Christoph Martin Wieland
Dschinnistan
Christoph Martin Wieland

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Die beiden Töchter Sirocos schienen anfangs ganz verblüfft, da sie sich selbst so unverhofft wiederfanden; das Sonnenlicht schien sie zu verblenden, so lange war's, daß sie den Tag nicht gesehen hatten; es war ihnen, als ob alles um sie her wie durch den Schlag einer Zauberrute ans nichts hervorspringe. Endlich, da sie die Talismane an ihren Händen wiedererkannten und daraus abnahmen, daß ihre Bezauberung nun gänzlich aufgehört habe, brach ein Schimmer von Entzücken aus ihrem Gesichte hervor; sie fielen einander um den Hals und bezeugten sich in den lebhaftesten Ausdrücken ihre Freude über eine so glückliche Veränderung.

Man kann sich vorstellen, wie groß das Erstaunen der beiden Zirkasserinnen war, da sie auf einmal zwei so liebreizende und ihnen völlig unbekannte Personen vor ihren Augen entstehen sahen; aber wie sie gewahr wurden, daß ihre Talismane dies Wunder gewürkt und daß diese nun für sie verloren seien, fingen sie bitterlich zu weinen an. Asemi, der aus Ehrfurcht für die Töchter des Bassa von Alexandrien auf die Seite getreten war, näherte sich jetzt der schönen Dely mit schüchterner Gebehrde und bemühte sich, ihren Schmerz zu besänftigen; aber sie wollte ihn nicht anhören, sondern stieß ihn, das Gesicht von ihm wendend, mit der Hand zurück. Aurore und Argentine, welche nun klar in der Sache zu sehen anfingen, bemühten sich, ihnen auf das freundlichste Trost zuzusprechen. Sie machten ihnen begreiflich, daß sie mit diesen Talismanen nichts verloren hätten, als was ihre angebornen Reizungen ihnen sehr entbehrlich machten, dahingegen sie dasjenige wiedergefunden, woran das Glück oder Unglück ihres Lebens geheftet sei. Überdies versprachen sie ihnen, daß ihr Vater nicht ermangeln würde, sie für ihren Verlust auf eine andere Weise reichlich zu entschädigen.

Inzwischen war Asemi nach dem Palaste geflogen und hatte die Nachricht von der Entzauberung der beiden Uhren überall verbreitet. Zambak, Zelide und Sumi eilten in den Garten; in wenig Augenblicken folgten auch Siroco und der Bassami seinen beiden Söhnen, denn Hassan, der damals just auf seine Hand von Ebenholz weinen mußte, konnte nicht mit ihnen kommen. Die Freude war allgemein und unbeschreiblich. Die einzige Zelide konnte sich nicht enthalten, über die Abwesenheit ihres geliebten Hassan zu seufzen und die Dauer seines unglücklichen Schicksals, woran das ihrige hing, zu beklagen, als man plötzlich die Sklaven, welchen der Bassa die Bewachung der Höhle des Derwischen anbefohlen hatte, wiederkommen sah, und Hassan in ihrer Mitte, der schon von ferne in die Hände klopfte und Zeichen der lebhaftesten Freude von sich gab. Er eilte in vollem Sprung herbei, um zu zeigen, daß seine Buße ein Ende habe und seine Hand wieder geworden sei, wie sie gewesen, ehe er den Speckkuchen der christlichen Sklavin angerührt hatte. Wie es damit zugegangen, konnte er nicht sagen; man zweifelte aber nicht, das schwarze Ferkel müsse ersäuft worden sein, wiewohl man nicht wußte, bei wem man sich dafür zu bedanken habe. Alles, was die Sklaven berichten konnten, war, sie hätten diesen Morgen drei Männer gesehen, die einem vierten nachgelaufen und gewaltig auf ihn zugeschlagen hätten; dieser habe sich endlich in die Höhle geflüchtet, die drei Männer wären ihm gefolgt, und sogleich hätten sie (ihrem obhabenden Befehle gemäß) die Öffnung der Höhle mit großen Felsenstücken zugestopft.

Kaum hatten die Sklaven ihren Bericht geendigt, so hörte man ein großes Geschrei auf der Terrasse, und man sah einen Mann angelaufen kommen, den die Zirkasserinnen sogleich für ihren alten Derwisch erkannten, wiewohl er beide Hände vors Gesicht hielt, um seinen abgestutzten Bart zu verbergen. Zu gleicher Zeit erkannte man auch die drei Juden, die ihn, ohne Krücken, so behend und hitzig verfolgten, als ob sie nie am Schenkel verwundet gewesen wären. Sobald der alte Derwisch einer so zahlreichen Gesellschaft gewahr wurde, so suchte er auf einer andern Seite zu entfliehen; aber weil ihm die Sklaven des Bassa in die Flanke fielen, so blieb ihm nichts übrig, als sich gutwillig zu ergeben. Wie groß war itzt das Erstaunen des Bassa, indem er in diesem Derwisch denjenigen erkannte, der seinen drei Söhnen ehemals den Tesbusch, das kupferne Blech und das Armband gegeben hatte! Da er (wie man bereits hat bemerken können) der weichherzigste Bassa von der Welt war, so konnte er sich nicht enthalten, mit offnen Armen auf ihn zuzugehen. «Seid ohne Furcht, mein ehrwürdiger Vater», sprach er zu ihm; «Ihr seid in dem Hause eines echten Musulmanns, der Euern Habit verehrt, und wehe dem, der Euch beleidigen wollte! Aber sagt mir, wer durfte sich erfrechen, Euch des ehrwürdigen Zeichens Euers Standes zu berauben? Nennet mir ihn: es soll ein schreckliches Exempel an ihm statuiert werden!»

Die beiden Zirkasserinnen brachen bei dieser Drohung in ein lautes Gelächter aus. «Gnädiger Herr», sagten sie, «das ist ein Stück von unsrer Arbeit; aber es widerfuhr ihm nicht mehr, als er verdient hat.» Und darauf erzählten sie der ganzen Gesellschaft, daß es eben der Derwisch sei, der ihnen ehmals aus ihrem Käfig geholfen und sich in sie verliebt habe, und alles übrige, was sie dem Asemi bereits erzählt hatten. Der arme Mann, der schon durch seine niedergeschlagenen Augen und sein Stillschweigen alles eingestanden, was die leichtfertigen Mädchen von ihm sagten, hatte nun nichts Bessers zu tun als sich – wie ein Derwisch aus der Sache zu ziehen.

«Ich gestehe meine Verblendung mit Schamröte», sagte er; «wie konnte ich von den leichtsinnigen Geschöpfen, von denen mein Herz sich hatte überraschen lassen, jemals eine bessere Begegnung erwarten? Aber selbst die weisesten Menschen sind nicht vor einem unglücklichen Augenblick sicher, worin sie sich vergessen können, und sind um so mehr zu beklagen, da die Weiber, die über ihre Tugend siegen, gemeiniglich nicht zur Klasse derjenigen gehören, die nach Grundsätzen leben. Die Tugend dieser Letztern unterstützt die unsrige: nur an Leichtsinn und Torheit scheitert die Vernunft. Glücklich ist es indessen, daß es auch um so viel leichter ist, von einer solchen Leidenschaft geheilt zu werden. Meine Augen sind nun wieder offen, und der Zauber, den diese jungen Dirnen auf mich geworfen, ist aufgelöst. Um euch aber, gnädige Herren, nichts zu verschweigen, was mich meine törichte Leidenschaft gekostet hat, so will ich euch sagen, daß ich, wie die Mauer, welche die Rückenwand meiner Höhle ausmachte, eingerissen wurde, aus Scham, in diesem Zustande bei diesen zwei jungen Personen gefunden zu werden, so schnell ich konnte mit dem Sacke von rosenfarbem Taft davonlief. Ich brachte diese Nacht auf dem Felde zu. Diese drei Männer hier kamen und setzten sich neben mich. Sie sagten mir, sie wären soeben einer großen Gefahr entgangen, und sie wären, da einer von ihnen eine Wunde bekommen, alle drei auf die nehmliche Weise verwundet worden. Ich konnte ihnen dies unmöglich glauben; aber um die Probe zu machen, pflückte ich einige Wundkräuter, deren Kräfte mir bekannt sind; und sobald ich sie einem von ihnen auf seine Wunde gelegt hatte, fand sich nach einigen Stunden, daß alle drei geheilt waren, wiewohl ich den beiden andern nichts aufgelegt hatte. Wir brachten nun den Rest der Nacht ganz ruhig zu; aber wie der Tag anbrach, betrachtete mich einer von ihnen mit Aufmerksamkeit. ‹Ah›, rief er seinen Gefährten zu, ‹das ist der nehmliche, der die Tänzerinnen begleitete, die uns im Karawanserei ausplünderten!› Diese Rede machte mich bestürzt. Ich sah nun auch ihnen schärfer ins Gesichte und erkannte die beiden Männer, denen die jungen Zirkasserinnen die Talismane der Töchter Sirocos und alle Waren, so sie bei sich trugen, genommen hatten. Nun wurde mir angst; ich wollte mich davonmachen, aber sie fielen grimmig über mich her, und wie schnell ich ihnen zu entlaufen suchte, so fielen doch nicht alle ihre Schläge auf die Erde. Instinktmäßig lief ich meiner Höhle zu, und sie verfolgten mich bis auf die Terrasse dieses Gartens. Im Laufen bemächtigte sich einer von ihnen meines Sackes, und vermutlich aus Unwillen, nichts als das kleine schwarze Schweinchen darin zu finden, warf er ihn samt dem unreinen Tier ins Meer, wie ich selbst schon lange getan haben würde, wenn die beiden Undankbaren, die ich liebte, meine Vernunft nicht benebelt hätten. Ich weiß, gnädiger Herr», setzte der Derwisch hinzu, indem er sich gegen den Bassa wandte, «daß das Glück eines Eurer Söhne von diesem Umstande abhing; diese drei Juden sind die Werkzeuge, die ihn von seiner schweren Buß befreiet haben; und anstatt einiger Bestrafung haben sie vielmehr die größte Belohnung um Euch verdient. Alles, was ich noch wünsche, ist, daß der Prophet, um sie derselben würdig zu machen, ihnen die Gnade verleihe, unsern allein wahren Glauben anzunehmen.»

Der Derwisch, wie man sieht, sprach und wünschte, wie es einem Derwisch zukommt. Während seiner Rede hatten die Gebrüder Izif und Izuf ihre Augen auf die reizenden Zirkasserinnen geheftet, und die Zauberkraft derselben, die sie bereits erfahren, als sie ihnen im Karawanserei in die Hände fielen, würkte neuerdingen so sichtbarlich auf sie, daß alle Anwesenden den frommen Wunsch des ehrwürdigen Derwisch für erfüllt ansahen, sobald diese holden Verführerinnen sich ihre Bekehrung zu Herzen nehmen wollten.

Der Bassa und sein Freund Siroco fanden, nachdem alles auf so gutem Wege war, daß nun nichts weiter übrig sei, als mit Hülfe des Kadi (welchen man hatte einladen lassen, um an der Wonne einer so glücklichen Entwicklung teilzunehmen) so viel Paare aus den Personen des Dramas zu machen, als nur immer herauszubringen waren. Die drei Töchter Sirocos wurden den drei Söhnen des Bassa vom Meere zuteil, mit denen sie bereits das Elixier der vollkommnen Liebe gekostet hatten; die schöne Sumi nahm es auf sich, ihren geliebten Izaf glücklich zu machen; und die beiden Zirkasserinnen ließen sich ohne Mühe bereden, den Brüdern Izif und Izuf die Hand zu geben unter der Bedingung, daß sie sich gefallen ließen, das Gesetz des Propheten anzunehmen; eine Sache, die dem alten Derwisch so große Freude machte, daß er sich durch die Zeremonie, ihnen den Turban aufzusetzen, für den Verlust seines Bartes reichlich entschädiget hielt.

Um die Einigkeit unter diesen Neuvermählten desto fester zu gründen, präsentierte man nun auch der schönen Dely und ihrer Schwester das Elixier der vollkommnen Liebe, wovon sie allein noch nicht gekostet hatten; sie tranken alles aus, was noch in der Flasche war, und ließen keinen Tropfen für alle Tänzerinnen übrig, die nach ihnen gekommen sind.


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