|
Glückselig, wessen Herz schon in der ersten Jugend
Der Weisheit Reiz gefühlt und die Gewalt der Tugend!
Eh' noch ein Vorurtheil das neue Auge trügt,
Und Alcibiades den Aristid besiegt.
O Kindheit! schönste Zier von der Gelehrten Leben,
Da vorm erstaunten Blick noch jene Helden schweben,
Die man, weil uns die Kraft sie zu erreichen fehlt,
Zur Schande unsrer Zeit, jetzt kaum für möglich hält;
Da sich ins weiche Herz die schönen Bilder drücken,
Die im Plutarchus und im Nepos uns entzücken.
O Lehrer jener Zeit, die, aller Sorgen bloß,
Mir wie ein sanfter Bach, voll stiller Freuden, floß!
Wie? soll ich euch vielleicht, um einen Duns zu fassen,
Den Afterweisen gleich, den Schulen überlassen?
Soll ich, taub für Horaz und blind für Tacitus,
Im hochgelehrten Staub, den Stax verschlucken muß,
Aus allen Pansophis und Encyklopädien,
Wie aus dem tiefsten Schacht, die Wahrheit mühsam ziehen?
Lauft immer, wenn ihr wollt, versteckten Pfützen nach,
Durch Blumen fließt mir hier der Wahrheit lautrer Bach;
Und bin ich nicht gelehrt, und mess' ich nicht die Seelen,
Bei Sokrates wird mir kein Glück des Weisen fehlen.
Der träume Kirchern gleich, der steig' auf Newtons Bahn,
Dir, o Cassini, nach, den reize Konring an;
Mir schimmert dort Athen von alter Tugend Bildern;
Den ich nachahmen will, soll Xenophon mir schildern.
Ihr Dichter! wählet euch nur Helden auf dem Thron;
Wer Esel einst besang, singt leicht vom Hieron.
Erhebt an Königen was ihr am Irus tadelt,
Weil seine Tugenden kein Fürstenmantel adelt;
Vergöttert den August, damit einst Julian,
Was ihm zum Menschen fehlt, der Nachwelt zeigen kann:
Mein Held borgt seinen Glanz nicht von gefärbten Steinen,
Dem Pöbel würd' er nur im Purpur größer scheinen.
Zwar deckt sein kahles Haupt kein Kranz, den Julius
Um Bürgerblut erwarb; kein namenloser Fluß
Sah ihn in Indien, der Siege Zahl zu mehren,
Die angestammte Ruh' verborgner Völker stören.
Doch laß Eroberern den heuchlerischen Schein!
Wie die Natur gefällt, so nimmt die Tugend ein.
Ihr Glanz verspricht nicht viel, und schimmert nicht von ferne,
Wie oft ein Kind des Sumpfs, ein Irrlicht, bleichre Sterne
Zu überstrahlen meint; ein feineres Gesicht
Find't ihre Schönheit nur, den Pöbel blend't sie nicht.
Mein Lehrer Sokrates! dich will ich nicht erheben;
Kein Lob, so groß es sey, erreicht dein göttlich Leben;
Dieß redet kräftiger von deiner Trefflichkeit
Als Pythia, die dir der Weisheit Preis bescheid't.
Sein mattester Entwurf wird edle Herzen rühren,
Und Helden andrer Art des Vorzugs Preis entführen.
O Muse von Athen! o reizt' in meinem Lied
Die Anmuth, die das Herz zu deinen Schriften zieht!
Kein Stamm, mit dessen Ruhm Pökile sich geschmücket,
Hat meinen Sokrates in seinem Schooß erblicket.
Ihn über Könige durch sich nur zu erhöhn,
Ließ aus unedlem Blut ihn die Natur entstehn.
Die ihr uns Ahnen zeigt, wenn wir euch sehen wollen,
Glaubt ihr, daß wir in euch Aemile ehren sollen,
Die euer Leben schänd't? Der läugnet sein Geschlecht,
Der seiner Ahnen Glanz mit eignen Lastern schwächt.
Die Tugend adelt nur; nur sie gab den Corvinen
Die Lorber, die am Haupt der Enkel jetzt vergrünen.
Mein Held entlehnet nichts von seines Stammes Glück,
Sein Vorzug glänzt vielmehr auf sein Geschlecht zurück.
Das Alter, dessen Brauch des Menschen Werth entscheidet,
Um welches oft, zu spät, der Greis sich selbst beneidet,
Des Lebens Lenz, worin die üppige Natur,
Verschwendrisch mit sich selbst und auf Vergnügen nur
Erhitzt, dem süßen Hang sich blindlings oft ergiebet,
Hat in Enthaltung ihn und Wissenschaft geübet.
Zu jedem Lehrenden zog ihn der Wahrheit Schein;
Da führt' Archelaus ihn bei der Weisheit ein,
Weckt die Ideen, die in seiner Brust noch schliefen,
Ein Anaxagoras eröffnet ihm die Tiefen
Der wirkenden Natur; ein andrer zeigt ihm an,
Wie Suadens Obermacht die Seelen fesseln kann.
Des Lebens rechten Brauch, die süße Kunst zu lieben
(Doch keuscher als Ovids, und schwerer auszuüben),
Lehrt ihm Diotima; die Herzen auszuspähn,
Sich und die Weisheit selbst nach jedes Trieb zu drehn,
Und die Gefälligkeit, die seinen Umgang schmückte;
Die Künste, sonder die es keinem Zeno glückte,
That dem gern Lernenden der schönen Freundin Mund
(Der, Doris, deinem glich) mit süßer Anmuth kund.
Sie lehrt ihn das Gesetz, von dem in allen Reichen
Die folgsame Natur sich scheuet abzuweichen,
Die einen schönen Geist dem Leibe, der gefällt,
Bei Thieren und Gewächs, harmonisch zugesellt.
Die wahre Schönheit wird uns selten hintergehen;
Sie läßt die Seel' im Aug', als wie im Spiegel, sehen.
Ihr Schönen, schränkt euch nicht auf kleine Ansprüch' ein,
Erkennt euch selbst, und seyd zu stolz, nur schön zu seyn!
Sogar Armidens Reiz verblühet im Genießen;
Der Seele Schönheit nur legt Seelen euch zu Füßen.
Seht wie Diotima der äußern Reize Macht
Durch Geist und Wissenschaft unwiderstehlich macht.
Wie glänzend ist ihr Ruhm! die spätste Welt wird lesen,
Ihr Freund, ihr Schüler sey ein Sokrates gewesen.
In solchen Schulen schrieb sich dieser Jüngling ein,
Den die Natur erlas, der Menschheit Zier zu seyn.
Die Tugend, die zertheilt an andern Wesen scheinet,
Zu einem einz'gen Strahl war sie in ihm vereinet.
›Sein bester Lehrer war ein richtiger Verstand
›Der seines Lebens Norm in seinem Busen fand.
›Der war sein Genius! den Geist von seltnen Kräften,
›Den unerschöpfbar'n Fleiß in würdigen Geschäften,
›Die herrschende Vernunft, die kein Gespenst betrügt,
›Kein blinder Sinnentrieb, kein Zufall überwiegt,‹
Den unbesiegten Muth, den Neid und Schmach nicht dämpfet,
Der für ein Vaterland, das einst ihn tödtet, kämpfet,
Ein menschenfreundlich Herz, das fremdes Leiden theilt,
Nicht mit den Thoren zürnt, sie lieber schonend heilt,
Und das nur leben heißt, für andrer Wohl zu leben;
Dieß gibt kein Unterricht, dieß muß der Himmel geben.
Er, dem nicht eine Kunst zu lernen übrig blieb,
Die Anaxagoras und Demokrit beschrieb,
Entdeckte bald den Tand der prahlerischen Weisen,
Die, unbekannt zu Haus, in fremde Welten reisen,
Zu sehr uneingedenk, daß zum gemeinen Wohl
Des Weisen edler Fleiß allein sich üben soll.
Was hilft's wie Gorgias des Pöbels Lob zu haschen,
Mit langem Wortgepräng' gelehrt von nichts zu waschen?
Entflösse deinem Mund Hymettens Süßigkeit,
Wenn deine Redekunst sich nicht der Tugend leiht,
So bist du ein Melit. Was sind die stolzen Künste,
Die man von Memphis holt? Gefärbte Wasserdünste,
Die im Beschau'n vergehn? wie Iris bunter Kreis!
Die ganze Wissenschaft, die mit demantnem Fleiß
Der weise Abderit von aller Welt entlehnet,
Durch eignes Forschen noch in tausend Bücher dehnet,
Stärkt sie das Herz? Macht sie, wie Agathenors Sohn,
Ein Bild der Mäßigkeit aus einem Polemon?
Was weiß Hipparchus dann, wenn er von tausend Sternen
Stand, Größen und Bezirk, Verhältnisse und Fernen
In Ziffern uns entdeckt, da er die Kraft nicht sieht
Die ihre Federn rührt, da ihn ihr Innres flieht?
Was sieht der, der vielleicht uns vom Saturn betrachtet?
Ein Stäubchen, das er kaum aus Millionen achtet.
So siehst du Welten an, die in entwölkter Nacht
Dir ein entkräftet Licht als Punkte sichtbar macht.
Welch eine Finsterniß vermischt sich unsrer Klarheit!
Kaum thun wir einen Schritt in dem Gebiet der Wahrheit,
So endet sich der Schein, den unsre Dämmrung gab.
Wen seine Kenntniß bläht, dem fehlt der wahre Stab
Zum Maß der Wissenschaft; das Nichts von seinem Wissen,
Wird, will er weise seyn, Sokrat ihn lehren müssen.
Die Weisheit, die, vor ihm, die Himmel nur durchspürt,
Hat Sokrates zuerst zur Erden abgeführt.
Er lehrte, wie das Herz den Quell in sich verschließet,
Aus dem, nicht aus der Welt, uns alles Uebel fließet.
Er, ein erklärter Feind von Wahn und Vorurtheil,
Zeigt uns das ächte Gut, und macht die Herzen heil,
Die jede Leidenschaft, von Weisheit nicht gereinigt,
Mehr als das stärkste Gift des wilden Fiebers peinigt.
Die Tugend, die Kleanth in eine Larve hüllt,
Die leicht ein zartes Herz mit Furcht und Ekel füllt;
Die Pflicht, die Aristipp von allem Ernst befreiet,
Und, ohne roth zu seyn, in Lais Arm entweihet,
Zeigt er uns wie sie ist, streng jeglicher Begierd',
Die von der Pflicht uns lockt, und dann die Reu' gebiert;
Doch lächelnd für ein Herz, das seine Würde fühlet,
Und auf dem engen Pfad nach wahrem Glücke zielet.
Die Gottheit, die der Wahn, zum Spott der klügern Welt,
In tausend Götzen schneid't und eingekerkert hält,
Lehrt er, von Bildern frei, die unsrer Ehrfurcht wehren,
In ihren Schöpfungen entdecken und verehren;
Sie laß Parmenides des Weltbaus Krone seyn,
Alkmäon gieße sie in die Gestirne ein;
Dem Weisen, der das Nichts von unserm Wissen kennet,
Ist, sie zu ehren nur, nicht sie zu sehn, vergönnet.
Wie? dienet der dem Herrn, den uns die Schöpfung zeigt,
Der sein entheiligt Knie in Marmortempeln beugt?
Der kennt und ehret Gott, der ihm zu gleichen trachtet,
Und seine Stimme nie in der Natur verachtet!
So lehrte Sokrates!– Glückseliges Athen!
Du hast den Mund gehört! du hast den Mann gesehn!
Du hast der Pflichten Bild in seinem Thun erblicket,
Du sahst in ihm den Geist, der selber sich beglücket;
Den Redlichen, den Freund, den Menschen, der die Welt
Für seine Vaterstadt und uns für Brüder hält;
Den Richter, den kein Drohn des Kritias beweget,
Den Ehmann, der mit Huld der Gattin Fehler träget,
Den Freund, der in der Schlacht, von gleicher Noth bedroht,
Doch seinen Leib zum Schild der Brust des Freundes bot.
Ihr, deren Saiten nur von Weltbezwingern klingen,
Seht meinen Helden an, und schämt euch fortzusingen!
Bleibt neben Sokrates ein Alexander groß?
Beglückter Xenophon! du warst in seinem Schooß
Zum Helden ausgebild't; die Kunst erhabner Seelen,
Die dich unsterblich macht, dem Glücke zu befehlen,
That dir sein Beispiel kund, und rief die edle Lust
Sein Ebenbild zu seyn in deine junge Brust.
Wer hätte seinem Werth sich nicht ergeben müssen?
Selbst Alcibiades ward von ihm hingerissen!
Sein Antlitz, wo sich Ernst in Anmuth sanft ergoß,
Nahm schon die Seelen ein. Von Venus Gaben bloß,
Verschönt er die Natur, die ihn dem Delphin gleichte,
Mit Mitteln ohne Kunst, die ihm die Weisheit reichte;
Bei aufgeklärter Stirn und lächelndem Gesicht
Beleidigt unsern Blick die Faunennase nicht:
Und darf er nicht beim Mahl, obgleich die Gäste lachen,
Dem schönen Kritobul den Vorzug streitig machen?
Im Schooß der Armuth hat die Weisheit ihn beglückt.
Vom Reichthum unbeschwert, vom Mangel nicht gedrückt,
Vergnügt' er die Natur, die nie zu viel begehret,
Und unterm Schieferdach des Marmors leicht entbehret.
Nie, Vorsicht, hat er dich mit eitlem Flehn ermüd't;
Was fehlt dem, der sein Glück in sich gegründet sieht?
Nie hat er euch beneid't, ihr Thoren auf den Thronen;
Dem fehlt's an Lorbern nicht, der misset keine Kronen,
Der in sich selber herrscht, und die Begier besiegt,
Zu deren Füßen selbst der Weltbezwinger liegt.
Gefällt mein Lehrer dir? Erkennest du den Weisen,
Den Plato, Xenophon der tauben Nachwelt preisen?
Ist er der Sorgen werth, die meinen Geist bemühn,
Und, ähnlich ihm zu seyn, mir Scherz und Schlaf entziehn?
Doch, Freundin, könnt' ich dir von einem solchen Leben
Den würdigsten Beschluß mit Platons Zunge geben,
Da würdest du den Mann in seiner Größe sehn,
Den Kerker und Anyt mehr als Apoll erhöhn;
Sehn, mit Entzückung sehn, wie nun der Mensch vergehet,
Und stufenweise sich zu einem Gott erhöhet.
Zwar weintest du vielleicht, von frommer Wehmuth voll,
Daß hier das Laster siegt, die Tugend leiden soll;
Doch welche Wollust ist so süß als solche Schmerzen?
Sie sind das Eigenthum von tugendhaften Herzen.
Ja, Freundin, traure nur, wenn Kerker, Gift und Tod
Dem Besten seiner Zeit, dem Stolz der Menschheit droht!
Wenn ein Aristophan in spotterfüllten Scenen
Es kecklich wagen darf den Weisen zu verhöhnen;
Wenn einen Sokrates Melit zum Urtheil führt,
Und was Belohnung heischt, Stoff zur Verdammung wird;
Wenn seine Freund' ihm nun zum Kerker folgen müssen,
Wer tadelt sie und uns wenn unsere Thränen fließen?
Jedoch ein Sokrates will nicht bejammert seyn;
Bei eines Weisen Tod soll sich sein Freund erfreu'n.
Er fleht den Richtern nicht, die ihn zu beugen hoffen,
Beim Urtheil lächelt er, die Kläger stehn betroffen.
Er schlägt die Lösung aus, die ihm die Freundschaft bot,
Und fliegt dem Kerker zu, und segnet seinen Tod,
Ihn, der das Göttliche, in unserm Leib verschlossen,
Zurück zur Quelle führt, aus der es ausgeflossen.
Dort sieht im reinen Licht, das um die Gottheit fließt,
Sein nebelfreier Geist das was wahrhaftig ist;
Dort liegt der Plan vor ihm, wornach die Vorsicht handelt;
Dort findet er, die ihm zum Himmel vorgewandelt,
Die Edeln, deren Ruhm noch in Verdiensten lebt,
Die Weisen, denen er zu gleichen sich bestrebt.
So hofft mein Sokrates, und lässet mit Vergnügen
Weit unter seinem Fuß die kleine Erde liegen;
Er nimmt den Schierlingskelch, so frei von Angst und Gram,
Wie dort Anakreon den Rosenbecher nahm,
Reizt seine Freunde, sich nach seinem Glück zu sehnen,
Und lächelnd scheidet er von ihren frommen Thränen. |