: ›In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.‹ Leo Falk nennt ihn schon den Mikroskopmaler –«

»Leo Falk wird witzig?« rief Erhart aus und lachte. »Das hat er bei seinem Erfolg doch nicht mehr nötig. Der ist ja obenauf; man will ihn nach Rom, nach Berlin, nach Wien haben, hör' ich. – Kann er noch so talentvoll schweigen? Sehn Sie ihn oft?«

»In seinem Atelier nicht selten; bei uns nie; Sie wissen ja –«

»Ist das immer noch?«

»O ja, das ist immer noch«, antwortete Ifinger, vor sich niederblickend. »Sehn Sie, das ist auch eine von den – Überraschungen; von dem ›Chromgelb‹, wie Sie sagen, das man nicht erwartet! Bald nach unsrer Verlobung reiste Leo Falk nach Venedig, wenn Sie sich erinnern; blieb ziemlich lange fort, kam auch zu unsrer Hochzeit nicht wieder. Nu, als Millis ältester, bester Freund hätt' er kommen sollen; aber wenn ihm auf dieser Herbstreise so wohl war – – und überhaupt, wer nimmt es mit einem Leo Falk so genau! Aber meine Frau, die tat das. Sie war ganz humorlos gekränkt, daß er so rücksichtslos, so unfreundschaftlich – – Na kurz – Sie wissen wohl noch, sie blieb fanatisch fest auf ihrem Kopf: ihn nicht mehr sehn, nie mehr! – Sie kennen ja den Falk: dem braucht man so was nur anzudeuten, er nimmt es mit seinem klassischen Phlegma hin, als hätt' man ihm ein Geschenk gemacht; zu Leuten ins Haus gehn, langweilt ihn, geniert ihn – er braucht von der Welt nichts als eine Kneipe und ein Atelier. Auch hat er einen ebenso harten Kopf wie die Porzelläne –«

»Einen härteren, Doktor –«

»Und so fragte er nie: warum ladet ihr mich nicht ein? Er blieb ruhig fort. Und der beste Jugendfreund meiner Frau hat ihr Haus, ihre ›Wirtschaft‹, ihre Kinder bis auf diesen Tag nicht gesehn!«

»Nu, von jedem andern würde mich das wundern; nur vom Leo nicht –«

»Aber meine Frau –!«

»Die ist eine Frau. Das sind Rebusse, Doktor. Einige, glaub' ich, sind leicht zu raten; bei andern täuscht man sich dreißig, vierzig Jahre lang – man rät immer falsch. Irgendein Bild oder Buchstabe stimmt nicht! – Ich nehm' es darum nicht gern so ernsthaft mit den Rebussen; ich nasche nur dran herum ... Aber wissen Sie was? Es wird Abend, Doktor. Ihr Koffer ist noch auf dem Bahnhof. Sie werden hungrig – denn Sie sind blaß geworden. Ich werde Ihren Koffer holen lassen und Sie zum Essen führen; auf die ›Bürgerwehr‹: da sitzt man so gut und schaut auf die Kirchen und Klöster und das Ameisengewimmel hinab. Lassen wir das fade Gebirg', kommen Sie zum Beefsteak!«


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