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Wie vom zufriednen Strand, gesichert vor den Stürmen,
Ein Wandrer ruhig sieht, daß sich die Wogen thürmen,
Und in entfernter Höh' den segellosen Mast
Des goldbeschwerten Schiffs ein wilder Orkan faßt,
Jetzt in die Wolken wirft, im Abgrund jetzt vergräbet,
In raschen Wirbeln dreht, und wieder schleudernd hebet;
Er sieht mit welcher Wuth Neptun und Eurus ringt,
Wie unter ihrem Kampf das lecke Schiff versinkt,
Und nun selbst Palinur, von Flut und Sand bedecket,
Den steuerlosen Arm dem Tod entgegen strecket;
Von seines Ufers Höh' sieht er's mit heiterm Blick
Und frohem Schauer an, und danket seinem Glück:
So, Freundin, sieht, geschützt durch sichernde Ideen,
Des Weisen stiller Geist von sturmbefreiten Höhen
Ins Meer der Welt herab, wo die Begier der Wind,
Der Fels das Vorurtheil, die Menschen Schiffer sind;
Wo die Vernunft zu schwach mit Leidenschaften kämpfet,
Mit Feinden, die allein der Tugend Allmacht dämpfet;
Wo oft die Hoffnung sich mit vollen Segeln drängt,
Und, eh' sie was besorgt, an blinden Klippen hängt;
Wo, fern vom sichern Weg, der uns zur Wohlfahrt leitet,
Der Thor mit saurer Müh' sein Unglück sich bereitet.
Dir, Selbstzufriedenheit, dir, süße Seelenruh',
Eilt jedes Menschen Wunsch, eilt jede Handlung zu.
Doch wer erreichet dich, wo uns auf beiden Seiten
Dort Schrecken und hier Lust auf Nebenwege leiten?
Wenn hier der Zauberton der falschen Circe reizt,
Und eine Scylla dort nach unserm Fleische geizt,
Und bei verwölkter Nacht kein sichres Licht uns zündet;
Wo der Ulyß, der stets die Mittelstraße findet?
Hier spornet euern Fleiß, ihr Weisheitslehrer, an!
Du, Sternenspäher, steig' aus ferner Welten Bahn
Herab ins eigne Herz! Lass' die Kometen irren!
Bestrebe dich dafür, dich selbst dir zu entwirren,
Und führ', an jener Statt, dein Herz, mit besserm Glück,
Von seines Brennpunkts Flucht zu seinem Ziel zurück.
Beklagenswerther Geist, wem gibst du deine Sorgen?
Im Himmel wohl bekannt, und nur dir selbst verborgen,
Gebläht von Wissenschaft, die nur den Kopf beschwert,
Des Leibes Kräfte schwächt, das Herz nur kärglich nährt.
Du gibst dem Schöpfer Rath, kannst seine Werke schelten,
Verwirfst der Weisheit Plan und bauest neue Welten.
Dir zeigt ein Zifferblatt die Seele jener Uhr,
Die alle Sphären treibt, die Räder der Natur;
Du missest uns den Stand der neblichten Plejaden,
Und theilst den steten Stoff in geistige Monaden:
Zergliedre mir vielmehr dein dir so nahes Herz,
Den Schöpfer deines Glücks, den Quell von Lust und Schmerz;
Wie mischen sich in ihm die Triebe die es regen?
Wie machest du, daß sich der Seele Stürme legen?
Wie mäßigst du den Hang zu oft bereuter Lust,
Nach Epikurs Gesetz, in der gereizten Brust?
Wenn sich dein Glück verbirgt, und das Geschick der Weisen
Dich in den Staub verstößt, und schlägt in Zenons Eisen!
Sieht dann dein Heldenblick mit unverwirrtem Sinn
In aller Dinge Band, ins Glück der Zukunft hin;
Und lernt, umstrahlt vom Licht der überird'schen Sphären,
In schönern Hoffnungen, die Erde leicht entbehren?
Bist du ein Menschenfreund, und fühlest fremde Pein,
Liebst du auch ohne Sold, kannst du dem Feind verzeihn,
Dich rächen wie Lykurg, und nur durch Bessern strafen;
Wie Brama's Jünger thut, auf Laub zufrieden schlafen,
Des armen Crassus Gold begierdenlos besehn,
Und stets, mit frohem Mund, Gott danken, nie ihm flehn?
Dieß, Kenner des Gestirns, dieß muß der üben können,
Der es verdienen soll, daß wir ihn weise nennen.
Den Weg zur Seelenruh', den allernächsten Pfad,
So rauh auch Prodicus ihn uns geschildert hat;
Nicht, wie der Wollust Feld, mit Frühlingslust umflossen,
Von alten Hecken starr, der Weichlichkeit verschlossen,
Den kenn', den zeig' er uns, den geh' er selbst voran,
Und lehr' uns durch sein Thun, wie Sokrates gethan.
Allein, wo find' ich den, den kein Gespenst betrüget,
Das Bacons edler Fleiß entdecket und besieget?
Wie klein ist jene Zahl, die Glück und Ruhm verschmäht,
Und von der Welt entfernt nach ächter Weisheit späht!
Wie einsam irrt mein Blick im Weg, den Kebes schildert?
Wie ist Sokratens Pfad so traurig und verwildert!
Wenn Weisheit nur allein uns glücklich macht, warum
Ist Wahn und Leidenschaft der Menschheit Eigenthum?
Kann, der aus Huld uns schuf, den großen Zweck verfehlen?
Ist innerliche Ruh' das höchste Gut der Seelen,
Warum gestand man uns nicht auch die Mittel ein?
Warum ist nichts so schwer als Epiktet zu seyn?
Um dieses Räthsel dir, o Freundin, aufzulösen,
Wirf einen Blick mit mir auf unser zweifach Wesen.
Benachbart jener Welt, die Gottes Licht erfüllt,
Wird in der reinsten Lust des Engels Durst gestillt,
›Durch stete Thätigkeit der höchsten Geisteskräfte
›Ist Wahrheit sein Genuß, und Wohlthun sein Geschäfte;
›Kein Wechsel, keine Zeit, droht seinem sichern Glück,
›Und aus zu tiefer Fern' trifft seinen reinen Blick
›Der Glanz der Sinnenwelt, der Sonnen und der Erden,
›Von ihren Gütern je, wie wir, gereizt zu werden.‹
Weit unter unserm Kreis, oft glücklicher als wir,
Und unsrer Sorgen frei, lebt das beglückte Thier,
Blind für den Unbestand des künftigen Geschickes,
Verschlungen vom Gefühl des itz'gen Augenblickes,
Arm an Bedürfnissen, von Wünschen ungekränkt
Und auf den engen Kreis der Wollust eingeschränkt,
Die ihm die Sättigung des strengen Triebs gewähret,
Durch den es Speise sucht und sein Geschlecht vermehret.
Von Engeln und von Vieh in gleichem Abstand weit
Drängt zweifelhaft der Mensch sich zur Glückseligkeit.
Zu geistig, Thieren gleich im Schlamme sich zu weiden,
Zu irdisch zum Genuß unkörperlicher Freuden,
Schwebt zwischen beiden er und sucht vergebens Ruh';
Ein Scheingut glänzt ihn an, er eilt ihm lüstern zu,
Genießt es und erfährt, eh er es ausgenossen,
Sein Herz noch wie zuvor in Wünsche ausgegossen.
Er wechselt ohne Ziel der Sehnsucht Gegenstand,
Erwühlt ein schädlich Gold aus seinem Vaterland,
Sein Geiz entheiliget der Nymphen stille Tiefen;
Ihm wälzt das Meer getreu, in segelreichen Schiffen,
Gold, Sorg' und Reue zu: das ganze Reich der Lust
Eröffnet sich umsonst der immer ekeln Brust;
Umsonst umarmet ihn im Schatten voller Reben
Ein wollustathmend Kind, um das die Scherze schweben;
Umsonst schmückt Seid' und Gold sein königliches Haus,
Die Sorge treibet ihn aus Schwanen selbst heraus.
Frißt ein verborgnes Gift das Eingeweid von innen,
So schmeichelt man umsonst den äußerlichen Sinnen.
O seltne Seelenruh'! fremd in des Fürsten Schloß,
Vor Gold und Purpur scheu, fern von der Wollust Schooß,
Sucht dich vielleicht mit Recht ein Timon bei den Skythen?
Wie, oder flohst du gar zu Thebens Eremiten?
Kann die Geselligkeit nicht mit der Ruh' bestehn?
Muß man, beglückt zu seyn, nur Eulen um sich sehn?
Nein! also hat uns nicht des Himmels Gunst verlassen!
Man darf, vergnügt zu seyn, nicht Welt und Menschen hassen.
Des Hofes Unruh' selbst stört Platons Ruhe nicht.
Wer sich in sich verschließt und nie sich selbst gebricht,
Der wird, wohin ihn auch sein Schicksal mag verschlagen,
Bis zu den Mohren selbst die Ruhe mit sich tragen.
Komm, Freundin, laß uns hier den sanften Weg erspähn,
Der frommen Tugend Pfad, den ächte Weisen gehn.
Von deinem Fuß berührt, bestrahlt von deinen Blicken,
Wird ihn ein neuer Reiz in meinen Augen schmücken.
Was seine Lorbern nicht dem Julius gewährt,
Wofür einst Philipps Sohn umsonst die Welt verheert,
Vergeblich sich Tiber in Capreä verschlossen;
Was kein Sardanapal, kein Xerxes je genossen,
Was aus gelehrtem Staub kein Scaliger erwühlt,
Was alle stets gewünscht und wenige gefühlt,
Die Wollust ohne Reu', das immer frohe Leben,
Soll, ohne Hülf' des Glücks, uns Lieb' und Tugend geben.
O treue Führerin durch diese Unterwelt,
Wo kaum ein dämmernd Licht die Mitternacht erhellt,
Du Königin des Glücks, du Schöpferin der Freude,
Der Hoffnung Felsengrund, gewisser Trost im Leide,
Und wie dich, Tugend, sonst des Weisen Brust erfährt,
Wie mal' ich, Schönste, dich? wie preis' ich deinen Werth?
Soll dein erhabner Reiz in meinem Bilde strahlen,
Daß jedes Herz dich fühlt, so müßt' ich Doris malen.
Kein heuchlerischer Schmuck, kein wesenloser Schein
Bethört an dir den Geist, und nimmt die Sinnen ein.
Ein ungeschminkter Reiz, der alle Proben leidet,
Ein Glanz wie jener ist, der die Natur bekleidet;
Des Himmels Heiterkeit, aus der dein Ursprung blickt,
Und anmuthsvoller Ernst, ist was an dir entzückt.
So, Freundin, reizt an dir, aus edeln holden Zügen,
Zu Ehrfurcht sanfter Ernst, und Anmuth zum Vergnügen.
Doch nur die besten sind's, die sie mit Rührung sehn,
Die ächte Schönheit ist nur reinen Augen schön.
Die hohe Harmonie in Gottes Wunderwerken
Kann nur Pythagoras, ein Leibnitz nur bemerken.
Ihr, die in ihrem Arm die trunkne Wollust hält,
Und euch mit Freuden speis't, die der Genuß vergällt,
O möchte sie euch einst in ihrem Glanz begegnen!
Wie dankvoll würdet ihr die holden Stunden segnen!
Hört den Betrognen nicht, der sie euch traurig zeigt,
Mit schwarzen Farben malt, und ihre Lust verschweigt.
Die Tugend ist nicht so, wie sie die Milzsucht schildert,
Gehässig aller Lust, einsiedlerisch verwildert,
In Seufzer eingehüllt, von Sünden fast erdrückt,
O nein! so ist sie nicht, die unser Herz beglückt,
Zu deren hohem Ernst sich stete Lust gesellet;
So hat das Vorurtheil ihr reizend Bild verstellet,
Es kennt die Göttin nicht, und küßt an ihrer Statt
Ein Bild, das mit der Nacht der Wahn gezeuget hat.
So hat an Junons Statt, vom Donn'rer hintergangen,
Ixions trunkner Arm einst eine Wolk' umfangen.
Beim ersten Blick nimmt schon der Tugend Antlitz ein,
Sie scherzt im Sokrates bei Rosen und beim Wein,
Entfaltet Aug' und Stirn in ernstlichen Catonen,
Sie liebt in Porcien, und trägt im Marcus Kronen,
Gesellt sich jedem Stand, leid't auch der Städte Rauch,
Und zeigt den Menschen erst des Lebens wahren Brauch.
Sie lehret den Verstand der ganzen Welt zu nützen,
Sie siehet freudig auf, wenn Donner um sie blitzen,
Und, wer bei heitrer Luft gen Himmel spottend sieht,
Vor Angst Gelübde thut und in Gewölbe flieht,
Wenn ein ermüd'ter Geist sich aus den Labyrinthen
Des ewigen Geschicks nicht weiß heraus zu winden,
Läßt den erzürnten Witz noch neue Knoten drehn,
Und findet Popens Riß für unsre Welt zu schön;
So ruht sie zweifellos in ihres Meisters Willen.
Wenn ihre Hoffnungen in Wolken sich verhüllen,
Wenn Neid und Undank sie in Timons Wüste treibt,
Und ihr vom größten Glück kaum die Erinnrung bleibt;
Wenn sie mit Epiktet in dunkler Knechtschaft schwitzet,
Da, seines Glückes werth, ein Thor in Purpur blitzet;
Wenn sie, wohin sie sieht, der Menschheit Elend schreckt,
Das arme Hütten drückt und goldne Dächer deckt:
Hebt sie ihr Aug' empor zu jenen ew'gen Höhen
Erblickt des Schicksals Lauf in göttlichen Ideen,
Und kehrt voll Seelenruh' den aufgeklärten Blick,
Mit sanfter Menschenhuld, auf ihr Geschlecht zurück;
Verlernt, dem Pöbel gleich, mit Schatten sich zu plagen,
Sieht in sich selbst ihr Glück, und kann den Thoren tragen. |