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O Freundin, laß dich nie der Heuchler Blendwerk trügen,
Das Laster schmücket oft sich mit der Tugend Zügen,
Oft hüllet ein Tartuffe die innre Häßlichkeit,
Die unsern Abscheu reizt, in ein seraphisch Kleid!
So wußte Satanas, um Even zu belügen,
›Den schönsten Schlangenbalg sich künstlich anzuschmiegen.‹
Wie manche dünket uns Lucretia zu seyn,
Und nur ihr Longaren sieht unsern Irrthum ein.
Sieh diesen Cato an, den ehrfurchtswerthen Alten,
Doch glaube nicht dem Ernst der heuchlerischen Falten;
Der ist Herodes oft, der uns Johannes scheint.
Die wahre Tugend ist dem Schein der Tugend feind;
›Wer, einem Wirthsschild gleich, sie prunkend ausgehangen,
›Hat ein geheimes Ziel, und hoffet dich zu fangen.‹
Wo jemand den Geruch der Tugend von sich streut,
Da untersuche nur des Lebens Richtigkeit.
Nur Eine Tugend ist's, die in erhabnen Seelen
Dem Trieb Gesetze gibt; laß ihr das Mind'ste fehlen,
Sie ist nicht Tugend mehr. Das ganze Stück sey schön,
Soll ich darin die Hand des großen Meisters sehn.
Dein Leben gleiche stets den klugen Schildereien,
Wo über ihren Ort sich alle Striche freuen.
So wie die schönste Haut Albinen nur verstellt,
Weil ihren Augen Geist, den Zügen Ordnung fehlt;
So macht ein edler Zug, der schlimme Sitten zieret,
Daß uns das Häßliche mit größerm Ekel rühret.
Ich bin kein Mänius, ruft muthig Nomentan,
Der Tänzerinnen Freund, und klagt den Oheim an;
Kein ungenütztes Gold bewacht er bei dem Kasten:
Doch wie? – der Jüngling schwelgt, um einst als Greis zu fasten.
Stax lacht Kometen an, kein nächtliches Gesicht,
Kein Kobold, kein Gespenst, kein Zeichen schreckt ihn nicht;
Doch eines Höflings Blick, des Knechts von höhern Knechten,
Entnervt den schwachen Geist, den keine Teufel schwächten.
Da ist die Tugend nicht, wo Laster Laster fliehn,
Und einer Thorheit Platz zehn größere beziehn.
Was hilft es dich, o Thor, umringt von Dornenspitzen,
Von einer frei zu seyn, wenn dich die andern ritzen?
Der Säfte Mischung fließt oft in die Sitten ein;
Ein Timon wird durch sie der Themis Rächer seyn.
Der Cato, dessen Blick die Laster zittern machte,
Der an der Freiheit Thron mit Brutus Eifer wachte,
Den Cäsars Glück und Sieg entkräftet, nicht gebeugt,
Ist nicht der Göttliche, den Addison uns zeigt.
In Augen die nur drohn, und stets von Eifer brennen,
Kann ich den milden Glanz der Tugend nicht erkennen.
Sokratisch lächelt uns ihr ruhiges Gesicht,
Und ihre Stirne zürnt selbst mit Verbrechern nicht.
Den rauhen Menschenfeind, der selber nie gefühlet
Wie sich mit Billigkeit der Themis Strenge kühlet;
Der nie vergnügter ist, als wenn er strafen kann,
Dem keine Thräne nie sein Mitleid abgewann;
Den werden jene nur zu wahren Helden stellen,
Die einen Claudius den Göttern zugesellen.
Der Anti-Porcius, der weichliche Hedon,
Liebt aus Gemächlichkeit und ist zu faul zum Drohn.
Im Hain von Amathunt an Venus Brust erzogen,
Kennt er sonst kein Gewehr als Amors Pfeil und Bogen.
Er dehnt die Menschenhuld bis auf die Phrynen aus;
Sein würdig Leben ist ein fortgesetzter Schmaus;
Er will gesellig seyn, doch seufzen seine Schwellen
Nur unter Fannien und schwelgenden Tygellen;
Der erste, der ihn grüßt, ist sein vertrauter Freund;
Zum kräftigen Beweis, wie redlich er es meint,
Beglückt er ihn so lang mit sprudelnden Lyeen,
Bis sie sich vielfach sehn und wie Mänaden drehen.
Wie zärtlich ist Hedon! ein Pflästerchen, ein Band,
Ein buhlerischer Blick entführt ihm den Verstand.
Zwar wird er sich beim Schmaus mit keinem Freunde schlagen,
Doch, wenn die Pflicht es will, sein Leben kühn zu wagen,
Den Freund mit eignem Blut dem Tode zu entziehn,
Dieß wird Hedon so sehr als Thrasons Degen fliehn.
Kein kenntnißloser Zwang, dem wir vergebens wehren,
Kein Mechanismus soll die Tugend uns gebären;
Dem blinden Triebe gleich, der, ohne daß sie denkt,
Der Biene muntern Fleiß beim Honigsammeln lenkt.
Die Tugend zeugt der Geist, der ordnet unsre Triebe,
Und senkt ins weiche Herz der wahren Schönheit Liebe;
Er zeiget der Begier, hoch über Erd' und Zeit,
Die göttliche Gestalt der ächten Seligkeit;
Dieß Bild erfüllt sie ganz; das Urbild zu erstreben,
Dieß große Ziel allein ist ihrer Wünsche Leben!
Dem ist ein jeder Zug der Seele unterthan;
Vergeblich lockt alsdann uns eine Circe an.
Die sel'ge Harmonie, die der von Samos preiset,
Die Schöpferin der Pracht, die sich im Weltbau weiset;
Ist unsrer Thaten Seel', und herrschet im Verstand,
Und fesselt die Begier mit diamantnem Band.
Das Urbild, dessen Form die Weisheit in uns drücket,
Ist das, was nachgeahmt die ganze Schöpfung schmücket.
Dieß sey dein letzter Zweck, nach dem gestalte dich;
Aus seiner Fülle nährt die wahre Tugend sich.
Die nahe Ewigkeit, in die dein Leben fließet,
Der Himmel, wo dein Geist des Lebens erst genießet,
Sey stets vor deinem Blick; und deine kleinste Zeit,
O Freundin, mache dich werth der Unsterblichkeit!
Doch, o wie selten ist die Tugend jener Seelen,
Die sich die Gottheit selbst zum Ideal erwählen!
Der an der Hoheit gnügt, die sie sich selbst gewährt,
Die nichts zu missen glaubt, wenn sie kein Pöbel ehrt.
Von so erhabner Glut wird jener nicht getrieben,
Dem Aristoteles die Tugend vorgeschrieben.
Der liebt an ihr den Glanz, der um die Helden strahlt,
Die das empfangne Blut dem Vaterland bezahlt;
Der liebt sie, weil sie ihm die Mittel weiß zu geben,
Sich wie Perikles einst vor andern zu erheben.
Wie scheint der Mann uns groß! Doch laß das Glück entfliehn,
So bleibt der kaum ein Mensch, der vor ein Halbgott schien.
O Freundin, wüßt ich hier Plutarchen auszudrücken,
So solltest du, erstaunt, des Brutus Bild erblicken,
Des Römers Bild, der, mehr als ein gemeiner Held,
Zu seinem Ziele sich die Tugend vorgestellt.
Da würd' ich dir ein Herz voll edler Triebe schildern,
Wo sich mit Menschenhuld die strengsten Sitten mildern,
Den Helden, den kein Geiz nach hoher Schande treibt,
Der, auch wenn Cäsar herrscht, ein freier Römer bleibt;
Den tugendhaften Mann, deß unverfälschtes Wesen
Wir in dem holden Ernst der edeln Mienen lesen;
Den zärtlichen Gemahl der großen Porcien –
Dieß alles würdest du im schönsten Lichte sehn,
Belebte mich der Geist von jenem weisen Britten,
Dem Freunde Addisons, des Polygnots der Sitten.
Doch, Freundin, eh' du ihn vergötterst, sieh vorher
Sein Ende an, und du vergötterst ihn nicht mehr.
Dort, als er Porcien den kühnen Schluß entdeckte,
Als ihn ihr Heldenmuth zu größrer Tugend weckte,
Als er dem treuen Arm zu jener That entflieht,
Die die entferntste Welt noch zur Bewundrung zieht,
Wie dünkt er uns so groß! Wie muß ihm Cato weichen!
Doch ach! bald wird sein Tod ihn seinem Cato gleichen.
Es siegt Octavian. Ihn läßt das Glück allein,
Gleich hört er auf ein Held und tugendhaft zu seyn!
Der weise Patriot, der unsre Gunst erworben,
Der Held, der uns entzückt, ist als ein Sklav gestorben,
Unselige! (so red't er seine Tugend an)
Für wirklich hielt ich dich, jetzt fühl' ich meinen Wahn.
Du bist ein eitler Schall, und bist du ja vorhanden,
So dienest du dem Glück, und lässest uns in Banden.
So sagt er, und sein Schwert macht ein unedles End'
An einen Lebenslauf, der unsre Augen blend't.
›O wie ganz anders dort mein Sokrates erduldet
›Was sein undankbares Athen an ihm verschuldet!
›Wie fest er auch im Tod noch an der Tugend hält,
›Von der das schönste Bild sein Leben dargestellt!‹
Er nimmt mit Heiterkeit und ruherfüllten Zügen
Den ungerechten Kelch, und trinkt ihn mit Vergnügen.
Die Tugend hintergeht des Weisen Hoffnung nie;
Er hofft von ihr kein Gold, und niemals macht er sie
Zur Unterhändlerin mit dem treulosen Glücke;
Er hat es oft geprüft, und lachet seiner Tücke.
Die stets der Tugend folgt, die frohe Seelenruh',
Schließt seine Brust dem Gram und allen Wünschen zu;
›Die Göttin liebt er, nicht die Grazie, die sie kleidet,
›Und liebt sie desto mehr, je mehr er um sie leidet.‹ |