Christoph Martin Wieland
Dschinnistan
Christoph Martin Wieland

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Es gibt keine Worte, um die Bestürzung des Königs zu schildern, wie er seine sanguinischen Hoffnungen und sein grenzenloses Vertrauen auf das Haupt des Hermetischen Ordens so grausam betrogen sah. Auf die erste Betäubung des Erstaunens folgte Unwillen über sich selbst, und dieser brach endlich in Verwünschungen und wütende Drohungen gegen den Betrüger aus, der in einer sichern Freistätte seiner Leichtgläubigkeit spottete. Er war im Begriff, in die Halle herunterzusteigen und alle seine Reisigen und Knechte aufsitzen zu lassen, um dem Flüchtling auf allen Seiten nachzusetzen, als auf einmal ein wunderschöner Jüngling in einem hell glänzenden Gewande, mit einer goldnen Krone auf dem Haupte und einem Lilienstengel in der Hand, vor ihm stand und ihn anredete. «Ich kenne den Unfall», sprach der Jüngling, «der dich beunruhiget, und bringe dir Entschädigung. Du suchest den Stein der Weisen. Nimm diesen Stein, bestreiche dreimal mit ihm deine Stirne und deine Brust hin und wieder, und du wirst die Erfüllung deines Wunsches sehen.» Mit diesen Worten gab ihm der Jüngling einen purpurroten Stein in die Hand und verschwand.

König Mark sank aus einer Bestürzung in die andre. Er betrachtete den Stein, den er auf eine so wunderbare und unverhoffte Art empfangen hatte, von allen Seiten; und wiewohl er nicht begriff, wie die Erfüllung seiner Wünsche und das Bestreichen seiner Stirne und seiner Brust mit diesem Steine zusammenhänge, so war er doch zu sehr gewohnt, Dinge, von denen er nichts begriff, zu glauben und zu tun, als daß er hätte Anstand nehmen sollen, dem Befehle des Genius Folge zu leisten. Er bestrich sich also Stirne und Brust dreimal mit dem magischen Steine hin und wieder und stand beim dritten Mal – in einen Esel verwandelt da.

Während daß dieses mit dem Könige vorging, erhob sich auf einem andern Flügel des Schlosses, wo die Königin wohnte, auf einmal ein entsetzlicher Lärm. Der schöne junge Ritter Floribell (der, wie wir nicht läugnen können, in Verdacht stand, die Nacht im Schlafzimmer der Königin zugebracht zu haben) hatte sich mit dem besten Teile ihrer Juwelen diesen Morgen unsichtbar gemacht. Mabillje war die erste Person am Hofe, die es gewahr wurde. Sie war im Begriff, vor Scham und Ärger sich ihre schönen Haare aus dem Kopfe zu raufen, als eine Dame von unbeschreiblicher Schönheit, in rosenfarbnem Gewand und mit einer Krone von Rosen auf dem Haupte, vor ihr stand und zu ihr sagte: «Ich kenne dein Anliegen, schöne Königin, und komme dir zu helfen. Nimm diese Rose und stecke sie an deine Brust, so wirst du glücklicher werden, als du jemals gewesen bist.» Mit diesen Worten reichte sie ihr eine Rose aus ihrer Krone und verschwand. Die Königin wußte nichts Besseres zu tun als zu gehorchen; sie steckte die Rose an ihren Busen und sah sich in dem nehmlichen Augenblick in eine rosenfarbne Ziege verwandelt und in eine unbekannt wilde Einöde versetzt.

Als die Kammerfrauen des Morgens um die gewöhnliche Stunde hereinkamen und weder die Königin noch ihre Juwelen, noch den schönen Floribell fanden, war die Bestürzung und der Lärm so arg, als man sich's vorstellen kann. Man konnte nicht zweifeln, daß sie sich von dem jungen Ritter habe entführen lassen, und man ging, es dem König anzuzeigen. Aber wie groß ward erst der Schrecken und die Verwirrung, da auch der König und sein neuer Günstling, der Mann mit dem großen weißen Barte, nirgends zu finden waren! Sich vorzustellen, daß König Mark sich von dem alten Graubart habe entführen lassen, war keine Möglichkeit. Man stellte sich also gar nichts vor, wiewohl acht Tage lang in ganz Cornwall von nichts anderm gesprochen wurde. Die Ritter und Knappen setzten sich alle zu Pferde und suchten den König und die Königin vier Monate lang in allen Winkeln von Britannien. Aber alles Suchen war umsonst. Sie kamen wieder so klug nach Hause, wie sie ausgezogen waren; und das einzige, womit sich das Volk tröstete, war die Überzeugung, daß es ihnen leicht sein werde, wieder einen König zu finden, wenn sie keinen weisern haben wollten als König Mark,

Der königliche Esel hatte sich indessen mit vieler Behutsamkeit, um nicht entdeckt zu werden, aus seiner Burg ins Freie hinausgemacht und war, mißmutig und mit gesenkten Ohren, schon einige Stunden lang durch Wälder und Felder dahergetrabt, als er in einem Hohlwege eine junge, mit einem Quersack beladene Bäuerin antraf, deren Wohlgestalt, frische Farbe und schönen blonden Haare ihm beim ersten Anblick etwas einflößten, das sich besser für seinen vorigen als gegenwärtigen Zustand schickte. Er blieb stehen, um das junge Weib anzugaffen, die sich ganz außer Atem gelaufen hatte und vor Müdigkeit nicht weiter konnte. Die Teilnehmung, die sie diesem allem Ansehen nach herrenlosen Tiere einzuflößen schien, erregte ihre Aufmerksamkeit: sie näherte sich ihm, streichelte ihn mit einer sehr weißen atlasweichen Hand; und da er ganz ruhig stillhielt und (zum Zeichen, daß es ihm wohl behage, von einer so weichen Hand gekrabbelt zu werden) die Zähne bleckte und beide Ohren ellenlang vorstreckte, so bekam sie auf einmal Lust, ihn in ihre Dienste zu nehmen, und schwang sich auf seinen Rücken. Der Esel bequemte sich zu dem ungewohnten Dienste mit einer Gefälligkeit, von deren geheimem Beweggrunde die schöne Bäuerin sich wenig träumen ließ; er schien stolz auf die angenehme Bürde zu sein und trabte so munter mit ihr davon wie der beste Maulesel aus Andalusien. Wiewohl sie nichts hatte, womit sie ihn lenken konnte, als seine kurze Mähne, schien er doch die Bewegungen ihrer Hände, ja sogar den Sinn ihrer Worte zu verstehen; und so brachte er sie, durch eine Menge Abwege, die sie ihm andeutete, gegen Einbruch der Nacht in eine wilde Gegend an der Seeküste, die von Felsen und Gehölz eingeschlossen und nur gegen die benachbarte See ein wenig offen war.

Sie hielten vor einer mit Kiefern und wildem Gebüsche umwachsenen Höhle still, wo die junge Bäuerin kaum mit etwas heller Stimme zwei- oder dreimal «Kasilde» rief, als ein feiner wohlgewachsner Mann von dreißig bis vierzig Jahren, in Matrosenkleidung, aus der Höhle hervoreilte und, mit großer Freude über ihre Ankunft, ihr von dem lastbaren Tier herunterhalf «Dank sei dem Himmel», rief er, sie umarmend, «daß du da bist, liebe Kasilde; mir war schon herzlich bang, es möchte dir ein Unfall zugestoßen sein.» – «Sage lieber Dank diesem guten Esel», versetzte die Bäuerin lachend; «denn ohne ihn würdest du mich schwerlich so bald, vielleicht gar nicht wiedergesehen haben.» – «Dafür soll er nun auch ausrasten und so viel Gras oder Disteln fressen, als er in dieser hungrigen Gegend finden kann», sagte jener; «ich bin unendlich in seiner Schuld, daß er dich, und, wie ich sehe, auch den lieben Quersack, so glücklich in meine Arme geliefert hat.»

Der König-Esel stutzte mächtig, da er eine Stimme hörte, die ihm nur gar zu wohl bekannt war. Er betrachtete die beiden Personen (denen er unvermerkt in die Höhle gefolgt war) beim Schein einer Lampe, die aus dem Felsen herabhing, und es kam ihm vor, als ob ihm die Züge des Matrosen und der jungen Bäuerin nicht ganz fremde wären. Er schaute dem ersten schärfer ins Gesicht: die Ähnlichkeit schien immer größer zu werden; und wie er von ungefehr nach einer Art von steinernem Tische sah, der aus einer von den Felsenwänden hervorragte, fiel ihm ein langer weißer Bart in die Augen, der auf einmal ein verhaßtes Licht in seinen dumpfen Schädel warf.

«Ha, ha», rief die Bäuerin lachend; «da ist ja auch der Hermetische Bart!» – «Ich weiß wahrlich nicht», sagte der Mann im nehmlichen Tone, «warum ich ihn nicht unterwegs in eine Hecke geworfen habe: er hat nun seine Dienste getan, und wir werden ihn schwerlich wieder nötig haben.» «Dafür ist gesorgt», versetzte jene, indem sie auf den Quersack klopfte. «Sieh einmal, und sage, ob ich nicht würdig bin, die Geliebte eines Zeitgenossen des Königs Amasis zu sein.»

«O gewiß», rief der weise Misfragmutosiris, «und des dreimal großen Hermes selbst, wenn du willst. Aber», fuhr er fort, indem er den Sack ausleerte, «wo hast du deine schimmernde Hofritter-Kleidung gelassen, Kasilde?» – «Wie du siehst, hab' ich sie mit der ersten hübschen Bäuerin, die ich nach der Stadt zu Markte gehen sah, vertauscht.» – «Der Schade ist zu verschmerzen», sagte das unsichtbare Haupt des Hermetischen Ordens, indem er den kostbaren Inhalt des Quersackes durchmusterte; «aber damit du mir nicht gar zu stolz auf deine Talente wirst, Mädchen – sieh einmal her, ob ich mir die Abenteuer in der großen Pyramide zu Memphis und den Schrecken, den mir die wetterleuchtenden Drachen am Prachtbette des großen Hermes eingejagt, nicht teuer genug habe bezahlen lassen.»

Man stelle sich vor, wie des armen Esels Majestät dabei zumute war, da er alle die Geschenke, die der schelmische Adept nach und nach von ihm erhalten hatte, mit den gesamten Edelsteinen seiner Kronen und dem größten Teile des Schmuckes der Königin, in funkelnder Pracht auf dem steinernen Tisch ausgebreitet sah. Wär' ihm nicht die unbegrenzte Duldsamkeit zustatten gekommen, die als eine charakteristische Tugend der Gattung, zu welcher er seit kurzem gehörte, von jeher gepriesen worden ist, er würde sich unmöglich haben halten können, die Wut, die in seinem Busen kochte, auf die fürchterlichste Art ausbrechen zu lassen. «Oh, warum mußte ich nun auch gerade in einen Esel verwandelt werden?» dacht' er. «Wär' ich ein Leopard, ein Tiger, ein Nashorn, wie wollte ich! Aber wozu kann das helfen? Mit einem Esel würden sie bald fertig werden.» So sprach der arme König Mark zu sich selbst und lag in seinem Winkel so still und in einen so kleinen Raum zusammengeschmiegt, als ihm nur immer möglich war, um wenigstens seine Neugier zu befriedigen, indem er dem vertraulichen Gespräche dieser zu seinem Unglück verschwornen Schlauköpfe zuhörte.

Nachdem sie ihre Augen an der kostbaren Beute satt geweidet hatten, regte sich ein Bedürfnis von einer dringendern Art; denn sie hatten beide den ganzen Tag nichts gegessen. Der Adept, der immer an alles dachte, hatte, da ihm in der Burg noch alles zu Gebote stand, sich aus der königlichen Küche mit Vorrat auf etliche Tage reichlich versehen lassen. Er zog einen Teil davon nebst einer Flasche köstlichen Weins aus seinem Sacke, und während sie sich's trefflich schmecken ließen, vergaßen sie nicht, sich durch tausend leichtfertige Einfälle über die Leichtgläubigkeit des Königs von Cornwall und die Schwachheit seiner tugendreichen Gemahlin lustig zu machen.

«Nun muß ich dir doch erzählen, lieber Gablitone», sagte die schöne Spitzbübin, «wie ich es anfing, um die Tugend der guten Königin so kirre zu machen, daß ich Gelegenheit bekam, unsern Anschlag auszuführen.»

«Wie du das anfingst, Kasilde? So wie du in deiner Hofritterkleidung aussahest, und bei allen deinen übrigen Gaben – welche Königin in der Welt hätte sich nicht von dir fangen lassen?»

«Schmeichler! Die meinige zappelte noch im Garne so heftig, daß sie es beinahe zerrissen hätte. Meinen Verführungskünsten würde sie vielleicht widerstanden haben: aber die Eifersucht über die Buhlereien des Königs, die Langeweile, die Gelegenheit, eine gereizte Einbildungskraft und unbefriedigte Sinne kämpften für mich, und sie wurde endlich überwältigt, indem sie sich bis auf den letzten Augenblick wehrte. Das Fest, das der König am Tage vor unsrer Entweichung gab, beförderte mein Glück nicht wenig. Ich verdoppelte die Lebhaftigkeit meiner Anfälle auf ihr Herz; Tanz und griechische Weine hatten ihr Blut erhitzt; eine gewisse Fröhlichkeit, der sie sich überließ, machte sie sorglos und zuversichtlich; sie tat, was sie noch nie getan hatte, sie machte sich ein Spiel aus meiner Leidenschaft und verwickelte sich unvermerkt immer stärker, je weniger sie Gefahr zu sehen schien. Endlich wirkte das Opiat, das ich zu gehöriger Zeit in ihren Wein hineinpraktiziert hatte. Eine angenehme Mattigkeit überfiel ihre Sinne, ihre Augen funkelten lebhafter, aber ihre Knie erschlafften; sie schrieb es der Müdigkeit vom Tanze zu und begab sich in ihr Schlafgemach. Sobald ihre Jungfrauen sie zu Bette gebracht hatten, kamen sie in den Tanzsaal zurück, und ich schlich mich davon. Mabillje erschrak nicht wenig, da sie, schon halb eingeschlummert, mich vor ihrem Bette sah. Gleichwohl merkte ich, daß ich nicht ganz unerwartet kam und daß ein anderer an meinem Platze klüger getan hätte, etwas später zu kommen. Genug, die Delikatesse, womit ich, vermöge der Vorteile meines Geschlechts, meine vorgebliche Leidenschaft in diesen kritischen Augenblicken zu mäßigen wußte, ohne darum weniger zärtlich und feurig zu scheinen, gewann unvermerkt so viel über die gute Dame, daß ich mich, wenn der Schlaftrunk nicht so würksam gewesen wäre, in keiner geringen Verlegenheit befunden haben würde. Aber er überwältigte sie gar bald unter so zärtlichen Liebkosungen, daß sie beim Erwachen sich vermutlich für viel strafbarer halten wird, als ich sie machen konnte; und dieses Kästchen von Ambra mit dem besten Teil ihres Geschmeides ist der Beweis, daß ich meine Zeit nicht mit Betrachtung ihrer schlummernden Reize verlor, wie vielleicht der weise Misfragmutosiris selbst an meinem Platze getan haben möchte.»

«Spitzbübin», sagte Gablitone, indem er sie auf die Schulter klopfte; «jedes von uns war auf seinem gehörigen Posten. Du hast deine Rolle wie eine Meisterin gespielt; und weniger konnt' ich auch nicht von dir erwarten, als ich dich beredete, das Theater zu Alexandria zu verlassen und mir den Plan ausführen zu helfen, der uns so glücklich gelungen ist. Wir haben nun genug, um künftig bloß unsre eigenen Personen zu spielen. Morgen soll uns ein Fischerboot nach Kleinbritannien hinüberbringen, und von dort wird es uns nicht an Gelegenheit fehlen, in unser Vaterland zurückzukehren. Inzwischen, schöne Kasilde, laß uns dem guten Beispiel unsers Esels folgen, der dort im Winkel eingeschlafen ist. Wir sind hier vor allen Nachsetzern sicher und bedürfen der Ruhe.»

Der königliche Esel war nichts weniger als eingeschlafen, wiewohl er sich so gestellt hatte. Der Verdruß, sich so schändlich hintergangen zu sehen, ein Augen- und Ohrenzeuge der Ränke und des glücklichen Erfolges der Betrüger und (was noch das ärgste war) aus einem König in einen Esel verwandelt zu sein, seine Feinde vor Augen zu sehen und sich nicht an ihnen rächen zu können, ja in seiner Eselsgestalt noch sogar selbst ein Werkzeug ihres Glückes gewesen zu sein, alles das schnürte ihm die Kehle so zusammen, daß er kaum noch atmen konnte. Aber eine andre Szene, die in alle Leidenschaften, welche in seinem Busen kochten, noch das Furiengift des Neides goß, setzte ihn auf einmal in solche Wut, daß er nicht länger von seinen Bewegungen Meister war. Er sprang mit einem gräßlichen Geschrei von seinem Lager auf und über die beiden Glücklichen her, die sich einer solchen Ungezogenheit zu ihrem Esel so wenig versehen hatten, daß sie etliche tüchtige Hufschläge davontrugen, ehe sie sich seiner erwehren konnten. Aber der Handel fiel doch zuletzt, wie natürlich, zum Nachteil des unglücklichen Königs aus; denn der ergrimmte Adept fand bald einen Knüttel, womit er einen so dichten Hagel von Schlägen auf den Kopf und Rücken des langohrigen Geschöpfes regnen ließ, daß es halb tot zu Boden fiel und zuletzt, nachdem jener auf inständiges Bitten der mitleidigen Kasilde seiner Rache endlich Grenzen setzte, in einem höchst kläglichen Zustande zur Höhle hinausgeschleppt wurde.


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